15.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

CE 332/78


Donnerstag, 14. Juni 2012
Die Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts

P7_TA(2012)0259

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Juni 2012 zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts (2012/2669(RSP))

2013/C 332 E/15

Das Europäische Parlament,

in Kenntnis der von der Kommission am 20. Februar 2012 eingeleiteten öffentlichen Konsultation zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts (1),

in Kenntnis der Konferenz zum Thema „European Company Law: the way forward”, die die Kommission am 16. und 17. Mai 2011 (2) durchgeführt hat,

in Kenntnis des Berichts der Reflektionsgruppe zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts vom 5. April 2011 (3),

in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 13. April 2011 mit dem Titel „Binnenmarktakte – Zwölf Hebel zur Förderung von Wachstum und Vertrauen – ‚Gemeinsam für neues Wachstum’ “ (COM(2011)0206),

in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 25. Oktober 2011 mit dem Titel „Initiative für soziales Unternehmertum – Schaffung eines ‚Ökosystems‘ zur Förderung der Sozialunternehmen als Schlüsselakteure der Sozialwirtschaft und der sozialen Innovation“ (COM(2011)0682),

in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 10. Juli 2007 mit dem Titel „Über ein vereinfachtes Unternehmensumfeld in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Rechnungslegung und Abschlussprüfung“ (COM(2007)0394),

in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 21. Mai 2003 mit dem Titel „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan“ (COM(2003)0284),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 21. April 2004 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament mit dem Titel ’Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan’ “ (4),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 4. Juli 2006 zu den jüngsten Entwicklungen und den Perspektiven des Gesellschaftsrechts (5),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 25. Oktober 2007 zur Europäischen Privatgesellschaft und zur Vierzehnten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie über die grenzüberschreitende Verlegung des Gesellschaftssitzes (6),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 10. März 2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen (7),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 23. November 2010 zu zivil-, handels- und familienrechtlichen Aspekten sowie zu Aspekten des internationalen Privatrechts des Aktionsplans zur Umsetzung des Stockholmer Programms (8),

unter Hinweis auf seine Entschließung vom 2. Februar 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen (9),

unter Hinweis auf die Anfrage vom 7. Mai 2012 an die Kommission zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts (O-000110/2012 – B7-0117/2012),

gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.

in der Erwägung, dass der Regelungsrahmen für Unternehmensrecht und Corporate Governance in der Europäischen Union dahingehend angepasst werden muss, dass er der wachsenden Tendenz europäischer Unternehmen, innerhalb der Union grenzüberschreitend tätig zu werden, und der anhaltenden Integration der europäischen Märkte Rechnung trägt,

B.

in der Erwägung, dass das übergeordnete Ziel darin besteht, Unternehmen in Europa in die Lage zu versetzen, sich effektiver im Wettbewerb zu erweisen und in einem höchst wettbewerbsorientierten globalen Umfeld erfolgreicher zu sein, und gleichzeitig einen angemessenen Schutz der Interessen von Gläubigern, Anteilseignern, Mitgliedern und Arbeitnehmern zu gewährleisten;

C.

in der Überzeugung, dass ein benutzerfreundlicherer Regulierungsrahmen Unternehmen, insbesondere KMU, ermuntern würde, die Chancen zu nutzen, die der Binnenmarkt bietet;

D.

in der Überzeugung, dass alle künftigen Initiativen mit nationalen Corporate-Governance-Systemen und nationalen Rechtsvorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung vereinbar sein sollten, wobei man sich um mehr Flexibilität und eine größere Auswahl bei Gesellschaftsformen, interner Machtverteilung und nachhaltigen Unternehmensstrategien bemühen sollte;

E.

in der Erwägung, dass es ein nicht ausgeschöpftes Potenzial bei Rechtsformen für Unternehmen auf europäischer Ebene gibt, das weiter erforscht, entwickelt und gefördert werden sollte;

F.

in der Erwägung, dass die grenzüberschreitende Mobilität von Unternehmen erleichtert werden sollte;

G.

in der Erwägung, dass die Finanzkrise gezeigt hat, dass es eines klareren Rahmens für die Corporate Governance bedarf, bei dem der Schwerpunkt stärker auf der Beteiligung der Betroffenen liegt;

1.

begrüßt die vor kurzem von der Kommission durchgeführte öffentliche Konsultation zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts, die dazu beitragen sollte, künftige Initiativen zu gestalten, durch die das Geschäftsumfeld für Unternehmen vereinfacht werden soll sowie unnötige Verwaltungslasten verringert und Unternehmen in die Lage versetzt werden sollen, effektiv innerhalb des Binnenmarkts tätig zu sein, wobei gleichzeitig ein angemessener Schutz der Interessen von Gläubigern, Anteilseignern, Mitgliedern und Arbeitnehmern zu gewährleisten ist;

2.

ist der Auffassung, dass die EU-Gesellschaftsformen, die die bestehenden, nach nationalem Recht zur Verfügung stehenden Formen ergänzen, ein beträchtliches Potenzial bieten und weiterentwickelt und gefördert werden sollten; fordert die Kommission nachdrücklich auf, weitere Anstrengungen im Hinblick auf die Annahme des Statuts der europäischen Privatgesellschaft (10) zu unternehmen, durch das die Interessen aller Beteiligten in vollem Umfang berücksichtigt werden könnten, um die Blockade im Rat zu überwinden, wodurch den besonderen Bedürfnissen von KMU gedient wäre;

3.

begrüßt die Tatsache, dass die Kommission entsprechend der Ankündigung in der vorstehend erwähnten Initiative für soziales Unternehmertum (11) eine Studie zu europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaften durchführt, und fordert sie nachdrücklich auf, rasch tätig zu werden, um die Vorlage eines neuen Vorschlags für ein Statut auf den Weg zu bringen;

4.

glaubt, dass bei möglichen Reformen der Zweiten Gesellschaftsrechtsrichtlinie (12) der Schwerpunkt auf eine weitere Vereinfachung anstatt der Einführung alternativer Systeme für Kapitalbildung und -erhaltung gelegt werden sollte;

5.

begrüßt die Überarbeitung der Rechnungslegungsrichtlinien und schlägt vor, das die Kommission Möglichkeiten der Entwicklung europäischer Rechnungslegungsstandards weiter erforscht, insbesondere hinsichtlich der besonderen Bedürfnisse von KMU, wobei sie die klassischen Konzepte der Nachhaltigkeit, der langfristigen Planung, des Familieneigentums und anderer traditionellen Aspekte von KMU berücksichtigen sollte;

6.

glaubt, dass der Wiederaufnahme der Arbeit an der Fünften Gesellschaftsrechtsrichtlinie bezüglich der Struktur und der Arbeitsweise von Aktiengesellschaften gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte;

7.

wiederholt seine Forderung an die Kommission, einen Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen, in dem Maßnahmen festgelegt werden, durch die die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften innerhalb der EU erleichtert werden soll (14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen);

8.

erinnert daran, dass sich die Kommission in der Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Parlament und der Kommission verpflichtet hat, über die konkrete Weiterbehandlung einer Aufforderung zur Vorlage eines Vorschlags gemäß Artikel 225 AEUV innerhalb von drei Monaten nach Annahme der entsprechenden Entschließung im Plenum zu berichten; bedauert die Tatsache, dass diese Verpflichtung hinsichtlich der Entschließung des Parlaments mit Empfehlungen zur 14. Gesellschaftsrechtsrichtlinie nicht eingehalten wurde; fordert die Kommission auf, sich an die Rahmenvereinbarung zu halten und in Zukunft detailliertere Berichte über die Weiterbehandlung vorzulegen;

9.

schlägt vor, dass die Kommission ihre Arbeit an der Neunten Gesellschaftsrechtsrichtlinie zu Unternehmensgruppen wieder aufnimmt, um einen Regelungsrahmen für diese geläufige Form eines Unternehmenszusammenschlusses zur Verfügung zu stellen; meint, dass ein vollständig harmonisiertes europäisches Unternehmensrecht für Gruppen nicht erforderlich ist, sondern vielmehr ein Paket gemeinsamer Regeln, die unter anderem den Schutz von Zweigniederlassungen und Beteiligten sowie eine größere Transparenz hinsichtlich der Rechts- und Eigentümerstruktur betreffen sollten;

10.

erinnert daran, dass Rechtsvorschriften gemäß der Agenda für intelligente Regulierung der Kommission klarer und leichter zugänglich sein müssen; ist der Auffassung, dass die Kommission das EU-Gesellschaftsrecht kodifizieren sollte, um ein nutzerfreundliches Regelwerk zur Verfügung zu stellen und Kohärenz mit dem EU-Recht zu gewährleisten. ist sich der Vorteile bewusst, die ein einziges EU-Instrument im Gesellschaftsrecht bietet, glaubt aber, dass Gesellschaftsrechtsrichtlinien erst einmal in Gruppen zusammengefasst werden müssen; schlägt vor, sie in Kategorien einzuteilen, wozu Gründung und Arbeitsweise (z. B. die Erste und Zweite Richtlinie sowie die Richtlinien über Rechnungslegung und Abschlussprüfung), Mobilität (z. B. die Dritte (13), Sechste (14), Zehnte (15), Elfte (16) und 13 (17). Richtlinie sowie die künftige 14. Richtlinie) und EU-Rechtsformen für Unternehmen (z. B. SE, SCE, EWIV) gehören sollten; betont, dass dieses Projekt der Kodifizierung selbstverständlich nicht dazu führen sollte, dass die notwendigen Reformaktivitäten eingestellt werden;

11.

ist der Auffassung, dass die Problematik der Rechtskollision auch im Bereich des Gesellschaftsrechts behandelt werden sollte und dass ein aus der Rechtslehre stammender Vorschlag in diesem Bereich (18) als Ausgangspunkt für die weitere Arbeit an Kollisionsnormen mit Bezug zur grenzübergreifenden Geschäftstätigkeit von Unternehmen dienen könnte;

12.

fordert die Kommission nachdrücklich auf, einen Aktionsplan vorzulegen, aus dem sich ergibt, wie es nach der Konsultation weitergehen soll, und in dem kurz-, mittel- und langfristige Initiativen aufgezeichnet werden sollten, um den Regelungsrahmen für das EU-Gesellschaftsrecht zu verbessern; glaubt, dass kurzfristige Initiativen die 14. Gesellschaftsrechtsrichtlinie und Maßnahmen zur Verbesserung des EU-Rahmens für die Corporate Governance umfassen sollten, wogegen sich mittelfristige Initiativen beispielsweise mit der Neunten Gesellschaftsrechtsrichtlinie und langfristige Initiativen mit der Kodifizierung des EU-Gesellschaftsrechts befassen sollten;

13.

betont, dass es erwartet, dass die kurzfristigen Initiativen förmlich in das Legislativ- und Arbeitsprogramm für 2013 aufgenommen werden und dass Zieldaten für die mittel- und langfristigen Initiativen festgesetzt werden;

14.

bekräftigt seine früheren Forderungen an die Kommission, die Probleme bei der Durchsetzung bestehender Rechtsvorschriften zu analysieren, damit die Erkenntnisse berücksichtigt werden können, wenn neue Gesetzgebungsvorschläge geprüft werden;

15.

erinnert daran, dass sich jeder von der Kommission vorgelegte Gesetzgebungsvorschlag auf eine Folgenabschätzung unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten stützen sollte, einschließlich Anleger, Eigentümer, Gläubiger und Arbeitnehmer, bei voller Wahrung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit;

16.

fordert die Kommission auf, das Parlament umfassend über die Ergebnisse ihrer Konsultation über die Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts zu informieren und im Einzelnen die Entscheidungen zu erläutern, die sie als Folge des Ergebnisses dieser Konsultation treffen wird;

17.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission und den Parlamenten und Regierungen der Mitgliedstaaten zu übermitteln.


(1)  http://ec.europa.eu/internal_market/consultations/2012/company_law_en.htm

(2)  http://ec.europa.eu/internal_market/company/modern/index_en.htm#conference

(3)  http://ec.europa.eu/internal_market/company/modern/index_en.htm

(4)  ABl. C 104 E vom 30.4.2004, S. 714.

(5)  ABl. C 303 E vom 13.12.2006, S. 114.

(6)  ABl. C 263 E vom 16.10.2008, S. 671.

(7)  ABl. C 87 E vom 1.4.2010, S. 5.

(8)  ABl. C 99 E vom 3.4.2012, S. 19.

(9)  Angenommene Texte, P7_TA(2012)0019.

(10)  COM(2008)0396.

(11)  COM(2011)0682, S. 10.

(12)  ABl. L 26 vom 31.1.1977, S. 1.

(13)  ABl. L 295 vom 20.10.1978, S. 36.

(14)  ABl. L 378 vom 31.12.1982, S. 47.

(15)  ABl. L 310 vom 25.11.2005, S. 1.

(16)  ABl. L 395 vom 30.12.1989, S. 36.

(17)  ABl. L 142 vom 30.4.2004, S. 12.

(18)  H.-J. Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts – Vorgelegt im Auftrag der zweiten Kommission des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht, Spezialkommission Internationales Gesellschaftsrecht, Mohr Siebeck, Tübingen, 2007.