4.10.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 299/103


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Auflegung des Programms ‚Justiz‘ für den Zeitraum 2014 bis 2020“

COM(2011) 759 final – 2011/0369 (COD)

2012/C 299/19

Berichterstatter: Edouard DE LAMAZE

Der Rat beschloss am 9. Februar 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

"Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Auflegung des Programms ‧Justiz‧ für den Zeitraum 2014 bis 2020"

COM(2011) 759 final — 2011/0369 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 28. Juni 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 482. Plenartagung am 11./12. Juli 2012 (Sitzung vom 11. Juli) mit 126 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt das mit dem Verordnungsvorschlag verbundene Ziel der Vereinfachung und Rationalisierung und unterstützt die Wahl der Kommission zugunsten der Option B. Die Zusammenfassung der Programme "Ziviljustiz" und "Strafjustiz" ist aufgrund der Ähnlichkeit der Ziele, der Akteure und der zu finanzierenden Maßnahmenarten gerechtfertigt.

1.2   Nach Ansicht des EWSA bleibt jedoch die Frage, ob es ungeachtet der in dem Vorschlag angeführten juristischen Begründungen sinnvoll ist, innerhalb des neuen Programms "Justiz" für den Zeitraum 2014-2020 neben den beiden ersten spezifischen Zielen – nämlich der ordnungsgemäßen Anwendung des Unionsrechts im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen und die Verbesserung des Zugangs zur Justiz – ein drittes, nämlich die Drogenprävention und die Reduzierung der Drogennachfrage und des Drogenangebots einzuführen. Abgesehen von der Tatsache, dass das letztgenannte Ziel lediglich eine Ausprägung des ersten zu sein scheint, macht der EWSA darauf aufmerksam, welche Außenwirkung die Aufnahme eines solchen Ziels in ein Regelwerk mit starker, unmittelbarer und direkter Geltung für Rechtssuchende, Verbände, NGO und andere mögliche Empfänger von Finanzhilfen haben kann: es könnte der Eindruck entstehen, dass der Kommission andere, ebenso wichtige Themen, wie etwa die Bekämpfung von Menschenhandel, ein weniger großes Anliegen sind.

1.3   In noch stärkerem Maße ist der EWSA beunruhigt durch das Signal, das die Kommission damit aussendet: Er wiederholt seine bereits mehrfach geäußerte Haltung, dass bei der Bekämpfung von Drogen der Schwerpunkt stärker auf Aufklärung, Gesundheit und soziale Aspekte als auf repressive Maßnahmen gelegt werden sollte (1).

1.4   Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die Verwaltung der Mittel des derzeitigen Programms im Hinblick auf eine Anpassung an die Bedürfnisse der Zivilgesellschaft möglichst flexibel zu handhaben ist, dass den potenziellen Bewerbern größtmöglicher Freiraum gelassen, die Kreativität der Projekte gefördert und künftige politische Vorgaben berücksichtigt werden sollten.

1.5   Auch wenn für die verschiedenen Prioritäten keine bestimmten Beträge festgesetzt werden können, sollte jedoch nach Ansicht des EWSA die Aufteilung der vorhandenen Mittel auf die einzelnen Ziele – und sei es nur als Richtwert – im Vorfeld bekannt sein.

1.6   Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission für das spezifische Ziel der Drogenbekämpfung nicht mehr Haushaltsmittel vorsieht als diesem Ziel anteilmäßig zustehen. Er fordert die Kommission dazu auf, ihrer Selbstverpflichtung nachzukommen und schlägt vor, entsprechend den Möglichkeiten der künftigen Richtlinie über die Sicherstellung und Einziehung von Erträgen aus Straftaten dieses Ziel teilweise aus Mitteln zu finanzieren, die aus der Sicherstellung und Einziehung von Erträgen aus dem Drogenhandel gewonnen werden.

1.7   Trotz der Komplexität der derzeit geltenden Haushaltsordnung betont der EWSA, dass Informationen über die Voraussetzungen für den Erhalt von Finanzmitteln allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern in verständlicher Form und in allen Sprachen der EU zugänglich gemacht werden müssen. Auf die Relevanz der Projekte und deren Förderung würde sich dies sicherlich positiv auswirken, und zwar auch in den Mitgliedstaaten, die in den betroffenen Programmen bislang unterrepräsentiert sind. Der EWSA betont, dass der gleichberechtigte Zugang aller EU-Bürger zu diesen Programmen gefördert werden muss.

