4.10.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 299/128


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sicherstellung und Einziehung von Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union“

COM(2012) 85 final – 2012/0036 (COD)

2012/C 299/23

Berichterstatter: Edouard DE LAMAZE

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 15. März 2012 bzw. am 4. April 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

"Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sicherstellung und Einziehung von Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union"

COM(2012) 85 final — 2012/0036 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 28. Juni 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 482. Plenartagung am 11./12. Juli 2012 (Sitzung vom 11. Juli) mit 142 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt die Initiative der Kommission zur Stärkung des derzeitigen EU-Gesetzgebungsrahmens bezüglich der Sicherstellung und Einziehung von Erträgen aus Straftaten. Er teilt die Bedenken des Europäischen Parlaments und des Rates und erinnert an die Tatsache, dass das organisierte Verbrechen zunimmt und komplexer wird, insbesondere da es nicht an den Grenzen halt macht und über erhebliche Mittel verfügt. Mangels europäischer Harmonisierung nutzen die kriminellen Organisationen die am wenigsten restriktiven Gesetzgebungen aus; die Bemühungen auf europäischer Ebene müssen dringend gesteigert werden. Da es um die Sicherheit der Unionsbürger geht, ist ein Vorgehen der EU gemäß Artikel 5 Absatz 3 und Artikel 67 AEUV voll und ganz gerechtfertigt.

1.2   Der EWSA weist jedoch darauf hin, dass dieses Vorgehen unter umfassender Wahrung der einschlägigen einzelstaatlichen Gewohnheiten und Vorgehensweisen geplant und umgesetzt werden muss. Dabei sind die besonderen Empfindlichkeiten, insbesondere in Bezug auf die Besonderheiten des zu bekämpfenden Verbrechens, zu berücksichtigen.

1.3   Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit eines umfassenden und integrierten operativen Ansatzes und bedauert daher, dass in dem vorliegenden Vorschlag der gemeinsame Besitzstand im Bereich der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit nicht aufgegriffen wird. Der erste Schritt bestünde in einer Ausweitung der Befugnisse der Vermögensabschöpfungsstellen sowie von Eurojust, um die Erträge aus Straftaten zu ermitteln und aufzuspüren. Des Weiteren plädiert der EWSA für die Förderung:

einer besseren Zusammenarbeit, die die eingesetzten Mittel sowie alle für die Verfolgung, Verhütung und Verurteilung von großangelegten illegalen Transaktionen verantwortlichen Behörden umfasst;

einer gemeinsamen Kultur aller relevanten Fachkräfte;

eines horizontalen Ansatzes für alle Generaldirektionen der Kommission;

einer Harmonisierung der Steuerpolitik und der Verfahren; hierzu könnte die EU-2020-Strategie beitragen.

1.3.1   Über die notwendige Koordinierung und den systematischen Informationsaustausch zwischen der nationalen Vermögensabschöpfungsstellen hinaus ist es nach Ansicht des EWSA notwendig, langfristig eine europäische Zentralisierung in diesem Bereich anzusteuern, entweder mittels einer spezifischen neuen Struktur, oder unmittelbar durch Eurojust. Angesichts der Herausforderungen kann die Bekämpfung des organisierten Verbrechens nicht lediglich im Rahmen einer bloßen Zusammenarbeit bewerkstelligt werden.

1.4   Im Sinne der Wirksamkeit der Maßnahmen in Bezug auf die Sicherstellung und Einziehung von Erträgen aus Straftaten ist ein ganzheitlicher Ansatz für alle Bereiche der Regelung erforderlich, wobei der Aspekt der Wiederverwendung des eingezogenen Vermögens in erster Linie für soziale Zwecke stärker beachtet werden muss.

Diesbezüglich muss unbedingt verhindert werden, dass kriminelle Organisationen bei einem Direktverkauf wieder in den Besitz der Vermögensgegenstände kommen können.

1.5   Der EWSA erinnert schließlich daran, dass die wirksame Bekämpfung des organisierten Verbrechens in keiner Weise eine Missachtung der Grundrechte rechtfertigen kann, insbesondere der in der Charta der Grundrechte festgelegten Rechte der Verteidigung.

