15.1.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 11/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine Strategie für die e-Vergabe“

COM(2012) 179 final

2013/C 11/10

Berichterstatter: Edgardo Maria IOZIA

Die Europäische Kommission beschloss am 20. April 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

"Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine Strategie für die e-Vergabe"

COM(2012) 179 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 25. Oktober 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 484. Plenartagung am 14./15. November 2012 (Sitzung vom 14. November) mit 120 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Mitteilung der Kommission, da er der schnellen Umstellung auf ein durchgängig elektronisches System – wie bereits in einigen Mitgliedstaaten erfolgreich erprobt – große Bedeutung beimisst. Das Volumen des Marktes für öffentliche Aufträge ist gigantisch: Es macht etwa 20 % des BIP der Europäischen Union aus.

1.2

In einer sehr negativen Konjunkturphase wie der jetzigen, die von für die Bürger schwerwiegenden Haushaltsanpassungen geprägt ist, werden Europa und die europäischen Initiativen äußerst negativ aufgefasst. Die europäischen Institutionen müssen daher größere Anstrengungen unternehmen, um sich stärker zu öffnen und die Gründe für bestimmte Entscheidungen klar und deutlich zu machen. Der Kommission, die als einzige europäische Institution das legislative Initiativrecht besitzt, fällt dabei eine besondere Verantwortung zu, nicht nur bei der Information, sondern auch bei der Überzeugung der Bürger von der Nützlichkeit ihrer Vorschläge. Der EWSA setzt sich nachdrücklich dafür ein und die Kommission sollte stärker mit den anderen europäischen Institutionen, auch mit den beratenden Organen, zusammenarbeiten.

1.3

Der EWSA hebt hervor, dass die linearen Kürzungen der öffentlichen Haushalte in Form eines früheren Ausscheidens der an der öffentlichen Auftragsvergabe beteiligten älteren und erfahrenen Mitarbeiter zu einem stetigen Rückgang des Humankapitals der öffentlichen Verwaltung führen. Er ruft daher die Mitgliedstaaten auf, Kürzungen nach dem Rasenmäherprinzip zu vermeiden, die nur kurzfristig die Staatskassen entlasten und in vielen Fällen externe Hilfe erforderlich machen, da das verbliebene Personal noch nicht das notwendige berufliche Know-how erworben hat.

1.4

Der EWSA weist auf die Bedeutung der e-Vergabe angesichts ihrer potenziellen Vorteile hin, etwa:

Transparenz, Betrugsbekämpfung;

Markteffizienz;

Ausweitung des Marktes für öffentliche Aufträge auf die KMU;

generelle Einsparungen für die öffentliche Verwaltung;

Integration und Ausbau des Binnenmarktes;

Modernisierung der öffentlichen Verwaltung und Entwicklung der Digitalen Agenda für Europa;

neue Chancen für Technologiedienstleistungsunternehmen;

berufliche Entwicklung für die Angestellten der öffentlichen Verwaltung und der Unternehmen.

1.5

Die Kommission hält eine volle Umstellung bis Mitte 2016 (bzw. unter Berücksichtigung der für die Umsetzung erforderlichen zwei Jahre voraussichtlich eher 2017) für machbar. Dies bedeutet eine enorme Beschleunigung gegenüber dem, was in den vergangenen acht Jahren erreicht wurde. Diese Zielsetzung ist dem EWSA zufolge richtig und ehrgeizig, doch kann sie nur erreicht werden, wenn bestimmte, in dieser Stellungnahme aufgeführte Bedingungen bezüglich der Standardisierung, Interoperabilität und Zugänglichkeit eingehalten werden. Ansonsten besteht die Gefahr einer weiteren Marktfragmentierung.

1.6

Der EWSA unterstützt die vorgeschlagenen Ziele, muss aber dennoch anmerken, dass bislang trotz umfangreicher Bemühungen der Anteil der elektronisch abgewickelten Vergabeverfahren noch immer sehr bescheiden ist. Die Kommission steht kurz vor dem Abschluss einer Studie, in der für jedes Land die erreichten Quoten angegeben werden. Sie dürfte noch in diesem Jahr veröffentlicht werden. In Italien liegt die Quote beispielsweise bei 4 %.

