52010DC0348

Grünbuch der Kommission - Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen /* KOM/2010/0348 endg. */


[pic] | EUROPÄISCHE KOMMISSION |

Brüssel, den 1.7.2010

KOM(2010)348 endgültig

GRÜNBUCH DER KOMMISSION

Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen

GRÜNBUCH DER KOMMISSION

Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen

1. Zweck des Grünbuchs

Die Wirtschaftsbeziehungen im Binnenmarkt sind das Ergebnis einer Vielzahl vertraglicher Schuldverhältnisse, für die ganz unterschiedliche einzelstaatliche Vertragsrechtssysteme gelten. Doch können die Unterschiede im Vertragsrecht der Mitgliedstaaten zusätzliche Transaktionskosten verursachen, zu Rechtsunsicherheit für Unternehmen führen und das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt schwächen. Unternehmen können sich beispielsweise gezwungen sehen, ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen an die unterschiedlichen Regelungen anzupassen. Hinzu kommt, dass die innerstaatlichen Vorschriften selten in andere europäische Sprachen übersetzt sind, so dass die Wirtschaftsteilnehmer Juristen zu Rate ziehen müssen, die sich im jeweiligen Rechtssystem auskennen.

Dies erklärt, warum sich Verbraucher und Unternehmen, besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit begrenzten Ressourcen, nur ungern auf grenzüberschreitende Geschäfte einlassen, was wiederum den grenzübergreifenden Wettbewerb zum Schaden des Gemeinwohls behindert. Besonders benachteiligt sind Verbraucher und Unternehmen aus kleineren Mitgliedstaaten.

Die Kommission möchte, dass die Bürger die Vorteile des Binnenmarkts voll ausschöpfen. Die EU muss mehr zur Förderung des grenzüberschreitenden Geschäftsverkehrs tun. Dieses Grünbuch, das als Grundlage für eine öffentliche Konsultation dienen soll, soll Wege zur Stärkung des Binnenmarkts durch die Entwicklung eines Europäischen Vertragsrechts aufzeigen. Je nachdem, wie die Konsultation ausfällt, wird die Kommission gegebenenfalls 2012 weitere Vorschläge vorlegen. Jeder Legislativvorschlag wird eine Folgenabschätzung enthalten.

2. Hintergrund

Mit ihrer Mitteilung von 2001 zum Europäischen Vertragsrecht [1] hatte die Europäische Kommission eine umfassende öffentliche Konsultation zu den Problemen in die Wege geleitet, die sich aus den Unterschieden zwischen dem Vertragsrecht der Mitgliedstaaten ergeben, sowie zu möglichen Maßnahmen in diesem Bereich. Auf der Grundlage der Konsultationsergebnisse legte die Kommission 2003 einen Aktionsplan[2] mit Vorschlägen vor, wie sich die Qualität und Kohärenz des Europäischen Vertragsrechts durch die Einführung eines Gemeinsamen Referenzrahmens mit gemeinsamen Grundsätzen, einer gemeinsamen Terminologie und Mustervorschriften, auf die der Gesetzgeber der Union bei der Ausarbeitung oder Änderung von Rechtsvorschriften zurückgreifen sollte, verbessern lassen. Auch wurde vorgeschlagen, den verbrauchervertragsrechtlichen Besitzstand der EU zu überprüfen, Widersprüche zu beseitigen und Regelungslücken zu schließen[3]. Im Anschluss an diese Überprüfung legte die Kommission im Oktober 2008 einen Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher[4] vor, durch die der Binnenmarkt für den Einzelhandel gestärkt werden soll.

Die Kommission stellte über das Sechste Forschungsrahmenprogramm eine Finanzhilfe für den Aufbau eines internationalen akademischen Netzes zur Verfügung, das mit Rechtsrecherchen für den Gemeinsamen Referenzrahmen betraut wurde. Die Arbeiten des Forschungsnetzes wurden von der Kommission aufmerksam verfolgt. Ende 2008 wurden die Recherchen mit der Veröffentlichung des Entwurfs für einen Gemeinsamen Referenzrahmen abgeschlossen[5]. Dieser Entwurf enthält zivilrechtliche (darunter vertrags- und deliktsrechtliche) Grundsätze, Begriffsbestimmungen und Mustervorschriften[6]. Zudem umfasst er Bestimmungen für Handels- wie auch für Verbraucherverträge.

Dem Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen lagen die Ergebnisse verschiedener Projekte zugrunde, die zuvor auf europäischer und internationaler Ebene durchgeführt worden waren. In einem Netz angesehener europäischer Experten aus dem Hochschulbereich[7] wurden die Grundsätze des Europäischen Vertragsrechts ( Principles of European Contract Law - PECL) im Hinblick auf eine Vereinheitlichung des Vertragsrechts im Binnenmarkt entwickelt. Da die vertragsrechtlichen Divergenzen den internationalen Handel behindern, haben verschiedene internationale und regionale Organisationen einheitliche Mustervorschriften ausgearbeitet, um diese Hindernisse zu beseitigen. Die Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht (UNCITRAL) hat einen fast weltweit gültigen Standard für den Warenverkauf von Unternehmen zu Unternehmen – das sogenannte UN-Kaufrecht (Wiener Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf)[8] – eingeführt, der Anwendung findet, wenn die Parteien kein anderes Recht gewählt haben. Das Internationale Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT) hat Grundsätze für internationale Handelsverträge erarbeitet. Es sind Mustervorschriften für den Verkauf von Waren und von Dienstleistungen. Diese Gremien haben Standards eingeführt, die Gesetzgebern in aller Welt[9] und Vertragsparteien von Handelsverträgen als Mustervorschriften dienen. Auch wenn sie nicht die Möglichkeit haben, diese Vorschriften zum geltenden Recht für bestimmte Aspekte ihrer Verträge zu machen, können sie darauf Bezug nehmen, wie es in Artikel 3 in Verbindung mit Erwägungsgrund 13 der Verordnung „Rom I“[10] ausdrücklich heißt. und Vertragsparteien von Handelsverträgen als Mustervorschriften dienen. Sie gelten allerdings nur für Unternehmerverträge bzw. - im Fall des Wiener Übereinkommens - für Warenkaufverträge, und es gibt kein Verfahren, mit dem die einheitliche Auslegung in den Mitgliedstaaten sichergestellt werden kann. Auch ist es mit diesen Instrumenten nicht möglich, die Anwendung zwingender innerstaatlicher Vorschriften einzuschränken.

Ein Instrument des Europäischen Vertragsrechts könnte der EU helfen, ihre wirtschaftlichen Ziele zu erreichen und die Wirtschaftskrise zu bewältigen. Im Stockholmer Programm für 2010-2014[11] heißt es, der europäische Rechtsraum solle dazu beitragen, die Wirtschaftstätigkeit im Binnenmarkt zu unterstützen. In dem Programm wird die Kommission aufgefordert, einen Vorschlag für einen Gemeinsamen Referenzrahmen vorzulegen und sich weiter mit dem Europäischen Vertragsrecht zu befassen. Der Mitteilung der Kommission „Europa 2020“[12] zufolge bedarf es u. a. harmonisierter Regeln für Verbraucherverträge, EU-weiter Mustervertragsklauseln und Fortschritte in Richtung auf ein fakultatives einheitliches Europäisches Vertragsrecht, damit Unternehmen wie Verbraucher leichter und kostengünstiger Verträge mit Geschäftspartnern in anderen EU-Ländern schließen können. Mit der Digitalen Agenda für Europa[13], der ersten Leitinitiative der Strategie Europa 2020, soll durch die Beendigung der rechtlichen Fragmentierung zum nachhaltigen Nutzen von Wirtschaft und Gesellschaft ein digitaler Binnenmarkt geschaffen werden. Vorgeschlagen wird „ein fakultatives Vertragsrechtsinstrument […], um die Fragmentierung des Vertragsrechts insbesondere im Online-Umfeld zu überwinden“.

Die EU könnte hier Lücken im Vertragsrecht schließen und wirksame Instrumente zur Beseitigung von Markthindernissen einführen, die durch divergierende Vertragsrechtssysteme bedingt sind . Ein relativ einfach anzuwendendes europäisches Vertragsrechtsinstrument, das Rechtssicherheit bietet, könnte vor allem internationalen Organisationen, die in der EU ein Vorbild für regionale Integration sehen, als Modell dienen[14] . Die EU könnte also eine Vorreiterrolle spielen, indem sie einheitliche internationale Standards in diesem Bereich einführt, was der europäischen Wirtschaft einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern verschaffen könnte.

Die Kommission hat zu diesem Zweck eine Expertengruppe[15] eingesetzt, die prüfen soll, ob sich ein relativ leicht anzuwendendes Instrument des Europäischen Vertragsrechts, das Rechtssicherheit bietet und Verbrauchern wie auch der Wirtschaft Nutzen bringt, realisieren lässt. Die Gruppe wird die Kommission bei der Auswahl der Teile des Referenzrahmenentwurfs unterstützen, die direkt oder indirekt das Vertragsrecht betreffen. Außerdem leistet sie Hilfe bei der Neugliederung, Änderung und Ergänzung der ausgewählten Bestimmungen. Dabei wird sie auch andere einschlägige Quellen sowie die Beiträge im Rahmen der laufenden Konsultation berücksichtigen. Die Gruppe wird sich einen Überblick über die unterschiedlichen Rechtstraditionen in der EU und die Interessen aller Beteiligten verschaffen. Die Gruppenmitglieder wurden aus den Reihen angesehener Zivilrechtsexperten, insbesondere mit Fachgebiet Vertragsrecht, ausgewählt. Sie sind verpflichtet, unabhängig und im öffentlichen Interesse zu handeln. Die Expertengruppe wird die Ergebnisse der öffentlichen Konsultation zu diesem Grünbuch bei ihrer Tätigkeit berücksichtigen.

3. Herausforderungen für den Binnenmarkt

Verschiedene Faktoren hemmen die Vollendung des Binnenmarktes, der mithin sein Potenzial nicht voll entfalten kann. So behindern rechtliche, sprachliche und sonstige Hürden[16] das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Eine solche Hürde sind die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Vertragsrechtsregelungen, wie die 2001 mit der Mitteilung zum Europäischen Vertragsrecht eingeleitete Konsultation, Eurobarometer-Erhebungen[17] und anderen Studien[18] gezeigt haben.

3.1. Verbraucherverträge

Unterschiede gibt es nicht nur in Bereichen, für die es keine EU-Regelung gibt (z. B. allgemeines Vertragsrecht), sondern auch in solchen, die auf EU-Ebene durch eine Mindestharmonisierung teilweise angeglichen wurden (z. B. Verbraucherschutz). Dies lässt Raum für unterschiedliche nationale Ansätze im Verbraucherschutzrecht.

Für Verbraucherverträge hat die EU einheitliche Kollisionsnormen eingeführt, um den Verbrauchern zu helfen, die Forderungen gegen Unternehmen anderer Mitgliedstaaten, mit denen sie einen Vertrag geschlossen haben, geltend machen wollen. So gilt, wenn keine Rechtswahl getroffen wurde, nach Artikel 6 der Verordnung Rom I bei Verbraucherverträgen das Recht des Landes, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn das Unternehmen seine gewerbliche Tätigkeit dort ausübt oder eine solche Tätigkeit auf dieses Land ausrichtet. Wählen die Vertragsparteien ein anderes Recht als das des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers, darf diesem der durch das Recht seines Aufenthaltsstaats garantierte Schutz nicht verweigert werden[19]. Dank dieser Regelung können Verbraucher darauf vertrauen, dass ihnen die Gerichte bei Rechtsstreitigkeiten mindestens den gleichen Schutz zuerkennen wie in ihrem Aufenthaltsstaat.

Für Unternehmen bedeutet dies, dass für Verträge, die sie bei grenzüberschreitenden Geschäften mit Verbrauchern schließen, die Vorschriften des Aufenthaltstaats dieser Verbraucher gelten, selbst wenn eine Rechtswahl getroffen wurde. Unternehmen, die grenzüberschreitend Geschäfte machen wollen, müssen mit hohen Rechtskosten rechnen, wenn für die Verträge das Verbraucherrecht eines anderen Landes gilt. In extremen Fällen werden Unternehmen davon absehen, ihre Waren oder Dienstleistungen über die Grenzen hinweg anzubieten, was dazu führt, dass potenziellen Kunden dieser Unternehmen nur ihr heimischer Markt bleibt und ihnen die bessere Auswahl und die niedrigeren Preise, die der Binnenmarkt bietet, vorenthalten werden. Dies könnte besonders im elektronischen Geschäftsverkehr relevant sein. Selbst wenn die Verbraucher aller Mitgliedstaaten Zugang zur Website des Anbieters haben, könnte sich dieser wegen der Kosten und Risiken weigern, Verträge mit Kunden aus einem anderen Mitgliedstaat zu schließen. Beispielsweise mussten die Verbraucher in 61 % der Fälle auf eine Bestellung verzichten, weil die Anbieter nicht in das Land des Verbrauchers liefern[20]. Daher wird das Potenzial des grenzüberschreitenden elektronischen Handels nach wie vor nicht ausgeschöpft. Die Leidtragenden sind Verbraucher wie Unternehmen, besonders KMU.

Mit dem Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher[21] sollen einige dieser Probleme behoben werden, indem die geltenden verbrauchervertragsrechtlichen Bestimmungen vereinfacht und konsolidiert werden. Erreicht werden soll dies durch eine einheitliche Regelung für wesentliche, den Binnenmarkt betreffende Aspekte des Vertragsrechts. Doch auch wenn der Richtlinienvorschlag unverändert angenommen werden sollte, würde das Vertragsrecht der Mitgliedstaaten in den nicht harmonisierten Bereichen immer noch Unterschiede aufweisen. Und auch in den harmonisierten Bereichen müssten die Vorschriften in Verbindung mit den innerstaatlichen Bestimmungen des allgemeinen Vertragsrechts angewandt werden[22]. In den zwei Jahren intensiver Verhandlungen im Europäischen Parlament und im Rat wurde deutlich, dass auch der Vereinheitlichungsansatz seine Grenzen hat. Daher werden Unterschiede im Vertragsrecht der Mitgliedstaaten auch nach der Annahme der Richtlinie bestehen bleiben, und Unternehmen, die über die Grenzen hinweg tätig werden wollen, müssen die verschiedenen innerstaatlichen Vorschriften einhalten.

3.2. Unternehmerverträge

In einem Unternehmervertrag bleibt die Wahl des geltenden Vertragsrechts den Vertragsparteien überlassen. Sie können auch andere Instrumente wie das UN-Kaufrecht oder die Grundregeln der internationalen Handelsverträge des Internationalen Instituts für die Vereinheitlichung des Privatrechts UNIDROIT auf ihre Verträge anwenden. Ein gemeinsames Europäisches Vertragsrecht, das in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewandt und ausgelegt wird, steht ihnen jedoch nicht zur Verfügung.

Große Unternehmen mit erheblicher Verhandlungsmacht können sicherstellen, dass ihre Verträge einem bestimmten innerstaatlichen Recht unterliegen. KMU können dies möglicherweise nicht so ohne Weiteres durchsetzen. Das kann eine einheitliche Geschäftspolitik in der EU behindern und Unternehmen davon abhalten, Geschäftsmöglichkeiten im Binnenmarkt zu nutzen. Wenn verschiedene Vertragsrechtssysteme beachtet werden müssen oder erst Informationen über das geltende Recht eines anderen Mitgliedstaats - gegebenenfalls in einer anderen Sprache - eingeholt werden müssen, fallen zudem höhere Rechtskosten an.

Zwar ist bei speziellen Verträgen, die sehr oft grenzüberschreitenden Charakter haben, wie bei Beförderungsverträgen, anzunehmen, dass sich die Unternehmen bereits mit den in diesem Bereich üblichen Bestimmungen vertraut gemacht haben, doch muss das nicht immer so sein. Bei allgemeineren Handelsgeschäften könnten Unternehmen von EU-weit einheitlichen Vertragsrechtsregeln profitieren, die in allen Amtssprachen vorliegen. Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind, könnten sich schnell mit einem solchen System vertraut machen und bei sämtlichen Geschäften mit Unternehmen anderer Mitgliedstaaten darauf zurückgreifen. Auf diese Weise könnten sie ihr Auslandsgeschäft in einem verlässlicheren Rahmen abwickeln. Ein einheitliches Europäisches Vertragsrecht könnte sich bei solchen Geschäften auch als Alternative zum innerstaatlichen Vertragsrecht der Mitgliedstaaten und als neutrales modernes Vertragsrechtsinstrument durchsetzen, das auf bekannten innerstaatlichen Rechtstraditionen aufbaut und einfach anzuwenden ist. Eine solche Möglichkeit könnte vor allem für KMU, die sich erstmals auf neuen Märkten versuchen, interessant sein.

4. Wahl des am besten geeigneten europäischen Vertragsrechtsinstruments

Ein europäisches Vertragsrechtsinstrument soll für das beschriebene Problem der voneinander abweichenden Vertragsrechtssysteme Abhilfe schaffen, ohne weitere Hindernisse oder Komplikationen für Verbraucher oder Unternehmen zu verursachen, und einen optimalen Verbraucherschutz garantieren. Das Instrument sollte umfassend sein und eigenständig gelten: Es sollte möglichst wenig auf einzelstaatliche Vorschriften oder internationale Instrumente Bezug nehmen. Was die Rechtsform, den Gegenstand und Anwendungsbereich des künftigen Instruments anbelangt, wurden verschiedene Optionen vorgeschlagen.

4.1. Welche rechtliche Form sollte ein europäisches Vertragsrechtsinstrument haben?

Für ein europäisches Vertragsrechtsinstrument sind verschiedene Rechtsformen denkbar, angefangen von einem unverbindlichen Instrument, das auf die Verbesserung der Kohärenz und der Qualität der EU-Vorschriften angelegt ist, bis hin zu einem verbindlichen Instrument, das ein einheitliches Vertragsrecht und eine Alternative zu der Vielzahl nationaler Vertragsrechtssysteme bietet. Ein Instrument der EU läge in allen Amtssprachen vor. Davon würden alle Beteiligten profitieren, die Gesetzgeber, die Orientierungshilfe suchen, die Richter, die die Bestimmungen anwenden, und die Parteien, die die Vertragsbedingungen aushandeln.

Option 1: Veröffentlichung der Ergebnisse der Expertengruppe

Das Ergebnis der Arbeiten der Expertengruppe könnte einfach direkt auf der Website der Kommission veröffentlicht werden, ohne dass sich die EU diese Ergebnisse zu eigen macht. Wenn die Expertengruppe ein praktisches und benutzerfreundliches Dokument vorlegt, könnte dieses als Vorbild für Rechtsvorschriften auf europäischer und innerstaatlicher Ebene und als Richtschnur für die Ausarbeitung von Standard-Vertragsbedingungen benutzt werden. Als Kompendium der verschiedenen Vertragsrechtstraditionen der Mitgliedstaaten könnte es zudem für Hochschul- und Berufsausbildungszwecke verwendet werden. Eine extensive Nutzung eines solchen Dokuments könnte langfristig zur Annäherung der einzelstaatlichen Vertragsrechtssysteme führen.

Damit ließen sich allerdings die Hindernisse auf dem Binnenmarkt nicht beseitigen. Unterschiede im Vertragsrecht würden durch ein Dokument, das keinen offiziellen Status hat und für Gerichte und Gesetzgeber unverbindlich ist, nicht spürbar reduziert.

Option 2: Eine offizielle „Toolbox” für die Rechtsetzungsorgane

a) Rechtsakt der Kommission als Bezugsrahmen

Auf der Grundlage der Ergebnisse der Expertengruppe könnte die Kommission ein Instrument (z. B. eine Mitteilung oder einen Beschluss der Kommission) zum Europäischen Vertragsrecht verabschieden, das sie als Bezugsrahmen verwenden könnte, um die Kohärenz und Qualität der Vorschriften sicherzustellen. Die Kommission würde diese „Toolbox“ bei der Ausarbeitung neuer oder bei der Überarbeitung bestehender Rechtsvorschriften heranziehen. Ein solches Instrument wäre unmittelbar nach seiner Annahme durch die Kommission anwendbar und müsste nicht vom Parlament und vom Rat genehmigt werden. Parlament und Rat bräuchten sich jedoch bei Änderungsanträgen nicht an die Empfehlungen zu halten.

b) Interinstitutionelle Vereinbarung über einen Bezugsrahmen

Ein Bezugsrahmen für das Europäische Vertragsrecht könnte auch mit einer interinstitutionellen Vereinbarung zwischen der Kommission, dem Parlament und dem Rat eingeführt werden, in der festgelegt wird, dass diese Organe bei der Ausarbeitung von Legislativvorschlägen im Bereich des Europäischen Vertragsrechts und bei den Verhandlungen über entsprechende Vorschriften darauf Bezug nehmen. Eine interinstitutionelle Vereinbarung würde zwar erst nach Verhandlungen zwischen den drei Rechtsetzungsorganen über einen entsprechenden Vorschlag in Kraft treten können, sie hätte jedoch den Vorteil, dass alle drei Organe an ihrem Zustandekommen beteiligt wären und diese bei der Ausarbeitung und Annahme neuer Legislativmaßnahmen die Empfehlungen berücksichtigen müssten.

Der Nachteil einer Toolbox besteht darin, dass davon nicht unmittelbar ein konkreter Nutzen für den Binnenmarkt zu erwarten wäre, da die rechtlichen Divergenzen nicht beseitigt würden. Darüber hinaus könnte mit einer Toolbox nicht gewährleistet werden, dass das Vertragsrecht der EU von den Gerichten einheitlich angewandt und ausgelegt wird.

Option 3: Kommissionsempfehlung zum Europäischen Vertragsrecht

Ein europäisches Vertragsrechtsinstrument könnte mit einer Empfehlung der Kommission an die Mitgliedstaaten verbunden werden, mit der diese aufgefordert werden, das Instrument in innerstaatliches Recht zu übernehmen. Eine entsprechende Empfehlung würde es den Mitgliedstaaten ermöglichen, das Instrument nach und nach auf freiwilliger Basis in ihr Rechtssystem zu integrieren. Darüber hinaus wäre der Gerichtshof der EU für die Auslegung dieser Empfehlung zuständig.

Dabei sind zwei Möglichkeiten denkbar:

a) Die Empfehlung könnte ein Anreiz für die Mitgliedstaaten sein, ihr innerstaatliches Vertragsrecht durch eine europäische Regelung zu ersetzen. Ein solcher Ansatz wurde in den Vereinigten Staaten mit Erfolg praktiziert, wo ein einheitliches Handelsgesetzbuch, das von Handelsrechtsexperten ausgearbeitet und von neutralen halböffentlichen Organisationen[23] gebilligt wurde, mit einer einzigen Ausnahme von allen 50 Staaten übernommen wurde.

b) Die Empfehlung könnte die Mitgliedstaaten davon überzeugen, das europäische Vertragsrechtsinstrument als fakultative Regelung zu übernehmen, das Vertragsparteien eine Alternative zum innerstaatlichen Recht bietet. In den Mitgliedstaaten, die sich hierfür entscheiden, würden für Verträge das optionale europäische Instrument und alternative Instrumente, wie die UNIDROIT-Grundsätze, zur Wahl stehen.

Eine solche Empfehlung wäre für die Mitgliedstaaten nicht verbindlich und überließe es ihnen, wie und wann sie das Instrument in innerstaatliches Recht umsetzen. Daher besteht bei dieser Lösung das Risiko uneinheitlicher und unzureichender Maßnahmen in den Mitgliedstaaten, die die Empfehlungen unterschiedlich, zu verschiedenen Zeitpunkten oder gar nicht umsetzen.

Option 4: Verordnung zur Einführung eines fakultativen europäischen Vertragsrechtsinstruments

Ein fakultatives Instrument kann auch im Wege einer Verordnung eingeführt werden, die in jedem Mitgliedstaaten als Alternativregelung zur Verfügung stünde. Somit könnten die Parteien also zwischen zwei innerstaatlichen Vertragsrechtsregelungen wählen[24].

Dadurch würde ein umfassender und möglichst eigenständiger Satz von Vertragsrechtsvorschriften in die innerstaatlichen Rechtssysteme der 27 Mitgliedstaaten übernommen werden, den die Vertragsparteien als das geltende Recht auswählen können[25]. Vertragsparteien könnten, vor allem für Geschäfte im Binnenmarkt, auf alternative Rechtsvorschriften zurückgreifen[26]. Die Anwendung des Instruments könnte entweder auf grenzüberschreitende Verträge beschränkt oder sowohl für grenzüberschreitende Verträge als auch für innerstaatliche Verträge vorgesehen werden (siehe Abschnitt 4.2.2).

Ein optionales Instrument würde nur dann eine vernünftige Lösung für die Probleme der divergierenden Rechtsvorschriften bieten, wenn es für den Großteil der Vertragsparteien ausreichend klar ist und Rechtssicherheit bietet. Das sind die Grundvoraussetzungen dafür, dass die Vertragsparteien dem Instrument vertrauen und es auch als das geltende Recht für den Vertrag auswählen. Verbraucher sollten vor allem die Gewähr haben, dass ihre Rechte bei einem Vertrag auf dieser Grundlage nicht beschnitten werden. Wenn ein optionales Instrument im Hinblick auf den Binnenmarkt wirksam sein soll, müsste es sich daher auf die Anwendung der zwingenden Vorschriften, beispielsweise des Verbraucherrechts, auswirken[27]. Dies hätte im Vergleich zu den bisherigen fakultativen Regelungen, wie dem Wiener Übereinkommen, zusätzliche Vorteile. Schließlich lässt sich mit Letzterem nicht verhindern, dass innerstaatliche Vorschriften angewandt werden.

Das optionale Instrument müsste ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleisten[28].

Die konsequente Verwendung einer einheitlichen Regelung würde es den Richtern und sonstigen Rechtsanwendern ersparen, sich bei bestimmten Rechtsstreitigkeiten mit verschiedenen ausländischen Rechtsordnungen befassen zu müssen, wie es zur Zeit im Kollisionsrecht der Fall ist. Dies könnte nicht nur die Kosten für Unternehmen senken, sondern auch den Verwaltungsaufwand für die Justiz verringern.

Ein fakultatives Instrument könnte für den Binnenmarkt erhebliche Vorteile bringen, ohne noch weiter in einzelstaatliches Recht einzugreifen. Es könnte eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechende Lösung zur Beseitigung von Binnenmarkthindernissen bieten, die durch divergierende einzelstaatliche Vertragsrechtssysteme bedingt sind, und im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip eine Alternative zur vollen Harmonisierung der einzelstaatlichen Vorschriften darstellen.

Gegen eine solche fakultative Regelung ließe sich allerdings einwenden, dass dadurch die Rechtslage komplizierter wird. Die Einführung eines parallel gültigen Systems würde die Komplexität des rechtlichen Umfelds in keiner Weise verringern. Verbraucher bräuchten klare Informationen, um ihre Rechte verstehen und eine sachkundige Entscheidung darüber treffen zu können, ob sie einen Vertrag auf der Grundlage dieser Alternativregelung schließen möchten.

Option 5: Richtlinie über ein Europäisches Vertragsrecht

Mit einer Richtlinie über ein Europäisches Vertragsrecht könnte das einzelstaatliche Vertragsrecht auf der Grundlage gemeinsamer Mindeststandards harmonisiert werden. Die Mitgliedstaaten könnten Vorschriften, die einen umfassenderen Schutz bieten, beibehalten, soweit sie nicht gegen den AEUV verstoßen. Denkbar wäre auch, dass Abweichungen der Kommission gemeldet und anschließend veröffentlicht werden, um die Rechtslage bei Auslandsgeschäften für Verbraucher und Unternehmen transparenter zu machen.

In Bezug auf Verbraucherverträge würde die Richtlinie im Sinne des AEUV ein hohes Schutzniveau für die Verbraucher gewährleisten und den verbraucherrechtlichen Besitzstand der EU, darunter auch die künftige Richtlinie über Rechte der Verbraucher, ergänzen.

Mit einer solchen Richtlinie ließe sich eine Konvergenz des einzelstaatlichen Vertragsrechts und damit eine Verringerung der rechtlichen Unterschiede erreichen. Dies könnte vor allem Verbrauchern und KMU die nötige Sicherheit bieten, damit sie sich auf grenzüberschreitende Geschäfte einlassen. Eine Mindestharmonisierung im Wege einer Richtlinie würde aber nicht zwangsläufig zu einer einheitlichen Umsetzung und Auslegung der Vorschriften führen[29]. Unternehmen, die ihre Waren oder Dienstleistungen grenzüberschreitend anbieten möchten, müssten immer noch die verschiedenen innerstaatlichen Verbrauchervertragsregeln einhalten. Der Besitzstand im Bereich des Verbrauchervertragsrechts zeigt, dass Mindestharmonisierungs-Richtlinien nur begrenzt zur Verminderung rechtlicher Divergenzen beitragen. Bei Verträgen zwischen Unternehmen aus verschiedenen Ländern bringt die Richtlinie nicht unbedingt ausreichende Rechtssicherheit, und den Unternehmen würden immer noch Kosten im Zusammenhang mit der Befolgung der Vorschriften entstehen.

Option 6: Verordnung zur Einführung eines Europäischen Vertragsrechts

Mit einer Verordnung zur Einführung eines Europäischen Vertragsrechts würden die verschiedenen einzelstaatlichen Regelungen durch eine einheitliche europäische Regelung ersetzt werden. Diese würde auch zwingende Vorschriften zum Schutz der schwächeren Partei beinhalten. Diese Regeln würden kraft innerstaatlichen Rechts gelten und nicht, weil sie von den Vertragsparteien gewählt wurden. Die Verordnung könnte entweder nur bei grenzüberschreitenden Geschäften innerstaatliches Recht ersetzen oder sowohl für grenzüberschreitende als auch für innerstaatliche Vertragsverhältnisse gelten (siehe Abschnitt 4.2.2).

Diese Lösung würde die rechtliche Zersplitterung im Vertragsrecht beseitigen und zu einer einheitlichen Anwendung und Auslegung der Verordnung führen. Ein einheitliches Vertragsrecht könnte den Abschluss grenzüberschreitender Verträge erleichtern und eine wirksame Grundlage für die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten bieten.

Diese Lösung ist jedoch hinsichtlich der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit problematisch. Es wäre möglicherweise unverhältnismäßig, die vielen verschiedenen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften durch eine einheitliche Regelung zu ersetzen, um Handelshindernisse im Binnenmarkt zu beseitigen, vor allem wenn diese Regelung auch für innerstaatliche Vertragsverhältnisse gelten sollte.

Option 7: Verordnung zur Einführung eines Europäisches Zivilrechtsgesetzbuches

Diese Lösung ginge noch einen Schritt weiter als die Verordnung zur Einführung eines Europäischen Vertragsrechts, da sie nicht nur für vertragliche, sondern für andere Arten von Schuldverhältnissen gelten würde(z. B. unerlaubte Handlung, Geschäftsführung ohne Auftrag usw.). Ein solches Instrument würde den Rückgriff auf einzelstaatliches Recht weitgehend entbehrlich machen.

Zwar sind auch in anderen Bereichen als dem Vertragsrecht Hindernisse für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes vorhanden, doch steht noch nicht fest, inwieweit ein so weitreichendes Instrument wie ein Europäisches Zivilrechtsgesetzbuch mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar wäre.

4.2. Welche Vertragsarten sollte das Instrument regeln?

Für eine EU-weite Regelung kommen mehrere Vertragsarten in Frage.

4.2.1. Sollte das Instrument sowohl für Verbraucherverträge als auch für Unternehmerverträge gelten?

Ein vertragsrechtliches Instrument ist für sämtliche Arten von Geschäften denkbar, ob zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und Verbrauchern. Bestimmte allgemeine vertragsrechtliche Bestimmungen sind für alle Verträge gleichermaßen relevant. Das Instrument könnte jedoch auch spezifische Vorschriften – beispielsweise strenge Verbraucherschutzvorschriften – enthalten, die nur für bestimmte Vertragsarten gelten. Diese kämen zur Anwendung, wenn ein Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmen geschlossen wird[30].

Auch wären getrennte Instrumente für Verbraucherverträge und Unternehmerverträge denkbar. Im Prinzip wären getrennte Instrumente die sinnvollere Lösung zur Regelung von Aspekten, die eine bestimmte Vertragsart betreffen. Auch wäre die Ausarbeitung und Anwendung einfacher. Bei einer Vielzahl von Instrumenten kann es aber leicht zu Überschneidungen und Unvereinbarkeiten in den Rechtsvorschriften kommen.

4.2.2. Sollte das Instrument sowohl für grenzüberschreitende als auch für innerstaatliche Verträge gelten?

Die Problematik divergierender Vorschriften betrifft normalerweise grenzüberschreitende Verträge, bei denen verschiedene einzelstaatliche oder internationale Instrumente zur Anwendung kommen können. Ein Instrument nur für grenzüberschreitende Verträge, das Kollisionsprobleme löst, könnte maßgeblich zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beitragen. Bei Verbraucherverträgen gäbe es für Unternehmen zwei verschiedene Regelungen, je nachdem, ob sie grenzüberschreitende oder innerstaatliche Verträge schließen. Auch für Verbraucher würden diese beiden Systeme gelten. Ein Instrument, das sowohl für grenzüberschreitende als auch für innerstaatliche Verbraucherverträge gilt, würde das rechtliche Umfeld noch weiter vereinfachen, hätte aber Konsequenzen für die Verbraucher, die zögern, sich auf den Binnenmarkt einzulassen, und lieber den Verbraucherschutz im eigenen Land behalten wollen.

Andererseits kann es bei Unternehmerverträgen, bei denen der Grundsatz der Vertragsfreiheit von wesentlicher Bedeutung ist, unangemessen sein, den Vertragsparteien bei rein innerstaatlichen Geschäften die Wahl eines europäischen Instruments zu verwehren. Ein Instrument sowohl für grenzüberschreitende als auch für innerstaatliche Verträge könnte Unternehmen einen zusätzlichen Anreiz geben, über die Grenzen hinaus tätig zu werden, da sie sich auf eine Regelung und eine Geschäftspolitik beschränken könnten.

Das Instrument könnte auch nur für online geschlossene Verträge gelten (oder allgemeiner für Ferngeschäfte). Allerdings würden dadurch nur für diese Art von Geschäften Binnenmarkthindernisse beseitigt. Ein großer Teil der grenzüberschreitenden Verträge im Binnenmarkt kommt online zustande. Hier ist auch das Wachstumspotenzial am größten. Daher wäre ein auf den Online-Geschäftsverkehr zugeschnittenes Instrument denkbar. Es könnte für grenzüberschreitende und innerstaatliche Geschäfte oder nur für grenzüberschreitende Geschäfte gelten.

4.3. Welchen sachlichen Anwendungsbereich sollte das Instrument haben?

Der sachliche Anwendungsbereich des europäischen Vertragsrechtsinstruments könnte eng oder weit ausgelegt werden. In jedem Fall sollte das Instrument auf dem Besitzstand der EU aufbauen und zwingende Verbrauchervertragsrechtsvorschriften vorsehen.

4.3.1. Enge Auslegung

Ein europäisches Vertragsrechtsinstrument könnte beschränkt sein auf: Vertragsdefinition, vorvertragliche Pflichten, Zustandekommen, Rücktrittsrecht, Vertretung, Nichtigkeitsgründe, Auslegung, Inhalt und Wirkung von Verträgen, Vertragsausführung, Rechtsbehelf bei Nichterfüllung des Vertrages, Schuldner- und Gläubigermehrheit, Änderung der Vertragspartner, Verrechnung und Zusammenschluss sowie Verjährung[31]. Der Schwerpunkt könnte hierbei auch auf binnenmarkthemmenden zwingenden Vorschriften des Verbrauchervertragsrechts und Praktiken liegen, die den Verbrauchern und KMU schaden, wie unlautere Vertragsbedingungen.

4.3.2. Weite Auslegung

Ein europäisches Vertragsrechtsinstrument könnte zusätzlich zu den in Abschnitt 4.3.1 aufgeführten Aspekten andere relevante Fragen klären wie Rückerstattung, außervertragliche Haftung, Erwerb und Verlust von Eigentumsrechten an Waren und dingliche Sicherheiten für bewegliche Güter.

4.3.3. Sollte das Instrument für bestimmte Vertragsarten gelten?

Neben allgemeinen vertragsrechtlichen Bestimmungen könnte das Instrument besondere Bestimmungen für die häufigsten Vertragsarten vorsehen. Der gängigste und - im Hinblick auf den Binnenmarkt – wichtigste Vertrag ist der Kaufvertrag über bewegliche Sachen.

Von großer Bedeutung sind auch Dienstleistungsverträge. Aufgrund ihrer Heterogenität bedarf es jedoch für besondere Arten von Dienstleistungsverträgen unterschiedlicher Regelungen. Das Instrument könnte beispielsweise Bestimmungen für kaufvertragsähnliche Dienstleistungsverträge enthalten, wie Autoleasing- oder Versicherungsverträge. Verträge über Finanzdienstleistungen sind oft sehr speziell und technisch, besonders wenn es sich um Verträge zwischen Fachleuten handelt. Hier ist Vorsicht geboten, da sich das rechtliche Umfeld schnell ändert.

Für bestimmte Dienstleistungsverträge gibt es bereits von Rechtsexperten erarbeitete Muster, die als Vorbild dienen können. So enthält der Gemeinsame Referenzrahmen beispielsweise Mustervorschriften für Leasingverträge. Von der Projektgruppe „Restatement of European Insurance Contract Law“ wurden die Grundsätze des Europäischen Versicherungsvertragsrechts (PEICL) [32] ausgearbeitet. Bevor eine Entscheidung darüber getroffen werden kann, ob und wie diese Grundsätze auf Verträge über Finanzdienstleistungen angewandt werden können, muss geprüft werden, ob sie sich hierfür eignen.

4.3.4. Gegenstand eines Europäischen Zivilrechtsgesetzbuchs

Ein Europäisches Zivilrechtsgesetzbuch würde nicht nur das Vertragsrecht und Bestimmungen für die einzelnen Vertragsarten umfassen, sondern auch das Deliktsrecht, die ungerechtfertigte Bereicherung und die Geschäftsführung ohne Auftrag regeln.

5. Schlussfolgerungen

Mit diesem Grünbuch soll eine öffentliche Konsultation angeregt werden, um Vorschläge und Meinungen der Beteiligten zu möglichen Strategien für ein Europäisches Vertragsrecht zusammenzutragen.

Dieses Grünbuch wird auf der Website der Kommission veröffentlicht (http://ec.europa.eu/yourvoice/). Die Konsultation läuft vom 1. Juli 2010 bis zum 31. Januar 2011. Alle Interessierten können sich beteiligen. Einzelpersonen, Organisationen und Länder können ihren Beitrag in Form von Antworten auf die im Dokument gestellten Fragen und/oder durch allgemeine Kommentare zu darin aufgeworfenen Fragen leisten.

Die Beiträge werden - ggf. gekürzt - veröffentlicht, es sei denn, der Betroffene hat wegen einer möglichen Schädigung seiner berechtigten Interessen Einwände gegen die Veröffentlichung seiner persönlichen Daten. In diesem Fall kann der Beitrag anonym veröffentlicht werden. Andernfalls wird der Beitrag nicht veröffentlicht und der Inhalt wird im Prinzip nicht weiter berücksichtigt.

Seit Einführung des Registers der Interessenvertreter (Lobbyisten) im Juni 2008 im Rahmen der Europäischen Transparenzinitiative werden Organisationen zudem aufgefordert, das Register zu nutzen, damit sich die Europäische Kommission und die breite Öffentlichkeit über ihre Ziele, Finanzierung und Strukturen informieren können. Die Kommission behandelt grundsätzlich Beiträge von Organisationen, die nicht registriert sind, als Einzelbeiträge.

Konsultationsbeiträge sind zu schicken an: jls-communication-e5@ec.europa.eu.

Fragen zu dieser Konsultation können an die gleiche E-Mail-Anschrift gerichtet werden oder an:

Europäische Kommission, GD Justiz, Referat A2, Rue de la Loi 200, B-1049 Brüssel, Belgien.

[1] KOM(2001) 398 vom 11.7.2001.

[2] KOM(2003) 68 vom 12.2.2003.

[3] Siehe auch Mitteilung der Kommission: Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands – weiteres Vorgehen, KOM(2004) 651 vom 11.10.2004.

[4] KOM(2008) 614 vom 8.10.2008.

[5] Von Bar, C., Clive, E. und Schulte-Nölke, H. (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law – Draft Common Frame of Reference (DCFR), München, Sellier, 2009.

[6] Einige von ihnen wurden von den Grundsätzen und den Mustervorschriften, die von der Association Henri Capitant und der Société de législation comparée entwickelt wurden, inspiriert („European Contract Law. Materials for a Common Frame of Reference: Terminology, Guiding Principles, Model Rules“, Ass. H. Capitant et SLC, 2008, Sellier European law publishers.)

[7] Das Netz, das die Bezeichnung 'Commission on European Contract Law' trägt, setzte sich aus Wissenschaftlern aller Mitgliedstaaten zusammen und war unter dem Vorsitz von Ole Lando zwischen 1982 und 2001 tätig.

[8] Das Wiener Übereinkommen wurde bisher von 74 Ländern unterzeichnet. Die EU-Staaten, die es nicht unterzeichnet haben, sind das Vereinigte Königreich, Portugal und Irland.

[9] So arbeitet die Organisation für die Harmonisierung des Handelsrechts in Afrika an einem einheitlichen Vertragsrecht, das sich weitgehend an den Grundsätzen für internationale Handelsverträge von UNIDROIT anlehnt. Die Grundsätze von UNIDROIT und die PECL dienten auch als Grundlage für das chinesische Vertragsrecht von 1999.

[10] Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177 vom 4.7.2008, S. 6).

[11] Dokument des Rates Nr. 17024/09 vom 2. Dezember 2009.

[12] KOM(2010) 2020 vom 3.3.2010.

[13] Siehe Mitteilung der Kommission, „Eine Digitale Agenda für Europa“, KOM(2010) 245 vom 19.5.2010.

[14] Beispielsweise der (1967 gegründete) Verband Südostasiatischer Nationen oder die erst seit kurzem (2008) bestehende Union der südamerikanischen Staaten.

[15] Beschluss der Kommission vom 26. April 2010 zur Einsetzung einer Expertengruppe für einen Gemeinsamen Referenzrahmen im Bereich des Europäischen Vertragsrechts, ABl. L 105 vom 27.4.2010, S. 109.

[16] z. B. Probleme mit der Postversendung, Zahlungsprobleme.

[17] Siehe hierzu beispielsweise Eurobarometer Spezial Nr. 292 (2008) und Flash Eurobarometer Nr. 278 (2009).

[18] Siehe beispielsweise Erhebung von Clifford Chance zum Europäischen Vertragsrecht (Clifford Chance Survey in European Contract Law), (2005).

[19] Ähnliche Kollisionsbestimmungen zum Schutz der schwächeren Partei existieren für andere Vertragsarten, wie Versicherungsverträge, Beförderungsverträge (siehe Artikel 7 bzw. 5 der Verordnung Rom I).

[20] Siehe Mitteilung der Kommission über grenzüberschreitenden elektronischen Handelsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern in der EU, KOM(2009) 557 vom 22.10.2009.

[21] KOM(2008) 614.

[22] Beispielsweise über Rechtsbehelfe bei Verstößen gegen Informationspflichten.

[23] Das einheitliche Handelsgesetzbuch wird häufig überarbeitet und gemeinsam von der „Uniform Law Commission“, die für die Ausarbeitung und Förderung einheitlicher Gesetze in den Bundesstaaten in den Bereichen zuständig ist, in denen Einheitlichkeit konkret realisierbar und wünschenswert ist, und vom „American Law Institute“ verabschiedet, das grundlegende wissenschaftliche Studien zur Klärung, Modernisierung und Verbesserung des Rechtssystems erstellt.

[24] Siehe auch die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, INT/499 vom 27.5.2010.

[25] Ein solcher Satz an Vertragsrechtsvorschriften würde als Teil des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten auch für das internationale Privatrecht gelten.

[26] Siehe auch den Bericht von Mario Monti an den Präsidenten der Europäischen Kommission „Eine neue Strategie für den Binnenmarkt“ vom 9. Mai 2010: „Diese [sogenannte 28.] Regelung bietet Unternehmen und Bürgern für ihre Tätigkeit im Binnenmarkt mehr Möglichkeiten. Wenn sie vorwiegend im Binnenmarkt tätig sind, können sie sich für einen standardisierten und einheitlichen Rechtsrahmen entscheiden, der in allen Mitgliedstaaten gültig ist.” Siehe auch die Empfehlung im Bericht der Reflexionsgruppe über die Zukunft der EU 2030, „Project Europe 2030: Challenges and Opportunities“, Mai 2010: „Action should be taken to provide citizens with the option of resorting to a European legal status (the ‚28th regime’) which would apply to contractual relations in certain areas of civil or commercial law alongside the current 27 national regimes“. („Die Bürger sollten die Möglichkeit haben, eine europäische Rechtsregelung (28. Regelung) auszuwählen, die parallel zu den bestehenden 27 nationalen Regelungen für vertragliche Schuldverhältnisse in bestimmten Bereichen wie Zivil- und Handelsrecht gelten würde.“)

[27] Im Instrument selbst müsste geregelt sein, in welchem Verhältnis die Bestimmungen zur Verordnung Rom I stehen.

[28] Siehe Artikel 12 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

[29] Daher wird im Monti-Bericht (S. 93) empfohlen, eine Harmonisierung im Wege von Verordnungen anzustreben.

[30] Das europäische Vertragsrechtsinstrument müsste konsequenterweise den einschlägigen Verbraucherschutz-Besitzstand ergänzen und diese Vorschriften, darunter auch die revidierten Verbraucherschutzvorschriften für den Binnenmarkt in der Richtlinie über Rechte der Verbraucher, festschreiben.

[31] Diese dem Referenzrahmen entnommenen Begriffe werden nur als Beispiele verwendet und greifen weder dem Aufbau noch der Terminologie des Instruments vor.

[32] Principles of European Insurance Contract Law, München, Sellier, 2009.