14.3.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 76/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Geschlechterdimension der Europa-2020-Strategie (Initiativstellungnahme)

2013/C 76/02

Berichterstatterin: Joana AGUDO I BATALLER

Mitberichterstatterin: Grace ATTARD

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschusses beschloss am 12. Juli 2012 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Die Geschlechterdimension der Europa-2020-Strategie.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. Dezember 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 486. Plenartagung am 16./17. Januar 2013 (Sitzung vom 17. Januar) mit 200 gegen 6 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA)

1.1

unterstützt und befürwortet den Grundsatz, dass die Strategie „Europa 2020 - Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ (1) und die Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2) sich gegenseitig verstärken müssen. Dazu ist eine Berücksichtigung der Geschlechterdimension (gender mainstreaming) ebenso unerlässlich wie es spezifische Maßnahmen in Bezug auf die Ziele, Durchführung, Überwachung und Bewertung der im Rahmen der SE 2020 entwickelten Handlungsansätze sind;

1.2

sieht es als grundlegend an, den Missstand zu beheben, dass in keiner der sieben Leitinitiativen der SE 2020 ausdrücklich auf die Geschlechterdimension eingegangen wurde. Daher hält es der EWSA für unbedingt erforderlich, Geschlechterfragen systematisch in den Nationalen Reformprogrammen (NRP) und im Rahmen des Europäischen Semesters zu berücksichtigen, - insbesondere, wenn die Wirtschaftslage in Europa eine wirksamere Umsetzung der Maßnahmen und eine effizientere Ressourcennutzung gebietet -, und die negativen Auswirkungen der Ungleichheit der Geschlechter auf das Wirtschaftswachstum anzuerkennen;

1.3

unterstützt die länderspezifischen Empfehlungen, in denen die Kommission die Mitgliedstaaten auffordert, die Ansätze der NRP dahingehend zu korrigieren, dass bei den Maßnahmen der Grundsatz der Geschlechtergleichstellung berücksichtigt wird. Es ist wichtig, dass auf den Ministertagungen zur Überprüfung und Weiterverfolgung dieser Empfehlungen ihre Umsetzung und Kontinuität sichergestellt wird und die Fortschritte auf dem Gebiet der Gleichstellungspolitik ins Blickfeld gerückt werden. Zu diesem Zweck müssen die Gemeinschaftsmittel, vor allem der Europäische Sozialfonds, genutzt werden;

1.4

empfiehlt, im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 speziell für die Förderung von Frauenrechten und Gleichstellung Mittel bereitzustellen. Nach Ansicht des EWSA muss die Finanzierung angemessen und sichtbar sein, um eine transparente Mittelnutzung zu gewährleisten und so die Unterstützung von Gleichstellungsmaßnahmen, -aktivitäten und -projekten in allen Zuständigkeitsbereichen der EU zu fördern;

1.5

ist der Auffassung, dass angesichts der unterschiedlichen Ausgangslage in den einzelnen Ländern, Regionen und Branchen Maßnahmen ergriffen werden müssen, mit denen die Situation im gesellschaftlichen Kontext verbessert und eine stärkere Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt erreicht werden kann, u.a. auch durch die Förderung von Unternehmensgründungen. Ihr quantitatives und qualitatives Potenzial muss in den verschiedenen in Bereichen der SE 2020 – Innovation, Forschung, allgemeine und berufliche Bildung, digitale Gesellschaft, Klima und grüne Wirtschaft, Energie, Mobilität, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung, Qualifikationen, soziale Ausgrenzung und Armut – gefördert werden;

1.6

betont das wertvolle Engagement und Mitwirken der Sozialpartner auf Ebene der EU, der Mitgliedstaaten, der Regionen und Kommunen sowie auf Branchenebene in allen Umsetzungsphasen der verschiedenen Maßnahmen, um die notwendigen Fortschritte bei der Gleichstellung in allen Ländern der Europäischen Union zu gewährleisten. Der soziale Dialog und die aus den Kollektivverhandlungen hervorgegangenen Tarifverträge sind grundlegende Instrumente, um die Geschlechterdimension in die Nationalen Reformprogramme einzuflechten. Der von den europäischen Sozialpartnern angenommene Aktionsrahmen zur Gleichstellung von Männern und Frauen ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Beispiel, das in der SE 2020 aufgegriffen werden sollte;

1.7

unterstreicht, wie wichtig eine Berücksichtigung der Geschlechterdimension bei der Umsetzung aller sieben Leitinitiativen ist. Hierzu sind Informationen über die besondere und unterschiedliche Situation von Frauen und Männern in Bezug auf folgende Bereiche erforderlich: Arbeitsmarkt und lebenslanges Lernen; Zugang zu allen Bildungsebenen und zur Beschäftigung; Armut und Gefahr der Ausgrenzung; Zugänglichkeit und Nutzung der neuen Technologien des digitalen Bereichs; Teilhabe an allen Ebenen der Bildung, Forschung und Produktion, insbesondere in den neu entstehenden Branchen. Der EWSA empfiehlt eine Schwerpunktsetzung auf die digitale Bildung von Frauen, die in IT-Berufen unterrepräsentiert sind. Nach Auffassung des EWSA sollten die Kommission und die Mitgliedstaaten die bestehenden Gleichstellungsindikatoren unbedingt nutzen und in Bereichen, wo es sie noch nicht gibt, neue Indikatoren aufstellen;

