15.2.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 44/119 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Europäische Innovationspartnerschaft ‚Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit‘“
COM(2012) 79 final
2013/C 44/21
Berichterstatter: Franco CHIRIACO
Die Europäische Kommission beschloss am 29. Februar 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Europäische Innovationspartnerschaft ‚Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit‘“
COM(2012) 79 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 22. November 2012 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 485. Plenartagung am 12./13. Dezember 2012 (Sitzung vom 12. Dezember) mit 125 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) muss die Europäische Union auch weiterhin ein angemessenes Maß öffentlicher Interventionen bei der landwirtschaftlichen Innovationsförderung sicherstellen. Dabei ist nach Ansicht des EWSA eine bessere Koordinierung zwischen der Forschungspolitik im engeren Sinne und der Agrarpolitik zur Förderung von Innovation – mit besonderem Bezug auf die im Rahmen der GAP geförderten Maßnahmen – zu gewährleisten. Der EWSA ist außerdem der Auffassung, dass die Debatte über die EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ auch Anlass bieten kann für einen Beitrag zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013. |
1.2 |
Der EWSA fordert, dass die im Rahmen der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ geförderte Strategie dem Ziel der Stärkung und Konsolidierung der Branche der industriellen Verarbeitung in Europa angemessen Rechnung trägt. Nur eine angemessene Integration der verschiedenen Glieder der Lebensmittelversorgungskette macht es möglich, gleichzeitig eine Steigerung des europäischen Lebensmittelangebots, eine angemessene Verwertung der vorrangigen europäischen Erzeugnisse und deren sicheren Marktzugang zu gewährleisten. |
1.3 |
Der EWSA hält es für erforderlich, den von der Kommission vorgeschlagenen Indikator zur Leistungsbewertung der EIP-Maßnahmen im Bereich Nachhaltigkeit zu hinterfragen. Der EWSA anerkennt zwar den entscheidenden Beitrag, den eine zufriedenstellende Bodenfunktionalität zur Nachhaltigkeit leisten kann, möchte aber darauf hinweisen, dass andere Leistungsindikatoren, die den möglichen Beitrag einiger landwirtschaftlicher Verfahren – vor allem in puncto Erhaltung der natürlichen Ressourcen – zur Geltung bringen können, nicht vernachlässigt werden dürfen. |
1.4 |
Nach Auffassung des EWSA darf bei der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ nicht die Unterstützung der Umsetzung organisatorischer Innovationen zur Optimierung des Verhältnisses zwischen den Akteuren der nationalen und europäischen Lebensmittelversorgungsketten vernachlässigt werden. Ein besseres Funktionieren der europäischen Lebensmittelversorgungsketten, die Wiedergewinnung von Marktmacht der Landwirtschaftsbetriebe und eine gerechtere Verteilung der Wertschöpfung unter den Akteuren der Lebensmittelketten sind zentrale Ziele, auch um das Verschwinden der Landwirtschaft in vielen ländlichen Gebieten Europas zu verhindern. |
1.5 |
Der EWSA legt der Kommission nahe, eine angemessene Beteiligung und Einbeziehung der Vertreter der wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Partner des Agrarsektors bei der Steuerung der EIP im Sinne maximaler Wirksamkeit und Effizienz der durchzuführenden Aktivitäten zu gewährleisten. |
1.6 |
Nach Auffassung des EWSA wird der EIP-Ansatz nur dann positive Ergebnisse zeitigen, wenn die operationellen Gruppen zu Akteuren werden, die Entwicklungsprozesse mit messbaren Zielen in Gang setzen können, anstatt lediglich zu neuen Partnerschaften zu führen, die nur auf die Beantragung öffentlicher Mittel abzielen. Der EWSA begrüßt überdies den Vorschlag der Kommission, eine angemessene Koordinierung der verschiedenen operationellen Gruppen der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ mittels Vernetzung der EIP im Rahmen des Europäischen Netzwerks für ländliche Entwicklung zu gewährleisten. |
