28.1.2012 |
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Amtsblatt der Europäischen Union |
C 24/1 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Soziales Unternehmertum und soziale Unternehmen“ (Sondierungsstellungnahme)
2012/C 24/01
Berichterstatterin: Ariane RODERT
Mit Schreiben vom 6. Juni 2011 ersuchte Maroš ŠEFČOVIČ, Vizepräsident der Europäischen Kommission, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema
„Soziales Unternehmertum und soziale Unternehmen“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 3. Oktober 2011 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 475. Plenartagung am 26./27. Oktober 2011 (Sitzung vom 26. Oktober) mit 106 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Bei der Prüfung von Initiativen zur Förderung des sozialen Unternehmertums muss nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses der Begriff des sozialen Unternehmens im weiteren Sinne zugrunde gelegt werden, da Maßnahmen in Bezug auf alle Phasen der Existenz solcher Unternehmen erforderlich sind.
1.2 Soziale Unternehmen sind ein zentrales Element des europäischen Sozialmodells. Diese Unternehmen stehen in einem engen Verhältnis zur Europa-2020-Strategie und leisten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft. Durch die Unterstützung und Förderung sozialer Unternehmen lassen sich ihr Wachstumspotenzial und die ihnen innewohnenden Möglichkeiten der gesellschaftlichen Wertschöpfung optimal nutzen. Der EWSA unterstützt die Bemühungen der Kommission um die Schaffung eines politischen Rahmens und eines Aktionsplans zur Förderung sozialer Unternehmen in Europa und betont, wie wichtig dessen umfassende Umsetzung sowohl auf europäischer wie auch auf einzelstaatlicher Ebene ist.
1.3 Angesichts unterschiedlicher nationaler Definitionen sollten soziale Unternehmen anhand gemeinsamer Merkmale beschrieben werden wie der sozialen Zielsetzung, der Reinvestition der Gewinne, der Vielfalt der Rechtsformen und der Beteiligung der Interessengruppen.
1.4 Die Mitgliedstaaten und die EU-Organe müssen dafür sorgen, dass soziale Unternehmen zu den gleichen Bedingungen wie andere Unternehmensformen bei staatlichen politischen Initiativen und Programmen für Unternehmen eingeschlossen und berücksichtigt werden. Grenzübergreifende Initiativen für soziale Unternehmen lassen sich am besten fördern, indem europäische Foren für den Austausch von Ideen und Mustervorhaben durch EU-Mittel finanziert werden.
1.5 Besserer Zugang zu Kapital und maßgeschneiderte Finanzierungsinstrumente sind für soziale Unternehmen besonders wichtig. Die Kommission sollte in den Mitgliedstaaten bereits existierende vorbildliche Verfahren und Innovationsinitiativen wie Hybridkapital und Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Kapital erfassen und bekannt machen und dafür Sorge tragen, dass der derzeitige ordnungspolitische Rahmen der EU die Entwicklung neuer Instrumente nicht behindert.
1.6 Von entscheidender Bedeutung ist, dass der nächste Programmplanungszeitraum für die Strukturfonds ausdrücklich Programme zur Förderung der Neugründung und Entwicklung sozialer Unternehmen umfasst. Die Kommission sollte Leitlinien für die Verknüpfung von Finanzinstrumenten aus verschiedenen Quellen und für deren Nutzung vorlegen.
1.7 Die Kommission sollte einen EU-weiten Vergleich von für soziale Unternehmen besonders geeigneten Konzepten für die öffentliche Finanzierung starten. Ferner sollte sie Ausschreibungen, bei denen soziale Aspekte eine Rolle spielen, fördern und deren Häufigkeit prüfen und die Frage der übergenauen, verkomplizierenden Umsetzung von Vorgaben bei Ausschreibungsverfahren angehen. Bei der Überprüfung der Regeln für staatliche Beihilfen sollte die Kommission prüfen, ob soziale Dienstleistungen von allgemeinem Interesse gänzlich ausgenommen werden können, bzw. eine Befreiung von der Mitteilungspflicht für öffentliche Dienstleistungen geringen Umfangs und für bestimmte soziale Dienstleistungen zulassen, um die Neugründung weiterer sozialer Unternehmen zu fördern.
1.8 Aufgrund der vielfältigen Rechtsformen und besonderen sozialen Aufgaben sozialer Unternehmen werden diesen in einigen Mitgliedstaaten steuerliche Begünstigungen gewährt. Diese Vorteile sollten überprüft und Informationen darüber im Sinne der Entwicklung geeigneter Vorschriften ausgetauscht werden.
1.9 Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten die Auflage konkreter Unterstützungsprogramme für die Entwicklung sozialer Unternehmen und die nächste Generation sozialer Unternehmer auf den Weg bringen.
1.10 Gemeinsam mit den sozialen Unternehmen sollte die Kommission aktiv werden und die Möglichkeit eines gemeinsamen europäischen Systems zur Erfassung der sozialen Auswirkungen prüfen und zur Nutzung der bestehenden Systeme anregen. Auch Initiativen zur Schaffung eines transparenteren Systems der Berichterstattung sollten weiter geprüft werden, weil damit mehr Vertrauen seitens der Investoren möglich wäre. Der EWSA fordert die Kommission auf, eine Untersuchung über bestehende soziale Gütezeichen einzuleiten mit dem Ziel, ein gemeinsames europäisches System oder einen Verhaltenskodex zu schaffen.
1.11 Soziale Unternehmen müssen in Forschungs-, Innovations- und Entwicklungsprogramme einbezogen werden. Außerdem sollten Initiativen ergriffen werden, um statistische Daten über soziale Unternehmen in Europa zu erfassen und zu verbreiten. Damit könnte eine Beobachtungsstelle für soziale Unternehmen auf EU-Ebene betraut werden.
1.12 Wie alle anderen Arbeitgeber müssen auch soziale Unternehmen die Vorgaben im Hinblick auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen erfüllen und die geltenden Tarifvereinbarungen einhalten, indem sie gewährleisten, dass diese korrekt angewandt werden.
1.13 Besondere Aufmerksamkeit ist den neuen Mitgliedstaaten zu schenken, in denen die Gründung sozialer Unternehmen unterstützt werden muss, und zwar durch die Öffnung öffentlicher Dienstleistungen, Maßnahmen zur gesellschaftlichen Integration und die Förderung verschiedener Formen sozialer Unternehmen wie der Sozialwirtschaft.
2. Einleitung
2.1 In der Mitteilung der Kommission „Auf dem Weg zu einer Binnenmarktakte“ vom 27. Oktober 2010 (1) werden Maßnahmen zur Verwirklichung des Konzepts einer „in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft“ vorgeschlagen. Dazu gehörte auch die „Initiative für soziales Unternehmertum“. Der Vorschlag war auch in der endgültigen Fassung der Mitteilung zur Binnenmarktakte vom April 2011 (2) eine zentrale Maßnahme und wurde zudem als Priorität hervorgehoben in der Stellungnahme des EWSA INT/548 (3), die im Rahmen der Konsultation zur Binnenmarktakte erarbeitet wurde.
2.2 Die Herausforderungen, vor denen Europa steht, erfordern Lösungen, die wirtschaftlichen Wohlstand und soziales Wohl vereinen. Die Förderung des sozialen Unternehmertums und der sozialen Unternehmen wird es insbesondere im derzeitigen rauen Wirtschaftsklima ermöglichen, ihr Wachstumspotenzial und die ihnen innewohnenden Möglichkeiten der gesellschaftlichen Wertschöpfung zu nutzen. Die Erschließung dieses Potenzials erfordert die Entwicklung und Umsetzung eines umfassenden politischen Rahmens, an dem ein breites Spektrum an Interessenträgern aller gesellschaftlichen Bereiche (zivilgesellschaftlich, privat, öffentlich) auf sämtlichen Ebenen (lokal, regional, national und europäisch) teilnimmt.
2.3 Das soziale Unternehmertum und die sozialen Unternehmen stehen für die unterschiedlichsten Ansätze mit verschiedene Akteuren und Bezeichnungen in den einzelnen Mitgliedstaaten. Diese Sondierungsstellungnahme trägt den Titel „Soziales Unternehmertum und soziale Unternehmen“: Der EWSA ist der Ansicht, dass in der gesamten Stellungnahme der weiter gehende Begriff „soziales Unternehmen“ (der das soziale Unternehmertum einschließt) verwendet werden sollte, da Maßnahmen in Bezug auf alle Phasen der Existenz solcher Unternehmen erforderlich sind.
2.4 In dieser Sondierungsstellungnahme sollen zentrale Bereiche herausgearbeitet werden, die für die Schaffung eines günstigen Umfelds für soziale Unternehmen in Europa von Bedeutung sind. Der EWSA hat sich mit diesem Thema seit Jahren in verschiedenen Stellungnahmen (4) beschäftigt und begrüßt es, dass sich die Kommission erneut mit sozialen Unternehmen befasst. Auch sollte die wichtige Arbeit gewürdigt werden, die verschiedene einschlägige Interessenträger über die Jahre hinweg geleistet haben und die zum Teil auch in diese Stellungnahme eingeflossen ist (5).
3. Bemerkungen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
3.1 Definition des Begriffs soziales Unternehmen
3.1.1 Auf der Grundlage verschiedener sprachlicher und kultureller Traditionen haben sich unterschiedliche Bedeutungen des Begriffs soziales Unternehmen herausgebildet.
3.1.2 Der EWSA hält eine eindeutige Definition für erforderlich, um die Bemühungen zielgenau ausrichten zu können, schlägt jedoch statt einer Begriffsbestimmung eine Beschreibung vor, die auf gemeinsamen Merkmalen der sozialen Unternehmen beruht: Die betreffenden Unternehmen
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verfolgen hauptsächlich soziale Ziele und keine Gewinnabsichten und generieren einen gesellschaftlichen Nutzen für die Allgemeinheit oder ihre Mitglieder; |
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sind überwiegend nicht gewinnorientiert, wobei die Überschüsse in erster Linie reinvestiert und nicht an private Aktionäre oder Eigentümer ausgeschüttet werden; |
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haben vielfältige Rechtsformen und Geschäftsmodelle: z.B. Genossenschaften, Gesellschaften auf Gegenseitigkeit, Freiwilligenorganisationen, Stiftungen und Unternehmen mit oder ohne Erwerbszweck, wobei häufig verschiedene Rechtsformen miteinander kombiniert werden bzw. die Form je nach den Erfordernissen geändert wird; |
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sind Marktbeteiligte, die Güter und Dienstleistungen produzieren (in vielen Fällen von allgemeinem Interesse), die häufig eine stark sozialinnovative Komponente aufweisen; |
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arbeiten als unabhängige Einheiten mit einem starken Element der Teilhabe und Mitbestimmung (Personal, Nutzer, Mitglieder), Governance und Demokratie (entweder repräsentativ oder offen); |
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gehen häufig auf eine Organisation der Zivilgesellschaft zurück oder stehen mit dieser in Verbindung. |
3.1.3 Soziale Unternehmen leisten einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag und sind ein zentrales Merkmal des europäischen Sozialmodells. Sie tragen zur Verwirklichung der Europa-2020-Ziele bei, indem sie Arbeitsplätze schaffen, innovative Lösungen entwickeln, die den Bedürfnissen der Allgemeinheit entsprechen, und den sozialen Zusammenhalt, die Integration und die aktive Bürgerschaft stärken. Besonders wichtig sind sie für die Förderung der Teilhabe von Frauen, älteren Menschen, Jugendlichen, Minderheiten und Migranten. Auch ist festzustellen, dass viele soziale Unternehmen KMU und oft Teil der Sozialwirtschaft sind und dass einige von ihnen im Bereich der Integration in den Arbeitsmarkt aktiv sind.
3.1.4 Die Kommission muss in ihren laufenden Arbeiten zu den Rechtsstrukturen für die Sozialwirtschaft diese Merkmale berücksichtigen, um zu gewährleisten, dass alle Formen sozialer Unternehmen eingeschlossen sind. Die Kommission sollte auch erwägen, eine Studie zu den neuen Rechtsformen und anstehenden Rechtsetzungsinitiativen für soziale Unternehmen in einigen Mitgliedstaaten (6) durchführen und so deren Nutzen bewerten zu lassen.
3.2 Berücksichtigung sozialer Unternehmen in der öffentlichen Unternehmenspolitik
3.2.1 Öffentliche Maßnahmen, die der Entwicklung und dem Wachstum von Unternehmen dienen, betreffen verschiedene Bereiche wie die Wettbewerbspolitik, den Binnenmarkt sowie Finanzen und Innovation. Damit öffentliche politische Initiativen die Gründung und die Tätigkeit von Unternehmen auch wirklich erleichtern, müssen sie sowohl auf einzelstaatlicher wie auf europäischer Ebene soziale Unternehmen auf einer Ebene mit anderen Unternehmensformen berücksichtigen und einschließen, dabei jedoch deren Besonderheiten Rechnung tragen.
3.2.2 Soziale Unternehmen sind häufig auf lokaler Ebene angesiedelt, und eine Expansion ist nicht immer von offensichtlichem Interesse oder Vorrang. Anstatt in Wettbewerb zu treten oder ihr Modell auszuweiten, ziehen sie häufig andere Wachstumskonzepte vor. Dies gilt es bei der Untersuchung von grenzüberschreitenden Initiativen für soziale Unternehmen zu berücksichtigen. Die EU und die Mitgliedstaaten sollte Foren, den Austausch von Praktikanten, Workshops zum Thema soziale Innovation und Systeme zur Verbreitung erfolgreicher Projekte („Social Franchising“) finanzieren und unterstützen, mit denen sich neue Ideen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit vielleicht besser fördern ließen.
3.3 Soziale Investitionen ankurbeln
3.3.1 Besonders wichtig für soziale Unternehmen ist es, den Zugang zu Kapital sowohl für Neugründungen als auch für das weitere Wachstum zu verbessern. Trotz des beträchtlichen Interesses von Finanzinstituten und sozialen Unternehmen an einer Zusammenarbeit fehlt es gegenwärtig an speziell für soziale Unternehmen entwickelten Finanzinstrumenten. Auf lokaler und nationaler Ebene sind einige innovative Finanzinstrumente im Entstehen begriffen. Die Kommission sollte die Erfassung und Verbreitung vorbildlicher Verfahren zur Förderung dieser innovativen Initiativen und des in den Mitgliedstaaten bereits vorhandenen Sachverstands auf den Weg bringen, um soziale Investitionen für soziale Unternehmen in Europa anzukurbeln. Hierbei sollte die Kommission die nachfolgenden Aspekte berücksichtigen.
3.3.1.1 Auf Grund ihrer Besonderheiten und vielfältigen Rechtsformen benötigen soziale Unternehmen andere Arten von Finanzinstrumenten als die übrigen Unternehmensformen. Eine maßgeschneiderte Form von Hybridkapital (7) mit Elementen von Zuschüssen, Aktienkapital und Fremdkapital ist für soziale Unternehmen in der gesamten Spanne ihres Bestehens besser geeignet. Hybridkapital ist eine Kombination aus Zuschüssen (öffentlichen Zuschüssen, gemeinnützigen Fonds, Spenden) und Aktienkapital sowie Schuldtiteln bzw. Instrumenten der Risikoteilung. Finanzierungsinstrumente für Hybridkapital umfassen rückzahlbare und nicht rückzahlbare Zuschüsse, wandelbare Zuschüsse und Vereinbarungen über die Aufeilung der Gewinne. Hybridkapital impliziert oft ein enges Zusammenspiel zwischen öffentlichem und privatem Kapital.
3.3.1.2 Auch die Einführung speziell an soziale Unternehmen gerichteter Vermittlungsstellen sollte in Betracht gezogen werden. Diese spielen eine wichtige Rolle dabei, soziale Unternehmen und Investoren zusammenzubringen, Kapital und Informationen über Kapital bereitzustellen sowie Rat und Unterstützung zu geben. Hierfür gibt es eine Reihe interessanter Beispiele, die eingehender geprüft werden sollten (8).
3.3.1.3 Die Kommission sollte ihr Augenmerk auch auf verschiedene Arten neuer öffentlicher sozialer Investitionen (9) und anderer Initiativen in der Finanzwirtschaft (Genossenschaftsbanken (10), Sozialbanken (11), Geschäftsbanken mit Sozialprogrammen (12)) sowie auf innovative Instrumente wie Sozialanleihen („Social Impact Bonds“) (13) richten. Angesichts zurückgehender öffentlicher Finanzmittel ist es besonders wichtig, diese Initiativen zu unterstützen.
3.3.2 Die Kommission muss unbedingt sicherstellen, dass der ordnungspolitische Rahmen der EU (d.h. die Vorschriften für staatliche Beihilfen) die Herausbildung dieser neuen Finanzinstrumente fördert, anstatt sie zu behindern.
3.3.3 Der nächste Programmplanungszeitraum für die Strukturfonds muss ausdrücklich Programme zur Gründung und Förderung sozialer Unternehmen enthalten und über einen längeren Zeitraum laufen, um eine nachhaltige Unterstützung in der schwierigen Anfangsphase zu gewährleisten. Damit soziale Unternehmen durch die Strukturfonds unterstützt werden können, sollte die Kommission auch Leitlinien mit bewährten Verfahren im Hinblick auf die Verknüpfung von Finanzinstrumenten aus verschiedenen Quellen und deren Nutzung vorlegen.
3.4 Die Art der öffentlichen Finanzierung modernisieren
3.4.1 Soziale Unternehmen produzieren häufig Güter und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die hauptsächlich durch öffentliche Mittel finanziert werden. Mit den geltenden Rechtsvorschriften werden in der Praxis häufig große Privatakteure mit guter Kapitalausstattung begünstigt. Es sollten neue Rechtsinstrumente geschaffen bzw. bereits existierende weiterentwickelt werden, sodass sie besser auf soziale Unternehmen zugeschnitten sind. Die Kommission sollte einen EU-weiten Vergleich von für das soziale Unternehmertum besonders geeigneten Konzepten der öffentlichen Finanzierung starten.
3.4.2 Wie der EWSA in seiner Stellungnahme INT/570 (14) betont, muss die Teilnahme von KMU, einschließlich sozialer Unternehmen, an öffentlichen Ausschreibungen zunehmen. Alle Akteure müssen einen gleichberechtigten Zugang zum öffentlichen Auftragswesen haben. Die Vergabe öffentlicher Aufträge sollte durch die Straffung der Verwaltungsverfahren vereinfacht werden. Die Kommission kann viel dafür tun, effektive und einfache Vergabemodelle für soziale Unternehmen zusammenzutragen und bekannt zu machen.
3.4.3 In der EWSA-Stellungnahme zum öffentlichen Auftragswesen wird auch auf die Bedeutung innovativer, ökologischer und sozialer Aspekte im öffentlichen Auftragswesen hingewiesen. Hier ist der Kommissionsleitfaden „Sozialorientierte Beschaffung“ (15), in dem Möglichkeiten der Berücksichtigung sozialer und ökologischer Belange bei der Auftragsvergabe ermittelt werden, von zentraler Bedeutung und sollte daher einen höheren Stellenwert erhalten. Die Kommission sollte auch Schritte unternehmen, um die Häufigkeit von Ausschreibungen, bei denen soziale Aspekte berücksichtigt werden, zu fördern und zu messen.
3.4.4 Die Kommission muss energisch der übergenauen Anwendung von Verfahren der Auftragsvergabe (sog. „Gold Plating“) entgegentreten, die in einigen Mitgliedstaaten an der Tagesordnung ist, indem sie Alternativen, geeignetere und innovative Instrumente der öffentlichen Finanzierung stärker ins Bewusstsein rückt.
3.4.5 Die Vorschriften für staatliche Beihilfen stellen soziale Unternehmen oft vor Schwierigkeiten. Der EWSA unterstützt in seiner Stellungnahme TEN/455 (16) einen stärker diversifizierten und verhältnismäßigeren Ansatz mit der Forderung, nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale, territoriale und ökologische Aspekte zu berücksichtigen und die Effizienz anhand von Qualität, Ergebnissen und Nachhaltigkeit zu messen. Bei den laufenden Anstrengungen zur Vereinfachung und genaueren Formulierung von Beihilfevorschriften muss daher berücksichtigt werden, inwieweit soziale Unternehmen von einer etwaigen Überprüfung dieser Vorschriften betroffen sind. Es ist ferner wichtig, die bereits bestehenden Befreiungen von diesen Vorschriften hervorzuheben (17).
3.4.6 Die Kommission sollte bei der Überprüfung der Vorschriften für staatliche Beihilfen erwägen, die Befreiungen auf alle Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse auszuweiten oder - wie vom EWSA vorgeschlagen - eine Befreiung von der Mitteilungspflicht für öffentliche Dienstleistungen geringen Umfangs und für bestimmte soziale Dienstleistungen vorzusehen. Die Ungewissheit und der zusätzliche Verwaltungsaufwand zur Einhaltung der Beihilfevorschriften könnten private Investoren und für Auftragsvergabe zuständige Beamte davon abhalten, soziale Unternehmen auszuwählen. Durch Befreiungen können Innovationen und Unternehmensneugründungen angekurbelt werden. Eine derartige Initiative müsste jedoch einen Mechanismus zur Verhinderung von Korruption enthalten.
3.4.7 Soziale Unternehmen haben unterschiedliche Rechtsformen und unterliegen deshalb häufig unterschiedlichen Steuervorschriften und steuerlichen Regelungen. Aufgrund ihrer sozialen Ziele und der begrenzten Gewinnausschüttung kommen soziale Unternehmen in einigen Mitgliedstaaten in den Genuss von Steuerermäßigungen und sonstigen steuerlichen Vergünstigungen. Diese müssen überprüft und bekannt gemacht werden, um die Entwicklung angemessener Regeln für soziale Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform zu fördern.
3.5 Entwicklungsprogramme für soziale Unternehmen starten
3.5.1 Soziale Unternehmen benötigen Zugang zu eigens für sie entwickelten Unterstützungsprogrammen für ihre Entwicklung. Initiativen unter Beteiligung von „Drehkreuzen“, die eine betriebswirtschaftliche Unterstützung, Arbeitsplätze und Mentoring anbieten, haben sich ebenso wie Fortbildungsprogramme von Netzen sozialer Unternehmen während der Start-up-Phase als wirksam erwiesen. Besonderes Augenmerk sollte auf Programme zur Entwicklung der Investitionsfähigkeit gelegt werden. Die Entwicklung und der Austausch derartiger Unterstützungsprogramme sollte gefördert werden.
3.5.2 Es sind Anstrengungen zur Unterstützung der nächsten Generation sozialer Unternehmer erforderlich. Das soziale Unternehmertum sollte in der formalen, nichtformalen und informellen Bildung gefördert werden. Die Mitgliedstaaten sollten gemeinsam besondere Weiterbildungsmaßnahmen für soziale Unternehmen (18) nutzen.
3.5.3 Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten etablierte Akteure und Netze des sozialen Unternehmertums unterstützen und mit ihnen zusammenarbeiten. Soziale Unternehmen haben ihren Ursprung häufig im Freiwilligensektor oder in der Sozialwirtschaft. Letztere bieten eine ausgezeichnete Möglichkeit, um soziale Unternehmer und soziale Unternehmen anzusprechen.
3.6 Soziale Unternehmen stärker ins Blickfeld rücken und Vertrauen in sie aufbauen
3.6.1 Das soziale Unternehmertum muss stärker wahrgenommen und als gesellschaftlicher Schlüsselbereich anerkannt werden. Die Kommission sollte die Einführung eines europäischen Gütezeichens „Soziales Unternehmen“ prüfen, das die Wahrnehmung und Anerkennung sozialer Unternehmen sowie Vertrauen und Nachfrage stärken würde. Ein erster Schritt sollte eine von der Kommission in Auftrag gegebene und in Zusammenarbeit mit sozialen Unternehmen durchgeführte Studie zu bestehenden Gütezeichen und weiteren, in vielen Mitgliedstaaten bereits angewandten Zertifizierungssystemen (19) sein.
3.6.2 In Forschung und Politik wird Unternehmertum häufig mit gewinnorientierten privatwirtschaftlichen Unternehmen gleichgesetzt. Daher sollten Anstrengungen unternommen werden, um soziale Unternehmen kontinuierlich in Forschungs-, Innovations- und Entwicklungsprogramme einzubeziehen.
3.6.3 In den Mitgliedstaaten und in der EU insgesamt mangelt es an konsolidierten Statistiken über soziale Unternehmen. Die Nutzung von Satellitenkonten (20) sollte in allen Mitgliedstaaten gefördert werden. Darüber hinaus würde die Einrichtung einer Beobachtungsstelle für soziale Unternehmen auf EU-Ebene unter aktiver Einbeziehung des EWSA und der nationalen WSR in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten zu einer systematischen Erfassung und Zusammenschau von Kenntnissen sowie zu ihrer öffentlichen Verbreitung beitragen.
3.6.4 Der Nutzen der sozialen Unternehmen muss durch die Messung anderer Parameter als des rein wirtschaftlichen Wertes stärker ins allgemeine Bewusstsein gerückt werden. Es gibt mehrere Instrumente zur Abschätzung sozialer Folgen (21) sowie Methoden der Sozialbilanzierung, deren Nutzung für kleine Akteure häufig jedoch zu aufwendig ist. Die EU sollte gemeinsam mit sozialen Unternehmen, Forschern und Kapitalgebern die Nutzung der bestehenden Systeme fördern und Schritte zur Entwicklung eines einfacheren gemeinsamen europäischen Systems bzw. Verhaltenskodexes auf der Grundlage der bestehenden Systeme unternehmen.
3.6.5 Voraussetzung für den Aufbau von Vertrauen in soziale Unternehmen sind Rechenschaftspflicht und Transparenz. Die Finanzierung sozialer Unternehmen erfolgt häufig aus öffentlichen Mitteln, privaten Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Um das Vertrauen der Investoren zu stärken, muss die Verwendung dieser Mittel durch ein offenes Berichtssystem, das eine standardmäßige EU-Methode sein könnte, stärker offengelegt werden. Durch erhöhte Transparenz und offene Berichterstattung würde auch der Gefahr vorgebeugt, dass sich soziale Unternehmen rasch auf mehr Gewinn orientieren und Führungskräfte und Vorstandsmitglieder überzogene Vergütungen erhalten.
3.6.6 Die Schaffung bestmöglicher Bedingungen für soziale Unternehmen erfordert Führung und einen ständigen Dialog zwischen allen gesellschaftlichen Bereichen. Dazu bedarf es einer Zusammenarbeit zwischen allen EU-Institutionen, den Mitgliedstaaten und der Gesellschaft insgesamt unter Leitung der Kommission, wobei den regionalen Gebietskörperschaften, die häufig zentrale Interessenträger sind, besonderes Gewicht zukommt. Der EWSA kann ebenso wie der Ausschuss der Regionen aufgrund seiner Zusammensetzung, seines Sachverstands und seiner engen Verbindung zu den Mitgliedstaaten in den nächsten Etappen dieses Prozesses eine gewichtige Rolle spielen.
3.7 Sonstige Bemerkungen
3.7.1 Soziale Unternehmen beschäftigen häufig Freiwillige, über deren Position Klarheit herrschen muss. In der Entscheidung des Rates vom 27. November 2009 (22) heißt es, dass Freiwilligentätigkeit „aus freiem Willen, eigener Wahl und eigenem Antrieb“ ausgeübt wird. Die Freiwilligentätigkeit ersetzt keine professionellen, bezahlten Arbeitsplätze, sondern bietet der Gesellschaft einen Mehrwert.
3.7.2 Wie alle anderen Arbeitgeber müssen auch soziale Unternehmen die Vorgaben im Hinblick auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen erfüllen und die geltenden Tarifvereinbarungen einhalten. Bei der Umsetzung der Bestimmungen des EU-Rechts und der nationalen Gesetze und/oder Tarifvereinbarungen im Bereich der Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer müssen soziale Unternehmen die am besten geeigneten und angemessensten Möglichkeiten finden, um die ordnungsgemäße Anwendung dieser Rechte zu gewährleisten.
3.7.3 Soziale Unternehmen sind aus den verschiedensten nationalen Zusammenhängen heraus entstanden. Der EWSA fordert die Kommission insbesondere auf, angemessene Unterstützung und Initiativen insbesondere auf die Entwicklung sozialer Unternehmen in den neuen Mitgliedstaaten zu richten. Wichtige Initiativen könnten darin bestehen, Änderungen der Sozialsysteme vorzunehmen, eine aktive Integrationspolitik zu verfolgen, die Entstehung von Akteuren der Sozialwirtschaft/sozialen Unternehmen zu fördern und den Markt für öffentliche Dienstleistungen zu öffnen.
3.7.4 Die EU sollte auch in Drittstaaten für das soziale Unternehmertum werben. Das EU-Modell für soziale Unternehmen sollte verbreitet werden, um zur Entwicklung ähnlicher Modelle in den Kandidatenländern und weltweit zu animieren.
Brüssel, den 26. Oktober 2011
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Staffan NILSSON
(1) KOM(2010) 608 endg.
(2) KOM(2011) 206 endg.
(3) ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 47.
(4) Siehe ABl. C 95 vom 30.3.1998, S. 99; ABl. C 117 vom 26.4.2000, S. 52; ABl. C 112 vom 30.4.2004, S. 105; ABl. C 234 vom 22.9.2005, S. 1; ABl. C 120 vom 20.5.2005, S. 10; ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 22; ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 84.
(5) EMES Network (www.emes.net), Ciriec International (www.ciriec.ulg.ac.be), Cecop (www.cecop.coop).
(6) Großbritannien: Community Interest Company (CIC) 2005, italienisches Gesetz 118/2006 und Erlass 155/2006, finnisches Gesetz Nr. 1351/2003, „Social Entrepreneurship Act“ in Slowenien 2011.
(7) http://www.schwabfound.org/pdf/schwabfound/SocialInvestmentManual.pdf.
(8) www.unltd.org.uk; www.commoncapital.org.uk; www.cafonline.org.
(9) Die wichtigsten Akteure, die soziale Investitionen tätigen, sind Risikokapital für wohltätige Zwecke, Sozialinvestitionsfonds, Beratungsunternehmen für Finanzierungsfragen und Sozialbörsen. Näheres dazu in „Investor Perspectives on Social Enterprise Financing“ http://217.154.230.218/NR/rdonlyres/1FC8B9A1-6DE2-495F-9284-C3CC1CFB706D/0/BC_RS_InvestorPerspectivesonSocialInvestment_forweb.pdf. Ein Beispiel für eine Sozialinvestition ist das „Big Society Capital“ im Vereinigten Königreich, siehe: http://www.cabinetoffice.gov.uk/content/big-society-capital.
(10) www.eurocoopbanks.coop.
(11) www.triodos.be.
(12) Initiative der Bankengruppe Intesa Sanpaolo für soziale Unternehmen; Banca Prossima; www.bancaprossima.com.
(13) www.socialfinance.org.uk/sib.
(14) ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 113.
(15) http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=331&langId=de&pubId=606&type=2&furtherPubs=yes.
(16) ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 26.
(17) Wie etwa Unterstützung für die Arbeitnehmerfortbildung, Beschäftigungsbeihilfen, Hilfsleistungen für Menschen mit Behinderungen sowie kleinere Beihilfeleistungen.
(18) www.sse.org.uk sowie verschiedene Masterprogramme für den Bereich soziales Unternehmertum (Universitäten Trento und Bocconi).
(19) www.standardsmap.org/en und www.socialenterprisemark.org.uk.
(20) http://unstats.un.org/unsd/publication/SeriesF/SeriesF_91E.pdf.
(21) www.thesroinetwork.org; http://iris.thegiin.org; www.iso.org/iso/social_responsibility.
(22) ABl. L 17 vom 22.1.2010, S. 43.