15.1.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 11/3


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Einbeziehung der Verbraucherverbände in den Aufbau und das Funktionieren des Binnenmarkts“ (Initiativstellungnahme)

2013/C 11/02

Berichterstatter: Bernardo Hernández BATALLER

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. Januar 2012 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

"Die Einbeziehung der Verbraucherverbände in den Aufbau und das Funktionieren des Binnenmarkts".

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 30. August 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 484. Plenartagung am 14./15. November 2012 (Sitzung vom 14. November) mit 141 gegen 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Im derzeitigen Kontext, in dem eine Rückkehr zu früheren Wachstumsraten so schnell nicht zu erwarten ist, muss der Verbraucher in den Mittelpunkt der Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU gestellt werden, was der Mitteilung der Kommission "Europa 2020 – Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum" entspricht. Unabhängige und starke Verbraucherorganisationen spielen eine enorm wichtige Rolle auf dem Markt. Sie müssen mit den notwendigen personellen, materiellen und technischen Mitteln ausgestattet werden, um ihren Auftrag, die Wahrnehmung der Rechte und Interessen der Verbraucher, erfüllen zu können.

1.2

Das Recht der Verbraucher, sich zur Wahrung ihrer Interessen zusammenzuschließen, ist im Primärrecht (Artikel 169 AEUV) verankert, womit auf europäischer Ebene rechtlich anerkannt wird, dass ihre Organisationen eine unersetzbare Rolle als Garanten des Vertrauens und der Entwicklung des europäischen Binnenmarkts spielen.

1.3

Unbeschadet der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips fordert der EWSA die Kommission auf, die Initiative zu ergreifen, um gemeinsame Mindestrechte für Verbraucherorganisationen zu erreichen. Dazu gehören das Recht, über Vertreter konsultiert und angehört zu werden, eine rechtliche und/oder administrative Festlegung der Rechte und Interessen der Verbraucher mittels vorheriger Anhörung und Konsultation über Maßnahmen, die gesetzlich geschützte Rechte und Interessen auf nationaler oder EU-Ebene betreffen, sowie das Recht, an der Regulierung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse mitzuwirken.

1.4

Der Umstand, dass die Erbringer von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse dieselbe Nutzerbasis haben, zu der viele schutzbedürftige Verbraucher zählen, erfordert eine Überwachung der Besonderheiten der einzelnen Märkte (Gas, Wasser, Elektrizität usw.). Dabei gilt es, den Gesamtblick für all diese Dienstleistungen angesichts der Auswirkungen, die sie in ihrer Gesamtheit auf die Lebensqualität und Finanzen der privaten Haushalte haben können, nicht zu verlieren. Die Verbraucherorganisationen sind für diese Aufgabe besonders geeignet. Für mangelhafte Dienstleistungen sollte ein System eingerichtet werden, das dem bestehenden System für Produkte (RAPEX) vergleichbar ist, damit die Verbraucherverbände die Verbraucher über das Netzwerk vor derartigen Dienstleistungen warnen können.

1.5

Es bestehen gewaltige Unterschiede beim Zugang zu Informationen und Fachwissen über die Funktionsweise der Märkte für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, bei der Gestaltung der Preise, Werte und Elemente, die den Zugang zu den Netzen bedingen sowie bei der Art und Weise, wie sie sich auf die Verbraucher auswirken; der Regulierungsbereich ist sehr technisch und komplex, für die Verbraucher und ihre Vertretungsorganisationen jedoch ganz eindeutig von Interesse.

1.6

Normalerweise fällt den Verbrauchern der Vergleich von Dienstleistungen schwerer als der von Waren. Besonders kompliziert ist dies bei Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Bei diesen Dienstleistungen sind die Vertragsbedingungen sehr unterschiedlich, wie z.B. die Methode zur Festlegung der Preise. Außerdem muss die Aufnahme von über die eigentliche Dienstleistung hinausgehenden Elementen in die Preisbildung von den Regulierungsbehörden angemessen erläutert und mit den Verbrauchervertretungsorganisationen diskutiert und von diesen verstanden werden.