1.7 |
Nach Ansicht des EWSA leistet die EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ einen wichtigen Beitrag zur Innovation in der Landwirtschaft mittels der Vernetzung der Akteure und der Verknüpfung zwischen den Orten der Entstehung von Innovation und den Orten ihrer Anwendung. Dieser Ansatz macht deutlich, wie wichtig die Existenz von Zwischenträgern ist, die die verschiedenen, an den Innovationsketten beteiligten Akteure miteinander verbinden. Nach Dafürhalten des EWSA hängt die Wirkung der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ von der aktiven Beteiligung von Innovationsbrokern ab, die in der Lage sind, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren zur Förderung von Innovation aufzubauen und zu festigen. |
1.8 |
Für den EWSA ist von oberster Priorität, die Initiativen der operationellen Gruppen der EIP durch Maßnahmen in folgenden Bereichen zu ergänzen: Generationswechsel, technische Hilfe, Ausbildung - insbesondere für Junglandwirte, Unterstützung für strukturelle Investitionen, Förderung und Aufwertung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, Schaffung von neuen Beschäftigungsmöglichkeiten (z.B. kurze Lieferketten) sowie Diversifizierung der Betriebseinkünfte mittels bevorzugtem Zugang zu den Mitteln der Programme für die Entwicklung des ländlichen Raums. |
1.9 |
Der EWSA fordert weitere spezifische Maßnahmen, die Koordinierung und Synergien zwischen der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ und den EIP „Rohstoffe“ und „Wasser“ gewährleisten. |
2. Die Europäischen Innovationspartnerschaften (EIP)
2.1 |
Die Europäische Kommission schlägt in der Mitteilung „Leitinitiative der Strategie Europa 2020 – Innovationsunion“ europäische Investitionspartnerschaften (EIP) vor (1). Sie ist der Auffassung, dass die EIP zur Lösung verschiedener Probleme, die für die Gesellschaft von großer Bedeutung sind, beitragen müssen, wie z.B. zur Gewährleistung der Verfügbarkeit gesunder oder hochwertiger Lebensmittel dank nachhaltiger Produktionsmethoden. |
2.2 |
Die Europäische Kommission hat bislang eine erste Versuchspartnerschaft im Bereich Aktivität und Gesundheit im Alter gefördert (2). Gleichzeitig wurden die folgenden drei Vorschläge für Partnerschaften vorgelegt:
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2.3 |
Der EWSA hat bereits sein Interesse bezüglich der europäischen Partnerschaft bekundet. Gleichwohl hat er auf die zahlreichen, diesbezüglich bereits erfolgten Maßnahmen und allgemeinen Verfahren hingewiesen. So hat er betont, dass die mit diesen Initiativen gewonnenen Erfahrungen berücksichtigt werden müssen. Nach Auffassung des EWSA müssen bei der Konzeption neuer Initiativen alle von der Kommission und anderen Interessenträgern bislang durchgeführten Arbeiten zur Kenntnis genommen, konsolidiert und verwertet werden. Der EWSA empfahl, die vorgeschlagenen neuen Maßnahmen und Instrumente mit bereits bestehenden Verfahren zu harmonisieren, um zusätzliche Komplikationen und Doppelarbeit zu vermeiden und die notwendige Kontinuität, Rechtssicherheit und Beständigkeit zu gewährleisten (6). Der EWSA forderte schließlich, bei der Umsetzung der europäischen Innovationspartnerschaften die Grundsätze der Freiwilligkeit, der variablen Geometrie, der Transparenz und einer klaren, einfach handhabbaren Governance-Struktur sicherzustellen (7). |
3. Wesentlicher Inhalt der Mitteilung
3.1 |
Die Europäische Kommission hat im Rahmen der Initiative „Innovationsunion“ eine Mitteilung für die Förderung einer neuen europäischen Innovationspartnerschaft im Bereich „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ vorgelegt. |
3.2 |