1.8   Zudem sollte der Begriff des europäischen Mehrwerts, der bei der Auswahl der Programme ausschlaggebendes Kriterium ist, näher beschrieben werden. Der EWSA zeigt sich zwar erfreut darüber, dass die finanzielle Ausstattung für das Programm angehoben wurde; da diese Mittel aber naturgemäß beschränkt sind, sollten sie nach Ansicht des EWSA zielgerichteter für Projekte verwendet werden, deren europäischer Mehrwert eindeutig festgestellt wurde. Transnationale Projekte müssen gefördert werden.

1.9   Da bestimmte wesentliche Aspekte bei der Umsetzung des Programms (insbesondere die Aufteilung der Mittel) in den jährlichen Arbeitsprogrammen genauer geklärt werden müssten, ist der EWSA der Ansicht, dass deren Annahme durch die Kommission in Form von Durchführungsrechtsakten das Prüfverfahren und nicht, wie in dem Vorschlag vorgesehen, das Beratungsverfahren erfordert. Auf diese Weise könnte sichergestellt werden, dass diese Programme von der Kommission nicht ohne Billigung des gemäß Verordnung Nr. 182/2011 eingerichteten Ausschusses (aus Vertretern der Mitgliedstaaten) angenommen werden.

1.10   Der EWSA weist darauf hin, dass in Zusammenhang mit den förderungsfähigen Maßnahmen (Artikel 6) die Prioritäten besser herausgestellt werden müssten, und ist insbesondere der Ansicht, dass der Schwerpunkt stärker auf die Umstellung der Justiz auf papierlose Verfahren gelegt werden sollte, da in diesem Bereich hinsichtlich eines leichteren Zugangs für alle noch großer Handlungsbedarf besteht.

1.11   Der EWSA ist erfreut über die neue Ausrichtung, die in dem aktuellen Vorschlag erkennbar wird und dazu dienen soll, alle Angehörige von Rechtsberufen, insbesondere auch Anwälte, in die justizielle Aus- und Fortbildung auf europäischer Ebene einzubeziehen, da diese ebenso wie Richter zu einer ordnungsgemäßen Anwendung des EU-Rechts beitragen. Zudem ist es diese Berufsgruppe, zu der Rechtssuchende zuerst Kontakt aufnehmen. Sie sind diejenigen, die Klage erheben.

1.12   Ebenso hebt der EWSA hervor, dass Angehörige der verschiedenen Rechtsberufe, mit der notwendigen finanziellen Unterstützung ausgestattet, in die Netze der grenzübergreifenden justiziellen Zusammenarbeit aufgenommen werden müssen. Einem neuen politischen Impuls zur Stärkung der Rechte der Verteidigung folgend, fordert der EWSA insbesondere dazu auf, schnellstmöglich dem aus seiner Sicht inakzeptablen faktischen oder rechtlichen Ausschluss der Anwälte aus der Mehrzahl der Netze für die grenzübergreifende justizielle Zusammenarbeit entgegenzuwirken.

1.13   Für den gemeinsamen Raum des Rechts und insbesondere für den Bereich Familienrecht muss nach Ansicht des EWSA die Charta der Grundrechte als "Harmonisierungskompass" die Bezugsgröße sein. In einem Kontext, der noch immer von sehr unterschiedlichen Kulturen und Rechtsauffassungen geprägt ist, hat der EWSA zudem mehrfach – zuletzt in Zusammenhang mit dem Güterrecht (2) – darauf hingewiesen, dass ein zusätzlicher optionaler Rechtsrahmen (das sog. 28. Regime) – gefördert werden sollte.

2.   Inhalt des Verordnungsvorschlags

2.1   Im Hinblick auf eine Vereinfachung und Rationalisierung hat die Kommission beschlossen, die Zahl ihrer Finanzierungsprogramme zur Verwirklichung des europäischen Raum des Rechts und der Justiz zu reduzieren und dafür zu sorgen, dass sich alle Personen, seien es Bürger, Partner oder Angehörige eines Rechtsberufs, mit ihren Rechten, deren Wahrnehmung und Durchsetzung vertraut machen können. Neben dem Programm "Rechte und Unionsbürgerschaft" (3) umfasst das Programm "Justiz" für den Zeitraum 2014-2020 auch die Programme "Ziviljustiz", "Strafjustiz" und "Drogenprävention und –aufklärung".

2.2   In dem vorliegenden Vorschlag für eine Verordnung wird für dieses Programm ein Finanzrahmen in Höhe von 472 Mio. EUR zur Finanzierung von Maßnahmen zur Verfügung gestellt, die gegenüber Einzelmaßnahmen der Mitgliedstaaten einen europäischen Mehrwert aufweisen. Das allgemeine Ziel ist, durch die Förderung der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen einen Beitrag zur Verwirklichung eines europäischen Rechtsraums zu leisten. Dieses Ziel ist in folgende Einzelziele unterteilt: Förderung der korrekten Anwendung des Unionsrechts in diesem Bereich (auf der Grundlage der Artikel 81 und 82 AEUV), Verbesserung des Zugangs zur Justiz sowie Drogenprävention und Reduzierung der Drogennachfrage. Bei letztgenanntem Aspekt steht nicht mehr der gesundheitliche Gesichtspunkt, sondern die Kriminalitätsbekämpfung (auf Grundlage von Artikel 84 AEUV) im Vordergrund.

2.3   Zur Verwirklichung dieser Ziele werden Weiterbildungen für Richter und Angehörige von Rechtsberufen, unter anderem für Anwälte und Notare, ebenso gefördert wie Kooperationsmaßnahmen in Form von Netzen, die zu wechselseitiger Vermittlung von Wissen und zur Vertiefung des gegenseitigen Vertrauens beitragen, und Maßnahmen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit.

2.4   Der Finanzrahmen wird unter anderem dazu dienen, eine analytische Grundlage für die Unterstützung und Weiterentwicklung der Unionspolitik zu finanzieren. Um flexibler handeln zu können, wird in dem Vorschlag für die einzelnen Maßnahmenbereiche kein bestimmter Betrag festgelegt.

2.5   Die jährlichen Prioritäten des Programms werden von der Kommission im Rahmen des Beratungsverfahrens in Form von Durchführungsrechtsakten angenommen.

2.6   Der Vorschlag enthält Überwachungs- und Bewertungspflichten (einschließlich einer "Zwischenbewertung").

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Die Verwirklichung eines europäischen Rechtsraums stellt ein öffentliches Gut für die EU dar, dessen Vorteile allen, Bürger und Partnern, zugutekommen. Der europäische Rechtsraum hat Auswirkungen auf wichtige Aspekte des Lebens und des Alltags (Scheidung, Aufnahmerecht, Besuchsrecht bei Kindern, Erbschaft, Vormundschaft, handelsrechtliche Streitsachen, verbraucherrechtliche Streitsachen, … aber auch auf das Strafrechts) und trägt durch Förderung der Zusammenarbeit im Bereich der Verbrechensbekämpfung zu mehr Sicherheit innerhalb des Territoriums der EU bei.

3.2   Da sich die beiden Programme "Justiz" und "Rechte und Unionsbürgerschaft" funktionell ergänzen ist der EWSA der Ansicht, dass der europäische Raum des Rechts und der Freiheit nur einen Sinn hat im Zusammenhang mit den Rechten, die jedem EU-Bürger, unabhängig von seinem Wohnort, gewährt werden, und dass das vorliegende Programm nach diesem Maßstab gemessen werden sollte.

