2.10.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

CE 296/101


Donnerstag, 7. April 2011
Lage in Côte d'Ivoire

P7_TA(2011)0152

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. April 2011 zur Lage in Côte d'Ivoire

2012/C 296 E/15

Das Europäische Parlament,

unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zu Côte d’Ivoire und insbesondere auf die Entschließung vom 16. Dezember 2010 (1),

unter Hinweis auf die Erklärung von Bamako vom 3. November 2000 zu Demokratie, Menschenrechten und Freiheiten in der frankophonen Welt,

unter Hinweis auf die einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu Côte d'Ivoire, insbesondere die Resolutionen 1946 und 1951 (2010) sowie die Resolutionen 1967, 1968 und 1975 (2011),

in Kenntnis der von der HV/VP Baroness Catherine Ashton abgegebenen Erklärungen zur Lage in Côte d'Ivoire und insbesondere der Erklärungen vom 3., 10., 12. und 19. März sowie vom 1. April 2011,

in Kenntnis der Schlussfolgerungen zu Côte d’Ivoire, die vom Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ auf seiner 3065. Tagung am 31 Januar 2011 angenommen wurden,

unter Hinweis auf den Beschluss 2011/18/GASP des Rates und auf die Verordnung (EU) Nr. 25/2011 des Rates vom 14. Januar 2011, durch die Guthaben eingefroren und restriktive Maßnahmen gegen weitere Personen und Organisationen in Côte d’Ivoire verhängt wurden,

unter Hinweis auf den am 10. März 2011 in Addis Abeba angenommenen Beschluss des Friedens- und Sicherheitsrates der Afrikanischen Union (AU),

unter Hinweis auf die Erklärungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu Côte d’Ivoire vom 3. und 11. März 2011,

unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung der Ko-Präsidenten der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU vom 18. März 2011, in der sie die Gewalt und die Menschenrechtsverletzungen in Côte d’Ivoire verurteilen,

unter Hinweis auf die Erklärung seines Präsidenten Jerzy Buzek vom 18. März 2011, in der ein Ende jeglicher Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung in Côte d’Ivoire gefordert wird,

unter Hinweis auf die am 25. März 2011 in Abuja angenommene Entschließung der in der Kommission der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) vertretenen Staats- und Regierungschefs zur Lage in Côte d’Ivoire,

unter Hinweis auf die Resolution des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen vom 25. März 2011 über die Einrichtung einer internationalen Untersuchungskommission zur Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen in Côte d’Ivoire seit den Präsidentschaftswahlen,

gestützt auf Artikel 110 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

A.

in der Erwägung, dass Côte d'Ivoire im Verlauf der vergangenen vier Monate in eine tiefe politische Krise gestürzt wurde, da sich der amtierende Präsident Laurent Gbagbo weigert, die Macht dem rechtmäßigen Präsidenten Alassane Ouattara zu überlassen, obwohl dieser die Präsidentschaftswahlen vom November 2010 gewonnen hat und von der internationalen Gemeinschaft nach der Bestätigung des Wahlergebnisses durch die Vereinten Nationen als Wahlsieger anerkannt worden ist,

B.

in der Erwägung, dass alle diplomatischen Bemühungen um einen friedlichen Ausweg aus der festgefahrenen politischen Situation nach den Wahlen, einschließlich der Bemühungen der Afrikanischen Union, der ECOWAS und des südafrikanischen Staatspräsidenten, erfolglos waren,

C.

in der Erwägung, dass die Intensität der Kämpfe seit Mitte Februar sowohl in der Hauptstadt als auch im Westen des Landes zugenommen hat, wobei besorgniserregenden Berichten zufolge in zunehmendem Umfang schwere Artillerie gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird,

D.

in der Erwägung, dass die Republikanischen Truppen Präsident Ouattaras in den vergangenen Tagen eine Großoffensive begonnen haben, um dessen Autorität wiederherzustellen, und die Kontrolle über eine Reihe wichtiger Gebiete erlangt haben, einschließlich der politischen Hauptstadt Yamoussoukro und der Hafenstadt San Pedro, die von grundlegender Bedeutung für die Kakaoausfuhr ist, in der Erwägung, dass die Truppen Alassane Ouattaras nun in Abidjan einmarschiert sind, wodurch es zu heftigen Kämpfen mit den Truppen des ehemaligen Präsidenten gekommen ist,