Die Europäische Kommission verfolgt mit der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ zwei Ziele:
In diesem Sinne soll die EIP beitragen zu einem erfolgreichen Brückenschlag zwischen der modernen Forschung und Technologie und den Interessengruppen, darunter Landwirte, Vertreter der Wirtschaft und Industrie, Beratungsdienste und NGO. |
4. Allgemeine Bemerkungen
4.1 |
Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission zur Schaffung von Europäischen Innovationspartnerschaften (EIP). Der EWSA unterstützt insbesondere die Entscheidung der Kommission, dem Thema „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ eine besondere Initiative im Rahmen der EIP zu widmen. Nach Auffassung des EWSA kann diese Initiative auch eine gute Gelegenheit für einen Gedankenaustausch unter den Interessenvertretern des Agrarbereichs bieten. Dabei sollten die prioritären strategischen Ziele für die Entwicklung der europäischen Landwirtschaft bis 2050 herausgearbeitet werden. Der EWSA fordert die Kommission diesbezüglich auf, die in einigen seiner früheren Stellungnahmen (8) gemachten Vorschläge zu berücksichtigen. |
4.2 |
Eine der größten künftigen Herausforderungen für die Landwirtschaft sieht der EWSA darin, ein Erzeugungsmuster zu finden, das die landwirtschaftliche Produktion mit Umweltschutz und Nachhaltigkeit in Einklang bringt. Das Erreichen dieses Ziels wird durch einige Faktoren erschwert, die neuerdings den Agrar- und Ernährungsbereich weltweit kennzeichnen. Die Preisschwankungen von Agrarprodukten, die Finanzialisierung der Landwirtschaft, die vermehrte Verwendung landwirtschaftlicher Produkte zur Energieerzeugung und die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise sind ernsthafte Hindernisse für die Verwirklichung einer neuen – produktiveren und nachhaltigeren – landwirtschaftlichen Praxis. Der EWSA betont die wichtige Rolle von Forschung und Innovation in diesem Zusammenhang und ist der Ansicht, dass die EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ ein wichtiger Beitrag zur Bewältigung dieser für die Zukunft der europäischen Landwirtschaft entscheidenden Herausforderung sein kann. |
4.3 |
Der EWSA macht deutlich, dass die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der gesamten europäischen Agrar- und Ernährungswirtschaft entscheidend durch den Beitrag beeinflusst wird, den die Branchen der industriellen Verarbeitung und der Vermarktung von Lebensmitteln leisten. Diesbezüglich fordert der EWSA die Kommission auf, den Beitrag der Einfuhr von landwirtschaftlichen Rohstoffen zu den wirtschaftlichen Ergebnissen des europäischen Agrarnahrungsmittelsektors nicht zu unterschätzen. Die im Rahmen der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ geförderte Strategie sollte dem Ziel der Stärkung und Konsolidierung der Branche der industriellen Verarbeitung in Europa angemessen Rechnung tragen. Nur durch eine angemessene Integration zwischen den verschiedenen Gliedern der Lebensmittelversorgungskette wird es möglich sein, gleichzeitig eine Steigerung des europäischen Lebensmittelangebots, eine angemessene Verwertung der vorrangigen europäischen Erzeugnisse und deren sicheren Marktzugang zu gewährleisten. |
4.4 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die Kommission in der Mitteilung keine Begriffsbestimmung für Produktivität in der Landwirtschaft vorschlägt. Überlegungen zum Begriff der Produktivität in der Landwirtschaft müssen notwendigerweise von einer gemeinsamen Definition für Produktion ausgehen. Der EWSA hat in verschiedenen Stellungnahmen (9) darauf hingewiesen, wie wichtig die Erhaltung des europäischen Agrarmodells ist, und daran erinnert, dass die verschiedenen Funktionen der Landwirtschaft (Erzeugung von Lebens-, Futtermitteln und Faserstoffen, Umweltschutz, Entwicklung des ländlichen Raums, Beitrag für bewohnbare ländliche Räume, ausgewogene räumliche Entwicklung, Lebensmittelqualität und Tierschutz) der Bevölkerung der Union ein ernstes Anliegen sind. Nach Auffassung des EWSA sollte jedes Engagement für die Erhöhung der Produktivität der Landwirtschaft darauf abzielen, den multifunktionalen Charakter der Landwirtschaft zur Geltung zu bringen und eine ausgewogene Entwicklung des Sektors zu fördern, ohne auch nur einen Wirkungsbereich des europäischen Agrarmodells zu vernachlässigen. |
