3.5.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 132/78


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Überprüfung der Gemeinschaftsstrategie für Quecksilber“

KOM(2010) 723 endg.

2011/C 132/14

Berichterstatterin: An LE NOUAIL MARLIÈRE

Die Europäische Kommission beschloss am 7. Dezember 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Überprüfung der Gemeinschaftsstrategie für Quecksilber

KOM(2010) 723 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 28. Februar 2011 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 470. Plenartagung am 15./16. März 2011 (Sitzung vom 15. März) mit 173 gegen 6 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

Die Umsetzung der 2005 angenommenen Gemeinschaftsstrategie für Quecksilber befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium und kann bei nahezu allen Maßnahmen Erfolge verbuchen. Sie soll in jedem Fall fortgesetzt und verstärkt werden.

1.1   Der EWSA befürwortet die einschlägigen Schlussfolgerungen des Europäischen Rates (1), empfiehlt indes der Europäischen Kommission, den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern:

a)

der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, dass die EU ihre führende Rolle auf internationaler Ebene festigen muss, indem sie aktiv weitere Verpflichtungen zur Verringerung der Verwendung, des Angebots und der Emissionen von Quecksilber eingeht;

b)

einzusehen, dass die Umsetzung eines Gesamtziels mit einer allgemeinen Senkung einhergehen muss, wobei technisch oder wirtschaftlich begründete Ausnahmeregelungen anzuwenden sind, anstatt sich auf Beschränkungen zu stützen, die sich auf einzelne Produkte und Anwendungen sowie die einzelnen Abschnitte des Quecksilber-Lebenszyklus beziehen;

c)

im Einklang mit den Arbeiten des zwischenstaatlichen Verhandlungsausschusses und mit Blick auf die unter Beschluss 25/5 Punkt 34 des UNEP-Rats aufgelisteten Bereiche für internationale Maßnahmen weiterhin und verstärkt die Durchführung von Projekten in Entwicklungs- und Schwellenländern zu unterstützen;

d)

zu dem Schluss zu gelangen, dass der Einsatz von Quecksilber in der Chlor-Alkali-Industrie eingestellt werden sollte; der EWSA fordert die Kommission auf, bis zum 1. Januar 2012 einen Vorschlag für entsprechende rechtsverbindliche Maßnahmen mitsamt einem frühestmöglichen, noch vor 2020 anberaumten Ablauftermin für den Quecksilber-Prozess vorzulegen;

e)

zu berücksichtigen, dass die Quecksilberemissionen aus industriellen Prozessen spezifische Maßnahmen erforderlich machen; deshalb sollte die Kommission mit Blick auf die Umsetzung der jüngst angenommenen Richtlinie über Industrieemissionen rasch BVT(beste verfügbare Techniken)-Schlussfolgerungen sowie die mit den BVT assoziierten Emissionswerte für alle industriellen Prozesse, bei denen Quecksilber eingesetzt wird, annehmen;

f)

zu prüfen, inwieweit die Verwendung von Quecksilber in Knopfzellen eingeschränkt werden kann, und bis zum 1. Juli 2012 entsprechende Verkehrsbeschränkungen vorzuschlagen;

g)

ferner auf der Grundlage der vorliegenden Studien und unter Berücksichtigung der Entwicklungen und der verfügbaren Ersatzstoffe bis zum 1. Juli 2012 die Möglichkeit zu prüfen, in der Zahnmedizin gänzlich auf den Einsatz von Quecksilber zu verzichten;

h)

sicherzustellen, dass in allen Zahnkliniken in der EU hocheffiziente Amalgamabscheider eingebaut werden;

i)

die Verwendung von Quecksilber in Impfstoffen zu untersuchen und bis zum 31. Dezember 2012 zu prüfen, welche Ersatzstoffe es gibt und inwieweit es möglich ist, im Interesse der öffentlichen Gesundheit quecksilberfreie Impfstoffe herzustellen;

j)

bis zum 31. Dezember 2012 eine erste Testreihe über Methylquecksilber in Fischen durchzuführen und die Risikokommunikation in der EU entsprechend zu aktualisieren;

k)

über weitere Sensibilisierungsmaßnahmen das Bewusstsein dafür zu fördern, dass Energiesparlampen Quecksilber enthalten und getrennt von sonstigen Abfällen und bruchsicher erfasst werden müssen;

l)

Maßnahmen fördern, durch die die Entfernung von Quecksilberrückständen aus Abfällen sichergestellt werden kann;

m)

dafür zu sorgen, dass die Emissionen aus Krematorien und Kleinfeuerungsanlagen durch EU-Vorschriften erfasst werden;

n)

noch besser dafür zu sorgen, dass der Gesundheitsschutz aller Arbeitnehmer, die möglicherweise mit Quecksilber in Berührung kommen, gewährleistet wird;

o)

in diesem Zusammenhang durch geeignete Maßnahmen mögliche Auswirkungen auf die Beschäftigung aufzufangen und die Folgen von industriellen Umstrukturierungen für alle Arbeitnehmer, unabhängig von ihrem Qualifikationsniveau, einzudämmen;

p)

durch geeignete Maßnahmen die bislang noch nicht gesetzlich vorgeschriebene getrennte und sichere Erfassung quecksilberhaltiger Produkte sicherzustellen und über breit angelegte Informationskampagnen die Anwender und Verbraucher über die Flüchtigkeit und Toxizität von Quecksilber aufzuklären.

2.   Einleitung

2.1   Quecksilber und die meisten seiner Verbindungen gelten als hochgiftige Substanzen, die eine große Gefahr für die biologische Vielfalt, die Ökosysteme und die menschliche Gesundheit bergen. Zudem handelt es sich um eine bioakkumulierende Substanz, die sich in Organismen anreichern und in die Nahrungskette gelangen kann. Schließlich hat Quecksilber die Eigenschaft, schon bei Raumtemperatur zu verdampfen, und es kann zu Methylquecksilber, seine häufigste aber auch toxischste Form, umgesetzt werden. Es handelt sich somit um einen persistenten Stoff, der über große Entfernungen transportiert werden kann, und zwar im Wasser, im Boden, in der Luft und in Organismen (2).

2.2   Die anthropogen beeinflusste Verteilung von Quecksilber geht auf seine verschiedenen Nutzungen durch den Menschen zurück: Verwendung in verschiedenen Produkten und bestimmten Produktionsverfahren, atmosphärische Emissionen oder unbeabsichtigte Freisetzungen; die wichtigsten Nutzer von Quecksilber sind die Chloralkaliindustrie, die Kunststoffindustrie und die Hersteller zahnmedizinischen Amalgams (86 % der jährlichen Nachfrage).

2.3   Quecksilberemissionen aus Wärmekraftwerken und anderen Verbrennungsanlagen, insbesondere Kohlekraftwerken, machen über 50 % der gesamten industriellen Quecksilberfreisetzungen aus (3).

Quellen einer potenziellen anthropogenen Freisetzung von Quecksilber

a)

Verwendung in Produkten

Messinstrumente

zahnmedizinisches Amalgam

Leuchtstoffröhren, Energiesparlampen

Batterien

Schalter

Impfstoffe (Thiomersal, im US-Raum auch Thimerosal genannt)

b)

Verwendung in Produktionsverfahren

als Katalysator bei der Polymer- und Polyurethanherstellung

bei der Herstellung von Chlor und Natronlauge

bei der Goldwäscherei

c)

Atmosphärische Emissionen

Kohlekraftwerke

Krematorien (resorbiertes Quecksilber + zahnmedizinisches Amalgam)

nicht fachgerecht entsorgte und verbrannte (quecksilberhaltige) Abfälle

d)

Unbeabsichtigte Freisetzungen

Quecksilberaustritt in der Industrie (Verfahren, Lagerung usw.)

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Auf globaler Ebene wurde 2001 auf Initiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) eine Studie über Ausbreitung und Auswirkungen von Quecksilber in Auftrag gegeben, die zu dem Schluss gelangte, dass die Nachweise für äußerst schädliche Auswirkungen von Quecksilber ausreichten, um internationale Maßnahmen einzuleiten (4). Im Februar 2009 wurde im UNEP-Verwaltungsrat beschlossen, bis 2013 ein rechtsverbindliches globales Umweltübereinkommen zu Quecksilber auszuhandeln.

3.2   Die Europäische Kommission legte dem Rat im Dezember 2002 einen Bericht über Quecksilber aus der Chlor-Alkali-Industrie vor, auf den hin der Rat die Europäische Kommission aufforderte, die Problematik breiter zu beleuchten und „eine Strategie (…) zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor Quecksilberfreisetzungen zu entwickeln, sich dabei auf das Konzept des Lebenszyklus zu stützen und Fragen im Zusammenhang mit Produktion, Verwendung, Abfallbehandlung und Emissionen zu behandeln“.

3.3   Aufgrund dieser Arbeitsschwerpunkte nahm die Europäische Kommission am 28. Januar 2005 die Gemeinschaftsstrategie für Quecksilber an. Als zentrales Ziel verfolgt diese Strategie „die Verringerung der Quecksilberwerte in der Umwelt und der Exposition des Menschen, insbesondere gegenüber in Fischen enthaltenes Methylquecksilber (5).

3.4   Die Strategie gliedert sich in folgende 6 Ziele (und 20 Maßnahmen), die auf Folgendes abheben:

Verringerung der Quecksilberemissionen;

Verringerung des Eintritts von Quecksilber in die Gesellschaft durch Verringerung von Angebot und Nachfrage;

Lösung des Problems der langfristigen Quecksilberüberschüsse und der vorhandenen Reservoire (in weiterhin verwendeten oder gelagerten Produkten);

Schutz gegen die Quecksilberexposition;

Verbesserung des Verständnisses der Quecksilberproblematik und möglicher Lösungen;

Unterstützung und Förderung einschlägiger internationaler Maßnahmen.

3.5   In der Strategie wurde eine Bewertung und Überprüfung im Jahr 2010 vorgesehen: Am 7. Dezember 2010 veröffentlichte die Europäische Kommission ihre Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament zur Überprüfung der Gemeinschaftsstrategie für Quecksilber.

3.6   Parallel hat die Europäische Agentur für chemische Stoffe (ECHA) im Rahmen der in der REACH-Verordnung enthaltenen Überprüfungsklausel Vorschläge für die Ausweitung der Beschränkungen quecksilberhaltiger Messgeräte für gewerbliche und industrielle Zwecke unterbreitet (Juni 2010) (6). Am 24. September 2010 fand eine öffentliche Konsultation statt, und die Stellungnahmen der betreffenden REACH-Ausschüsse dürften der Europäischen Kommission im September 2011 vorliegen.

3.7   In zwei einschlägigen Stellungnahmen hat der EWSA die Kommission in ihren Bemühungen unterstützt, die Produktion und Verwendung von Quecksilber in der EU und weltweit zu verringern, seine sichere Lagerung zu gewährleisten und den Einsatz von Quecksilber in bestimmten Messinstrumenten einzustellen (7).

3.8   Jedoch forderte der EWSA die Kommission in seinen Stellungnahmen auf, „die anderen Elemente ihrer Quecksilberstrategie schnellstmöglich umzusetzen und Maßnahmen zu einer weiteren Senkung der Verwendung von Quecksilber in Produktionsprozessen und Produkten in Europa sowie zur Gewährleistung, dass Quecksilber in den Abfallströmen sicher entsorgt wird, zu entwickeln“, sowie dafür zu sorgen, dass die gewerblichen und industriellen Nutzer quecksilberhaltiger Messgeräte sich an das Ziel halten, kein Quecksilber in die Umwelt einzubringen.

3.9   Die 2010 durchgeführte umfassende Bewertung (8) sowie die einschlägigen Dokumente verschiedener Interessenträger (9) verdeutlichen die realen Fortschritte bei der Umsetzung der Quecksilberstrategie und den wichtigen Beitrag der EU zur Unterstützung internationaler Initiativen und Verhandlungen im Hinblick auf ein rechtsverbindliches Übereinkommen im Rahmen des UNEP.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Die Gemeinschaftsstrategie für Quecksilber stützt sich auf bestimmte übergeordnete Rechtsinstrumente (besonders die RoHS-Richtlinie (10), die REACH-Verordnung, die Wasserrahmenrichtlinie und die IVU/IPPC-Richtlinie), wobei diese Instrumente teilweise an das Ziel der Verringerung der Quecksilberbelastung in der EU angepasst werden.

„Beste Verfügbare Techniken“ (BVT)-Merkblätter (BREF): Verabschiedung der neuen Richtlinie über Industrieemissionen (IED), mit der sieben Richtlinien, darunter die IVU-Richtlinie, aktualisiert und vereint worden sind und die Rolle der BVT gestärkt worden ist (verpflichtende Einhaltung der Emissionsgrenzwerte bei neuen Anlagen ab 2012 und bei bestehenden Anlagen ab 2016);

Richtlinie 2006/66/EG über Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren: Der zulässige Höchstgehalt an Quecksilber in Batterien und Akkumulatoren wurde im Vergleich zu der Vorgängerrichtlinie aus dem Jahr 1991 erheblich gesenkt.

4.2   Mit der Umsetzung der Strategie entstanden auch eigene Instrumente und Vorschriften, durch die die Europäische Union eine weltweit führende Rolle bei der Reduzierung des Quecksilberaufkommens einnimmt:

Verbot der Ausfuhr von metallischem Quecksilber und bestimmten Quecksilberverbindungen und -gemischen und die sichere Lagerung von metallischem Quecksilber (Verordnung (EG) Nr. 1102/2008 vom 22. Oktober 2008), das im März 2011 in Kraft treten soll;

Richtlinie zur Beschränkung des Inverkehrbringens quecksilberhaltiger Messinstrumente, die für den Verkauf an die breite Öffentlichkeit bestimmt sind (Verkaufsverbot ohne Ausnahmegenehmigung, betrifft vor allem Porosimeter), vom 25. September 2007, aufgenommen in Anhang XVII (Eintrag 18a) der REACH-Verordnung. Das Verbot soll auf Messinstrumente für gewerbliche (industrielle und medizinische) Zwecke ausgedehnt werden.

Schließlich will Euro Chlor im Zuge einer freiwilligen Vereinbarung die installierten Quecksilber-Kapazitäten der Chlor-Alkali-Industrie bis 2020 abbauen.

4.3   Bei der Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 1102/2008 sollte das Ausfuhrverbot gegebenenfalls auch auf andere Quecksilberverbindungen und -gemische und die sichere Lagerung von metallischem und/oder erstarrtem Quecksilber ausgedehnt werden.

4.4   Der EWSA hebt Folgendes hervor:

In dem Abschlussbericht (11) des Gutachtens von BIO Intelligence Service im Auftrag der GD ENV wird vorgeschlagen, dass die Strategie auf das Gesamtziel „die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor Freisetzungen von Quecksilber und Quecksilberverbindungen zu schützen, indem weltweit vom Menschen verursachte Freisetzungen von Quecksilber in die Luft, in das Wasser und in den Boden minimiert und dort, wo dies machbar ist, vollständig unterbunden werden“ ausgerichtet werden sollte;

Außerdem ist die Gelegenheit günstig, im Hinblick auf das übergeordnete Ziel, das Quecksilberaufkommen zu reduzieren, weitere Fortschritte zu erreichen, da es zu den meisten Produkten und Anwendungen quecksilberfreie (und wirtschaftlich tragfähige) Alternativen gibt und da die Mehrheit der Unternehmen, die quecksilberhaltige Produkte herstellen, auch Ersatzprodukte herstellen, so dass

die wirtschaftlichen und sozialen Folgen (beschäftigungsbezogen) eines stark rückläufigen Einsatzes von Quecksilber abgefedert werden;

die Stellung der EU in wirtschaftlicher und innovativer Hinsicht (technischer Vorsprung) gestärkt wird;

die Position der EU auf der internationalen Ebene auch hinsichtlich RIO+20 gefestigt und die Initiative der Europäischen Kommission bezüglich einer externen Dimension der EU-Umweltpolitik unterstützt wird.

Brüssel, den 15. März 2011

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Schlussfolgerungen des Rates zur Überprüfung der Gemeinschaftsstrategie für Quecksilber vom 14. März 2011 (7774/11).

(2)  UNEP Chemicals, Global Mercury Assessment, Dezember 2002-1020.

(3)  http://prtr.ec.europa.eu/PollutantReleases.aspx.

(4)  UNEP Chemicals, Global Mercury Assessment, Dezember 2002.

(5)  KOM(2005) 20 endg.

(6)  Europäische Agentur für chemische Stoffe - Anhang XV ECHA-Einschränkungsbericht, Juni 2010.

(7)  ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 44ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 115.

(8)  http://mercury.biois.com/home.

(9)  ZMWG (Zero Mercury Working Group): www.zeromercury.org; EEB (Europäisches Umweltbüro): www.eeb.org.

(10)  Richtlinie 2002/95/EG zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten.

(11)  http://mercury.biois.com/home.