1.7

Nach Ansicht des Ausschusses sollte die Kommission die Mitgliedstaaten und die nationalen Regulierungsbehörden dazu anhalten, die Transparenz, Information und Beschlussfassung zu fördern, indem sie die Diskussion über die auf dem Spiel stehenden Interessen – Angebot/Nachfrage (regulierte Wirtschaftssektoren und Verbraucher) – fördert und die positive Diskriminierung der Organisationen zur Vertretung der Verbraucherinteressen unterstützt. Ziel sollte es sein, dass diese gleichberechtigt mit den Wirtschaftsakteuren an den Diskussionsforen und Beratungsorganen der Regulierungsbehörden teilnehmen und dadurch das Empowerment der Verbraucherorganisationen und somit der Verbraucher selbst gewährleistet wird.

2.   Einleitung

2.1

Der EWSA als die europäische Institution, die den Organisationen der Zivilgesellschaft eine Stimme verleiht, möchte mit dieser Initiativstellungnahme auf die Notwendigkeit hinweisen, für einen Binnenmarkt mit menschlichem Antlitz und die Wirtschaftsdemokratie einzutreten (1) – mit allen sich hieraus ergebenden Konsequenzen insbesondere für die Konsultation, Teilhabe und Transparenz der Beschlussfassung zur Regulierung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, den Zugang zu Informationen sowie die Einbeziehung, Konsultation und Vertretung der Verbraucher bei der Regulierung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, und zwar in diesem Zusammenhang auch der Finanzdienstleistungen.

2.2

Im Einklang mit der Mitteilung der Kommission "Europa 2020 – Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum", die darauf abzielt, "den mündigen Verbraucher in den Mittelpunkt des Binnenmarkts zu stellen", müssen die Verbraucher darauf vertrauen können, dass ihre nationalen oder europäischen Vertretungsorganisationen sie schützen können und über die für die Wahrnehmung ihrer Interessen notwendigen Mittel, Kenntnisse und Instrumente verfügen. Mit den Bestimmungen, die einen unverfälschten Wettbewerb im Binnenmarkt gewährleisten sollen, wird letztlich der Zweck verfolgt, das Wohlergehen des Verbrauchers zu erhöhen (2).

2.3

Der EWSA stellt fest, dass es im derzeitigen Kontext wesentlich ist, den Verbrauch in den Mittelpunkt der EU-Politiken und der Errichtung des Binnenmarkts zu stellen, weshalb die Verbraucherorganisationen vor allem unabhängig und stark sein müssen. Wie der Ausschuss bereits feststellte, ist es zur Wahrung des wirtschaftlichen Gleichgewichts erforderlich, dass diese Organisationen ihre Rolle als Gegengewicht auf dem Markt umfassend wahrnehmen können. Deshalb empfiehlt er der Kommission, die Finanzierung für diese Verbände beträchtlich aufzustocken – insbesondere, um sie mit den notwendigen Mitteln zur Spezialisierung auszustatten (3).

2.4

Der EWSA betont und erkennt an, dass sich die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sowohl in einer unterschiedlichen Sichtweise der Rolle der Verbraucherverbände niederschlagen als auch in ihrer Organisationsform, ihren Mitteln und dem Stand ihrer Kenntnisse und ihrer Spezialisierung sowie Repräsentativität. Obwohl es auf EU-Ebene organisierte Verbände (wie z.B. BEUC, ANEC) gibt, hält es der EWSA angesichts der Bedeutung der nationalen Verbände für die Verbraucher und den Binnenmarkt für entscheidend wichtig, deren Probleme aus EU-Sicht anzugehen.

Desgleichen fördert der EWSA die Zusammenarbeit zwischen den Vertretungsorganisationen der Wirtschaft und der Verbraucher als eine besonders nutzbringende Form des Dialogs, um ausgewogenere Lösungen für die Entwicklung des Marktes zu finden, indem er Foren mit entsprechender Zielsetzung auf nationaler und EU-Ebene unterstützt.

3.   Europäische Verbraucher – nationale Vertretungsorganisationen

3.1

Die europäischen Institutionen haben hinlänglich anerkannt, wie wichtig das Vertrauen der Verbraucher für die Verwirklichung des Binnenmarkts ist. Seit dem ersten Programm für eine Verbraucherschutzpolitik von 1975 (4), in dem die Mitgliedstaaten ihre Entschlossenheit bekräftigten, die Bemühungen zugunsten der Verbraucher zu erhöhen, wird ihr "Recht auf Vertretung und Anhörung" ausdrücklich anerkannt. Die darauffolgenden Programme bestätigten die Ziele und Rechte bis hin zur Annahme der sogenannten "strategischen Verbraucherschutzpläne", in denen die angemessene Mitwirkung der Verbraucherorganisationen an der EU-Politik sowohl vom inhaltlichen Standpunkt als auch auf Verfahrensebene thematisiert wurde.

3.2

Diesen Programmen und Plänen gemäß sollten die Verbraucher und ihre Vertreter über die notwendigen Kapazitäten und Mittel verfügen, um ihre Interessen zu denselben Bedingungen zu vertreten wie die übrigen Marktbeteiligten, weshalb die Verfahren zur Einbeziehung der Verbraucherorganisationen in die Ausarbeitung der EU-Politik überprüft werden sollten.

3.3

Im derzeitigen strategischen Plan (5) ist jedoch nicht mehr die Rede von der Stärkung der Verbraucherverbände auf europäische Ebene als Hauptziel der Verbraucherpolitik, da die Stärkung der Verbraucherbewegung nunmehr vor allem in den Mitgliedstaaten angestrebt wird. Bedauerlicherweise ist bisher nie auf EU-Ebene evaluiert worden, welche Ergebnisse diese Pläne für die Einbeziehung der Verbraucher gebracht haben.

3.4

Kommission, Rat und Europäisches Parlament haben in den letzten Jahren eine Strategie zur Stärkung (Empowerment) des Verbrauchers als Einzelperson verfolgt, mit der sie das gewünschte Vertrauen in den Binnenmarkt herbeizuführen hofften. Im Rahmen dieser Strategie verknüpften sie die Überprüfung der Rechtsvorschriften über den Verbraucherschutz mit einer größtmöglichen Harmonisierung in typischen Bereichen der Verbraucherschutzpolitik und brachten die Theorie vom Durchschnittsverbraucher (6), dem "durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen" (7) Verbraucher, voll zum Tragen. Dies baut jedoch auf dem Trugschluss auf, dass es den idealen, informierten und bewussten Verbraucher gibt, was aber – wie die Statistiken zeigen – nicht der Fall ist.

3.5

Aus den verfügbaren Daten geht hervor, dass viele Verbraucher weit davon entfernt sind, die aktive, informierte und starke Rolle zu spielen, die ein wettbewerbsfähiger und innovativer Markt erfordern würde. In Wirklichkeit fühlen sich die meisten europäischen Verbraucher keineswegs vertrauensvoll, informiert und geschützt (8).

3.6

Gleichzeitig war die europäische Sicht der Verbraucher als Kollektiv sehr eingeschränkt. Die EU hat im Bereich der Verbraucherorganisationen nur wenig Greifbares vorzuweisen, weshalb der EWSA die Kommission ersucht, einen konkreten Vorschlag für Sammelklagen zu machen – ein Instrument, das für die Verteidigung der Verbraucherinteressen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene überaus wichtig ist.

3.7

Das Recht der Verbraucher, sich zur Wahrung ihrer Interessen zusammenzuschließen, ist in Artikel 169 AEUV festgeschrieben, weshalb auf EU-Ebene anerkannt werden muss, dass die Verbraucherorganisationen eine einzigartige und unersetzliche Rolle als Garanten des Vertrauens in den europäischen Binnenmarkt und für dessen Entwicklung spielen. Es ist daher gerechtfertigt, dass in der nationalen Politik in den einzelnen Mitgliedstaaten einige gemeinsame Grundrechte und –prinzipien verankert werden, allerdings unbeschadet der Freiheit ihrer konkreten Festlegung.

3.8

Im Januar 2011 führte die Europäische beratende Verbrauchergruppe (EBVG) u.a. folgende Gründe für die Notwendigkeit starker Verbraucherorganisationen an:

a)

die Zahl der EU-Beschlüsse mit Auswirkungen auf die Verbraucher auf nationaler Ebene;

b)

die Tatsache, dass die Verbraucherverbände zunehmend von den EU-Institutionen angehört werden;

c)

das Recht der Verbraucher auf Anhörung bei der Festlegung der sie betreffenden Politiken;

d)

Ungleichgewichte bei der Finanzausstattung zwischen den Wirtschafts- und Verbrauchervertretern im Bereich der Beschlussfassung, die zu einer stärkeren bzw. geringeren Beteiligung führen, sowie der Einfluss der Verbände selbst (9).

Bezüglich der Anforderungen, die die Verbraucherverbände erfüllen sollten, hat der EWSA bereits seinen Standpunkt dargelegt (10), den er an dieser Stelle nochmals bekräftigt.

3.9

Ohne starke, politisch und wirtschaftlich unabhängige Verbraucherorganisationen, die aktiv zu einem freien und wettbewerbsorientierten Markt beitragen, die Transparenz der Informationen einfordern und für die Einzel- und Kollektivinteressen der Verbraucher eintreten, ist es schwieriger, das Vertrauen der europäischen Verbraucher zu stärken.

4.   Recht auf Anhörung und Mitwirkung in Regulierungsbehörden für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse

4.1

Verbraucherorganisationen sind wichtige Partner bei der Wiederherstellung des Vertrauens der Verbraucher und beim Aufbau des Binnenmarkts. Der EWSA fordert die Kommission daher auf, die Initiative zu ergreifen, um Verbraucherorganisationen gemeinsame Mindeststandards zuzuerkennen, insbesondere das Recht, über Vertreter konsultiert und angehört zu werden, eine rechtliche und/oder administrative Festlegung der Rechte und Interessen der Verbraucher mittels vorheriger Anhörung und Konsultation über Maßnahmen, die gesetzlich geschützte Rechte und Interessen auf nationaler oder EU-Ebene betreffen, sowie das Recht, an der Regulierung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse mitzuwirken.

4.2

Da es im Rahmen dieser Stellungnahme nicht möglich ist, auf alle Aspekte einzugehen, die den einschlägigen Verbraucherorganisationen garantiert werden müssen, verweist der Ausschuss insbesondere auf

a)

das Recht, über Vertreter bei der rechtlichen und/oder administrativen Festlegung der Rechte und Interessen der Verbraucher konsultiert und angehört zu werden, und zwar mittels vorheriger Anhörungen und Konsultationen zu Maßnahmen, die ihre gesetzlich geschützten Rechte oder Interessen auf nationaler oder EU-Ebene betreffen;

b)

das Recht auf Mitwirkung im Bereich der sektorspezifischen Regulierung, insbesondere bei Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die für das Leben in der Gesellschaft unentbehrlich sind und auf die die Verbraucher alternativlos angewiesen sind.

4.3

Der EWSA erinnert daran, dass im Protokoll Nr. 26 zum Vertrag von Lissabon über Dienste von allgemeinem Interesse sowie in Artikel 36 der Charta der Grundrechte auf die Bedeutung hingewiesen wird, die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse für die EU haben, die deren Leitprinzipien festlegt. Er erinnert ebenfalls daran, dass Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse vom Markt ohne öffentliche Eingriffe nicht erbracht würden (bzw. nur zu abweichenden Bedingungen in Bezug auf Qualität, Sicherheit, Erschwinglichkeit, Gleichbehandlung und universalen Zugang). Die Gemeinwohlverpflichtung wird dem Leistungserbringer im Wege eines Auftrags auferlegt, der eine Gemeinwohlkomponente enthält, sodass sichergestellt ist, dass die Dienstleistung unter Bedingungen erbracht wird, die es dem Leistungserbringer ermöglichen, seinen Auftrag zu erfüllen (11).

4.4

Viele der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse wie die Versorgung mit Strom, Gas, Wasser oder Kommunikationsdiensten wurden traditionell vom Staat angeboten, dem die Versorgungsnetze gehörten. Die Debatte über diese Dienste wurde häufig unter dem Gesichtspunkt des Risikos (Gesundheit, Sicherheit, Umwelt), der nationalen Strategien für natürliche Ressourcen oder der Prozesse zur Liberalisierung des Marktes, wie etwa des Energiesektors, geführt.

4.5

Aus Sicht des Verbrauchers stehen die wichtigsten Fragen mit den Garantien für die Versorgungssicherheit und den Zugang im Zusammenhang, wobei der Preis das ausschlaggebende und nahezu einzige Entscheidungskriterium des Verbrauchers ist.

Den Verbrauchern fällt der Vergleich von Dienstleistungen an sich schon schwerer als der von Waren, doch gestaltet sich dies umso schwieriger bei Vertragsbestimmungen, die normalerweise nicht hinreichend erläutert werden, wie beispielsweise die Methoden zur Festsetzung von Tarifen und Preisen, die komplex sind und in die neben der eigentlichen Dienstleistung noch viele weitere Elemente eingehen. Außerdem werden diese Methoden von den Organisationen zur Vertretung der Verbraucherinteressen weder diskutiert noch wahrgenommen.

Für mangelhafte Dienstleistungen sollte ein System eingerichtet werden, das dem bestehenden System für Produkte (RAPEX) vergleichbar ist, damit die Verbraucherverbände die Verbraucher über das Netzwerk vor derartigen Dienstleistungen warnen können.

4.6

Die Energiemarktbeobachtungsstelle schlüsselt den Energiepreis in drei große Bestandteile auf: erstens Energieerzeugung, -übertragung und -verteilung (Netze), zweitens sonstige Steuern und drittens die Mehrwertsteuer, wobei verschiedene Vergleiche zwischen den Mitgliedstaaten vorgenommen werden. Obwohl nicht – wie dies eigentlich der Fall sein sollte – genau angegeben wird, aus welchen spezifischen Elementen sich die sogenannten "sonstigen Steuern" in den Mitgliedstaaten zusammensetzen, ist diese Art der Preisaufschlüsselung auch für andere Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (Wasser, Kommunikation) möglich und wäre daher eine nützliche Information, wenn sie auch in anderen Sektoren vorgelegt würde.

4.7

Die Europäische Kommission hat eingehende Untersuchungen über den Preis einiger Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse angestellt, insbesondere anhand von Daten der Energiemarktbeobachtungsstelle, und ist u.a. zu folgenden Schlüssen gelangt:

a)

Die meisten Mitgliedstaaten regulieren weiterhin die Preise für die privaten Haushalte, und die Praktiken der Branche bezüglich der Komplexität der Stromrechnungen erschweren den Marktzugang neuer Wettbewerber und einen Anbieterwechsel.

b)

Die Tarife können eine wichtige zusätzliche Einnahmequelle sein, da sie im Steigen begriffen sind, was sich in den Rechnungen der Privat- und Industrieverbraucher niederschlägt.