4.5 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass außerdem beim Begriff der Produktivität in der Landwirtschaft der Beitrag der verschiedenen Produktionsfaktoren angemessen gewürdigt werden muss. Zahlreiche Untersuchungen der landwirtschaftlichen Produktivität neigen dazu, ausschließlich den Beitrag technischer Faktoren (Boden, Wasser, Dünger, Pflanzenschutzmittel und Saatgut) hervorzuheben und den grundlegenden Beitrag des menschlichen Faktors – insbesondere bei der hochwertigen Erzeugung – nicht ausreichend zu würdigen. Nach Auffassung des EWSA wird es folglich nicht möglich sein, eine Strategie zur Förderung und Aufwertung der Produktivität in der Landwirtschaft zu konzipieren, ohne geeignete Maßnahmen (bezüglich Ausbildung und Sicherheit) zur Verbesserung der Qualität der Arbeit in der Landwirtschaft vorzusehen. |
4.6 |
Im Hinblick auf die Umsetzung der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ hält es der EWSA für sinnvoll, sich über den Begriff der Nachhaltigkeit Gedanken zu machen, um auch die Besonderheiten des europäischen Agrarmodells und die Entwicklungen und Herausforderungen im weltweiten Kontextzu berücksichtigen. In Bezug auf die Nachhaltigkeit bei der Landwirtschaft möchte der EWSA insbesondere an den Beitrag der Multifunktionalität zum Erreichen dieses Ziels erinnern. Diesbezüglich betont der EWSA, dass Multifunktionalität eine der Landwirtschaft innewohnende Eigenschaft ist, die auch unter dem Aspekt der Förderung der nachhaltigen Entwicklung bewahrt und zur Geltung gebracht werden muss. |
4.7 |
Der EWSA erinnert an die bemerkenswerten Forschritte des europäischen Agrarsektors bezüglich der drei Bestandteile der nachhaltigen Entwicklung (Wirtschaft, Soziales und Umwelt). Der EWSA weist indes darauf hin, dass die nachhaltige Entwicklung ohne angemessene Berücksichtigung der institutionellen Aspekte von Nachhaltigkeit nicht sichergestellt werden kann. Aus diesem Grund hebt er hervor, dass eine angemessene Beteiligung und Einbeziehung aller Akteure des Agrarsektors auch mittels der Maßnahmen der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ gefördert werden muss, um einen möglichst großen Beitrag des europäischen Agrarmodells zum Nachhaltigkeitsziel zu gewährleisten. |
4.8 |
Der EWSA begrüßt die Entscheidung der Kommission, landwirtschaftliche Nachhaltigkeit zu einem der vorrangigen Ziele der EIP zu machen. Der EWSA hält es jedoch für erforderlich, den von der Kommission vorgeschlagenen Indikator zur Leistungsbewertung der EIP-Maßnahmen im Bereich Nachhaltigkeit zu hinterfragen. Der EWSA anerkennt zwar den entscheidenden Beitrag, den eine zufriedenstellende Bodenfunktionalität zur Nachhaltigkeit leisten kann, möchte aber darauf hinweisen, dass andere Leistungsindikatoren, die den Beitrag einiger landwirtschaftlicher Verfahren vor allem in puncto Erhaltung der natürlichen Ressourcen zur Geltung bringen, nicht vernachlässigt werden dürfen. |
4.9 |