3.3   Im Hinblick auf einen gemeinsamen Raum des Rechts und insbesondere das Familienrecht hebt der EWSA hervor, dass die Charta der Grundrechte als "Harmonisierungskompass" der entsprechende Bezugsrahmen sein muss. In einem Kontext, der von sehr unterschiedlichen Kulturen und Rechtsauffassungen geprägt ist, hat der EWSA zudem mehrfach – zuletzt in Zusammenhang mit dem Güterrecht (4) – darauf hingewiesen, dass ein zusätzlicher optionaler europäischer Rechtsrahmen (das sog. 28. Regime) gefördert werden sollte. Ein solcher rechtlicher Rahmen ermöglicht eine weitergehende Anerkennung der Rechte von EU-Bürgern und die wirksame Bekämpfung möglicher Diskriminierungen, von denen diese betroffen sein können, wenn sie durch die Gesetzgebung in dem Land, dessen Staatsbürger sie sind, weniger Rechte erhalten als dies in einem anderen Mitgliedstaat der Fall wäre.

3.4   Die Wahrung der Rechte, insbesondere der Grundrechte innerhalb der EU ist ein Wert an sich, zu dem die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen einen Beitrag leisten muss. Die Impulse für Wachstum und Beschäftigung auf dem Binnenmarkt können jedoch beträchtlich sein und müssen insbesondere durch die Förderung von Fortbildungsmaßnahmen für Angehörige von Rechtsberufen besser genutzt werden (5). Der EWSA weist darauf hin, dass sich eine bessere Zusammenarbeit in Zivilsachen und folglich eine schnellere Regelung grenzübergreifender Streitigkeiten beträchtlich auf die Dynamik der grenzübergreifenden Aktivitäten von Unternehmen auswirken würde.

3.5   Obwohl sich die vorangehenden Programme ("Ziviljustiz", "Strafjustiz" und "Drogenprävention und –aufklärung" für den Zeitraum 2007-2013) als effizient erwiesen haben, ist ihre zahlenmäßige Reduzierung und dementsprechend die Reduzierung der Durchführungsbestimmungen an sich positiv zu bewerten. Die Verwirklichung der verschiedenen Ziele wird hierdurch vereinfacht. Neben der Harmonisierung der Verfahren ist es nach Ansicht des EWSA wichtig, die Komplexität der Verfahren selbst zu reduzieren.

3.6   Insbesondere begrüßt der EWSA sehr nachdrücklich die Vereinfachung und Rationalisierung, die durch die Zusammenlegung der Programme "Ziviljustiz" und "Strafjustiz" erreicht wurde; Diese Zusammenfassung begründet sich durch den Wegfall der dritten Säule im Vertrag von Lissabon sowie durch die Ähnlichkeit der Ziele, der Akteure und der in diesen beiden juristischen Bereichen zu finanzierenden Maßnahmenarten (vor allem hinsichtlich e-Justiz und Bildungsmaßnahmen).

3.7   Der EWSA spricht sich, insbesondere für die Mitgliedstaaten, die bislang wenig von den zur Verfügung stehenden Fördermitteln profitiert haben, für die Förderung von Projekten im Bereich Strafjustiz aus. Da dieser Bereich erst eingeführt wurde, ist hier ein europäischer Ansatz noch nicht selbstverständlich und sollte weiter ausgebaut werden.

3.8   Das Programm "Drogenprävention und -aufklärung", das auf eine Rechtsgrundlage aus dem Bereich Gesundheitswesen gestützt ist, sieht der EWSA hingegen kritischer. Es ist ihm ein Anliegen, dass auch weiterhin in erster Linie Aspekte aus dem Bereich Gesundheitswesen abgedeckt werden, und er macht auf die Überschneidungen aufmerksam, die mit den im Rahmen des künftigen Fonds für die innere Sicherheit finanzierten Maßnahmen zu einem rein repressiven Ansatz führen würden. Er bekräftigt seine Ansicht, dass im Bereich der Drogenbekämpfung ein in erster Linie präventiver Ansatz entwickelt werden muss, der Drogenabhängigen Hilfe und Behandlungsmöglichkeiten bietet. Hier ist eine stärkere Sensibilisierung seitens der Richter und Rechtsanwälte gefragt.

3.9   Auch im Hinblick darauf, dass für das spezifische Ziel der Drogenbekämpfung nicht ein unverhältnismäßig großer Teil der Gesamtmittel aufgewandt werden sollte, schlägt der EWSA vor, dieses Ziel teilweise aus Mitteln zu finanzieren, die aus der Sicherstellung und Einziehung von Erträgen aus dem Drogenhandel gewonnen werden (6).