1.7

Der EWSA kritisiert scharf die geringe Kooperationsbereitschaft einiger Mitgliedstaaten, die sich gegen die Veränderung wehren und nicht vorhaben, ihren Markt für öffentliche Aufträge für den Wettbewerb zu öffnen, da sie die nationalen Unternehmen schützen und nicht auf die erhebliche wirtschaftliche und politische Macht verzichten wollen.

1.8

Die Kommission spricht in ihrer Mitteilung von "Trägheit", der EWSA hält es eher für "passiven Widerstand" gegen die Veränderung und Empfänglichkeit für Einflussnahme auf nationaler Ebene in Form von Protektionismus. Die Veröffentlichung sämtlicher Aufträge in elektronischer Form führt dazu, dass die Festlegung eines Schwellenwertes für europäische Verfahren überflüssig wird und sich nachteilig auswirkt, was auch insbesondere von den KMU mit Nachdruck gefordert wird.

1.9

Der EWSA ist der Ansicht, dass eine Beibehaltung der Schwellenwerte der Entwicklung des Binnenmarktes zuwiderläuft und dem Wettbewerb auf Augenhöhe schadet.

1.10

Kommunikation. Bürger, Unternehmen sowie lokale und nationale Behörden müssen von der Nützlichkeit dieser Instrumente überzeugt werden. Zu diesem Zweck sind integrierte Investitionen in Information, Kommunikation und Ausbildung unter Vermeidung verstreuter Initiativen notwendig.

1.11

Transparenz. Eine der unmittelbaren Auswirkungen der telematischen Publikation öffentlicher Aufträge ist eine erhöhte Transparenz. Der EWSA schlägt vor, neben der Veröffentlichung der Bekanntmachung auch über die Fortschritte der Arbeiten im Verhältnis zu den vorgesehenen Zeitplänen und den Zeitpunkt, zu dem die vergebenen Arbeiten abgeschlossen oder die Güter geliefert wurden, zu informieren. Durch mehr Transparenz wird der Betrug erschwert und es können Einsparungen für die öffentliche Verwaltung erzielt und die Markteffizienz verbessert werden.

1.12

Interoperabilität und Standardisierung. Der EWSA richtet den Fokus besonders auf die Themen im Zusammenhang mit der Interoperabilität zwischen den unterschiedlichen Plattformen (oftmals Portale) und der Standardisierung der elektronischen Verfahren und der in den einzelnen Phasen des Vergabeverfahrens ausgetauschten elektronischen Dokumente. Die Anhäufung einzelner Plattformen sowie unterschiedlicher Formate und Verfahren stellt ein Hindernis für die Elektronisierung der öffentlichen Auftragsvergabe dar und hält die Zulieferer, insbesondere die KMU, davon ab, diese anzuwenden. Die Kommission sollte unverzüglich die Verwendung eines einzigen europäischen (oder internationalen) Standards für die öffentlichen Vergabeverfahren vorschlagen, darunter insbesondere die Arbeit des Europäischen Komitees für Normung (CEN) im Rahmen des Workshops "Business Interoperability Interfaces (BII) für die öffentliche Beschaffung in Europa" (1) und die Implementierung der BII-Profile in den PEPPOL-Spezifikationen.

1.13

Fragmentierung. Mangels einer europäischen Strategie wurden sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene (Deutschland, Italien u.a.) Plattformen und Identifikationsinstrumente geschaffen, die nicht interagieren. Laut den KMU-Verbänden hat dies in den allermeisten Fällen zu einem Verzicht auf die Einreichung eines Angebots oder in anderen Fällen zu übermäßigen ungerechtfertigten Verwaltungskosten, v.a. für KMU, geführt. Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU der Marktfragmentierung effizient entgegenwirken muss.

1.14

Zugänglichkeit und Benutzerfreundlichkeit. Der EWSA weist darauf hin, dass nur dann Vorteile für den Markt, die öffentlichen Verwaltungen und die Bürger erzielt werden können, wenn die Systeme gut zugänglich sind, wobei geringe Kosten, einfach zu verwaltende und zu wartende Systeme, standardisierte Module, Verfahren und Lösungen, die Erstellung eines gemeinsamen Glossars und ein wirksames (ebenfalls leicht zugängliches und benutzerfreundliches) Instrument zur Lösung des Sprachproblems gewährleistet und die Grundsätze, zu deren Einhaltung sich die Kommission im "Small Business Act" verpflichtet hat, befolgt werden.

1.15

Sozialunternehmen. Der EWSA empfiehlt, bei der Umstellung auf elektronische Instrumente ganz besonders darauf zu achten, dass diese Instrumente Sozialunternehmen zugänglich gemacht werden. Viele Sozialdienstleistungen werden derzeit von diesen Unternehmen erbracht, die eine sehr wichtige Komponente in der Landschaft der Betreuungs- und Pflegeunternehmen darstellen.

1.16

Die KMU sollten durch die europäischen Rechtsvorschriften für die Vergabe von Aufträgen oberhalb des Schwellenwerts dabei unterstützt werden, die Anforderungen bezüglich des Kapitals und der Erfahrungen zu erfüllen, z.B. durch die Gründung von Konsortien oder vorübergehenden Unternehmensverbänden. Portugal ist hierfür ein treffendes Beispiel: Die kleinen und mittleren Unternehmen erhielten 87 % der Aufträge, die jedoch nur 19 % des Wertes ausmachten.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

2.1

In der Mitteilung erläutert die Kommission die strategische Bedeutung der elektronischen Auftragsvergabe ("e-Vergabe") und stellt die wichtigsten Maßnahmen vor, mit denen sie die volle Umstellung auf e-Vergabe in der EU unterstützen will.

2.2

Die Einsparungen der Behörden, die bereits auf e-Vergabe umgestellt haben, liegen zwischen 5 und 20 %. Würde man den niedrigsten Prozentsatz auf sämtliche Vergabeverfahren der EU anwenden, so ergäbe sich unter Berücksichtigung des Gesamtumfangs der öffentlichen Vergabe letztlich eine Einsparung von über 100 Mrd. EUR.

2.3

Im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe (2) hat die Kommission gemäß der 2011 verabschiedeten Binnenmarktakte (3) einige Vorschläge zur vollen Umstellung auf e-Vergabe in der EU bis Mitte 2016 vorgelegt (4). Letztendlich wird eine "durchgängig elektronische Vergabe" angestrebt, bei der alle Phasen des Verfahrens – von der Bekanntmachung ("e-Bekanntmachung") bis zur Bezahlung ("e-Bezahlung") – elektronisch abgewickelt werden (5).

2.4

Die e-Vergabe kann dazu beitragen, den Zugang zu Ausschreibungen und deren Transparenz zu verbessern, besonders für KMU, und auf diese Weise auch den grenzübergreifenden Wettbewerb, Innovation und Wachstum im Binnenmarkt fördern.

2.5

Die Kommission nennt zwei Haupthindernisse für die Umstellung auf e-Vergabe:

die "Trägheit" bestimmter Akteure. Die Schwierigkeit besteht darin, zögernde Käufer und Zulieferer zur Änderung ihrer eingefahrenen Gewohnheiten zu bewegen;

die "Marktfragmentierung" durch das Nebeneinander einer Vielzahl verschiedener und mitunter technisch komplexer Systeme, die in der EU verwendet werden.

2.6

Zur Umsetzung der vorgeschlagenen Ziele legt die Kommission einen 15-Punkte-Aktionsplan vor.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) erkennt an, dass der Rechtsrahmen im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe überarbeitet und eine schrittweise Umstellung auf eine durchgängig elektronische Vergabe vollzogen werden muss, sodass der Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel in einigen Phasen des Beschaffungsverfahrens verbindlich wird.

3.2

Der von der Kommission vorgeschlagene Fahrplan für eine schrittweise Umsetzung der e-Vergabe ist sehr ehrgeizig und könnte bei einer ordnungsgemäßen Anwendung für sämtliche Akteure des Beschaffungsmarktes von großem Nutzen sein. Angesichts der Unterschiede bei der Entwicklung der e-Vergabe in den unterschiedlichen Ländern, in denen bereits eine Fragmentierung der Lösungen und Plattformen zu erkennen ist, könnte der Mangel an strategischen und praktischen Vorgaben bei Nichteinhaltung gewisser grundlegender Mindestvoraussetzungen zu einer weiteren Marktfragmentierung führen.

3.3

Die Entwicklung der e-Vergabe darf jedoch nicht zu einer Beeinträchtigung des "Bestbieterprinzips" gemäß dem Richtlinienentwurf zur öffentlichen Auftragsvergabe (6) führen.

3.4

Der EWSA richtet den Fokus besonders auf die Themen im Zusammenhang mit der Interoperabilität zwischen den unterschiedlichen Plattformen (oftmals Portale) und der Zugänglichkeit der elektronischen Verfahren und der in den einzelnen Phasen des Vergabeverfahrens ausgetauschten elektronischen Dokumente. Es muss ein europäischer (oder internationaler) offener Standard für die (Software-)Lösungen im Bereich der elektronischen Beschaffung im öffentlichen Sektor vorgesehen werden. Die Anhäufung einzelner Plattformen sowie unterschiedlicher Formate und Verfahren stellt ein Hindernis für die Elektronisierung der öffentlichen Auftragsvergabe dar und hält die Zulieferer, insbesondere die KMU, davon ab, diese anzuwenden. Das Europäische Komitee für Normung (CEN) hat im Rahmen des Workshops "Business Interoperability Interfaces für die öffentliche Beschaffung in Europa" sogenannte "interoperable Standard-Profile" für die Implementierung standardisierter Software-Lösungen ausgearbeitet.

3.5

Zur Beseitigung der derzeit vorhandenen Barrieren begrüßt der EWSA den Einsatz gezielter Maßnahmen der Kommission, welche die Nutzung internationaler oder europäischer offener Standards zur Umsetzung technisch interoperabler Lösungen verbindlich machen sollen. Es wäre sinnvoll, auf der Grundlage der Arbeiten des BII-Workshops des CEN und der entsprechenden Implementierungen innerhalb des PEPPOL-Projekts die Ausarbeitung von Leitlinien für eine ordnungsgemäße Anwendung der offenen Standards vorzusehen. In der Digitalen Agenda für Europa ist ausdrücklich (7) eine Maßnahme zur Förderung der Standardisierung der e-Vergabe durch die Nutzung technischer Spezifikationen vorgesehen, die von sämtlichen Zulieferern von IKT-Lösungen und -Diensten implementiert werden können.

3.6

Der EWSA hebt hervor, dass die e-Vergabe wesentlich zur Transparenz in den Beschaffungsverfahren des öffentlichen Sektors und zur Betrugsbekämpfung beitragen kann. Mit den elektronischen Instrumenten kann das gesamte Verfahren überwacht und bewertet und die Umsetzung durch den Zulieferer nachvollzogen werden. Diese Informationen sind wichtig, um eine größtmögliche Transparenz ("e-Transparenz") im öffentlichen Sektor zu gewährleisten. Sie können einen wichtigen Anreiz für die Verwendung der Instrumente der e-Vergabe darstellen, insbesondere für KMU. Portugal kann auf diesem Gebiet als Vorbild dienen (8). Dies gilt auch für Litauen, wo Bekanntmachung, Zugang und Angebotsabgabe auf elektronischem Wege zwingend vorgeschrieben sind. Dies bringt folgende Vorteile mit sich: Senkung der Preise (14-55 %) der erworbenen Waren und Dienstleistungen, Erhöhung der Zahl der an den Ausschreibungen teilnehmenden Zulieferer um 20-90 %, Verkürzung des Beschaffungsverfahrens von 46 auf 11 Tage.

3.7

Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Initiativen der e-Vergabe eine Ausbildungsförderung für KMU vorsehen, damit diese die Technologien einsetzen können und deren Vorteile erkennen. Von grundlegender Bedeutung werden dabei Investitionen in die Ausbildung der Beschäftigten des öffentlichen und privaten Sektors sein. Der EWSA hält eine dahingehende Unterstützung für äußerst sinnvoll. Die KMU könnten dabei auf ihre jeweiligen Berufsverbände zurückgreifen.

3.8

Es gibt Sprachbarrieren, denen in dieser Mitteilung nicht gebührend Rechnung getragen wird. Neben der nationalen Sprache müssten die auf den Plattformen der e-Vergabe verfügbaren Informationen noch mindestens in einer anderen europäischen Sprache verfügbar sein. Dies könnte jedoch mit übermäßigen Mehrkosten verbunden sein. Eine Lösung könnte darin bestehen, dass die Europäische Kommission einen gezielt auf die elektronische Beschaffung ausgerichteten "Online-Übersetzer" entwickelt.

3.9

Die Kommission weist nicht auf das Problem der Sichtbarkeit der Vergabe von Aufträgen unterhalb des Schwellenwerts im gesamten Binnenmarkt hin, die insbesondere für KMU und Kleinstunternehmen von Bedeutung ist. Dem EWSA zufolge ist nun der Zeitpunkt gekommen, um sich über die Zweckmäßigkeit der Beibehaltung der Schwellenwerte Gedanken zu machen, da mit der e-Veröffentlichung sämtliche Aufträge für alle zugänglich werden.

4.   Spezifische Bemerkungen zu den vorgesehenen Maßnahmen

4.1

Der EWSA teilt die Auffassung, dass eine Umstellung auf eine durchgängig elektronische Vergabe öffentlicher Aufträge notwendig ist. Während die Kommission den Schwerpunkt auf die Anfangsphasen des Beschaffungsverfahrens legt (Veröffentlichung der Bekanntmachung, Zugang zu den Ausschreibungsunterlagen, Einreichung der Angebote, Bewertung der Angebote und Auftragsvergabe), ist es jedoch auch wichtig, die unterschiedlichen Phasen nach der Auftragsvergabe (Bestellungen, Rechnungen und Bezahlungen) zu berücksichtigen und den Verlauf der Aufträge, die festgestellten Probleme, die Ausführungstermine und die Kosten zu veröffentlichen.

4.2

Die Harmonisierung der technischen Anforderungen ist von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung von IKT-Lösungen und -Diensten, die auf lokaler, nationaler und grenzübergreifender Ebene übernommen und eingesetzt werden können. Der EWSA ruft die Kommission eindringlich auf, mit der entsprechenden Leitaktion 2 fortzufahren. Die Auswirkungen sind nicht nur für die öffentlichen Verwaltungen von großer Bedeutung, sondern auch und insbesondere für die Zulieferer, die die standardisierten und interoperablen Lösungen auf europäischer Ebene anwenden können.

4.3

Die Verwendung elektronischer Signaturen stellt bei grenzübergreifenden Transaktionen ein komplexes Problem dar. Es sollten daher Maßnahmen ergriffen werden, die die Interoperabilität solcher Lösungen erleichtern. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass beispielsweise für Länder wie Portugal zu den Schwierigkeiten bei der Verwendung der e-Vergabe (neben der Interoperabilität zwischen den unterschiedlichen Plattformen für die e-Vergabe (9)) die mit den elektronischen Signaturen verbundenen übermäßigen Anforderungen und die Kosten für die Zeitstempeldienste gehören.

4.4

Die Förderung einfacher Lösungen und bewährter Verfahren ist zweifelsohne eine wirksame Unterstützung für Projekte zur Elektronisierung der öffentlichen Auftragsvergabe. Bei der Ausarbeitung der entsprechenden Lösungen müssen die Bedürfnisse der KMU berücksichtigt werden, insbesondere in der Phase der elektronischen Angebotsabgabe ("e-Abgabe"). Die von der Expertengruppe der Kommission für die e-Vergabe (e-TEG) erzielten Ergebnisse sind daher von grundlegender Bedeutung und könnten einer Auswertung durch die Interessenträger unterzogen werden.

4.5

Die wichtigste Maßnahme, auf die sich die Kommission konzentrieren sollte, betrifft die Umsetzungsmodalitäten der einzelnen Lösungen für die e-Vergabe im Binnenmarkt. Am PEPPOL-Projekt ("Pan-European Public Procurement Online") haben im Einzelnen elf Länder teilgenommen, die technische Spezifikationen für die Entwicklung standardisierter Lösungen für die kritischeren Phasen des Beschaffungsverfahrens ausgearbeitet und eine offene Plattform für den Austausch standardisierter Dokumente geschaffen haben. Damit wurde für eine volle Interoperabilität zwischen den einzelnen europäischen Plattformen gesorgt.

4.5.1

Zu den PEPPOL-Komponenten gehören die Instrumente zur Validierung elektronischer Signaturen auf der Grundlage von elektronischen, durch europäische Behörden ausgestellten Zertifikaten, eine virtuelle Unternehmensakte zur standardisierten Darstellung von Geschäftsinformationen (Zertifikate und Bescheinigungen), ein elektronischer Katalog zur standardisierten Darstellung der Angebote zu Waren und Dienstleistungen, Bestellungen und die elektronische Rechnungsstellung, die die Käufer und Zulieferer mit festgelegten Verfahren zum Informationsaustausch bei gemeinsamen Aktivitäten unterstützen, und schließlich eine Infrastruktur für die Übertragung elektronischer Dokumente (das "Netzwerk") auf der Grundlage gemeinsamer Standards, die auf nationaler Ebene kompatibel sind und die einzelnen Gemeinschaften/Systeme der e-Vergabe miteinander vernetzen.

4.5.2

Wie e-CERTIS (ein Informationssystem zur Ermittlung der unterschiedlichen, in den Vergabeverfahren der 27 EU-Mitgliedstaaten, Kroatiens (Beitrittsland), der Türkei (Kandidatenland) und der drei EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen oftmals erforderlichen Zertifikate und Bescheinigungen) liefert auch das Europäische System der virtuellen Unternehmensakte (EVS) Informationen über die Kriterien und notwendigen Nachweise/Bescheinigungen für die Teilnahme an den Ausschreibungen in den Mitgliedstaaten. Während die e-CERTIS-Datenbank jedoch derzeit eine reine Informationsdatenbank ist, bietet die EVS noch zusätzliche Schnittstellen an, um andere Dienste mit ihr zu verkoppeln. e-CERTIS sollte über ähnliche Eigenschaften verfügen wie das Konzept der Unternehmensakte. Die Kommission sollte die Konformität sicherstellen und das entsprechende Rechtsinformationssystem aktualisieren und zugleich diesen Dienst anbieten und technische Unterstützung leisten.

4.5.3

Der EWSA hofft auf eine starke Unterstützung vonseiten der Kommission und der Mitgliedstaaten zur Stärkung der Rolle der Vereinigung OpenPEPPOL und betont, wie wichtig diese zur Wartung und Weiterentwicklung der technischen Spezifikationen sowie zu deren Nutzung durch den europäischen öffentlichen Sektor bei der Durchführung öffentlicher Ausschreibungen ist. Hierdurch werden Standardisierung und Interoperabilität in den unterschiedlichen Phasen des Beschaffungsverfahrens (nicht nur in der Vorvergabephase, sondern auch in der Nachvergabephase) gewährleistet, um eine Marktfragmentierung zu vermeiden.

4.6

Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Entwicklung einer Infrastruktur für die e-Vergabe durch die Fazilität "Connecting Europe" finanziert und unterstützt werden muss, indem auf der Arbeit aufgebaut wird, die bereits von den Mitgliedstaaten des PEPPOL-Konsortiums im Zusammenhang mit der derzeitigen Übertragungsinfrastruktur (dem "Netzwerk") zur Vernetzung der einzelnen Systeme in Europa geleistet wurde. Der EWSA hebt hervor, wie wichtig es ist, eine offene, zugängliche und sichere Infrastruktur zu wahren, die sich auf gemeinsame Standards stützt. Um die Verbreitung der e-Vergabe zu erleichtern, sollten die Strukturfonds eingesetzt werden.