Nach Auffassung des EWSA sollte schließlich der Begriff der Innovation in der Landwirtschaft vertieft werden, um die Besonderheiten des europäischen Agrarmodells zu untersuchen und zu verdeutlichen. Im Zeitraum zwischen den Sechziger und den Achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war – auch dank der Innovationen im Zuge der grünen Revolution – ein deutlicher Anstieg der landwirtschaftlichen Erzeugung zu verzeichnen. Diese Verbesserung der Erzeugungsleistungen ging jedoch aufgrund des immer massiveren Einsatzes von chemischen Produkten (Dünger, Herbizide und Pestizide) sowie von Treibstoff für die maschinelle Bearbeitung zu Lasten der ökologischen Nachhaltigkeit der Landwirtschaft. Wenngleich der EWSA davon überzeugt ist, dass die Ernährungssicherheit ein grundlegendes Menschenrecht ist, hält er das Paradigma der grünen Revolution für ungeeignet, diese entscheidende künftige Herausforderung zu meistern. In diesem Sinne müssen innovative Prozesse in der Landwirtschaft auf eine organische Entwicklungsstrategie für den Sektor ausgerichtet sein, die auf eine effiziente Nutzung aller Produktionsfaktoren (Boden, Wasser, Arbeitskraft, Energie) und die Förderung hochwertiger Erzeugung abzielt und den multifunktionellen Charakter der Landwirtschaft unterstützt. |
4.10 |
Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass die Potenziale des europäischen Agrarmodells genutzt und verteidigt werden müssen. Der multifunktionale Charakter der Landwirtschaft muss unbedingt anerkannt und ihr potenzieller Beitrag zur Gewährleistung einer nachhaltigen Entwicklung genutzt werden. Diese Erweiterung der Funktionen und des Aufgabenbereichs der Landwirtschaft führt dazu, dass die Innovationsstrategien für den Sektor überdacht werden müssen. Nach Auffassung des EWSA müssen die Grenzen der Interventionsbereiche neu definiert werden, wobei die zunehmenden Interaktionen zwischen der Landwirtschaft und anderen produktiven Bereichen zu berücksichtigen sind. Die Innovationsstrategien müssen deshalb in immer geringerem Maße sektorspezifisch konzipiert werden und immer mehr auf die Gesamtheit aller derjenigen Aktivitäten abzielen, die als Bio-Wirtschaft bezeichnet werden. |
4.11 |
Der EWSA fordert die Kommission auf, keine Innovationsmöglichkeit für den Agrarsektor außer Acht zu lassen. Der EWSA weiß durchaus, dass Prozessinnovationen in der Landwirtschaft und ihre Verbreitung einer angemessenen Unterstützung bedürfen. Er fordert gleichwohl dazu auf, Innovationen im Bereich der Vermarktung, der Erprobung neuer Organisationsformen der Betriebe sowie zur Optimierung des Verhältnisses zwischen den Akteuren der nationalen und europäischen Lebensmittelversorgungsketten mehr Beachtung zu schenken. |
4.12 |
Was Produktinnovationen betrifft, verweist der EWSA auf die wachsende Aufmerksamkeit der Privatpersonen für die Entwicklung, Verbreitung und Vermarktung sog. funktioneller Lebensmittel (functional food). Der EWSA ist sich der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Bedeutung dieser neuartigen Handelsgüter bewusst. Er verweist indes darauf, dass Verfahren für Produktinnovationen unterstützt werden sollten, die zwar private Initiativen beinhalten mögen, die aber in erster Linie der Notwendigkeit gerecht werden, der gesamten Bevölkerung einen wesentlichen Nutzen zu bringen. |
4.13 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommission für die EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ sehr ehrgeizige Ziele gesteckt hat. Im Sinne des größtmöglichen Erfolgs der Initiative hält es der EWSA für notwendig, für maximale Synergien zwischen dieser EIP und den verschiedenen Politikbereichen der Union zu sorgen (Unternehmen, Klimapolitik, branchenübergreifende Maßnahmen, Wirtschaft, Finanzen und Steuern, Beschäftigung und soziale Rechte, Energie und natürliche Ressourcen, Umwelt, Verbraucher und Gesundheit, Außenbeziehungen und auswärtiges Handeln, Regionen und lokale Entwicklung, Wissenschaft und Technologie). Besonders ist darauf zu achten, dass die Kohärenz zwischen der EIP-Initiative und den Inhalten und Instrumenten der Gemeinsamen Agrarpolitik gewährleistet wird. |
4.14 |
