21.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 181/55


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG“

COM(2011) 594 final

2012/C 181/11

Berichterstatter: Stefano PALMIERI

Der Rat beschloss am 19. Oktober 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 113 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG

COM(2011) 594 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. März 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 479. Plenartagung am 28./29. März 2012 (Sitzung vom 29. März) mit 164 gegen 73 Stimmen bei 12 Enthaltungen folgende Stellungnahme.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt im Einklang mit dem Europäischen Parlament (1) den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT), der voll und ganz den in seinen früheren Stellungnahmen vertretenen Standpunkten entspricht (2).

1.2   Der EWSA hatte bereits in einer vorherigen Stellungnahme (3) darauf hingewiesen, dass die finanzielle Eigenständigkeit der Europäischen Union, wie ursprünglich in Artikel 201 des Römischen Vertrags festgelegt, wieder gewährleistet werden muss. In diesem Zusammenhang kann die Finanztransaktionssteuer nach Auffassung des EWSA eine der Säulen des neuen Eigenmittelsystems der Union sein. Sie ist ein Instrument, mit dem die erforderliche finanzielle Eigenständigkeit im Hinblick auf den mehrjährigen Finanzrahmen von 2014 bis 2020 gewährleistet werden kann.

1.3   Der EWSA betont, dass eine weltweite Anwendung der Finanztransaktionssteuer angestrebt werden muss. Wie bereits in seiner Stellungnahme vom 15. Juli 2010 (siehe Fußnote 2) bekräftigt, ist er der Ansicht, dass dies am besten durch die Einführung einer FTT in der Europäischen Union erreicht werden könnte. Der EWSA ist im Einklang mit dem Standpunkt von Kommissionsmitglied Algirdas ŠEMETA und der Position des Europäischen Parlaments der Ansicht, dass die EU diesbezüglich eine maßgebliche Vorreiterrolle ausüben könnte und auch sollte, wie dies bereits hinsichtlich vieler Politiken globalen Ausmaßes geschehen ist (z.B. Klimapolitik) (4). Dennoch ist der EWSA der Ansicht, dass alles getan werden muss, um die FTT weltweit einzuführen.

1.3.1   Der EWSA ist der Ansicht, dass auch das Schreiben der Finanzminister von neun EU-Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Belgien, Finnland, Griechenland, Portugal, Spanien) an den dänischen EU-Ratsvorsitz in diesem Sinne zu sehen ist. In diesem Schreiben wird die Entscheidung des Vorsitzes begrüßt, die Prüfung und die Verhandlungen über die Anwendung der Finanztransaktionssteuer zu beschleunigen.

1.4   Für den EWSA ist die Einführung der Finanztransaktionssteuer Teil eines umfangreicheren, von der Kommission eingeleiteten Prozesses zur Überarbeitung der wichtigsten Richtlinien über die Märkte für Finanzinstrumente (COM(2011) 656 final und COM(2011) 652 final) mit dem Ziel, für mehr Transparenz, Effizienz und Wirksamkeit dieser Märkte zu sorgen. Wie bereits in einer früheren Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, ist der EWSA ferner der Auffassung, dass mittels angemessener Regulierung und Überwachung die Stabilität und das reibungslose Funktionieren der Finanzbranche gewährleistet werden sollte, damit übermäßige Risikobereitschaft begrenzt wird und für die Finanzinstitute die richtigen Anreize gesetzt werden.

1.5   Der EWSA ist der Ansicht, dass es für die Neutralisierung oder zumindest eine möglichst weitgehende Verringerung des Risikos einer Verlagerung von Finanzgeschäften erforderlich ist, das von der Kommission vorgeschlagene Ansässigkeitsprinzip (oder Territorialitätsprinzip) mit dem vom Europäischen Parlament geförderten Herausgabekriterium („issuance principle“) zu verbinden. Nach dem Herausgabekriterium wird die Steuer (ähnlich wie bei den Stempelgebühren, „stamp duties“) bei Transaktionen in Bezug auf alle Finanzinstrumente fällig, die von in der EU eingetragenen juristischen Personen emittiert werden, ansonsten sind die Kauf- und Verkaufsverträge unwirksam (5).

1.6   Der EWSA ist der Ansicht, dass die Finanztransaktionssteuer zu einem angemesseneren Beitrag des Finanzsektors zum öffentlichen Haushalt der EU und zu den Haushalten der Mitgliedstaaten führen wird.

1.7   Der EWSA begrüßt, dass durch die Einführung der Finanztransaktionssteuer das Vorteilnahmesystem der Finanzakteure geändert und die Zahl der Geschäfte des Hochfrequenzhandels mit niedrigen Latenzzeiten (high frequency and low latency trading) gesenkt werden kann. Diese hochspekulativen Handelsgeschäfte sorgen für Instabilität an den Finanzmärkten und haben nichts mit den normalen Vorgängen in der Realwirtschaft zu tun. Die FTT wird also eine Stabilisierung der Finanzmärkte ermöglichen, indem das Kosten-Nutzen-Verhältnis mittel- und langfristiger Mittelzuweisungen verbessert wird, was den Unternehmen zugute kommt.

1.7.1   Der EWSA ist der Ansicht, dass sich die Verlangsamung der hochspekulativen Transaktionen infolge der Einführung der Finanztransaktionssteuer stabilisierend auf die Wertschwankungen an den Finanzmärkten auswirken würde, sodass Unternehmen der Realwirtschaft stabilere Finanzierungsbedingungen für ihre Investitionen haben können (6).

1.8   Der EWSA hält eine Verbesserung der Situation bei den Staatsschulden für eine der wichtigsten Auswirkungen der Einführung der Finanztransaktionssteuer. Staatsanleihen sind in Zeiten hoher finanzieller Instabilität krisenanfälliger. Die mit der Einführung der FTT einhergehende Erhöhung des Steueraufkommens wird zur finanzpolitischen Stabilität beitragen, da die Notwendigkeit weiterer Neuverschuldung abnimmt. Bemerkbar machen wird sich dies direkt bei den Mitteln, die den Mitgliedstaaten zufließen, und indirekt bei den Mitteln, die dem EU-Haushalt anstelle der entsprechenden Beiträge der Mitgliedstaaten zufließen.

1.9   Der EWSA anerkennt, dass die Einführung der Finanztransaktionssteuer und die damit einhergehende Steuerharmonisierung für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes sorgen würden. Auf diese Weise ließen sich Verzerrungen in einem Bereich vermeiden, für den bereits mindestens zehn EU-Mitgliedstaaten verschiedene Formen der Besteuerung von Finanztransaktionen eingeführt haben.

1.10   Der EWSA betont die Notwendigkeit, die negativen makroökonomischen und mikroökonomischen Folgen der Anwendung der Finanztransaktionssteuer sorgfältig zu bedenken und die daraus resultierenden Risiken und Kosten zu neutralisieren oder zumindest zu reduzieren. Deshalb ist der EWSA der Ansicht, dass geeignete Ausgleichsmechanismen erwogen werden sollten, mit denen die größten negativen Auswirkungen der FTT auf die Realwirtschaft ausgeglichen werden können.

1.10.1   Nach Auffassung des EWSA muss die Überwachung der Umsetzung der Finanztransaktionssteuer und die daraus resultierende Bewertung der mit damit verbundenen Folgen – in Form eines Berichts an das Europäische Parlament und den Rat – jährlich erfolgen und nicht erst drei Jahre nach Einführung der FTT (7).

1.11   Der EWSA ist der Ansicht, dass bei der Bewertung der Auswirkungen der Einführung der Finanztransaktionssteuer die Folgen eines langfristigen BIP-Rückgangs (laut Folgenabschätzung der Kommission) berücksichtigt werden sollten. Außerdem zu berücksichtigen sind die umfassenden Auswirkungen auf: a) ein besseres Funktionieren der Finanzmärkte dank mehr Stabilität, b) die Verlagerung von Investitionen zugunsten der Realwirtschaft, c) Regulierungsmaßnahmen zur Erhöhung der Effizienz, Wirksamkeit und Transparenz der europäischen Finanzmärkte, d) die Haushaltskonsolidierung in den Mitgliedstaaten aufgrund einer höheren Verfügbarkeit von Mitteln und e) die Ersparnisse und Ausgaben der Privathaushalte. Alle diese Auswirkungen würden jüngsten Schätzungen zufolge zu einer langfristigen Erhöhung des BIP um 0,25 % führen (8).

1.12   Der EWSA äußert Vorbehalte bezüglich der Folgenabschätzung für die Finanztransaktionssteuer, die dem Kommissionsvorschlag beigefügt ist. Der EWSA ist der Auffassung, dass dabei eine Reihe von Auswirkungen – von denen einige in dieser Stellungnahme aufgeführt werden – nicht berücksichtigt wird. Dadurch entsteht die Gefahr, dass die Gesamtbewertung des Vorschlags selbst an Gewicht verliert. Der EWSA fordert deshalb die Kommission auf, umgehend eine zusätzliche ausführlichere Bewertung vorzunehmen.

1.13   Der EWSA begrüßt die Entscheidung der Kommission, anstelle einer Finanzaktivitätssteuer (FAS) eine Finanztransaktionssteuer vorzuschlagen. Denn eine FAS birgt – bei geringeren Stabilisierungseffekten für die Finanzmärkte – die größere Gefahr, an die Verbraucher und Unternehmen weitergegeben zu werden, wenngleich mit ihrer Hilfe die Verteilung besser geregelt werden könnte (infolge einer besseren Koppelung an die aus Finanztransaktionen resultierenden Erträgen).

1.14   Der EWSA möchte daran erinnern, dass der Anteil der von Eurobarometer befragten Unionsbürger, die die Einführung einer Finanztransaktionssteuer befürworten, seit Herbst 2010 stetig über der 60 %-Marke liegt. Im Herbst 2010 begrüßten 61 %, im Frühjahr 2011 65 %, und im Herbst 2011 64 % die Einführung einer solchen Steuer (9). Deshalb kann die Einführung der FTT ein erster wichtiger Schritt zur Wiederherstellung des notwendigen Vertrauens der Unionsbürger in den Finanzsektor sein.

1.15   Der EWSA verpflichtet sich, in seiner Funktion als beratende Einrichtung der Kommission, des Europäischen Parlaments und des Rates, den Prozess der legislativen Umsetzung des Vorschlags der Kommission zur Einführung der Finanztransaktionssteuer kontinuierlich zu überwachen.

2.   Der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem

2.1   Seit 2009 wies die Europäische Kommission auf den G20-Gipfeltreffen (in Pittsburgh, Toronto und Cannes) darauf hin, dass eine Finanztransaktionssteuer weltweit eingeführt werden muss. In diesem Zusammenhang hat die Kommission am 7. Oktober 2010 eine Mitteilung über die Besteuerung des Finanzsektors veröffentlicht (COM(2010) 549 final).

2.2   Nun setzt die Kommission das Thema Besteuerung von Finanztransaktionen in einem systematischeren Rahmen erneut auf die Tagesordnung. Der Vorschlag fügt sich ein in den von der Kommission vorgelegten neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2014-2020. Mit diesem wird das Ziel verfolgt, dem Mehrjahreshaushalt der Europäischen Union mittels eines fundierteren und qualifizierteren Eigenmittelsystems größere Unabhängigkeit zu verleihen (10).

2.3   Die Steuer soll bei Finanztransaktionen zwischen Finanzinstituten angewandt werden. Ausgenommen davon sind: Finanztransaktionen, an denen Bürger und Unternehmen beteiligt sind (Abschluss von Versicherungsverträgen, Hypothekendarlehen, Verbraucherkredite oder Zahlungsdienste), Transaktionen auf dem Primärmarkt (außer Aktienbegebungen und Kapitalrückzahlungen, Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) und an alternativen Investmentfonds (AIF)) sowie Devisenkassageschäfte (nicht aber Devisenderivate).

2.4   Zur Entrichtung der Finanztransaktionssteuer verpflichtet sind Finanzinstitute, die „entweder für eigene oder fremde Rechnung als Partei einer Finanztransaktion oder im Namen einer Transaktionspartei handeln“. Finanzgeschäfte mit der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken bleiben hiervon unberührt. Rechtspersonen wie zentrale Gegenparteien (ZG), Zentralverwahrer (CSD) und internationale Zentralverwahrer (ICSD) gelten neben der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) nicht als Finanzinstitute, sofern sie Funktionen erfüllen, die nicht als eigentliche Handelstätigkeit anzusehen sind.

2.5   Um dem offensichtlichen Verlagerungsrisiko entgegenzuwirken wird das Ansässigkeits- bzw. Territorialitätsprinzip angewandt, wonach nicht der Ort, an dem die Transaktion stattfindet, sondern die Mitgliedstaaten, in denen die beteiligten Parteien ansässig sind, entscheidend sind. Die Transaktion unterliegt der Steuerpflicht, wenn mindestens eines der an der Transaktion beteiligten Finanzinstitute in der EU ansässig ist.

2.5.1   Nach Maßgabe von Artikel 3 der Richtlinie sind Finanzinstitute dann in einem Mitgliedstaat ansässig, wenn mindestens eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist:

das Finanzinstitut hat von den Behörden des betreffenden Mitgliedstaates die Genehmigung zur Beteiligung an diesbezüglichen Transaktionen erhalten;

das Finanzinstitut hat seinen eingetragenen Sitz in diesem Mitgliedstaat;

das Finanzinstitut hat seine ständige Anschrift und seinen gewöhnlichen Sitz in diesem Mitgliedstaat;

das Finanzinstitut hat eine Zweigstelle in diesem Mitgliedstaat;

das Finanzinstitut handelt in eigenem Namen, im Auftrag anderer Rechtspersonen oder im Namen einer Partei, die an einer Finanztransaktion mit einem anderen in diesem Mitgliedstaat ansässigen Finanzinstitut oder mit einer im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ansässigen Partei, die kein Finanzinstitut ist, beteiligt ist (11).

2.6   Der Steueranspruch entsteht zu dem Zeitpunkt, zu dem die Finanztransaktion durchgeführt wird. Angesichts der unterschiedlichen Arten von Transaktionen sind zwei unterschiedliche Bemessungsgrundlagen vorgesehen. Die erste betrifft Transaktionen, die in keinem Zusammenhang mit Derivatkontrakten stehen. Deren Bemessungsgrundlage entspricht der Gegenleistung, die ein Akteur einem Dritten zahlt oder schuldet. Ist die Gegenleistung geringer als der Marktpreis oder wurde ein solcher nicht festgelegt, wird die Bemessungsgrundlage nach dem Marktpreis ermittelt. Die zweite Bemessungsgrundlage betrifft die mit Derivatkontrakten verbundenen Finanztransaktionen. Deren Bemessungsgrundlage entspricht dem Nominalbetrag des Derivatkontrakts zum Zeitpunkt der Transaktion.

2.6.1   Es gelten folgende Mindeststeuersätze, die die Mitgliedstaaten auf die Bemessungsgrundlage anzuwenden haben:

i)

0,1 % bei Finanztransaktionen, die nicht mit Derivatkontrakten im Zusammenhang stehen;

ii)

0,01 % bei Finanztransaktionen im Zusammenhang mit Derivatkontrakten.

Für jede Transaktionskategorie können die Mitgliedstaaten nur einen Steuersatz anwenden. Die Mitgliedstaaten können jedoch nach freiem Ermessen höhere Steuersätze als die vorgegebenen Mindeststeuersätze anwenden.

2.7   Für die Entrichtung der Steuer ist jedes Finanzinstitut verantwortlich, das an der Transaktion als Beteiligter, im Auftrag anderer Rechtspersonen oder im Namen einer der an der Transaktion beteiligten Partei beteiligt ist bzw. wenn die Transaktion in seinem Namen durchgeführt wurde. Unter bestimmten Voraussetzungen sind alle an der Transaktion beteiligten Parteien gesamtschuldnerisch haftbar. Es liegt im freien Ermessen der Mitgliedstaaten, eventuell weitere Verantwortliche und weitere Pflichten hinsichtlich der Registrierung, der Buchhaltung, der Rechenschaftspflicht und sonstige Vorschriften, die eine wirksame Entrichtung der Steuer sicherstellen, festzulegen.

2.8   Bei elektronisch durchgeführten Transaktionen ist die Steuer zum Zeitpunkt der Entstehung des Steueranspruchs zu entrichten, für die anderen Fälle ist ein Zeitraum von maximal drei Arbeitstagen vorgesehen.

2.9   Es obliegt den Mitgliedstaaten, Maßnahmen zur Verhinderung von Steuerumgehung, Steuerhinterziehung und Steuermissbrauch zu ergreifen. Die Kommission kann nach Anhörung des Rats in diesem Bereich delegierte Rechtsakte vorschlagen.

2.10   Die Einführung der Finanztransaktionssteuer hat zur Folge, dass die Mitgliedstaaten keine anderen Steuern auf Finanztransaktionen beibehalten oder einführen dürfen.

2.11   Nach dem Vorschlag der Kommission würde die Einführung einer gemeinsamen Mindeststeuer – deren Inkrafttreten für den 1. Januar 2014 vorgesehen ist – eine Harmonisierung der von den Mitgliedstaaten bereits in diesem Bereich ergriffenen Maßnahmen ermöglichen und so ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts sicherstellen.

2.12   Die Entscheidung für die Einführung der Finanztransaktionssteuer wurde auf der Grundlage einer Folgenabschätzung getroffen. Als Option wurde auch die Einführung einer Finanzaktivitätssteuer (FAT) erwogen, die jedoch zugunsten der FTT verworfen wurde. Auf der Grundlage dieser Folgenabschätzung wird das Jahresaufkommen der FTT auf 57 Mrd. EUR geschätzt (voraussichtlich 37 Mrd. davon würden in den EU-Haushalt und die restlichen 20 Mrd. in die Haushalte der einzelnen Mitgliedstaaten fließen) (12).

2.13   Es ist vorgesehen, dass die Kommission dem Rat regelmäßig – erstmals zum 31. Dezember 2016 und danach alle fünf Jahre – einen Bericht über die Umsetzung der Richtlinie und gegebenenfalls Änderungsvorschläge übermittelt.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Mit dieser Stellungnahme möchte der EWSA den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rats über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem (COM(2011) 594 final (13)) bewerten.

3.2   Diese Stellungnahme fügt sich ein in den Rahmen, der durch die Initiativstellungnahme vom 15. Juli 2010 zum Thema „Steuer auf Finanztransaktionen“ und die Stellungnahme vom 15. Juni 2011 zur Mitteilung „Besteuerung des Finanzsektors“ (COM(2010) 549 final, siehe Fußnote 2) abgesteckt wurde.

3.3   Dem Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer liegt die Einsicht zugrunde, dass die Finanzmärkte in den letzten zwanzig Jahren infolge der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien ein exponentielles Wachstum im Bereich der Finanztransaktionen und eine damit verbundene Volatilität der Preise erfahren haben – mit destabilisierenden Folgen für die Weltwirtschaft (14).

3.3.1   Die Finanzmärkte, ursprünglich ein „Mittel“ zur Erschließung von Finanzquellen für die Realwirtschaft, haben sich immer mehr zum „Selbstzweck“ entwickelt und die Realwirtschaft de facto verdrängt. Angesichts dieser Situation hält es der EWSA für angezeigt, diese Märkte Mechanismen zu unterstellen, die mittels Regulierung die Effizienz und mittels der Transparenz die Effektivität sicherstellen und darüber hinaus gleichzeitig gewährleisten können, dass sie, wie andere Produktionsfaktoren, zum EU-Haushalt und den Haushalten der Mitgliedstaaten auf angemessene Weise beitragen können (15).

3.3.2   Der EWSA erinnert daran, dass die derzeitige Krise durch die Finanzkrise von 2007 ausgelöst wurde, die ab 2008 auf die Realwirtschaft durchschlug (16). Er ist der Ansicht, dass der Finanzsektor, der hauptsächlich für die Finanzkrise verantwortlich ist, aufgefordert werden muss, einen angemessenen Beitrag zur Überwindung der Krise zu leisten. Bis heute hat die Unterstützung für den Finanzsektor (sowohl in Bezug auf Finanzierungen als auch auf Garantien) die EU-Mitgliedstaaten 4,6 Billionen EUR oder 39 % des BIP der EU-27 von 2009 gekostet. Dieser Beitrag hat die öffentlichen Finanzen einiger EU-Mitgliedstaaten dramatisch verschlechtert und dadurch eine gefährliche Euro-Krise ausgelöst (17).

3.4   Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag zur Besteuerung von Finanztransaktionen ein Schritt auf dem von der Kommission eingeschlagenen Weg. Im Zuge der Überprüfung der wichtigsten Richtlinien im Wertpapiersektor soll eine bessere Regulierung und mehr Transparenz der Finanzmärkte (18) gewährleistet werden. Dafür hat sich der EWSA in seinen Arbeiten bereits mehrmals ausgesprochen.

3.5   Der EWSA hat sich bereits bei zwei Gelegenheiten für die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen ausgesprochen: zum einen mit der Initiativstellungnahme vom 15. Juli 2010 (siehe Fußnote 2) und zum anderen mit der Stellungnahme vom 15. Juni 2011 (siehe Fußnote 2).

3.5.1   Nach Ansicht des EWSA wird mit dem Kommissionsvorschlag (COM(2011) 594 final) ein europäisches Finanztransaktionssteuersystem eingeführt, das mit den Grundzügen der in den beiden vorgenannten Stellungnahmen geprüften Vorschlägen im Einklang steht.

3.6   Der EWSA ist von der Stichhaltigkeit der Hauptgründe überzeugt, die die Kommission dazu bewogen haben, eine Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene vorzuschlagen:

höhere Besteuerung der Finanzgeschäfte, um einen angemesseneren Beitrag dieser Tätigkeiten zum EU-Haushalt und zu den Haushalten der Mitgliedstaaten zu erhalten;

Änderung des Verhaltens der Finanzakteure, um das Volumen der Hochfrequenzhandelsgeschäfte mit niedriger Latenz (high frequency and low latency trading) zu verringern;

Harmonisierung der FTT in den einzelnen Mitgliedstaaten durch die Einführung von zwei Mindeststeuersätzen (0,1 % für Schuldtitel und Aktien, 0,01 % für Derivate).

3.6.1   Was den Beitrag zum EU-Haushalt und zu den Haushalten der Mitgliedstaaten betrifft, machen die Wirtschaftskrise und die gegenwärtige Staatsschuldenkrise Maßnahmen zur Konjunkturbelebung in einem durch immer stärkere Haushaltszwänge gekennzeichneten Umfeld erforderlich. Die Einführung der Finanztransaktionssteuer, die Teil des neuen EU-Eigenmittelsystems sein soll, würde eine erhebliche Reduzierung der Beiträge der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt und dadurch eine Konsolidierung der einzelnen Staatshaushalte ermöglichen. Nach einer Schätzung der Kommission könnten die neuen Eigenmittel 2020 ungefähr die Hälfte des EU-Haushaltes ausmachen, und der Anteil der Beiträge der Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Bruttonationaleinkommens (BNE-Eigenmittel) würde von derzeit über drei Viertel auf ein Drittel schrumpfen.

3.6.1.1   Wie bereits ausgeführt, würde die Einführung der Finanztransaktionssteuer auch für mehr Gerechtigkeit sorgen. In den letzten Jahren hat die Finanzwelt von einer ermäßigten Besteuerung profitiert. Durch die Steuererleichterung des Finanzdienstleistungssektors bei der Mehrwertsteuer ergab sich ein steuerlicher Vorteil von etwa 18 Mrd. EUR pro Jahr.

3.6.1.2   In diesem Zusammenhang hat sich der EWSA bereits für den Vorschlag der Kommission ausgesprochen, das Besteuerungssystem zu ändern, um den entsprechenden Beitrag des Finanzsektors zu erhöhen. Der EWSA hält deshalb den Vorschlag der Kommission für einen Schritt in die richtige Richtung.

3.6.2   Bezüglich der Möglichkeit, durch die Finanztransaktionssteuer die Zahl der mit hohem Risiko behafteten und hoher Volatilität unterliegenden Finanztransaktionen zu senken, soll die Kategorie von Finanztransaktionen betrachtet werden, die vom Vorschlag am meisten betroffen sein sollte. Dank hochentwickelter Informationstechnologien stützen sich die Hochfrequenzhandelsgeschäfte mit niedriger Latenz auf komplizierte mathematische Algorithmen, die innerhalb von Sekundenbruchteilen Marktdaten analysieren und die entsprechenden Interventionsstrategien für die Finanzmärkte (Menge, Preis, Zeitpunkt und Standort der Händler, Kauf- und Verkaufsanweisungen) umsetzen können. Gleichzeitig kann so die Latenzzeit (gemessen in Mikrosekunden = millionstel Sekunde) verkürzt werden kann. Mithilfe solcher Vorgänge ist der Akteur in der Lage, frühzeitig auf Marktentwicklungen zu reagieren und Kauf- und Verkaufsgeschäfte durchzuführen, die innerhalb eines Zeitfensters von nicht einmal einer Minute möglich sind. Bei dieser Art von Transaktionen wird inzwischen von missbräuchlicher Nutzung des elektronischen Handels gesprochen (19).

3.6.2.1   Geschäfte dieser Art haben auf den diversen Finanzmärkten der EU mittlerweile einen Handelsanteil von 13 bis 40 %. Schätzungen zufolge ist der Anteil an Hochfrequenzhandelsgeschäften in den USA in nur vier Jahren (von 2004 bis 2009) von 30 auf 70 % gestiegen (20).

3.6.2.2   Diese Transaktionen haben mit der Funktionsweise der Realwirtschaft nichts mehr gemein und können u.a. dem gesamten Wirtschaftssystem Liquidität entziehen, was die Systemfestigkeit – verstanden als die Widerstandsfähigkeit eines Systems in Krisenzeiten – schwächen kann (21).

3.6.2.3   Die Anwendung der Finanztransaktionssteuer würde durch eine Erhöhung der Transaktionskosten aufgrund des kumulativen Effekts der Steuer den Hochfrequenzhandel dämpfen. Das geringere Volumen des Hochfrequenzhandels würde Finanzinstituten zugute kommen, die auf traditionelle Finanztransaktionen im Bereich Kreditvermittlung ausgerichtet sind. Dies würde zweifelsfrei diejenigen Akteure, die derzeit große Liquiditätsprobleme haben – wie zum Beispiel kleine und mittlere Unternehmen – begünstigen.

3.6.2.4   Die bereits bestehenden Transaktionsbesteuerungssysteme haben gezeigt, dass die Handelsvolumina und die Volatilität der Wertpapierkurse verringert und so die Risikoprämien gesenkt werden können. Deshalb ist anzunehmen, dass die Einführung der Finanztransaktionssteuer in der EU eine entscheidende Wende auch für diese Art von „unproduktiven“ Transaktionen bedeuten würde.

3.6.3   Bezüglich des Ziels der Steuerharmonisierung ist zu berücksichtigen, dass bis jetzt zehn EU-Mitgliedstaaten verschiedene Arten von Steuern auf Finanzaktivitäten und -transaktionen eingeführt haben (Belgien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Rumänien, Polen, Vereinigtes Königreich und Zypern). Diese Staaten werden dazu aufgefordert, ihre Regelungen an die EU-Rechtsvorschrift anzupassen. D.h. von den Staaten wird u.a. verlangt, den Mindeststeuersatz anzuwenden und die jeweiligen Bemessungsgrundlagen an die Vorgaben der EU anzupassen. Die Einführung einer FTT würde für effizientere Finanzmärkte sorgen, da sich die durch unterschiedliche, von den Mitgliedstaaten einseitig festgelegten Steuervorschriften verursachten Marktverzerrungen vermeiden ließen. Sie würde somit zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beitragen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Die Kommission hat unter Annahme eines besonders strikten Szenarios die langfristigen negativen Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer auf das BIP auf zwischen – 0,17 % (bei einem Satz von 0,01 %) und – 1,76 % (bei einem Satz von 0,1 %) geschätzt. Dabei wurden einige „mildernde“ Effekte wie z.B. der Ausschluss des Primärmarktes, der Ausschluss von Transaktionen, an denen mindestens ein Akteur beteiligt ist, der nicht aus dem Finanzsektor kommt, und die Auswirkungen auf andere makroökonomische Variablen nicht berücksichtigt. Werden auch die „mildernden“ Effekte berücksichtigt, würde die negative Auswirkung auf das BIP laut Kommission von – 1,76 % auf – 0,53 % sinken. Bezüglich der Auswirkungen auf die Beschäftigung wurde geschätzt, dass diese sich zwischen – 0,03 % (bei einem Satz von 0,01 %) und – 0,20 % (bei einem Satz von 0,1 %) bewegen würden.

4.2   Werden jedoch neben den langfristigen negativen Auswirkungen auf das BIP infolge der Einführung der Finanztransaktionssteuer auch die positiven Effekte aufgrund der verbesserten Arbeitsweise der Finanzmärkte dank ihrer höheren Stabilität, der Rückverlagerung von Investitionen auf die Realwirtschaft, der Regulierungsmaßnahmen zur Erhöhung der Wirksamkeit, Effizienz und Transparenz der Märkte, der Steuerkonsolidierung in den Mitgliedstaaten dank mehr verfügbaren Mitteln berücksichtigt, dann ist von einem alles in allem positiven Effekt im Hinblick auf die Veränderung des BIP von ca. 0,25 % auszugehen (22).

4.3   Der EWSA erachtet die mit dem Vorschlag der Kommission vorgelegte Folgenabschätzung für unzureichend und hält es daher für notwendig, dass die Kommission zusätzliche Untersuchungen dazu vorlegt, die eine umfassendere Bewertung der Auswirkungen des Vorschlags ermöglichen.

4.3.1   Der EWSA ist der Ansicht, dass dabei folgende Punkte berücksichtigt werden müssen: einige in der vorliegenden Stellungnahme aufgeführte Effekte, die in der Folgenabschätzung der Kommission nicht berücksichtigt wurden; die Erklärungen einiger Hypothesen, von denen die Kommission in ihrer Folgenabschätzung ausgegangen ist (zum Beispiel die Nachfragelastizität der Finanzprodukte, die der Finanztransaktionssteuer unterliegen); die Effekte einer möglichen Überwälzung der Steuer auf die Verbraucher und Unternehmen und die Auswirkungen der Einführung der FTT auf die Beschäftigung im Finanzsektor der EU-Mitgliedstaaten.

4.4   Der EWSA ist der Ansicht, dass die Einführung der Finanztransaktionssteuer mit angemessenen Methoden erfolgen muss, die die Risiken und die damit verbundenen Kosten neutralisieren oder zumindest reduzieren. Zu den Risiken, die laut EWSA berücksichtigt werden müssen, gehören: die eventuelle Überwälzung der Steuer auf die Kreditkosten für Unternehmen und Verbraucher; die Senkung der Erträge aus Pensionsfonds; die Verlagerung von Finanzinvestitionen; die Erhöhung der Kosten für Unternehmen aus Kurssicherungsgeschäften (Absicherung gegen Rohstoff- und Währungsschwankungen); die Auswirkungen der Steuer auf die Gewinne im Finanzsektor und auf die Mitgliedstaaten, in denen dieser Sektor ein wesentliches Gewicht hat, sowie die Auswirkungen auf die Wirtschaft, da die Einführung der Steuer in eine rezessiv geprägte Wirtschaftsphase fallen könnte.

4.5   Der EWSA ist jedoch der Ansicht, dass diesen Risiken wesentlich größere Chancen und Vorteile gegenüberstehen. Die Finanztransaktionssteuer, die kurzfristige Investitionen belastet, wird zu einem Anstieg der Nachfrage nach mittel- und langfristigen Anlagen führen, wie sie für die Finanzierung von Unternehmen und Staaten üblich sind. Dies hat eine Zunahme der auf den Märkten zur Verfügung stehenden liquiden Mittel zur Folge und trägt somit dazu bei, die Situation der Unternehmen, privaten Haushalte und überschuldeten Staaten zu verbessern. Von besonderer Bedeutung ist die Stabilisierung an den Märkten für Derivate. Tatsächlich sind die Eigenschaften dieser Produkte von erheblicher Bedeutung für die Zahl der getätigten Transaktionen, wodurch die Verbreitung von Produkten, die wesentlich zur derzeitigen Krise der Finanzmärkte und der Weltwirtschaft beigetragen haben, gebremst wird.

4.6   Der mögliche zusätzliche Abzug von den Pensionsfonds infolge der Einführung der Finanztransaktionssteuer wäre angesichts der Modalitäten und Arten der Anlagen von bescheidenem Ausmaß; außerdem könnte eine eventuelle Aufwertung der typischen Assets von Pensionsfonds (Anlagen mit geringer Volatilität) die eventuellen Ertragseinbußen durch die Steuer kompensieren und noch übersteigen. Der EWSA ist daher der Ansicht, dass eine Reduzierung der Steuersätze oder einige Formen von Steuerbefreiungen im Bereich der Pensionsfonds geprüft werden könnten, um damit die Auswirkungen auf die Pensionsfonds zu neutralisieren oder zu reduzieren.

4.7   Der Geltungsbereiche und die Sätze der Finanztransaktionssteuer sind so gestaltet, dass die negativen Auswirkungen der Verlagerung von Investitionen und Finanzfonds in Drittstaaten eingeschränkt werden. Darauf hatte der EWSA bereits im Zusammenhang mit der nicht weltweiten Einführung der Steuer hingewiesen.

4.7.1   Im Hinblick auf den Geltungsbereich der Finanztransaktionssteuer hat die Anwendung des Ansässigkeitskriteriums (bzw. des Territorialitätsprinzips) zur Folge, dass auch in der EU ansässige Finanzinstitute aus Drittländern der Steuer unterliegen, womit ein umfassende Anwendung der Steuer gewährleistet wird. Die Definition der Ansässigkeit von Finanzinstituten im Sinne der Bestimmung des Mitgliedstaates, der die Steuer einzieht, ermöglicht es auch, Steuerumgehung und Steuerhinterziehung erfolgreich einzuschränken.

4.7.2   Um die Effekte der Verlagerung von Finanztransaktionen noch weiter zu neutralisieren, unterstützt der EWSA den vom Europäischen Parlament gemachten Vorschlag, das Herausgabekriterium („issuance principle“) einzuführen. Diesem Kriterium zufolge wird die Steuer (in Form einer Stempelsteuer, „stamp duty“) auf alle Transaktionen erhoben, die von in der EU registrierten juristischen Personen emittierte Finanzinstrumente betreffen (23).

4.7.3   Im Hinblick auf die Anwendung der Steuersätze erinnert der EWSA zwar daran, dass er in der Stellungnahme von 2010 (siehe Fußnote 2) die Anwendung eines einheitlichen Steuersatzes von 0,05 % empfohlen hatte, stimmt aber zu, dass die Anwendung der beiden von der Kommission vorgeschlagenen Sätze dazu beiträgt, das Risiko der Verlagerung der Märkte zu senken und angemessene Haushaltsmittel für die Union und die Mitgliedstaaten sicherzustellen.

4.7.4   Der EWSA erinnert außerdem daran, dass dort, wo die Finanztransaktionssteuer mit besonderer Sorgfalt bezüglich ihrer Verwaltung, der Bemessungsgrundlage und der Anwendung des Steuersatzes eingeführt wurde, positive Ergebnisse in puncto Steueraufkommen ohne Beeinträchtigung des Wirtschaftswachstums erzielt wurden. Dies war in folgenden Ländern der Fall: Südkorea, Hongkong, Indien, Brasilien, Taiwan und Südafrika (24).

4.8   Wird der Primärmarkt von der Besteuerung ausgenommen, minimiert dies die Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer auf die Finanzierungskosten von Sachgütern und beschränkt sie auf indirekte Folgen im Zusammenhang mit der geringeren Liquidität, die diese Steuer in Bezug auf die von den Finanzinstituten gehandelten Wertpapiere verursachen kann.

4.9   Da die Steuer auch auf Währungsderivatkontrakte, jedoch nicht auf Devisenkassageschäfte angewendet wird, ermöglicht sie eine Intervention bei einem Großteil der spekulativen Geschäfte auf den Devisenmärkten (25). Eine eventuelle Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Finanztransaktionssteuer auf Devisenkassatransaktionen würde (in Anbetracht der vorgesehenen Steuersätze) weder den freien Kapitalverkehr einschränken, noch gegen die entsprechenden Kapitel des Vertrags von Lissabon verstoßen (Leading Group on Innovating Financing for Development, Paris, Juni 2010).

4.10   Wie bereits vom EWSA angemerkt (Stellungnahme von 2011, siehe Fußnote 2), sind die Finanztransaktionssteuer und die Finanzaktivitätssteuer keine alternativen Besteuerungssysteme. Die FTT fällt im Wesentlichen auf kurzfristige Transaktionen an, während die FAT auf die Gesamtheit der Finanztätigkeiten erhoben wird (damit auch auf Geschäfte am Primärmarkt). Die Einführung der FTT schließt auch die Anwendbarkeit eines europäischen FAT-Systems nicht aus, zumal wenn das vorrangige Ziel „ein gerechter und wesentlicher Beitrag des Finanzsektors zu den öffentlichen Finanzen“ (Stellungnahme von 2010, siehe Fußnote 2) und die Harmonisierung der Steuererhebung auf Finanztätigkeiten zur Stärkung des Binnenmarktes ist. Darüber hinaus bestärkt die Anwendung eines europäischen Systems der Besteuerung von Finanztransaktionen per se die Notwendigkeit einer größeren Übereinstimmung der Besteuerungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten im Hinblick auf Finanztätigkeiten im Allgemeinen.

4.10.1   Die Finanztransaktionssteuer hat einen progressiven Umverteilungseffekt, sowohl aufgrund der stärkeren Nutzung der vom Finanzsektor erbrachten Dienstleistungen durch Personen mit hohem Einkommen, als auch aufgrund der Tatsache, dass sie privaten Haushalten und Unternehmen, die nicht im Finanzbereich tätig sind, keine direkten Kosten verursacht. Denn die Steuer wird nicht auf die – diese beiden Gruppen betreffende – Vergabe und Aufnahme von Darlehen erhoben. Diese Transaktionen wären nur durch eventuelle indirekte Kosten betroffen, die sich aus der geringeren Liquidität der Finanzinstitute ergeben könnten.

4.11   Die Erhebung der Steuer ist einfach und verursacht für auf den Märkten getätigte Transaktionen und im Allgemeinen auch für registrierte Transaktionen nur geringe Kosten. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die Registrierungspflichten für Finanztransaktionen auszuweiten und auch auf Over-the-counter-Geschäfte auszudehnen, welche nicht standardisierte Produkte betreffen, die im sogenannten außerbörslichen Handel bilateral zwischen zwei Parteien gehandelt werden.

Brüssel, den 29. März 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Das Europäische Parlament „befürwortet die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die die Funktionsweise des Marktes durch eine Reduzierung der Spekulationsgeschäfte verbessern und dazu beitragen würde, globale Kollektivgüter zu finanzieren und die öffentlichen Defizite zu verringern“.

Entschließung des Europäischen Parlamentes vom 8. März 2011 zur innovativen Finanzierung auf globaler und europäischer Ebene (2010/2105 (INI)).

(2)  Initiativstellungnahme vom 15.7.2010 zum Thema Steuer auf Finanztransaktionen (ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 81).

Stellungnahme zur Mitteilung vom 15.6.2011Besteuerung des Finanzsektors (COM(2010) 549 final) (ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 64).

(3)  Stellungnahme zur Mitteilung „Überprüfung des EU-Haushalts“ (ABl. C 248 vom 25.8.2011 S. 75).

(4)  Algirdas ŠEMETA, „EU tax coordination and the financial sector“ (Steuerkoordination in der EU und der Finanzsektor), Rede des für Steuern und Zollunion, Audit und Betrugsbekämpfung zuständigen Kommissionsmitglieds vom 17.2.2012 in London (Speech/12/109).

Entschließung des Europäischen Parlaments zur innovativen Finanzierung auf globaler und europäischer Ebene (P7_TA-PROV(2011)0080).

(5)  Entwurf eines Berichts des Europäischen Parlaments über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG, Berichterstatterin: ANNI PODIMATA (10.2.2012).

(6)  Schulmeister, S., 2011, Implementation of a General Financial Transaction Tax. Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, in Auftrag gegeben von der Bundesarbeitskammer.

Griffith-Jones, S., Persaud, A., 2012, Financial TransactionTaxes, http://www.europarl.europa.eu/document/activities/cont/201202/20120208ATT37596/20120208ATT37596EN.pdf.

(7)  Siehe Folgenabschätzung der Kommission: SEC(2011) 1103 final.

(8)  Griffith-Jones, S., Persaud, A., 2012, ebenda.

(9)  Europäische Kommission, 2011, Eurobarometer 76 – Public opinion in the European Union - First Results („Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union – Erste Ergebnisse“). Erhebung: November 2011. Veröffentlichung: Dezember 2011.

(10)  Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2014-2020 (COM(2011) 398 final). Damit wird die Mitteilung der Kommission „Ein Haushalt für Europa 2020“ vom 29. Juni 2011 (COM(2011) 500 final) umgesetzt.

(11)  Werden mehrere Bedingungen erfüllt, dient die erste erfüllte Bedingung der genannten Auflistung zur Bestimmung des Mitgliedstaats der Ansässigkeit.

(12)  Europäische Kommission, Brüssel, 28. September 2011, SEC(2011) 1103 final, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen – Zusammenfassung der Folgenabschätzung. Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG.

(13)  Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG (COM(2011) 594 final).

(14)  Das Volumen der Währungstransaktionen ist im Vergleich zum Waren- und Dienstleistungshandel weltweit mindestens 70-mal größer. Der Handelsumsatz auf den Derivatemärkten war 2006 in Europa 84-mal höher als das BIP, während der Handelsumsatz auf dem Spotmarkt (Käufe oder Verkäufe von Währungen oder Wertpapieren mit unmittelbar abgeschlossenen Verträgen – on the spot), nur 12-mal höher als das nominale BIP der EU war.

Schulmeister, S., Schratzenstaller, M., Picek, O, 2008, A General Financial Transaction Tax – Motives, Revenues, Feasibility and Effects,Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), im Auftrag des Ökosozialen Forums Österreich, mit finanzieller Unterstützung des österreichischen Bundesministeriums für Finanzen und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, März 2008.

(15)  Haug, J., Lamassoure, A., Verhofstadt, G.,Gros, D., De Grauwe, P., Ricard-Nihoul, G., Rubio, E., 2011, Europe for Growth – For a Radical Change in Financing the EU.

Bericht der de-Larosière-Gruppe (ABl. C 318 vom 23.12.2009).

Europäisches Parlament, 15. Juni 2010, Bericht über die Finanz-, Wirtschafts- und Sozialkrise: Empfehlungen in Bezug auf die zu ergreifenden Maßnahmen und Initiativen (2010/2242 (INI)); Berichterstatterin: PERVENCHE BERÈS.

Europäisches Parlament, 8. März 2010, Entschließung zu Steuern auf Finanzgeschäfte. (2009/2750 (RSP)).

Europäisches Parlament, 8. März 2011, Entschließung zu einer innovativen Finanzierung auf globaler und europäischer Ebene. (2010/2105(INI)); Berichterstatterin: ANNI PODIMATA.

(16)  Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung – Instrumente für bessere wirtschaftspolitische Steuerung der EU(ABl. C 107 vom 6.4.2011).

(17)  Europäische Kommission, Brüssel, 28. September 2011, SEC(2011) 1103 final, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen - Zusammenfassung der Folgenabschätzung. Begleitdokument zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG.

(18)  Brüssel, 20. Oktober 2011, COM(2011) 656 final, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rats über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates.

Brüssel, 20. Oktober 2011, COM(2011) 652 final, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung [EMIR] über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister.

(19)  Schulmeister, S., (2011), ebenda,

New York Times, 23.7.2011, Stock Traders Find Speed Pays, in Milliseconds. Duhigg, C.

(20)  Europäische Kommission, 8. Dezember 2010, öffentliche Konsultation zum Thema – Review of the Markets in Financial Instrument Directive (MiFID) („Überarbeitung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente – MiFID“), Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen.

Europäische Kommission, 20. Oktober 2010, SEC(2011) 1226 final, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen. Impact Assessment Accompanying the document Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on Markets in financial instruments [Recast] and the Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on Markets in financial instruments.

Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, 2011, ebenda.

(21)  Persaud, A., 14. Oktober 2011, La Tobin Tax? Si può fare (Die Tobinsteuer ist machbar) (www.lavoce.info).

(22)  Griffith-Jones, S., Persaud, A., 2012, ebenda.

(23)  Sollten die Vertragspartner die Stempelsteuer nicht entrichten, wird der Kaufvertrag unwirksam. Europäisches Parlament Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG. Berichterstatterin ANNI PODIMATA (10.2.2012).

(24)  Griffith-Jones, S., Persaud, A., 2012, ebenda.

(25)  Devisentransaktionen sind genau die Art von Transaktionen, für die diese Steuer von J. Tobin erfunden wurde; Tobin, J., 1978, A Proposal for International Monetary Reform. Prof Tobin's Presidential Address at 1978 Conference of Eastern Economic Association. Wash. D.C., Cowles Foundation Paper – Reprinted for Eastern Economic Journal, 4(3-4) Juli-Oktober 1978.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:

Ziffer 1.1

Nach Ziffer 1.1. neue Ziffer 1.2 einfügen:

Begründung

Erfolgt mündlich.

Der Änderungsantrag wird mit 143 gegen 93 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen abgelehnt.

Ziffer 1.10

Ändern:

Der EWSA betont die Notwendigkeit, die negativen makroökonomischen und mikroökonomischen Folgen der Anwendung der Finanztransaktionssteuer sorgfältig zu bedenken und die daraus resultierenden Risiken und Kosten zu neutralisieren oder zumindest zu reduzieren. Deshalb ist der EWSA der Ansicht, dass geeignete Ausgleichsmechanismen erwogen werden sollten, mit denen die größten negativen Auswirkungen der FTT auf die Realwirtschaft ausgeglichen werden können.

Begründung

Es ist eine Tatsache, dass der Finanzsektor in jedem Mitgliedstaat ein unterschiedliches relatives wirtschaftliches Gewicht in Bezug auf die Gesamtwirtschaft hat. Deshalb ist es richtig, dass der EWSA diese Tatsache zur Kenntnis nimmt.

Der Änderungsantrag wird mit 137 gegen 86 Stimmen bei 15 Stimmenthaltungen abgelehnt.

Ziffer 3.3.2

Ändern:

Der EWSA erinnert daran, dass die derzeitige Krise durch die Finanzkrise von 2007 ausgelöst wurde, die ab 2008 auf die Realwirtschaft durchschlug  (1) . Er ist der Ansicht, dass der Finanzsektor, der hauptsächlich für die Finanzkrise verantwortlich ist, aufgefordert werden muss, einen angemessenen Beitrag zur Überwindung der Krise zu leisten. Bis heute hat die Unterstützung des Finanzsektors (sowohl im Bezug auf Finanzierungen als auch auf Garantien) die EU-Mitgliedstaaten 4,6 Billionen EUR oder 39 % des BIP der EU-27 von 2009 gekostet. Dieser Beitrag hat die öffentlichen Finanzen einiger EU-Mitgliedstaaten dramatisch verschlechtert und dadurch eine gefährliche Euro-Krise ausgelöst  (2).“

Begründung

Wenn von den Verantwortlichen für die Krise die Rede ist, dürfen die Politiker nicht unerwähnt bleiben. Es liegt auf der Hand, dass ihr langjähriges unverantwortliches Handeln in vielen Staaten erheblich zur Krise beigetragen hat.

Der Änderungsantrag wird mit 154 gegen 72 Stimmen bei 15 Stimmenthaltungen abgelehnt.

Ziffer 4.6

Ändern:

Der zusätzliche Abzug von den Pensionsfonds infolge der Einführung der Finanztransaktionssteuer angesichts der Modalitäten und Arten der Anlagen bescheiden; eine eventuelle Aufwertung der typischen Assets der Pensionsfonds (Anlagen mit geringerer Volatilität) die eventuellen Ertragseinbußen durch die Steuer . Der EWSA ist daher der Ansicht, dass eine Reduzierung der Steuersätze oder Steuerbefreiungen im Bereich der Pensionsfonds geprüft werden sollten, .“

Begründung

In der Studiengruppensitzung wurden Informationen vorgelegt, wonach die Einführung dieser Steuer zu einer Verringerung kapitalgedeckter Renten um bis zu 5 % führen kann. Es lässt sich moralisch nicht rechtfertigen, dass Millionen künftiger europäischer Rentner auf diese Weise gezwungen werden, eine Kürzung ihrer meist geringen Renten hinzunehmen.

Der Änderungsantrag wird mit 142 gegen 82 Stimmen bei 19 Stimmenthaltungen abgelehnt.

Ziffer 4.7.3

Ändern:

Im Hinblick auf die Anwendung der Steuersätze erinnert der EWSA zwar daran, dass er in der Stellungnahme von 2010 (siehe Fußnote 2) die Anwendung eines einheitlichen Steuersatzes von 0,05 % empfohlen hatte, stimmt aber zu, dass die Anwendung der beiden von der Kommission vorgeschlagenen Sätze dazu beiträgt, das Risiko der Verlagerung der Märkte zu senken und angemessene Haushaltsmittel für die Union und die Mitgliedstaaten sicherzustellen.

Begründung

Es gibt keinerlei Anlass für den EWSA, seinen früheren Standpunkt in Bezug auf einen maximalen Steuersatz in Höhe von 0,05 % zu ändern, vor allem wenn man die zahlreichen schwer vorherzusehenden Folgen der vorgeschlagenen Regelung bedenkt.

Der Änderungsantrag wird mit 144 gegen 85 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen abgelehnt.


(1)  Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung – Instrumente für bessere wirtschaftspolitische Steuerung der EU (ABl. C 107 vom 6.4.2011).

(2)  Europäische Kommission, Brüssel, 28. September 2011, SEC(2011) 1103 final, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen - Zusammenfassung der Folgenabschätzung. Begleitdokument zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Finanztransaktionssteuersystem und zur Änderung der Richtlinie 2008/7/EG.