1.8

ist der Auffassung, dass angesichts der in den meisten Mitgliedstaaten ernsten Lage in Bezug auf Jugendarbeitslosigkeit und Schulabbruch, wovon Männer und Frauen in unterschiedlichem Maße betroffen sind, die Geschlechterdimension stärker in die Gestaltung der Jugendpolitik einfließen muss;

1.9

ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, die spezifischen Empfehlungen der Kommission zu berücksichtigen und Maßnahmen zu ergreifen, um Frauen in allen Ländern mehr und bessere Arbeitsplätze bieten zu können. Dazu müssen der Zugang zu und die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen für Kinder und ältere Menschen verbessert erschwinglich gemacht, das Gehaltsgefälle beseitigt und Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Privatleben und Beruf umgesetzt werden (erleichterter Zugang zu Vaterschaftsurlaub und vergütete Abwesenheiten);

1.10

bekräftigt, dass im Wege der SE 2020 und in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern spezifische und wirksame Vereinbarungen und Maßnahmen gefördert und unterstützt werden müssen, mit denen die Gesundheit und Sicherheit schwangerer Frauen oder Wöchnerinnen am Arbeitsplatz gewährleistet werden. Der EWSA befürwortet den Vorschlag der Kommission, durch einschlägige Maßnahmen auf eine angemessene Dauer des Mutterschaftsurlaubs von mindestens 18 Wochen hinzuwirken (3);

1.11

Die Krise hat – wenn auch in je nach Land, Region und Branche unterschiedlicher Form – das Leben der Menschen beeinflusst und einige Probleme in puncto Zusammenleben und Gesundheit verschlimmert. Daher muss der Umsetzung von Maßnahmen, die zur Abfederung der negativen Folgen (Stress, Gewalt, Mobbing im beruflichen und familiären Umfeld (4)) beitragen, nach Ansicht des EWSA besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dazu sind gemeinsame Anstrengungen erforderlich, um die Gleichstellung der Geschlechter in der Gesellschaft zu fördern, strukturelle Ungleichheiten abzubauen und die stereotypen Geschlechterrollen zu verändern;

1.12

vertritt die Ansicht, dass eine stärkere Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen – insbesondere in den Branchen und Unternehmen, die in der SE 2020 als strategisch wichtig und zukunftsträchtig bezeichnet werden – eine vorrangiges Anliegen sein muss. Der EWSA wird zu dem Vorschlag der EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, auf europäischer Ebene verbindliche Maßnahmen anzunehmen, um eine solche Beteiligung zu fördern, in Kürze eine Stellungnahme abgeben;

1.13

nimmt mit Besorgnis die Kürzungen der Sozialschutzleistungen in den am stärksten benachteiligten und von sozialer Ausgrenzung und Armut bedrohten Bevölkerungsgruppen zur Kenntnis. Deshalb sollte mit den im Rahmen der SE 2020 umzusetzenden Maßnahmen speziell die zunehmende Feminisierung der Armut bekämpft und versucht werden, Frauen kurzfristig durch Anreize für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt und langfristig durch den Zugang zu einer Grundausbildung und neuen Kompetenzen, Nutzung neuer Technologien und neue Formen der Arbeitsorganisation einzubeziehen, so dass Berufs- und Familienleben miteinander in Einklang gebracht werden können. Der EWSA hält es nach 60 Jahren europäischer Integration für nicht hinnehmbar zuzulassen, dass das anhaltende Lohngefälle zwischen Männern und Frauen als Anpassungsvariable dient und die Prekarisierung von Arbeitnehmerinnen fortschreitet. Er meint, dass die Mitgliedstaaten dringend Maßnahmen in ihre NRP aufnehmen müssen, durch die Frauen eine stabile Beschäftigung mit gerechter Entlohnung und angemessener Rente erhalten;

1.14

Damit die SE 2020 und die Gleichstellungsstrategie ihre Ziele erreichen können, hält es der EWSA für vorrangig, den Interessenträgern und der Gesellschaft im Allgemeinen unmissverständlich klar zu machen, dass die Gleichstellung durch weitere Maßnahmen vorangebracht werden muss. Dazu ist zum einen eine stärkere und engere Koordinierung und Zusammenarbeit innerhalb sämtlicher EU-Institutionen (Europäisches Parlament, Kommission und Rat, Europäische Zentralbank sowie EWSA und Ausschuss der Regionen) und zwischen diesen erforderlich. Zum anderen müssen Gleichstellungsfragen auf allen Ebenen bei der Zusammensetzung (5) und täglichen Arbeit von Fachgruppen, Gruppen und sonstigen Arbeitsorganen dieser Institutionen berücksichtigt werden.

2.   Einleitung

2.1

Die im Jahr 2010 verabschiedete SE 2020 gibt die Richtung für Wachstum in der Europäischen Union in einem komplexen ökonomischen Umfeld vor, das bereits die aktuellen finanziellen und politischen Schwierigkeiten der Union erahnen ließ. In der SE 2020 wird eine Reihe von Maßnahmen umrissen, mit denen die Mitgliedstaaten die Herausforderungen der weltweiten Krise effizient und kohärent angehen und gleichzeitig ein intelligenteres, nachhaltigeres und integrativeres Wachstumsmodell verwirklichen können.

2.2

Des Weiteren wurde ein neues Verfahren der wirtschaftspolitischen Steuerung ins Leben gerufen, das sogenannte Europäische Semester, durch das einerseits die Evaluierung der Haushalts- und Strukturpolitik der Mitgliedstaaten aufeinander abgestimmt und andererseits eine Überwachung der Umsetzung der Strategie ermöglicht werden soll.

2.3

Parallel dazu wird mit der Gleichstellungsstrategie das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission im Bereich der Gleichstellung abgesteckt. Dieser politische Vorschlag schließt sich an den Fahrplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2006-2010) (6) an und stellt den bislang bedeutendsten Versuch dar, ein Bündel an strategischen Zielen und Indikatoren im Bereich der Gleichstellung festzulegen.

2.4

Seit 1996 verfolgt die EU zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern einen zweigleisigen Ansatz, der einerseits die Umsetzung spezifischer Maßnahmen zur Beseitigung bestehender Diskriminierung von Frauen und andererseits die Durchsetzung der Geschlechtergleichstellung auf allen Ebenen der politischen Beschlussfassung (gender mainstreaming) vorsieht (7).

2.5

Der EWSA befürwortet den Grundsatz, dass die ordnungsgemäße Umsetzung der SE 2020 im Einklang mit der Gleichstellungsstrategie stehen muss, um die Herausforderungen der Krise wirksam angehen zu können, da beide Strategien sich gegenseitig stärken, und teilt daher die Auffassung des EP, das sich in diesem Sinne geäußert hat. Auch der im März 2011 vom Rat verabschiedete Europäische Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter (2011-2020) (8) verweist auf den engen Bezug zwischen beiden Strategien und ruft zu einer kombinierten Anwendung von Instrumenten auf, die eine Überwindung der Krise ermöglichen.

3.   Die SE 2020 – eine geschlechtsspezifische Analyse

3.1

Die Gleichstellung wird in dem Text in keiner Leitinitiative ausdrücklich behandelt und wird auch in den fünf Einzelzielen nicht erwähnt; einzige Ausnahme ist die Beschäftigungsquote, für die eine stärkere Teilhabe der Frauen am Arbeitsmarkt gefordert wird. Dies stellt einen enormen Widerspruch zu den Grundsätzen im ersten Teil der ES2020 dar, wo die Achtung der Gleichstellung ebenso wie die wirtschaftliche, soziale und territoriale Solidarität, der Umweltschutz und die kulturelle Vielfalt als wesentliche Faktoren zur Überwindung der Wirtschaftskrise dargestellt werden.

3.2

Verschiedene EU-Institutionen, Organisationen der Zivilgesellschaft und Sozialpartner haben nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die Gleichstellung eine Priorität der neuen Strategie sein und als Schlüsselfaktor für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum betrachten werden müsse. Nach Auffassung des EP sollte die uneingeschränkte Teilnahme von Frauen am Arbeitsmarkt und an der Berufsbildung ebenso in den Text aufgenommen werden wie ein Programm zum Abbau des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen.

3.3

Die Formulierung der SE 2020 stieß nicht allseits auf Zustimmung und erntete von verschiedenen Seiten Kritik: aufgrund ihres zu allgemein gehaltenen Inhalts, einer zu komplexen Struktur und eines zu starken ökonomischen Schwerpunktes bei völligem Wegfall der sozialen Aspekte. Hinsichtlich der Geschlechtergleichstellung stellt sie im Vergleich zu früheren Beschäftigungsstrategien einen eindeutigen Rückschritt dar. Der einzige sichtbare und explizite Aspekt, nämlich die Beschäftigungsquote von Frauen, wird behandelt, ohne die qualitativen Aspekte der Arbeit und die unterschiedlichen Ausgangssituationen auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Selbst die nach Geschlecht aufgeschlüsselten quantitativen Ziele in der Lissabon-Strategie sind verschwunden.

3.4

Nach Ansicht des EWSA werden weder die SE 2020 noch die Gleichstellungsstrategie ihre Zielvorgaben erreichen, wenn keine konkreten Maßnahmen ergriffen werden, mit denen die gesellschaftlichen und beruflichen Lebensbedingungen der Frauen verbessert werden. Ihr quantitatives und qualitatives Potenzial muss unbedingt in den verschiedenen Bereichen der Europa-2020-Strategie gefördert werden. Ohne konkrete Maßnahmen im Rahmen der sieben Leitinitiativen werden die Prioritäten der SE 2020 nicht zu erreichen sein: ein intelligentes, nachhaltiges und gesellschaftlich integratives Wachstum kann ohne eine Gleichstellungspolitik nicht verwirklicht werden.

3.5

In den Reformplänen der einzelnen Mitgliedstaaten müssen der wirtschaftliche Mehrwert der Arbeit von Frauen (der beispielsweise durch die Professionalisierung der personenbezogenen Dienstleistungen entstehen würde (9)) und die konkreten Schwierigkeiten anerkannt werden, denen sie auf dem Arbeitsmarkt (Zugang zu allen Ebenen und in allen Altersstufen, berufliche Laufbahn, Kontinuität, etc.), aber auch in der Gesellschaft in Bezug auf all jene sozialen Aspekte begegnen, die in der Gleichstellungsstrategie als zentral herausgestellt werden. Zur Überwindung der Krise und Bewältigung der neuen Aufgaben müssen im Zuge der Anwendung der SE 2020 spezifische Programme, Pläne und Maßnahmen festgelegt werden, mit denen die Gleichstellung vorangetrieben werden kann. Und dies kann nur geschehen, wenn die unterschiedlichen Auswirkungen der Maßnahmen zur Bewältigung der Krise in Bezug auf die unterschiedlichen Ausgangssituationen bekannt sind.

3.6

Der EWSA äußert seine Besorgnis darüber, dass konkrete Maßnahmen fehlen und es auch keine spezifischen Indikatoren für beide Geschlechter gibt. Dadurch wird eine Verfolgung und Bewertung der etwaigen im Rahmen der SE 2020 erzielten Fortschritte vereitelt, was zur Folge hat, dass dem Europäischen Semester notwendige Instrumente abhanden kommen, um Ungleichheiten zu bekämpfen und dabei die verschiedenen Ausgangsbedingungen aufgrund unterschiedlicher geschlechtsspezifischer Gegebenheiten je nach Land, Branche und Bereich zu berücksichtigen.

3.7

Mit der SE 2020 müssen wirksame Instrumente bereitgestellt werden, um die Rolle der Frau für das Wachstum der Union zu bewerten und ihren gesellschaftlichen Mehrwert abzuschätzen, wie in der Stellungnahme des EWSA (10) herausgestellt wird, die sich mit einer unter schwedischem Vorsitz angefertigten Studie (11) deckt. Darin wird u.a. darauf hingewiesen, dass die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Mitgliedstaaten um 27 % steigern könnte.

4.   Prioritäten der Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2010-2015)

4.1

Die 2020 verabschiedete Gleichstellungsstrategie steht in engem Bezug zur SE 2020, und zwar in allen Aspekten und Leitinitiativen, und insbesondere im Hinblick auf die Festlegung und Durchführung der einschlägigen Maßnahmen der Mitgliedstaaten durch technische Hilfe sowie mittels der Strukturfonds und anderer großer Förderprogramme wie beispielsweise des 7. Rahmenprogramms für Forschung. Im Kontext der beschäftigungspolitischen Leitlinien und der Bewertung der einzelstaatlichen Beschäftigungspolitiken wird die Kommission genau beobachten, wie die Ungleichheiten abgebaut und die soziale Eingliederung von Frauen gefördert werden.

4.2

In der Strategie wird auch auf die Rolle der Männer bei der Förderung der Geschlechtergleichstellung eingegangen und ihr Mitwirken an der Herbeiführung der notwendigen Veränderungen in Bezug auf die unterschiedlichen sozialen Rollen von Frauen und Männern – sowohl in der Familie als auch im Beruf – als wichtig hervorgehoben.

4.3

Die Gleichstellungsstrategie umfasst Maßnahmen in Bezug auf fünf, in der Frauen-Charta festgelegte prioritäre Bereiche sowie ein zusätzliches Kapitel zu Querschnittsfragen: a) gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit; b) Gleiches Entgelt für gleiche und gleichwertige Arbeit; c) Gleichstellung in Entscheidungsprozessen; d) Würde, Unversehrtheit und Ende der geschlechtsbedingten Gewalt; e) Gleichstellung in der Außenpolitik; f) Querschnittsfragen (Geschlechterrollen, Rechtslage, Governance und Instrumente der Gleichstellung).

4.4

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die Instrumente der EU, wie etwa der Binnenmarkt, die finanziellen Hilfen und die außenpolitischen Instrumente voll in den Dienst der Strategie gestellt werden müssen, um Hindernisse zu überwinden und die Ziele der SE 2020 zu verwirklichen; er erachtet es gleichwohl für notwendig, die Kohärenz zwischen der Anwendung der Grundsätze der Gleichstellungsstrategie und der Kerninstrumente der SE 2020, insbesondere die sieben Leitinitiativen und die Leitlinien, genau zu verfolgen, da diese sowohl in der EU als auch in den Mitgliedstaaten zum Tragen kommen.

5.   Die Geschlechterdimension in den sieben Leitinitiativen  (12)

5.1   „Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten

5.1.1

Der EWSA betonte bereits in seiner Stellungnahme zum „Jahreswachstumsbericht 2012“ (13) u.a. die Notwendigkeit, dem Aspekt der Qualität bei der Schaffung von Arbeitsplätzen mehr Bedeutung beizumessen. Jetzt und als Folge der Krise und ihrer wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen müssen die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass dieser Kurs beibehalten wird.

5.1.2

Nach Ansicht des EWSA muss bei der Umsetzung dieser Initiative die aktuelle Lage der Frauen auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden, da trotz des Umstandes, dass sie derzeit 44 % der Erwerbsbevölkerung in Europa ausmachen, ihre Situation in mehrfacher Hinsicht auch weiterhin besonders und gefährdet ist: niedrigere Beschäftigungsquote, Lohnunterschiede, Konzentration oder Mangel an Frauen je nach Bereich, geringe Beteiligung an der Gründung neuer Unternehmen, Teilzeitarbeit (75 %), Zeitverträge, Mangel an angemessenen Kinderbetreuungsplätzen, Karriereschwierigkeiten, geringe Präsenz von Frauen in höchsten Entscheidungspositionen in Politik und Wirtschaft, ungleicher Zugang zu verschiedenen Fachrichtungen in den Bereichen Bildung, Berufs- und Hochschulbildung.

5.1.3

Die Beschäftigungsquote stieg von 51 % im Jahr 1997 auf 62 % im Jahr 2011 und konzentriert sich im Wesentlichen auf Arbeitsplätze in Bereichen, in denen vorwiegend Frauen arbeiten und wo die Anpassungsmaßnahmen stark zum Tragen kommen. Die aktuelle Wirtschaftskrise verschlechtert – in jedem Mitgliedsstaat auf unterschiedliche Weise – auch die Lage der Frauen und bedroht die fragilen Fortschritte, die bei der Gleichstellung von Männern und Frauen erreicht wurden. Nach Ansicht des EWSA müssen die erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen ergriffen werden, damit sich die Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt nicht am Ende der Krise weiter verschärft haben.

5.1.4

Insbesondere der Europäische Sozialfonds sollte alle in den Mitgliedstaaten umgesetzten Maßnahmen planen, verfolgen und evaluieren und dafür Sorge tragen, dass die Strategie für die Gleichstellung Fortschritte macht.

5.2   „Jugend in Bewegung

5.2.1

Diese Initiative umfasst im Wesentlichen zwei Bereiche: Beschäftigung und Bildung. Inhaltlich steht sie in engem Zusammenhang mit der Vorgenannten: Stärkung einer größeren Mobilität im Bereich der Bildung, Modernisierung der Hochschulsystems, Valorisierung und Validierung nicht formalen und informellen Lernens und Gewährleistung wirksamer und nachhaltiger Investitionen in allgemeine und berufliche Bildung.

5.2.2

Die Jugendarbeitslosenquote ist in den Augen des EWSA eines der bedrohlichsten Probleme in Europa. Sie liegt derzeit bei 20 %. Und die Arbeitslosenquote unter weiblichen geringqualifizierten Jugendlichen liegt noch höher.

5.2.3

Die Auswirkung von Mutter- oder Vaterschaft auf dem Arbeitsmarkt ist sehr unterschiedlich. Von Frauen mit Kindern unter 12 Jahren sind lediglich 64,7 % erwerbstätig, während es bei den Männern 89,7 % sind. Diese Zahlen und Unterschiede werden mit zunehmender Kinderzahl noch größer. Der Mangel an vorschulischen Betreuungseinrichtungen und die ungleiche Aufteilung der familiären Pflichten sind ein Problem bei der Vereinbarung von Beruf und Familie und stellen ernsthafte Hindernisse für den beruflichen Aufstieg von Frauen dar.

5.2.4

Die 2002 auf dem Europäischen Rat von Barcelona hinsichtlich der Verfügbarkeit von vorschulischen Betreuungseinrichtungen vereinbarten Ziele wurden von wenigen Mitgliedstaaten erfüllt, und die derzeitige Lage dürfte sich angesichts des Abbaus öffentlicher Dienstleistungen weiter verschärfen.

5.2.5

Eine weitere alarmierende Zahl ist die Quote der jungen Mütter, die weder studieren noch arbeiten oder eine Lehre absolvieren (die „NEET“). Eurostat zufolge gilt das für 20 % der Frauen und 13 % der Männer. Die Zahl der Schulabbrüche zu senken, ist eines der Ziele der ES2020, die durch diese Initiative aufgegriffen wird.

5.2.6

Nach Ansicht des EWSA muss für die Umsetzung dieser Leitinitiative die aktuelle Lage der gefährdeten jungen Frauen in vielfacher Hinsicht über die bereits erwähnten Aspekte hinaus berücksichtigt werden: unzureichende Grundausbildung, geringerer Zugang zur Berufsbildung als es die neue Wissensgesellschaft erfordert, mangelhafte Validierung von Kompetenzen und mangelnde Berufsberatung sowie spezifische finanzielle Probleme bei der Unternehmensgründung oder dem Schritt in die Selbständigkeit. Dies alles erfordert Maßnahmen, die speziell auf junge Menschen zugeschnitten sind.

5.3   „Europäische Plattform zur Bekämpfung der Armut

5.3.1

In der Initiative wird vorgeschlagen, Programme zu konzipieren und durchzuführen, mit denen soziale Innovationen für die Schwächsten der Gesellschaft gefördert werden sollen, u.a. durch eine innovative allgemeine und berufliche Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten für benachteiligte Gruppen, gegen Diskriminierung (z.B. Behinderter) vorzugehen und eine neue Agenda für die Integration von Migranten zu erarbeiten, damit diese ihr Potenzial voll nutzen können. Vorgeschlagen wird ferner, die Angemessenheit und Nachhaltigkeit der Systeme der sozialen Sicherung und der Altersvorsorge zu prüfen und Möglichkeiten eines besseren Zugangs zur Gesundheitsversorgung zu erkunden. Der EWSA äußert Vorbehalte gegen das Konzept der sozialen Innovation. Die Erfahrungen in diesem Bereich sind von Natur aus bruchstückhaft und lassen sich schwer auf andere Bereiche übertragen. Das Konzept muss sowohl dem gesetzlich verankerten Subsidiaritätsprinzip als auch soziologischen Aspekten wie der „Gerechtigkeit“ Rechnung tragen. Eine lokale Antwort auf die Bedürfnisse einer kleinen Gruppe kann zwar nützlich sein, wird jedoch nicht die Gleichheit und die Gerechtigkeit ersetzen, die die großen Systeme der kollektiven sozialen Sicherheit gewährleisten (14).

5.3.2

In der SE 2020 heißt es, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen konzipieren und durchführen sollten, die den besonderen Umständen bestimmter, besonders gefährdeter gesellschaftlicher Gruppen gerecht werden und ihre Systeme der sozialen Sicherung und der Altersvorsorge so ausbauen, dass eine angemessene Einkommensstützung und der Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährleistet sind, um den sozialen Zusammenhalt zu gewährleisten. Von den steigenden Arbeits- und Erwerbslosenzahlen, der wirtschaftlichen Unsicherheit, niedrigen Löhnen und Gehältern, den Sparmaßnahmen und den Einschnitten bei den Sozial- und Familienleistungen sind in erster Linie Frauen betroffen. Zunächst als Arbeitnehmerinnen, da sie vom Abbau der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst und bei den öffentlichen Dienstleistungen unmittelbar betroffen sind, handelt es sich doch um Sektoren, in denen ein großer Anteil der Beschäftigten Frauen sind. Sie sind allerdings in doppelter Hinsicht auch als Bürgerinnen und Nutzerinnen betroffen, da sich die Kürzungen der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in besonderem Maße auf sie als größte Nutzergruppe dieser Dienste auswirken.

5.3.3

In Europa sind mehr als 70 % der Niedriglohnempfänger Frauen. In den meisten Mitgliedstaaten sind 17 % der Frauen von Armut gefährdet, doch auch bei den Männern ist die Lage mit 15 % nicht weniger besorgniserregend. Armut und soziale Ausgrenzung gehen Hand in Hand mit der Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt. Deshalb wirken sich berufliche Auszeiten und prekäre Arbeitsverhältnisse, die unter Frauen und insbesondere unter Geringqualifizierten weit verbreitet sind, kurz-, mittel- und langfristig nachteilig aus.

5.3.4

Alleinerziehende, Witwen, Frauen mit Behinderungen, Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt, alte Frauen und Migrantinnen sind von den Sparmaßnahmen und der Krise besonders betroffen und aufgrund ihrer Schutzlosigkeit und mangelnder spezifischer Unterstützungsmaßnahmen stärker von sozialer Ausgrenzung gefährdet.

5.4   „Digitale Agenda für Europa

5.4.1

Ziel ist es, den Zugang zu den Informationstechnologien und insbesondere zum Internet und die Internetnutzung durch alle europäischen Bürger vor allem durch Programme zur Steigerung der digitalen Kompetenz zu fördern.

5.4.2

Zu diesem Zweck müssen die Mitgliedstaaten Strategien für die Einführung des Hochgeschwindigkeitsinternet entwickeln und eine öffentliche Finanzierung auch mit Hilfe der Strukturfonds in Gebieten bereitstellen, die nicht ganz durch private Investitionen abgedeckt sind, sowie die Einführung und Verwendung moderner Online-Dienste fördern (z.B. elektronische Behördendienste, Online-Gesundheitsdienste, Smart Home, digitale Kenntnisse, Sicherheit) (15).

5.4.3

Der EWSA zeigt sich besorgt darüber, dass es aufgrund mangelnder geschlechtsspezifischer Daten weder möglich ist, sich ein Bild von der Lage der Frauen in von IKT geprägten Berufsfeldern zu machen, noch den Nutzungsgrad dieser neuen Technologien zu ermitteln. Es wäre wichtig, diesbezügliche Studien durchzuführen, um sich auch ein Bild über ihre Lage als Dienstleistungsnutzerinnen machen zu können und letztlich die in der ES2020 vorgeschlagene Information und Ausbildung zielgerichteter gestalten zu können.

5.5   „Innovationsunion

5.5.1

Mit dieser Initiative sollen u.a. die Verknüpfungen zwischen Bildungseinrichtungen, Unternehmen, Forschung und Innovation unterstützt und gestärkt sowie der Unternehmergeist gefördert werden. Die Mitgliedstaaten sind aufgerufen, die nationalen und regionalen FuE im Sinne der Förderung von Exzellenz und intelligenter Spezialisierung zu reformieren, den Ausgaben für die Wissenserlangung und –verbreitung Vorrang einzuräumen, die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Forschung und Unternehmen zu stärken, dafür zu sorgen, dass es eine ausreichende Zahl von Hochschulabsolventen in den Bereichen Mathematik und Ingenieurwesen gibt und die Schullehrpläne auf die Förderung von Kreativität, Innovation und Unternehmergeist auszurichten.

5.5.2

Frauen können und müssen in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle spielen. 2010 wurden rund 60 % der Hochschulabschlüsse von Frauen erlangt, was sich jedoch nicht in der Zahl der mit Frauen besetzten Stellen auf dem Arbeitsmarkt widerspiegelt. Hingegen wird derzeit jedes dritte Unternehmen von einer Frau gegründet, der Frauenanteil in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen liegt bei 13,7 %, und nur 3 % sind Aufsichtsratsvorsitzende.

5.5.3

In den meisten Ländern besteht weiterhin eine horizontale Geschlechtertrennung nach Fachrichtung: Naturwissenschaften, Ingenieurwesen, Mathematik, Technik. Und gerade diese Studienfächer sind ein bevorzugter Bereich für die Zusammenarbeit zwischen Verantwortungsträger in Wirtschaft und Forschung, insbesondere aus den Master- und Promotionsstudiengängen, die für Frauen schwieriger zugänglich sind. Deshalb hält der EWSA Maßnahmen für unverzichtbar, mit denen diese Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.

5.5.4

Weiterhin unterrepräsentiert sind Frauen in Entscheidungsgremien im Bereich der Wissenschaft, in Unternehmen und im Dienstleistungssektor. Lediglich 18 % der Frauen sind in den höchsten Hochschulpositionen vertreten. Die Beschäftigungsmöglichkeiten und die Vergabe von Forschungsmitteln müssen den wachsenden Anteil von Frauen in diesem Bereich sicherstellen und zum Ausbau des Potenzials einer nachhaltigen Entwicklung der europäischen Gesellschaft beitragen.

