25.8.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 248/149


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Reform der EU-Beihilfevorschriften über Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“

KOM(2011) 146 endg.

2011/C 248/26

Hauptberichterstatter: Raymond HENCKS

Die Europäische Kommission beschloss am 23. März 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Reform der EU-Beihilfevorschriften über Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse

KOM(2011) 146 endg.

Das Präsidium beauftragte die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft am 3. Mai 2011 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten (Artikel 59 der Geschäftsordnung) bestellte der Ausschuss auf seiner 472. Plenartagung am 15./16. Juni 2011 (Sitzung vom 15. Juni) Raymond HENCKS zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 136 gegen 6 Stimmen bei 16 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission im Dialog mit den Betroffenen Überlegungen zu einer Überprüfung und Klärung der Vorschriften über die Finanzierung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse angestellt hat.

1.2

Der EWSA begrüßt uneingeschränkt einen stärker diversifizierten und verhältnismäßigeren Ansatz bezüglich der verschiedenen Arten von öffentlichen Dienstleistungen und befürwortet eine Befreiung von der Anmeldepflicht für öffentliche Dienstleistungen geringen Umfangs und für bestimmte soziale Dienste.

1.3

In diesem Zusammenhang ersucht der EWSA die Kommission, für jede einzelne der Modalitäten für die Finanzierung von Ausgleichzahlungen für die Erfüllung von gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen zu klären, ob sie den Altmark-Kriterien genügen und somit nicht als „staatliche Beihilfen“ einzustufen sind.

1.4

Um nicht mehr auf den fallspezifischen legislativen oder rechtswegorientierten Ansatz angewiesen zu sein, ist nur zu begrüßen, dass die Kommission die Unterscheidung zwischen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) und nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (NDAI) klären möchte. Gleichwohl ist der Ausschuss weiterhin der Überzeugung, dass angesichts der Schwierigkeiten, den Begriff DAWI/NDAI zu definieren, das Augenmerk nicht auf die Unterscheidung zwischen wirtschaftlich oder nichtwirtschaftlich, sondern auf die besonderen Aufgaben der betreffenden Dienste und die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen gerichtet sein sollte.

1.5

Der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass in diesem Zusammenhang die Bestimmungen für die Umsetzung der Ausgleichszahlungen für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen im Kontext staatlicher Beihilfen für zehntausende von Behörden - die sie umsetzen müssen - demokratischer sein können, sofern sie im Anwendungsbereich des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens nach Maßgabe von Artikel 14 AEUV liegen und vorbehaltlich der Übereinstimmung mit dem Vertrag.

1.6

Es ist zwar lobenswert, die Mitgliedstaaten dazu anzuhalten, Wirksamkeitserwägungen mehr Gewicht beizumessen. Dabei darf das Augenmerk aber nicht allein auf die wirtschaftlichen Kriterien gerichtet werden, sondern es müssen auch die sozialen, territorialen und umweltbezogenen Aspekte und Kriterien wie Qualität, Ergebnisse und Nachhaltigkeit berücksichtigt werden.

1.7

Der EWSA befürchtet indes, dass mit der Einführung eines Wirksamkeitsbegriffs die Bewertungskriterien der Entscheidung und des Gemeinschaftsrahmens wieder auf das 4. Kriterium des Altmark-Urteils ausgerichtet werden. Außerdem würde dies möglicherweise für alle Vergütungen gelten, einschließlich Vergütungen von öffentlichen Dienstleistungen, die von der Meldepflicht befreit sind.

1.8

Was die Absicht der Kommission angeht, die für die Mitgliedstaaten geltenden Grenzen für die Einstufung einer Tätigkeit als DAWI zu klären, erinnert der EWSA daran, dass er seit Jahren eine Klarstellung der Bedingung für die Durchführung von Artikel 106 Absatz 2 fordert, der widersprüchlich ausgelegt wird.

2.   Einleitung

2.1

In den einzelnen Mitgliedstaaten gibt es zahlreiche öffentliche Beihilfen unterschiedlicher Art, die von Beihilfen für Beschäftigung, Ausbildung, Investitionen, Forschung, Umweltschutz, kleine und mittlere Unternehmen, Rettung und Umstrukturierung von notleidenden Unternehmen, Familien, in Schwierigkeiten geratene Personen usw. bis zu Beihilfen für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DAI) reichen.

2.2

Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union werden Beihilfen im Rahmen der Vorschriften für Wettbewerb und den Binnenmarkt als Vorteile jedweder Art angesehen, die von nationalen Behörden selektiv einem oder mehreren Unternehmen gewährt werden.

2.3

So gilt eine staatlich Beihilfe nur als solche, wenn sie sämtliche nachstehenden Kriterien erfüllt:

sie bewirkt einen Transfer öffentlicher Mittel durch nationale, regionale oder lokale Behörden direkt oder über eine öffentliche oder private Körperschaft in beliebiger Form (als Subventionen, Zuschüsse, Bürgschaften, Kapitaleinlagen, Rückstellungen usw.);

sie fällt nicht in den Rahmen allgemeiner Maßnahmen, sondern ist ausschließlich selektiv und diskriminierend gegenüber anderen Unternehmen oder Organisationen;

sie bewirkt für den Begünstigten (privates oder öffentliches Unternehmen mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht) einen wirtschaftlichen Vorteil, den dieser im Rahmen seiner normalen wirtschaftlichen Tätigkeit nicht erreicht hätte;

sie hat potenziell Auswirkungen auf den Wettbewerb und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten.

2.4

Staatliche Beihilfen der vorstehend beschriebenen Art sind gemäß dem Vertrag grundsätzlich verboten (Artikel 107 und 108 AEUV); sie sind jedoch zulässig, wenn sie Zielen gemeinsamen Interesses dienen (Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, sozialer und regionaler Zusammenhalt, Beschäftigung, Forschung und Entwicklung, nachhaltige Entwicklung, Förderung der kulturellen Vielfalt usw.) oder Marktversagen abhelfen sollen, sofern sie den Wettbewerb nicht in einem Maß verzerren, das dem Interesse der EU zuwiderläuft.

2.5

Die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Beihilfen zu gewähren, wurde durch zahlreiche Gesetze und durch eine umfangreiche und sich festigende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mit Einführung zwingender Vorschriften für die Mitgliedstaaten, die solche Maßnahmen erwägen, eingegrenzt.

2.6

So müssen die Mitgliedstaaten außer in Sonderfällen (De-Minimis-Beihilfen, Beihilfen unterhalb einer bestimmten Grenze oder für bestimmte Marktsektoren), grundsätzlich ein Verfahren zur Anmeldung der Beihilfen, die sie gewähren wollen, bei der Kommission einhalten. Beihilfen dürfen erst nach Zustimmung der Kommission gewährt werden.

2.7

Die Kommission, die als einzige befugt ist, die Vereinbarkeit von staatlichen Beihilfen mit dem Vertrag zu beurteilen (mit Möglichkeit der Klage vor dem Europäischen Gerichtshof), besitzt in diesem Bereich erhebliche einschlägige Untersuchungs-, Entscheidungs- und Sanktionsbefugnisse.

2.8

NDAI werden von der Gesetzgebung über staatliche Beihilfen nicht berührt.

2.9

Bezüglich DAWI stellt sich für die Behörden damit die Frage, ob ein Ausgleich für die Erfüllung einer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung im Rahmen der Vorschriften für den Wettbewerb und den Binnenmarkt mit dem Vertrag vereinbar ist.

2.10

Gemäß dem Urteil des Gerichtshofs (Rechtssache Altmark Trans GmbH C-280/00) gilt eine DAWI nicht als staatliche Beihilfe, wenn folgenden Bedingungen erfüllt sind:

1.

die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen sind klar definiert;

2.

die Parameter, anhand derer der Ausgleich berechnet wird, wurden zuvor festgelegt;

3.

der Ausgleich für die öffentliche Dienstleistung deckt lediglich die Kosten und einen angemessenen Gewinn;

4.

das Unternehmen wird im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung ausgewählt, mit der sich derjenige Bewerber ermitteln lässt, der diese Dienste zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringen kann, oder die Höhe des erforderlichen Ausgleichs wird auf der Grundlage einer Analyse der Kosten bestimmt, die ein durchschnittliches, gut geführtes und angemessen ausgestattetes Unternehmen in dem betreffenden Wirtschaftszweig zu tragen hat.

2.11

Aufgrund dieses Urteils, des so genannten Altmark-Urteils, hat die Kommission dem Sachverhalt Rechnung getragen, dass nur wenige Ausgleichsleistungen diesen vier Bedingungen genügten und deshalb alle anderen Ausgleichszahlungen als „Beihilfen“ anzusehen sind; sie hat deshalb das Paket „Monti-Kroes“ angenommen, in dem:

1.

durch eine Entscheidung präzisiert wird, was als Beihilfe anzusehen, trotzdem aber nicht anzumelden ist (Entscheidung 2005/842/EG der Kommission über die Anwendung von Artikel 86 Absatz 2 EG-Vertrag/Artikel 106 Absatz 2 AEUV auf staatliche Beihilfen, die bestimmten, mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmen als Ausgleich gewährt werden);

2.

durch einen Gemeinschaftsrahmen die Modalitäten der Bewertung angemeldeter Fälle (Rahmenbestimmung 2005/C297/04 über staatliche Beihilfen in Form eines Ausgleichs für öffentliche Dienstleistungen) festgelegt werden;

3.

ein neues Konzept des 4. Altmark-Kriteriums abgesteckt wird, demzufolge der Ausgleich für die Mehrkosten aufgrund des besonderen Auftrags und nicht anhand eines Vergleichs mit einem durchschnittlichen, gut geführten und angemessen ausgestatteten Unternehmen errechnet wird.

2.12

Dieser Gemeinschaftsrahmen zur Festlegung der Regeln und Grundsätze für die Bedingungen, unter denen ein Ausgleich für öffentliche Dienstleistungen mit dem „Binnenmarkt“ im Sinne von Artikel 106 Absatz 2 des AEUV vereinbar ist, tritt im November 2011 außer Kraft.

2.13

Da außerdem sowohl in diesem Gemeinschaftsrahmen als auch in der genannten Entscheidung eine Bewertung der damit eingeführten Vorschriften vorgesehen ist, hat die Kommission eine Überprüfung des Pakets Monti-Kroes veranlasst und insbesondere in 2008/2009 die Mitgliedstaaten aufgefordert, einen Bericht über die Anwendung des derzeit geltenden Maßnahmenpakets vorzulegen. 2010 hat sie eine öffentliche Konsultation hierüber eingeleitet.

2.14

Auf der Basis dieser beiden Maßnahmen hat die Kommission Leitlinien ausgearbeitet, die in der hier in Rede stehenden Mitteilung enthalten sind, mit der bis zum Monat Juli mit den europäischen Institutionen und den sonst interessierten Parteien eine Grundsatzdebatte lanciert werden soll, bevor neue Entwurfstexte erstellt werden.

3.   Wesentlicher Inhalt der Mitteilung

3.1

Im Rahmen des Ziels, Vorschriften auszuarbeiten, die klarer, einfacher und verhältnismäßiger sind, wird in der Mitteilung gefordert:

zu klären

die Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten,

die für die Mitgliedstaaten geltenden Grenzen für die Einstufung einer Tätigkeit als DAWI,

deren Erbringung mit den effizientesten und effektivsten Mitteln,

die Wechselwirkung mit den sektorspezifischen DAWI-Vorschriften;

einen stärker diversifizierten und verhältnismäßigeren Ansatz bezüglich der verschiedenen Arten von öffentliche Dienstleistungen zu wählen;

die Anwendung der Vorschriften für bestimmte Arten lokaler Dienste kleineren Umfangs, die nur geringe Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten haben, sowie der Vorschriften für bestimmte Arten sozialer Dienste zu vereinfachen;

Wirksamkeits- und Wettbewerbserwägungen bei der Behandlung groß angelegter kommerzieller Dienste mit eindeutig EU-weiter Dimension mehr Gewicht beizumessen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA unterstützt die Schritte der Mitgliedstaaten und anderer unmittelbar Betroffener, die im Bericht über die Umsetzung des Monti-Kroes-Pakets oder bei der öffentlichen Konsultation zu dieser Thematik gefordert haben, die Beihilfevorschriften über DAWI dahingehend zu überarbeiten, dass Rechtsunsicherheiten beseitigt werden und eine größere Ausgewogenheit zwischen wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Interessen herbeigeführt wird.

4.2

Der EWSA begrüßt uneingeschränkt einen stärker diversifizierten und verhältnismäßigeren Ansatz bezüglich der verschiedenen Arten von öffentlichen Dienstleistungen, der auch die Finanzierungsvorschriften klären soll. Er billigt auch eine Befreiung von der Anmeldepflicht für öffentliche Dienstleistungen geringen Umfangs und für bestimmte soziale Dienste, die aber noch zu definieren sind. Besonders wichtig ist die Beibehaltung bestehender Ausnahmen in bestimmten Bereichen (z.B. Beschäftigung besonders schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen wie Menschen mit Behinderungen).

4.3

Der EWSA fragt sich jedoch in diesem Zusammenhang, warum die Kommission die Befreiung von der Anmeldepflicht für öffentliche Dienstleistungen geringen Umfangs auf den lokalen Rahmen begrenzen will, wo doch die Bedingung, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu beeinträchtigen, auf lokaler wie regionaler oder gar nationaler Ebene genügen sollte.

4.4

Laut der Mitteilung erfolgt die Überprüfung des Maßnahmenpakets im Kontext der allgemeinen Ziele der Kommission im Bereich öffentliche Dienste, insbesondere ihrer Mitteilung „Auf dem Weg zu einer Binnenmarktakte“, sowie der EU-2020-Strategie.

4.5

Der EWSA erinnert in diesem Kontext an seine Einschätzung in der Stellungnahme zur „Binnenmarktakte“ (INT/548 vom 15.03.2011), wonach das Ziel der Mitteilung und weiterer Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen darin bestehen sollte, den Mitgliedstaaten bei der Entwicklung und Verbesserung ihres Dienstleistungsangebots im Einklang mit dem Protokoll über die DAI Hilfestellung zu leisten.

4.6

In diesem Zusammenhang ersucht der EWSA die Kommission, für jede einzelne der Modalitäten für die Finanzierung von Ausgleichzahlungen für die Erfüllung von gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen zu klären, ob sie den Altmark-Kriterien genügen und somit nicht als „staatliche Beihilfen“ einzustufen sind. Die Meldeverfahren und die verschiedenen Ausnahmeregelungen sind derzeit noch nicht hinreichend bekannt. Dies führt zu einem reduzierten Markt, da Organisationen, die für eine effektive Dienstleistungserbringung von Ausgleichszahlungen abhängen, nicht konkurrenzfähig sind, was sich insofern unmittelbar auf das Leben der Unionsbürger auswirkt, als diesen hochwertige und leicht zugängliche Dienstleistungen vorenthalten werden.

4.7

Nach Ansicht des EWSA ist schon die Aufnahme der Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen in das DAI-Protokoll, ohne die Schwierigkeit der Differenzierung zwischen diesen beiden Kategorien zu beseitigen, Beweis für die Notwendigkeit, die hier greifenden Begriffe und Regelungen einschließlich der Rolle der Organisationen ohne Erwerbszweck und des Begriffs „angemessener Profit“ zu klären um nicht mehr ausschließlich auf den fallspezifischen legislativen oder rechtswegorientierten Ansatz angewiesen zu sein. Da gleichzeitig sozial- und wettbewerbspolitische Ziele verfolgt werden, ist eine klarere Definition des Begriffs „angemessener Profit“ erforderlich. Deshalb wäre es sinnvoller, auf europäischer Ebene Leitlinien und eine Auslegung der einschlägigen Erwägungen vorzugeben.

4.8

Man kann deshalb die Absicht der Kommission, den Unterschied zwischen DAWI und NDAI zu klären, nur begrüßen. Bereits in seiner Stellungnahme zur „Zukunft der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ (CESE 976/2006) hat der EWSA festgestellt, dass die Unterscheidung zwischen wirtschaftlichem und nichtwirtschaftlichem Charakter weiterhin vage und unsicher ist.

4.9

Der EWSA ist weiterhin davon überzeugt, dass einerseits angesichts der Schwierigkeiten, den Begriff DAWI/NDAI erschöpfend zu definieren, und andererseits des Risikos, einen zu engen Ansatz zu wählen, das Augenmerk nicht auf den Aspekt wirtschaftlich oder nichtwirtschaftlich gerichtet werden sollte. Vielmehr sollte der spezielle Auftrag der betreffenden Dienste und die Anforderungen (Pflichten als öffentlicher Dienst), die von einer Behörde auferlegt werden, im Mittelpunkt stehen, denen diese Dienste zwecks Erfüllung ihres Auftrags zu genügen haben und die klar festgelegt sein müssen.

4.10

Wenngleich der Vertrag von Lissabon eine Anleitung für die Anwendung der Vorschriften zu wirtschaftlichen wie nichtwirtschaftlichen DAI in Form des DAI-Protokolls enthält, wurde mit Artikel 14 AEUV eine neue Rechtsgrundlage für Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) geschaffen. Darin werden der Rat und das Europäische Parlament damit beauftragt, durch Verordnungen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die Grundsätze und Bedingungen, vor allem wirtschaftlicher und finanzieller Art, festzulegen, dass diese ihren Aufgaben nachkommen können.

4.11

Der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass in diesem Zusammenhang die Bestimmungen für die Umsetzung der Ausgleichszahlungen für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen im Kontext staatlicher Beihilfen für zehntausende von Behörden - die sie umsetzen müssen - demokratischer sein können, sofern sie im Anwendungsbereich des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens nach Maßgabe von Artikel 14 AEUV liegen und vorbehaltlich der Übereinstimmung mit dem Vertrag.

4.12

Der EWSA billigt das Anliegen der Kommission, die Mitgliedstaaten dazu zu bewegen, Wirksamkeitserwägungen mehr Gewicht beizumessen. Dabei darf das Augemerk aber nicht allein auf die wirtschaftlichen Kriterien gerichtet werden, sondern es müssen auch die sozialen, territorialen und umweltbezogenen Aspekte nach Maßgabe des speziellen Auftrags jedes einzelnen DAWI berücksichtigt werden, wie er von den Behörden festgelegt wurde. Die Kommission sollte das Kriterium der „Wirksamkeit“ nicht auf kurzfristige Erwägungen beschränken, sondern auch die Qualität, die Ergebnisse und die Nachhaltigkeit der Leistungen einbeziehen, vor allem wenn es um Dienste in den Bereichen Soziales und Gesundheitsfürsorge geht. Des Weiteren sollten die Eigenheiten sozialwirtschaftlicher Unternehmen (Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften, Vereine und Stiftungen) berücksichtigt werden.

4.13

Ein erheblicher Teil der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wie Sozial- oder Gesundheitsdienste ist somit durch eine asymmetrische Beziehung zwischen dem Erbringer und dem Abnehmer gekennzeichnet, die sich von einer Handelsbeziehung des Typs Lieferant-Verbraucher unterscheidet. Dienstleistungen von allgemeinem Interesse stellen oft maßgenaue Lösungen dar, bei denen die Besonderheiten der jeweiligen Situation und die Bedürfnisse der Abnehmer berücksichtigt werden; sie können nur nach dem Prinzip der Solidarität funktionieren und hängen stark von öffentlicher Finanzierung ab. Der EWSA möchte die Kommission auffordern, eine Konsultation einzuleiten, um zu überprüfen, welche Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse für eine Gruppenfreistellung in Frage kommen könnten, da sie die den Wettbewerb nur in unerheblichem Maße beeinflussen und keine grenzüberschreitenden Möglichkeiten bieten.

4.14

Mit diesem Wirksamkeitskriteriums würden die Bewertungskriterien der Entscheidung und des Gemeinschaftsrahmens wieder auf das 4. Kriterium des Altmark-Urteils ausgerichtet werden. Dabei besteht außerdem die Gefahr, dass dies für alle Vergütungen gelten würde, auch für Vergütungen öffentlicher lokaler Dienste kleineren Umfangs, die nur geringe Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten haben, oder für bestimmte Arten sozialer Dienste von allgemeinem Interesse, die die Kommission eigentlich von der Anmeldepflicht befreien und als mit dem Binnenmarkt vereinbar ansehen möchte. Dies bedeutet, dass diese Dienste weiterhin einer nachträglichen Kontrolle unterworfen werden und somit eine neue rechtliche Unsicherheit geschaffen wird.

4.15

Eine solche Unsicherheit besteht auch bezüglich der Zuständigkeit, die die Kommission zur Bewertung der Wirksamkeit für sich in Anspruch nimmt, während ihr doch das Gericht in der Rechtssache M6/TF1 (T-568/08 und T573/08) diese Zuständigkeit abspricht.

4.16

Bezüglich der Absicht der Kommission, die Grenzen, die den Mitgliedstaaten bei der Einstufung einer wirtschaftlichen Tätigkeit als DAWI gesetzt werden, zu klären, fordert der EWSA seit Jahren, die Bedingungen zur Durchführung von Artikel 106 Paragraph 2 zu klären, der widersprüchlich ausgelegt wird, dergestalt dass er einerseits als Abweichung oder Ausnahme gegenüber den allgemeinen Vorschriften des Vertrags (siehe die Mitteilung vom 20.11.2007) dargestellt wird, während andererseits im Weißbuch von 2004 festgestellt wird, dass „die tatsächliche Erfüllung einer Aufgabe von allgemeinem Interesse bei Kollisionen Vorrang vor der Anwendung der Regeln des Vertrags hat“.

Brüssel, den 15. Juni 2011

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON