18.1.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 15/41


Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zum Thema „Bekämpfung der Obdachlosigkeit“

2011/C 15/08

DER AUSSCHUSS DER REGIONEN SPRICHT FOLGENDE EMPFEHLUNGEN AUS:

Obdachlosigkeit ist eine extreme Form der Armut und der sozialen Ausgrenzung und muss daher in der EU-Strategie für soziale Sicherheit und soziale Integration stärker beachtet werden. Eine hohe Obdachlosigkeit ist kein Ruhmesblatt für die Europäische Union. Das Europäische Jahr 2010 zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ist eine gute Gelegenheit, das Bewusstsein für dieses anhaltende Problem, das sich im Zuge der Wirtschaftskrise noch ausweiten dürfte, zu schärfen. Initiativen zur Lösung des Problems sollten selbstredend langfristig, d.h. über 2010 und die aktuelle Krise hinaus, angelegt werden.

Der Ausschuss unterstreicht die wichtige Rolle der lokalen und regionalen Behörden im praktischen und wirkungsvollen Handeln gegen die Obdachlosigkeit. Sie tragen die tatsächliche Verantwortung und haben zudem eine große Erfahrung und oftmals gut funktionierende Methoden und Programme, die auf frühzeitige und kurzfristige, aber auch langfristige Hilfe ausgerichtet sind. Aus diesem Grund bedarf es dringend einer deutlicheren Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen Behörden und den verschiedenen Ebenen. Hierzu ist allerdings auch zu sagen, dass die Obdachlosigkeitsproblematik in bestimmten Regionen eines Landes bzw. in bestimmten Ländern besonders gravierend sein kann. Daher muss es nicht zuletzt im Hinblick auf die Gewährleistung des territorialen und sozialen Zusammenhalts europäische und nationale Mechanismen geben, um Regionen mit hoher Obdachlosigkeit wirtschaftlich zu helfen.

Berichterstatter

:

Tore Hult (SE/SPE), Stellvertretender Bürgermeister von Alingsås/Schweden

I.   POLITISCHE EMPFEHLUNGEN DES AUSSCHUSSES DER REGIONEN

Hintergrund - Ausgangspunkte

1.

Der Ausschuss erinnert daran, dass der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt – ein Eckpfeiler der EU – nicht erreicht werden kann, wenn Teile der EU-Bevölkerung obdachlos und somit ohne Aussicht auf persönliche und berufliche Entfaltung sind. Der Ausschuss hält die Obdachlosigkeit bei Kindern und Jugendlich für besonders besorgniserregend.

2.

Obdachlosigkeit ist eine extreme Form der Armut und der sozialen Ausgrenzung und muss daher in der EU-Strategie für soziale Sicherheit und soziale Integration stärker beachtet werden. Eine hohe Obdachlosigkeit ist kein Ruhmesblatt für die Europäische Union. Das Europäische Jahr 2010 zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ist eine gute Gelegenheit, das Bewusstsein für dieses anhaltende Problem, das sich im Zuge der Wirtschaftskrise noch ausweiten dürfte, zu schärfen. Initiativen zur Lösung des Problems sollten selbstredend langfristig, d.h. über 2010 und die aktuelle Krise hinaus, angelegt werden.

3.

Ausgangspunkt muss sein, dass die Mitgliedstaaten der EU vor einem gemeinsamen Problem stehen. Obdachlosigkeit ist eine vom Bildungsstand, der kulturellen Zugehörigkeit und den früheren wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen unabhängige Erscheinung und in allen Mitgliedstaaten der Union anzutreffen. Mithin sind gemeinsame Maßnahmen gefragt, um der Obdachlosigkeit vorzubeugen oder sie zu vermindern.

4.

Obdachlosigkeit ist mit großen persönlichen Tragödien verbunden und auch für die Gesellschaft ein enormer Kostenfaktor. Würde die Zahl der Obdachlosen reduziert, könnte die Gesellschaft finanziell entlastet und eine größere gesellschaftliche Teilhabe geschaffen werden, was wiederum ein Beitrag zur Entwicklung Europas wäre.

5.

Der Ausschuss betont, dass Obdachlosigkeit durch eine Kombination von Umständen verursacht wird und daher kein Problem ist, das ausschließlich auf individuelle Aspekte zurückzuführen ist.

6.

Der Ausschuss sieht ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren als Ursache für die Obdachlosigkeit, darunter: Mangel an Wohnraum zu erschwinglichen Preisen, Niedriglöhne, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit und der unzureichende gesellschaftliche Umgang mit diesem Problem, psychische Erkrankungen, Krankheit, häusliche Gewalt, Arbeitslosigkeit, schwierige zwischenmenschliche Beziehungen, Armut, Haftentlassung und Rückkehr in die Gesellschaft sowie Veränderungen und Kürzungen der öffentlichen Hilfen. Besonders wichtig ist die Haltung der Wohnungseigentümer gegenüber Obdachlosen und die Frage, inwieweit sie dazu beitragen können, Obdachlosen eigenen Wohnraum zu verschaffen. Damit die Anstrengungen gelingen, sind eine Koordinierung und zahlreiche verschiedene Maßnahmen erforderlich.

7.

Nach Auffassung des Ausschusses bedarf es einer weitaus besseren Kenntnis darüber, wie Obdachlosigkeit entsteht und welche Mechanismen sie fortdauern lassen. Eine solche Kenntnis ist die Grundlage dafür, dass effiziente Maßnahmen in verschiedenen Politikbereichen ergriffen werden können.

8.

Der Ausschuss betrachtet die Obdachlosigkeit mit Sorge und vertritt die Auffassung, dass es Anstrengungen auf mehreren Ebenen bedarf, die teils auf Vorbeugung, teils auf die Sensibilisierung der Öffentlichkeit abstellen. Nicht zuletzt müssen auch Anreize zum Wohnungsbau gegeben werden.

9.

Der Ausschuss unterstreicht die wichtige Rolle der lokalen und regionalen Behörden im praktischen und wirkungsvollen Handeln gegen die Obdachlosigkeit. Sie tragen die tatsächliche Verantwortung und haben zudem eine große Erfahrung und oftmals gut funktionierende Methoden und Programme, die auf frühzeitige und kurzfristige, aber auch langfristige Hilfe ausgerichtet sind. Aus diesem Grund bedarf es dringend einer deutlicheren Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen Behörden und den verschiedenen Ebenen. Hierzu ist allerdings auch zu sagen, dass die Obdachlosigkeitsproblematik in bestimmten Regionen eines Landes bzw. in bestimmten Ländern besonders gravierend sein kann. Daher muss es nicht zuletzt im Hinblick auf die Gewährleistung des territorialen und sozialen Zusammenhalts europäische und nationale Mechanismen geben, um Regionen mit hoher Obdachlosigkeit wirtschaftlich zu helfen.

10.

Damit eine übergreifende Strategie gegen die Obdachlosigkeit gelingen kann, müssen die EU-Institutionen nach Auffassung des Ausschusses die Entwicklung tatkräftiger fördern und die beschlossenen Maßnahmen weiterverfolgen. Hier besteht kein Widerspruch zur Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und der Anerkennung der entscheidenden Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften.

11.

Der Ausschuss stellt fest, dass internationale Deklarationen und nationale Gesetze Ausdruck eines immer stärkeren Willens sind, ein Bewusstsein für die Obdachlosigkeit als bedeutendes gesellschaftliches Problem zu schaffen. In einigen Ländern ist das Recht auf eine Wohnung in der Verfassung verankert.

12.

Etliche der hier beschriebenen Vorschläge und Maßnahmen fußen auf diesen wichtigen gemeinsamen Grundlagen und bereits bestehenden Rahmen. Das bedeutet zugleich, dass die wichtigsten Fragen der Obdachlosigkeitsproblematik ohne die Schaffung neuer Rechtsinstrumente gelöst werden können.

13.

Es fehlt eine gemeinsame europäische Definition der Obdachlosigkeit, weshalb der Ausschuss an die Mitgliedstaaten appelliert, soweit wie möglich die ETHOS-Typologie (European Typology of Homelessness and Housing Exclusion) einzusetzen. Dies würde den Vergleich der Situation in den Mitgliedstaaten und der Resultate der jeweiligen Initiativen ermöglichen. Obdachlos ist, wer:

kein Dach über dem Kopf hat (Obdachlose, die im Freien schlafen);

keinen festen Wohnsitz hat (Personen, die in Einrichtungen zur vorübergehenden Unterbringung von Obdachlosen, Heimen, sonstigen Kollektivunterkünften für bestimmte Gruppen oder für betreutes Wohnen leben);

in unsicheren Wohnverhältnissen lebt (Wohnung ohne festen (Unter-) Mietvertrag oder Unterkommen bei Familienangehörigen oder Freunden mangels eigener Wohnung);

in prekären Wohnverhältnissen lebt (barackenartige Unterkünfte, Unterkünfte ohne Sanitäranlagen, Unterkünfte, die laut nationalem Recht unbewohnbar sind, Wohnwagen oder Campinghütten, die nicht als ganzjährige Unterkunft gedacht sind, sowie Unterkunft in beengten Wohnverhältnissen).

14.

Nach Auffassung des Ausschusses muss die Bekämpfung der Obdachlosigkeit eine Priorität in den EU-Maßnahmen zur sozialen Integration sein. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil der Ausschuss für Sozialschutz Obdachlosigkeit und den Ausschluss vom Wohnungsmarkt zum Thema für 2009 gemacht hat. Das Jahr 2010, das als EU-Themenjahr der Bekämpfung von Armut gewidmet ist, bietet indes eine ausgezeichnete Gelegenheit, den Startschuss für die intensivere Bekämpfung der extremsten Form von Ausgrenzung – der Obdachlosigkeit – zu geben.

15.

Guter Wohnraum zu erschwinglichen Preisen ist ein primäres personenbezogenes Gut und ein Recht. Deshalb müssen die Mitgliedstaaten alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen und Maßnahmen ergreifen, allen Menschen, die nach nationalem Recht einen Anspruch darauf haben, bei der Beschaffung von Wohnraum zu helfen.

16.

Neben den offensichtlichen sozialen Folgen der Obdachlosigkeit für die Betroffenen müssen auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vorteile herausgestellt werden, die sich daraus ergeben, wenn der Mensch Arbeit und Wohnung hat.

17.

Der Ausschuss verweist auf die direkten und indirekten Kosten der Obdachlosigkeit für die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften der Mitgliedstaaten. Von größter Bedeutung sind selbstverständlich die direkten Kosten in Form spezieller oder allgemeiner Ressourcen, die infolge der Obdachlosigkeit in Anspruch genommen werden müssen. Ein weiterer Aspekt sind entgangene Steuereinnahmen, die bei einer entlohnten Beschäftigung erzielt würden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Obdachlosigkeit die wirtschaftliche Entwicklung vieler Länder bremst und die langfristig nachhaltige Gesellschaft sabotiert, die wir schaffen wollen und die unter anderem mit der Strategie Europa 2020 angepeilt wird.

18.

Die verfügbaren Daten über die wirtschaftlichen Auswirkungen lassen vorbeugende Programme vernünftig erscheinen, deren Kosten im Vergleich zu den Gesamtkosten der Obdachlosigkeit sehr niedrig sind.

Empfehlungen des Ausschusses der Regionen

19.

Nach Auffassung des Ausschusses sollten die Mitgliedstaaten dieses gesellschaftliche Problem und die Notwendigkeit weiteren Handelns und der Stärkung der geleisteten Arbeit anerkennen. Eine grundlegende Voraussetzung für Fortschritte bei der Bekämpfung der Obdachlosigkeit ist der koordinierte Einsatz sämtlicher betroffenen Ebenen (lokale, regionale, nationale und zwischenstaatliche Ebene).

20.

Die Hauptschwierigkeit bei der Bekämpfung der Obdachlosigkeit besteht in der Vielfalt der Maßnahmen, die es umzusetzen gilt, sowie in der Aufteilung der Zuständigkeiten auf die einzelnen Behörden. Um Obdachlosigkeit wirksam zu bekämpfen, müssen u.a. auch Maßnahmen in den Bereichen Stadtplanung, Wohnungsbau, Sozialpolitik, Beschäftigung und Gesundheit (einschl. psychischer Gesundheit) ergriffen werden. Es gilt daher, die für die Finanzierung des Wohnungsbaus, die Erteilung von Baugenehmigungen und die begleitenden sozialpolitischen Maßnahmen zuständigen Behörden zur vertraglichen und territorialen Zusammenarbeit zu ermuntern.

21.

Der Ausschuss unterstreicht, dass sowohl präventive als auch kurz- und langfristige Ansätze berücksichtigt werden müssen, um die Situation zu verbessern.

22.

Nach Auffassung des Ausschusses lassen sich auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse über die Obdachlosigkeit keine politischen Maßnahmen erarbeiten, die der ausgeprägten Heterogenität der von Obdachlosigkeit betroffenen Personengruppen sowie den unterschiedlichen Wegen in die Obdachlosigkeit umfassend Rechnung tragen. Zudem führen die Betreuungsmodalitäten oftmals dazu, dass die einzelnen Obdachlosen, je nachdem in welcher Betreuungsstruktur sie sich befinden, in künstlich geschaffene Kategorien eingeteilt werden. Die Möglichkeiten der Obdachlosen zur aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben werden durch diesen Kenntnismangel beeinträchtigt.

23.

Der Ausschuss der Regionen ist der Auffassung, dass von dieser Sichtweise abgegangen und ein humaner und persönlicher, auf den individuellen Lebensweg des Einzelnen zugeschnittener Ansatz entwickelt werden muss, um geeignete Lösungen anzubieten. Ein solcher Ansatz setzt voraus, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit möglichst unmittelbar auf der Ebene der Betroffenen umgesetzt werden. Den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften kommt hierbei also eine entscheidende Rolle zu.

24.

Der Ausschuss der Regionen hält daher eine Verbesserung und Weiterentwicklung der statistischen Instrumente für erforderlich. Zudem muss die Harmonisierung der Daten auf europäischer Ebene durch die Fortführung der Arbeiten im Zusammenhang mit der ETHOS-Typologie sowie generell durch die Förderung vergleichender Ansätze zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten unterstützt werden. Darüber hinaus ist eine Überarbeitung der bestehenden Instrumente anzustreben, damit differenzierte Ansätze zum Einsatz gelangen, die den Ursachen für Obdachlosigkeit und für Ausstieg-/Rückfall-Phänomene Rechnung tragen sowie den Betroffenen dabei helfen, endgültig weg von der Straße zu kommen.

25.

Der Ausschuss fordert die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zu umfassender Zusammenarbeit und interinstitutioneller Koordination der verschiedenen Gebiete auf, um übergreifende Maßnahmen und die weitere Arbeit in Sachen Obdachlosigkeit zu verbessern. Benötigt werden eine langfristige Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sowie langfristig ausgerichtete Strategien, die zusammen das Problem ausmerzen können, denn kurzfristige oder punktuelle Maßnahmen sind dazu nicht ausreichend.

26.

In vielen Mitgliedstaaten fehlen sowohl verlässliche offizielle Angaben über das Ausmaß der Obdachlosigkeit als auch Angaben über erfolgreiche Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung. Der Ausschuss der Regionen appelliert an die Mitgliedstaaten, im Wege der europäischen Zusammenarbeit dazu beizutragen, eine übergreifende, einheitliche Strategie gegen die Obdachlosigkeit zu entwickeln und anschließend darüber zu wachen, dass eine solche Strategie eine nationale Ausgestaltung findet, die für das Gelingen unumgänglich ist.

27.

Der eigene Wohnraum ist ein primäres personenbezogenes Gut und Grundvoraussetzung dafür, dass ein Mensch in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen kann. Der Ausschuss der Regionen fordert daher die Kommission auf, das Prinzip des Rechts auf angemessenen Wohnraum und dessen mögliche Ausgestaltung zu prüfen.

28.

Nach Auffassung des Ausschusses ist ein energischer Einsatz nötig, um die Obdachlosigkeit zu bekämpfen. Es ist notwendig, gemeinsam politisch Stellung gegen die Obdachlosigkeit zu beziehen, um so die Grundlage für die künftige Arbeit zu schaffen. Andernfalls besteht das Risiko, dass die Anstrengungen zersplittert und ohne die notwendige Koordinierung durchgeführt werden. Die Arbeit, die in vielen lokalen und regionalen Gebietskörperschaften läuft, muss entwickelt und weiterverbreitet werden. Nationale und internationale Modelle und Methoden werden für die Vorbeugung der Obdachlosigkeit benötigt. Allgemeine Anstrengungen zur Aufrüttelung der Öffentlichkeit und zur Sensibilisierung des Bewusstseins der Allgemeinheit sind auch von großer Bedeutung, um zu einem konzertierten Engagement beizutragen.

29.

Der Ausschuss betont, wie wichtig es ist, in der Gesellschaft der Auffassung entgegenzutreten, wonach die Obdachlosigkeit einzig Sache des Einzelnen ist. Es muss dafür gesorgt werden, dass eine differenziertere Betrachtungsweise der Ursachen der Obdachlosigkeit stattfindet und ihre Folgen für die Gesellschaft untersucht werden. Somit besteht für die Kommission Veranlassung zu Maßnahmen, um ein solches differenzierteres Bild zu vermitteln.

30.

Der Ausschuss ersucht die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, das Recht auf eine Wohnung als primäres personenbezogenes Gut zu betrachten und sich an der Erkundung von Ursachen, Folgen und Kosten der Obdachlosigkeit zu beteiligen. Ein vertieftes Wissen über die Obdachlosigkeit soll die Grundlage der Anstrengungen und der Vorbeugemaßnahmen sein, wodurch es sodann möglich wird, die Effektivität der Maßnahmen zu bewerten.

31.

Nach Auffassung des Ausschusses haben die vorliegenden gesammelten Erkenntnisse bisher wenig Verbreitung gefunden. Zudem werden sie von den Behörden nur unzureichend genutzt. Ein stärker strategisch ausgerichteter Plan ist zu erarbeiten, wie die Informationen auf die richtige Ebene geleitet werden können.

32.

Die wirtschaftlichen Argumente für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit müssen noch prägnanter ausformuliert werden. Es sollte möglich sein, in den kommenden Jahren eine Reihe neuer Berichte darüber auszuarbeiten. Der Erkenntniszuwachs kann sodann die Grundlage für die weitere Arbeit bilden.

33.

Der Ausschuss schlägt vor, auf EU-Ebene ein dauerhaftes System zur Ermittlung bewährter Praktiken zu schaffen. Der Ausschuss unterstreicht mit Nachdruck, wie wichtig es ist, bewährte Praktiken zwischen den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften auszutauschen. Dies bezieht sich auf die Maßnahmen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit, vorbeugende Maßnahmen, Ausbildung von Personal und die differenzierte Unterstützung verschiedener Gruppen von Obdachlosen.

34.

Überaus positiv bewertet der Ausschuss die Initiativen und Projekte, die von den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit durchgeführt werden. Er stellt jedoch fest, dass der Austausch bewährter Praktiken intensiviert werden muss. Dies kann durch ein qualitatives Austauschprogramm von Personal, das in den Mitgliedstaaten direkt mit Fragen der Obdachlosigkeit arbeitet, bewirkt werden. Ein solches Austauschprogramm muss mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattet sein und könnte zu einer neuen Form eines Austauschdienstes in der Union ausgebaut werden.

35.

Der Ausschuss unterstreicht, dass ein besseres Verständnis des Umfangs und der Struktur der Obdachlosigkeit in der EU gefordert ist. So wären zum Beispiel Informationen darüber wertvoll, wie die Verteilung nach Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, sozialen Verhältnissen und anderen wichtigen Indikatoren aussieht. Ohne diese Informationen wird man kaum zu der wirtschaftlichen und sozialen Strategie gelangen, die benötigt wird, um der Obdachlosigkeit Herr zu werden. Der Ausschuss plädiert dafür, dass sich die Statistik an der Definition der Obdachlosigkeit anlehnt, die von der FEANTSA formuliert wurde. Der Ausschuss hofft, dass die Kommission baldigst diesen Auftrag erhält.

36.

Nach Auffassung des Ausschusses unterhöhlt Obdachlosigkeit mit ihrer Auswirkung auf ein primäres personenbezogenes Gut die Grundrechte und die Menschenwürde sowie das Recht des Einzelnen, über sein Leben zu bestimmen. Am schlimmsten trifft die Obdachlosigkeit Kinder, denn sie haben oftmals keine Möglichkeit, ihre eigene Situation zu beeinflussen. Daher sollte die Kommission die Voraussetzungen dafür prüfen, inwieweit die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene eine Garantie dafür einführen können, dass Kinder unter 18 Jahren nicht mehr von Obdachlosigkeit betroffen werden. Es sollte untersucht werden, ob nicht auch Menschen mit Behinderungen in diese Garantie einzubeziehen sind.

37.

Es kann nicht genug betont werden, dass das Fehlen einer Wohnung ein Problem an sich ist. Die guten Ergebnisse des Versuchs „Housing First“ müssen größere Beachtung finden. Dies unter der Voraussetzung, dass der oder die Obdachlose zusammen mit dem Angebot einer Wohnung auch Unterstützung erhält, die für die Bewältigung weiterer mit der Obdachlosigkeit verbundener Probleme erforderlich ist.

38.

Besondere Anstrengungen und Informationsmaßnahmen sollten an die Adresse der Wohnungsbesitzer gerichtet werden. Bei der Bekämpfung der Obdachlosigkeit muss die Menschenwürde im Mittelpunkt stehen. Außerdem muss unterstellt werden, dass jeder Mensch seine Lebenssituation verbessern und zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen will. In dem Bemühen um die Vorbeugung von Wohnungsmangel kommt es ganz besonders auf die Wohnungsbesitzer an. Es müssen besondere Anreize geschaffen werden, damit Obdachlosen Wohnraum zur Verfügung gestellt wird.

39.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass bei denjenigen, die mit Obdachlosigkeit arbeiten, stärker auf eine Aus- und Weiterbildung zu achten ist. In den Ländern, in denen die Mitarbeiter in Schule, Justiz, Gesundheitswesen, psychologischer Betreuung, den sozialen Diensten sowie der Polizei eine Spezialausbildung durchlaufen haben, sind gute Fortschritte in dem Bemühen, mehr gegen Obdachlosigkeit in der Frühphase zu unternehmen, festzustellen. Bei der Gestaltung des nächsten Strukturmittel-Förderzeitraums müssen in höherem Maße Ressourcen dafür zur Verfügung gestellt werden.

40.

Der Ausschuss betont die Wichtigkeit der vorbeugenden Arbeit der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften; jedoch müssen auch kurzfristige Lösungen angeboten werden können. Wohnraum muss vorübergehend zur Verfügung gestellt werden können. Allerdings ist es nicht hinnehmbar, dass die Obdachlosen im System der Obdachlosenheime hängenbleiben. Bestimmte Länder verfolgen die Strategie, die öffentlichen Obdachlosenheime zu schließen. Stattdessen sollen Obdachlosen maßgeschneiderte und bedarfsgerechte Lösungen angeboten werden. Hier sind vorbeugende Maßnahmen gegen Zwangsräumungen von grundlegender Bedeutung.

41.

Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften müssen besser darin werden, die freiwilligen Kräfte in der Gesellschaft zu unterstützen. Obdachlosigkeit ist ein strukturelles und politisches Problem, das das Engagement aller Behörden erfordert - aber auch das ehrenamtliche Engagement spielt eine wichtige Rolle. Es sollte darüber nachgedacht werden, wie die Union dazu beitragen kann, dass freiwillige Helfer eine größere Rolle erhalten. Das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit 2011 sollte zum Anlass genommen werden, um die Bevölkerung für diese wichtige Problematik zu sensibilisieren und neue Formen der Zusammenarbeit mit Freiwilligenorganisationen auszuloten.

42.

Der Ausschuss schlägt vor, auf EU-Ebene ein spezielles Finanzprogramm zu schaffen, um die nationalen, lokalen und regionalen Bestrebungen gegen Obdachlosigkeit zu unterstützen und Qualitätskriterien zu entwickeln. Der Erfahrungsaustausch muss gefördert werden, um die Effekte und den Einsatz der Ressourcen zu optimieren. Der Ausschuss empfiehlt daher, dass künftige europäische Fonds in höherem Maße auf diese Problematik abstellen.

43.

Der Ausschuss schlägt vor, lokal und regional die Möglichkeit zu schaffen, Programme auszuarbeiten, um Obdachlose in die Gesellschaft und das Arbeitsleben einzugliedern, indem Arbeitgebern Anreize gegeben werden, sie einzustellen. Auf dieselbe Art und Weise kann die lokale und regionale Ebene die Integration durch Bildungsanstrengungen mit dem Ziel fördern, den Obdachlosen eine Verankerung in der Gesellschaft zu verschaffen. Die guten Erfahrungen, die man in diesem Bereich gemacht hat, müssen stärker propagiert werden.

44.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass strukturiertere Maßnahmen zur Beschaffung und Verbreitung von Informationen über Obdachlosigkeit nötig sind.

45.

Der Ausschuss regt die Schaffung eines europäischen Zentrums gegen Obdachlosigkeit an. Dieses Zentrum soll das koordinierende Organ werden, das heute fehlt. Seine wichtigste Aufgabe wäre die Koordinierung, jedoch sollte es auch zum stärkeren Wissensaustausch und gemeinsamen Strategien beitragen. Die Europäische Kommission wird ersucht, die Möglichkeiten zur Einrichtung einer solchen Stelle zu prüfen, die ferner damit beauftragt werden sollte, die Situation der Obdachlosen in den Mitgliedstaaten zu untersuchen. Aufgabe des Zentrums sollte es sein, unter anderem durch den Austausch bewährter Praktiken die Reformen in den Mitgliedstaaten zu koordinieren und zu unterstützen. Nicht zuletzt können die Anstrengungen auf Gemeinschaftsebene einen bedeutenden Mehrwert erhalten, wenn die offene Koordinierungsmethode für sozialen Schutz und soziale Integration gewählt wird.

46.

Der Ausschuss stellt fest, dass die Obdachlosigkeit unter Frauen ständig zunimmt. Nach seinem Dafürhalten muss der besonderen prekären Situation obdachloser Frauen in sozioökonomischer und arbeitsbezogener Hinsicht und im Hinblick auf die beim Zugang zu Dienstleistungen fortbestehenden Schwierigkeiten Rechnung getragen werden. Dies erfordert eine spezifische Herangehensweise seitens der Mitgliedstaaten.

Brüssel, den 6. Oktober 2010

Die Präsidentin des Ausschusses der Regionen

Mercedes BRESSO