52012DC0615

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an wirtschaftlichen Führungspositionen – ein Beitrag zu intelligentem, nachhaltigem und integrativem Wachstum /* COM/2012/0615 final */


MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN

Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an wirtschaftlichen Führungspositionen – ein Beitrag zu intelligentem, nachhaltigem und integrativem Wachstum

INHALTSVERZEICHNIS

1........... Einführung und Kontext................................................................................................... 4

2........... Sachstand in Bezug auf den Frauenanteil in den Leitungsorganen von Unternehmen in der EU   7

3........... Was steht einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an wirtschaftlichen Führungspositionen entgegen?..................................................................................................................... 10

4........... Massnahmen auf mitgliedstaatlicher Ebene im Hinblick auf eine ausgewogenere Vertretung von Frauen und Männern in Führungspositionen..................................................................................... 14

5........... Zum Nutzen von Wirtschaft und Unternehmen: Eine neue Legislativinitiative der EU zur Beschleunigung der Fortschritte im Hinblick auf eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften....................................................................................... 14

6........... Umfassende Strategie als Grundlage der neuen Legislativinitiative der EU....................... 17

1.           Einführung und Kontext

In den letzten Jahrzehnten hat sich beim Bildungsniveau und bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen sowie bei ihrer Stellung in der europäischen Gesellschaft insgesamt ein beträchtlicher Wandel vollzogen. Heutzutage erwerben mehr Frauen als Männer einen Hochschulabschluss: 60 % der Hochschulabsolventen sind Frauen. In Europa sind inzwischen mehr Frauen berufstätig als je zuvor: Die Erwerbstätigenquote von Frauen liegt mittlerweile bei über 60 % – ihr Potenzial und ihre Kompetenzen werden in der EU jetzt besser genutzt. Heute besteht kein Zweifel mehr daran, dass Frauen und Männer nicht aufgrund des Geschlechts diskriminiert werden dürfen.

Die EU hat auf vielfältige Weise durch Rechtsvorschriften, zweckgebundene Fördermittel, Aktionsprogramme, spezifische Maßnahmen zur Frauenförderung, im sozialen Dialog und im Dialog mit der Zivilgesellschaft zu diesen Fortschritten beigetragen. Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist ein Grundrecht und gehört zu den gemeinsamen Werten der EU. Sie ist unerlässlich für ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, das sich die EU zum Ziel gesetzt hat. Sie ist als politischer Handlungsbereich in den EU-Verträgen und der Charta der Grundrechte der EU verankert und hat nach und nach in alle Politikbereiche der EU, darunter Beschäftigungs- und Kohäsionspolitik, Forschung, Bildung, Entwicklungszusammenarbeit und die Strategie Europa 2020 Eingang gefunden.

Dies war möglich, weil die Mitgliedstaaten der Europäischen Union schon in der Anfangszeit die Befugnis und Verantwortung übertragen hatten, in Gleichstellungsfragen tätig zu werden. Der Grundsatz „gleicher Lohn bei gleicher Arbeit“ wurde schon 1957 im Vertrag von Rom festgeschrieben. Im Jahr 1971 bestätigte der Gerichtshof der Europäischen Union mit dem Defrenne-Urteil[1], dass dieser Grundsatz direkt anwendbar ist, so dass sich Bürgerinnen und Bürger vor nationalen Gerichten unmittelbar darauf berufen können. Damit war der Weg für ein modernes europäisches Gleichstellungsrecht geebnet.

Die Europäische Kommission ist aufgrund der EU-Verträge befugt, Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen vorzuschlagen, und hat im Laufe der Jahre eine Reihe von Regelungen im Beschäftigungsbereich auf den Weg gebracht, die insbesondere den Grundsatz des gleichen Entgelts und den Grundsatz, wonach Frauen und Männer dieselben Aufstiegs- und Bildungsmöglichkeiten haben müssen, betreffen.[2] Außerdem hat sie Legislativvorschläge zur Gewährleistung der Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit und für selbstständige Erwerbstätige und mitarbeitende Ehepartner[3] ausgearbeitet, die erheblich zur Verbesserung des Sozialversicherungsschutzes dieses Personenkreises beitrugen. Wichtige Gesetzgebungsarbeiten betrafen zudem die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben.[4]

Die Europäische Kommission setzt sich auch in ihren eigenen Reihen nachdrücklich für die Gleichstellung von Frauen und Männern ein. 2010 hat sie eine eigene interne Strategie[5] angenommen, die auf den beachtlichen Fortschritten aufbaut, die in den letzten Jahren in Bezug auf den Frauenanteil unter den Kommissionsbediensteten erzielt wurden. Die Strategie enthält Zielvorgaben für die Vertretung von Frauen auf der mittleren und höheren Managementebene sowie auf Administratorenebene, die bis Ende 2014 zu erreichen sind. Aufgrund dieser Zielvorgaben betrug am 1. Oktober 2012 der Frauenanteil in der Kommission bei den höheren Führungskräften (einschließlich im Generalsekretariat der Kommission) 27,2 % und bei den mittleren Führungskräften 28,7 %.[6] Dies ist eine gute Ausgangslage für weitere Fortschritte bis 2020. Nach dem Appell von Präsident Barroso an die Staats- und Regierungschefs, eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern als gemeinsames Ziel und geteilte Verantwortung anzusehen und besonders auf die Präsenz von Frauen im Kollegium zu achten, sind inzwischen ein Drittel der Kollegiumsmitglieder Frauen.

Trotz aller Fortschritte ist der Weg zu einer effektiven Gleichstellung von Frauen und Männern noch weit und voller Hindernisse. Das unausgewogene Verhältnis zwischen Frauen und Männern in wirtschaftlichen Führungspositionen ist ein typisches Beispiel hierfür. Die Situation in den Leitungsorganen von Unternehmen ist besonders enttäuschend und es gibt kaum Anzeichen dafür, dass sich die Lage verbessert. EU-weit werden die Leitungsorgane der Unternehmen derzeit von einem Geschlecht beherrscht: 86,3 % ihrer Mitglieder sind Männer, während der Frauenteil in diesen Gremien lediglich 13,7 % beträgt (bei den nicht geschäftsführenden Direktoren – bzw. Aufsichtsratsmitgliedern in dualistisch organisierten Unternehmen – liegt er bei 15 %). 96,8 % der Vorsitzenden sind Männer und nur 3,2 % von ihnen Frauen.

Frauen und Männer sollten dieselben Chancen und Möglichkeiten haben, Führungspositionen zu übernehmen. Dieser Grundsatz wurde in der Strategie der Europäischen Kommission für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2010-2015 unmissverständlich festgeschrieben. Dabei geht es nicht ausschließlich um die Frage der Gleichstellung. Der wirtschaftliche und unternehmerische Nutzen einer stärkeren Präsenz in Frauen in wirtschaftlichen Führungspositionen ist ebenfalls längst erwiesen. Der effiziente Einsatz des Humankapitals ist nicht nur der wichtigste Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft, sondern auch entscheidend für die Bewältigung der demografischen Herausforderungen, denen sich die EU gegenübersieht, und für das Bestehen in einer globalisierten Wirtschaft. Zahlreiche Studien belegen den positiven Einfluss einer ausgewogenen Vertretung von Frauen und Männern im Topmanagement auf die Geschäftsergebnisse und den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Die Erhöhung des Frauenanteils in den Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften in der Union kann sich daher positiv auf die Unternehmensperformance auswirken.

Die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt trägt zu Wirtschaftswachstum bei. Eine Stärkung des Frauenanteils in den Leitungsorganen börsennotierter Unternehmen bringt nicht nur Vorteile für die betreffenden Frauen. Das Unternehmen wird dadurch unter Umständen auch für andere kompetente Frauen attraktiv, so dass sich mit der Zeit die Präsenz von Frauen auf allen Managementebenen und in der Belegschaft des Unternehmens erhöht. Wird der weibliche Kompetenzpool in vollem Umfang genutzt, erhöht sich die Bildungsrendite sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft. Die vollständige Erschließung dieses Potenzials trägt zudem dazu bei, die Ziele der Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum und insbesondere die angestrebte Beschäftigungsquote von 75 % zu erreichen.

Im Laufe der Jahre hat die Europäische Union eine Reihe nicht verbindlicher Maßnahmen im Hinblick auf eine ausgewogenere Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen ergriffen. Zu nennen sind hier unter anderem zwei Empfehlungen, die der Rat 1984[7] und 1996[8] auf Vorschlag der Kommission angenommen hat. Diese (nicht verbindlichen) Empfehlungen führten jedoch nicht zu greifbaren Fortschritten. Die geringe Teilhabe von Frauen an Führungspositionen gibt daher zunehmend Anlass zur Sorge.

2010 und 2011 hat sich die EU verstärkt mit der Förderung der Gleichstellung in den Leitungsorganen der größten börsennotierten Gesellschaften befasst. Die Kommission nannte die „Gleichstellung der Geschlechter in Entscheidungsprozessen“ als eine der Prioritäten der Frauen-Charta[9] und ihrer Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2010-2015[10]. Im März 2011 lancierte die Kommission den Aufruf „Mehr Frauen in Vorstandsetagen – Selbstverpflichtung für Europa“[11], dem zufolge sich börsennotierte Unternehmen in Europa freiwillig verpflichten sollten, den Frauenanteil in ihren Leitungsorganen bis 2015 auf 30 % und bis 2020 auf 40 % zu erhöhen. Das Europäische Parlament forderte in seiner Entschließung zu Frauen in wirtschaftlichen Führungspositionen[12] vom 6. Juli 2011 die Unternehmen eindringlich auf, den Frauenanteil in den Führungsgremien auf die kritische Schwelle von 30 % bis 2015 und auf 40 % bis 2020 zu erhöhen. Des Weiteren forderte es die Kommission auf, für den Fall, dass die Maßnahmen, die die Unternehmen und die Mitgliedstaaten von sich aus getroffen haben, nicht ausreichen, bis 2012 legislative Maßnahmen einschließlich Frauenquoten vorzuschlagen. Das Europäische Parlament bekräftigte diese Forderungen in seiner Entschließung vom 13. März 2012 über die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Europäischen Union – Jahresbericht 2011[13]. Auch die europäischen Sozialpartner haben in ihrem Arbeitsprogramm für 2012-14 ihren Willen bekundet, weitere Maßnahmen zur Förderung von Frauen in Entscheidungsgremien zu treffen.

In ihrer Bestandsaufnahme[14] im März 2012 stellte die Kommission fest, dass der Frauenanteil in den vergangenen Jahren um durchschnittlich nicht mehr als 0,6 Prozentpunkte jährlich angestiegen ist. Bei diesem Tempo würde es über 40 Jahre dauern, bevor die Unternehmen auf natürlichem Wege erreichen, dass Frauen und Männer ausgewogen in den obersten Entscheidungsgremien vertreten sind. Daher startete die Kommission eine öffentliche Konsultation zu Maßnahmen, mit denen dieses Missverhältnis korrigiert werden könnte. Außerdem erstellte sie eine Folgenabschätzung zu den Kosten und Vorteilen einer ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften.

Die vorliegende Mitteilung skizziert den Sachstand in Bezug auf die Unterrepräsentanz von Frauen in wirtschaftlichen Führungspositionen. Sie geht auf die wichtigsten Faktoren ein, die die Karriere von Frauen behindern, und stellt eine neue Legislativinitiative der EU zur ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften vor, die strukturelle Veränderungen unumkehrbar machen würde (die Kommission legt diese Initiative zeitgleich mit dieser Mitteilung vor)[15]. Da es vielschichtige Gründe für die Unterrepräsentanz von Frauen in wirtschaftlichen Führungspositionen gibt, schlägt die Kommission eine Reihe flankierender Maßnahmen zur Verbesserung der Geschlechterverteilung in den Leitungsorganen von Unternehmen vor, um den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Legislativvorschlägen zu helfen und die Gleichstellung von Frauen und Männern in Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen zu fördern.

2.           Sachstand in Bezug auf den Frauenanteil in den Leitungsorganen von Unternehmen in der EU

Frauenanteil in den Leitungsorganen immer noch niedrig

Obwohl 45 % der Beschäftigten in der EU und 56 % der Personen, die eine Hochschulbildung absolvieren, Frauen sind, beträgt der Frauenanteil in den Führungsgremien der größten börsennotierten Unternehmen in der EU lediglich 13,7 % (siehe Abbildung 1). In Finnland, Lettland und Schweden sind ein Viertel der in den Leitungsorganen der großen börsennotierten Unternehmen vertretenen Personen Frauen, in Frankreich beläuft sich ihr Anteil auf knapp über ein Fünftel. Unter einem Zehntel liegt der entsprechende Frauenanteil in Irland, Griechenland, Estland, Italien, Portugal, Luxemburg und Ungarn, weniger als ein Zwanzigstel beträgt er in Zypern und ca. ein Dreißigstel in Malta.[16]

Abbildung 1 — Frauen und Männer in den Leitungsorganen der größten börsennotierten Unternehmen, Januar 2012

Quelle: Europäische Kommission, Datenbank über die Mitwirkung von Frauen und Männern an Entscheidungsprozessen, und Eurostat, Arbeitskräfteerhebung

Hinweis: In Ländern mit monistischer Unternehmensstruktur werden sowohl die geschäftsführenden als auch die nicht geschäftsführenden Mitglieder des Leitungsorgans berücksichtigt. In Ländern mit dualistisch organisierten Unternehmen wird hingegen nur der Aufsichtsrat erfasst.

Nur 15 % der nicht geschäftsführenden Direktoren bzw. Aufsichtsratsmitglieder der größten börsennotierten Unternehmen in der EU sind Frauen (siehe Abbildung 2)

Abbildung 2 — Frauen in den Leitungsorganen der größten börsennotierten Unternehmen: geschäftsführende Direktoren/Vorstandsmitglieder und nicht geschäftsführende Direktoren/Aufsichtsratsmitglieder (Januar 2012)

Quelle: Europäische Kommission, Datenbank über die Mitwirkung von Frauen und Männern an Entscheidungsprozessen

Hinweis: In monistisch organisierten Unternehmen umfasst das Leitungsorgan sowohl geschäftsführende als auch nicht geschäftsführende Direktoren. In dualistisch organisierten Unternehmen beziehen sich die Angaben zu den nicht geschäftsführenden Direktoren auf die Mitglieder des Aufsichtsrats und die Angaben zu den geschäftsführenden Direktoren auf die Mitglieder des Vorstands. Gelegentlich ist es möglich, dass dem Aufsichtsrat ein oder mehrere Vorstandsmitglieder (zum Beispiel der Vorstandsvorsitzender und der Finanzvorstand) angehören. In diesem Fall wurden diese bei den Angaben zu den Vorstandsmitgliedern berücksichtigt. Personen, die in beiden Gremien vertreten sind, wurden jedoch nur einmal gezählt. Die Angaben zu den Aufsichtsratsmitgliedern beziehen sich in diesem Fall dennoch auf sämtliche Mitglieder des Aufsichtsrats und könnten daher einige Vorstandsmitglieder umfassen. Ihre Zahl ist allerdings nicht erheblich und dürfte sich nicht auf das Endergebnis auswirken.

Schleppende, uneinheitliche Fortschritte in den EU-Mitgliedstaaten

Zwischen Ende 2003 und Anfang 2012 erhöhte sich der Frauenanteil in den Leitungsorganen von Unternehmen von 8,5 % auf 13,7 %, was einem jährlichen Anstieg von im Schnitt lediglich 0,6 Prozentpunkten entspricht. Im Zusammenhang mit der intensiven öffentlichen Debatte, die durch die von Kommission und Europäischem Parlament geforderten Maßnahmen ausgelöst wurde, war zwischen Oktober 2010 und Januar 2012 eine geringfügige Verbesserung um 1,9 Prozentpunkte zu verzeichnen. In der Folge leiteten einige Mitgliedstaaten konkrete Schritte zur Beschleunigung des Wandels ein.

Die Lage bessert sich jedoch nur langsam, da immer noch über sechs von sieben Mitgliedern in den Leitungsorganen Männer sind (86,3 %) und sich die einzelnen Länder unterschiedlich stark für die Gleichstellung der Geschlechter engagieren. Frankreich, das im Januar 2011 eine rechtlich verbindliche Frauenquote beschlossen hatte, erzielte die deutlichste Verbesserung (10 Prozentpunkte), auf die mehr als 40 % der EU-weiten Gesamtveränderung zurückgehen, während in einigen Mitgliedstaaten (Rumänien, Ungarn, Slowakei, Schweden, Dänemark und Estland) sogar ein negativer Trend festzustellen war.

Abbildung 3 — Veränderung des Frauenanteils in den Leitungsorganen von Unternehmen, Oktober 2010 bis Januar 2012

Quelle: Europäische Kommission, Datenbank über die Mitwirkung von Frauen und Männern an Entscheidungsprozessen

3.           Was steht einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an wirtschaftlichen Führungspositionen entgegen?

Das unausgewogene Verhältnis zwischen Frauen und Männern in den Leitungsorganen von Unternehmen ist nur die Spitze des Eisbergs

Das unausgewogene Verhältnis zwischen Frauen und Männern in den Leitungsorganen von Unternehmen ist zwar von Bedeutung, aber nur die Spitze des Eisbergs weiter verbreiteter Ungleichheiten in unserer Gesellschaft. Diese haben mehrere Ursachen, die sich im Laufe des Lebens einer Frau oder eines Mannes noch verstärken. Auch wenn immer mehr Frauen Führungspositionen übernehmen, sind noch viele Hindernisse zu überwinden.

Ursächlich hierfür sind die herkömmlichen Geschlechterrollen, die Arbeitsaufteilung, die Ausbildungsalternativen von Frauen und Männern und die überwiegende Tätigkeit von Frauen in einigen wenigen Beschäftigungssektoren

Es bestehen weiterhin große Unterschiede hinsichtlich der Art der Ausbildung, die Frauen und Männer absolvieren. Frauen sind immer noch unterrepräsentiert in naturwissenschaftlichen, technischen und mathematischen Fächern[17], die auf dem Arbeitsmarkt am gefragtesten sind. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede stehen in Zusammenhang mit der Einstellung der Studierenden gegenüber den Fächern, zum Beispiel mit ihrer Motivation und ihrem Interesse – Faktoren, die sich zu einem frühen Zeitpunkt ihres Lebens herausbilden[18] und auch mit der Wahrnehmung der unterschiedlichen Rollen von Frauen und Männern in der Gesellschaft verknüpft sind.

Nach ihrem Eintritt in den Arbeitsmarkt sind Frauen in der Regel nur in einer begrenzten Anzahl von Berufen tätig, die oftmals schlechter bezahlt sind und eine geringere Wertschätzung genießen. Unter Umständen verringern sich damit ihre Chancen auf einen Aufstieg in die Cheftage von Unternehmen. Fast 29 % der erwerbstätigen Frauen in der EU sind in lediglich sechs der 130 Standard-Berufskategorien[19] beschäftigt, während die sechs wichtigsten Männerberufe von knapp 20 % aller erwerbstätigen Männer ausgeübt werden. Werden alle wirtschaftlichen Tätigkeiten berücksichtigt,[20] sind nahezu 83 % der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen, knapp über 71 % der Beschäftigten im Bildungsbereich und knapp über 62 % der Beschäftigten im Einzelhandel Frauen.[21]

Die unzureichende Unterstützung im Hinblick auf eine bessere Vereinbarkeit von Fürsorgepflichten und Berufstätigkeit ist immer noch ein großes Problem

Das Fehlen eines umfassenden und ausgewogenen Angebots an flexiblen Arbeitsmöglichkeiten hindert Frauen nach wie vor erheblich daran, Führungspositionen wahrzunehmen.[22] Nur zehn EU-Mitgliedstaaten haben das Barcelona-Ziel[23] eines Betreuungsangebots für 33 % der Kinder unter drei Jahren verwirklicht, während lediglich neun Mitgliedstaaten das Barcelona-Ziel eines Betreuungsangebots für 90 % der Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulpflichtalter erreicht haben.[24]

Dies hat einseitige Auswirkungen auf die Beschäftigungsformen von Frauen und Männern

Bei der Wahl ihrer Beschäftigungsformen müssen Frauen noch immer den fehlenden oder unzureichenden Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben Rechnung tragen. Die Erwerbstätigenquote sinkt bei Frauen mit der Zahl der Kinder, während sie bei Männern mit dem ersten und dem zweiten Kind ansteigt. Öfter als Männer müssen Frauen ihre berufliche Laufbahn unterbrechen; außerdem nehmen sie häufiger flexible Arbeitsregelungen in Anspruch oder üben eine Teilzeitbeschäftigung aus. Dies beeinflusst erheblich die Möglichkeiten von Frauen, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen, Schulungsangebote in Anspruch zu nehmen und unter denselben Voraussetzungen wie Männer beruflich voranzukommen. Des Weiteren wirkt sich diese Situation negativ auf ihre Verdienstmöglichkeiten und Renten- beziehungsweise Pensionsansprüche aus. Es ist unstrittig, dass Teilzeitarbeit und Unterbrechungen der beruflichen Laufbahn einen Aufstieg in Führungspositionen behindern.

Abbildung 4 – Erwerbstätigenquote je nach Elternstatus (Personen im Alter von 25 bis 49) – 2011

(Prozentuale Abweichungen der Erwerbstätigenquoten bei Vorhandensein eines Kindes unter 12 Jahren und bei Nichtvorhandensein von Kindern)

Quelle: Eurostat, Europäische Arbeitskräfteerhebung, jährliche Durchschnitte

Die „gläserne Decke“ schränkt die Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen immer noch beträchtlich ein

Erfahrungsgemäß sehen sich selbst Frauen, die die oben erwähnten Hindernisse erfolgreich überwunden haben und gewillt sind, Führungspositionen zu übernehmen, ungeachtet ihrer Karrierebereitschaft sowie ihrer akademischen und beruflichen Qualifikationen letztlich weiteren oftmals als „gläserne Decke“ bezeichneten Hemmnissen gegenüber, die ihrem Aufstieg in die obersten Entscheidungsgremien entgegenstehen.

Frauen in Leitungsorganen von FTSE-100-Unternehmen im Vereinigten Königreich haben im Schnitt bessere Bildungsabschlüsse als Männer.[25] Dasselbe gilt für Frauen, die in Norwegen in die Unternehmensleitung eintreten.[26]

Im September 2011 lancierten die europäischen Wirtschaftshochschulen und Frauen in leitender Position einen Appell, die „gläserne Decke“ zu durchstoßen. 2012 erstellten sie eine Liste der für höchste Führungspositionen geeigneten Frauen (mit ca. 7 500 Namen), um zu verdeutlichen, dass mehr als genug herausragend qualifizierte Frauen zur Verfügung stehen, um europäische oder Weltunternehmen mit zu führen, und dass es an der Zeit ist, die Hemmnisse zu beseitigen, die Frauen am Aufstieg in Führungspositionen hindern.[27]

Frauen sind gegenüber Männern im Nachteil, da sie Vorurteilen hinsichtlich der Anforderungen an Führungspositionen sowie Diskriminierungen und stereotypen Denkweisen begegnen müssen.[28] Subtile Hindernisse, einschließlich der Einschätzung, dass Frauen entweder nicht interessiert oder nicht in der Lage sind, bestimmte Aufgaben wahrzunehmen, oder dass es sich bei den betreffenden Posten um „Männerjobs“ handelt, tragen noch immer dazu bei, dass die meisten Frauen nicht über die unteren Managementebenen von Unternehmen hinauskommen.

Nach einer Eurobarometer-Umfrage von 2011 sind 88 % der Europäer der Ansicht, dass Frauen gleich stark in wirtschaftlichen Führungspositionen vertreten sein sollten; 78 % meinen, dass die Geschäftswelt in Europa von Männern dominiert wird, die nicht ausreichend auf die Fähigkeiten von Frauen vertrauen.[29]

In einer Umfrage unter 500 Frauen, die in führender Position für Gesellschaften und Firmen in Europa tätig sind,[30] wiesen zwei Drittel der Befragten auf stereotype Denkweisen und Vorurteile hinsichtlich der Rollen und Fähigkeiten von Frauen als größtes Hindernis hin.

Fehlende Transparenz bei Einstellungs- und Beförderungsverfahren

Dass derzeit nur wenige Frauen Führungspositionen innehaben, beeinflusst kurz- und langfristig die Entscheidungen der Unternehmen ebenso wie ihre Haltung zur Gleichstellung und zur Berufung von mehr Frauen in die Unternehmensleitung. Erschwerend hinzu kommt die fehlende Transparenz bei Einstellungs- und Beförderungsverfahren. Bei der Bestellung der Mitglieder von Leitungsorganen spielen die persönlichen und beruflichen Kontakte der gegenwärtigen Mitglieder dieser Gremien eine maßgebliche Rolle.

Die fehlende Transparenz bei der Besetzung von Führungspositionen wirkt sich noch immer nachteilig auf die Laufbahnentwicklung von Frauen aus. Auf diesen Aspekt wiesen mehrere Beteiligte in ihren Beiträgen zu der von der Kommission eingeleiteten öffentlichen Konsultation nachdrücklich hin.[31]

Eine Erhöhung des Frauenanteils in den Leitungsorganen macht die betreffenden Unternehmen für kompetente Frauen attraktiver, so dass mit der Zeit auf allen Managementebenen mehr Frauen vertreten sind. Außerdem sind positive Spillovereffekte auf die Beschäftigung von Frauen in den betreffenden Unternehmen und auf das langfristige Wirtschaftswachstum in der Wirtschaft insgesamt zu erwarten. Um die Zahl der Frauen auf der mittleren und oberen Managementebene, aus denen Kandidatinnen für die Leitungsorgane häufig rekrutiert werden, zu erhöhen, müssen geeignete Mentoring-, Förder- und Schulungsmöglichkeiten sowie Rollenmodelle unterstützt werden.

4.           Massnahmen auf mitgliedstaatlicher Ebene im Hinblick auf eine ausgewogenere Vertretung von Frauen und Männern in Führungspositionen

Die Mitgliedstaaten haben eine Reihe von Initiativen eingeleitet

Nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch auf nationaler Ebene steht das Ziel, die Präsenz von Frauen in wirtschaftlichen Führungspositionen, insbesondere in den Leitungsorganen von Unternehmen, rasch zu verbessern, ganz oben auf der politischen Agenda. Regierungen, Sozialpartner, einzelne Unternehmen und sonstige Beteiligte haben eine Reihe von Initiativen zur Beschleunigung der Fortschritte eingeleitet.

Freiwillige Initiativen

Mehrere EU-Mitgliedstaaten haben freiwillige Initiativen und Instrumente entwickelt, um etwas gegen die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen zu unternehmen.[32] Diese Maßnahmen haben den Vorteil, dass sie mehr Flexibilität ermöglichen und dass die Unternehmen, die sie ergreifen, sich in höherem Maße dafür verantwortlich fühlen. Die Maßnahmen haben zwar positive Entwicklungen gefördert, zu merklichen Fortschritten haben sie jedoch noch nicht geführt.

Rechtliche Maßnahmen mit verbindlichen Frauenquoten

Zahlen belegen, dass rechtliche Maßnahmen substanziellere Fortschritte als freiwillige Initiativen bewirken, vor allem wenn sie mit Sanktionen einhergehen. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der inzwischen gut angenommenen norwegischen Regelung, die eine rechtlich verbindliche Frauenquote von 40 % vorschreibt, wobei die Nichteinhaltung dieser Vorgabe mit der Auflösung der Gesellschaft sanktioniert wird, sowie bei der rechtlich verbindlichen Frauenquote in Frankreich, wonach innerhalb von drei Jahren (bis 2014) ein Frauenanteil von 20 % und innerhalb von sechs Jahren (bis 2017) ein Frauenanteil von 40 % zu erreichen ist. Auch andere EU-Mitgliedstaaten haben verschiedene Arten von Quotenregelungen beschlossen (Belgien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Italien, Niederlande, Portugal, Österreich, Slowenien und Spanien).[33]

5.           Zum Nutzen von Wirtschaft und Unternehmen: Eine neue Legislativinitiative der EU zur Beschleunigung der Fortschritte im Hinblick auf eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften

Nachweislich großer Nutzen für Wirtschaft und Unternehmen

Die bisherigen Bestrebungen, eine ausgewogene Teilhabe von Frauen und Männern an unternehmerischen Führungspositionen zu erreichen, haben nicht zu überzeugenden Ergebnissen geführt und die Kluft zwischen den Mitgliedstaaten in der EU wird immer größer; dies gilt sowohl für die tatsächlich erzielten Fortschritte als auch für die Art der auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen.

Die EU kann sich dieses systematische Ungleichgewicht der Geschlechter auf der obersten Entscheidungsebene in der Wirtschaft und die daraus resultierende Vergeudung von Fähigkeiten und Ressourcen nicht leisten.

Eine angemessene Vertretung von Frauen und Männern in der Unternehmensleitung wäre von wirtschaftlichem und unternehmerischem Nutzen, wie auch die jüngste Forschung belegt.[34] Wenn sowohl Männer als auch Frauen in den Leitungsorganen präsent sind, schlägt sich dies in innovativen Ideen, einer höheren Wettbewerbsfähigkeit und Leistung sowie einer besseren Corporate Governance nieder. Eine ausgewogenere Geschlechterverteilung zeugt von Offenheit gegenüber anderen Sichtweisen und Respekt vor den Unterschieden zwischen den Beteiligten – Anteilseignern, Investoren, Arbeitnehmern und Kunden – und signalisiert, dass das Unternehmen der Komplexität der Weltmärkte Rechnung trägt und für den Wettbewerb auf diesen Märkten gerüstet ist.

Da die Bemühungen um eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen der Unternehmen nicht hinreichend und nachhaltig vorangekommen sind und dieses Anliegen eine Herausforderung für alle EU-Mitgliedstaaten darstellt, hat die Europäische Kommission eine Reihe von Optionen für gezielte Maßnahmen zur besseren Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen auf europäischer Ebene geprüft.

Die Analyse dieser Optionen ergab, dass eine volle Ausschöpfung des Potenzials erwerbstätiger Frauen in der EU – insbesondere angesichts des demografischen Wandels und der gegenwärtigen Krise – zu nachhaltigem Wachstum und zur Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft beitragen wird.

Auf EU-Ebene muss gehandelt werden

Werden die Maßnahmen mit dem derzeitigen Tempo fortgeführt, wird eine substanzielle Erhöhung des Frauenanteils in den Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften in der EU ausbleiben. Die vereinzelten, disparaten Regelungen beziehungsweise das Fehlen einer nationalen Regelung zur Gewährleistung einer ausgewogenen Vertretung beider Geschlechter in den Leitungsorganen von Gesellschaften führen zu deutlich unterschiedlichen Frauenanteilen sowohl unter den geschäftsführenden Direktoren/Vorstandsmitgliedern als auch unter den nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern und einer divergierenden Entwicklung dieser Anteile in den Mitgliedstaaten. Sie können auch den Binnenmarkt behindern, da die europäischen Unternehmen unterschiedliche Corporate-Governance-Anforderungen erfüllen müssen und unterschiedlichen Sanktionen unterliegen.

Die Gleichstellung der Geschlechter sowie Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum lassen sich besser durch EU-weit abgestimmte Maßnahmen als durch einzelstaatliche Initiativen mit variablem Anwendungsbereich, Anspruch und Wirkungsgrad erreichen. Daher schlägt die Kommission eine Legislativmaßnahme zur Verbesserung des zahlenmäßigen Verhältnisses von Frauen und Männern in den Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften vor.

Konzentration auf börsennotierte Gesellschaften

Wegen der wirtschaftlichen Bedeutung, der Bekanntheit und des Einflusses börsennotierter Gesellschaften auf den EU-Markt sollte eine EU-Regelung nur auf diese Gesellschaften Anwendung finden, also auf mitgliedstaatliche Unternehmen, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt[35] zugelassen sind. Börsennotierte KMU sollten ausgenommen werden, da ihnen aufgrund der Verpflichtung zur Erreichung der Zielvorgabe unter Umständen ein unverhältnismäßig großer Verwaltungsaufwand entstünde.

Börsennotierte Unternehmen zeichnen sich nicht nur durch ihre wirtschaftliche Bedeutung aus (Gesamtumsatz von 68 % des EU-BIP), sondern auch durch einen hohen Bekanntheitsgrad. Sie setzen für die gesamte Wirtschaft Maßstäbe und können erwarten, dass andere Unternehmen ihrer Praxis folgen.

Zielvorgaben

Der Legislativvorschlag auf der Grundlage von Artikel 157 Absatz 3 AEUV legt als Mindestziel einen Anteil von 40 % des unterrepräsentierten Geschlechts unter den nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern in den Leitungsorganen börsennotierter Gesellschaften fest, das bis 2020 beziehungsweise für börsennotierte Gesellschaften, bei denen es sich um öffentliche Unternehmen handelt, bis 2018 zu erreichen ist. Unternehmen, in denen dieser Anteil noch nicht erreicht ist, sind verpflichtet, diese Positionen auf der Grundlage eines Auswahlverfahrens nach vorab festgelegten, klaren, neutral formulierten und eindeutigen Kriterien im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu besetzen. Die im Rahmen dieses Vorschlags festgelegten Zielvorgaben sollten nur für nicht geschäftsführende Direktoren bzw. Aufsichtsratsmitglieder gelten, damit ohne zu starke Eingriffe in das Tagesgeschäft eines Unternehmens ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Anteil an Frauen und dem Anteil an Männern in den Leitungsorganen erreicht wird.

Mit Blick auf diese Zielvorgabe und im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass bei der Auswahl nicht geschäftsführender Direktoren bzw. von Aufsichtsratsmitgliedern den Bewerbern des unterrepräsentierten Geschlechts Vorrang eingeräumt wird, wenn sie die gleiche Qualifikation hinsichtlich Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung haben wie die Bewerber des anderen Geschlechts und wenn eine objektive Beurteilung, bei der alle die einzelnen Bewerber betreffenden Kriterien berücksichtigt werden, nicht ergeben hat, dass spezifische Kriterien zugunsten der Bewerber des anderen Geschlechts überwiegen.

In Bezug auf die geschäftsführenden Direktoren bzw. Vorstandsmitglieder sollten börsennotierte Unternehmen verpflichtet sein, eigene Zielvorgaben festzulegen, die innerhalb desselben Zeitrahmens wie die Zielvorgaben für nicht geschäftsführende Direktoren bzw. Aufsichtsratsmitglieder zu verwirklichen sind.

Wirksame Kontrolle und Durchsetzung

Die Mitgliedstaaten sollten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen bei Nichteinhaltung der Zielvorgaben vorsehen.

Börsennotierte Gesellschaften werden verpflichtet, gegenüber den zuständigen nationalen Behörden Angaben zu den Anteilen von Frauen und Männern in ihren Leitungsorganen zu machen. Diese Angaben sollten auf der Website der Gesellschaft veröffentlicht werden; wenn die betreffende Gesellschaft das Ziel nicht erfüllt hat, sollte sie die Maßnahmen beschreiben, die das Unternehmen bisher ergriffen hat oder zu ergreifen gedenkt, um das Ziel zu erreichen.

Im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sollte die EU-Regelung zeitlich befristet sein, d. h. sie wird aufgehoben, sobald bei der geschlechtsspezifischen Zusammensetzung der Unternehmensleitung bleibende Fortschritte zu verzeichnen sind.

6.           Umfassende Strategie als Grundlage der neuen Legislativinitiative der EU

Bessere Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt und an Führungspositionen

Die Kommission schlägt vor, die Legislativmaßnahme durch eine umfassende Strategie zu ergänzen, die politische Maßnahmen mit finanzieller Unterstützung kombiniert. Dabei sollen laufende Maßnahmen fortgesetzt und andere neu eingeleitet werden.[36] Außerdem wird die Kommission die Mitgliedstaaten nachdrücklich auffordern, die derzeit für die Privatwirtschaft vorgeschlagenen Maßnahmen auch im öffentlichen Sektor durchzuführen, insbesondere in Bezug auf die Entscheidungsgremien der nationalen Zentralbanken, denen überwiegend Männer angehören (83 % im Schnitt in den EU-27).

Partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den nationalen Regierungen und sonstigen Beteiligten

Die Kommission wird mit allen Beteiligten – Regierungen, Sozialpartnern, Unternehmen, Wirtschaftshochschulen usw. – zusammenarbeiten, sie bei ihrer Arbeit unterstützen und EU-weit Maßnahmen konzipieren und umsetzen, um eine bessere Erwerbsbeteiligung von Frauen und eine gleichberechtigte Teilhabe beider Geschlechter an Führungspositionen zu erreichen.

Innerhalb dieses Rahmens wird die Kommission:

a)           Initiativen zur Bekämpfung stereotyper Darstellungen der Rolle der Frau und des Mannes in der Gesellschaft, auf dem Arbeitsmarkt und in Bezug auf Führungspositionen unterstützen

· Firmen, die Führungskräfte vermitteln, ermutigen, auf EU-Ebene einen freiwilligen Verhaltenskodex für eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern und bewährte Verfahren auszuarbeiten, damit dieser Aspekt bei den Auswahlverfahren berücksichtigt wird

· Wirtschaftshochschulen ermutigen, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen zu fördern und das Bewusstsein für diese Thematik im Unternehmens- und Hochschulsektor durch entsprechende Lehrpläne und Aktivitäten zu stärken

b)           Zur Schaffung eines sozialen, wirtschaftlichen und unternehmerischen Umfelds beitragen, das eine ausgewogene Teilhabe von Frauen und Männer an Führungspositionen begünstigt

· Zur Entwicklung von Strategien für eine bessere Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und Familienleben, einschließlich innovativer Konzepte aufgrund des Einsatzes von IKT, die die Teilhabe von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt und an Entscheidungspositionen unterstützen, beitragen. 2013 wird die Kommission über die Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und Familienleben Bericht erstatten und dabei auch die Fortschritte bei der Erreichung der „Barcelona-Ziele“ in Bezug auf Kinderbetreuungseinrichtungen[37] bilanzieren, die noch zu lösenden Probleme aufzeigen und politische Leitlinien festlegen

· Den Gleichstellungsaspekt der Strategie Europa 2020 stärken, um einen Beitrag zur Erreichung der angestrebten Beschäftigungsquote von 75 % bis 2020 zu leisten. Dazu soll die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten intensiviert werden, unter anderem im Rahmen des Beschäftigungsausschusses und des Ausschusses für Sozialschutz. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Gleichstellungsaspekt im Rahmen des Europäischen Semesters gewidmet; dies gilt auch für die Folgemaßnahmen zu den länderspezifischen Empfehlungen in Bezug auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen

· Dazu beitragen, gegen geschlechtsbezogene Vorurteile vorzugehen und die Gleichstellung auf allen Bildungs- und Ausbildungsebenen zu fördern, vor allem im Rahmen des Europäischen Sozialfonds und des EU-Programms für lebenslanges Lernen sowie des diesbezüglichen Nachfolgeprogramms; insbesondere im Rahmen der Strategie Europa 2020 und der Programmplanung des Europäischen Sozialfonds ein besonderes Augenmerk richten auf den Übergang zwischen Ausbildung und Erwerbsleben sowie die Kluft zwischen Bildungsniveau und beruflicher Weiterentwicklung, vor allem bei Frauen, im Hinblick auf die Beseitigung von Hindernissen bei ihrer Berufswahl, insbesondere in den Fachbereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Technik

c)           Das Bewusstsein für den wirtschaftlichen und unternehmerischen Nutzen der Gleichstellung und einer ausgewogenen Vertretung von Frauen und Männern in Entscheidungsgremien fördern

· Sensibilisierungsmaßnahmen durch Förderung von Austausch und Verbreitung von Erfahrungen und bewährten Verfahren unterstützen

· Sensibilisierungsmaßnahmen auf Unternehmensebene unterstützen. Dazu sollen in allen EU-Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft Schulungsmodule für kleine, mittlere und große Unternehmen entwickelt, verbreitet und umgesetzt sowie bewährte Verfahren von und zwischen Unternehmen ausgetauscht werden

d)           Fortschritte im Hinblick auf eine ausgewogene Teilhabe von Frauen und Männern an Entscheidungspositionen EU-weit unterstützen und kontrollieren

· Durch regelmäßige Berichterstattung über die Fortschritte in den EU-Mitgliedstaaten und eine umfassende Verbreitung der erzielten Ergebnisse das Verantwortungsbewusstsein erhöhen

· Durch weitere Erhebung, Verbreitung und Entwicklung vergleichbarer Daten auf EU-Ebene mittels der Kommissionsdatenbank über die Mitwirkung von Frauen und Männern an Entscheidungsprozessen zur Verbesserung und Verfügbarkeit von Daten beitragen

· Kontrollieren, ob das rechtsverbindliche Instrument auf nationaler Ebene korrekt umgesetzt und angewandt wird sowie dem Europäischen Parlament und dem Rat regelmäßig über die erzielten Fortschritte Bericht erstatten

· Die Mitgliedstaaten ermutigen, der Aufforderung des Europäischen Parlaments nachzukommen und für ein angemesseneres Zahlenverhältnis von Frauen und Männern in den nationalen Zentralbanken zu sorgen und somit auch bessere Bedingungen für eine ausgewogene Vertretung beider Geschlechter im Rat der Europäischen Zentralbank zu schaffen.