3.10   Obwohl sich der EWSA über die genaue Art der Maßnahmen, die zur Prävention von Kriminalität in Zusammenhang mit illegalem Drogenhandel finanziert werden, nach wie vor nicht im Klaren ist, zeigt er sich zufrieden damit, dass in dem Finanzrahmen in Höhe von 472 Mio. EUR für die Umsetzung des derzeitigen Programms eine deutlich höhere Unterstützung vonseiten der Kommission erkennbar wird.

3.11   Im Hinblick darauf, dass die "europäischen Kollektivgüter" sowie die "Maßnahmen […] in den Bereichen, in denen die EU bessere Ergebnisse erzielen kann […] Mittel aus dem EU-Haushalt erhalten" (7), weist der EWSA darauf hin, dass die vorhandenen Mittel stärker auf solche Projekte konzentriert werden sollten, die einen europäischen Mehrwert geltend machen können (Artikel 3), und zwar insbesondere im Bereich Strafrecht, in dem die Mitgliedstaaten einem Einwirken des Gemeinschaftsrechts noch mit einer gewissen Zurückhaltung begegnen.

3.12   Nach Auffassung des EWSA muss im Hinblick auf eine effiziente Zuweisung der Mittel aus dem Unionshaushalt auf Kohärenz, Komplementarität und Synergieeffekte zwischen den verschiedenen Finanzierungsprogrammen geachtet werden, insbesondere mit dem Programm "Rechte und Unionsbürgerschaft" für den Zeitraum 2014-2020. Umgekehrt sollte auch stärker auf mögliche Überschneidungen geachtet werden.

3.13   Der EWSA stellt mit Zufriedenheit fest, dass sich die Projekte, obwohl sie im Rahmen der jährlichen Arbeitsprogramme ausgewählt werden, auf mehrere Jahre erstrecken können, und damit für ihre Entfaltung und zur Erreichung ihrer Ziele ausreichend Zeit bleibt. Er stellt das Prinzip der Kofinanzierung zwar nicht in Frage, bezweifelt aber, dass dessen mögliche Änderung wirklich begründet ist (8).

3.14   Trotz der Komplexität der derzeit geltenden Haushaltsordnung betont der EWSA, dass Informationen über die Voraussetzungen für den Erhalt von Finanzmitteln allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern in klarer und verständlicher Form und in allen Sprachen der EU zugänglich gemacht werden müssen. Zudem sollte der Begriff des europäischen Mehrwerts nach Ansicht des EWSA näher beschrieben werden. Auf die Relevanz der Projekte und deren Förderung würde sich dies sicherlich positiv auswirken, und zwar auch in den Mitgliedstaaten, die in den gewählten Programmen bislang unterrepräsentiert sind. Der EWSA betont, dass auf einen gleichberechtigten Zugang aller EU-Bürger zu diesen Programmen hingearbeitet werden muss.

3.15   Zugleich ist der EWSA erstaunt darüber, dass der Finanzbogen zu dem Rechtsakt keinerlei, auch nur unverbindliche, Angaben über die Aufteilung der Mittel auf die spezifischen Ziele enthält. Ohne in Frage stellen zu wollen, dass bei der Verwaltung der Mittel eine gewisse Flexibilität legitim und notwendig ist, möchte der EWSA deutlich machen, dass entsprechende Informationen im Voraus bekannt gegeben werden sollten.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Zur justiziellen Aus- und Fortbildung auf europäischer Ebene

4.1.1   Da ohne gegenseitiges Vertrauen kein echter Fortschritt erzielt werden kann, unterstützt der EWSA Maßnahmen für eine gemeinsame europäische Rechtskultur, die ganz gezielt auf die Rechtspraxis und die Rechtsausübung ausgerichtet ist und sich durch die Kenntnis der nationalen Rechtssysteme sowie ein entsprechendes Verständnis auszeichnet. Im Hinblick auf eine funktionierende Rechtshilfe innerhalb der EU muss insbesondere für Personen, die an Rechtsstreitigkeiten innerhalb der anderen nationalen Rechtssysteme beteiligt sind, der Schutz von Verfahrensrechten gewährleistet sein.

4.1.2   Der EWSA ist der Auffassung, dass die justizielle Aus- und Fortbildung auf europäischer Ebene für Angehörige von Rechtsberufen ein wesentliches Element des neuen Programms ist, das stärker herausgestellt werden sollte. Häufig aus mangelndem Interesse und fehlender Sensibilisierung der Juristen fällt die Anwendung des europäischen Rechts in den einzelnen Mitgliedstaaten noch immer allzu unterschiedlich aus. Deutlich zutage tritt dies bei Zollangelegenheiten. Der EWSA weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die justizielle Aus- und Fortbildung auf europäischer Ebene konsequent weiter gefördert werden muss. Dies ist umso wichtiger im Hinblick auf das Ziel der Kommission, bis 2020 jährlich 20 000, insgesamt also 700 000 Juristen auszubilden (9). Wie die Kommission zu Recht hervorhebt, ist im europäischen Raum des Rechts und der Freiheit für eine bessere Kommunikation von Juristen über die nationalen Grenzen hinweg die Sprachausbildung unabdingbare Voraussetzung.

4.1.3   Der EWSA hält es für unumgänglich, insbesondere Rechtsanwälte in diese Bildungsmaßnahmen einzubeziehen, was umso eher gerechtfertigt erscheint, als deren Ausbildung in einigen Mitgliedstaaten mit der Ausbildung von Richtern zusammenfällt. Rechtsanwälte sind in Rechtsfragen die ersten Ansprechpartner. Von deren kompetenter Beratung hängt der Zugang der betreffenden Personen zu den Gerichten ab. Ebenso wie die Richter und Staatsanwälte sollten sie von den Finanzierungsinitiativen der EU profitieren können. Die Qualität des Zugangs zur Justiz innerhalb des europäischen Rechtsraums ist hiervon abhängig. Auch im Hinblick auf eine größere Ausgewogenheit zugunsten der Rechte der Verteidigung ist eine solche Beteiligung unerlässlich.

4.1.4   Der EWSA bedauert zwar, dass der Begriff "Justizbedienstete" missverständlich sein kann (10), begrüßt aber die in dem vorliegenden Vorschlag für eine Verordnung von der Kommission vorgenommene Klarstellung des Begriffs, mit dem alle Angehörigen der Rechtsberufe, also auch Rechtsanwälte und Notare, die wesentlich zur ordnungsgemäßen Anwendung des EU-Rechts beitragen, erfasst werden sollen. Der EWSA begrüßt, dass die Kommission im Rahmen des Pilotprojekts zur justiziellen Aus- und Fortbildung auf europäischer Ebene, das in diesem Jahr gestartet werden soll, diesen Ansatz offenbar entschlossen verfolgen will.

4.1.5   Nach Ansicht des EWSA wäre es sinnvoll, bestimmte objektive Kriterien festzulegen, denen die Programme für die justizielle Aus- und Fortbildung entsprechen sollten, um als förderfähig anerkannt zu werden. Eines dieser Kriterien müsste unbedingt der Hinweis auf die Charta der Grundrechte sein. Inwieweit diese Programme den aufzustellenden Kriterien entsprechen, sollte durch regelmäßige gründliche Kontrollen überwacht und kontrolliert werden. Der EWSA betont, dass die Zuteilung dieser Fördermittel an die streng zu überwachende Qualität der Programme gebunden sein muss.

4.1.6   Der EWSA hält es für besonders wichtig, dass im Rahmen der Programme für die justizielle Aus- und Fortbildung von Richtern und Anwälten die spezifischen Aspekte der Drogenabhängigkeit angesprochen und ein juristischer Ansatz entwickelt wird, der den gesundheitlichen und sozialen Aspekten Rechnung trägt sowie auf die Vermeidung von Rückfällen ausgerichtet ist.

4.2   Zur grenzübergreifenden justiziellen Zusammenarbeit

4.2.1   Der EWSA fordert, schnellstmöglich einen seiner Ansicht nach inakzeptablen Missstand zu beheben und dafür zu sorgen, dass Anwälte nicht länger von den Netzen der grenzübergreifenden justiziellen Zusammenarbeit ausgeschlossen werden. Das Netz für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen gehört zwar zu Eurojust und ist nicht Teil des vorliegenden Programms, aber es ist doch vielsagend, dass die Mitwirkung von Rechtsanwälten hierbei nicht vorgesehen ist. Das derzeitige Ungleichgewicht zugunsten der Anklage lässt sich nicht durch die knappen finanziellen Mittel rechtfertigen. Auch mit beschränkten Mitteln muss es möglich sein, bei Streitsachen mit grenzübergreifendem Bezug den Grundsatz der Waffengleichheit vor Gericht zu wahren.

4.2.2   Diese Forderung setzt insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung des Europäischen Haftbefehls voraus, dass die Anwälte in der Lage sind, rasch einen zuständigen Anwalt in einem anderen Mitgliedstaat zu benennen, der sich Einsicht in die Akten verschaffen kann und der imstande ist, zu den spezifisch nationalen verfahrensrechtlichen Fragen in diesem anderen Mitgliedstaat, und allgemeiner zu Fragen lokaler Natur, Beratung zu leisten. Die neuen Bestimmungen, die mit dem Vorschlag für eine Richtlinie über das Recht auf Rechtsbeistand in Strafverfahren eingeführt werden und die im Rahmen des europäischen Haftbefehls den Grundsatz des Zugangs zu zwei Rechtsbeiständen (einen im Ausstellungsmitgliedstaat und einen im Vollstreckungsmitgliedstaat) etablieren, sind ein weiteres Argument (wenn es denn dessen bedürfte) für die umfassende Beteiligung von Rechtsanwälten an den Netzen für die grenzübergreifende justizielle Zusammenarbeit. Der EWSA sieht daher dem Beitrag, den das künftige grenzüberschreitende Netz aus Strafverteidigern zu der Arbeit der zunehmenden Zahl von Anwälten in grenzübergreifenden Rechtssachen leisten kann, erwartungsvoll entgegen. Im Hinblick auf Kohärenz und Effizienz fordert er die Kommission dazu auf, entsprechend dem Bedarf Mittel für die Unterstützung dieses Netzes zur Verfügung zu stellen.

4.2.3   Gleichermaßen bedauert der EWSA, dass in dem Netz für Zivil- und Handelssachen Anwälte und Notare in der Praxis eine unbedeutende Rolle spielen, während in den entsprechenden Dokumenten vorgesehen ist, dieses Netz vom 1. Januar 2011 an für diese Berufsgruppen sowie für Gerichtsvollzieher zu öffnen, da diese Berufsgruppen zur Anwendung gemeinschaftlicher Rechtsakte und internationaler Instrumente einen unmittelbaren Beitrag leisten. Auch in diesem Fall ist für das reibungslose Funktionieren des Netzes eine ausreichende finanzielle Unterstützung Voraussetzung.

4.2.4   Angesichts der vielfach vonseiten zahlreicher Rechtsberufe aufkommenden Initiativen in Gestalt kleiner, oft kostspieliger Strukturen, empfiehlt der EWSA, im Sinne der Kohärenz und der Koordinierung dieser Netze kohärente Strukturen (11) zu schaffen, die einer echten europäischen justiziellen Architektur als Grundlage dienen können.

4.3   E-Justiz

4.3.1   Die Umstellung der Justiz auf papierlose Verfahren ist ein wesentlicher Aspekt, der nach Ansicht des EWSA in dem vorliegenden Vorschlag nicht ausreichend zur Geltung kommt. Die Konsequenzen einer solchen Umstellung für den Zugang zur Justiz, unter anderem auch für Bürger in schwierigen sozialen Situationen oder behinderte Menschen, sollte gründlich untersucht werden. Im gemeinsamen Interesse sowohl der Rechtssuchenden als auch der Vertreter von Rechtsberufen besteht auf diesem Gebiet noch erheblicher Handlungsbedarf.

4.3.2   Der EWSA erwartet in dieser Hinsicht von der Kommission klare Vorgaben: die Förderung der im Bereich E-Justiz zur Verfügung stehenden Instrumente scheint derzeit mehr auf die breite Öffentlichkeit als auf Juristen abzuzielen. Damit begründete Entscheidungen der Justiz sowie deren Übereinstimmung mit dem europäischen Recht gewährleistet werden können, ist es jedoch wichtig, die Nutzung dieser Instrumente durch entsprechend ausgebildete Vertreter von Rechtsberufen zu fördern.

4.3.3   Der EWSA stellt zufrieden fest, dass der in dem Vorschlag vorgesehene finanzielle Rahmen zur Verbesserung der entsprechenden IT-Netze beitragen kann (Artikel 8, Absatz 2). Seine Aufmerksamkeit gilt insbesondere dem Projekt einer Suchmaschine für Rechtsanwälte auf dem E-Justiz-Portal und dem Projekt E-CODEX, mit dem die Interoperabilität der nationalen E-Justiz-Systeme hergestellt werden soll. Er weist darauf hin, dass zur Gewährleistung der Sicherheit und Effizienz dieser Netze die berufliche Identität der Anwälte durch Anwaltskammern zertifiziert werden muss.

4.4   Indikatoren

4.4.1   Die Indikatoren bedürfen sicherlich noch einer eingehenderen Untersuchung. Der EWSA ist erfreut darüber, dass die Kommission inzwischen entsprechende Überlegungen sowohl zur jährlichen Überwachung als auch zur Zwischenbewertung und zur abschließenden Bewertung anstellt. Insbesondere sollte im Zusammenhang mit dem Zugang zur Justiz das rein subjektive Kriterium ("wie der Zugang zur Justiz von der europäischen Öffentlichkeit wahrgenommen wird") genauer bestimmt werden. Im Bereich Aus- und Weiterbildung erscheint es sinnvoll, den öffentlich-privaten Partnerschaften mehr Geltung zu verschaffen, an denen Hochschulen, Einrichtungen der juristischen Aus- und Fortbildung sowie Anwaltskammern beteiligt sind. Obwohl die Kosten für die Überwachung (im weiteren Sinne), die im Finanzbogen zu dem Rechtsakt zwischen 3 und 6 % der Gesamtmittel veranschlagt sind, im Laufe der Umsetzung des Programms voraussichtlich sinken werden, sollte dafür nach Ansicht des EWSA eine Obergrenze festgelegt werden.

4.5   Modalitäten der Annahme der jährlichen Arbeitsprogramme

4.5.1   Mit Blick auf die jährlichen Arbeitsprogramme, die die Kommission in Form von Durchführungsrechtsakten annimmt, stellt sich der EWSA die Frage, wieso in diesem Zusammenhang das Beratungsverfahren gewählt wurde. Das Prüfverfahren, mit dem sichergestellt wird, dass diese Programme nicht von der Kommission angenommen werden, ohne dass sie dem Standpunkt des gemäß Verordnung Nr. 182/2011 eingerichteten Ausschusses (aus Vertretern der Mitgliedstaaten) entsprechen, erschiene dem EWSA angemessener.

Brüssel, den 11. Juli 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und an den Rat – "Eine entschlossenere europäische Reaktion auf das Drogenproblem", verabschiedet am 24.5.2012 (ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 85).

(2)  Siehe ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 87–91.

(3)  Siehe ABl. C 191 vom 29.06.2012, S. 108-110.

(4)  Siehe Fußnote 2.

(5)  In seinem Bericht "Eine neue Strategie für den Binnenmarkt" (9. Mai 2010) betont Mario MONTI, wie wichtig eine ordnungsgemäße Anwendung des Rechts der Europäischen Union und entsprechende Fortbildungsmaßnahmen für Richter und andere Angehörige der Rechtsberufe für einen effizienteren Binnenmarkt sind.

(6)  Siehe Stellungnahme des EWSA (siehe Seite des Amtsblatts).

(7)  COM(2010) 700 final.

(8)  Derzeit ist ein 20 %-iger Beitrag erforderlich, um die verbleibenden 80 % in Form von Fördermitteln zu erhalten.

(9)  COM(2011) 551 final.

(10)  Gemäß Artikel 81 Absatz 2 Buchstabe h sowie Artikel 82 Absatz 1 Buchstabe c des AEUV zur justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen bzw. zur justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, in denen die Bezeichnungen "Richter und Justizbedienstete" verwendet werden.

(11)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. März 2012 zur juristischen Aus- und Fortbildung (2012/2575 (RSP)).