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BERICHT DER KOMMISSION 29. JAHRESBERICHT ÜBER DIE KONTROLLE DER ANWENDUNG DES EU-RECHTS (2011) /* COM/2012/0714 final */


Bericht der Kommission 29. Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts (2011)

Einleitung

Die Europäische Union kann ihre politischen Ziele nur dann erreichen, wenn die Mitgliedstaaten das EU-Recht in ihrem Hoheitsgebiet konsequent anwenden. Die entsprechenden Verantwortungsbereiche der Kommission und der Mitgliedstaaten sind klar in den Verträgen definiert. Die Mitgliedstaaten sind für die ordnungsgemäße Anwendung des Besitzstands der Union[1] verantwortlich und müssen Richtlinien ordnungsgemäß und fristgerecht in nationales Recht umsetzen. Die Kommission hat die Aufgabe, das Handeln der Mitgliedstaaten zu kontrollieren und die Einhaltung des EU-Rechts zu gewährleisten, gegebenenfalls mit Hilfe förmlicher Rechtsverfahren.

Im Interesse einer wirksamen Politikumsetzung arbeitet die Kommission gemeinsam mit den Mitgliedstaaten an der effizienten und erfolgreichen Lösung von Problemen und der Bearbeitung von Beschwerden von Bürgern, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und anderen Interessengruppen bezüglich der Anwendung des EU-Rechts, bevor sie zum Mittel des förmlichen Vertragsverletzungsverfahrens greift.

Sollten die Problemlösungsversuche nicht erfolgreich sein, kann die Kommission förmliche Vertragsverletzungsverfahren (gemäß Artikel 258 AEUV[2]) einleiten. Diese Verfahren können sich auf die nicht ordnungsgemäße Umsetzung von Richtlinien oder die unsachgemäße Anwendung von Rechtsvorschriften beziehen. 

Der vorliegende Bericht enthält Leistungsdaten zu zentralen Aspekten der Anwendung des EU-Rechts und liefert einen Überblick zu strategischen Fragen. Die Leistungen und Herausforderungen im Bereich der Anwendung des EU-Rechts werden in den Arbeitsunterlagen der Kommissionsdienststellen, die den Bericht begleiten, nach Sektoren und Mitgliedstaaten aufgeschlüsselt untersucht. 

1. Umsetzung von Richtlinien 1.1. Übersicht über die Umsetzung im Jahr 2011

Die Mitgliedstaaten mussten 2011 mehr Richtlinien umsetzen als im Jahr davon (nämlich 131, verglichen mit 111 Richtlinien im Jahr 2010).

2011 wurden deutlich mehr Richtlinien verspätet umgesetzt als im Vorjahr. Die Kommission leitete 2011 insgesamt 1185 Vertragsverletzungsverfahren wegen verspäteter Umsetzung (VVU) ein, verglichen mit 855 Verfahren im Jahr 2010 und 531 Verfahren im Jahr 2009. Ende 2011 waren 763 Verfahren wegen verspäteter Umsetzung anhängig – 60 % mehr als Ende 2010. Die Überwachung der Umsetzungsfristen zählt zu den Prioritäten der Kommission.[3] Gemäß dem in Artikel 260 Absatz 3 AEUV vorgesehenen Sanktionssystem schlägt die Kommission Zwangsgelder gegen Mitgliedstaaten vor, falls die Richtlinien nicht fristgerecht umgesetzt werden (Einzelheiten dazu in Abschnitt 1.2).

Das folgende Schaubild enthält die wichtigsten Zahlen[4] zu den von der Kommission im Jahr 2011 wegen verspäteter Umsetzung eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren:

Das folgende Schaubild zeigt die Zahl der Vertragsverletzungsverfahren wegen verspäteter Umsetzung nach Mitgliedstaaten:[5]

Verspätete Umsetzung in der EU-27 (31. Dezember 2011)

Die meisten Vertragsverletzungsverfahren wegen verspäteter Umsetzung betrafen 2011 die folgenden drei Politikbereiche: Verkehr (240), Binnenmarkt und Dienstleistungen (198) sowie Gesundheit und Verbraucher (164).  

Viele der Verfahren waren gegen eine Reihe von Mitgliedstaaten gerichtet. Beispielsweise ging die Kommission gegen 23 Mitgliedstaaten wegen der verspäteten Umsetzung der Richtlinie über energieeffiziente Straßenfahrzeuge[6] vor. Gegen 22 Mitgliedstaaten wurden Vertragsverletzungsverfahren wegen verspäteter Umsetzung der Richtlinie über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur[7] eingeleitet. 23 Verfahren betrafen die Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit[8], ebenso viele die neugefasste OGAW-Richtlinie[9]. Gegen 12 Mitgliedstaaten wurden Vertragsverletzungsverfahren wegen der verspäteten Umsetzung der Richtlinie über Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln[10] eingeleitet.

1.2. Anrufung des Gerichtshofs gemäß Artikel 258 / Artikel 260 Absatz 3 AEUV

Wann immer die Kommission bei Überschreitung der Umsetzungsfrist den Gerichtshof gemäß Artikel 258 AEUV anruft, kann sie nach Artikel 260 Absatz 3 AEUV Zwangsgelder verhängen, ohne ein Ersturteil abwarten zu müssen.

Diese durch den Vertrag von Lissabon eingeführte Neuerung soll die Mitgliedstaaten dazu bewegen, Richtlinien innerhalb der vom Gesetzgeber festgelegten Fristen umzusetzen, damit gewährleistet ist, dass das Unionsrecht wirksam greift.

Die Kommission verwies Ende 2011 erstmals einen Fall der verspäteten Umsetzung an den Gerichtshof mit der Forderung nach Verhängung eines Zwangsgelds gemäß Artikel 260 Absatz 3 AEUV.[11] Im Jahr 2011 wurden neun Urteile zu fünf Mitgliedstaaten erlassen: Österreich (1), Deutschland (3), Griechenland (1), Italien (1) und Polen (3). Die Höhe der vorgeschlagenen täglichen Zwangsgelder lag zwischen 44 876,16 EUR und 215 409,60 EUR (Pauschalbeträge wurden nicht gefordert).

Die in der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen dargestellten Verstoßprofile der Mitgliedstaaten enthalten weitere Einzelheiten zu den Verfahren.

2. Nicht ordnungsgemässe Umsetzung und unsachgemässe Anwendung von EU-Rechtsvorschriften

Obwohl die Kommission in ihrer Rolle als Hüterin der Verträge eigene Untersuchungen durchführt, um Verstöße gegen das EU-Recht zu entdecken (siehe Abschnitt 2.1.2), leisten auch Bürger, Unternehmen und Interessenverbände einen wesentlichen Beitrag, indem sie Mängel bei der Umsetzung bzw. Anwendung von EU-Rechtsvorschriften durch die nationalen Behörden melden (siehe „Beschwerden“ in Abschnitt 2.1.1). Bei Feststellung von Problemen finden bilaterale Gespräche zwischen der Kommission und den betreffenden Mitgliedstaaten statt, um die Probleme nach Möglichkeit mit Hilfe der Plattform „EU-Pilot“ zu lösen.

2.1. Erkennung von Problemen und informelle Lösungen 2.1.1. Beschwerden

Beschwerden gehen von Bürgern, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und anderen Einrichtungen ein. Ihre Bearbeitung erfolgt gemäß der Mitteilung der Kommission über die Beziehungen zum Beschwerdeführer bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht[12], die ab der Registrierung einer Beschwerde eine Frist von zwölf Monaten für den Abschluss des Vorgangs oder die Einleitung eines förmlichen Verfahrens vorsieht. Das folgende Schaubild enthält die wichtigsten Zahlen[13] zu Bürgerbeschwerden im Jahr 2011:

3115 neue Beschwerden: Die drei Mitgliedstaaten, gegen die die meisten Beschwerden eingingen, waren Italien (386), Spanien (306) und Deutschland (263). Bürger, Unternehmen und Organisationen meldeten Unregelmäßigkeiten vor allem in den Bereichen Umwelt (604), Binnenmarkt und Dienstleistungen (530) sowie Justizangelegenheiten (434).

3078 bearbeitete Beschwerden: Nach einer ersten Bewertung der über dreitausend im Jahr 2011 eingegangenen Beschwerden nahm die Kommission zu 619 Beschwerden bilaterale Gespräche mit den jeweiligen Mitgliedstaaten auf, um zu klären, ob gegen EU-Vorschriften verstoßen wurde.[14] Die Beschwerden, die zu solchen bilateralen Gesprächen führten, bezogen sich am häufigsten auf die Bereiche Umwelt (149 Fälle vor Klärung eines Verstoßes), Binnenmarkt und Dienstleistungen (101) sowie Steuern und Zollunion (87). Die bilateralen Gespräche mit den Mitgliedstaaten werden über den EU-Piloten abgewickelt (siehe Abschnitt 2.1.3).

In den Bürgerpetitionen an das Europäische Parlament wurde weiter auf Mängel bei der Anwendung der EU-Rechtsvorschriften durch die Mitgliedstaaten hingewiesen. Das Europäische Parlament musste sich vor allem mit Fragen zu Umwelt, Beschäftigung, Justiz und Grundrechten, Regionalpolitik sowie Gesundheit und Verbraucher beschäftigen. Einzelheiten zu den Petitionen sind in der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen enthalten (Teil II).

2.1.2. Verfahren von Amts wegen

Die kommissionseigenen Untersuchungen decken ebenfalls potenzielle Verstöße gegen das EU-Recht auf. Ähnlich wie bei den Beschwerden nimmt die Kommission zunächst bilaterale Gespräche mit den betreffenden Mitgliedstaaten auf, um eine schnelle Lösung zu erreichen. Im Jahr 2011 wurden 1271 Untersuchungen durchgeführt. Die meisten potenziellen Verstöße betrafen die Bereiche Umwelt (376 neue Fälle), Verkehr (178) sowie Steuern und Zollunion (177). Am häufigsten waren Italien (125 neue Fälle), Spanien (113) und Polen (81) impliziert.

Die Kommission leitete einige förmliche Vertragsverletzungsverfahren direkt ein, ohne den EU-Piloten zu verwenden, indem sie Aufforderungsschreiben gemäß Artikel 258 AEUV versandte. Diese Ausnahmefälle betrafen unter anderem

· die Maßnahmen von 20 Mitgliedstaaten der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (Organisation Internationale de la Vigne et du Vin – OIV),

· das bilaterale Abkommen zwischen Italien und China, das Inhaber von Diplomatenpässen von der Visumspflicht befreit.

2.1.3. Partnerschaft mit den Mitgliedstaaten: der EU-Pilot

Der EU-Pilot ist eine Initiative der Kommission, mit der versucht wird, Antworten auf Fragen und Lösungen für Probleme zu liefern, die aus der Anwendung des EU-Rechts resultieren. Der auf eine Online-Datenbank und ein Kommunikationstool gestützte EU-Pilot bietet die Gelegenheit, auftretende Probleme zu lösen, bevor es zur Einleitung eines förmlichen Vertragsverletzungsverfahrens kommt. Da alle Fälle grundsätzlich innerhalb von 20 Wochen bearbeitet werden sollten, fördert der Dialog mit Hilfe des EU-Pilots eine rasche Problemlösung. 

Die Einbindung der Mitgliedstaaten in den EU-Piloten ging schrittweise voran. Zum Jahresende 2011 nahmen 25 Mitgliedstaaten teil, während sich die Vorbereitungen für die restlichen zwei Staaten in einem fortgeschrittenen Stadium befanden.[15] Das folgende Schaubild illustriert die wichtigsten Zahlen zum EU-Piloten[16] für das Jahr 2011:

1201 neue Vorgänge im Jahr 2011: Diese Zahl setzt sich aus 510 von der Kommission bestätigten Beschwerden und 691 von Amts wegen eingeleiteten neuen Verfahren zusammen.

700 Vorgänge wurden 2011 abgeschlossen: Von den 700 Vorgängen im EU-Piloten schloss die Kommission 508 Vorgänge aufgrund zufriedenstellender Erklärungen durch die Mitgliedstaaten ab. Dies bedeutet, dass 72,5 % aller Vorgänge seitens der Mitgliedstaaten beendet wurden (8,5 % unter der Quote von 81 % im Jahr 2010).[17]

1096 Vorgänge waren weiter anhängig: Am Jahresende 2011 betrafen die meisten EU-Pilot-Vorgänge Italien (371), gefolgt von Spanien (365) und Deutschland (193). Nach Politikbereichen betrachtet, lagen Umweltfragen mit 335 offenen Vorgängen vorne vor den Bereichen Binnenmarkt und Dienstleistungen (129) sowie Steuern und Zollunion (117).

Die Kommission beendete im vergangenen Jahr 183 EU-Pilot-Vorgänge durch die Einleitung förmlicher Vertragsverletzungsverfahren. Das EU-Pilot-Verfahren schlug am häufigsten in den Bereichen Umwelt (49), Steuern und Zollunion (24) sowie Verkehr (21 Weigerungen) fehl. Die Länder, gegen die am häufigsten Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wurden, waren Italien (21), Polen (15) und Spanien (14).

Der jüngste Evaluierungsbericht zum Projekt „EU-Pilot“[18] enthält nähere Einzelheiten.

2.2. Vertragsverletzungsverfahren

Falls ein Mitgliedstaat den mutmaßlichen Verstoß gegen das EU-Recht nicht abgestellt, leitet die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 258 AEUV[19] ein. Zudem kann der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden „der Gerichtshof“) angerufen werden.

Ende 2011 waren 1775 Vertragsverletzungsverfahren anhängig.[20] Ihre Zahl ist von Jahr zu Jahr gesunken: 2010 waren es noch 2100 Fälle, im Jahr 2009 knapp 2900 Fälle. Die nachfolgenden Schaubilder zeigen die Verfahren nach Mitgliedstaaten und Politikbereichen aufgeschlüsselt:

Die Gespräche zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission gehen auch während des förmlichen Verfahrens weiter, um die nationalen Rechtsvorschriften mit dem EU-Recht in Einklang zu bringen. Die Statistiken zeigen, dass die Mitgliedstaaten sehr bemüht sind, die begangenen Verstöße ohne Gerichtsverfahren zu beheben.[21] Im Jahr 2011 wurde Folgendes erreicht:

· Die Kommission schloss 203 Fälle nach Versendung von Aufforderungsschreiben ab.

· Weitere 167 Fälle wurden nach Versendung einer mit Gründen versehenen Stellungnahme an die Mitgliedstaaten abgeschlossen.

· 29 Fälle wurden nach dem Beschluss der Kommission, den Gerichtshof anzurufen, abgeschlossen (oder vor Gericht eingestellt).

Insgesamt wurden 399 Fälle dadurch beendet, dass die Mitgliedstaaten die Einhaltung des EU-Rechts nachweisen konnten. Der Gerichtshof erließ 2011 62 Urteile gemäß Artikel 258 AEUV, wobei in 53 Fällen (85 %) zugunsten der Kommission entschieden wurde.

In aller Regel treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um Urteile des Gerichtshofs fristgerecht umzusetzen. Ende 2011 musste die Kommission allerdings 77 Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 260 Absatz 2 AEUV fortführen, da die Mitgliedstaaten den Gerichtsurteilen nicht nachgekommen waren. Die meisten dieser Verfahren richteten sich gegen Griechenland (13), Italien (12) und Spanien (8). Fast die Hälfte der gemäß Artikel 260 Absatz 2 AEUV eingeleiteten Verfahren bezogen sich auf Umweltfragen (36), andere betrafen die Bereiche Binnenmarkt und Dienstleistungen (10) sowie Verkehr (8). 

Elf der 77 Fälle wurden Ende 2011 bereits zum zweiten Mal an den Gerichtshof verwiesen. Im vergangenen Jahr gab es nur zwei Gerichtsurteile gemäß Artikel 260 Absatz 2 AEUV, und zwar gegen Griechenland[22] und Italien[23]. Bei Urteilen gemäß Artikel 260 Absatz 2 AEUV wird gegen den säumigen Mitgliedstaat grundsätzlich die Zahlung eines Pauschalbetrags und/oder täglichen Zwangsgelds verhängt. Der Pauschalbetrag ist unverzüglich zu entrichten, während das tägliche Zwangsgeld so lange gezahlt werden muss, bis das erste Urteil vollständig umgesetzt ist.

3. Die Verstösse im politischen Planungszyklus 3.1. Die Daten über Verstöße – ein Handlungsanreiz

Die Leistungsdaten bezüglich der Anwendung des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten fließen in den politischen Planungszyklus ein. Eine hohe Zahl von Verstößen deutet auf mögliche Durchführungsprobleme hin, für die Lösungen ersonnen werden müssen (etwa die Änderung geltender Vorschriften, Erläuterungen zur Auslegung bestehender Rechtsvorschriften oder auch die Erarbeitung neuer Vorschriften). Einige der strategischen Initiativen im Arbeitsprogramm 2011 der Kommission wurden spezifisch als Reaktion auf solche Durchführungsprobleme konzipiert.

· Der neue Legislativvorschlag für die Entsendung von Arbeitnehmern war darauf ausgerichtet, die Durchführung und Anwendung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern in der Praxis zu verbessern.[24]

· Im Vorschlag für einen neuen Rechtsrahmen zur Sicherstellung und Einziehung von Erträgen aus Straftaten wird eingeräumt, dass aufgrund von Unklarheiten im bestehenden EU-Rechtsrahmen mehrere Bestimmungen nicht in nationales Recht umgesetzt wurden oder nicht ordnungsgemäß angewendet werden.[25]

· Im Rahmen der Initiative zur Verbesserung der Eigenkapitalrichtlinien (CRD 4) wurde argumentiert, dass zahlreiche nationale Optionen und Ermessensbefugnisse in den früheren Eigenkapitalrichtlinien eine EU-weit kohärente Anwendung der Eigenkapitalanforderungen verhindert haben.[26]

3.2. Bessere Vorbereitung und Planung der Durchführung

Es ist eminent wichtig, dass die Herausforderungen im Bereich der Umsetzung und Anwendung von Rechtsvorschriften in der Anfangsphase der Strategieentwicklung verstanden werden (etwa in der Phase der Folgenabschätzung). Um die Eignung eines Vorschlags bewerten zu können, muss die Kommission frühzeitig eine Vorstellung davon haben, wie der Vorschlag in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden könnte. 

Werden mögliche Durchführungsprobleme bereits in der Phase der Folgenabschätzung berücksichtigt, erleichtert dies die spätere Durchführungsarbeit. Die Kommission kann die zuständigen nationalen Behörden bei der ordnungsgemäßen Umsetzung und Anwendung von EU-Vorschriften unterstützen, indem sie die Hauptgefahren für eine fristgerechte und korrekte Durchführung neuer (oder geänderter) Rechtsakte herausarbeitet und entsprechende Gegenmaßnahmen in den Durchführungsplänen empfiehlt.

Die Kommission bereitete im Jahr 2011 eine Reihe von Durchführungsplänen für strategische Initiativen vor, etwa für Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch)[27], für Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten[28], für Änderungen der Richtlinie 2006/43/EG über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen[29] und für die gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage[30].

Weitere Unterstützung wird den Mitgliedstaaten in Form bilateraler Kontakte zwischen den nationalen Verwaltungen und der Kommission, der Einberufung von Expertengruppen sowie der Herausgabe von Leitlinien, Handbüchern, Auslegungsvermerken und Arbeitsunterlagen gewährt.

3.3. Informationsaustausch – Wege zur Verbesserung der Wissensdatenbank

Damit die Ziele im Bereich der „intelligenten Regulierung“ verwirklicht werden können, müssen Bürger und Unternehmen verstehen, wie die EU-Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten angewendet werden. Im Jahr 2011 konnte eine lang anhaltende Meinungsverschiedenheit zwischen den EU-Organen auf diesem Gebiet beseitigt werden. Es herrschten unterschiedliche Meinungen darüber, wie die detaillierte Erläuterung der Mitgliedstaaten bezüglich der Umsetzung von Richtlinien in die nationale Rechtsordnung auszusehen haben (siehe den Abschnitt „Entsprechungstabellen“ in vorangegangenen Jahresberichten über die Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts).

Die zwischen den EU-Organen vereinbarte Lösung ist in gemeinsamen politischen Erklärungen dargelegt, die am 1. November 2011 in Kraft traten.[31] Die Vereinbarungen sehen vor, dass die Kommission im Einzelfall und bei entsprechender Begründung die Übermittlung erläuternder Dokumente von den Mitgliedstaaten anfordern kann. Falls die Mitgliedstaaten dies als nützlich ansehen, können die Dokumente auch in Form einer Entsprechungstabelle verfasst werden. Die erläuternden Dokumente müssen den Zusammenhang zwischen den nationalen Umsetzungsvorschriften und den einzelnen Bestimmungen einer Richtlinie aufzeigen. Die Präambel der Richtlinie muss einen Erwägungsgrund enthalten, in dem auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Übermittlung eines oder mehrerer erläuternder Dokumente an die Kommission hingewiesen wird.

Die erste Bewertung dazu, ob die gesteckten Ziele mit den Erklärungen erreicht wurden, erfolgt zum 1. November 2013.

4. Schlussbemerkungen

Die Mitgliedstaaten stehen bei der ordnungsgemäßen Anwendung des EU-Rechts weiter vor Herausforderungen. Probleme treten oft zu Beginn der Durchführung auf, was zunehmend häufiger zu einer verspäteten Umsetzung führt. Die Zahl der Verstöße gegen die Umsetzungsfrist hat in den vergangenen drei Jahren stetig zugenommen – ein Trend, der zur Sorge Anlass gibt. Sobald die Kommission indes Vertragsverletzungsverfahren einleitet, kommt es gewöhnlich schnell zur Mitteilung der nationalen Maßnahmen.

Die Problemlösungsmechanismen funktionieren. Im Jahr 2011 beteiligten sich weitere sieben Mitgliedstaaten am EU-Piloten, wodurch sich die Gesamtzahl auf 25 Teilnehmer erhöhte. Die Problemlösungsgespräche mit Hilfe des EU-Piloten führten dazu, dass fast zwei Drittel aller potenziellen Verstöße im Jahr 2011 frühzeitig behoben werden konnten.

Die Zahl der förmlichen Vertragsverletzungsverfahren nahm ebenso weiter ab wie die Zahl der Fälle, die an den Gerichtshof verwiesen wurden. Dies geht zum Teil auf den erfolgreichen Einsatz des EU-Piloten zurück sowie darauf, dass die Mitgliedstaaten nach Einleitung eines Verfahrens große Anstrengungen unternahmen, um ihre Gesetze oder Verfahren mit dem EU-Recht in Einklang zu bringen.

Die Kommission wird als Hüterin der Verträge die Anwendung des EU-Rechts auch künftig aktiv beobachten. Da die Durchführung für eine erfolgreiche und zielführende Politikgestaltung auf europäischer Ebene von zentraler Bedeutung sowie Bestandteil der Agenda der Kommission für eine intelligente Regulierung ist, werden die Daten über Verstöße zudem systematischer in den politischen Planungszyklus und insbesondere in Evaluierungen mit einbezogen.

[1]               Ende 2011 umfasste der Besitzstand der Europäischen Union zusätzlich zum Primärrecht (den Verträgen) 8862 Verordnungen (2010: ca. 8400) und 1885 Richtlinien (2010: ca. 2000).

[2]               Es ist anzumerken, dass Vertragsverletzungsverfahren auch aufgrund anderer EU-Rechtsvorschriften eingeleitet werden können, etwa Artikel 106 AEUV in Kombination mit den Artikeln 101 oder 102 AEUV.

[3]               Mitteilung der Kommission, „Ein Europa der Ergebnisse – Anwendung des Gemeinschaftsrechts“, KOM(2007) 502 endg., S. 10.

[4]               Aus der Summe der 2010 anhängigen Verfahren und der neuen Verfahren im Jahr 2011 (470 + 1185 = 1655) leitet sich die Zahl der abgeschlossenen Verfahren ab (1655 - 892 = 763).

[5]               Das Schaubild illustriert die Zahl der am 31. Dezember 2011 wegen verspäteter Umsetzung anhängigen Vertragsverletzungsverfahren, unabhängig vom Jahr der Eröffnung der Verfahren. Im Abschnitt „Umsetzung von Richtlinien“ auf den Seiten zu den Mitgliedstaaten in Anhang I ist hingegen dargestellt, wie viele neue Vertragsverletzungsverfahren gegen die Mitgliedstaaten 2011 wegen verspäteter Umsetzung eingeleitet wurden.

[6]               Richtlinie 2009/33/EG über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge

[7]               Richtlinie 2008/96/EG über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur

[8]               Richtlinie 2009/81/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit

[9]               Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW)

[10]             Richtlinie 2009/53/EG zur Änderung [früherer Richtlinien] in Bezug auf Änderungen der Bedingungen für Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln

[11]             Die Mitteilung der Kommission über die Anwendung von Artikel 260 Absatz 3 AEUV enthält detaillierte Leitlinien für die Anwendung dieses Artikels durch die Kommission.

[12]             KOM(2002) 141 endg. Diese Mitteilung wurde am 2. April 2012 durch KOM(2012) 154 ersetzt.

[13]             Aus der Summe der 2010 anhängigen Beschwerden und der neuen Beschwerden im Jahr 2011 (2197 + 3115 = 5312) leitet sich die Zahl der bearbeiteten Beschwerden ab (5312 - 3078 = 2234).

[14]             Die restlichen Beschwerden wurden nicht weiterverfolgt, da entweder kein Verstoß gegen das EU-Recht vorlag, die Kommission nicht zuständig war oder das Schreiben nicht als Beschwerde anzusehen war. Ferner ist anzumerken, dass die Kommission in dringenden Ausnahmefällen beschließen kann, dem betreffenden Mitgliedstaat auch ohne vorherige bilaterale Gespräche ein Aufforderungsschreiben (Artikel 258 AEUV) zuzusenden.

[15]             Belgien, Polen Lettland und Rumänien traten dem EU-Pilot im Januar 2011 bei, gefolgt von Zypern im März. Nachdem im September 2011 Frankreich und Griechenland dazugekommen waren, befanden sich Ende 2011 nur noch Luxemburg und Malta außerhalb des Systems.

[16]             Aus der Summe der 2010 offenen EU-Pilot-Vorgänge und der neuen EU-Pilot-Vorgänge im Jahr 2011 (595 + 1201 = 1796) leitet sich die Zahl der bearbeiteten Vorgänge ab (1796 - 700 = 1096).

[17]             28. Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts (2010)

[18]             Zweiter Evaluierungsbericht zum Projekt „EU-Pilot“ vom 21. Dezember 2011

[19]             Oder gemäß anderer Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, siehe Fußnote 2.

[20]             Dazu zählen alle Verfahren, bei denen die Kommission dem betreffenden Mitgliedstaat mindestens ein Aufforderungsschreiben gemäß Artikel 258 AEUV zugesandt hat.

[21]             Die aufgeführten Zahlen beziehen sich auf beschwerdebezogene sowie von Amts wegen eingeleitete Verfahren. Verfahren wegen verspäteter Umsetzung, die in Abschnitt I behandelt wurden, sind hier nicht enthalten.

[22]             Kommission / Griechenland, C-407/09 (Zahlung eines Pauschalbetrags in Höhe von 3 000 000 EUR)

[23]             Kommission / Italien, C-496/09 (Zahlung eines Pauschalbetrags in Höhe von 30 000 000 EUR)

[24]             Fahrplan und Vorschlag für eine Richtlinie zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern

[25]             Fahrplan und Vorschlag für eine Richtlinie über die Sicherstellung und Einziehung von Erträgen aus Straftaten

[26]             Fahrplan und Vorschläge (1, 2) zur Änderung der Eigenkapitalrichtlinien (CRD 4) 2006/48/EG und 2006/49/EG

[27]             KOM(2011) 651 endg.

[28]             KOM(2011) 793 endg.

[29]             KOM(2011) 778

[30]             KOM(2011) 121/4

[31]          Gemeinsame politische Erklärungen zu erläuternden Dokumenten vom 28. September 2011 (ABl. C 369 vom 17.12.2011, S. 14OJ C 369, 17.12.2011, p. 14–14) und vom 27. Oktober 2011 (ABl. C 369 vom 17.12.2011, S. 15)