Gegebenenfalls wird die Kommission die vorstehend nicht erschöpfend aufgelisteten Maßnahmen im Rahmen des Programms PROGRESS und – ohne den laufenden Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen vorzugreifen – im Rahmen des künftigen Finanzierungsinstruments für den Bereich der Gleichstellungspolitik finanzieren. Insbesondere sollen dazu 2012, 2013 und 2014 beschränkte und offene Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen veröffentlicht werden.

Die Kommission wird mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um die Kofinanzierungsmöglichkeiten im Rahmen der Strukturfonds auch im künftigen Programmplanungszeitraum voll auszuschöpfen mit dem Ziel, den Zugang von Frauen zur Beschäftigung und ihre Aufstiegschancen zu fördern und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu verbessern, insbesondere durch Bereitstellung erschwinglicher und hochwertiger Kinderbetreuungseinrichtungen.

[1]               Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 25.5.1971 (C-80/70).

[2]               Zum Beispiel: Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen.

[3]               Zum Beispiel: Richtlinie 2010/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2010 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, und zur Aufhebung der Richtlinie 86/613/EWG des Rates.

[4]               Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 zur Durchführung der von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG.

[5]               Mitteilung an die Kommission über eine Strategie für Chancengleichheit für den Zeitraum 2010-2014, SEK(2010) 1554/3.

[6]               1995 waren 4 % der Stellen der höheren Führungsebene und 10,7 % der Stellen der mittleren Führungsebene mit Frauen besetzt.

[7]               Empfehlung 84/635/EWG des Rates vom 13. Dezember 1984 zur Förderung positiver Maßnahmen für Frauen.

[8]               Empfehlung 96/694/EG des Rates vom 2. Dezember 1996 über die ausgewogene Mitwirkung von Frauen und Männern am Entscheidungsprozess.

[9]               KOM(2010) 78 endgültig.

[10]             KOM(2010) 491 endgültig.

[11]             http://ec.europa.eu/commission_2010-2014/reding/womenpledge/index_de.htm.

[12]             2010/2115(INI).

[13]             Entschließungen des Europäischen Parlaments 2010/2115(INI) vom 6. Juli 2011 und 2011/2244(INI) vom 13. März 2012.

[14]                    Europäische Kommission (2012), „Frauen in wirtschaftlichen Entscheidungspositionen in der EU: Fortschrittsbericht“, abrufbar über die Internetadresse http://ec.europa.eu/justice/gender-equality/files/women-on-boards_de.pdf.

[15]             Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gewährleistung einer ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern unter den nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften und über damit zusammenhängende Maßnahmen (COM(2012) XXX).

[16]             http://ec.europa.eu/justice/gender-equality/gender-decision-making/database/business-finance/quoted-companies/index_de.htm.

[17]             Um dieses Problem anzugehen, setzte sich die Kommission für einen Kodex für eine vorbildliche Frauenförderung in den IKT ein (2010).

[18]             OECD (2012) – Gender initiative: gender equality in education, employment and entrepreneurship.

[19]             ESTAT, Dreisteller der ISCO-08.

[20]             ESTAT, Zweisteller der NACE Rev. 2.

[21]             ESTAT (2011) EU-Arbeitskräfteerhebung.

[22]             Unternehmenserhebung des Weltwirtschaftsforums, zitiert in OECD (2012).

[23]             Die 2002 vom Europäischen Rat von Barcelona festgelegten Ziele sollen gewährleisten, dass die EU-Mitgliedstaaten geeignete Kinderbetreuungseinrichtungen bereitstellen.

[24]             ESTAT (2010) EU-SILC.

[25]             Singh et al. (2008), „Newly appointed directors in the boardroom: How do women and men differ?“, European Management Journal, 26(1).

[26]             Norwegisches Institut für Sozialforschung.

[27]             http://www.edhec.com/html/Communication/doc-womenboard/BoardReadyWomen.pdf.

[28]             Liff and Ward (2001) „Distorted Views through the Glass Ceiling: the Construction of Women’s Understandings of Promotion and Senior Management Positions“.

[29]             Eurobarometer Spezial 376 (2011), Frauen in Führungspositionen.

[30]             Catalyst and the Conference Board Europe (2002), Women in Leadership: A European Business Imperative.

[31]             http://ec.europa.eu/justice/newsroom/gender-equality/opinion/120528_de.htm

[32]             Europäische Kommission (2012) „Frauen in wirtschaftlichen Entscheidungspositionen in der EU: Fortschrittsbericht“.

[33]             Idem.

[34]             Zuletzt: Credit Suisse, Research Institute (August 2012), „Gender diversity and corporate performance“; weitere wichtige Studien: Catalyst (2004), „The Bottom Line: Connecting Corporate Performance and Gender Diversity“; McKinsey (Berichte von 2007, 2008 und 2010), „Women Matter“; Deutsche Bank Research (2010), „Auf dem Weg zu gender-balanced leadership“; Ernst & Young (2012), „Mixed leadership“.

[35]             Im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Nummer 14 der Richtlinie 2004/39/EG.

[36]             Die Kommission erwägt auch allgemeine Maßnahmen, die auf mehr Transparenz abzielen, um so ein ausgewogeneres Verhältnis von Frauen und Männern in den Leitungsorganen von Unternehmen zu erreichen, was eine wirksame Kontrolle der Unternehmensführung und eine solide Corporate Governance erleichtern würde.

[37]             Auf der Tagung des Europäischen Rates in Barcelona 2002 vereinbarten die Staats- und Regierungschefs, dass die Mitgliedstaaten bis 2010 für mindestens 90 % der Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulpflichtalter und für mindestens 33 % der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung stellen. Der Mangel an Betreuungsplätzen wurde auch in der Strategie Europa 2020 aufgegriffen. Im Europäischen Semester 2012 wurden an neun Mitgliedstaaten (AT, CZ, DE, HU, IT, MT, PL, SK und UK) entsprechende länderspezifische Empfehlungen gerichtet.