4.7

Der EWSA empfiehlt die Durchführung einer integrierten Kommunikationsstrategie, indem in Zusammenarbeit mit dem "Enterprise Europe Network" auf den bereits bestehenden Gemeinschaften (insbesondere OpenPEPPOL) aufgebaut wird und Vernetzungsprogramme für die Regionen und Kommunen eingesetzt werden. Die Kommunikationsstrategie könnte für den Bereich der e-Vergabe zwischen der Kommission, OpenPEPPOL und dem neuen Pilotprojekt A (CIP ICT PSP) "Basic Cross Sector Services" (BCSS) aufgeteilt werden.

4.8

Der EWSA befürwortet den Beschluss der Kommission, die Auftragsvergabe innerhalb ihrer eigenen Strukturen zu elektronisieren und die entwickelten Open-Source-Lösungen zur Verfügung zu stellen.

4.9

Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Einführung der elektronischen Instrumente für die öffentliche Auftragsvergabe überwacht und die jeweiligen Vorteile genau bestimmt werden müssen. Die Kommission sollte vom Zeitpunkt der Verabschiedung der Richtlinie an vierteljährlich einen Bericht über den Verlauf der Aufträge in qualitativer/quantitativer Hinsicht in den einzelnen Mitgliedstaaten veröffentlichen, um Rechenschaft über die bei den Verfahren erzielten Fortschritte abzulegen.

4.10

Gleichzeitig ist ein Dialog auf internationaler Ebene über den Einsatz der elektronischen Instrumente für die öffentliche Auftragsvergabe von grundlegender Bedeutung, um mehr Transparenz und Wettbewerb zu schaffen. Die Verwendung internationaler Standards hat sich erneut als ein notwendiges Instrument zu diesem Zweck herausgestellt. Daher ist eine Überwachung der entsprechenden Entwicklungen wünschenswert. Es ist insbesondere notwendig, die Verwendung von Standards (CEN-BII und PEPPOL-Spezifikationen) bei der Implementierung der e-Vergabe durch den europäischen öffentlichen Sektor zu überwachen und zu empfehlen.

Brüssel, den 14. November 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Siehe http://www.cen.eu/cwa/bii/specs/Profiles/IndexWG1.html (auf Englisch).

(2)  Vorschläge vom 20. Dezember 2011: COM(2011) 895 final, COM(2011) 896 final und COM(2011) 897 final.

(3)  Die Binnenmarktakte enthält eine Reihe von Maßnahmen zur Ankurbelung der europäischen Wirtschaft und zur Schaffung von Arbeitsplätzen.

(4)  In den Vorschlägen ist der verbindliche Einsatz der e-Vergabe spätestens zwei Jahre nach der Umsetzungsfrist vorgesehen, was nach dem derzeitigen Verabschiedungszeitplan eine Umsetzung bis Mitte 2016 ermöglichen dürfte.

(5)  Vergabeverfahren lassen sich im Wesentlichen in zwei Phasen gliedern: die Vorvergabephase und die Nachvergabephase. Die Vorvergabephase umfasst alle Teilphasen der Vergabe bis zur Auftragsvergabe (Veröffentlichung der Bekanntmachung, Zugang zu den Ausschreibungsunterlagen, Einreichung der Angebote, Bewertung der Angebote und Auftragsvergabe). Die Nachvergabephase umfasst alle Teilphasen nach der Auftragsvergabe (Bestellung, Rechnungsstellung und Bezahlung).

(6)  Siehe Stellungnahme des EWSA: ABl. C 191 vom 29. Juni 2012, S. 84.

(7)  http://ec.europa.eu/information_society/newsroom/cf/fiche-dae.cfm?action_id=181.

(8)  www.base.gov.pt/.

(9)  Siehe http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.events-and-activities-e-procurement-interventions.24416 (auf Englisch).