26.5.2010   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 135/2


Schlussfolgerungen des Rates vom 11. Mai 2010 zur sozialen Dimension der allgemeinen und beruflichen Bildung

2010/C 135/02

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

GESTÜTZT AUF:

1.

die Schlussfolgerungen des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 14. November 2006 zu Effizienz und Gerechtigkeit in der allgemeinen und beruflichen Bildung (1), in denen die Mitgliedstaaten ersucht werden, für gerechte Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung zu sorgen, deren Ziel es ist, den Lernenden Chancen, Zugangsmöglichkeiten und eine Behandlung zu bieten sowie ihnen Bildungsergebnisse zu ermöglichen, die nicht von ihrem sozioökonomischen Hintergrund und anderen Faktoren mit möglichen negativen Auswirkungen auf die Bildung abhängen,

2.

die Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zu Schlüsselkompetenzen für lebensbegleitendes Lernen (2), in der hervorgehoben wird, wie wichtig es ist, die Vermittlung von Schlüsselkompetenzen für alle auszubauen und angemessene Vorkehrungen für diejenigen zu treffen, die unter Bildungsbenachteiligungen leiden und daher besondere Unterstützung benötigen, um ihr Bildungspotenzial auszuschöpfen,

3.

die Entschließung des Rates vom 15. November 2007 zu den neuen Kompetenzen für neue Beschäftigungen (3), in der betont wird, dass Qualifikationsanforderungen antizipiert werden müssen und das allgemeine Qualifikationsniveau anzuheben ist, wobei die allgemeine und berufliche Bildung von gering Qualifizierten und von Menschen, die von wirtschaftlichem und sozialem Ausschluss bedroht sind, Priorität haben sollte,

4.

die Entschließung des Rates vom 23. November 2007 über die Modernisierung der Universitäten im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas in einer globalen wissensbasierten Wirtschaft (4), in der bekräftigt wird, dass es wichtig ist, mehr Möglichkeiten für lebenslanges Lernen zu schaffen, den Zugang zur Hochschulbildung für nicht zur klassischen Zielgruppe gehörende und erwachsene Lernende zu erweitern und die Dimension des lebenslangen Lernens an Universitäten auszubauen,

5.

die Schlussfolgerungen des Rates vom 22. Mai 2008 zur Erwachsenenbildung (5), in denen betont wird, dass das Qualifikationsniveau einer nach wie vor beträchtlichen Zahl von gering qualifizierten Arbeitnehmern angehoben werden muss, und in denen der Beitrag der Erwachsenenbildung zum sozialen Zusammenhalt und zur wirtschaftlichen Entwicklung hervorgehoben wird,

6.

den Beschluss Nr. 1098/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (2010) (6), in dem festgestellt wird, dass das Fehlen grundlegender Kompetenzen und den Erfordernissen des Arbeitsmarktes angepasster fachlicher Qualifikationen zu den größten Hindernissen für die Eingliederung in die Gesellschaft zählt,

7.

die Schlussfolgerungen des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 21. November 2008 zu den künftigen Prioritäten einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit bei der beruflichen Bildung (7), in denen hervorgehoben wird, dass die berufliche Bildung nicht nur Wettbewerbsfähigkeit, Unternehmensleistungen und Innovationsfähigkeit im Rahmen einer globalisierten Wirtschaft steigert, sondern auch zu sozialer Gerechtigkeit und sozialem Zusammenhalt, persönlicher Entwicklung und aktiver Teilhabe am öffentlichen Leben beiträgt, und dass ihre Attraktivität bei allen Zielgruppen erhöht werden sollte,

8.

die Schlussfolgerungen des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 21. November 2008 zum Thema „Junge Menschen“ auf das 21. Jahrhundert vorbereiten: eine Agenda für die europäische Zusammenarbeit im Schulwesen (8), in denen die Mitgliedstaaten ersucht werden, den Zugang zu hochwertigen Bildungsangeboten und -diensten sicherzustellen, vor allem für Kinder und Jugendliche, die aufgrund persönlicher, sozialer, kultureller und/oder wirtschaftlicher Umstände benachteiligt sind,

9.

die Schlussfolgerungen des Rates vom 26. November 2009 zur Bildung von Kindern mit Migrationshintergrund (9), in denen die Mitgliedstaaten ersucht werden, auf der jeweiligen – lokalen, regionalen oder nationalen – Zuständigkeitsebene die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, damit alle Kinder faire und gleiche Chancen sowie die erforderliche Unterstützung erhalten, so dass sie ihr Potenzial ungeachtet ihrer Herkunft voll ausschöpfen können,

10.

die Entschließung des Rates vom 27. November 2009 über einen erneuerten Rahmen für die jugendpolitische Zusammenarbeit in Europa (2010-2018) (10), in der die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, dafür zu sorgen, dass junge Menschen gleichberechtigt Zugang zu einer hochwertigen allgemeinen und beruflichen Bildung auf allen Ebenen erhalten, und darauf hinzuarbeiten, dass die Verknüpfung zwischen formaler Bildung und nicht formalem Lernen verbessert wird,

UND INSBESONDERE GESTÜTZT AUF:

die Schlussfolgerungen des Rates vom 12. Mai 2009 zu einem strategischen Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung („ET 2020“) (11), in denen die Förderung der Gerechtigkeit, des sozialen Zusammenhalts und des aktiven Bürgersinns als eines der vier strategischen Ziele benannt wird und in denen fünf europäische Durchschnittsbezugwerte („europäische Benchmarks“) festgelegt werden, bei denen ferner starker Nachdruck darauf gelegt wird, Gerechtigkeit zu bewirken,

UND IN ANBETRACHT:

der Konferenz vom 11./12. März 2010 in Madrid zum Thema „Integrative Bildung: Wie der soziale Zusammenhalt gefördert werden kann“ —

STELLT FOLGENDES FEST:

Die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in der gesamten EU müssen sowohl Gerechtigkeit als auch herausragende Leistungen sicherstellen. Die Verbesserung der Bildungsabschlüsse und die Vermittlung von Schlüsselkompetenzen für alle sind von entscheidender Bedeutung nicht nur für Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch für die Verminderung der Armut und die Förderung der sozialen Eingliederung.

Durch soziale Eingliederung im Wege der allgemeinen und beruflichen Bildung sollten gleichberechtigter Zugang zu einer hochwertigen Bildung gewährleistet sowie eine gerechte Behandlung sichergestellt werden, u. a. dadurch, dass das Lehrangebot an die individuellen Bedürfnisse angepasst wird. Gleichzeitig sollte gewährleistet sein, dass alle die gleichen Chancen haben, die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen, indem für alle das höchstmögliche Niveau bei den Schlüsselkompetenzen angestrebt wird.

IST SICH DES FOLGENDEN BEWUSST:

Die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung tragen in bedeutendem Maße zur Förderung des sozialen Zusammenhalts, des bürgerschaftlichen Engagements und der persönlichen Entfaltung in den europäischen Gesellschaften bei. Sie können soziale Aufstiegschancen fördern und den Teufelskreis aus Armut, sozialer Benachteiligung und Ausgrenzung durchbrechen. Ihre Rolle könnte noch verstärkt werden, wenn sie an die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Bürger in Bezug auf kulturelle Vielfalt, vorhandene Kenntnisse und Kompetenzen sowie Lernbedürfnisse angepasst würden.

Bildung ist weder die einzige Ursache, noch die einzige Lösung für soziale Ausgrenzung. Bildungsmaßnahmen allein werden wohl kaum die Auswirkungen von Mehrfachbenachteiligungen ausgleichen können; daher bedarf es sektorübergreifender Ansätze, bei denen Bildungsmaßnahmen mit umfassenderen sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen verknüpft werden können.

Der zunehmende internationale Wettbewerb stellt hohe Anforderungen an die beruflichen Fähigkeiten und verlangt außerdem Kreativität, Innovationsfähigkeit und die Fähigkeit, in einem multikulturellen und mehrsprachigen Umfeld zu arbeiten. Dies macht es zusammen mit der rückläufigen Bevölkerungsentwicklung noch wichtiger, dass die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung zu einem höheren allgemeinen Bildungsniveau führen, während gleichzeitig gewährleistet wird, dass alle Menschen, junge Menschen wie Erwachsene, – unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund oder ihren persönlichen Verhältnissen – ihr Potenzial durch lebenslanges Lernen voll ausschöpfen können. In dieser Hinsicht sollte den Bedürfnissen von Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, mit Migrationshintergrund und der Roma-Gemeinschaft besondere Aufmerksamkeit gelten.

Vor dem Hintergrund der sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise, die sich weiterhin bemerkbar machen werden, – und im Zusammenhang mit dem Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (2010) (12) – ist deutlich, dass der Abschwung die am stärksten Benachteiligten hart getroffen hat und die auf diese Gruppe ausgerichteten haushaltspolitischen Anstrengungen gefährdet.

ERKENNT FOLGENDES AN:

Wenn Europa als wissensbasierte Wirtschaft auf der Grundlage eines nachhaltigen, hohen Beschäftigungsniveaus und eines verstärkten sozialen Zusammenhalts – wie in der Strategie „Europa 2020“ vorgesehen – wettbewerbsfähig und erfolgreich sein soll, ist die allgemeine und berufliche Bildung mit Blick auf das lebenslange Lernen von entscheidender Bedeutung. Der Vermittlung von Schlüsselkompetenzen für alle Bürger im Rahmen des lebenslangen Lernens wird eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung ihrer Beschäftigungsfähigkeit, ihrer sozialen Eingliederung und ihrer persönlichen Entfaltung zukommen.

Im Zusammenhang mit den im Rahmen des Strategischen Rahmens für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung („ET 2020“) vereinbarten europäischen Benchmarks muss die gegenwärtige Zahl der Schüler mit schlechten Leistungen bei den Grundkompetenzen – insbesondere der Lesekompetenz (aktuellen Zahlen zufolge kann durchschnittlich einer von vier Schülern nicht richtig lesen und schreiben) – unbedingt verringert werden und auch die Zahl jener, die die Schule oder Ausbildung abbrechen, muss weiter sinken, während die Teilnahme an frühkindlicher Erziehung und Betreuung sowie die Zahl junger Menschen mit einem Hochschulabschluss erhöht werden und die Beteiligung Erwachsener am lebenslangen Lernen zunehmen muss. Besonders akuter Handlungsbedarf besteht bei Menschen aus benachteiligten Verhältnissen, die statistisch gesehen bei jedem der Benchmarks deutlich schlechter abschneiden. Nur wenn auf die Bedürfnisse der von sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen eingegangen wird, können die Ziele des Strategischen Rahmens zufriedenstellend erreicht werden.

VERTRITT FOLGENDE AUFFASSUNG:

Das unterschiedliche Maß der von den Mitgliedstaaten verwirklichten sozialen Eingliederung weist darauf hin, dass noch viel Spielraum für Verbesserungen bei der Verringerung der Ungleichheiten und der Ausgrenzung in der EU sowohl durch strukturelle Veränderungen als auch durch zusätzliche Unterstützung für von sozialer Ausgrenzung bedrohte Lernende besteht. Gerechtigkeit und herausragende Leistungen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich und sollten sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene angestrebt werden. Zwar ist die Situation in jedem einzelnen Mitgliedstaat anders beschaffen, doch kann die europäische Zusammenarbeit dazu beitragen, zu ermitteln, wie soziale Eingliederung und Gerechtigkeit gefördert werden können, wobei herausragende Leistungen nicht beeinträchtigt werden.

Systeme, die hohe Qualitätsstandards für alle aufrechterhalten und die Rechenschaftspflicht stärken, die auf den Einzelnen zugeschnittene, integrative Ansätze fördern, die ein frühzeitiges Eingreifen vorsehen und die insbesondere auf benachteiligte Lernende abzielen, können beträchtlich zur sozialen Eingliederung beitragen.

Regelungen zur Unterstützung von Schülern und Studenten, wie Beihilfen, Darlehen oder zusätzliche nichtgeldliche Vergünstigungen, können eine wichtige Rolle spielen, um einen gleichberechtigten Zugang, insbesondere zur Hochschulbildung, zu erleichtern. Angesichts der angespannten Lage bei den für Bildung bestimmten Haushaltsmitteln ist eine größere Effizienz der öffentlichen Investitionen von entscheidender Bedeutung; eine Analyse des Konzepts und der Auswirkungen der verschiedenen Finanzierungssysteme kann bei der Entscheidungsfindung helfen;

VERTRITT FERNER FOLGENDE AUFFASSUNG:

Frühkindliche Bildung und Schulbildung:

1.

Die Teilnahme an einer hochwertigen frühkindlichen Bildung und Betreuung mit hochqualifiziertem Personal und einem angemessenen Kinder-Betreuer-Verhältnis wirkt sich für alle Kinder positiv aus und ist von größtem Nutzen für die am stärksten benachteiligten Kinder. Durch angemessene Anreize und Unterstützung, die Anpassung der Angebote an die Bedürfnisse und einen verbesserten Zugang kann eine stärkere Teilnahme von Kindern aus benachteiligten Verhältnissen (13) erreicht werden.

2.

Eine der effizientesten Methoden zur Förderung von sozialer Eingliederung besteht darin, eine hochwertige Bildung, die Schlüsselkompetenzen an alle vermittelt, zu gewährleisten. Schulen mit einem hohen Anteil von Schülern aus benachteiligten Verhältnissen brauchen zusätzliche Unterstützung.

3.

Um den Schulabbruch erfolgreich zu bekämpfen, müssen Erkenntnisse über Gruppen, bei denen die Gefahr des Schulabbruchs besteht (z. B. aufgrund der persönlichen oder sozioökonomischen Situation der Betreffenden oder aufgrund von Lernschwierigkeiten), auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene gesammelt und Systeme für die frühzeitige Erkennung der so gefährdeten Personen entwickelt werden. Es sollten umfassende sektorübergreifende Strategien verfolgt werden, die eine Palette von auf die verschiedenen Ursachen des Schulabbruchs ausgerichteten schulischen und systemischen Konzepten bieten. Individuelle Hilfe für Risikoschüler kann aus auf persönliche Bedürfnisse zugeschnittenen Lernangeboten, Beratung, Mentoren- und Nachhilfesystemen, Sozialleistungen und außerschulischen lernunterstützenden Maßnamen bestehen.

4.

Schwerpunkte der Eingliederungsstrategien auf Ebene der einzelnen Bildungseinrichtungen müssen Führungsstärke, die systematische Kontrolle der Ergebnisse und der Qualität, innovative, qualitativ hochwertige Lehrmethoden, die durch eine geeignete Lehrerbildung, Teilhabe und Motivation unterstützt werden, die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen und die Bereitstellung angemessener Ressourcen sein. Eine stärker integrierte Unterstützung von bedürftigen Lernenden erfordert Zusammenarbeit mit Eltern und interessierten Kreisen der Gemeinschaft, beispielsweise in Bereichen wie nicht formalen und informellen außerschulischen Lernangeboten.

5.

Die Schaffung der Voraussetzungen für die erfolgreiche Eingliederung von Schülern mit besonderen Bedürfnissen in das allgemeine Schulsystem kommt allen Lernenden zugute. Wege zu einer besseren Qualität für alle sind die verstärkte Nutzung von maßgeschneiderten Konzepten – einschließlich individueller Lernpläne und Einsatz von Bewertungen zur Unterstützung des Lernprozesses –, die Befähigung von Lehrern, mit Vielfalt umzugehen und von ihr zu profitieren, und die Förderung kooperativer Lehr- und Lernmethoden sowie die Erweiterung des Zugangs und der Teilnahme.

Berufliche Bildung:

Ein vielfältiges Berufsbildungsangebot, dessen Schwerpunkt stärker auf den Schlüsselkompetenzen, einschließlich der transversalen Kompetenzen, liegt, kann dem Einzelnen die Möglichkeiten eröffnen, die er dringend benötigt, um seine Qualifikationen zu verbessern und leichter Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. Im Falle benachteiligter Gruppen kann die berufliche Bildung dadurch an Relevanz gewinnen, dass sie auf die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten wird, dass Anleitung und Beratung ausgebaut, verschiedene Formen früheren Lernens anerkannt und alternative Programme für das Lernen am Arbeitsplatz gefördert werden. Eine stärkere Beteiligung insbesondere von Geringqualifizierten an der beruflichen Aus- und Weiterbildung ist entscheidend für ein Konzept der aktiven Eingliederung und für die Begrenzung der Arbeitslosigkeit bei industriellen Wandlungsprozessen.

Hochschulbildung:

1.

Um die Motivation zur Aufnahme eines Studiums und den Zugang zur Hochschulbildung für Schüler aus benachteiligten Verhältnissen zu verbessern, müssen die Programme zur finanziellen Unterstützung und andere Anreize ausgebaut und besser konzipiert werden. Durch bezahlbare, zugängliche, angemessene und übertragbare Studentendarlehen sowie an Bedürftigkeitsprüfungen gekoppelte Beihilfen kann die Beteiligung derjenigen, die sich Hochschulbildung nicht leisten können, erfolgreich erhöht werden.

2.

Flexiblere und stärker diversifizierte Bildungswege, z. B. die Anerkennung von früherem Lernen, Teilzeitunterricht und Fernunterricht, können helfen, die Hochschulbildung mit beruflichen oder familiären Verpflichtungen in Einklang zu bringen, und eine breitere Beteiligung begünstigen. Durch Umsetzungsmaßnahmen mit dem Ziel, die Verbleibquote in der Hochschulbildung zu überwachen und zu erhöhen, individuelle Unterstützung bereitzustellen und – besonders in den Anfangsphasen eines Hochschulstudiums – Anleitung, Beratung und Kompetenzschulung anzubieten, können die Abschlussquoten bei den benachteiligten Lernenden verbessert werden.

3.

Es bedarf besonderer Anstrengungen, besonders in finanzieller Hinsicht, um zu gewährleisten, dass die Bedürfnisse der benachteiligten Studenten, die oft nicht in der Lage sind, von den verfügbaren Mobilitätsprogrammen zu profitieren, umfassend berücksichtigt werden.

4.

Die Bekämpfung von Ungleichheit, Armut und sozialer Ausgrenzung kann verstärkt werden, wenn erkannt wird, dass Hochschuleinrichtungen soziale Verantwortung dafür tragen, dass die Vorteile des Wissens der Gesellschaft wieder zugutekommen, dass Wissen in den Dienst der Gemeinschaft im weiteren Sinne – auf lokaler und globaler Ebene – gestellt und dass soziale Bedürfnisse erfüllt werden.

5.

Die Hochschuleinrichtungen können ihrer sozialen Verantwortung auch dadurch gerecht werden, dass sie ihre Ressourcen erwachsenen, informellen und nicht-formalen Lernenden zur Verfügung stellen, die Forschung über soziale Ausgrenzung intensivieren, Innovation fördern und Unterrichtsmittel sowie -methoden aktualisieren.

Erwachsenenbildung:

1.

Aus der Erweiterung des Zugangs zu Erwachsenenbildung können sich neue Möglichkeiten für eine aktive Eingliederung und verstärkte soziale Beteiligung, insbesondere von gering qualifizierten Menschen, Arbeitslosen, Erwachsenen mit besonderen Bedürfnissen, älteren Menschen und Migranten, ergeben. Insbesondere mit Blick auf letztere kommt dem Erlernen der Sprache bzw. der Sprachen des Aufnahmelands eine wichtige Rolle bei der Förderung der sozialen Integration sowie bei der Verbesserung der Grundkompetenzen und der Beschäftigungsfähigkeit zu.

2.

Erwachsenenbildung, die in verschiedenen Umgebungen angeboten wird und zahlreiche interessierte Kreise (darunter der öffentliche und der private Sektor, Hochschuleinrichtungen, örtliche Gemeinschaften und NRO) einbindet und auch das Lernen aus persönlichen, staatsbürgerlichen, sozialen und Beschäftigungsgründen umfasst, ist entscheidende Voraussetzung dafür, dass benachteiligte Gruppen und Risikogruppen erreicht werden. Im Hinblick auf beschäftigungsbezogenes Lernen können die Unternehmen ihre soziale Verantwortung unter Beweis stellen, indem sie strukturelle Veränderungen besser antizipieren und Umschulungsmöglichkeiten anbieten.

3.

Es kann untersucht werden, welches Potenzial das generationenübergreifende Lernen bietet, um den gemeinsamen Austausch von Wissen und Fachkenntnissen zwischen der jüngeren und der älteren Generation und die Kommunikation und die Solidarität zwischen ihnen zu fördern, die wachsende digitale Kluft zu überbrücken und die soziale Isolation zu verringern.

Lebenslanges Lernen:

Bildungs- und Ausbildungssysteme mit flexiblen Bildungswegen, in denen die Chancen möglichst lange erhalten bleiben und „Sackgassen“ vermieden werden, helfen, Benachteiligung zu überwinden. Ebenso können sie dazu beitragen, sozioökonomische oder kulturelle Marginalisierung zu vermeiden und zu verhindern, dass Menschen durch geringe Erwartungen gehemmt werden. Lebenslange Bildungsberatung und die Validierung erworbener Fähigkeiten, darunter die Anerkennung früheren Lernens und früherer Erfahrungen, die Diversifizierung der Zulassungsmodelle auf allen Ebenen der allgemeinen und beruflichen Bildung, einschließlich der Hochschul- und Erwachsenenbildung, können Übergänge für Lernende erleichtern. Es bedarf innovativer Beratungsverfahren und der Zusammenarbeit mit anderen sozialen Diensten und der Zivilgesellschaft, um benachteiligte Gruppen außerhalb der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung zu erreichen;

ERSUCHT DAHER DIE MITGLIEDSTAATEN,

in Bezug auf die frühkindliche Bildung und die Schulbildung:

1.

den Zugang zu hochwertiger frühkindlicher Bildung und Betreuung zu erweitern, um allen Kindern – insbesondere Kindern aus benachteiligten Verhältnissen oder mit sonderpädagogischen Bedürfnissen – einen sicheren Start zu bieten, sowie die Lernmotivation zu erhöhen;

2.

die Unterrichtsqualität in den Schulen zu verbessern und diesbezügliche Unterschiede zwischen den und innerhalb der Schulen abzubauen, um einer möglichen sozioökonomischen oder kulturellen Marginalisierung entgegenzuwirken;

3.

den Erwerb wesentlicher Grundkompetenzen, vornehmlich Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten und – insbesondere im Fall von Schülern mit Migrationshintergrund – Sprachkenntnisse, in den Mittelpunkt zu stellen;

4.

die Vernetzung zwischen Schulen zu ermutigen, damit Erfahrungen und Beispiele von bewährten Verfahren ausgetauscht werden können;

5.

verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, damit Jugendliche nicht vorzeitig die Schule verlassen, und dazu Frühwarnsysteme zur Erkennung von Risikoschülern zu entwickeln; außerdem die Entwicklung schulischer Integrationsstrategien zu fördern, bei denen die Qualität im Mittelpunkt steht und die durch eine entsprechende Ausbildung der Führungs- und Lehrkräfte mit Blick auf das lebenslange Lernen flankiert werden;

6.

stärker maßgeschneiderte Konzepte und systemische Antworten im Hinblick auf die Unterstützung aller Schüler zu entwickeln sowie zusätzliche Hilfe für Schüler aus benachteiligten Verhältnissen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen vorzusehen;

7.

die Bedeutung von Schulbildung stärker hervorzuheben – mit Blick darauf, das Streben der Schüler zu stärken und nicht nur die Lernfähigkeit, sondern auch die Lernmotivation zu fördern;

8.

den Lehrberuf attraktiver zu machen, eine einschlägige berufsbegleitende Fortbildung vorzusehen und für eine starke Schulleitung zu sorgen;

9.

Schulen gegenüber der Gesamtgesellschaft stärker rechenschaftspflichtig zu machen, die Partnerschaften zwischen Schulen und Eltern, Wirtschaft und lokalen Gemeinschaften auszubauen sowie die Integration formaler und nicht formaler Aktivitäten voranzutreiben;

10.

Konzepte für eine erfolgreiche integrative Bildung für alle Schüler, auch jene mit besonderen Bedürfnissen, zu fördern, indem Schulen zu Lerngemeinschaften gemacht werden, in denen Eingliederung und gegenseitige Unterstützung gefördert und die Talente aller Schüler anerkannt werden; die Auswirkungen solcher Ansätze zu überwachen, insbesondere im Hinblick auf einen verbesserten Zugang und einen höheren Anteil von Schulabschlüssen bei Lernenden mit besonderen Bedürfnissen auf allen Ebenen des Bildungssystems;

in Bezug auf die berufliche Bildung:

1.

den Erwerb von Schlüsselkompetenzen durch Berufsbildungsmöglichkeiten und -programme zu verbessern und besser auf die Bedürfnisse benachteiligter Lernender einzugehen;

2.

die berufliche Bildung weiterzuentwickeln, so dass sich Lernende ihre eigenen Ausbildungsgänge individuell zusammenstellen können;

3.

sich darum zu bemühen, dass eine gute Integration der Berufsbildungssysteme in die Gesamtsysteme der allgemeinen und beruflichen Bildung gewährleistet ist, beispielsweise auch für flexible Bildungswege, die den Lernenden den Wechsel zwischen den einzelnen Bereichen und den Übergang ins Berufsleben ermöglichen;

4.

Anleitung und Beratung und die einschlägige Lehrerfortbildung auszubauen, um die Berufswahl der Schüler und den Übergang innerhalb des Bildungssystems oder vom Bildungssystem in eine Beschäftigung zu unterstützen. Dies ist für die erfolgreiche Eingliederung in den Arbeitsmarkt und die Integration von Schülern mit besonderen Bedürfnissen besonders wichtig;

in Bezug auf die Hochschulbildung:

1.

sich für einen leichteren Zugang einzusetzen, beispielsweise durch den Ausbau der Programme zur finanziellen Unterstützung der Studierenden sowie durch flexible und diversifizierte Bildungswege;

2.

Strategien zur Erhöhung der Abschlussquoten an Hochschulen zu entwickeln, u. a. durch den Ausbau der individuellen Unterstützung, Beratung und Betreuung von Studierenden;

3.

hinsichtlich der Mobilität zu Lernzwecken weiterhin Hemmnisse zu beseitigen, mehr Möglichkeiten zu schaffen und die Angebotsqualität zu erhöhen, u. a. indem angemessene Anreize für die Mobilität von Studierenden aus benachteiligten Verhältnissen geboten werden;

4.

spezielle Programme für erwachsene und andere nicht zur klassischen Zielgruppe gehörende Lernende zu fördern;

in Bezug auf die Erwachsenenbildung:

1.

Strategien zu forcieren, um Geringqualifizierten, beschäftigungslosen Erwachsenen und gegebenenfalls Bürgern mit Migrationshintergrund einen Abschluss oder das Erreichen des nächsthöheren Qualifikationsniveaus („eine Stufe höher“) zu ermöglichen, und die Angebote des zweiten Bildungswegs für junge Erwachsene zu erweitern;

2.

Maßnahmen zu fördern, mit denen sichergestellt wird, dass jedermann Zugang zu Grundkenntnissen und Schlüsselkompetenzen hat, die für das Leben und Lernen in der Wissensgesellschaft nötig sind, insbesondere Lese- und IKT-Fertigkeiten;

und im Allgemeinen zur Stärkung der sozialen Dimension der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung:

1.

die Flexibilität und die Durchlässigkeit von Bildungswegen zu verbessern und Hindernisse für die Teilnahme und die Mobilität innerhalb von und zwischen Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung zu beseitigen;

2.

engere Verbindungen zwischen der Welt der Bildung und der Welt der Arbeit sowie der Gesamtgesellschaft zu entwickeln, damit Beschäftigungsfähigkeit und gesellschaftliches Engagement verbessert werden;

3.

Systeme für die Validierung und Anerkennung früheren Lernens – einschließlich des informellen und nicht formalen Lernens – zu schaffen und die lebenslange Bildungsberatung für benachteiligte und geringqualifizierte Lernende auszuweiten;

4.

Auswirkungen und Wirksamkeit finanzieller Förderungsmaßnahmen für Benachteiligte sowie die Folgen der Gestaltung von Bildungssystemen und -strukturen für Benachteiligte zu evaluieren;

5.

die Erhebung von Daten über Ergebnisse, Abbrecherquoten und den sozioökonomischen Hintergrund der Lernenden in Betracht zu ziehen, insbesondere in den Bereichen berufliche Bildung, Hochschulbildung und Erwachsenenbildung;

6.

die Festlegung quantifizierter Ziele im Bereich der sozialen Eingliederung durch Bildung in Betracht zu ziehen, wobei der Lage in den einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen ist;

7.

die Entwicklung eines integrierten Konzepts für die Verwirklichung dieser Ziele in Betracht zu ziehen, das mit anderen Strategien abgestimmt ist;

8.

angemessene Mittel für benachteiligte Schüler und Schulen einzusetzen und gegebenenfalls die Nutzung des Europäischen Sozialfonds und des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung auszuweiten, um durch Bildung soziale Ausgrenzung zu vermindern;

FORDERT DIE MITGLIEDSTAATEN UND DIE KOMMISSION DAHER AUF,

1.

die Zusammenarbeit beim strategischen Ziel der Förderung der Gerechtigkeit, des sozialen Zusammenhalts und des aktiven Bürgersinns fortzusetzen, indem die offene Koordinierungsmethode innerhalb des strategischen Rahmens für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung („ET 2020“) aktiv angewandt und die soziale Dimension des Bologna- und des Kopenhagen-Prozesses verwirklicht wird, und Maßnahmen im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Rates aus dem Jahr 2008 zur Erwachsenenbildung zu erlassen;

2.

die aktive Nutzung jeder Komponente des Programms für lebenslanges Lernen und gegebenenfalls des Europäischen Sozialfonds, des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und des PROGRESS-Programms anzustreben, um soziale Eingliederung durch die allgemeine und berufliche Bildung zu fördern, und diesem Bereich weiterhin verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken, wenn die nächste Generation von Programmen aufgelegt wird;

3.

eine stärkere Teilnahme von Lernenden aus benachteiligten Verhältnissen oder Lernenden mit besonderen Bedürfnissen an grenzüberschreitenden Mobilitätsprogrammen, Partnerschaften und Projekten, insbesondere jener im Rahmen des Programms für lebenslanges Lernen, zu fördern und zu unterstützen;

4.

vergleichende Untersuchungen über die Effizienz politischer Maßnahmen für mehr Gerechtigkeit in der allgemeinen und beruflichen Bildung zu fördern, die Wissensgrundlage durch Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen zu erweitern und eine weite Verbreitung der Forschungsergebnisse sicherzustellen;

5.

die Rolle der allgemeinen und beruflichen Bildung als Schlüssel zur Verwirklichung der Ziele des Prozesses der sozialen Eingliederung und des sozialen Schutzes zu fördern.


(1)  ABl. C 298 vom 8.12.2006, S. 3.

(2)  ABl. L 394 vom 30.12.2006, S. 10.

(3)  ABl. C 290 vom 4.12.2007, S. 1.

(4)  Dok. 16096/1/07 REV 1.

(5)  ABl. C 140 vom 6.6.2008, S. 10.

(6)  ABl. L 298 vom 7.11.2008, S. 20.

(7)  ABl. C 18 vom 24.1.2009, S. 6.

(8)  ABl. C 319 vom 13.12.2008, S. 20.

(9)  ABl. C 301 vom 11.12.2009, S. 5.

(10)  ABl. C 311 vom 19.12.2009, S. 1.

(11)  ABl. C 119 vom 28.5.2009, S. 2.

(12)  Siehe Fußnote 6.

(13)  Im Sinne dieses Texts deckt der Begriff „benachteiligte Verhältnisse“ gegebenenfalls auch Lernende mit sonderpädagogischem Förderbedarf ab.