4.8

Trotz der verschiedenen Regulierungsbehörden und der Maßnahmen der EU zur Verbesserung der Transparenz ihrer Entscheidungen bestehen große Unterschiede hinsichtlich des Zugangs der Verbraucherorganisationen zu Informationen und Fachwissen über die Funktionsweise dieser Märkte für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, insbesondere in Bezug auf die Preisgestaltung, die in die Preise einfließenden Elemente, den Zugang zu den Netzen und die Art und Weise, wie sich diese Faktoren auf den Verbraucher auswirken.

4.9

Nach Ansicht des EWSA sollte die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten und die nationalen Regulierungsbehörden dazu anhalten, nicht nur die Transparenz der Informationen und der Beschlussfassung, sondern auch das Gleichgewicht der einander gegenüberstehenden Interessen – regulierte Wirtschaftssektoren und Verbraucher – zu fördern, indem die Organisationen, die die Interessen der Verbraucher vertreten, unterstützt und positiv diskriminiert werden (z.B. durch spezielle Schulung, Betreuung, finanzielle Unterstützung).

4.10

Die gleichberechtigte Teilnahme von Verbraucherorganisationen und Wirtschaftsakteuren an Diskussionsforen und Beratungsorganen ist nach Auffassung des EWSA das geeignetste Mittel, um auf einem wettbewerbsgeprägten Markt die Aufwertung der Verbraucherorganisationen und auf diese Weise die Stärkung des Verbrauchers selbst zu garantieren (12).

4.11

Nach Auffassung des EWSA müssen die diesbezüglichen Risiken (angefangen mit der "Vereinnahmung" dieser Organisationen) gegenüber der Wichtigkeit zurücktreten, den Erwerb von Fachkenntnissen in komplexen Bereichen zu gewährleisten, die sich erheblich auf die Lebensqualität der Verbraucher auswirken, wobei diese Lebensqualität nur durch eine wirksame Verbrauchervertretung geschützt werden kann.

4.12

Die Teilnahme der Verbraucherorganisationen an den Gremien und Gesprächsforen der Regulierungsbehörden – konkret an Diskussionsforen über Tarife und Preise (13) – kann und muss von den EU-Institutionen gefördert werden, und zwar nicht nur als Zeichen der Unabhängigkeit und Transparenz des Regulierungsprozesses, insbesondere bezüglich der Tarifstruktur, sondern auch als Beitrag zu einer aktiven Bürgerschaft und zur Herausbildung starker Verbraucherorganisationen.

4.13

Es stimmt, dass diese Problematik allmählich mehr in den Vordergrund tritt, so in den Richtlinien über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt (14), wo es heißt, dass die Regulierungsbehörde bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gegebenenfalls – unter Wahrung ihrer Unabhängigkeit und unbeschadet ihrer eigenen spezifischen Zuständigkeiten und im Einklang mit den Grundsätzen der besseren Rechtsetzung – die Übertragungsnetzbetreiber konsultiert und gegebenenfalls eng mit anderen zuständigen nationalen Behörden zusammenarbeitet. Die Beteiligung der Verbraucherorganisationen und die Debatte mit diesen wird jedoch nicht in allen Wettbewerbssituationen empfohlen.

4.14

In einem wettbewerbsgeprägten Umfeld bedingt die Tarifstruktur den Zugang nicht nur der Dienstleistungserbringer, sondern auch der Verbraucher, da sie den Preis unmittelbar beeinflusst, was zum Ausschluss der Verbraucher führen und einen Anbieterwechsel erschweren kann (15).

4.15

Die Frage des Preises und die Notwendigkeit, mit den Vertretern der Verbraucher über die diesem Preis zugrunde liegenden Tarifstrukturen zu diskutieren, werden im Rahmen der Regulierung nicht berücksichtigt. Diese Punkte werden auch in den einschlägigen Rechtsakten der EU (z.B. den angeführten Richtlinien) ausgespart. Aus den von der Energiemarktbeobachtungsstelle vorgelegten Informationen geht jedoch hervor, dass über den Preis dieser Dienstleistungen Kosten (Steuern u.a.) auf die Verbraucher und auch auf die Unternehmen abgewälzt werden, was die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beeinträchtigt und die Verbraucher im Binnenmarkt schwächt.

4.16

Bestimmte Entscheidungen im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse haben direkte Auswirkungen auf die Kosten, die sich letztendlich im Verbraucherpreis niederschlagen. Nach Ansicht des EWSA rechtfertigen der gesunde Wettbewerb im Binnenmarkt und der Schutz der Verbraucher ein Tätigwerden der EU-Organe mit dem Ziel, mehr Transparenz bei der Gestaltung der Preise der wichtigsten Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu gewährleisten und die Entwicklung ihrer verschiedenen Bestandteile und Tarife zu verfolgen. Daher müssen die Mitgliedstaaten und die nationalen Regulierungsbehörden dazu angehalten werden, die aktive Mitwirkung sowohl der Verbraucherorganisationen als auch der KMU an der Beschlussfassung zur Preisfestsetzung zu unterstützen (16).

4.17

Abschließend möchte der EWSA daran erinnern, dass die Vertretung der Verbraucher schwerlich wirksam sein wird, solange keine kollektive Klagemöglichkeit gewährleistet ist, und fordert die Kommission daher nachdrücklich auf, die Arbeiten zur Einführung einer EU-Sammelklage wiederaufzunehmen.

Brüssel, den 14. November 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 175 vom 28.7.2009, S. 20.

(2)  Urteil des Gerichts erster Instanz (Fünfte Kammer) vom 7. Juni 2006, Sammlung der Rechtsprechung 2006 Seite II-01601.

(3)  ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 89.

(4)  Erstes vorläufiges Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher, am 14.4.1975 vom Rat angenommen.

(5)  COM(2007) 99 final.

(6)  Vom EWSA in seinen Stellungnahmen heftig kritisiert.

(7)  EuGH: Rechtssache C-220/98 vom 13.1.2000, Estée Lauder Cosmetics gegen Lancaster Group, und Rechtssache C-210/96 vom 16.07.1998, Gut Springenheide und Tusky.

(8)  "Consumer Empowerment in the EU", SEC(2011) 469 final.

(9)  Bericht der EBVG (ECCG) über Kontrollindikatoren der Verbraucherbewegung.

(10)  Siehe Ziffer 3.5. der diesbezüglichen Stellungnahme des EWSA: Rechtspersönlichkeit, kein Erwerbsstreben, die Verteidigung und Vertretung der Verbraucherinteressen als Hauptziel laut Satzung, Arbeitsweise nach demokratischen Grundsätzen, finanzielle Unabhängigkeit, politische Unabhängigkeit (ABl. C 221 vom 8.9.2005, S. 153).

(11)  COM(2011) 900 final.

(12)  Vgl. hierzu Daten aus Eurobarometer Nr. 51.1 von 1999. Darin wurde auf die Frage, welche der nachfolgenden Aufgaben (10 Optionen, nur eine Antwort möglich, einschließlich "weiß nicht") für die Verbraucherverbände vorrangig sein sollten, folgende Antworteten gegeben (Durchschnitt der damaligen 15 Mitgliedstaaten): 1. Informationsverbreitung (26,8 %); 2. Unterstützung und praktische Ratschläge (25,4 %); 3. Verbraucherschutz (19,2 %); 4. Vertretung der Verbraucher (7,3 %).

(13)  Im Bereich der Dienstleistungen der öffentlichen Versorgungsbetriebe, wo die Möglichkeit von Risiken für die Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher – welche bei den Telefon- und Elektrizitätsdienstleistungen heutzutage nur selten auftreten – nur entfernt besteht, ist der Preis das fast einzige und maßgeblichste Entscheidungskriterium der Verbraucher.

(14)  Richtlinien 2009/72/EG und 2009/73/EG (ABl. L 211 vom 14.8.2009, S. 55 und S. 94).

(15)  Siehe Artikel 32 Absatz 1 der Richtlinie 2009/72/EG.

(16)  ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 155.