31.7.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 229/32


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2014-2020“

COM(2011) 398 final — 2011/0177 (APP)

und der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Haushalt für Europa 2020“

COM(2011) 500 final

2012/C 229/06

Berichterstatter: Stefano PALMIERI

Mitberichterstatter: Jacek KRAWCZYK

Die Europäische Kommission beschloss am 29. Juni 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlager zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Haushalt für Europa 2020

COM(2011) 500 final.

Der Rat beschloss am 19. Oktober 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgende Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2014-2020

COM(2011) 398 final — 2011/0177 (APP).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. Mai 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 481. Plenartagung am 23./24. Mai 2012 (Sitzung vom 24. Mai) mit 165 gegen 9 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) versteht, dass die Europäische Kommission in einem schwierigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kontext beim neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) um einen Kompromiss zwischen zwei gegensätzlichen Anforderungen bemüht ist. Die erste Anforderung ist der Wille einiger Mitgliedstaaten, aufgrund der Krise die Bereitstellung öffentlicher Mittel einzuschränken, wobei dies unweigerlich die weitere Debatte und den Inhalt der abschließenden Einigung beeinflussen wird. Andererseits besteht die Anforderung, die großen Aufgaben, vor denen die EU steht und die sich aus dem Lissabon-Vertrag und der Europa-2020-Strategie ergeben, angemessen und wirksam anzugehen.

1.2   Europa befindet sich nämlich wegen der akuten Finanz- und Wirtschaftskrise und mangels einer gemeinsamen Reaktion in den einzelnen Mitgliedstaaten in Schwierigkeiten. Dadurch wird nicht nur das Funktionieren der Europäischen Union bedroht, sondern sogar ihre Zukunftsperspektiven werden in Frage gestellt.

1.3   Der EWSA bekräftigt seinen bereits in früheren Stellungnahmen vertretenen Standpunkt, und stimmt hierin mit dem Europäischen Parlament und dem Ausschuss der Regionen überein, dass eine Aufstockung des EU-Haushalts angesichts derart ambitionierter Aufgaben für die Union nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig ist, um Wirtschaft und Beschäftigung wieder anzukurbeln. Der EWSA teilt die Botschaft, dass die Union mehr (und ein besseres) und nicht weniger Europa braucht. Den MFR auf dem derzeitigen Niveau (in realen Werten) einzufrieren hieße, auf einen großen Teil der in den nächsten Jahren für die EU anstehenden Herausforderungen zu verzichten.

1.4   Der Kommissionsvorschlag scheint sowohl hinsichtlich der Höhe der bereitgestellten Mittel als auch bezüglich der Gliederung des Haushalts zu stark auf die Beibehaltung des Status Quo ausgerichtet zu sein. Als Folge davon werden die verfügbaren Mittel nicht dem Umfang und der Qualität der neuen Herausforderungen für die EU gerecht, d.h. es gibt keine Entsprechung zwischen den ehrgeizigen Zielen der Union und den für ihre Verwirklichung zur Verfügung stehenden Mitteln.

1.5   Zudem vertritt der EWSA die Ansicht, dass es bei der Überprüfung des EU-Haushalts vor allem darum gehen sollte, wie der Haushalt dem heute durch die Krise stark infrage gestellten politischen Projekt der EU dient. Die Bewertung des MFR muss an Hand des Kriteriums erfolgen, inwieweit die EU angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, um ihre vorrangigen strategischen Ziele erreichen zu können, ohne die Steuerlast für Bürger und Unternehmen zu erhöhen, d.h. inwieweit bei gleichen Belastungen für die Unionsbürger ein Mehrwert (1) auf europäischer Ebene erzeugt wird.

1.6   Im Einzelnen stimmt der EWSA der Verbesserung und Vereinfachung der EU-Haushaltsstruktur zu, da dadurch die Debatte von den Themen angemessener Mittelrückfluss und horizontale Gerechtigkeit zwischen den Mitgliedstaaten weg wieder stärker auf die wirksame Umsetzung der strategischen Ziele der EU gelenkt werden kann.

1.7   Auf der Einnahmeseite ist die Einführung eines neuen Eigenmittelsystems mittels Änderung des Eigenmittels Mehrwertsteuer und Einführung der Finanztransaktionssteuer eine deutliche Neuerung. Der EWSA hat sich bereits mehrfach für eine Rückkehr zum Geiste der Römischen Verträge (2) ausgesprochen, damit eine tatsächliche Finanzautonomie der EU erreicht werden kann.

1.7.1   Der EWSA unterstützt die Änderung des MwSt-Eigenmittelsystems, insoweit diese zur Weiterentwicklung des EU-Binnenmarktes beiträgt, wobei wirtschaftliche Verzerrungen innerhalb der Mitgliedstaaten vermieden werden müssen. Er betont jedoch, dass im Vorschlag der Kommission genaue Angaben zu den an der MwSt-Struktur vorgenommenen Änderungen und zu den Unterschieden bei den Beträgen für die einzelnen Mitgliedstaaten, die sich aus diesen Änderungen ergeben, fehlen. Der EWSA verweist auf die Notwendigkeit einer weltweiten Anwendung der Finanztransaktionssteuer, vertritt jedoch zugleich die Ansicht, dass durch die Einführung dieser Steuer auf europäischer Ebene (mit einem für alle Mitgliedstaaten geltenden Mindeststeuersatz) der Finanzsektor stärker an den Haushalten der EU und der Mitgliedstaaten beteiligt werden und die durch rein spekulative Geschäfte verursachte wirtschaftliche Volatilität eingedämmt werden könnten.

1.8   Um die Ziele der Europa-2020-Strategie verwirklichen zu können, sind weitaus mehr Mittel erforderlich als im MFR vorgesehen. Der EWSA empfiehlt deshalb, die mögliche Schaffung innovativer Finanzinstrumente zur Abdeckung von Investitionen (projektbezogene Anleihen) eingehender zu prüfen, allerdings erst nach umfassender Abschätzung der möglichen Folgen und Evaluierung der möglichen Verlagerung des Risikos auf die öffentliche Hand.

1.9   Auf der Ausgabenseite erfordern die von der Kommission ermittelten Prioritäten Antworten, die ausschließlich auf EU-Ebene konkretisiert werden können und die den eigentlichen europäischen Mehrwert ausmachen. Es geht um die Frage, wo ein auf EU-Ebene ausgegebener Euro mehr Nutzen bringt als ein auf nationaler Ebene ausgegebener Euro. Es handelt sich dabei um europäische Kollektivgüter, die auf nationaler Ebene nicht optimal erbracht werden können (wegen Marktversagen oder in einem einzelnen Mitgliedstaat nicht erzielbarer Größenvorteile) und bei denen deshalb ein wirksames Tätigwerden der EU notwendig ist.

1.10   Vor diesem Hintergrund begrüßt der EWSA die Einleitung der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), mit der ein wirksames und effizient funktionierendes europäisches Landwirtschaftsmodell und zugleich ein wirklicher Mehrwert für die EU gewährleistet werden sollen. Der EWSA bekräftigt hier seine bereits geäußerte Überzeugung, dass die GAP – und mit ihr zusammen die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) – so gestaltet werden muss, dass die Verbindung zwischen Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei auf der einen und Umweltschutz und Nachhaltigkeit der natürlichen Ressourcen auf der anderen Seite gestärkt wird. Das wird – vor dem Hintergrund der großen Preisvolatilität bei Agrarrohstoffen – dazu beitragen, umweltgerechte Praktiken zu fördern, ohne die Förderung der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe und der Fischer zu vernachlässigen.

1.11   In Bezug auf das System der Direktzahlungen betont der EWSA, dass die angestrebte Angleichung der Wettbewerbsbedingungen der europäischen Landwirte und verstärkte Integration der neuen Mitgliedstaaten mit einer sorgfältigen Abschätzung der potentiellen Folgen für alle Mitgliedstaaten einhergehen muss. Zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, die soziale Auswirkungen haben können, muss gewährleistet sein, dass am Ende des Finanzrahmens für die Jahre 2014-2020 kein Land weniger als 90 % des Durchschnitts aller 27 EU-Mitgliedstaaten an Direktzahlungen erhält.

1.12   Artikel 174 des Vertrags von Lissabon sollte als Leitprinzip der künftigen Kohäsionspolitik dienen: „Die Union setzt sich insbesondere zum Ziel, die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete zu verringern.“

1.13   Im Hinblick auf die Kohäsionspolitik hält der EWSA zwar die Schwerpunktsetzung auf wenige wichtige EU-Prioritäten für überzeugend, lehnt es jedoch ab, die Auszahlung von Kohäsionsfondsmitteln an die Einhaltung makroökonomischer Bedingungen zu knüpfen. Zudem darf die Einführung der neuen Kategorie „Übergangsregion“, die das gegenwärtige Phasing-out- und Phasing-in-System ablöst, nach Ansicht des EWSA nicht zulasten der Mittel für die Regionen mit dem größten Entwicklungsrückstand gehen. Außerdem darf der Kohäsionsfonds nicht in unzulässiger Weise für andere Funktionen eingesetzt werden, die seinem ursprünglichen Zweck nicht entsprechen. Allerdings können in Ausnahmefällen die Restbeträge aus dem Programmplanungszeitraum 2007-2013 zur Finanzierung eines europäischen Wachstumsplans eingesetzt werden, den die EU verabschieden müsste. Gleiches gilt auch (für einen begrenzten Zeitraum, z.B. die ersten drei Jahre) für die Mittel des nächsten Programmplanungszeitraums 2014-2020.

1.14   Der EWSA ist der Auffassung, dass der EU-Haushalt beispielhaft, effizient, wirkungsvoll und transparent sein muss, um die Ziele des neuen MFR erreichen zu können, bei den europäischen Bürgerinnen und Bürgern an Glaubwürdigkeit zu gewinnen und ihnen die Vorteile von Europa und die Kosten eines Verzichts auf Europa besser vor Augen zu führen. Vor diesem Hintergrund weist der EWSA darauf hin, dass in den einzelnen Bereichen Systeme für die Beobachtung und Bewertung der Ergebnisse aller Politikbereiche der Union eingeführt oder implementiert werden müssen, um deren soziale, wirtschaftliche und regionale Auswirkungen zu erfassen.

1.15   Der EWSA erachtet den Vorschlag der Kommission für eine Grundlage der laufenden Verhandlungen und verpflichtet sich bereits jetzt, nach Maßgabe der hier vorgebrachten Bemerkungen die Modalitäten der konkreten Umsetzung in Änderungen der Rechtsvorschriften zu überwachen und zu beeinflussen.

2.   Der Vorschlag der Kommission für den mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020

2.1   Diese Stellungnahme gilt dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates COM(2011) 398 final, der durch Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2014-2020 die Mitteilung der Kommission „Ein Haushalt für Europa 2020“ vom 29. Juni 2011 (COM(2011) 500 final) und die damit zusammenhängenden Legislativvorschläge umsetzt.

2.2   Insgesamt wird ein mehrjähriger Finanzrahmen in Höhe von 1 025 Mrd. EUR vorgeschlagen, was 1,05 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) der EU entspricht, zu denen 58,5 Mrd. EUR für sonstige, nicht im MFR enthaltene Ausgaben (Europäischer Entwicklungsfonds, Fonds für die Anpassung an die Globalisierung) hinzukommen. Inflationsbereinigt entspricht der Gesamtbetrag annähernd dem MFR des vorhergehenden Planungszeitraums (2007-2013) in Höhe von 994 Mrd. EUR.

2.3   Auf der Seite der Ausgaben gibt es folgende Änderungen:

Vereinfachung durch weniger Programme und Ziele, um so den Verwaltungsaufwand für die Begünstigten zu senken und die Folgenabschätzung zu erleichtern;

Senkung der Mittel für Strukturfonds (EFRE, ESF, Kohäsionsfonds) von 355 Mrd. EUR auf 336 Mrd. EUR (nettobereinigt um die Fazilität „Connecting Europe“), mit Einführung einer neuen Kategorie „Übergangsgebiete“, die das derzeitige System der Übergangsunterstützung (Phasing-out und Phasing-in) ersetzt;

Schaffung eines „gemeinsamen strategischen Rahmens für die Strukturfonds, ländliche Entwicklung und Fischerei“ sowie eines vergleichbaren Rahmens „Horizont 2020“ für Forschung und Entwicklung, in dem das Europäische Technologieinstitut eine wichtige Rolle spielt;

eine neue Fazilität „Connecting Europe“ für die großen Netze in den Bereichen Verkehr, Energie und IKT (40 Mrd. EUR zzgl. 10 Mrd. EUR aus dem Kohäsionsfonds);

Einleitung der GAP-Reform und, real gesehen (3), leichter Rückgang des Anteils der GAP-Mittel am Gesamthaushalt (60 Mrd. EUR jährlich), der sich hauptsächlich aus den Umweltauflagen („Ökologisierung“ der GAP-Ausgaben) und der Verpflichtung zu mehr Flexibilität ergibt;

Aufstockung der Mittel für Forschung und Entwicklung sowie allgemeine und berufliche Bildung (80 Mrd. EUR).

2.4   Auf der Einnahmenseite wird vorgeschlagen, den Haushalt schrittweise neu auszurichten: weg von der Dominanz der Beiträge auf der Grundlage des Bruttonationaleinkommens (BNE) hin zu einem vereinfachten Haushalt mit echten Eigenmitteln und mit geänderten Korrekturmechanismen. Die Kommission schlägt insbesondere vor, das bestehende Konzept der MwSt-Eigenmittel aufzugeben und statt dessen ab spätestens 2018 ein neues Eigenmittelsystem durch Einführung einer Finanztransaktionssteuer und einer neuen Mehrwertsteuer zu schaffen, um eine stärkere Harmonisierung der nationalen Systeme zu ermöglichen und Befreiungen und Ausnahmen abzuschaffen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Die Europäische Kommission ist offenbar bestrebt, in einer für die Funktionsweise und die Perspektiven der EU besonders schwierigen Zeit einen Kompromiss über den neuen mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) zu finden. Die schwierige Lage ist durch die Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa und die Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten über die gemeinsame politische Antwort Europas bedingt. Es handelt sich um einen Kompromiss zwischen zwei gegensätzlichen, jedoch in gleicher Weise dringenden Erfordernissen: einerseits dem sich aus der Krise ergebenden Sparkurs und dem entsprechenden Willen, die Bereitstellung öffentlicher Mittel einzuschränken, was unweigerlich die weitere Debatte und den Inhalt der abschließenden Einigung beeinflussen wird, und andererseits der Verfügbarkeit von angemessenen Mitteln, um die vor der EU stehenden großen Aufgaben wirksam angehen zu können.

3.2   Der Kommissionsvorschlag „Ein Haushalt für Europa 2020“ muss daher vor dem Hintergrund der derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Phase gesehen werden. Einerseits muss in der Debatte über den künftigen EU-Haushalt die Frage nach der heutigen Rolle der europäischen Integration gestellt werden, um die neuen Herausforderungen einer im Wandel begriffenen Welt angehen zu können, andererseits gilt es zu verstehen, inwieweit die Mitgliedstaaten diese Rolle der EU auch tatsächlich zugestehen und sicherstellen.

3.2.1   Die mühsame Aushandlung des MFR 2007-2013, die schwierige Verabschiedung des EU-Haushalts 2011 und das Schreiben, das die Regierungschefs von neun Mitgliedstaaten im Sommer 2011 an Kommissionspräsident Barroso richteten (4), lassen den Schluss zu, dass zumindest eine beträchtliche Zahl von Mitgliedstaaten das finanzielle Engagement der EU auf ein Mindestmaß beschränken will, was auch diesmal zu heiklen und komplizierten Verhandlungen führen wird.

3.3   Vor dem Hintergrund, dass die vor der EU stehenden Herausforderungen (Wirtschafts-, Finanz- und Sozialkrise, Wettbewerbsfähigkeit, Klimawandel usw.) in Umfang und Qualität eher zunehmen, scheint der Kommissionsvorschlag zu stark auf eine Beibehaltung des Status Quo ausgerichtet zu sein. So stimmen die in dem Vorschlag vorgesehenen Mittel nicht mit dem Umfang und der Qualität der neuen Herausforderungen für die EU überein, d.h. es gibt keine Entsprechung zwischen den ehrgeizigen Zielen der Union und den für ihre Verwirklichung zur Verfügung stehenden Mitteln.

3.4   Der EWSA hat bereits wiederholt den Standpunkt vertreten (5), dass eine Aufstockung des EU-Haushalts angesichts der Größe der Aufgaben und der Notwendigkeit einer gemeinsamen Antwort nicht nur wünschenswert, sondern notwendig ist, und bekräftigt hiermit diese Auffassung: „Bei der Überprüfung des EU-Haushalts geht es nicht in erster Linie um Zahlen, sondern sie ist ein Instrument zur Umsetzung eines politischen Projekts. Die Europäische Union verfügt derzeit weder über die Haushaltsmittel zur Umsetzung ihrer politischen Strategie noch über die Mittel zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen, die ihr aus dem Vertrag von Lissabon erwachsen.“

3.4.1   Der EWSA verweist hier auf den vom Europäischen Parlament vertretenen Standpunkt, wonach die Lösung für die Krise und die vor der EU stehenden Aufgaben mehr und nicht weniger Europa lauten muss. Für das Parlament würde ein Einfrieren des MFR auf dem derzeitigen Niveau (in realen Werten) bedeuten, auf einen großen Teil der in den nächsten Jahren für die EU anstehenden Herausforderungen zu verzichten. Aus diesem Grund hat das Parlament für den nächsten MFR 5 % mehr Mittel beantragt und den Rat für den Fall, dass er dem nicht stattgibt, aufgefordert, diejenigen politischen Prioritäten und Programme zu nennen, die ungeachtet ihres erwiesenen europäischen Mehrwerts im Planungszeitraum 2014-2020 aufgegeben werden sollen (6).

3.4.2   Der Ausschuss der Regionen seinerseits „ist der Auffassung, dass die vorgeschlagene Höhe der Mittel deshalb als absolutes Minimum anzusehen ist, damit die ehrgeizigen Ziele umgesetzt werden können, die die Mitgliedstaaten […] für die EU vereinbart haben“ und daher „insbesondere bei den einzelstaatlichen Finanzministerien dahingehend ein Perspektivwechsel erforderlich ist, dass die Wahrnehmung der Kernaufgaben der EU als Investition und nicht als finanzielle Belastung gesehen wird“ (7).

3.4.3   Aufgrund der mit dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union eingeführten Neuerungen obliegt die Aufstellung des MFR 2014-2020 nicht mehr der Kommission und den Regierungen der Mitgliedstaaten in alleiniger Verantwortung, da die Stellung des Parlaments im Hinblick auf eine größere demokratische Kontrolle gestärkt wurde. In dieser neuen Situation bieten sich für die Zivilgesellschaft und damit insbesondere für den EWSA neue Möglichkeiten, den Prozess zur Aufstellung des neuen MFR zu begleiten und sich in enger Abstimmung mit dem Europäischen Parlament aktiv in die Debatte einzubringen.

3.5   Daher verpflichtet sich der EWSA, den Verhandlungsprozess, mit dem der Kommissionsvorschlag in konkrete Änderungen der Rechtsvorschriften umgesetzt wird, zu begleiten und dazu beizutragen. Der MFR hat die Funktion, die EU mit den für die Verwirklichung ihrer vorrangigen Ziele erforderlichen Mitteln auszustatten, ohne die Steuerlast für Bürger und Unternehmen zu erhöhen, und an Hand dieses Kriteriums muss er daher auch bewertet werden.

3.6   Eine stärkere Ergebnisorientierung muss daher dazu führen, dass der Schwerpunkt nicht auf die formelle Einhaltung der Bestimmungen in Bezug auf den Umfang der Ausgaben, sondern vielmehr auf die Kontrolle der Qualität und der Wirksamkeit der Mittelverwendung gelegt wird, was insbesondere für die Kohäsionspolitik und die GAP gilt. Dieses Umdenken kommt darin zum Ausdruck, dass ein größerer Mehrwert der Ausgaben auf EU-Ebene angestrebt wird, und erfordert folglich einen entsprechenden Einsatz auf der Verwaltungs- wie auch der Kontrollebene.

3.7   Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass der EU-Haushalt zwar 1,1 % des europäischen BNE betrifft, im Planungszeitraum 2007-2013 jedoch erhebliche Mittel für Investitionen bereitstellt, die bei richtiger Nutzung ein entscheidender Katalysator für das Wirtschaftswachstum in der EU sein können. Aus diesem Grund spricht sich der EWSA dafür aus, bei der Umsetzung der großen strategischen Ziele der Union stärker geeignete Synergien zwischen dem EU-Haushalt und den einzelstaatlichen Haushalten zu nutzen.

3.8   Der EWSA hält es für grundlegend, dass bei der Aufstellung des MFR 2014-2020 Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei den Unionsbürgerinnen und -bürger gewonnen werden, wobei ihnen die Vorteile von Europa und zugleich die Kosten eines Verzichts auf Europa vor Augen zu führen sind. Dazu muss der EU-Haushalt:

gut geführt sein und keine übermäßigen Verwaltungskosten verursachen,

im Hinblick auf die gegenüber dem laufenden MFR erzielten Einsparungen wirksam sein,

das Erreichen der Zielsetzungen wirksam erleichtern und sichtbare Auswirkungen auf das Leben der Unionsbürger haben,

in all seinen Aspekten hinsichtlich der Kosten, eingesetzten Mittel und erzielten Ergebnisse transparent und überprüfbar sein,

auf die Einhaltung der Gemeinschaftsgrundsätze der Solidarität, des fairen Wettbewerbs und der Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet sein.

3.9   Um die Zweckmäßigkeit des Kommissionsvorschlages zu bewerten, muss dieser an Hand folgender Kriterien evaluiert werden:

Mehrwert auf europäischer Ebene und Richtigkeit der strategischen Prioritäten;

Fähigkeit, eine Antwort auf die aus der Krise erwachsenden Herausforderungen zu geben und Europa – gegenüber der Tendenz zur Kürzung der öffentlichen Ausgaben in den Mitgliedstaaten – zu einer solidarischen Entwicklungsstrategie zu führen.

3.9.1   Im Hinblick auf den Mehrwert auf europäischer Ebene werden im Kommissionsvorschlag wichtige Prioritäten genannt, die Antworten erfordern, welche ausschließlich auf EU-Ebene konkretisiert werden können. Es handelt sich dabei um Tätigkeitsbereiche, die als europäische Kollektivgüter bezeichnet werden können und in denen ein auf EU-Ebene ausgegebener Euro mehr Nutzen bringt als ein auf nationaler Ebene investierter Euro.

3.9.2   Zu den europäischen Kollektivgütern gehören Forschung und Entwicklung, gemeinsame Verteidigung, Lebensmittelsicherheit, Einwanderung und Asylrecht, Bewältigung des Klimawandels, Investitionen in europaweite Infrastrukturvorhaben in den Bereichen Energie, Kommunikation und Binnenmarkt (der im Übrigen noch nicht vollendet ist). Für diese strategischen Bereiche zeigt der Vergleich der beiden MFR 2007-2013 und 2014-2020 trotz der großen Haushaltszwänge einen erheblichen Anstieg der Mittel.

3.9.3   Der EWSA anerkennt zwar die im Vorschlag der Kommission enthaltenen wichtigen Neuerungen, weist jedoch darauf hin, dass es überhaupt keine Debatte über diese Prioritäten gab. Daher besteht die Gefahr, dass es mit diesem EU-Haushalt nicht gelingt, die entscheidenden Fragen im Zusammenhang mit der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise direkt anzugehen, und dass der Etat dem Druck einzelner Interessengruppen ausgesetzt bleibt.

3.10   Vor diesem problematischen Hintergrund bekräftigt (8) der EWSA, dass die Festlegung der europäischen Haushaltspolitik mit der Grundsatzentscheidung zwischen Föderalismus oder Regierungszusammenarbeit, d.h. mit dem angestrebten Maß an Integration übereinstimmen muss. Besonders der Grundsatz des „angemessenen Mittelrückflusses“ an die einzelnen Mitgliedstaaten ergibt sich aus einer Buchhaltungsmethode, die die Finanzmittel ins Verhältnis zum BIP des Mitgliedstaats setzt, was Buchstaben und Geist der Verträge widerspricht.

3.10.1   Das derzeitige Finanzierungssystem auf der Grundlage der Beiträge der Mitgliedstaaten ist ausgesprochen kompliziert und kaum transparent und schwächt so die Möglichkeit einer demokratischen Kontrolle. Es trägt nicht dazu bei, das Engagement für die europäische Integration deutlich zu machen, lässt den an die EU überwiesenen Beitrag als weitere Belastung für die nationalen Haushalte erscheinen und schränkt damit die für die EU-Politiken verfügbaren Mittel ein. Es wird auch nicht dem Anspruch gerecht, eine direkte Verbindung zwischen EU und den Bürgern herzustellen.

3.11   Der EWSA bekräftigt vielmehr (9), dass das neue System die Einnahmen und Ausgaben des EU-Haushalts mit dem Engagement zur Umsetzung der politischen Strategie der Union und der Verpflichtungen aus dem Lissabon-Vertrag verknüpfen muss, ohne die Steuerlast für Bürger und Unternehmen zu erhöhen. Es muss die Gleichbehandlung zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellen und aus der Sicht der Bürger deutlich transparenter, einfacher und verständlicher werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Mit dem neuen MFR schlägt die Kommission eine umfassende Änderung der Finanzierung des EU-Haushalts vor. Diese besteht im Wesentlichen in einer Stärkung der Finanzautonomie durch die Einführung eines neuen Eigenmittelsystems, das eine gerechtere Behandlung der Mitgliedstaaten sicherstellt. In dem neuen Vorschlag kommt ein Paradigmenwechsel zum Ausdruck: die Abhängigkeit der Union von den Beiträgen der Mitgliedstaaten wird schrittweise zu Gunsten einer finanziellen Selbstständigkeit beseitigt.

4.1.1   Im Mittelpunkt des Vorschlags für ein neues Eigenmittelsystem stehen die Reform des MwSt-Eigenmittels und die Einführung der Finanztransaktionssteuer. Das System würde mehr Ausgewogenheit im EU-Haushalt ermöglichen, der zu ungefähr 40 % aus den neuen Eigenmitteln, zu 20 % aus den traditionellen Eigenmitteln und zu 40 % aus den auf BNE-Grundlage ermittelten Beiträgen der Mitgliedstaaten finanziert werden soll (10). Der Vorteil des neuen Systems wäre, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten ihre nationalen Beiträge nicht mehr so stark als Steuer auf ihr Inlandsprodukt wahrnehmen, für die ein angemessener Mittelrückfluss und ein Ausgleich in Form von wirtschaftlichen Vorteilen gefordert und erwirkt werden muss.

4.1.2   Der EWSA bekräftigt seine Unterstützung (11) für die Schaffung eines neuen MwSt-Eigenmittels, das das derzeitige, überholte MwSt-Eigenmittel ablösen soll, da dies zur Weiterentwicklung des EU-Binnenmarktes beiträgt, wobei wirtschaftliche Verzerrungen innerhalb der Mitgliedstaaten vermieden werden müssen. Er betont jedoch, dass im Vorschlag der Kommission genaue Angaben zu den an der MwSt-Struktur vorgenommenen Änderungen und zu den Unterschieden bei den Beträgen für die einzelnen Mitgliedstaaten, die sich aus diesen Änderungen ergeben, fehlen. Darüber hinaus hält er es für erforderlich, dass dies mit Maßnahmen zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs einhergeht.

4.1.3   Mit dem Vorschlag der Kommission wird eine interessante Neuerung eingeführt, die sich allerdings noch in der Diskussion befindet: die Finanztransaktionssteuer. Der EWSA hat die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene begrüßt (12), bekräftigt allerdings die Notwendigkeit einer weltweiten Anwendung dieser Steuer. Der EWSA betont, dass die makro- und mikroökonomischen Folgen der Finanztransaktionssteuer sorgfältig begleitet werden müssen, und fordert deshalb eine kontinuierliche Beobachtung und entsprechende jährliche Bewertung der Auswirkungen dieser Steuer.

4.1.4   Mit der Finanztransaktionssteuer ließen sich mindestens drei Ziele erreichen:

Erhöhung des Anteils, den der Finanzsektor zum EU-Haushalt und zu den Haushalten der Mitgliedstaaten beiträgt (das potenzielle Steueraufkommen wird auf 57 Mrd. EUR geschätzt) (13);

Herbeiführung einer Verhaltensänderung bei den Finanzakteuren durch Senkung des Volumens des Hochfrequenz-Handels mit niedrigen Latenzzeiten (high frequency and low latency trading), dessen Anteil am Gesamthandel in den EU-Mitgliedstaaten zwischen 13 und 40 % liegt (14);

Festlegung eines für alle Mitgliedstaaten geltenden Mindestsatzes für die Besteuerung von Finanztransaktionen.

4.1.5   Auch die Reform der Korrekturmechanismen und die Ersetzung des bestehenden Systems der Pauschalerstattungen tragen zur angestrebten Vereinfachung und größeren Transparenz bei, um so mehr, als sich die wirtschaftliche Lage der Mitgliedstaaten heute grundlegend von der Situation 1984 unterscheidet, als dieses System eingeführt wurde. Der EWSA hat bereits deutlich gemacht (15), dass die Auswirkungen einer solchen Reform noch genauer abgeklärt werden müssen, da derzeit weder hinsichtlich der Höhe der entsprechenden Mittel noch des Vergleichs der jetzigen Situation mit der bei Anwendung des Systems Klarheit besteht.

4.2   Der EWSA begrüßt nachdrücklich die verbesserte Gliederung des EU-Haushalts bei gleichbleibender finanzieller Last für die Unionsbürger. Dadurch könnte die Debatte deutlich von den Themen angemessener Mittelrückfluss und horizontale Gerechtigkeit zwischen den Mitgliedstaaten weg wieder stärker auf die Wirksamkeit der Ausgaben der Union (gemessen an der Befriedigung der Bedürfnisse der Bürger und Unternehmen in Europa und des Verhältnisses zwischen Nutzen und Ausgaben) gelenkt werden. Der EWSA bedauert jedoch erneut (16), dass sich die Kommission in ihrem Vorschlag ausschließlich auf die interne Aufschlüsselung des Haushalts konzentriert, ohne die Einführung neuer Eigenmittel zu nutzen, um das grundsätzliche Problem des Umfangs des Haushalts anzugehen und den Haushalt als funktionelles Instrument im Dienste des politischen Projekts und der ambitionierten Ziele der EU einzusetzen.

4.3   Wie das Europäische Parlament betont hat, ist der EU-Haushalt im Wesentlichen ein Paket von Investitionen zur Mobilisierung weiterer öffentlicher und privater Finanzmittel (17). In dieser Perspektive könnten nach Ansicht des EWSA bestimmte Formen projektbezogener Anleihen (project bond) erprobt werden, um die quantitativen Beschränkungen und gesetzlichen Auflagen des EU-Haushalts zu überwinden und im Einklang mit der „Europa 2020 Projektanleihen-Initiative“ der Kommission (18) Infrastruktur- und Bildungsprojekte zu finanzieren (19).

4.3.1   Diese projektbezogenen Anleihen könnten durch Spillover-Effekte eine erhebliche Hebelwirkung zu Gunsten der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa entfalten, die derzeit aufgrund der angespannten Haushaltslage in den Mitgliedstaaten infolge der Wirtschaftskrise und der Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts blockiert ist.

4.3.2   Dessen ungeachtet verweist der EWSA auf die Notwendigkeit einer eingehenden Bewertung der eventuellen innovativen Formen externer Finanzierung für den MFR, denn die Erfahrungen mit öffentlich-privaten Partnerschaften haben gezeigt, dass es zu einer Verlagerung des Risikos auf den öffentlichen Sektor kommen kann (20).

4.4   In dem Vorschlag der Kommission werden die größten Ausgabenbereiche der EU (Kohäsionspolitik und Gemeinsame Agrarpolitik – GAP) nicht infrage gestellt. Es werden vielmehr – im Rahmen der Europa-2020-Strategie – die neuen Gründe für die Gewährleistung einer wirksamen und effizienten Ausgabenpolitik und der Mehrwert der bestehenden Ausgabeninstrumente hervorgehoben.

4.4.1   Der EWSA begrüßt die Reform der GAP, mit der der Anteil der für diese Politik bereitgestellten Mittel am Gesamthaushalt der EU gesenkt und die EU-Ausgaben stärker an die von der Landwirtschaft erbrachten öffentlichen Güter geknüpft werden sollen, ein Ziel, dass die Kommission in ihrem Dokument „Die GAP bis 2020 (21) selbst ausgegeben hat. Vor dem derzeitigen Hintergrund einer angespannten Finanzlage sollte die GAP zusammen mit der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) an den im Lissabon-Vertrag festgelegten Zielen und Aufgaben gemessen werden: Verbesserung der Umweltqualität (biologische Vielfalt, Wasser, Boden, Luft), Landschaftsschutz, Beitrag zur Lebensfähigkeit der ländlichen Gebiete, Tierschutz und nachhaltige Lebensmittelsicherheit (22).

4.4.2   Der EWSA hat bereits darauf hingewiesen (23), dass die Land- und Forstwirtschaft sowie die Fischerei eine wichtige Rolle beim Umweltschutz und bei der nachhaltigen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen spielen. Der EWSA begrüßt daher zwar den von der Kommission eingeführten Ansatz der Ökologisierung der GAP, betont jedoch, dass der Reformprozess keine radikalen Veränderungen der Ziele und Finanzierungsmechanismen der GAP für die Unterstützung der in der Agrar-, Lebensmittel- und Umweltkette tätigen Akteure mit sich bringen darf, worauf besonderes Augenmerk zu legen ist.

4.4.3   Der EWSA sieht mit Besorgnis den von der Kommission unternommenen Versuch, den Anteil der Mittel für die GAP zu senken und anderen Instrumenten wie dem Europäischen Sozialfonds und dem Fonds für die Anpassung an die Globalisierung neue Aufgaben im Zusammenhang mit Zielstellungen der Land- und Nahrungsmittelwirtschaft zu übertragen.

4.4.4   Nach Ansicht des EWSA sollten die angestrebte Angleichung der Wettbewerbsbedingungen der europäischen Landwirte und verstärkte Integration der neuen Mitgliedstaaten durch das System der Direktzahlungen unter sorgfältiger Bewertung der potentiellen Auswirkungen für alle Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der Bemühungen um Abbau der Unterschiede im Beihilfeniveau für die Landwirte in den verschiedenen Mitgliedstaaten. Der EWSA hat bereits früher (24) eine Neuverteilung der nationalen Mittel für Direktzahlungen nach objektiven, diskriminierungsfreien Kriterien und eine angemessene Übergangsperiode für die geplante gerechte Konvergenz empfohlen, mit der die historischen Referenzwerte als Grundsätze aufgegeben werden. Es soll damit sichergestellt werden, dass am Ende des Finanzrahmens für den Zeitraum 2014-2020 kein Land weniger als 90 % des Durchschnitts der 27 EU-Mitgliedstaaten an Direktzahlungen erhält.

4.4.5   Aus der Sicht des EWSA muss der neue MFR eine GAP und eine GFP sicherstellen, die folgende Aufgaben erfüllen können:

Lebensmittelversorgungssicherheit,

eine wettbewerbsfähige und innovative Land- und Nahrungsmittelwirtschaft,

die Rentabilität der Landwirtschaft und der Fischerei,

ein angemessenes Einkommen für die Landwirte und Fischer in der EU.

Durch diese Handlungslinien wird es – auch vor dem Hintergrund der großen Preisvolatilität bei Agrarrohstoffen – möglich sein herauszustellen, dass die GAP zweierlei Funktionen erfüllt: Förderung umweltgerechter Praktiken, ohne die Unterstützung der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe zu vernachlässigen. Damit rückt die historische Aufgabe der Landwirtschaft wieder in den Mittelpunkt, nämlich die Erzeugung gesunder und nahrhafter Lebensmittel in ausreichender Menge und zu erschwinglichen Preisen für die europäischen Bürger.

4.5   Dieses Maß an Effizienz ist auch für die im Rahmen der Kohäsionspolitik finanzierten Projekte notwendig. Wie im Barca-Bericht (25) festgestellt, ist diese Kohäsionspolitik für die Integration der neuen Mitgliedstaaten von entscheidender Bedeutung und muss auf einige wenige wichtige EU-Prioritäten ausgerichtet werden, wobei es die sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Auswirkungen dieser Maßnahmen vor, während und nach der Umsetzung zu bewerten gilt. Diese Bewertungen dürfen sich aber nicht in zusätzlichem Verwaltungsaufwand niederschlagen.

4.5.1   Der EWSA lehnt es jedoch ab, die Auszahlung von Kohäsionsfondsmitteln an die Einhaltung makroökonomischer Bedingungen zu knüpfen, um den Mitgliedstaaten in der sozial und wirtschaftlich schwierigen Situation nicht zusätzliche Lasten aufzubürden. Zudem darf die Einführung der neuen Kategorie „Übergangsregion“, die das gegenwärtige Phasing-out- und Phasing-in-System ablöst, nach Ansicht des EWSA nicht zulasten der Mittel für die Regionen mit dem größten Entwicklungsrückstand gehen. Der EWSA begrüßt zwar den Vorschlag für die Fazilität „Connecting Europe“, ist jedoch der Ansicht, dass sie nicht in Höhe von ca. 10 Mrd. EUR aus dem Kohäsionsfonds finanziert werden darf, damit dieser nicht in unzulässiger Weise für andere Funktionen eingesetzt wird, die über seinen ursprünglichen Tätigkeitsbereich hinausgehen.

4.6   Artikel 174 des Vertrags von Lissabon sollte als Leitprinzip der künftigen Kohäsionspolitik dienen: „Die Union setzt sich insbesondere zum Ziel, die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete zu verringern.“

Deshalb:

Erhaltung und Ausbau der kohäsionspolitischen Investitionen mit Schwerpunkt auf dem Konvergenzziel;

Für Mitgliedstaaten, deren durchschnittliches BIP-Wachstum im Zeitraum 2007-2009 negativ war und die im gegenwärtigen Zeitraum bei der Inanspruchnahme von Fördermitteln eine gute Rate aufweisen, wird der Begrenzungssatz mindestens in Höhe des für den gegenwärtigen Zeitraum gültigen Satzes festgesetzt.

4.7   Der EWSA spricht sich für die verstärkte Beobachtung und Überwachung der Ergebnisse der Gemeinschaftspolitiken aus (was angesichts ihres Anteils am Gesamthaushalt insbesondere für die GAP und die Kohäsionsfonds gilt), um die Wirksamkeit der Ausgaben der EU und die Fähigkeit zur Verwirklichung der großen Zielstellungen der EU wie der Europa-2020-Strategie zu bewerten (26). Dies kann auch durch eine Kombination von Sanktionen für den Fall, dass festgelegte Zielmarken nicht erreicht werden, und von finanziellen Anreizen für die Mitgliedstaaten mit den besten Ergebnissen erreicht werden.

4.7.1   In diesem Zusammenhang spricht sich der EWSA dafür aus, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften auf nationaler und europäischer Ebene unterstützt und umfassend einbezogen werden, um sie in die Lage zu versetzen, die mit Kohäsionsfonds und im Rahmen der GAP finanzierten Programme optimal durchzuführen. Dies kann durch entsprechende Programme zur Schulung zu den europäischen Planungsverfahren, Begleitung, Überwachung und Evaluierung erfolgen.

Brüssel, den 24. Mai 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  „ ‚Europäischer Mehrwert‘ ist der Nutzen, der sich aus dem Eingreifen der EU zusätzlich zu dem Nutzen ergibt, der ohnehin von den Mitgliedstaaten allein erreicht worden wäre“, COM(2010) 700 final; SEC(2011) 867 final.

(2)  Art. 201.

(3)  Nominell sinkt der für die GAP bereitgestellte Betrag nicht, sondern bleibt über den Programmplanungszeitraum konstant, womit er real gegenüber 2012 tendenziell zurückgehen dürfte.

(4)  www.euractiv.com/euro-finance/eu-countries-call-slim-eu-budget-news-507532.

(5)  ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 75.

(6)  Entschließung INI/2010/2211 des Europäischen Parlaments vom 8. Juni 2011„Investition in die Zukunft: ein neuer mehrjähriger Finanzrahmen (MFR) für ein wettbewerbsfähiges, nachhaltiges und inklusives Europa“.

(7)  Stellungnahme des Ausschusses der Regionen BUDG-V-002 vom 14./15. Dezember 2011.

(8)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Eigenmittelsystem der Europäischen Union“, ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 45.

(9)  ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 75.

(10)  COM(2011) 510 final, S. 5. Derzeit macht der Beitrag der Mitgliedstaaten auf der Grundlage des BNE 70 % der Gesamtmittel des EU-Haushalts aus, während die herkömmlichen Eigenmittel (Zölle und Zuckersteuer) 14,1 %, die Mehrwertsteuer 11,2 % und die übrigen Eigenmittel (Überschüsse aus vorhergehenden Jahren) 4,7 % ausmachen (SEC(2011) 876 final.).

(11)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Eigenmittelsystem der Europäischen Union“, ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 45.

(12)  Stellungnahme des EWSA zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG“, verabschiedet auf der Plenartagung am 29. März 2012, ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 55.

(13)  SEC(2011) 1103 final.

(14)  Europäische Kommission, 8. Dezember 2010, öffentliche Konsultation zum Thema – Überprüfung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) (Review of the Markets in Financial Instrument Directive), Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen.

SEC(2011) 1226 final.

(15)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Eigenmittelsystem der Europäischen Union“, ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 45.

(16)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Eigenmittelsystem der Europäischen Union“, ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 45.

(17)  Entschließung des Europäischen Parlaments, ebenda.

(18)  Haug J. et al., ebenda, Kap. 4.

(19)  http://ec.europa.eu/economy_finance/consultation/index_en.htm.

(20)  ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 134.

(21)  COM(2010) 672 final.

(22)  Hart K. – Baldock D. (Herausgeber): What Tools for the European Agricultural Policy to Encourage the Provision of Public Goods, Europäisches Parlament, Juli 2011.

(23)  ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 63.

(24)  Stellungnahme des EWSA zum Dossier NAT/520 „Die GAP bis 2020“, ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 116.

(25)  Barca F. (Herausgeber): Eine Agenda für eine reformierte Kohäsionspolitik – Ein raumbezogener Ansatz für die Herausforderungen und Erwartungen der Europäischen Union, Bericht für die GD REGIO, 2009.

(26)  Chambon N. und Rubio E.: In search of „the best value for money“: analyzing current ideas and proposals to enhance the performance of CAP and cohesion spending; Workshop „Finanzielle Vorausschau für den Zeitraum nach 2013: Überlegungen zum EU-Haushalt in Zeiten der Krise“ Turin, 7./8. Juli 2011.