5.6   „Ressourcenschonendes Europa

5.6.1

Im Rahmen dieser Initiative sind die Annahme und Umsetzung eines überarbeiteten Aktionsplans für Energieeffizienz und Unterstützung eines umfassenden Programms für Ressourceneffizienz (Förderung von KMU und Privathaushalten) sowie die Nutzung der Strukturfonds und anderer Fonds für die wirksame Bereitstellung neuer Finanzierungsmöglichkeiten im Wege bestehender äußerst erfolgreicher Modelle von innovativen Investmentsystemen geplant; auf diese Weise werden Änderungen bei den Verbrauchs- und Produktionsmustern gefördert.

5.6.2

Energie und Umwelt sind keine neutralen Themen: Energienutzung, Zugang zu Trinkwasser, Wiederverwertung, Wärmequellen für Haushalte, Schutz und Erhalt der Umwelt sind anschauliche Beispiele für Bereiche, in denen Frauen eine wichtige Rolle spielen. Änderungen bei den Verbrauchsmustern sind ohne spezifische Maßnahmen, die in Kenntnis der Sachlage konzipiert werden und sich differenziert an die verschiedenen Zielgruppen und in erster Linie an die Frauen richten, nicht denkbar.

5.6.3

Dies hat auch der EPSCO-Rat (Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz) in seinen Schlussfolgerungen von Juni 2012 anerkannt, indem er auf die maßgebliche Rolle der Frauen für die nachhaltige Entwicklung hinwies. Der EWSA teilt die Schlussfolgerungen des Rates, in denen es heißt, dass Frauen maßgeblich in die Entscheidungsfindung zu umweltpolitischen Fragen, insbesondere im Rahmen der Politik zur Eindämmung des Klimawandels, eingebunden werden sollten. Hier handelt es sich um eine neue Chance für Frauen, die eine Schlüsselrolle übernehmen und ihre private und wirtschaftliche Situation im Zuge der neuen, im Entstehen begriffenen grünen Wirtschaft verbessern können, die für den Ausbau und die Schaffung von Arbeitsplätzen eine wichtige Branche darstellt.

5.6.4

Auf Ebene der Unternehmen ist die vertikale Diskriminierung in dieser Branche weiterhin hoch: Obwohl rund 33 % der Geschäftsführungspositionen heute von Frauen besetzt sind (gegenüber 31 % im Jahr 2001), sind die meisten von ihnen im Handels- und Dienstleistungssektor und sehr viel weniger in verarbeitenden Industrien, im Bau- oder Energiesektor zu finden.

5.6.5

Es gibt wenig Studien und ebenso wenig Zahlen, mit denen man sich ein Bild von der Geschlechtersituation und den Maßnahmen machen könnte, die erforderlich sind, um den Frauenanteil auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung zu erhöhen. Der EWSA erachtet es für wichtig, zu investieren, aber auch die richtige Richtung zur Überwindung von Stereotypen zu weisen, Lösungen anzubieten und Maßnahmen im Sinne einer positiven Aktion zu fördern; denn da es sich um eine Wachstumsbranche handelt, könnte eine bereits diskriminierende Ausgangslage die sozialen Unterschiede und die gesellschaftliche Kluft noch größer werden lassen.

5.6.6

Zu den Prioritäten der Gleichstellungsstrategie gehört das Handeln in den Außenbeziehungen der EU – einerseits die Kooperationsprogramme mit Nachbarregionen und die europäischen Nachbarschaftspolitiken, insbesondere im Europa-Mittelmeerraum, und andererseits das Mitwirken der EU in internationalen Gremien. Einwanderinnen aus Drittländern, Migrantinnen innerhalb der Europäischen Union sowie Frauen aus Nachbarländern bedürfen besonderer Aufmerksamkeit. Was die nachhaltige Entwicklung und die Frauenrechte angeht, war Rio+20 ein bedenklicher Misserfolg. Bei kritischen Themen, wie dem Bezug zwischen Gesundheit und Sexual- und Reproduktionsrechten, Ansprüchen von Frauen auf Eigentum und Erbe von Grund und Boden, Klimawandel und grünen Arbeitsplätzen, waren keinerlei Fortschritte zu verzeichnen.

5.7   „Industriepolitik im Zeitalter der Globalisierung

5.7.1

Diese Leitinitiative spielt eine wesentliche Rolle bei der Einbindung der „gender mainstreaming“-Aspekte in die Gleichstellungsstrategie: Lohntransparenz, Initiativen für gleiches Entgelt und Maßnahmen zur Ermutigung von Frauen, sich für nichttraditionelle Berufe zu entscheiden, sind nur einige der Schlüsselmaßnahmen, die in der Strategie vorgeschlagen und mit dieser Initiative vereinbart werden können.

5.7.2

In Europa liegt das geschlechtsspezifische Lohngefälle bei durchschnittlich 17 %, wobei die Schwankungsbreite zwischen den einzelnen Ländern bei 5 % bis 31 % liegt. Mehrere miteinander verknüpfte Faktoren tragen zu dieser Situation bei, wie u.a die geringere Wertschätzung der Arbeit in „Frauenberufen“, eine starke berufliche Segregation und berufliche Auszeiten aus verschiedenen Gründen. Und in Krisenzeiten verschärft sich diese Situation natürlich weiter.

5.7.3

Die Kluft zwischen der Beschäftigungsrate und den Löhnen ist in einigen Fällen zwar kleiner geworden, doch leider nicht durch mehr Beschäftigung und eine bessere Bezahlung der Frauen, sondern als unmittelbare Folge der Krise durch Rückgang der Nachfrage in jenen Sektoren, in denen vorwiegend Männer beschäftigt sind (Bau, Verarbeitungsindustrie, Finanzwelt). Der EWSA erinnert daran, dass eines der im AEUV genannten Ziele des europäischen Aufbauwerks „die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen [ist], um dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen“ (16) – dies gilt für alle Bürgerinnen und Bürger.

5.7.4

Der EWSA hält Maßnahmen zur Wiederankurbelung des Wachstums in diesen Krisensektoren und parallel dazu Maßnahmen zur Bekämpfung der beruflichen Segregation für erforderlich, um vor allem den Frauenanteil in den Bereichen Naturwissenschaften, Technik, Ingenieurwesen und Mathematik zu erhöhen. Daneben sollten Maßnahmen eingeleitet werden, die für eine bessere Anerkennung der Bereiche mit hohem Frauenanteil sorgen, wie z.B. Hausarbeit, Gesundheits- und Pflegedienste.

6.   Die Geschlechterdimension in den Nationalen Reformprogrammen und im Europäischen Semester

6.1

Das Europäische Semester zur wirtschaftspolitischen Koordinierung ist das neue von den Mitgliedstaaten vereinbarte Instrument zur Überwachung der Umsetzung der SE 2020. Im Europäischen Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter wird empfohlen, Gleichstellungsaspekte und die Förderung von Gleichstellungsmaßnahmen bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Nationalen Reformprogramme zu berücksichtigen. Auch werden Kommission und Rat aufgefordert, Gleichstellungsfragen in den Jahreswachstumsbericht, die Schlussfolgerungen und die länderspezifischen Empfehlungen aufzunehmen.

6.2

Im April 2012 wurden an zwölf Mitgliedstaaten länderspezifische Empfehlungen gerichtet, in denen Gleichstellungsaspekte in den nationalen Aktionsplänen thematisiert werden. Die Kommission hat konkrete und vom EWSA unterstützte Reformen in folgenden Bereichen vorgeschlagen: stärkere Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt, bessere Verfügbarkeit und Qualität der Kinderbetreuung und Ganztagsschulen sowie der Altenpflegeeinrichtungen, auch für die Pflege und Betreuung sonstiger abhängiger Personen.

6.3

Die meisten Empfehlungen sind darauf ausgerichtet, die Beschäftigungsquote der Frauen zu erhöhen, wobei jedoch die Hindernisse für die Gewährleistung hochwertiger Arbeitsplätze in Bezug auf Vergütung, Arbeitsbedingungen und die Angleichung der familiären Pflichten von Männern außer Acht gelassen werden. Nur an ein einziges Land, nämlich Österreich, wurde die Empfehlung gerichtet, das geschlechtsspezifische Lohngefälle abzubauen, obschon ein solches in allen Mitgliedstaaten nach wie vor besteht.

6.4

Der EWSA hält einige Empfehlungen für beunruhigend, die sich negativ auf die Gleichstellung der Geschlechter auswirken könnten. Diese beziehen sich auf die Rentenreform, die Vorschläge zur Überprüfung der Anpassungsmechanismen der Löhne, Gehälter und Pensionen, die Heraufsetzung des Rentenalters ohne Berücksichtigung der gesunden Lebensjahre sowie den Vorschlag zur Einführung von Steueranreizen für ein Zweiteinkommen des Ehepartners.

Brüssel, den 17. Januar 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  COM(2010) 2020 final, im Folgenden abgekürzt mit „SE 2020“.

(2)  COM(2010) 491 final, im Folgenden „Gleichstellungsstrategie“.

(3)  ABl. C 277 vom 17.11.2009, S. 102-108.

(4)  ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 21-26.

(5)  Zusammensetzung des EWSA: 343 Mitglieder, davon 81 (23,6 %) Frauen. Nach Gruppen aufgeschlüsselt: Gruppe I: 112 Mitglieder, davon 22 (22,1 %) Frauen; Gruppe II: 120 Mitglieder, davon 32 (26,8 %) Frauen; Gruppe III: 111 Mitglieder, davon 27 (24,3 %) Frauen.

(6)  COM(2006) 92 final und ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 1-7.

(7)  Gender mainstreaming: „die Geschlechtergleichstellung in den vorherrschenden gesellschaftlichen Trend (Mainstream) integrieren, damit Frauen und Männer gleichermaßen profitieren können. Das bedeutet, an jeder Stufe der Politik anzusetzen – Gestaltung, Implementierung, Überwachung und Evaluierung – mit dem Ziel, die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern zu fördern“, Europäische Kommission, EQUAL Leitfaden.

(8)  ABl. C 155 vom 25.5.2011, S. 10-13.

(9)  ABl. C 21 vom 21.1.2011, S. 39.

(10)  ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 15-21.

(11)  Gleichstellung, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung, Åsa Löfström

(http://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=3988&langId=en).

(12)  Der EWSA verabschiedete zu jeder eine spezifische Stellungnahme.

(13)  ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 26-28.

(14)  ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 88-93.

(15)  ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 9-18.

(16)  Artikel 151 AEUV.