Der EWSA unterstreicht die Auswirkungen, die die Entscheidungen der EU im Bereich der Handelspolitik auf die Erzeugungsleistung der Landwirtschaft haben können. Was zum Beispiel den Anbau von Eiweißpflanzen betrifft, hat die Entscheidung der EU für eine Senkung der verschiedenen Formen der Unterstützung zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Akteure dieser Branche geführt. Dies zeigt nach Auffassung des EWSA, dass die Verbesserung der Produktivität einiger Agrarsektoren nicht ausschließlich von der Höhe der dem Sektor übertragenen Mittel abhängt, sondern auch durch wirksame Handelsmaßnahmen erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang sollte darauf hingewiesen werden, dass es im Hinblick auf die Verbesserung der Rentabilität der Landwirtschaft notwendig ist, jede Politik zur Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivität durch Maßnahmen zu flankieren, die den erforderlichen Marktzugang der zusätzlichen Erzeugungsmenge gewährleisten. |
4.15 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die Welt insgesamt und die einzelnen Länder enorme Vorteile aus dem Produktivitätswachstum in der Landwirtschaft gezogen haben. Ein erheblicher Teil dieser Vorteile ist auf den technologischen Fortschritt dank öffentlicher Investitionen in den Bereichen Forschung und Entwicklung im Landwirtschaftssektor zurückzuführen. Es ist empirisch nachgewiesen, dass der Nutzen die Kosten bei Weitem übersteigt. Nach Auffassung des EWSA muss die Europäische Union auch weiterhin ein angemessenes Maß öffentlicher Interventionen bei der landwirtschaftlichen Innovationsförderung sicherstellen. Dabei muss nach Ansicht des EWSA eine bessere Koordinierung zwischen der Forschungspolitik im engeren Sinne und der Agrarpolitik zur Förderung von Innovation – mit besonderem Bezug auf die im Rahmen der GAP geförderten Maßnahmen – gewährleistet werden. Der Beitrag, den sowohl die entkoppelten Direktzahlungen der ersten Säule als auch die strukturpolitischen Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums im Sinne der Verbreitung des technischen Fortschritts leisten können, sollte verbessert werden. |
4.16 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die Debatte über die EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ parallel zu den Gesprächen über den neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU stattfindet. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt steht die genaue Höhe der Beträge noch nicht fest, die die EU zur Durchführung der verschiedenen Gemeinschaftspolitiken aufwenden möchte. Der EWSA hält es für wichtig, dass die EU in Übereinstimmung mit den Zielen der Strategie Europa 2020 die europäischen Forschungs- und Innovationsprogramme angemessen unterstützt. In Bezug auf den Agrarsektor fordert der EWSA, die Haushaltsmittel von 5,1 Mrd. EUR, die im Rahmen des MFR 2014-2020 ausdrücklich für Forschung und Innovation in der Landwirtschaft ausgewiesen sind, mindestens beizubehalten. |
5. Besondere Überlegungen
5.1 |
Der EWSA begrüßt das Bestreben der Europäischen Kommission, eine neue Form der Governance für die Umsetzung von Innovationsprozessen einzuführen. Er fordert indes, die Kriterien für die Zusammensetzung des Lenkungsgremiums zu klären, das die Erarbeitung des mehrjährigen strategischen Arbeitsplans der EIP überwachen wird. |
5.2 |
Nach Auffassung des EWSA muss für größtmögliche Synergien zwischen der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ und den anderen, bereits von der Kommission im Bereich der sektorspezifischen Innovationsförderung unterstützten Initiativen (Ständiger Agrarforschungsausschuss, ERA-NET und europäische Technologieplattformen) gesorgt werden. Der EWSA hatte bereits auf den Mehrwert und den Nutzen einer gemeinsamen Planung im Bereich Agrarforschung bezüglich ihrer Auswirkungen auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit hingewiesen (10). Der EWSA fordert außerdem weitere Informationen zu den Maßnahmen, die zur Gewährleistung von Koordinierung und Synergien zwischen der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ und den EIP „Rohstoffe“ und „Wasser“ geplant sind. |
5.3 |
Der EWSA hält den von der Kommission vorgestellten Rahmen für die EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ für sehr ehrgeizig. Seiner Auffassung nach ist der für die Funktionsweise der operationellen Gruppen vorgesehene „Bottom-Up“-Ansatz eine begrüßenswerte Innovation. Der EWSA schlägt vor, auch mögliche Verwaltungsprobleme zu bedenken, die sich bei der Umsetzung der neuen EIP-Strategie ergeben könnten. Nach seiner Auffassung wird der EIP-Ansatz nur dann positive Ergebnisse zeitigen, wenn die operationellen Gruppen zu Akteuren werden, die Entwicklungsprozesse mit messbaren Zielen in Gang setzen können, anstatt lediglich zu neuen Partnerschaften zu führen, die nur auf die Beantragung öffentlicher Mittel abzielen. |
5.4 |
Nach Ansicht des EWSA muss bei der Umsetzung des EIP-Ansatzes sichergestellt werden, dass für die potenziell an den operationellen Gruppen beteiligten Akteure keine weiteren Schwierigkeiten und Probleme entstehen. Er weist insbesondere darauf hin, dass die Umsetzung der EIP-Initiative für die Verwaltungsbehörden und Zahlstellen, die bei der Auswahl, Finanzierung, Überwachung und Kontrolle der Aktivitäten im Zusammenhang mit der EIP beteiligt sind, Verwaltungskosten verursachen könnte. Der EWSA sieht die Gefahr, dass dies – auch mit Blick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis – den Mehrwert der EIP-Initiative schmälern könnte. |
5.5 |
Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Kommission für die Durchführung der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ den von der Weltbank mit dem „Agricultural Innovation System“ (AIS) vorgeschlagenen systemischen Ansatz übernimmt. Dieser zielt auf die Schaffung eines Netzes von Organisationen, Unternehmen und Einzelpersonen ab, um neue Produkte, Verfahren und Organisationsformen marktfähig zu machen. Dies erfolgt im Einklang mit den Institutionen und Politiken, die sich auf die Art der Interaktion der verschiedenen Akteure sowie darauf auswirken, welchen Zugang sie zu Wissen haben und wie sie dieses teilen, austauschen und verwerten. Dieser Ansatz macht deutlich, wie wichtig die Existenz von Zwischenträgern ist, die die verschiedenen, an den Innovationsketten beteiligten Akteure miteinander verbinden. Nach Ansicht des EWSA hängt die Wirkung der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ von der aktiven Beteiligung von Innovationsbrokern ab, die in der Lage sind, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren zur Förderung von Innovation aufzubauen und zu festigen. |
5.6 |
Der EWSA begrüßt den Kommissionsvorschlag, eine angemessene Koordinierung der verschiedenen operationellen Gruppen der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ mittels Vernetzung der EIP im Rahmen des Europäischen Netzwerks für ländliche Entwicklung zu gewährleisten. Der EWSA fordert weitere Angaben bezüglich der von der Kommission zu ergreifenden Maßnahmen, damit das Europäische Netzwerk für die ländliche Entwicklung dieser neuen Aufgabe nachkommen kann. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Ausbildung des Personals, damit es über angemessene Fähigkeiten und Kompetenzen verfügt. |
5.7 |
Die neuen globalen Herausforderungen (Liberalisierung der Märkte, Bevölkerungswachstum und Knappheit der natürlichen Ressourcen) steigern das Interesse für das Thema der Innovation in der Landwirtschaft. Die vorliegenden Erkenntnisse belegen die Risiken im Zusammenhang einer Innovation, die im Tempo hinter den Erwartungen zurückbleibt, und dem Vorherrschen klassischer Innovationen z.B. im Bereich der Mechanisierung oder der Pflanzensorten gegenüber Innovationen im Bereich neuer Märkte, direkte Verarbeitung, neue Anbaumethoden und Zertifizierungen. Nach Ansicht des EWSA leistet die EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ einen wichtigen Beitrag zur Innovation in der Landwirtschaft mittels der Vernetzung der Akteure und der Verknüpfung zwischen den Orten der Entstehung von Innovation und den Orten ihrer Anwendung. |
5.8 |
Der EWSA betont, dass die Innovationsneigung in der Landwirtschaft auch von den persönlichen Eigenschaften des Landwirts oder seiner Familie, den strukturellen Besonderheiten des Betriebs, den Marktbedingungen sowie dem allgemeinen (kulturellen oder institutionellen) Umfeld des Betriebs abhängt. Diesbezüglich ist es für den EWSA von oberster Priorität, die Initiativen der operationellen Gruppen der EIP durch Maßnahmen in folgenden Bereichen zu ergänzen: Generationswechsel, technische Hilfe, Ausbildung - insbesondere für Junglandwirte, Unterstützung für strukturelle Investitionen, Förderung und Aufwertung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, Schaffung von neuen Beschäftigungsmöglichkeiten (z.B. kurze Lieferketten) sowie Diversifizierung der Betriebseinkünfte mittels bevorzugtem Zugang zu den Mitteln der Programme für die Entwicklung des ländlichen Raums. |
5.9 |
Der EWSA erinnert daran, dass bei der Programmplanung für die Entwicklung des ländlichen Raums im Zeitraum 2007-2013 eine neue Maßnahme zur Förderung der „Zusammenarbeit bei der Entwicklung neuer Produkte, Verfahren und Technologien in der Land- und Ernährungswirtschaft sowie im Forstsektor“ (11) eingeführt wurde. Er hält es für sinnvoll, die Koordinierung und Nutzung von Synergien zwischen den Maßnahmen der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ einerseits und den bislang im Bereich der ländlichen Entwicklung gewonnenen Erfahrungen andererseits sicherzustellen. Diesbezüglich sollten die Stärken und Schwächen bei der Umsetzung der Kooperationsprojekte (mithilfe der Zwischenbewertungen der Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums) ermittelt werden, um sie bei der Konzeption der operationellen Durchführung der Maßnahmen im Rahmen der EIP „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ zu berücksichtigen. |
Brüssel, den 12. Dezember 2012
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) COM(2010) 546 final – Leitinitiative „Innovationsunion“ im Rahmen der Europa-2020-Strategie.
(2) COM(2012) 83 final – „Den strategischen Durchführungsplan der Europäischen Innovationspartnerschaft ‚Aktivität und Gesundheit im Alter‘ voranbringen“.
(3) COM(2012) 82 final – „Rohstoffe für das künftige Wohlergehen Europas nutzbar machen - Vorschlag für eine EIP für Rohstoffe“.
(4) COM(2012) 79 final – „Innovationspartnerschaft ‚Produktivität und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft‘“.
(5) COM(2012) 216 final – „Innovationspartnerschaft für Wasser“.
(6) Stellungnahme des EWSA zur „Innovationsunion“ (ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 39, Ziffer 3.5).
(7) Stellungnahme des EWSA zur „Innovationsunion“ (ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 39, Ziffer 4.4).
(8) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die Zukunft der Junglandwirte“ (ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 19-24, Ziffer 3.5) und Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die Rolle der Frau als treibende Kraft für ein Entwicklungs- und Innovationsmodell in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum“ (ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 29-33).
(9) Stellungnahme des EWSA zur „Reform der GAP 2013“ (ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 35-42); Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die GAP bis 2020“ (ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 116-129) und Stellungnahme des EWSA zur „Zukunft der GAP“ (ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 63-70).
(10) Stellungnahme des EWSA zur „Agrarforschungsagenda“ (ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 107, Ziffer 1.3).
(11) Artikel 29 der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER).