31.7.2012 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 229/18 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Monitoringbericht 2011 zur EU-Nachhaltigkeitsstrategie: Bewertung des EWSA“ (Initiativstellungnahme)
2012/C 229/04
Berichterstatter: Stefano PALMIERI
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 25. Oktober 2011 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„Monitoringbericht 2011 zur EU-Nachhaltigkeitsstrategie: Bewertung des EWSA“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 11. Mai 2012 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 481. Plenartagung am 23./24. Mai 2012 (Sitzung vom 23. Mai) mit 138 gegen 9 Stimmen bei 12 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Auffassung, dass der Eurostat-Monitoringbericht (2011 monitoring report of the EU sustainable development strategy) ein nützliches und wichtiges Instrument ist, um
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eine Bestandsaufnahme der bislang erzielten Fortschritte bei der Erreichung der Ziele der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung vorzunehmen; |
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die Ziele, Aktionen und Maßnahmen der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung zu überprüfen und zu optimieren und die derzeit eingesetzten Methoden und Instrumente zur Messung der nachhaltigen Entwicklung zu verbessern; |
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die neuen Herausforderungen, die sich insbesondere im Zusammenhang mit den Auswirkungen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Strategie für nachhaltige Entwicklung abzeichnen, zu bewältigen. |
1.2 In diesem Zusammenhang bedauert der EWSA, dass die Kommission keinen Bericht über den Stand der Umsetzung der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung erarbeitet hat, und fordert die Kommission und die anderen EU-Organe auf, auf die Ergebnisse des Eurostat-Berichts zu reagieren, der ein fester Bestandteil der Strategie selbst und ein wesentliches Instrument für eine politische Bewertung der bis dato umgesetzten Maßnahmen sowie für die Festlegung von Leitlinien für das künftige Vorgehen ist.
1.3 Der EWSA ist indes der Auffassung, dass für die Erreichung der Ziele der Strategie ein stärkeres politisches Engagement erforderlich ist. In erster Linie gilt es dabei, den Stand der nachhaltigen Entwicklung korrekt zu ermitteln, was sowohl eine wissenschaftliche als auch eine politische Bewertung der Wirksamkeit der ergriffenen politischen Maßnahmen zur Förderung der Nachhaltigkeit umfasst.
1.4 Zu diesem Zweck wiederholt der EWSA seinen Appell, von den Anregungen und Überlegungen seiner Beobachtungsstelle für nachhaltige Entwicklung zu profitieren und der Zivilgesellschaft eine Stimme zu verleihen. Der Übergang zu einem nachhaltigeren Entwicklungsmodell wird nur dann gelingen, wenn demokratische Prozesse eingeleitet werden, die das Bewusstsein der Öffentlichkeit schärfen und ihre Mitwirkung an Entscheidungsprozessen fördern, und zwar durch die Entwicklung von Dialogstrukturen zwischen der Zivilgesellschaft und den zuständigen politischen Entscheidungsträgern.
1.5 Der EWSA betont, dass die Verbindung zwischen der Strategie für nachhaltige Entwicklung und den anderen politischen EU-Initiativen gestärkt werden sollte. Gerade der übergreifende und umfassende Charakter des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung macht eine enge Verknüpfung mit all den anderen politischen Prioritäten erforderlich (soziale Gleichheit, Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit, soziale Gerechtigkeit, effiziente Ressourcennutzung, Erhaltung des Naturkapitals, sozialer Zusammenhalt, Entwicklungszusammenarbeit).
1.5.1 Dieser Notwendigkeit einer Verbindung zwischen den verschiedenen politischen EU-Strategien kommt gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine besondere Bedeutung zu. In Anbetracht der schwerwiegenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise muss zwischen den Auswirkungen des weltwirtschaftlichen Konjunkturverlaufs und der Konzeption tiefgreifender und strukturierter Langzeitstrategien für nachhaltige Entwicklung unterschieden werden.
1.5.2 Insbesondere bekräftigt der EWSA die Notwendigkeit einer stärkeren Kooperation und Integration zwischen der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung und der Europa-2020-Strategie. Es muss gewährleistet werden, dass die Maßnahmen im Rahmen von Europa 2020 tatsächlich auf eine stärker nachhaltige Entwicklung ausgerichtet sind. Die Analyse und die Suche nach neuen Indikatoren ermöglicht es, die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Förderung nachhaltiger Verbrauchs- und Produktionsmodelle zu bewerten und zur Überwachung von Europa 2020 beizutragen.
1.6 Der EWSA empfiehlt eine Stärkung der sozialen Dimension der nachhaltigen Entwicklung, insbesondere angesichts der Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf den sozialen Bereich (in erster Linie Zunahme der Arbeitslosigkeit und der Ungleichheiten sowie erhöhtes Risiko sozialer Ausgrenzung), die am stärksten die am meisten benachteiligten Bevölkerungsschichten treffen, langfristige Folgewirkungen für die Lebensbedingungen der Bürger haben und auch den Spielraum für Umweltschutzmaßnahmen einschränken.
1.7 Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Förderung einer Wirtschaftsentwicklung, die in der Lage ist, Wirtschaftswachstum zu gewährleisten und gleichzeitig die negativen Umweltauswirkungen zu neutralisieren, und die den Grundprinzipien Gleichheit, Zusammenarbeit und soziale Gerechtigkeit Rechnung trägt (die wiederum dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung zugrunde liegen).
1.7.1 Der EWSA unterstützt das Konzept des grünen Wachstums und den Ausbau der grünen Wirtschaft im Rahmen der langfristigen nachhaltigen Entwicklung. Diese trägt zum Abbau der Ungleichheiten bzw. zur Angleichung der Voraussetzungen beim Übergang zu einem kohlenstoffarmen Entwicklungsmodell (1) bei.
1.7.2 In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bezüglich grüner Arbeitsplätze, wonach beim Übergang zur grünen Wirtschaft menschenwürdige Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (decent work) und hochwertige Arbeitsplätze gewährleistet werden müssen. Gleichzeitig wird so vermieden, dass der Übergang zur grünen Wirtschaft – wie bereits bei früheren Übergangsphasen zu beobachten – ein soziales Gefälle verursacht.
1.8 Beim Übergang zur Nachhaltigkeit sind höhere Investitionen in Forschung und Innovation, insbesondere im Energiebereich, von wesentlicher Bedeutung, um ein Entwicklungsmodell zu fördern, das sich stärker auf erneuerbare Energiequellen stützt, und um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und die Energieintensität der Wirtschaft weiter zu verringern. Sie sind aber auch aus Gründen positiver externer Effekte auf das Wachstum und der Beschäftigungsmöglichkeiten, die durch die Schaffung neuer Aktivitäten und die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft entstehen können, unabdingbar.
1.9 Neben der Qualität von Forschung und technologischer Innovation spielt auch die Bildung eine überaus wichtige Rolle: Sie begleitet die Zivilgesellschaft auf ihrem Weg hin zu einem anderen Entwicklungsmodell, indem sie ihr angemessene Instrumente an die Hand gibt, um die mit dem Übergang einhergehenden Herausforderungen erfolgreich zu meistern, und ihre Rolle als aktiver Akteur des Wandels stärkt.
1.10 Vor diesem Hintergrund ist die Gewährleistung angemessener Sensibilisierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung ein unabdingbares Ziel, das mit der Umsetzung wirksamerer Parameter zur Messung der Fortschritte im Bereich einer stärkeren Nachhaltigkeit einhergehen muss.
1.11 Insbesondere ist es zweckmäßig, den vom EWSA eingeschlagenen Weg fortzuschreiten und sich dafür stark zu machen, dass zur Messung des wirtschaftlichen Fortschritts neue Indikatoren über das BIP hinaus (2) erarbeitet sowie die quantitative und die qualitative Dimension miteinander verknüpft werden und auch eine Erhebung zur Wahrnehmung und Beurteilung von Nachhaltigkeitsfragen durch die sozialen Akteure erwogen wird.
1.12 Nur im Rahmen eines gemeinsamen, von den Experten sowie den politischen, sozialen und zivilgesellschaftlichen Akteuren mitgetragenen Prozesses wird es möglich sein, zu einer neuen politischen und sozialen Kultur zu gelangen, die in der Lage ist, ein neues Entwicklungskonzept zu entwickeln. Dabei werden die drei Bereiche (Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt), auf denen das Konzept der Qualität und der Nachhaltigkeit des menschlichen Fortschritts beruht, integriert und miteinander verknüpft werden.
2. Einleitung
2.1 Der aktuelle Eurostat-Monitoringbericht zur EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung 2011 (2011 monitoring report of the EU sustainable development strategy) enthält eine ausführliche Beschreibung der Lage der EU-Mitgliedstaaten zwei Jahre nach der Krise. Er ermöglicht daher eine kritische Bewertung sowohl des tiefgreifenden Wandels in unseren Gesellschaften als auch der laufenden Debatte darüber, dass der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft dazu beitragen kann, die Rezession zu bekämpfen, die Produktion anzukurbeln und dem Abbau von Arbeitsplätzen entgegenzuwirken.
2.2 Aufgrund seiner Rolle als Brücke zwischen den EU-Organen und der organisierten Zivilgesellschaft will der EWSA zu den vom Monitoringbericht ausgelösten Überlegungen beitragen und die Beteiligung der die Bürger vertretenden Institutionen an der Bewertung der Themen und der Projekte fördern, die für eine nachhaltige wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung von Bedeutung sind.
2.3 Die vorliegende Stellungnahme soll an die früheren Stellungnahmen anknüpfen, die der EWSA im Rahmen seiner Vorarbeit zur Konferenz der Vereinten Nationen zur Nachhaltigen Entwicklung im Juni 2012 (UN Conference on Sustainable Development, UNCSD) in Rio de Janeiro (Rio + 20) verabschiedet hat.
2.3.1 Diese Stellungnahme soll als Beitrag der Zivilgesellschaft zu den Verhandlungen des Rio + 20-Gipfels dienen, insbesondere in Bezug auf eine der beiden wichtigsten Herausforderungen, die im Mittelpunkt des Gipfels stehen werden: dem institutionellen Rahmen für die nachhaltige Entwicklung.
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 Die Analyse der Daten aus dem Bericht 2011 ergibt, dass sich einige Ergebnisse, die im Rahmen der Ziele der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung erzielt wurden, eher auf die derzeitige weltweite Wirtschaftskonjunktur zurückführen lassen und weniger die Folge langfristiger strukturierter Strategien zur Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung sind. Es ist von vorrangiger Bedeutung, die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede bei der Verwirklichung dieser Ziele zu analysieren und abzubauen.
3.1.1 Zu den positiven Entwicklungen seit 2000, die im Bericht genannt werden, zählen:
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die Reduzierung der Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen (auch wenn der Anteil der erwerbstätigen Armen gestiegen ist); |
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die höhere Lebenserwartung und Verbesserung der allgemeinen öffentlichen Gesundheit (wobei es beim Zugang zur Gesundheitsfürsorge nach wie vor Ungleichheiten gibt); |
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die Reduzierung der Treibhausgasemissionen und der stärkere Einsatz erneuerbarer Energieträger; |
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die Stabilität bei der Artenvielfalt in der Vogelwelt als ein gutes Kennzeichen für den Gesamtzustand der Biodiversität und der Integrität der natürlichen Systeme. |
3.1.2 In Bezug auf negative Entwicklungen wird Folgendes verzeichnet:
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ein gestiegener Rohstoffbedarf, wobei indes ein positiver Trend der erhöhten Ressourcenproduktivität festzustellen ist; |
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die Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte ist gestiegen, obgleich sie nach wie vor unter der für 2010 vorgesehenen Zielvorgabe liegt; |
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die Fischereitätigkeit liegt immer noch über dem Nachhaltigkeitsniveau für Fischbestände; |
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die Wirtschaftsentwicklung wurde bislang nur relativ vom Energieverbrauch im Verkehrsbereich entkoppelt und der Güter- und Personenverkehr wurde nicht auf umweltverträglichere Verkehrsträger verlagert; |
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das für 2010 vorgesehene Ziel von 0,56 % des Bruttonationaleinkommens für die offizielle Entwicklungshilfe wurde nicht erreicht. |
3.2 In Bezug auf die Auswirkungen der Krise auf die positive/negative Entwicklung der im Eurostat-Bericht untersuchten Trends wird festgestellt, dass die Reduzierung umweltschädlicher luftseitiger Emissionen einerseits durch eine effizientere Energienutzung und einen stärkeren Einsatz kohlenstoffarmer Brennstoffe erzielt wurde, andererseits aber auch auf die negativen Auswirkungen der Krise auf die Konjunktur zurückzuführen ist.
3.2.1 Da Energie die Basis aller Wirtschaftstätigkeiten ist, erscheint sie als die am engsten mit dem Wirtschaftswachstum verknüpfte Variable, was daran ersichtlich ist, dass der Endenergieverbrauch parallel zum Rückgang des BIP abnimmt. Vor diesem Hintergrund ist es von wesentlicher Bedeutung, weitere Maßnahmen zur Loslösung des Wirtschaftswachstums von der Umweltbelastung durch eine Entkoppelung der Wohlstandsbildung vom Energieverbrauch zu ergreifen.
3.3 Letztlich geht aus dem Eurostat-Bericht hervor, dass die Europäische Union auf dem Weg zu einer ökologisch, wirtschaftlich und sozial nachhaltigen Entwicklung bedeutende Fortschritte gemacht hat, dass jedoch die EU-Wirtschaft nach wie vor „energie- und kohlenstoffintensiv“ ist und deshalb die Bemühungen um tiefgreifende strukturelle Veränderungen intensiviert werden müssen, um einen langfristigen Übergangsprozess einzuleiten, der nicht von der aktuellen Weltwirtschaftskonjunktur beeinträchtigt wird.
4. Besondere Bemerkungen
4.1 Bei der Analyse der Indikatoren zur Messung der Dimension der sozioökonomischen Entwicklung von 2000 bis 2011 kommen die Auswirkungen der Rezession aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise besonders deutlich zum Tragen. Besonders offensichtlich ist dies bei der Prüfung des BIP, der Investitionen und der Arbeitsproduktivität.
4.1.1 Bei der Arbeitslosigkeit und der Beschäftigung sind negative Entwicklungen zu verzeichnen. Im Bereich Jugendarbeitslosigkeit ist die Quote besonders besorgniserregend. Zu den positiven Trends gehören hingegen: höhere Ersparnisse der Haushalte als Reaktion auf die Krise, Zunahme der Ausgaben für Forschung und Entwicklung, und Reduzierung der Energieintensität mit vollständiger Entkoppelung.
4.1.2 Im Bereich der sozioökonomischen Entwicklung werden die Fortschritte bei der Schaffung einer auf innovativer und ökologisch effizienter Wirtschaft basierenden Gesellschaft gemessen, die mit hohen Lebensstandards der Zivilgesellschaft einhergeht. Die Wirtschaftskrise hat sich in Bezug auf die Erreichung dieser Ziele negativ ausgewirkt. Die Entwicklung hin zu einer grünen Wirtschaft kann jedoch eine wirksame Hebelwirkung bei der Bewältigung der Rezession erzielen und zur Ankurbelung der Produktion und der Beschäftigung beitragen.
4.2 Die Analyse der Fortschritte bei der Förderung nachhaltiger Produktions- und Verbrauchsmuster ergibt widersprüchliche Entwicklungen. Obgleich die EU die Ressourcen nunmehr effizienter nutzt, steigt die Nachfrage nach Rohstoffen kontinuierlich an. Im Energiebereich nimmt der Stromverbrauch zu, während der Endenergieverbrauch sinkt. In Bezug auf die Abfallproblematik steigt einerseits die Erzeugung gefährlicher Abfälle, andererseits gibt es immer weniger nichtmineralische Abfälle und das Recycling nimmt zu. Darüber hinaus wird auf die kontinuierliche Zunahme des Kraftfahrzeugbestands verwiesen, wobei jedoch auch eine Reduzierung der Schadstoffemissionen verzeichnet wird, die zum großen Teil auf den Rückgang im Verkehrssektor und auf die Verbreitung leistungsfähigerer Motoren zurückzuführen ist.
4.2.1 Die Widersprüche, die bei der Indikatorenanalyse zu Tage treten, zeigen, dass trotz der erzielten Fortschritte weitere Anstrengungen erforderlich sind, um das Ziel zu erreichen, die Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum und Ressourcennutzung im Einklang mit der Tragfähigkeit der Umwelt zu durchbrechen. Darüber hinaus ist es von wesentlicher Bedeutung, die wechselseitige Abhängigkeit von Produktion und Verbrauch stärker zu berücksichtigen und das Konzept des Lebenszyklus von Produkten zu fördern. Deshalb muss mehr in Sensibilisierungsmaßnahmen zur Förderung umweltverträglicherer Produktions- und Verbrauchsmuster investiert werden.
4.3 Die Indikatoren im Bereich der sozialen Eingliederung zeugen von einem recht positiven Entwicklungstrend und einer Minderung des Risikos von Armut und sozialer Ausgrenzung. Dennoch ist für die Gruppe der 25- bis 49-Jährigen ein Anstieg des Armutsrisikos, und für die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen ein Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit (auch wenn in geringerem Maße) zu verzeichnen. Reduziert wurden hingegen das Ausmaß der Armut, die Einkommensunterschiede, die Langzeitarbeitslosigkeit und die Kluft zwischen den Gehältern von Frauen und Männern.
4.3.1 Unter den negativen Trends lässt sich Folgendes beobachten: Der Anteil der erwerbstätigen Armen ist gestiegen, die Beteiligung am Prozess des lebenslangen Lernens konnte nicht ausreichend gesteigert werden, um das für 2010 vorgesehene Ziel zu erreichen, und die Schulabbrecherquote muss weiter reduziert werden.
4.3.2 Auch wenn sich aus dem Eurostat-Bericht ein ziemlich positives Bild ergibt, müssen die Ergebnisse in Bezug auf die Schulabbrecherquote und das lebenslange Lernen verbessert werden. Vom Armutsrisiko sind gerade Personen mit niedrigem Bildungsstand betroffen. Darüber hinaus kommt der beruflichen und der allgemeinen Bildung eine entscheidende Rolle zu, wenn es darum geht, von den Beschäftigungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit dem Ausbau der grünen Wirtschaft zu profitieren, die die Entwicklung neuer ökologisch effizienter Technologien und die Anpassung der Fähigkeiten an die Prozesse der technologischen Innovation voraussetzt. Ausbildungsmaßnahmen sind folglich von wesentlicher Bedeutung, sowohl um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen zu fördern, als auch um den Anforderungen jener gerecht zu werden, die bereits erwerbstätig sind und vor neuen Herausforderungen in Verbindung mit dem sich vollziehenden Wandel stehen.
4.4 Aus der Analyse des demografischen Wandels geht hervor, dass in Bezug auf die Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte, die Lebenserwartung nach 65 und die Minderung des Armutsrisikos bei den Über-65-Jährigen beträchtliche Verbesserungen erzielt werden konnten.
4.4.1 Solchen Verbesserungen gegenüber steht jedoch ein Anstieg des quantitativen und qualitativen Niveaus der Sozialfürsorgeausgaben und der öffentlichen Verschuldung. Angesichts des sich vollziehenden demografischen Wandels – insbesondere niedrigere Geburtenraten, längere Lebenserwartung und daraus resultierendes Ungleichgewicht zwischen den Generationen – ist es erforderlich, der Herausforderung der Schaffung einer integrativen Gesellschaft gerecht zu werden, indem ein tragfähiges Niveau der öffentlichen Ausgaben sichergestellt und die Sozialfürsorgeausgaben an die sich verändernden Anforderungen einer größeren Nachfrage nach Ruhegehältern, Gesundheitsfürsorge und Langzeitpflege angepasst werden.
4.5 Bei der Analyse der öffentlichen Gesundheit wurden Verbesserungen in Bezug auf ein längeres und gesünderes Leben festgestellt: Die Lebenserwartung steigt, die Zahl der Todesfälle durch chronische Erkrankungen und die Selbstmordrate sind rückläufig. Ferner wird auch ein Rückgang der Produktion schädlicher chemischer Stoffe, schwerer Arbeitsunfälle und der Lärmbelastung verzeichnet. Diesem positiven Trend gegenüber stehen die nach wie vor bestehenden Ungleichheiten unter den verschiedenen sozioökonomischen Gesellschaftsgruppen beim Zugang zur Gesundheitsversorgung.
4.5.1 Das Konzept der öffentlichen Gesundheit umfasst unterschiedliche soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte der Entwicklung (Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Finanzierung der medizinischen Versorgung, Belastung durch Schadstoffe usw.). Diese ist somit eine der wichtigsten Herausforderungen der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung, die mehr Anstrengungen hin zu einem integrierten analytischen Ansatz erfordert, um die drei Bereiche der Nachhaltigkeit, die oftmals gesondert betrachtet werden, miteinander zu verknüpfen.
4.6 Bei der Analyse der Indikatoren in den Bereichen Klimawandel und Energie wurden einige beträchtliche Verbesserungen verzeichnet. Dennoch hatte die Wirtschaftskrise aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Energie und Wirtschaftsentwicklung beträchtliche Auswirkungen auf diese Trends. Zu den positiven Veränderungen zählen: die Reduzierung der Treibhausgasemissionen, die die EU dem Ziel der Reduzierung um 20 % bis 2020 und dem Kyoto-Ziel 2012 näherbringt; die Steigerung des Anteils erneuerbarer Energieträger – in diesem Bereich könnte bis 2020 das Ziel erreicht werden, 20 % des Bruttoinlandsenergieverbrauches durch erneuerbare Energieträger zu decken; und die stärkere Nutzung erneuerbarer Energien im Verkehrssektor. Darüber hinaus sinkt die Energienachfrage.
4.6.1 In Bezug auf die negativen Entwicklungen ist festzustellen, dass die Abhängigkeit von Energieeinfuhren in den Jahren 2000 bis 2009 gestiegen ist, der Anteil von 21 % der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern nicht erreicht wurde und bei der Kraft-Wärme-Kopplung und der Verlagerung der Steuerlast von der Arbeit auf die Ressourcennutzung nur bescheidene Fortschritte erzielt wurden.
4.6.1.1 Die Produktion und der Verbrauch von Energie verursachen die meisten CO2-Emissionen und haben damit weltweit die stärksten Umweltauswirkungen. Vor diesem Hintergrund ist die technologische Innovation im Energiebereich überaus wichtig. Darüber hinaus können die Entwicklung erneuerbarer Quellen und die Stärkung der Energieeffizienz nicht nur zur Eindämmung der umweltschädlichen Gasemissionen beitragen, sondern auch wirtschaftliche und soziale Vorteile schaffen. Sie gehen nämlich mit neuen Aktivitäten einher, die wiederum neue Arbeitsplätze schaffen, und verknüpfen die Erfordernisse des Umweltschutzes mit jenen des Wirtschaftswachstum und der Beschäftigung.
4.6.1.2 Zu diesem Zweck muss vermieden werden, dass die Wirtschaftskrise die derzeitige Entwicklung hin zu einer grünen Wirtschaft gefährdet, die in diesen Zeiten der wirtschaftlichen Rezession besonders anfällig erscheint.
4.7 Auch die im Bereich des nachhaltigen Verkehrs ermittelten Veränderungen sind teilweise auf die Folgen der Krise zurückzuführen. Aufgrund des daraus resultierenden geringeren Verkehrsvolumens wurden insbesondere weniger Straßenunfälle sowie eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen und des Energieverbrauchs verzeichnet, wobei indes nur eine relative Entkopplung festzustellen ist.
4.7.1 Zu den positiven Trends zählen sowohl die Fortschritte bei der Reduzierung der CO2-Emissionen von Neuwagen als auch bei der Verringerung der luftseitigen Schadstoffemissionen. In Bezug auf die negativen Trends lässt sich hingegen beobachten, dass sowohl im Bereich des Güterverkehrs als auch im Bereich der Personenbeförderung eine Verlagerung auf umweltverträglichere Verkehrsträger bislang ausgeblieben ist.
4.7.1.1 Der Verkehrsektor ist ein komplexer Bereich, dessen problematische Aspekte auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sind, einschließlich unterschiedlicher Lebensstile und kulturbedingter Verbrauchsmuster. Vor diesem Hintergrund wird am Beispiel des Verkehrsektors deutlich, dass man sich bei der Bekämpfung des Klimawandels – sollte sie denn wirksam sein – nicht darauf beschränken darf, nur die politischen Maßnahmen und technischen Entscheidungen zu hinterfragen, sondern in erster Linie auch die Bürger mit ihren Alltagsgewohnheiten zu berücksichtigen sind.
4.8 Die Bemühungen um den Schutz der natürlichen Ressourcen haben zwar zu einigen positiven Ergebnissen geführt, es müssen jedoch noch weitere wichtige Schritte unternommen werden. Die Reichhaltigkeit und Vielfalt zahlreicher Vogelarten sind zwar stabil, es wird aber nach wie vor eine Überfischung der Fischbestände verzeichnet (3). Es werden zwar immer mehr Naturschutzzonen ausgewiesen, auf der anderen Seite ist aber eine Ausweitung der städtischen Gebiete zu Lasten landwirtschaftlicher Flächen und naturnaher Gebiete zu beobachten.
4.8.1 Die natürlichen Ressourcen sind nicht nur die Voraussetzung für die Entwicklung der Produktions- und Konsumaktivitäten der Menschen, sondern auch die Grundlage für ein Gleichgewicht der Ökosysteme, deren Veränderung unumkehrbare Folgen für unseren gesamten Planeten haben kann. Aus diesem Grund ist ein stärkeres Engagement erforderlich, um der Umweltzerstörung mittels die Erhaltung des Naturkapitals des Bodens und seiner Artenvielfalt Einhalt zu gebieten.
4.8.2 Es ist dringend notwendig, die bestehende Kluft in Bezug auf die umweltbezogenen Indikatoren mit zusätzlichen Indikatoren zu beseitigen, um den Zustand der biologischen Ressourcen und den aus den Ökosystemen resultierenden jetzigen und künftigen öffentlichen Nutzen besser wiederzugeben.
4.9 Trotz der negativen Auswirkungen der Krise auf die Handelsströme (infolge des Anstiegs der Einfuhren aus Entwicklungsländern und des Abbaus der EU-Agrarsubventionen) und die Finanzierung von Maßnahmen zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung und zur Verwaltung der natürlichen Ressourcen weist der Ausbau der globalen Partnerschaft seit 2000 positive Entwicklungen auf.
4.9.1 Andererseits ist der für die offizielle Entwicklungshilfe für Entwicklungsländer vorgesehene Anteil am Bruttonationaleinkommen nur geringfügig gestiegen, so dass die Zielvorgabe für 2010 nicht erreicht wird. Darüber hinaus hat sich im Bereich der CO2-Emissionen die Kluft zwischen der EU und den Entwicklungsländern verringert, da die Emissionen in den Entwicklungsländern zunehmen, während sie in den EU-Mitgliedstaaten sinken.
4.9.2 Die globale Partnerschaft ist eine wesentliche Dimension der EU-Nachhaltigkeitsstrategie: Die Bekämpfung der weit verbreiteten Armut, die Ungleichheiten und der fehlende Zugang zu Ressourcen in den am wenigsten entwickelten und den Entwicklungsländern sind die wichtigsten Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung. Aus diesem Grund besteht die Verpflichtung, die ärmeren Länder dabei zu unterstützen, mit dem Übergang zur Nachhaltigkeit in angemessener Weise Schritt zu halten und die Probleme im Zusammenhang mit dem weltweiten Bevölkerungswachstum, den steigenden Erwartungen an den Lebensstandard und dem zunehmenden Rohstoffverbrauch zu bewältigen.
4.10 Die Indikatoren zur Messung des Niveaus des verantwortungsvollen Regierens (good governance) zeigen sowohl positive als auch negative Trends. Bezüglich positiver Entwicklungen ist festzustellen: a) ein beträchtlicher Rückgang der Verstöße gegen das EU-Recht auf nationaler Ebene; b) zwischen 2007 und 2009 lag die Umsetzungsrate der europäischen Richtlinien über der Zielvorgabe von 98,5 %; c) zunehmende Verfügbarkeit von eGovernment in den grundlegenden öffentlichen Diensten und stärkere Inanspruchnahme durch die Bürgerinnen und Bürger in den Mitgliedstaaten; d) die Hälfte der befragten Bürgerinnen und Bürgern hat Vertrauen in das Europäische Parlament. Zu den negativen Entwicklungen zählen hingegen: e) Rückgang der Wahlbeteiligung bei nationalen Wahlen sowie der Beteiligung an Wahlen zum Europäischen Parlament, die noch geringer ausfiel als die Wahlbeteiligung bei nationalen Wahlen (mehr als 20 % Unterschied in 27 Ländern; nur ein Land verzeichnet ein gegenläufiges Ergebnis), f) die ergriffenen Maßnahmen zur Verlagerung der Besteuerung hin zu einem größeren Anteil der Umweltsteuern an den Gesamtsteuereinnahmen sind nicht ausreichend.
4.10.1 Das Konzept des Regierens (Governance) hängt eng mit der nachhaltigen Entwicklung und mit dem Grundsatz der sozialen Gleichheit und der Generationengerechtigkeit zusammen. Deshalb müssen die Interessen der künftigen Generationen bei den Vereinbarungen der jetzigen Generationen berücksichtigt werden. Verantwortungsvolles Regieren erfordert den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft unter umfassender Beteiligung der Wirtschaft, der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft durch die Schaffung von Dialogstrukturen zwischen den Bürgern und den politischen Entscheidungsträgern.
4.11 Die Mitwirkung und Teilhabe der Zivilgesellschaft ist nach Auffassung des EWSA für weitere Fortschritte bei der Verwirklichung der nachhaltigen Entwicklung und der Konsolidierung der EU-Nachhaltigkeitsstrategie von entscheidender Bedeutung. Um die Beteiligung der Zivilgesellschaft zu gewährleisten und es ihr zu ermöglichen, zur Umsetzung der nachhaltigen Entwicklung beizutragen, muss der Zugang zu Wissen und Informationen über Fragen der Nachhaltigkeit verbessert werden.
4.12 Zur Gewährleistung einer wirkungsvolleren Kommunikation sind darüber hinaus wirksamere Parameter zur Messung der Fortschritte bei der Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung vonnöten. Insbesondere ist es zweckmäßig, den vom EWSA eingeschlagenen Weg fortzuschreiten und sich dafür stark zu machen, dass zur Messung des wirtschaftlichen Fortschritts neue Indikatoren über das BIP hinaus (4) erarbeitet werden, mit deren Hilfe die Bewertung der ökologischen und sozialen Qualität in die Bewertung der Wirtschaft einfließen würde. Darüber hinaus müssen die quantitative und die qualitative Dimension miteinander verknüpft werden und möglicherweise auch eine Erhebung zur Wahrnehmung und Beurteilung von Nachhaltigkeitsfragen durch die sozialen Akteure umfassen.
4.13 In der Tat ist die Entwicklung eines leistungsfähigen Informationssystems, das nicht nur eine bloße Wissensquelle wäre, Teil des Entscheidungs- und Politikgestaltungsprozesses und bildet die Grundlage für den Aufbau eines sozialen Präferenzsystems. Deshalb müssen die Überlegungen zur Bedeutung des sozialen und ökologischen Fortschritts und die daraus resultierende Suche nach neuen Indikatoren und Interpretationsinstrumenten unter aktiver Beteiligung von Experten sowie von politischen, sozialen und zivilgesellschaftlichen Akteuren im Rahmen einer demokratischen Mitwirkung an der Entscheidungsfindung erfolgen.
4.14 Der EWSA stellt ferner fest, dass es keinen Bericht über die zu erwartenden Auswirkungen der Arbeit von Eurostat gibt, und fordert zu klären, wie die Entwicklung der künftigen politischen Maßnahmen und von Entwicklungstendenzen in die Arbeit der Kommission und der Mitgliedstaaten einfließen wird.
Brüssel, den 23. Mai 2012
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Standpunkt des EWSA zur Vorbereitung der UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung (Rio + 20)“, ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 39.
(2) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Das BIP und mehr – die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Auswahl zusätzlicher Indikatoren“, Berichterstatter: Stefano Palmieri.
(3) Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur“, ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 183.
(4) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Das BIP und mehr – die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Auswahl zusätzlicher Indikatoren“, ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 14.