E.

in der Erwägung, dass laut VN-Quellen in Côte d’Ivoire seit Dezember 2010 Hunderte von Menschen ums Leben gekommen sind; in der Erwägung, dass die tatsächliche Zahl der Opfer wahrscheinlich wesentlich höher ist, da über die Gewalt im Landesinnern nicht immer in der Presse berichtet wird,

F.

in der Erwägung, dass vorsätzliche Angriffe auf Angehörige der VN-Friedenstruppen und Einrichtungen der VN Kriegsverbrechen sind; in der Erwägung, dass die Operation der Vereinten Nationen in Côte d'Ivoire (ONUCI) fortlaufend Ziel von Drohungen und Angriffen seitens der Sicherheitskräfte des ehemaligen Präsidenten Gbagbo ist, der Brandreden hält, in denen er zu Gewalt gegenüber den VN-Truppen und Ausländern in Côte d’Ivoire aufruft; in der Erwägung, dass mehrere Angehörige der VN-Friedenstruppen schwer verwundet oder sogar getötet worden sind,

G.

in der Erwägung, dass in Côte d'Ivoire Grausamkeiten begangen wurden, einschließlich Fällen von sexueller Gewalt, von Verschleppung, von Exekutionen ohne Gerichtsurteil und von übermäßiger und wahlloser Anwendung von Gewalt gegenüber Zivilisten, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen,

H.

in der Erwägung, dass Côte d'Ivoire durch die von seiner Regierung am 18. April 2003 übersandte Erklärung gemäß Artikel 12 Absatz 3 des Römischen Statuts die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) für nach dem 19. September 2002 auf seinem Staatsgebiet verübte Verbrechen anerkannt hat; in der Erwägung, dass die Anklagebehörde des IStGH gegen Côte d'Ivoire weiterhin eine vorläufige Untersuchung führt,

I.

in der Erwägung, dass sich der Verfall der Rechtsstaatlichkeit in Côte d'Ivoire weiter fortgesetzt hat, indem die Redefreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Medien immer stärkeren Einschränkungen unterworfen werden,

J.

in der Erwägung, dass sich die Wirtschaftslage in Côte d'Ivoire in den vergangenen vier Monaten erheblich verschlechtert hat, da Laurent Gbagbo im Banken- und im Kakaosektor widerrechtliche Verstaatlichungen durchgeführt und willkürliche Enteignungen von Geld und Privateigentum vorgenommen hat; in der Erwägung, dass der IWF kürzlich vor den schwerwiegenden negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der gegenwärtigen Lage in Côte d'Ivoire auf die gesamte Region Westafrika gewarnt hat,

K.

in der Erwägung, dass aufgrund des im Lande herrschenden Klimas des Terrors Schätzungen zufolge eine Million Menschen vertrieben worden sind, sowohl innerhalb des Landes als auch in Nachbarländer wie Liberia, Ghana, Togo, Mali und Guinea,

L.

in der Erwägung, dass die Kommission die humanitäre Hilfe der EU für Côte d'Ivoire am 17. März 2011 verfünffacht hat,

M.

in der Erwägung, dass Laurent Gbagbo in der einstimmig angenommenen Resolution 1975 (2011) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nachdrücklich aufgefordert wird, unverzüglich abzutreten, und ein umgehendes Ende der Gewalt gegen Zivilisten gefordert wird, während gleichzeitig gezielte finanzielle und Reisesanktionen gegen Laurent Gbagbo, seine Frau und drei seiner Mitarbeiter verhängt werden,

1.

verurteilt die Versuche des ehemaligen Präsidenten Gbagbo und seiner Anhänger, sich dem Willen des ivorischen Volkes gewaltsam entgegenzustellen; fordert Laurent Gbagbo erneut auf zurückzutreten und unverzüglich die Macht an Alassane Ouattara zu übergeben; begrüßt in diesem Zusammenhang die Verabschiedung der Resolution 1975 (2011), in der der VN-Sicherheitsrat seine schärfste Erklärung seit Beginn der Krise nach den Wahlen in Côte d'Ivoire abgegeben hat, indem er Laurent Gbagbo auffordert, unverzüglich abzutreten;

2.

bedauert, dass keine diplomatische Lösung gefunden werden konnte, auch nicht mittels der von der Afrikanischen Union unterstützten Lösungen, und dass die Krise nach den Wahlen durch Gewalt und einen bewaffneten Konflikt gekennzeichnet war;

3.

würdigt die Forderung westafrikanischer Frauen, den politischen Konflikt in Côte d'Ivoire friedlich zu lösen und die Personen, die Gewalttaten an der Bevölkerung des Landes verübt haben, vor Gericht zu bringen; bedauert, dass Frauenorganisationen, religiöse Führer und führende Personen örtlicher Gemeinwesen nur unzureichende Anstrengungen unternommen haben, um innerhalb des Landes Druck auszuüben und eine Vermittlung mit dem Ziel eines friedlichen Auswegs aus der festgefahrenen politischen Lage im Lande zu unterstützen;

4.

weist darauf hin, dass die einzige Quelle demokratischer Legitimität allgemeine Wahlen sind, und dass die Wahl Alassane Ouattaras den souveränen Willen des ivorischen Volkes widerspiegelt; fordert alle ivorischen Institutionen, einschließlich der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte von Côte d'Ivoire (FDSCI), auf, sich unverzüglich der Autorität des demokratisch gewählten Präsidenten Ouattara und seiner Regierung zu unterwerfen;

5.

verurteilt aufs Schärfste die Ausweitung der Gewalt in Côte d'Ivoire, insbesondere den Einsatz schwerer Waffen gegen die Zivilbevölkerung, und die daraus folgenden schweren Verluste an Menschenleben; bekundet seine tief empfundene Solidarität mit allen unschuldigen Opfern von Unrecht und Gewalt in Côte d’Ivoire und mit ihren Familien; betont, dass Gewaltanwendung gegen Zivilisten, einschließlich Frauen, Kinder und über Staatsgrenzen hinweg vertriebener Personen, nicht toleriert wird und sofort beendet werden muss;

6.

verurteilt entschieden die Menschenrechtsverletzungen und die Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die Berichten zufolge gegenüber der Zivilbevölkerung begangen wurden, einschließlich Hinrichtungen ohne Gerichtsurteil und sexueller Gewalttaten; weist darauf hin, dass diese Taten dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zufolge Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen können; bringt zum Ausdruck, dass es jede Nutzung der Medien für die Aufstachelung zum Hass entschieden ablehnt; fordert eine Aufhebung aller Beschränkungen der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung; verurteilt die Entführung von vier Personen, darunter zwei EU-Bürger, aus einem Hotel in einer Gegend Abidjans, die von den Truppen Laurent Gbagbos kontrolliert wird, und fordert ihre unverzügliche Freilassung;

7.

besteht darauf, dass es keinerlei Straflosigkeit geben darf und dass alle erdenklichen Anstrengungen unternommen werden müssen, um sämtliche Verantwortlichen für Verbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung aufzuspüren und, auch auf internationaler Ebene, vor Gericht zu bringen; begrüßt in diesem Zusammenhang die Einrichtung einer Untersuchungskommission durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen; weist darauf hin, dass laut dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen der IStGH über seine Zuständigkeit in Zusammenhang mit der Lage in Côte d'Ivoire entscheiden wird; fordert alle Akteure in Côte d'Ivoire auf, mit diesen Einrichtungen zusammenzuarbeiten, damit der Gerechtigkeit Genüge getan werden kann; fordert die EU auf, sämtliche notwendige Unterstützung für diese Untersuchungen zur Verfügung zu stellen;

8.

verurteilt entschieden die Akte der Einschüchterung und Behinderung gegenüber der ONUCI und der EU;

9.

begrüßt die vom VN-Sicherheitsrat, der Afrikanischen Union und dem Rat der Europäischen Union verhängten zusätzlichen gezielten Sanktionen, die sich auf das Verbot der Visumerteilung und das Einfrieren von Guthaben erstrecken und gegen alle Personen und Organisationen gerichtet sind, die sich der Autorität des rechtmäßigen Präsidenten entgegenstellen, sowie die Beschlüsse der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, die sich weigern, mit der unrechtmäßigen Regierung zusammenzuarbeiten; hebt hervor, dass diese Sanktionen in Kraft bleiben müssen, bis die Macht wieder in den Händen der rechtmäßigen Staatsorgane ist;

10.

begrüßt, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in seiner Resolution 1975 (2011) die der ONUCI erteilten Vollmachten bekräftigt, alle notwendigen Mittel anzuwenden, um ihr Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung zu erfüllen und dabei auch die weitere Anwendung schwerer Waffen zu verhindern, und der ONUCI seine volle Unterstützung bei solchen Maßnahmen zusichert; fordert in diesem Zusammenhang einen raschen und erheblichen Ausbau der Kapazitäten der ONUCI, um einen wirksamen Schutz der Zivilbevölkerung in Côte d'Ivoire zu gewährleisten;

11.

weist darauf hin, dass die ONUCI gemäß ihrem Mandat in Abidjan mit Unterstützung der französischen „Licorne“-Truppen und auf Ersuchen des VN-Generalsekretärs bereits Maßnahmen ergriffen hat, um den Einsatz schwerer Waffen gegen die Zivilbevölkerung zu stoppen und Zivilisten und VN-Mitarbeiter zu schützen;

12.

lobt und unterstützt die Vermittlungsbemühungen unter der Ägide der Afrikanischen Union und der ECOWAS, die eine Verhinderung von Zusammenstößen zum Ziel haben, und wiederholt seine Aufforderung an alle politischen Kräfte in Côte d'Ivoire, ihr Engagement für einen friedlichen demokratischen Übergang unter Beweis zu stellen und dementsprechend weiteres Blutvergießen zu verhindern; bringt seine Unterstützung für den Plan der Afrikanischen Union für eine umfassende friedliche Lösung der Krise zum Ausdruck und hebt hervor, dass alle afrikanischen Länder Einigkeit demonstrieren und auf abgestimmte Weise vorgehen müssen, damit der Frieden in Côte d'Ivoire wiederhergestellt werden kann;

13.

fordert Präsident Ouattara auf, Frieden und nationale Aussöhnung zu ermöglichen, und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit keine Verjährungsfrist gibt;

14.

ist tief besorgt über die Verschlechterung der humanitären Lage in Côte d'Ivoire und den angrenzenden Ländern, insbesondere in Liberia; fordert alle Akteure in Côte d'Ivoire auf, humanitären Organisationen vor Ort sicheren und ungehinderten Zugang zu allen Landesteilen zu gewähren; begrüßt die von Kommissionsmitglied Georgieva zum Ausdruck gebrachte Zusage der EU, zur Lösung der humanitären Krise beizutragen;

15.

hebt die Notwendigkeit rascher internationaler politischer Maßnahmen hervor, um die humanitäre Lage in Côte d'Ivoire zu verbessern und eine neue Flüchtlingskrise in der Region zu verhindern; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ihre Bemühungen mit anderen internationalen Gebern abzustimmen; fordert die internationale Gemeinschaft auf, die Zusagen für humanitäre Hilfe einzuhalten, um die dringenden Bedürfnisse der Bevölkerung von Côte d'Ivoire und seinen Nachbarländern zu erfüllen;

16.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat der EU und der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem VN-Sicherheitsrat und dem VN-Generalsekretär, der der ONUCI, den Institutionen der Afrikanischen Union, der ECOWAS, der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU, den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten und dem gewählten Präsidenten von Côte d'Ivoire, Alassane Ouattara, zu übermitteln.


(1)  Angenommene Texte, P7_TA(2010)0492.