20.10.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

CE 308/86


Donnerstag, 9. September 2010
Menschenrechte in Syrien, insbesondere der Fall Haythan Al-Maleh

P7_TA(2010)0316

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. September 2010 zu den Menschenrechten in Syrien, insbesondere dem Fall Haythan Al-Maleh

2011/C 308 E/16

Das Europäische Parlament,

unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Syrien, insbesondere vom 8. September 2005 zur Lage der politischen Gefangenen in Syrien (1), vom 15. Juni 2006 zu den Menschenrechten in Syrien (2), vom 24. Mai 2007 zu den Menschenrechten in Syrien (3) und vom 17. September 2009 zum Thema „Syrien: der Fall Muhannad Al-Hassani“ (4),

unter Hinweis auf seinen Bericht mit der Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zu dem Abschluss eines Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Arabischen Republik Syrien andererseits, der am 10. Oktober 2006 angenommen wurde,

unter Hinweis auf seinen Bericht über Maßnahmen der EU zugunsten von Menschenrechtsverteidigern, der am 17. Juni 2010 angenommen wurde,

unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948,

unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) von 1966, zu dessen Vertragsparteien Syrien gehört,

unter Hinweis auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1975 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, das am 18. September 2004 von Syrien ratifiziert wurde,

unter Hinweis auf die Erklärung der Vereinten Nationen zu Menschenrechtsverteidigern aus dem Jahre 1998,

in Kenntnis der EU-Leitlinien betreffend den Schutz von Menschenrechtsverteidigern,

unter Hinweis auf die anlässlich des Pariser Mittelmeergipfels abgegebene Gemeinsame Erklärung vom 13. Juli 2008,

unter Hinweis auf die Erklärung der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, zu Menschenrechtsfällen in Syrien vom 27. Juli 2010,

gestützt auf Artikel 122 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,

A.

in Erwägung der Bedeutung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Syrien,

B.

in der Erwägung, dass Haythan Al-Maleh, ein 80-jähriger syrischer Menschenrechtsanwalt, am 14. Oktober 2009 von Geheimdienstbeamten verhaftet, bis zu seiner Vernehmung durch den Militärstaatsanwalt am 20. Oktober 2009 in Isolationshaft gehalten und am 4. Juli 2010 vom Zweiten Militärgerichtshof in Damaskus nach Artikel 285 und 286 des syrischen Strafgesetzbuchs wegen „Verbreitung falscher und übertriebener Informationen, die das Nationalgefühl schwächen“ zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, und zwar trotz der Tatsache, dass Militärgerichte nicht für Prozesse gegen Zivilisten zuständig sein sollten,

C.

in der Erwägung, dass laut Berichten von Prozessbeobachtungsmissionen, die von internationalen Organisationen der Zivilgesellschaft organisiert wurden, das Verfahren gegen Haythan Al-Maleh nicht den internationalen Normen für Fairness entsprochen habe und dass u. a. die Unschuldsvermutung und das Recht auf Verteidigung nicht beachtet worden seien,

D.

in der Erwägung, dass Haythan Al-Maleh, der an Arthritis, Diabetes und Schilddrüsenproblemen leidet, kein regelmäßiger Zugang zu medizinischer Versorgung gewährt wird, sowie in der Erwägung, dass sich sein gesundheitlicher Zustand im Sommer 2010 ernsthaft verschlechtert hat,

E.

in der Erwägung, dass weitere bekannte syrische Menschenrechtsverteidiger, einschließlich Muhannad Al-Hassani und Ali Al-Abdullah, nach wie vor in Syrien inhaftiert sind,

F.

in der Erwägung, dass die strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung von Haythan Al-Maleh aufgrund von Vorwürfen im Zusammenhang mit dessen öffentlichen Äußerungen zum Rechts- und politischen System in Syrien sowie von Muhannad Al-Hassani aufgrund von Vorwürfen im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt, einschließlich seiner Beobachtung öffentlicher Gerichtsverhandlungen und diesbezüglichen Berichterstattung, eine Art von Bestrafung für die Ausübung ihres legitimen Rechts auf freie Meinungsäußerung nach dem IPBPR, dessen Vertragspartei Syrien ist, darstellt,

G.

in der Erwägung, dass die syrischen Staatsorgane regelmäßig Schikanen, die Einschränkung der Freizügigkeit sowie willkürliche Verhaftungen gegenüber Menschenrechtsverteidigern im Lande praktizieren, sowie in der Erwägung, dass diese Praktiken im Widerspruch zu der wichtigen Rolle Syriens in der Region stehen,

H.

in der Erwägung, dass der nach wie vor in Kraft befindliche Ausnahmezustand die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit durch die Bürger wirksam einschränkt,

I.

in der Erwägung, dass das Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Arabischen Republik Syrien andererseits noch unterzeichnet werden muss, in der Erwägung, dass die Unterzeichnung dieses Abkommens auf Antrag Syriens seit Oktober 2009 verschoben ist, sowie in der Erwägung, dass die Achtung der Menschenrechte einen wesentlichen Teil dieses Abkommens ausmacht,

J.

in der Erwägung, dass die Partnerschaft der an der Union für den Mittelmeerraum beteiligten Staaten auf der zu den internationalen Menschenrechtsnormen gehörenden Verpflichtung beruht, die Grundsätze der Demokratie, die Menschenrechte und die Grundfreiheiten umfassend zu beachten,

1.

bringt seine tiefste Besorgnis angesichts der Lage von Haythan Al-Maleh zum Ausdruck und fordert die syrischen Staatsorgane auf, Haythan Al-Maleh unverzüglich und ohne Bedingungen freizulassen sowie unter allen Umständen dessen körperliches und psychologisches Wohlergehen zu gewährleisten;

2.

fordert die syrische Regierung auf, alle Fälle von Gefangenen aus Gewissensgründen im Einklang mit der Verfassung und den internationalen Verpflichtungen des Landes erneut zu prüfen und alle Gefangenen aus Gewissensgründen, einschließlich Muhannad Al-Hassani, Ali Al-Abdullah, Anwar Al-Bunni und Kamal Labwani, unverzüglich freizulassen;

3.

fordert die syrischen Staatsorgane auf, die Verfolgung und Schikanierung von Menschenrechtsaktivisten und deren Familien zu beenden sowie dafür Sorge zu tragen, dass Menschenrechtsverteidiger ihren Tätigkeiten ohne Behinderung oder Einschüchterung nachgehen können;

4.

fordert die syrischen Staatsorgane auf, sich an internationale Menschenrechtsnormen und internationale Verpflichtungen zu halten, die das Land aus freien Stücken eingegangen ist und die das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung sowie das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren garantieren, und zu gewährleisten, dass Inhaftierte korrekt behandelt werden und keiner Folter oder anderen Misshandlung ausgesetzt sind und dass ihnen sofortiger, regelmäßiger und uneingeschränkter Zugang zu ihren Familien, Rechtsanwälten und Ärzten gewährt wird;

5.

fordert die syrischen Staatsorgane auf, eine transparente Funktionsweise des Justizsystems zu gewährleisten und dabei besonderes Augenmerk auf das Oberste Staatssicherheitsgericht zu legen;

6.

fordert erneut die Aufhebung des Ausnahmezustands in Syrien, der vor über 40 Jahren verhängt wurde;

7.

betrachtet die Aussicht auf Unterzeichnung des Assoziationsabkommens als wichtige Möglichkeit, das Problem der fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen anzugehen und den Reformprozess in Syrien zu stärken; fordert den Rat und die Kommission auf, diesen entscheidenden Hebel umfassend einzusetzen, indem ein bilateraler Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie angenommen wird, der eindeutige Angaben zu den konkreten Verbesserungen enthält, die von den syrischen Staatsorganen im Bereich der Menschenrechte erwartet werden;

8.

betont, dass im Einklang mit Artikel 218 AEUV das Europäische Parlament in allen Phasen der Aushandlung internationaler Übereinkünfte umfassend informiert werden sollte; fordert daher die Kommission auf, dem Europäischen Parlament über den Stand der Gespräche mit der syrischen Regierung im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Assoziationsabkommens Bericht zu erstatten;

9.

begrüßt den fortgesetzten Dialog zwischen der Europäischen Union und Syrien und hofft, dass sich die fortdauernden Bemühungen nicht nur positiv auf die wirtschaftliche und soziale Lage in Syrien auswirken – was bereits der Fall ist –, sondern auch auf die politische und die Menschenrechtslage;

10.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Regierung und dem Parlament der Arabischen Republik Syrien zu übermitteln.


(1)  ABl. C 193 E vom 17.8.2006, S. 349.

(2)  ABl. C 300 E vom 9.12.2006, S. 519.

(3)  ABl. C 102 E vom 24.4.2008, S. 485.

(4)  ABl. C 224 E vom 19.8.2010, S. 32.