15.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 48/45


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Kreativität und Unternehmergeist als Ausweg aus der Krise“ (Initiativstellungnahme)

2011/C 48/09

Berichterstatterin: Madi SHARMA

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 18. Februar 2010 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Kreativität und Unternehmergeist als Ausweg aus der Krise“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 1. September 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 465. Plenartagung am 15./16. September 2010 (Sitzung vom 15. September) mit 109 gegen 2 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Vorwort – „Die Brücke“

Um die Krise zu überwinden und die mit Arbeitslosigkeit, Armut, Ungleichheit, Globalisierung und dem Klimawandel verbundenen Herausforderungen zu bewältigen, muss es Europa gelingen, dass sich seine Bürgerinnen und Bürger für andere Gedanken öffnen.

1.1   In dieser Stellungnahme werden Überlegungen zu dem zusätzlichen Nutzen angestellt, den Kreativität und Unternehmergeist als ein Ausweg aus der Krise erbringen, wobei der Schwerpunkt auf Investitionen in Humankapital durch Stärkung und Förderung des Vertrauens in die eigene Kraft gelegt wird.

1.2   In Europa wird Unternehmergeist in der Regel mit Unternehmensneugründungen, KMU sowie dem privatwirtschaftlichen und sozialwirtschaftlichen Sektor verbunden. „Unternehmerische Kompetenz ist die Fähigkeit des Einzelnen, Ideen in die Tat umzusetzen“, weshalb ihr Wert für die Gesellschaft, insbesondere in Krisenzeiten, nicht unterschätzt oder gar verworfen werden darf, denn sie

beinhaltet Kreativität, Innovation und Risikobereitschaft sowie

die Fähigkeit, Projekte zu planen und durchzuführen, um bestimmte Ziele zu erreichen,

hilft dem Einzelnen in seinem täglichen Leben zu Hause und in der Gesellschaft,

ermöglicht Arbeitnehmern, ihr Arbeitsumfeld bewusst wahrzunehmen,

beruht auf der Fähigkeit, Chancen zu ergreifen,

ist die Grundlage für die besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse, die Unternehmer benötigen, um eine gesellschaftliche oder gewerbliche Tätigkeit zu begründen (1).

2.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

2.1   Mit dieser Stellungnahme sollen Möglichkeiten der Bewertung und Freisetzung des Potenzials der Bürgerinnen und Bürger der EU ermittelt werden. Ihr liegt ein umfassender Ansatz zugrunde, um Chancen für eine größere Zahl von Bürgern - unabhängig von Alter, Geschlecht, Rasse, Fähigkeiten oder sozialen Verhältnissen - zu schaffen. Davon ausgehend muss mit speziellen regionalen, nationalen und europäischen Programmen zur Förderung von Kreativität und Unternehmergeist für die benachteiligten Bevölkerungsgruppen gesorgt werden, um so Ungleichheiten in der Gesellschaft entgegen zu treten.

2.2   Sie behandelt folgende Fragen:

Wie kann die Vielfalt Europas erhalten, aber in eine gemeinsame Identität übergeleitet werden?

Wie kann Europa GÜNSTIGE VORAUSSETZUNGEN schaffen und seine Bürgerinnen und Bürger zum Handeln befähigen?

Wie kann ein stolzes, anspruchsvolles und wertebewusstes Europa geschaffen werden, dessen Bürger als Botschafter fungieren und ihre Erfolge hochhalten?

2.3   Nach der Finanzkrise erkennt der EWSA, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen gefördert und gesunde und nachhaltige Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten geschaffen werden müssen. Qualitativ hochwertige Arbeit erfordert hohe unternehmerische Kompetenz sowie Investitionen in den öffentlichen und privaten Sektor, um international wettbewerbsfähig zu sein. Unternehmergeist ist ein Instrument zur Bewältigung dieser Herausforderung und Grundlage für realistische Hoffnungen auf den Erfolg aller Teile der Gesellschaft, und er trägt dazu bei, dass Europa eine dynamischere Identität findet.

2.4   In der EU-2020-Strategie sind thematische und zielgerichtete Leitinitiativen vorgesehen, mit denen die folgenden Prioritäten vorangebracht werden sollen:

Wertschöpfung durch wissensbasiertes Wachstum;

Befähigung zur aktiven Teilhabe an integrativen Gesellschaften. Die Aneignung neuer Fähigkeiten, die Förderung von Kreativität und Innovation, die Entwicklung von Unternehmergeist und ein reibungsloser Übergang zwischen Beschäftigungsverhältnissen sind entscheidend in Zeiten, da höhere Anpassungsfähigkeit mit mehr Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt belohnt wird;

Schaffung einer wettbewerbsfähigen, vernetzten und ökologischeren Wirtschaft.

2.5   Die Krise ermöglicht neue Modelle für Entwicklung, Wachstum und Regierungshandeln. Bessere und einheitliche Rahmenbedingungen sind für den Wandel von zentraler Bedeutung, und dies eröffnet den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft die Möglichkeit, mit praktischen und greifbaren Mechanismen beizutragen.

2.6   Das europäische Humankapital könnte durch die Schaffung eines FÖRDERNDEN Umfelds rasch voll zum Tragen kommen, wenn die folgenden einfachen und durchführbaren Empfehlungen IN DIE TAT UMGESETZT werden.

10 wesentliche Erfolgsbausteine hin zu einem Wandel

1.

LEITBILD: eine einheitliche Zielvorstellung für Europa;

2.

BILDUNG: Förderung des Initiativgeists;

3.

MOBILITÄT: Schaffung von Möglichkeiten für organisierte Mobilität zu Lernzwecken;

4.

RISIKOBEWUSSTSEIN: den Europäern ihre Risikoaversion nehmen;

5.

STIMULIERUNG: Förderung des unternehmerischen Geistes;

6.

RECHENSCHAFTSPFLICHT: zu europäischen Projekten;

7.

GEMEINSCHAFTSSINN: Förderung der aktiven Bürgerschaft;

8.

UMSETZUNG: von Maßnahmen für Unternehmer und KMU;

9.

KONSULTATION: Schaffung einer Plattform für die Anhörung der Interessenträger;

10.

FÖRDERUNG: einer neuen Kultur in den Medien und mithilfe von Botschaftern.

2.7   Diese Empfehlungen dürfen nicht die Aufgabe eines einzelnen Akteurs bleiben, sondern müssen in der Verantwortung aller liegen. In einer durch rasanten Wandel und Komplexität gekennzeichneten Welt benötigt der Einzelne neue Fähigkeiten und Fertigkeiten, um nicht aufs Abstellgleis zu geraten. Sozialer Dialog kann einen Wandel bewirken, um die Ziele der EU-2020-Strategie zu erreichen und ein nachhaltiges Unternehmertum zu entwickeln. In ganz Europa muss eine Tradition begründet werden, die den Weg für die unternehmerische Initiative von Einzelpersonen und Organisationen ebnet.

2.8   Der europäische Mehrwert von Investitionen in unternehmerischen Geist:

 

Gebe ich dir 1 Euro und gibst du mir 1 Euro, so haben wir jeder nur einen 1 Euro.

 

Gebe ich dir aber 1 Idee und gibst du mir 1 Idee, so haben wir bereits 2 Ideen.

Unternehmergeist in Europa = 500 Millionen Menschen + 500 Millionen Ideen + 500-millionenfaches Handeln.

Wie viele dieser Ideen könnten uns aus der Krise herausführen?

3.   Europa heute

3.1   Europa geriet 2008 in den Strudel einer Finanzkrise, die von den USA ausging, aber wirtschaftlich und sozial gravierende Folgen für die Gesellschaft hatte. Die Ursachen der Krise sind gut dokumentiert, zumal Europa mittel- bis langfristig zu den am stärksten betroffenen Regionen gehört.

3.2   2010 werden in der EU über 20 Millionen Arbeitslose gezählt. Die Mehrheit dieses ungenutzten Humankapitals sind junge Menschen, Frauen, ältere Arbeitskräfte, Migranten und weitere, besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen. Weder der öffentliche Sektor mit seinen riesigen Haushaltsdefiziten noch die mit den Herausforderungen der Krise und der Globalisierung konfrontierten großen Unternehmen werden kurzfristig in der Lage sein, allein so viele Arbeitsplätze zu schaffen. Der Mythos einer Rückkehr zu einem starken Wachstum in der EU wird schon bald unrealistisch werden, wenn es nicht zu einem strukturellen Wandel kommt, da Arbeitslosigkeit hauptsächlich ein strukturelles Problem und weniger ein Problem des wirtschaftlichen Konjunkturzyklus ist.

3.3   Die EU muss sich auf die Wirtschaft, ein nachhaltiges Unternehmertum sowie die Beschäftigungs- und Sozialpolitik konzentrieren, die Globalisierung wird aber nicht den Schongang einlegen, bis Europa den Rückstand wettgemacht hat, auch wenn es viel zur Entwicklung anderer beitragen kann. Aus der europäischen Dimension erwächst die Möglichkeit für einen Austausch von Erfahrungen und durch sie wird eine bessere europäische Identität - inner- und außerhalb Europas - geschaffen.

3.4   Heute besteht die Europäische Union aus 27 kenntnisreichen, vereinten und leistungsfähigen Mitgliedstaaten, der sich benachbarte Länder nur zu gern anschließen würden. Europa hat viele Stärken - Frieden, Stabilität, Vielfalt, Rechtssysteme, geordnete Verhältnisse und Solidarität. Europa hält seine gesellschaftlichen Werte hoch und respektiert seine Regionen. Wirtschaftlich betrachtet verfügt Europa über einen Markt von 500 Mio. Menschen und Unternehmen mit viel Wachstumspotenzial.

3.5   Jetzt ist die Zeit dafür gekommen, dass Europa seine kollektiven Stärken voll ausspielt.

4.   Unternehmergeist: eine Stärke Europas und EIN Ausweg aus der Krise

4.1   Beim Unternehmergeist geht es um Wertschöpfung, die Europa aus der Krise bringt. Im Vertrag von Lissabon werden Unternehmergeist und die Vielfältigkeit von Wirtschaftsakteuren anerkannt, und jetzt müssen neue Wege nachhaltigen Unternehmertums als wichtige Triebkräfte für Wachstum und für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit gefunden werden.

4.2   Dazu gehört es, neue Ideen zu suchen und den entsprechenden Schwung zu erlangen, der die Grundlage für Vertrauen, Glaubwürdigkeit und anhaltendes Wachstum für die Zukunft bildet. Mit dem geschaffenen Wohlstand werden Investitionen in die Bildung, in Arbeitsplätze, Qualifikationen, Produktivität, in die Gesundheit und in soziale Verhältnisse unterstützt, bei denen Unternehmergeist, Kreativität und Innovation grundlegende Instrumente für das Vorankommen der Gesellschaft sind.

4.3   Durch zahlreiche theoretische und empirische Erfahrungen von Forschern sowie Erfahrungen aus der Wirtschaftspraxis wurde ein deutlicher Zusammenhang zwischen Unternehmergeist und Wachstum festgestellt (2). Wirtschaftsverbände, Gewerkschaftsverbände, internationale Entwicklungsorganisationen, die Weltbank, ILO, OECD und Nichtregierungsorganisationen unterstützen die Förderung von Unternehmergeist als wichtiges Instrument für Wachstum, Entwicklung, Bekämpfung der Armut und soziale Teilhabe. In zahlreichen Stellungnahmen des EWSA werden Empfehlungen abgegeben, in denen dem Unternehmergeist in der Gesellschaft ein hoher Stellenwert eingeräumt wird und viele Mitgliedstaaten verfügen über bewährte Verfahren auf diesem Gebiet.

4.4   Unternehmergeist wird weltweit als Triebkraft für Innovationen, Investitionen und Wandel anerkannt und muss somit eine unerlässliche Rolle bei der Überwindung der derzeitigen wirtschaftlichen Lage spielen, die von hoher Unsicherheit geprägt ist. In diesem Zusammenhang ist die Anerkennung von durch Unternehmergeist erworbenen Fähigkeiten und Kompetenzen ein Mittel, um Probleme zu lösen und auf neuen Ideen aufzubauen.

4.5   In der EU ging die wirtschaftliche Entwicklung immer mit einem deutlichen Bekenntnis zur sozialen Dimension einher, und dies muss auch durch Einbeziehung unternehmerischer Aktivitäten in unser tägliches Leben fortgesetzt werden. Außerhalb der Wirtschaft zeigt sich dies u.a. wie folgt:

Soziale Teilhabe und Armutsbekämpfung werden durch unternehmerische Initiative unterstützt, „denn die Gesellschaft steht im Mittelpunkt der Analyse jeglicher Innovation“ (3), weil sie ihre Vorstellungen, Verfahrensweisen und Institutionen verändert.

Beim Umweltschutz sind nachhaltige Energiequellen und die Anpassung an den Klimawandel gefragt, was neue Arbeitsweisen und eine umweltfreundlichere Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie die Entstehung neuer „grüner“ Arbeitsplätze und sauberer Technologien nach sich ziehen wird.

Tourismus, Neuorientierung und Abwanderung, einschließlich der Neubelebung ländlicher und benachteiligter Gebiete verlangen unternehmerische Aktivitäten zur Schaffung von Arbeitsplätzen sowie Veränderungen der Infrastruktur, namentlich in Bereichen wie Stadtsanierung, Land- und Forstwirtschaft sowie Inseltourismus (4) und Ferien auf dem Bauernhof.

Im Bildungswesen dient Kreativität der Identifizierung der maßgeblichen Triebkräfte, die ein Streben nach Wissen bewirken, damit sich Menschen aller Bildungsstufen und unabhängig vom Alter mit dem Lernen befassen.

Im Gesundheitswesen werden neue Arbeitsweisen und Technologien eingesetzt, um ein optimales Umfeld für die medizinische Betreuung, die Forschung und Bereitstellung von Arzneimitteln und Therapien zu schaffen.

Aufgrund demografischer Prognosen werden soziale Anpassungsmaßnahmen erforderlich sowie neuartige und kreative Lösungen in den Bereichen Infrastruktur und Dienstleistungen, Erwerbstätigkeit, Familie und soziale Sicherung.

Die Tätigkeitsbereiche von Nichtregierungsorganisationen, die lebensnahe Projekte und Bildungsangebote umfassen, sind effektiv und wegweisend, da sie in zahlreichen Bereichen neue Lösungen für die Bewältigung gesellschaftlicher Probleme erfordern.

Die Kapazitäten des öffentlichen Sektors erfordern Lösungen, um das Niveau mit begrenzten Mitteln zu halten und noch zu erhöhen.

4.6   In allen Menschen schlummern Begabungen, Kreativität und Unternehmergeist, die in einem Umfeld verstärkt werden, das solche Aktivitäten begünstigt. Dass der Einzelne im Mittelpunkt steht und dabei die Vielfalt gewahrt wird, ist von wesentlicher Bedeutung, denn Ausgrenzung setzt eine fatale Abwärtsspirale in Gang, bei der sich die Chancenungleichheit immer weiter verschärft: Je geringer die Entfaltungsmöglichkeiten, desto geringer der Anreiz, sich weiterzuentwickeln (5). Besonders in Europa eröffnen sich heute neue Lösungsansätze, damit es nicht mehr so viele unqualifizierte und arbeitslose Menschen gibt. Ein Ansatz der Vielfalt kann darüber hinaus zur Schaffung von Möglichkeiten für eine größere Zahl von Bürgerinnen und Bürgern - unabhängig von Alter, Geschlecht, Rasse, Fähigkeiten oder sozialen Verhältnissen - beitragen.

4.7   In jeder Lebensdimension sorgen eine Reihe kollektiver Faktoren für ein Umfeld, in dem sich Erfolge einstellen, auch beim Bewältigen einer Krise:

ein klares LEITBILD mit einer realisierbaren MISSION und erreichbaren ZIELSETZUNGEN;

ein PROJEKT mit EINHEITLICHER ZWECKBESTIMMUNG/IDENTITÄT;

ein KRISTALLISATIONSPUNKT und VERTRAUEN IN DIE EIGENE KRAFT;

eine FÜHRERSCHAFT, die Individualität ebenso fördert wie starke gemeinsame WERTVORSTELLUNGEN.

5.   10 ERFOLGSBAUSTEINE - Selbstvertrauen zur Schaffung eines fördernden Umfelds ist gefragt

Wachstum entsteht nicht in einem Vakuum; es setzt gleichgesinnte Bürger, Netze und Interessenträger voraus. Letztlich werden Traditionen in der Gesellschaft, am Arbeitsplatz und zu Hause den Unternehmergeist von Einzelpersonen und Organisationen begünstigen, was auch die Förderung des Beschäftigungsaufbaus durch kleine Unternehmen und ein größeres Angebot an Fachkräften einschließt. Interessenträger - Arbeitgeber, Gewerkschaften, NRO, der öffentliche Sektor und Entscheidungsträger müssen sich zusammenschließen, um einen kulturellen Wandel zu thematisieren und eine „unternehmerische Kultur“ zum Nutzen ALLER zu ermöglichen und so nicht nur einen Ausweg aus der Krise zu fördern, sondern auch die langfristigen Herausforderungen unseres Planeten zu bewältigen.

5.1   Eine klare und einheitliche Zielvorstellung für Europa  (6) muss mit einer Strategie und konkreten Zielsetzungen vermittelt werden. Hierzu gehören politische Führungskraft, verbunden mit Rechenschaftspflicht, Verantwortung und Realitätssinn. Das Binnenmarktprojekt wird wirtschaftlichen Wohlstand für alle, aber auch mehr Mobilität, neue Qualifikationen, geschäftliche Perspektiven und ein größeres Angebot bringen, und es ist erneut mit Leben zu erfüllen und zu vollenden. Unternehmergeist für alle muss jeden Bereich der Politik durchdringen.

5.2   Die Erziehung zu unternehmerischem Denken und Handeln in ganz Europa quer durch den Lehrplan und als Bestandteil des lebenslangen Lernens erfordert nach wie vor ein echtes Engagement seitens der Verantwortlichen. Die Förderung des Initiativgeistes muss einen hohen Stellenwert erhalten; ebenso müssen Kreativität und unternehmerische Initiative gewürdigt und nicht mit Geschäftemacherei oder Gewinnstreben gleichgesetzt werden. Kreativität entfaltet sich durch den Wissenserwerb in formalen und informellen Systemen. Erzieher und Lehrkräfte müssen voll und ganz einbezogen werden, um die richtige Kommunikation sicherzustellen. Lehrer lehnen möglicherweise eine enge Definition von Unternehmertum im Sinne von Unternehmensneugründung ab und begrüßen eher den breiteren Ansatz als Schlüsselkompetenz für das Leben. Durch „kontinuierliche Heranführung an den Unternehmergeist über alle Stufen des Bildungssystems“ zur Entwicklung von Aktivitäten und des Lehrprozesses kann „Unternehmergeist in den Klassenraum“ gebracht werden (7).

5.2.1   Die Lehrkräfte benötigen zukunftsweisende Arbeitsmethoden, experimentelles Lernen und Mechanismen, um die Lernenden mit modernen Fähigkeiten und Technologien vertraut zu machen. Sie müssen ihre Rolle als Wegbereiter berücksichtigen, die den Lernenden helfen, unabhängiger zu werden und die Initiative beim Lernen zu ergreifen. Eine effiziente Lehrerbildung, Austausch bewährter Verfahren und Netze (8) sowie Methodologien und Instrumente können die Lehrkräfte dabei unterstützen, sich an alle Lernmethoden anzupassen. Zur Förderung des Wissenstransfers könnten Partnerschaften mit Arbeitgebern, Gewerkschaften und NRO in Erwägung gezogen werden.

5.3   Die Schaffung von Möglichkeiten für organisierte Mobilität zu Lernzwecken muss für Europäer zur Selbstverständlichkeit werden. Der Zugang zu Bildungsmöglichkeiten ist ein bestimmender Faktor für sozialen Zusammenhalt, politische Teilhabe und staatsbürgerliches Engagement (9). Der EWSA könnte als ehrgeizige Initiative ein EU-Bildungsprogramm für das 21. Jahrhundert einleiten und mit den Interessenträgern erörtern, das dann später den EU-Verantwortlichen vorgelegt wird.

5.3.1   Dem Wissensdreieck (Bildung, Forschung, Innovation) kommt bei der Förderung von Wachstum und Beschäftigung eine entscheidende Bedeutung zu. Erasmus, Leonardo, Socrates und weitere Programme müssen allen offenstehen, leichter zugänglich sein, weniger Verwaltungsaufwand verursachen und die richtigen Anreize für die Teilnahme setzen. Der EWSA empfiehlt die Einführung eines Europasses, in dem alle in Europa absolvierten Bildungsmaßnahmen verzeichnet sind.

5.4   Das Führen der Europäer zu größerer Risikobereitschaft und zum Vertrauen in die eigene Kraft verbunden mit einer Kultur des „kalkulierten“ Risikos sollte im Mittelpunkt stehen, um eine leistungsfähige Gesellschaft zu entwickeln. Die Vorteile von Kreativität und Innovationen für die Gesellschaft und ihre Anerkennung durch die Gesellschaft sollte durch bewusste Anstrengungen dahingehend gefördert werden, dass die in Europa vorherrschende negative Kultur des Scheiterns überwunden wird.

5.4.1   Es müssen neuartige Mechanismen für die Erschließung von Finanzmitteln ins Auge gefasst werden. Dazu könnten die Bereitstellung von Kleinstkrediten (PROGRESS, ESF, JASMINE, JEREMIE und CIP) sowie Kleinstdarlehen für Kreditgenossenschaften und Gemeinschaftsprojekte gehören (10). Diese Instrumente können nicht nur zur Unterstützung von Unternehmern eingesetzt werden, sondern auch für nachhaltige bürger- und entwicklungsorientierte Initiativen, besonders von NRO.

5.4.2   Bestehende Instrumente zur Förderung von Innovationen müssen an den Wandel angepasst werden (dienstleistungs- und nutzerorientierte Innovationen). Bewältigung und Reduktion von Komplexität und Erhöhung der Flexibilität von Systemen, Erleichterung der Zusammenarbeit und rascherer Zugang zu Finanzmitteln - so kann die Umsetzung von Wissen in marktfähige Produkte beschleunigt werden.

5.5   Förderung von Großunternehmen als Nährboden und zur Stimulierung des Unternehmergeists. Es kommt darauf an, den Sachverstand und die Begabungen aller Arbeitnehmer zu würdigen, denn sie verfügen über zahlreiche praktische und intellektuelle Fähigkeiten. Das Ermitteln von Kompetenzen und weichen Fähigkeiten sollte durch die Entwicklung neuer Mittel für eine bessere Anerkennung dieser Fähigkeiten gefördert werden.

5.5.1   Die Bereitstellung von Praktikumsplätzen und Lehrstellen für Lernende und Arbeitslose sollte besser gefördert und angeregt werden.

5.5.2   Die Entwicklung eines unternehmerischen Rahmens für Ausgründungen, bei dem das Großunternehmen die Innovatoren unterstützt und betreut und ihnen Marktchancen eröffnet, könnte dazu dienen, angemeldete, aber noch schlummernde Patente auf den Markt zu bringen. Bei der Entwicklung der Arbeitsbeziehungen und der Förderung eines optimalen Arbeitsumfelds müssen Maßnahmen zur Unterstützung von Ausschüssen für den sozialen Dialog und der Sozialpartner in Betracht gezogen werden, damit diese Folgenabschätzungen erstellen bzw. entsprechende Beiträge mit Blick auf die EU-Beschäftigungsstrategie und die EU-2020-Strategie leisten.

5.6   Eine Bewertung der langfristigen Ziele europäischer Projekte ist erforderlich, um die Investitionen zu rechtfertigen. Hierzu sollten Überlegungen hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Projekts, der Verwertung erfolgreicher Ergebnisse und der Ergebnisse zum Nutzen der Gesellschaft als Grundlage gehören.

5.6.1   Hier könnten generationen- und branchenübergreifende Projekte entwickelt werden, wozu auch Cluster gehören, um Erfahrungen und innovative Ideen zusammenzuführen und neue Kenntnisse, handwerkliche Fertigkeiten, Fachwissen und Netze mithilfe von Mentoren- bzw. Tutorenverhältnissen zu teilen. Durch die Förderung nachhaltiger Wirtschaftsprojekte umweltbewusster Unternehmer, die sich der Herausforderungen des Klimawandels und der Knappheit von Energie und fossilen Rohstoffen bewusst sind, wird der Umweltschutz hervorgehoben.

5.7   Förderung von Gemeinschaftsinitiativen und einer aktiven Bürgerschaft zur Unterstützung europäisch ausgerichteter Projekte zum Wohle der Gemeinschaft und/oder von der Gemeinschaft initiierter Projekte. Hierbei sollten Vielfalt und besonders schutzbedürftige Gruppen berücksichtigt werden, und dies könnte mit einem freiwilligen europäischen Zertifizierungsmechanismus für die soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR) sowie mit Optionen für die Überarbeitung von Gemeinschaftsinitiativen verbunden werden.

5.8   Ein deutliches Bekenntnis zu Maßnahmen zur Unterstützung eines fördernden Umfelds für Unternehmer, die ein Unternehmen gründen wollen, ist unerlässlich. 98 % aller Firmen in der EU sind KMU; der EU-Rahmen mit seinen langjährigen Traditionen der Entwicklung von KMU muss beibehalten und verbessert werden (11).

Der „Small Business Act“ für Europa und der Grundsatz „Vorfahrt für KMU“ erfordern immer noch ein starkes Engagement in vielen Mitgliedstaaten, und hier ist man noch weit entfernt von dem, was in einer Krise nötig wäre. Bessere Zugangs- und Teilnahmemöglichkeiten für KMU bei EU-Projekten und öffentlichen Ausschreibungen müssen geschaffen werden, denn offene Märkte führen zu einem Anstieg der Unternehmensneugründungen. Ein interaktives Umfeld kann durch Nutzung von Gründungszentren, Clustern, Wissenschafts- und Technologieparks und Partnerschaften mit Hochschuleinrichtungen gefördert werden. Dazu könnte auch eine ZENTRALE ANLAUFSTELLE DER EU gehören, bei der Unternehmer aller Branchen Auskünfte erhalten.

Es müssen Überlegungen hinsichtlich der Schaffung eines soziales Sicherungsnetzes für Selbstständige angestellt werden, das die Besonderheiten der Unternehmensführung berücksichtigt, vor allem im Hinblick auf Mutterschaft, Kinderbetreuung und Einstellung der Geschäftstätigkeit.

Die Annahme des EU-Statuts für KMU durch den Rat, um auf diese Weise das Binnenmarktprojekt zu unterstützen und den KMU eine grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit zu erleichtern. Dieses Vorhaben, das auf eine EWSA-Initiative zurückgeht, schafft eine europäische Identität für neue Unternehmer.

Zunehmende Sensibilisierung und Unterstützung für das Programm „Erasmus für junge Unternehmer“  (12). Es müssen Wege gefunden werden, wie eine größere Zahl von Gastunternehmen gewonnen und ihr Beitrag anerkannt werden kann, damit wirklich etwas bewirkt wird. Dazu könnten ein „Europäischer Preis für Unternehmer“, ein EU- Markenzeichen oder die Teilnahme an Maßnahmen mit hoher Öffentlichkeitswirksamkeit gehören. Eine Bescheinigung der Kompetenzen von Unternehmern erfolgt - anders als bei Arbeitnehmern - nur selten, sodass ihr Beitrag zur Gesellschaft keine Anerkennung findet.

5.9   Nutzung des Sachverstands durch Schaffung einer Plattform für die Anhörung der Interessenträger zu Fragen der Verbesserung des Geistes und der Kultur der Innovation und Kreativität in der EU. Die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Interessenträgern könnte abgestimmte und bereichsübergreifende Empfehlungen an die Politik hervorbringen, u.a. zu folgenden Themen: die Vertiefung der Beziehungen zwischen Hochschulen und Industrie, die Innovationstätigkeit unter kommerziellen und nichtkommerziellen Vorzeichen, die Mobilität von Wissenschaftlern, der Einsatz von Strukturfondsmitteln, der globale Erfahrungsaustausch und die Schaffung eines Rahmens zur Behandlung dringender Fragen. Durch Bürgerdialog für eine bessere Förderung von Unternehmergeist auf regionaler Ebene kann ein europäisches Unternehmerprofil gefördert werden, das dem Zeitgeist des 21. Jahrhunderts entspricht.

5.10   Förderung der neuen Kultur über die Medien mit einem Netz von Botschaftern und Vorbildern. Es muss für eine Kultur geworben werden, die unternehmerisches Denken anerkennt und Initiativen für Neugründungen und Wachstumsunternehmen, Sozialunternehmer, Innovationstätigkeit des öffentlichen Sektors, Kreativität am Arbeitsplatz, Nachfolgeplanung und Mitbestimmung fördert. Die neue Kultur des Unternehmergeistes in Europa erfordert Führungsstärke und Engagement, die von Sprechern oder „Botschaftern“ vermittelt werden.

6.   Die Krise ist der Stimulus, der Europa dazu bringt, nicht nur das Potenzial seiner Bürgerinnen und Bürger zu erkennen, sondern auch deren unternehmerischen Geist und unternehmerisches Denken zu fördern.

6.1   Diese Krise wird nicht die einzige sein, mit der Europa konfrontiert werden wird, und um sicherzustellen, dass Europa für künftige Herausforderungen gewappnet ist, muss eine Dynamik erzeugt werden, die durch die 10 Erfolgsbausteine in Verbindung mit den nachstehenden Maßnahmen Veränderungen bewirkt:

Aktionsplan,

Task-Force Europäischer Unternehmergeist,

Plattform der Interessenträger,

Europäischer und G-20-Gipfel zu Unternehmergeist,

Europa erneuern (Europa 2020).

6.1.1   Der EWSA könnte diese Ideen demnächst mit den entsprechenden Interessengruppen weiterentwickeln.

Brüssel, den 15. September 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  KOM(2005) 548. Anhang, Ziffer 7.

(2)  Audretsch, D. B. and R. Thurik (2001), Linking Entrepreneurship to Growth, OECD Science, Technology and Industry Working Papers, 2001/2, OECD Publishing. doi: 10.1787/736170038056.

(3)  EUCIS-LLL in Barcelona 2010.

(4)  Bornholm, Dänemark.

(5)  Hillman 1997.

(6)  Die Bürger müssen in der Lage sein, Folgendes festzustellen:

I.

Das Leitbild für Europa sind weltoffene Vereinigte Staaten von Europa, in der alle Kulturen und Sprachen geachtet werden.

II.

Die besondere Stärke Europas liegt darin, dass es nach jahrhundertelangen Bürgerkriegen und Konflikten ein gemeinsames und friedliches Gemeinwesen geschaffen hat.

III.

Europa steht für ein prosperierendes politisches Gemeinwesen, das ein Höchstmaß an Möglichkeiten bietet, individuelle oder kollektive Träume zu verwirklichen.

IV.

Europäer zu sein bedeutet, gemeinsame Wertvorstellungen zu teilen, zumeist als gute Mischung aus individuellen (leistungsbezogenen) und kollektiven Wertvorstellungen.

V.

Ein europäischer Bürger zu sein bietet den Vorteil, in kultureller, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Hinsicht den gemeinschaftlichen Maßstab anzulegen und die eigenen Fähigkeiten und Qualifikationen für die eigene Zukunft und die anderer weiterzuentwickeln.

(7)  ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 110.

(8)  Bericht „Towards greater cooperation and coherence in entrepreneurship education“ (Für mehr Zusammenarbeit und Kohärenz bei der Vermittlung unternehmerischer Fähigkeiten), Europäische Kommission, März 2010.

(9)  BIG ISSUE, ACAF Spanien.

(10)  Siehe: www.european-microfinance.org - Beispiele für Gemeinschaftsprojekte und soziale Eingliederungsprojekte, die auf unternehmerische Initiative zurückzuführen sind.

(11)  KMU werden oft als die größte Gruppe von Unternehmern angesehen und Empfehlungen zur Unterstützung ihres Wachstums wurden sowohl vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB), der Europäischen Union des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe (UEAPME) sowie in zahlreichen Stellungnahmen des EWSA gegeben.

(12)  Europäische Kommission, GD Unternehmen, Programm „Erasmus für junge Unternehmer“.