25.8.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 248/55


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Auf dem Weg zu einem Assoziierungsabkommen EU-Mercosur: der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft“ (Initiativstellungnahme)

2011/C 248/09

Berichterstatter: José María ZUFIAUR

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. September 2010 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Auf dem Weg zu einem Assoziierungsabkommen EU-Mercosur: der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 25. Mai 2011 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 472. Plenartagung am 15./16. Juni 2011 (Sitzung vom 15. Juni) mit 89 gegen 1 Stimme bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Auffassung, dass, falls die bestehenden Hürden in Bereichen wie Landwirtschaft, geistiges Eigentum und nachhaltige Entwicklung überwunden werden, der Abschluss eines Assoziierungsabkommens zwischen dem Mercosur und der EU für beide Seiten enorme Chancen und Vorteile jeglicher Art schaffen würde – und das in Zeiten tiefgreifender Veränderungen in der Führungsrolle der globalen Akteure und der weltweiten geostrategischen, ökologischen, sozialen, energie- und ordnungspolitischen Herausforderungen sowie angesichts der dringenden Notwendigkeit, das Entwicklungsmodell eingehend so zu überarbeiten, dass es zu einem Mittel wird, mit dem die schwerste Systemkrise seit den 1930-er Jahren überwunden werden kann.

1.2   Der EWSA hält ein Abkommen nur für möglich, wenn es ausgewogen und für beide Seiten vorteilhaft ist und nicht zulasten eines Sektors (z.B. Landwirtschaft oder Industrie), einer Region oder eines Lands geht. In keinem Falle darf sich das Assoziierungsabkommen auf ein schlechtes Abkommen stützen. In diesem Sinne fordert er die Verhandlungspartner auf, den politischen Willen zu zeigen, der notwendig ist, um das Assoziierungsabkommen zu ermöglichen, und alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Differenzen zu überwinden, die insbesondere den Grundpfeiler des Assoziierungsabkommens, die Handelsfragen, betreffen. Dazu sind alle Formeln und Mechanismen einzusetzen, die diesem Zweck dienen können: Anerkennung der Asymmetrien, flankierende und kompensierende Maßnahmen, Festlegung von Ausnahmen, Entwicklungspläne zur Unterstützung der am meisten betroffenen Sektoren, Investitionsförderung, Innovationspolitik, Ausgleichs-, Übergangs- und Evolutivklauseln. Darüber hinaus sollten sämtliche EU-Politikbereiche in die Begleitmaßnahmen einbezogen werden.

1.3   Der EWSA fordert die Verhandlungspartner und insbesondere die Europäische Union auf, die hohen politischen, wirtschaftlichen und Substitutionskosten abzuwägen, die entstünden, käme ein Abkommen nicht zustande.

1.4   Nach Auffassung des EWSA muss das Assoziierungsabkommen ehrgeizig sein und alle Aspekte der Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur abdecken. In diesem Sinne ist es wichtig, die realen Hürden, vor denen die Unternehmen stehen, durch die Harmonisierung der Vorschriften wie auch die Auswirkungen auf die nicht-handelsbezogenen Hemmnisse anzugehen. Insbesondere sollte das Assoziierungsabkommen eine sozial-, beschäftigungs- und umweltpolitische Dimension umfassen, die das gesamte Abkommen durchdringt. Diese Dimension sollte Wirtschaftsbeziehungen gewährleisten, die den vereinbarten sozialen und umweltpolitischen Zielen entsprechen, ohne die Normen und Garantien einer nachhaltigen Entwicklung auszuhöhlen. Gleichzeitig sollte im Assoziierungsabkommen die Verpflichtung der beiden Seiten zur Einhaltung grundlegender Sozial- und Arbeitsnormen festgeschrieben werden, einschließlich internationaler Erklärungen - z.B. der ILO -, denen zufolge aus der Verletzung der Prinzipien und Rechte bei der Arbeit kein legitimer Wettbewerbsvorteil im internationalen Handel resultieren darf.

1.5   Der EWSA fordert, sowohl das Beratende Wirtschafts- und Sozialforum des Mercosur (FCES) wie auch ihn selbst – als Vertretung der Zivilgesellschaft der beiden Weltregionen – in die Verhandlungen, die Folgenabschätzungen zum Assoziierungsabkommen und die sich daraus ableitenden Vorschläge (nach Ansicht des EWSA müssen nicht nur im Vorfeld die Auswirkungen eines etwaigen Assoziierungsabkommens analysiert, sondern auch Mechanismen geschaffen werden, um im Nachhinein die Einhaltung und Entwicklung der vereinbarten Punkte zu überprüfen) und in die Abfassung eines gesonderten Kapitels im Abkommen über die sozial-, beschäftigungs- und umweltpolitische Dimension einzubeziehen und durch die Einrichtung eines Gemischten Beratenden Ausschusses aus Mitgliedern beider Vertretungen der Zivilgesellschaft der Verhandlungspartner an der Umsetzung des Abkommens nach seiner Unterzeichnung zu beteiligen (1).

2.   Vorbemerkungen

2.1   Die Verhandlungen zwischen der EU und dem Mercosur über den Abschluss eines Assoziierungsabkommens kamen 2004 zu einem Stillstand aufgrund ihrer erheblichen Differenzen hinsichtlich des Zugangs zu den Märkten und ihrer Erwartungen an die Ergebnisse der Doha-Entwicklungsrunde. Im Rahmen informeller Kontakte, die 2009 aufgenommen wurden, zeichneten sich Positionsveränderungen ab, die die beiden Seiten zu dem Schluss veranlassten, dass es neue Chancen für das Abkommen gab, sodass auf dem Gipfel EU/Lateinamerika und Karibik im Mai 2010 beschlossen wurde, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Es sollte sich um ein ehrgeiziges Assoziierungsabkommen handeln, dessen Handelsdimension nicht nur den Warenhandel, sondern auch Dienstleistungen, Investitionen, öffentliche Ausschreibungen, geistiges Eigentum (einschließlich Ursprungsbezeichnungen), Handelserleichterungen, Gesundheits- und Pflanzenschutzmaßnahmen, Handel und nachhaltige Entwicklung, Wettbewerb oder Instrumente zum Schutz des Handels umfasst.

3.   Chancen und Vorteile eines Assoziierungsabkommens

3.1   Mit einer Gesamtbevölkerung von über 700 Mio. Menschen und einem jährlichen Handelsvolumen von über 84 Mrd. EUR wird der Abschluss eines Assoziierungsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur die Schaffung eines großen Raums der wirtschaftlichen Integration ermöglichen, was Vorteile für beide Seiten und positive Ausstrahlungseffekte – insbesondere in den übrigen lateinamerikanischen Ländern – schaffen kann.

3.2   Die EU als Gesamtheit ist der wichtigste Wirtschaftsraum der Welt, während der Mercosur zu den sechs wichtigsten Wirtschaftsräumen der Welt zählt. Es handelt sich um eine sehr dynamische Region, die in den letzten Jahren hohe jährliche Wirtschaftswachstumraten aufzuweisen hatte (bis zu 7 % in Brasilien und 9 % in Argentinien, Uruguay und Paraguay). Darüber hinaus diversifiziert der Mercosur derzeit seine wirtschaftliche Basis (mit der Agrar- und Ernährungswirtschaft als einer tragenden Säule); er baut aber auch seine industrielle Basis aus, die sich durch erhebliche Energie- und Technologieressourcen auszeichnet.

3.3   Die EU ist der wichtigste Handelspartner des Mercosur – noch vor den USA. 2010 hatten die Importe der EU aus dem Mercosur 2010 einen Wert von ca. 44 Mrd. EUR und ihre Exporte von mehr als 40 Mrd. EUR. Es ist zu betonen, dass die EU bereits ebensoviel in den Mercosur wie nach Indien und mehr als nach Kanada oder Südkorea ausführt. Auch die Investitionen der EU im Mercosur sind größer als die ihre Investitionen in China, Indien und Russland zusammengenommen.

3.4   Die Volkswirtschaften der beiden Seiten sind weitgehend komplementär, was sich am Profil ihres Handelsaustauschs klar zeigt: Im Wesentlichen exportiert die EU Industrie- und Ausrüstungsgüter, Verkehrsmittel und Chemikalien, und sie importiert Lebensmittel und Energieerzeugnisse. Allerdings unterliegt der Austausch einem raschen Wandel auf beiden Seiten: Beispielsweise hat die EU ihren Export von verarbeiteten Agrarerzeugnissen merklich gesteigert; gleichzeitig haben brasilianische Unternehmen im Zeitraum 2007/2008 mehr in Europa investiert als europäische Unternehmen in Brasilien. Ein Assoziierungsabkommen hätte deshalb ein enormes Potenzial zur Schaffung von Wohlstand.

3.5   Durch ein Assoziierungsabkommen mit dem Mercosur könnte die EU ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Beziehungen zu einem strategischen Partner intensivieren. Mit einem bilateralen Abkommen würde die EU anderen internationalen Konkurrenten wie den USA und China zuvorkommen. Darüber hinaus würde das Assoziierungsabkommen die (das Thema Handel ausklammernde) strategische Partnerschaft mit Brasilien stärken - einem Land mit besonderer Bedeutung im geopolitischen Kontext der internationalen Beziehungen, da es an den beiden Hauptschienen – BRIC und IBSA –, die die Interessen der Schwellenländer koordinieren, beteiligt ist (2). All dies würde zu einer stärkeren südamerikanischen und damit lateinamerikanischen Integration auf einem Kontinent führen, der wichtige Vorräte an Energieträgern, Agrargrundstoffen und Wasser hat – drei Ressourcen von vitaler Bedeutung im 21. Jahrhundert. Insgesamt könnte das Assoziierungsabkommen dazu beitragen, den wirtschaftlichen und geopolitischen Bedeutungsverlust des Atlantikraums gegenüber dem Pazifikraum abzuschwächen.

4.   Hemmnisse und Schwächen des Assoziierungsabkommens

4.1   Die unleugbaren Vorzüge eines Assoziierungsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur überdecken jedoch nicht die Schwierigkeiten, die mit einem derartigen Abkommen einhergehen und sich wie folgt zusammenfassen lassen: 1) Komplexität der Verhandlungsagenda, d.h. der Handelsaspekte des Abkommens; 2) strukturelle Schwächen, die die Integration des Mercosur betreffen und den Freihandel prägen; 3) soziale und umweltpolitische Dimension des Abkommens; 4) Stärke des politischen Willens der beiden Seiten zum Abschluss des Abkommens und dementsprechend die Bereitschaft, über alle Möglichkeiten des Einsatzes von Ausgleichsmechanismen inner- und außerhalb des Abkommens zu diskutieren, um dieses zu erreichen. Die beiden letzten Aspekte werden in Ziffer 5 bzw. 7 dieser Stellungnahme ausgeführt.

4.1.1   Was die Handelsfragen betrifft, so sind die Schwierigkeiten wohlbekannt. Aus europäischer Sicht liegen sie vornehmlich im Agrar- und Nahrungsmittelsektor, wie die Kommission in ihren jüngsten Folgenabschätzungen feststellt (3). Insbesondere werden gravierende negative Folgen in Bereichen wie Zucker, Rind-, Hühner- und Schweinefleisch, Obst und Gemüse befürchtet. Ausgegangen wird auch von: der Existenz eines übermäßigen Protektionismus im Falle der Industriegüter (Kraftfahrzeuge, Chemikalien) und einiger verarbeiteter Agrarerzeugnisse (einschließlich Wein); der Gefahr der Nichteinhaltung von Bestimmungen zum Schutz von Ursprungsbezeichnungen; dem vergleichweise niedrigen Niveau der Durchsetzung von Vorschriften über Lebensmittelsicherheit und Umweltschutz; der mangelnden Transparenz öffentlicher Ausschreibungen. Nach den letzten Verhandlungsrunden nehmen die beiden Seiten eine positivere Haltung gegenüber dem Abkommen in Fragen wie Handel und nachhaltiger Entwicklung und Ursprungsregeln ein.

4.1.2   Aus der Sicht des Mercosur ist die Landwirtschaft der wichtigste Aspekt. 2004 bot Europa an, nach Ablauf der Übergangsfristen 86,25 % der Gesamteinfuhren von Agrargütern zu liberalisieren. Dieses Mal dürfte über einen höheren Prozentsatz verhandelt werden. Die Möglichkeit der Festlegung von Quoten erleichtert die Verhandlungen. Gleichzeitig könnten die von den europäischen Agrarsektoren aufgezeigten Risiken gemildert werden, wenn in das Assoziierungsabkommen die Forderung nach einer angemessenen Einhaltung identischer Standards – in den Bereichen Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit, Tierschutz usw. – für europäische Produkte wie auch für Importe aus dem Mercosur aufgenommen wird. Andererseits darf das Assoziierungsabkommen die Abhängigkeit der EU im Nahrungsmittelbereich nicht vergrößern, sondern muss Instrumente umfassen, die notwendig sind, um das Modell einer wenig nachhaltigen Intensivlandwirtschaft zu vermeiden. Bei Industrieprodukten, bei denen die Hürden geringer sind, erscheint eine Einigung leichter möglich, wie es beim Abkommen der EU mit Südkorea über die Automobilindustrie der Fall war. Schließlich könnten andere Themen wie das geistige Eigentum, die für bestimmte Länder des Mercosur (z.B. Brasilien) besonders heikel sind, Gegenstand von Evolutiv- oder Übergangsklauseln entsprechend den WTO-Übereinkommen sein. Vor diesem Hintergrund ist der EWSA der Ansicht, dass neben anderen Initiativen ein Programm über industrielles Eigentum erarbeitet werden könnte, das den Technologietransfer anregen und dazu dienen soll, ein funktionsfähiges Patentsystem zwischen der EU und dem Mercosur einzuführen, welches später auf die gesamte lateinamerikanische Region ausgeweitet werden könnte.

4.1.3   Der EWSA ist der Auffassung, dass allen Schwierigkeiten zum Trotz die Bedingungen für die Erreichung eines insgesamt ausgewogenen Abkommens, das für beide Seiten von Vorteil ist und nicht zulasten eines Sektors, einer Region oder eines Lands geht, besser sind als bei früheren Gelegenheiten (4).

4.2   Die strukturellen Schwächen des Mercosur waren in der Vergangenheit ein erhebliches Hindernis auf dem Weg zu einem Assoziierungsabkommen. Zu nennen sind hier der Mangel an gemeinsamen Netzen und Strukturen in einem Gebiet, das drei Mal so groß wie die EU ist; der geringe Grad an intraregionalem Handel (15 % im Mercosur gegenüber 45 % in der Nordamerikanisches Freihandelszone NAFTA und 66 % in der EU) und das Übergewicht des extraregionalen Handels; eine unvollständige Zollunion; der begrenzte Umfang der gesamtwirtschaftlichen Koordinierung und die Schwäche der regionalen Institutionen.

4.2.1   In den letzten Jahren, vor allem seit 2003 – im Gefolge dessen, was als unmittelbar greifbare Möglichkeit des Abschlusses eines Abkommens zwischen der EU und dem Mercosur erachtet wurde –, erfuhr der regionale Integrationsprozess des Mercosur eine starke Wiederbelebung durch Initiativen wie die Aufnahme gemeinsamer Politikbereiche wie Energie, Nutzung der Gas- und Erdölvorkommen oder Schaffung von Kommunikationsinfrastrukturen, die Vereinbarung einer gemeinsamen Automobilpolitik zwischen Argentinien und Brasilien oder die Schaffung des Fonds für die strukturelle Konvergenz des Mercosur (FOCEM). Auch wurden ein Strategieplan zur Überwindung der Asymmetrien im Binnenmarkt gebilligt und Maßnahmen zur bevorzugten und differenzierten Behandlung zugunsten Paraguays und Uruguays festgelegt.

4.2.2   Zudem richteten die Regierungen des Mercosur im Jahr 2000 die Gruppe „Makroökonomisches Monitoring“ ein, die eine Reihe von Parametern der makroökonomischen Konvergenz verfolgen und gemeinsame Methoden für deren Verwendung erarbeiten sollte.

4.2.3   All dies hat zur Ausweitung des intraregionalen Handels, zur Verbesserung der Qualität in der Produktion und zur Anziehung neuer ausländischer Direktinvestitionen geführt.

4.2.4   In den letzten Jahren hat außerdem die politische Dimension des Mercosur an Bedeutung gewonnen: Der Mercosur hat Schieds- und Revisionsgerichte geschaffen, das Verwaltungs- zu einem Fachsekretariat umgestaltet, ein Menschenrechtsprotokoll unterzeichnet, ein Parlament (PARLASUR) eingerichtet und seinen ersten Hohen Generalvertreter ernannt. Gleichwohl ist der wirtschaftliche Integrationsprozess weiterhin schwach, es gibt zahlreiche Handelsstreitigkeiten und das Institutionengefüge nimmt nur allmählich Gestalt an.

4.2.5   Besonders erwähnenswert ist die Tatsache, dass der Mercosur im August 2010 schließlich einen neuen Gemeinsamen Zollkodex (mit knapp 200 Artikeln) angenommen hat, was die Aufhebung des doppelten gemeinsamen Außenzolls auf Produkte impliziert, die von einem Land ins andere in Verkehr gebracht werden. Dies macht die Festlegung einer gemeinsamen Handelspolitik und die Harmonisierung anderer Aspekte wie Einfuhrsonderregelungen und Handelsschutzinstrumente erforderlich. Es erfordert auch die Vernetzung der Computersysteme der Zollverwaltung und die Einrichtung eines Mechanismus zur Erhebung und Verteilung der Einnahmen aus dem gemeinsamen Außenzoll. Solche Fortschritte bei der Zollunion sind ein Faktor, der die Verhandlungen zwischen der EU und dem Mercosur ganz wesentlich erleichtern kann.

4.2.6   Der Abschluss eines Assoziierungsabkommens könnte den gesamten Prozess der wirtschaftlichen Integration des Mercosur, der Regulierung seines Binnenmarkts und der Stärkung seiner Institutionen beschleunigen.

5.   Auswirkungen des Assoziierungsabkommens und Ausgleichsmaßnahmen

5.1   Im Auftrag der Europäischen Kommission wurde eine Studie über die Auswirkungen der Liberalisierung des Handels zwischen der EU und dem Mercosur sowohl in Bezug auf das gesamte Assoziierungsabkommen als auch auf drei spezifische Sektoren: Landwirtschaft, Automobilbau und Forstwirtschaft durchgeführt. In dieser Studie werden die möglichen positiven und negativen Folgen des Assoziierungsabkommens untersucht sowie Maßnahmen vorgeschlagen und Empfehlungen ausgesprochen, um im allgemeinen Rahmen des Abkommens und der analysierten Sektoren die Vorteile zu verstärken und die Nachteile zu verhindern bzw. gering zu halten.

5.2   Der EWSA empfiehlt, dass alle Verhandlungspartner diesen Begleitmaßnahmen sowohl hinsichtlich der Handelsaspekte des Abkommens als auch mittels der Kooperationskomponente und der gemeinsamen Programme zwischen EU und Mercosur Rechnung tragen. Der Ausschuss ist auch der Auffassung, dass der FCES des Mercosur und der EWSA u.a. diese Maßnahmen in ihre Forderungen im Zuge der Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen aufnehmen könnten.

5.3   Der EWSA ist der Ansicht, dass das Assoziierungsabkommen, um leichter zu einem Abschluss zu gelangen, Evolutivklauseln umfassen könnte, die die Vertiefung und Erweiterung bestimmter Themen des biregionalen Abkommens in späteren Phasen ermöglichen würden.

5.4   Der EWSA ist der Auffassung, dass in den Folgenabschätzungen einerseits der Beteiligung von Fachleuten und Organisationen aus dem Partnerland des Abkommens und andererseits der Ermittlung sozialer und ökologischer Risiken, die derzeit nur als ergänzende Aspekte der wirtschaftlichen Evaluierung betrachtet werden, mehr Bedeutung beigemessen werden sollte (5), einschließlich der Frage der Konzentration des durch das Abkommen generierten Reichtums und dessen ungleicher Verteilung.

6.   Nachhaltige Entwicklung als Teilaspekt des Assoziierungsabkommens

6.1   Der EWSA ist der Auffassung, dass eine sozial-, beschäftigungs- und umweltpolitische Dimension als fester Bestandteil querschnittsmäßig im gesamten künftigen Assoziierungsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur verankert werden muss, um die nachhaltige Entwicklung beider Seiten zu fördern. Sie muss die wirtschafts- und handelspolitische Dimension des Assoziierungsabkommens ergänzen.

6.1.1   Dies entspricht den offiziellen Positionen der Leitungsinstanzen der EU und des Mercosur (6), die die Auffassung vertreten, dass die Liberalisierung des Handelsaustauschs mit sozialen und umweltpolitischen Verpflichtungen und Aktionen einhergehen sollte.

6.1.2   Dementsprechend sollten nach Auffassung des Ausschusses Sozial- und Umweltnormen in das Assoziierungsabkommen aufgenommen werden, die eingehalten werden müssen, um Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zu erreichen, die den wirtschaftlichen sozialen Zusammenhalt begünstigen, im Einklang mit einer Strategie der nachhaltigen Entwicklung stehen und die Wettbewerbsfähigkeit der örtlichen Wirtschaft (KMU, Sozialwirtschaft, Kleinstunternehmer) unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeit zur Arbeitsplatzschaffung stärken;

6.1.3   Der EWSA ist der Ansicht, dass sich die soziale und umweltpolitische Dimension durch das gesamte Assoziierungsabkommen ziehen muss. Andererseits sollten nach Auffassung des Ausschusses im Handelskapitel des Abkommens Aspekte im Zusammenhang mit dem Schutz der Menschen-, Arbeits-, Sozial- und Umweltrechte behandelt und ein gesonderter Abschnitt Fragen in Bezug auf „Handel und nachhaltige Entwicklung“ gewidmet werden, wie:

Ausschluss illegal gewonnener Erzeugnisse (Fisch, Holz) aus den Handelsströmen;

Aufnahme von Initiativen des fairen Handels und der sozialen Verantwortung der Unternehmen in Handels- und Investitionsprogramme;

Verpflichtung zur regelmäßigen Kontrolle der Folgen der Handelsbeziehungen in sozialer und ökologischer Hinsicht;

Nichtzulassung von Ausnahmen von Sozial- oder Umweltschutzgesetzen, um unangemessene Vorteile im internationalen Handel zu verhindern;

Verhinderung der Entwaldung.

7.   Strategische Aspekte des Assoziierungsabkommens EU-Mercosur

7.1   Ein entschlossener politischer Wille ist unabdingbar, erstens um ein Assoziierungsabkommen zu konzipieren und voranzubringen, das nicht nur ein Freihandelsabkommen, sondern auch ein umfassenderes Strategieabkommen ist und beiden Seiten langfristige Vorteile in den Bereichen Entwicklung, Sicherheit, Migration und Umweltschutz bringt, sowie zweitens um alle bestehenden Mechanismen zu nutzen, um den Disparitäten zwischen den beiden Regionen Rechnung zu tragen, die negativen Folgen der Liberalisierung für bestimmte Sektoren zu verringern, den Rückstand im Integrationsprozess des Mercosur aufzuholen und die soziale Teilhabe und Transparenz als Schlüsselfaktoren in den biregionalen Verhandlungen festzulegen.

7.2   Das Assoziierungsabkommen bietet eine große Chance, allgemeinen strategischen Zielen näherzukommen, die für beide Regionen von Interesse sind.

7.3   Erstes würde es einen Weg eröffnen, um eine internationale politische und wirtschaftliche Präsenz aufrechtzuerhalten in Zeiten, in denen sich die wirtschaftliche und politische Macht vom Atlantik zum Pazifik verlagert. Der Mercosur hat weder mit den USA noch mit den großen Ländern Asiens Abkommen geschlossen, hat allerdings Freihandelsabkommen mit Chile und Mitgliedern der Andengemeinschaft unterzeichnet. Darüber hinaus läuft derzeit die Aufnahme Venezuelas in den Mercosur. Außerhalb Südamerikas unterhält der Mercosur Abkommen (u.a. über den Freihandel) mit Südafrika, Indien, Pakistan, der Türkei, Ägypten, Marokko und Israel. Ihrerseits hat die EU bilaterale Abkommen mit Mexiko, Chile, Mittelamerika, Peru, Kolumbien, Südafrika, der Karibik und Südkorea geschlossen. Kurzum, ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur würde zur Schaffung eines biregionalen Blocks mit einer bedeutenden Rolle auf der neuen Weltbühne führen.

7.3.1   Ein Assoziierungsabkommen wäre auch sehr wichtig, um die Integration der gesamten lateinamerikanischen Region zu stärken. Das Abkommen wäre für andere lateinamerikanische und karibische subregionale Gruppierungen und auch für Länder wie Mexiko oder Chile sehr attraktiv. Eine „strategische Allianz“ zwischen den beiden Regionen – zwischen den 27 EU-Mitgliedstaaten und den 33 Ländern Lateinamerikas und der Karibik – hätte großes Gewicht in multilateralen Gremien. Ebenso würde es zu mehr Einflussmöglichkeiten in der G-20 führen, der drei lateinamerikanische Länder (Brasilien, Mexiko und Argentinien) und fünf europäische Länder (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien) angehören.

7.3.2   Schließlich könnte die EU im Hinblick auf ihr Ziel, den Umweltschutz weltweit zu fördern, mittels des Assoziierungsabkommens im Mercosur einen strategischen Verbündeten finden. Der Umweltschutz ist heute eines der Hauptanliegen der Staaten, der Bürger und multilateraler Einrichtungen. Die EU ist Spitzenreiter im Bereich der Umweltpolitik und Umwelttechnologien. Natürliche Ressourcen zählen zu den Hauptstärken Lateinamerikas und insbesondere des Mercosur; es handelt sich aber auch um eine der Regionen, die durch den Klimawandel – u.a. infolge bestimmter Methoden der Intensivlandwirtschaft – am stärksten bedroht sind.

7.3.3   Damit dieses Ziel eine ausreichende Unterstützung findet, wäre es erforderlich, die Themen „Energie, Umwelt, Wissenschaft und Technologie und Innovation“ gebührend zu berücksichtigen. Diese Themen sollten im Kapitel über Entwicklungszusammenarbeit Vorrang erhalten. Im Rahmen des sechsten EU-Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung wurden bereits zahlreiche Projekte mit Mercosur-Ländern durchgeführt. Nun sollte diese Zusammenarbeit als fester Bestandteil im Assoziierungsabkommen verankert werden. Dazu könnten die umfangreichen Mittel aus dem siebten Rahmenprogramm (50 Mrd. EUR) einen beträchtlichen Beitrag leisten.

8.   Die Zivilgesellschaft und das Assoziierungsabkommen

8.1   Der EWSA ist der Auffassung, dass der interregionale Charakter der Verhandlungen und der Inhalt des Assoziierungsabkommens ein grundlegendes und kennzeichnendes Element dieser Verhandlungen und ein Referenzpunkt für die Wirtschaftsbeziehungen in einer Welt sind, die sich für den Handelaustausch zunehmend öffnet.

8.2   Der EWSA bekräftigt die Prinzipien der Transparenz und der Beteiligung sowohl im Verhandlungsprozess als auch bei der Entwicklung des Assoziierungsabkommens. Zu diesem Zweck ersucht er darum, während der Verhandlungen eingehend informiert zu werden und einen Zugang zu den Verhandlungsführern in Echtzeit zu haben, um diesen die Vorschläge des FCES und des EWSA unterbreiten zu können.

8.3   Darüber hinaus ersucht der EWSA darum, in die Erarbeitung von Folgenabschätzungen einbezogen zu werden, sodass er Maßnahmen zur Beseitigung oder Verringerung der negativen Folgen bestimmter Bereiche der Handelsliberalisierung empfehlen kann. Ferner fordert er dazu auf, im Anschluss an die Unterzeichnung des Abkommens eine fachbezogene Beobachtungsstelle zu schaffen, die die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen des Assoziierungsabkommens fortlaufend untersucht und konkrete Maßnahmen vorschlägt.

8.4   Im Einklang mit den gemeinsamen Positionen des EWSA und des FCES – und den in den Verhandlungen vor 2004 getroffenen Vorvereinbarungen – fordert der EWSA die Einrichtung eines Gemischten Beratenden Ausschusses der Zivilgesellschaft im Rahmen des Assoziierungsabkommens mit paritätischer Beteiligung des EWSA und des FCES und obligatorischen Beratungsaufgaben, die alle Themenbereiche des Abkommens abdecken, einschließlich des Handelskapitels und der Weiterverfolgung der Aspekte der nachhaltigen Entwicklung.

8.5   Der EWSA hält es für unabdingbar, eine soziale Dimension in das Assoziierungsabkommen aufzunehmen, da dieses über die eigentlichen Handelsaspekte hinausgehen und die Förderung des sozialen Zusammenhalts zum allgemeinen Ziel haben sollte. Dies gilt insbesondere für die Auswirkungen des Assoziierungsabkommens auf die Beschäftigung, den Schutz der Interessen der lokalen Bevölkerung und der Schwächsten der Gesellschaft, die Förderung und Achtung der Menschenrechte, den Umweltschutz sowie die Rechte von Einwanderern und Arbeitnehmern im Allgemeinen. In diesem Sinne sollte das Abkommen die internationalen Erklärungen einschließen – z.B. der ILO –, die vorsehen, dass der Verstoß gegen die Grundsätze und Grundrechte am Arbeitsplatz nicht als legitimer Wettbewerbsvorteil im internationalen Handel angeführt oder genutzt werden darf. Ziel ist es, dass das künftige Abkommen hochwertige Arbeitsplätze schafft, die sozialen Bedingungen für die Arbeitnehmer verbessert und maßgeblich zu einer besseren Verteilung des Reichtums beiträgt.

Brüssel, den 15. Juni 2011

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Siehe dazu die vom FCES und dem EWSA am 22. März 2011 unterzeichnete Erklärung von Asunción betreffend die Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen EU-Mercosur: http://www.eesc.europa.eu/resources/docs/2011_decl_de.pdf.

(2)  BRIC: Brasilien, Russland, Indien, China. IBSA: Indien, Brasilien, Südafrika.

(3)  Generaldirektion Landwirtschaft und Gemeinsames Forschungszentrum der Europäischen Kommission, April 2011.

(4)  Diese Ansicht wurde auch von den Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel EU/Mercosur im Mai 2010 vertreten.

(5)  „Nachhaltigkeitsprüfungen und EU-Handelspolitik“, Berichterstatterin: Evelyne Pichenot (ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 14-18).

(6)  Erklärung der für soziale Entwicklung zuständigen Minister und Behörden des Mercosur, Juli 2006, Buenos Aires. Tagungen des Europäischen Rates vom Februar 2005 und 2006.