2.   Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.1   In dem Richtlinienvorschlag werden Mindestvorschriften der Mitgliedstaaten über die Sicherstellung und Einziehung von kriminellem Vermögen (direkte und indirekte Erträge aus Straftaten sowie Tatwerkzeuge) festgelegt, um die legale Wirtschaft vor einer Infiltrierung durch Verbrecherorganisationen zu schützen. Rechtsgrundlage des Vorschlags ist Artikel 83 Absatz 1 AEUV, weshalb er sich auf die sog. "EU-Straftatbestände" (einschließlich Straftaten, die im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangen werden) beschränkt, jedoch nur, insofern diese bereits Gegenstand einer Harmonisierung auf europäischer Ebene waren.

2.2   In diesem Vorschlag, der die Gemeinsamen Maßnahme 98/699/JI und teilweise die Rahmenbeschlüsse 2001/500/JI (1) und 2005/212/JI (2) ersetzt, werden

die geltenden Vorschriften über die Einziehung von Tatmitteln und Erträgen aus Straftaten im Anschluss an eine rechtskräftige Verurteilung sowie die Einziehung ihres Wertersatzes aufgenommen (Artikel 3);

die Vorschriften über die erweiterte Einziehung geändert (Artikel 4), indem eine einzige Mindestvorschrift an die Stelle der derzeitigen optionalen Vorschriften tritt. Diese ist im Falle einer Verjährung oder der Anwendung des Grundsatzes "ne bis in idem" nicht anwendbar.

2.3   Durch den vorliegenden Vorschlag werden außerdem neue Bestimmungen eingeführt; diese ermöglichen:

die Einziehung ohne vorherige Verurteilung (Artikel 5), wenn eine strafrechtliche Verurteilung wegen Tod oder dauerhafter Erkrankung der betreffenden Person ausgeschlossen ist oder wenn Krankheit oder Flucht der Person eine wirksame Strafverfolgung innerhalb einer angemessenen Frist verhindert und die Gefahr besteht, dass die Strafverfolgung durch Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfristen ausgeschlossen wird;

die Einziehung von Vermögensgegenständen bei Dritten, die hätten wissen müssen, dass es sich bei den Vermögensgegenständen um aus Straftaten erlangte Erträge handelte (Artikel 6);

die umgehende und einstweilige Sicherstellung von Vermögensgegenständen, wenn die Gefahr ihres Verlusts besteht; solche von den zuständigen Behörden ergriffenen Maßnahmen bedürfen einer gerichtlichen Entscheidung (Artikel 7);

die Durchführung von Finanzermittlungen zur Vollstreckung noch nicht vollstreckter Einziehungsentscheidungen, d.h. auch nach Abschluss des Strafverfahrens (Artikel 9);

die ordnungsgemäße Verwaltung der sichergestellten Vermögen, damit sie ihren wirtschaftlichen Wert nicht verlieren, bevor sie eingezogen werden (Artikel 10).

2.4   Diese Einschränkungen der Grundrechte (3) werden durch Mindestgarantien kompensiert, durch die die Achtung der Unschuldsvermutung, das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf und das Recht auf Rechtsbelehrung gewährleistet werden sollen (Artikel 8).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Angesichts der erheblichen menschlichen, sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Kosten, die durch das organisierte Verbrechen verursacht werden, sowie der Beeinträchtigungen, die es für die Rechte und Freiheiten der Bürger und der Binnenmarktakteure mit sich bringt und somit deren Vertrauen untergräbt, unterstreicht der EWSA die wesentliche Rolle der Maßnahmen zur Einziehung bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens, da sich dies gegen seinen wichtigsten Daseinsgrund - das Streben nach Profit - richtet.

3.2   Der EWSA begrüßt die Ziele dieser Initiative zur Stärkung des diesbezüglichen europäischen Rechtsrahmens; die Notwendigkeit dieser Verschärfung wurde seit langem sowohl vom Europäischen Parlament als auch vom Rat infolge des Stockholmer Programms betont. Er begrüßt dementsprechend den vom Europäischen Parlament unlängst eingesetzten Sonderausschuss für organisierte Kriminalität, Korruption und Geldwäsche. Dieser bestätigt den Willen, die Bekämpfung dieser Übel an die Spitze der politischen Prioritäten der EU zu setzen.

3.3   Der EWSA plädiert dafür, sich die schwierigen Umstände aufgrund der Krise und die beunruhigende Zunahme illegaler Aktivitäten in der EU vor Augen zu halten. Er fordert stärkere Harmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung krimineller Netze und ihrer Vermögen.

3.4   Vor dem Hintergrund der Krise ruft der EWSA dazu auf, die wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten nicht zu vernachlässigen, die die Einziehung von illegalen Gewinnen (die mitunter enorme Beträge ausmachen) und ihre Zuführung in den legalen Wirtschaftskreislauf bieten. Er hebt des Weiteren hervor, dass die Bekämpfung des organisierten Verbrechens die positiven Wechselwirkungen verstärkt, die ein solcher Ansatz durch ein besseres Funktionieren des Binnenmarktes aufgrund der Verringerung der die legalen Unternehmen schädigenden Wettbewerbsverzerrung auslöst.

3.5   Notwendigkeit eines umfassenden und integrierten operativen Ansatzes

3.5.1   Die wirksame Bekämpfung des organisierten Verbrechens muss auf einem umfassenden Konzept beruhen. Der EWSA bedauert deshalb, dass die Harmonisierung der Sicherstellung und Einziehung nicht Teil eines umfassenden Instruments ist, das den gemeinsamen Besitzstand in Bezug auf die unter der alten dritten Säule angenommene justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit einschließt, denn dies sind ergänzende und untrennbare Elemente ein und derselben Politik.

3.5.2   Der EWSA betont, dass im Sinne der Wirksamkeit der Maßnahmen in Bezug auf Sicherstellung und Einziehung von Erträgen aus Straftaten ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich ist, um zu einer Regelung zu gelangen, die alle damit verbundenen Aspekte berücksichtigt. Dabei ist insbesondere zu vermeiden, dass kriminelle Vereinigungen bei einem Direktverkauf wieder in den Besitz der Vermögensgegenstände kommen können.

3.5.3   Im Sinne der Kohärenz, größerer Rechtssicherheit und einer Umsetzung und Anwendung der europäischen Rechtsvorschriften fordert der EWSA, in der Richtlinie auf den Beschluss 2006/783/JI über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen und den Beschluss 2007/845/JI über die Zusammenarbeit zwischen den Vermögensabschöpfungsstellen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Aufspürens und der Ermittlung von Erträgen aus Straftaten zu verweisen.

3.5.4   Die Maßnahmen zur Sicherstellung und Einziehung können nämlich nur dann wirksam durchgeführt werden, wenn sie auf einem wirksamen System für die Ermittlung und das Aufspüren von Erträgen aus Straftaten – einschließlich der Erträge, die einer Geldwäsche unterzogen wurden – beruhen.

3.5.5   Bezüglich der Wiederverwendung der eingezogenen Vermögensgegenstände betont der EWSA, dass die Mitgliedstaaten Mechanismen der Zusammenarbeit entwickeln müssen, um den Austausch bewährter Verfahren unter den zuständigen nationalen Behörden zu fördern.

3.5.6   Diesbezüglich erinnert der EWSA an:

die Notwendigkeit, den Vermögensabschöpfungsstellen den Zugang zu Finanzinformationen zu erleichtern (insbesondere zu Informationen über Bankkonten) (4);

die Vorteile für die Mitgliedstaaten, die eine umfassende Nutzung der Möglichkeiten von Eurojust mit sich bringt, dessen Mehrwert hinsichtlich grenzübergreifender Untersuchungen und Verfolgungen auf der Hand liegt und der die Interaktion zwischen den Vermögensabschöpfungsstellen und den Justizbehörden fördern kann;

die Dringlichkeit einer Ausweitung der Initiativbefugnisse von Eurojust – insbesondere der Befugnis zur Einleitung von Untersuchungen;

die Vorteile einer Zusammenarbeit aller für die Verfolgung, Verhütung und Verurteilung von großangelegten illegalen Transaktionen verantwortlichen Behörden (digitale Daten, wechselseitiger Austausch von Informationen, Personal, Sachverstand und Ausrüstung);

die Dringlichkeit, mit der eine gemeinsame Kultur für diese Missionen in Europa durch den Austausch von Zoll-, Polizei-, Steuer- und Justizbeamten geschaffen werden sollte,

die notwendigen Synergien, die in dieser Hinsicht zwischen den verschiedenen Generaldirektionen der Europäischen Kommission geschaffen werden müssen;

die erforderliche Harmonisierung bezüglich Besteuerung und der Verfahren, um die Schlupflöcher des organisierten Verbrechens in Europa zu stopfen;

die Notwendigkeit, die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und die EU-2020-Strategie miteinander zu verbinden.

3.5.7   Da der Erfolg und die Wirkung bestimmter einzelstaatlicher Schritte bei der Zentralisierung der Maßnahmen zur Einziehung von Vermögen auf nationaler Ebene (5) nahelegt, diese Erfahrung auf die europäische Ebene zu übertragen, schlägt der EWSA vor, über die notwendige Koordinierung und den systematischen Informationsaustausch zwischen der nationalen Vermögensabschöpfungsstellen hinaus auch eine langfristige europäische Zentralisierung in diesem Bereich zu prüfen. Diese könnte entweder mittels einer spezifischen neuen Struktur, oder unmittelbar durch Eurojust erreicht werden. Auch wenn diese Zentralisierung derzeit auf heikle nationale Empfindlichkeiten bezüglich der gemeinsamen Nutzung bestimmter Datenbanken stößt, muss sie als – wenngleich langfristiges – Ziel erwogen werden. Eine bloße Zusammenarbeit reicht nicht aus, um die Ziele im Bereich der Bekämpfung des organisierten Verbrechens zu erreichen.

3.5.8   Der EWSA erinnert schließlich daran, dass die europäische Strategie für die Einziehung ihre volle Wirkung nur dann entfalten kann, wenn sie Teil eines weltweiten Konzepts ist, und bedauert daher, dass dieser wesentliche Aspekt in dem Vorschlag nicht angeschnitten wird.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Zu Artikel 1 des Richtlinienvorschlags: Ersetzung des Wortlauts "von Vermögensgegenständen in Strafsachen" durch "von aus Straftaten resultierenden Vermögensgegenständen".

4.2   Zu Artikel 2 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags: Gegenstand der Maßnahmen zur Sicherstellung und Einziehung

4.2.1   Der EWSA begrüßt die Ausweitung dieser Maßnahmen auf die indirekten Erträge; dies ist ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem Beschluss 2005/212/JI.

4.3   Zu Artikel 3 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags: Einziehung des Wertersatzes

4.3.1   Der EWSA empfiehlt, diese Einziehung auf für Straftaten eingesetzte Vermögensgegenstände ("Tatwerkzeuge" genannt) auszuweiten. Er sieht keinen Grund, diese Maßnahme auf Erträge aus Straftaten zu beschränken. Der EWSA unterstreicht, dass die Definition von "Tatwerkzeugen" die Verkehrsmittel einschließt, die zur Verschiebung der Erträge aus Straftaten innerhalb der EU eingesetzt werden.

4.4   Zu Artikel 4 des Richtlinienvorschlags: Erweiterte Einziehungsmöglichkeiten

4.4.1   Der EWSA begrüßt die Vereinfachung, die der Erlass einer neuen, einheitlichen Norm in diesem Bereich darstellt. Denn die im Beschluss 2005/212/JAI vorgesehenen verschiedenen Möglichkeiten haben zu einer übermäßigen Vielfalt an nationalen Ansätzen geführt, die der reibungslosen Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung abträglich.

4.4.2   Der EWSA bedauert jedoch zutiefst, dass das Kriterium des Missverhältnisses zwischen dem Wert der Vermögensgegenstände und den legalen Einkünften nicht mehr an hervorgehobener Stelle angeführt (6), sondern lediglich unter den "konkreten Tatsachen" impliziert wird, aufgrund derer das Gericht eine Entscheidung fällt (Artikel 4 Absatz 1). Schließlich ist dieses Kriterium ein entscheidender Faktor derjenigen nationalen Gesetzgebungen, die in Bezug auf die Bekämpfung des organisierten Verbrechens am weitesten fortgeschritten sind. Der EWSA nimmt die Entscheidung der Kommission zur Kenntnis, den nationalen Gerichten die Beibehaltung dieses Kriteriums zu überlassen und fordert das Europäische Parlament und den Rat auf, dieses Kriterium wieder einzuführen und nach den Worten "die einer wegen einer Straftat verurteilten Person gehören," folgenden Wortlaut einzufügen: "im Verhältnis zum rechtmäßigen Einkommen dieser Person". Der EWSA fordert gleichzeitig die nationalen Behörden auf, diesem Kriterium größte Bedeutung zukommen zu lassen.

4.5   Zu Artikel 5 des Richtlinienvorschlags: Einziehung ohne vorherige Verurteilung

4.5.1   Auch wenn es grundsätzlich problematisch scheint, dass eine Einziehung mit der Tatsache vereinbar sein soll, dass die betreffende Person nicht für die Taten zur Rechenschaft gezogen wird, die Anlass für diese Maßnahme geben, erkennt der EWSA den praktischen Nutzen einer solchen Maßnahme an und unterstützt sie, weil sie wirksam ist. Sie dürfte im Übrigen die gegenseitige Anerkennung mit den Ländern mit "Common law"-Systemen erleichtern, die bereits zivilrechtliche Einziehungsverfahren anwenden.

4.5.2   Der EWSA fürchtet jedoch, dass die Einführung des Konzepts der "dauerhaften Erkrankung der verdächtigten oder beschuldigten Person" zahlreiche Täuschungsmanöver ermöglicht. Da sich jede Person gemäß Unionsrecht von einem Anwalt vertreten lassen kann, legt der EWSA nahe, den Verweis auf eine Erkrankung nicht als Kriterium für die Einziehung ohne vorherige Verurteilung gelten zu lassen und fordert deshalb, den entsprechenden Passus im Richtlinienvorschlag (in Artikel 5) zu streichen.

4.6   Zu Artikel 7 des Richtlinienvorschlags: Sicherstellung

4.6.1   Der EWSA erinnert daran, dass das Gerichtsverfahren und somit auch die Rechte der Verteidigung nicht einfach deswegen ausgeschlossen werden können, weil dies für die wirksame Vollstreckung notwendig ist.

4.6.2   Der EWSA ist der Ansicht, dass jegliche Sicherstellung innerhalb einer angemessenen Frist von einem Gericht bestätigt werden muss; die zuständige Verwaltungsbehörde sollte jedoch befugt sein, sofortige Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen.

4.7   Zu Artikel 8 des Richtlinienvorschlags: Garantien in Bezug auf die Rechte der Verteidigung

4.7.1   Entsprechend des vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Ansatzes zur fallspezifischen Bewertung der Verhältnismäßigkeit bestimmter Maßnahmen, die das Eigentumsrecht einschränken (wie die erweiterte Einziehung, die Einziehung ohne vorherige Verurteilung und die Dritteinziehung), sieht dieser Vorschlag Mindestgarantien und Rechtsmittel für die Betroffenen vor. Auch wenn die Erinnerung an das Recht auf ein faires Verfahren überflüssig erscheint, ist zu präzisieren, dass jegliche gerichtliche Einziehungsentscheidung begründet und allen Betroffenen mitgeteilt werden muss.

4.7.2   Im Einklang mit den europäischen Rechtsvorschriften zur Geldwäschebekämpfung unterstreicht der EWSA, dass im Zusammenhang mit dem entsprechenden künftigen Instrument vorgesehen werden muss, dass die Person, deren Vermögensgegenstände eingezogen wurden, uneingeschränktes Recht auf Prozesskostenhilfe hat.

4.7.3   Der Beschuldigte darf nach Meinung des EWSA nicht über weniger Rechte verfügen als der als Verwahrer der entsprechenden Vermögensgegenstände tätige Dritte. Um diesbezüglich jegliche Zweifel auszuräumen, schlägt der EWSA eine Änderung des Wortlauts von Absatz 1 vor: "Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass alle Personen, die von den in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen betroffen sind, zur Wahrung ihrer Rechte über das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und das uneingeschränkte Recht auf Prozesskostenhilfe verfügen. Jede gerichtliche Einziehungsentscheidung ist zu begründen und dem Betroffenen mitzuteilen."

4.8   Zu Artikel 9 des Richtlinienvorschlags: Wirksame Vollstreckung

4.8.1   Das an sich legitime Ziel, die wirksame Vollstreckung der Einziehungsentscheidung zu gewährleisten, berechtigt aus der Sicht des EWSA nach einer rechtskräftigen Verurteilung nicht zur Ergreifung weiterer Maßnahmen, die über die richterliche Entscheidung hinausgehen. Dabei geht es um den erforderlichen Schutz der Grundsätze des fairen Verfahrens und der Festlegung des Strafmaßes. Akzeptabel bleiben natürlich nur "weitere Untersuchungen im Rahmen einer Fortführung der wirksamen Vollstreckung der von der Gerichtsbehörde angeordneten Strafe".

4.8.2   Der EWSA erinnert daran, dass zu der eigentlichen Einziehung die Verurteilung zu Geldstrafen sowie Steuer- und Zollbußgeldern in Bezug auf die Gesamtheit der illegal erworbenen Vermögensgegenstände kommen kann, um ein Gegengewicht zum Risiko des Betrugs zulasten des Staates zu schaffen. Er empfiehlt daher, die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in der Richtlinie vorzusehen, damit jeder Mitgliedstaat sicher sein kann, dass diese Strafen auch vollstreckt werden. Eine solche Bestimmung wäre für die Wirksamkeit der Strafverfolgung unerlässlich.

4.9   Die Frage der Verwendung und der Rückgabe der eingezogenen Vermögensgegenstände

4.9.1   Die Frage der Verwendung dieser Mittel ist keinesfalls nachrangig, sondern beeinflusst unmittelbar die unfassende Wirksamkeit der Einziehungsstrategie. Da der Direktverkauf der Gegenstände es den kriminellen Organisationen oftmals ermöglicht, diese erneut über dunkle Kanäle in ihren Besitz zu bringen, unterstreicht der EWSA, dass diese Gegenstände in erster Linie für soziale Zwecke verwendet werden sollten, wie es z.B. in Italien der Fall ist. Dieser Ansatz bietet den doppelten Vorteil der Verhütung von organisiertem Verbrechen und der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, wie auch das Europäische Parlament (7) festgehalten hat.

4.9.2   Der EWSA unterstreicht die Überlegungen der GD JUST zu diesem Aspekt der sozialen Verwendung von Erträgen aus Straftaten. Hierbei gibt es verschiedene Möglichkeiten, die über die zentralen Behörden der Mitgliedstaaten laufen. Diese Möglichkeiten sollten untersucht und auf die Opfer, den allgemeine Nutzen und die Art der sichergestellten Vermögensgegenstände abgestimmt werden.

4.9.3   Die notwendige Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit darf die EU nicht davon abhalten, einen diesbezüglichen Rechtsrahmen, und sei es auch nur ein allgemeiner, vorzuschlagen. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten eindringlich auf, bewährte Verfahren in diesem Bereich auszutauschen.

4.9.4   Dies setzt zunächst eindeutige Vorschriften für die Rückgabe voraus, da es des Öfteren vorkommt, dass es sich bei dem Staat, auf dessen Gebiet die Vermögensgegenstände sichergestellt wurde, nicht um den Staat handelt, an den diese zurückgegeben werden müssen. Aus Gründen der Gerechtigkeit und zur Festlegung einheitlicher Regeln für die Mitgliedstaaten fordert der EWSA, dass die EU diese Frage klärt, insbesondere hinsichtlich des Rahmenbeschlusses von 2006, der eine hälftige Aufteilung zwischen den Mitgliedstaaten vorsieht.

Brüssel, den 11. Juli 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Rahmenbeschluss über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten.

(2)  Rahmenbeschluss über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten.

(3)  Bzw. Verstöße gegen ihre Grundsätze.

(4)  Siehe Bericht der Kommission vom 12. April 2011 zu Artikel 8 des Beschluss 2007/845/JI.

(5)  Etwa in Frankreich ("AGRASC") und in den Niederlanden ("BOOM").

(6)  Dieses Kriterium stellte einen der drei Fälle dar, die diesbezüglich im Beschluss 2005/212/JAI (Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe c) vorgesehen waren.

(7)  Bericht über die organisierte Kriminalität in der EU, Oktober 2011.