11.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/148


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses“

KOM(2009) 154 endg. — 2009/0157 (COD)

2011/C 44/25

Berichterstatter: Claudio CAPPELLINI

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 20. November 2009, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses

KOM(2009) 154 endg. — 2009/0157 (COD).

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 15. Juni 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 464. Plenartagung am 14./15. Juli 2010 (Sitzung vom 14. Juli) mit 119 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den vorliegenden Vorschlag der Kommission, stellt jedoch fest, dass dieser weit hinter den im Grünbuch eröffneten Perspektiven und noch weiter hinter den Vorschlägen zurückbleibt, die der Ausschuss in seiner diesbezüglichen Stellungnahme vom 26. Oktober 2005 unterbreitet hatte.

1.2   Er hält den Verordnungsvorschlag für ein wichtiges Instrument für die Zivilgesellschaft, mit dem die Berechenbarkeit im rechtlichen Bereich erhöht und eine rasche und kostengünstige Abwicklung internationaler Erbfälle in den EU-Mitgliedstaaten erleichtert wird. Er macht die Kommission darauf aufmerksam, dass die einzelnen Sprachfassungen des Verordnungsvorschlags sorgfältig überprüft werden sollten, um deren Übereinstimmung untereinander und die Anwendung einer korrekten Rechtsterminologie zu gewährleisten.

1.3   Der Ausschuss hat jedoch gewisse Bedenken, insbesondere was die Rolle der in Drittstaaten geltenden Rechtsvorschriften und mehrere Merkmale des Nachlasszeugnisses anbelangt. Diesen Bedenken trägt er Rechnung, indem er eine Umformulierung von Artikel 26 und eine Verlängerung der in Artikel 43 Absatz 2 vorgesehenen Frist empfiehlt. Um ein so kompliziertes Dokuments wie den Verordnungsvorschlag gründlich analysieren und ausführlich erläutern zu können, müsste das Arbeitsdokument über die für den EWSA übliche Länge hinausgehen.

1.4   Der Ausschuss empfiehlt nachdrücklich, folgende Änderungen am Verordnungsvorschlag vorzunehmen:

i.

in den Ziffern 1.2 und 3.2 der Begründung des Verordnungsvorschlags die Sätze „Die unterschiedlichen Regelungen behindern und verzögern darüber hinaus die uneingeschränkte Ausübung des Rechts auf Eigentum“ und „Ein einseitiges Vorgehen der Mitgliedstaaten würde nicht ausreichen, um alle Ziele des Verordnungsvorschlags zu erreichen“ einfügen (siehe Ziffern 3.4.3 und 3.4.4);

ii.

in Artikel 1 Absatz 1 die Klarstellung hinzufügen, dass sich der Verordnungsvorschlag nur auf Erbfälle „mit Auslandsbezug“ bezieht (siehe Ziffer 4.1.1);

iii.

in Artikel 21 Absatz 1 in allen Sprachen im Satzteil „soweit dieses Recht … Formvorschriften vorschreibt, die im Anschluss an die Formvorschriften zu erfüllen sind, die das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht vorschreibt“ den Ausdruck „im Anschluss an die“ durch „zusätzlich zu den“ ersetzen oder den Satzteil durch die Formulierung „soweit dieses Recht … andere Formvorschriften vorschreibt als das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht“ ersetzen (siehe Ziffer 4.3.8);

iv.

Artikel 25 durch einen neuen Artikel ersetzen: „Universelle Anwendung: Mit dieser Verordnung wird das anzuwendende Recht bezeichnet, auch dann, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist.“ (siehe Ziffer 4.3.9);

v.

Artikel 26 (im Englischen die Überschrift „Referral“ durch „Renvoi“ ersetzen) durch einen neuen Artikel ersetzen: „Hat der Erblasser kein Recht gemäß Artikel 17 gewählt und ist das anzuwendende Recht gemäß dieser Verordnung das Recht eines Drittstaates, dessen Kollisionsnormen das Recht eines EU-Mitgliedstaates oder eines anderen Drittstaates, der sein eigenes Recht anwenden würde, als anzuwendendes Recht bestimmen, so ist das Recht dieses anderen Staates anwendbar. Dieser Artikel gilt nicht für Erbverträge, deren in Artikel 18 Absatz 2 vorgesehene Anknüpfungskriterien das Recht ist, zu dem sie die engste Verbindung aufweisen.“ (siehe Ziffer 4.3.10.1);

vi.

in Artikel 27 in allen Sprachfassungen vor „unvereinbar“ das Wort „offensichtlich“ und zumindest im Französischen und Italienischen vor „öffentlichen Ordnung“„internationalen“ einfügen (siehe Ziffer 4.3.11);

vii.

in Artikel 27 Absatz 2 in allen Sprachfassungen die Entsprechung des englischen „its provisions“ anstelle von „its clauses“ verwenden (siehe Ziffer 4.3.12);

viii.

Den in Artikel 43 Absatz 2 vorgesehenen Zeitraum auf 9 oder 12 Monate verlängern (siehe Ziffer 4.6.1).

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

2.1   In dem Vorschlag wird ein komplexes Thema behandelt, das für jeden, der unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts in der Europäischen Union hat (wobei unter Artikel 6 eine ergänzende Regelung vorgesehen ist), von Belang ist. Mit dem Grünbuch „Erb- und Testamentsrecht“ (1) wurde eine umfassende Konsultation zu Fragen der gesetzlichen und testamentarischen Erbfolge mit Auslandsbezug eingeleitet.

2.2   Der Verordnungsvorschlag ist deshalb als einheitliches normatives Instrument für die Erbrechtspraxis so wichtig, weil es derzeit in den EU-Mitgliedstaaten eine große Vielfalt an Rechtsvorschriften zu folgenden Aspekten gibt:

a)

die Bestimmung des anwendbaren Rechts,

b)

die gerichtliche Zuständigkeit bei Testamenten und Erbfällen mit Auslandsbezug;

c)

die Bedingungen für die Anerkennung und Vollstreckung von in einem anderen EU-Mitgliedstaat gefällten Urteilen und

d)

die Bedingungen der Anerkennung und Vollstreckung von in einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellten öffentlichen Urkunden.

2.3   Diese Vorschriften, die alle unter das internationale Privatrecht fallen und aufgrund derer die Wirkung von Testamenten und Erbfällen mit Auslandsbezug von dem Recht abhängt, das gemäß den spezifischen (im Verordnungsvorschlag vorgesehenen) Kollisionsnormen des Staates des angerufenen Gerichts (EU-Mitgliedstaat) gilt, sollen mit dem Verordnungsvorschlag vereinheitlicht werden, um Klarheit zu schaffen. Umgekehrt soll sich der Verordnungsvorschlag nicht per se auf das innerstaatliche materielle Recht der EU-Mitgliedstaaten auswirken, unter das die Stellung, die Rechte und die Pflichten der Erben in Bezug auf die Nachlassgegenstände (oder die unbeweglichen Güter) des Erblassers fallen. Darüber hinaus bildet das in Kapitel VI eingeführte Europäische Nachlasszeugnis keine Ausnahme, sondern betrifft den Nachweis der Erbenstellung und enthält keine einheitlichen innerstaatlichen materiellrechtlichen Bestimmungen über die für die Erlangung einer solchen Stellung erforderlichen Voraussetzungen. Generell fällt das innerstaatliche materielle Recht nicht in den in Art. 65 Buchstabe b des Vertrags vorgesehenen Zuständigkeitsbereich.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Der EWSA äußert sich in seiner Stellungnahme (2) zu dem Grünbuch Erb- und Testamentsrecht unter anderem folgendermaßen:

a)

er begrüßt das Grünbuch und „hält die vorgelegten Fragen für grundlegend und dringlich“;

b)

er weist die Kommission auf „die steuerlichen Probleme“ hin, „die sich für die Erben eines in zwei oder mehreren Staaten belegenen Vermögens ergeben können“ und

c)

er zeigt offenes Interesse, indem er Folgendes feststellt, dass „der Ausschuss [ist] der Auffassung, dass das Testaments- und Erbrecht für die Unionsbürger eine Frage von großer Bedeutung ist. Ihre Erwartungen in puncto Vereinfachung der Formalitäten, größere Rechts- und Steuersicherheit und schnellere Abwicklung von Erbschaften mit Auslandsbezug dürfen nicht enttäuscht werden“.

3.2   Dieses Interesse, das der EWSA für die Frage des Testaments- und Erbrechts bekundet hat, die als „für die Unionsbürger […] von großer Bedeutung“ bezeichnet wird, muss vier Jahre nach der Analyse des Grünbuchs im Hinblick auf den Aufbau des Verordnungsvorschlags und die darin von der Kommission vorgeschlagenen konkreten Bestimmungen auf den neuesten Stand gebracht werden.

3.3   Potenzial und Akteure des aktuellen Verordnungsvorschlags

3.3.1   Es ist darauf hinzuweisen, dass der EWSA die Kommission in seiner Stellungnahme (3) auffordert, steuerliche Probleme zu untersuchen und Interesse an einer „größere[n] […] Steuersicherheit“ zeigt. Mit Blick auf den Anwendungsbereich des Verordnungsvorschlags im Rahmen des in Artikel 65 des Vertrags vorgesehenen eng gesteckten Zuständigkeitsbereichs werden in dem Verordnungsvorschlag die das Erb- und Testamentsrecht betreffenden Aspekte des Internationalen Privatrechts angesprochen, und der Verordnungsvorschlag soll keine direkten Auswirkungen auf das Recht der Mitgliedstaaten in Bezug auf die steuerlichen Aspekte von Testamenten und Erbfällen mit Auslandsbezug haben.

3.3.2   Während Testamente - falls überhaupt - vor dem Tod aufgesetzt werden und vom Erblasser bis zum Eintritt des Todes widerrufen werden können, und die Nachfolgeregelungen gleich nach dem Tod gelten, ist sowohl beim Testament als auch bei den Nachfolgeregelungen der Tod, dessen vermögensrechtlichen Folgen sie regeln, die Voraussetzung für ihr Inkrafttreten und ihre rechtliche Wirksamkeit. Der Verordnungsvorschlag betrifft also jeden, alle Kategorien von Akteuren der Zivilgesellschaft.

3.3.3   Um hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Verordnungsvorschlags Klarheit zu schaffen, sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass dieser:

a)

nur für Testamente und Erbfälle mit Auslandsbezug gilt - wobei dieser nicht im Verordnungsvorschlag definiert wird - und nicht für die deutlich zahlreicheren rein inländischen Erbfälle und

b)

für Privatpersonen, d.h. natürliche Personen gilt, nicht aber für Rechtspersonen des privaten oder öffentlichen Rechts.

3.4   Ziele und Subsidiaritätsprinzip

3.4.1   Zweifellos wird der Verordnungsvorschlag aufgrund der vereinheitlichenden Wirkung und der Rechtsverbindlichkeit von EU-Verordnungen für die EU-Mitgliedstaaten, ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Gerichte für eine erhebliche Verbesserung der rechtlichen Berechenbarkeit in allen durch sie geregelten Bereichen sorgen. In dieser Wirkung besteht der unmittelbare Mehrwert des Verordnungsvorschlags. Qualität und Genauigkeit müssen bei der Formulierung der darin enthaltenen Bestimmungen eine Priorität sein.

3.4.2   Über dem erklärten Ziel, „alle Hindernisse für den freien Personenverkehr zu beseitigen“, darf nicht vergessen werden, dass die Frage, ob eine Person die Stellung eines „Erben“ innehat und „einen Rechtsanspruch“ auf das Vermögen des Erblassers in einem EU-Mitgliedstaat besitzt, nicht durch Bestimmungen des Internationalen Privatrechts (das Gegenstand des Verordnungsvorschlags ist) beantwortet werden sollten, sondern durch die einschlägigen materiellrechtlichen Bestimmungen der geltenden innerstaatlichen testaments- und erbrechtlichen Vorschriften der EU-Mitgliedstaaten. Der Verordnungsvorschlag bringt in dieser Hinsicht keine Änderungen mit sich, da er nicht auf die Vereinheitlichung materiellrechtlicher Bestimmungen abzielt. Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sollte die Begründung des Verordnungsvorschlags überprüft und gegebenenfalls umformuliert werden. Der EWSA bekräftigt die von ihm hinsichtlich der Position des Vereinigten Königreichs, Irlands und Dänemarks bereits vorgebrachte Forderung, dass sich diese Mitgliedstaaten zur Anwendung dieser Verordnung bereit erklären sollten.

3.4.3   Nachdem diese Frage geklärt ist, ist darauf hinzuweisen, dass Ziffer 1.2 der Begründung des Verordnungsvorschlags eine richtige Feststellung enthält („Personen, die Rechte aus einem Erbfall mit Auslandsbezug geltend machen wollen, stehen heute deshalb vor beträchtlichen Schwierigkeiten.“), aber auch eine weniger überzeugende und weitreichende Schlussfolgerung, die auf das Recht auf Eigentum ausgeweitet wird („Die unterschiedlichen Regelungen verhindern darüber hinaus die uneingeschränkte Ausübung des Rechts auf Eigentum […]“). Es scheint richtiger und angebrachter, anstelle dessen eine gemäßigtere Formulierung wie beispielsweise „Die unterschiedlichen Regelungen behindern und verzögern darüber hinaus die uneingeschränkte Ausübung des Rechts des Erben auf Eigentum an den Nachlassgegenständen des Erblassers“ zu wählen.

3.4.4   In der Aussage „Ein einseitiges Vorgehen der Mitgliedstaaten wäre kontraproduktiv.“ ist der Begriff „kontraproduktiv“ zu stark. Sofern sie es wünschen, können die EU-Mitgliedstaaten unabhängig von der Verordnung zumindest das Ziel einer einheitlichen Bestimmung des anwendbaren Rechts verfolgen, indem sie das Haager Übereinkommen über das in Erbrechtsfällen anwendbare Recht von 1989 ratifizieren. Der EWSA ist der Ansicht, dass eine gemäßigtere Formulierung wie „Ein einseitiges Vorgehen der Mitgliedstaaten würde nicht ausreichen, um alle Ziele des Verordnungsvorschlags zu erreichen“ angemessener wäre.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Kapitel I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

4.1.1   Mit dem Verordnungsvorschlag sollen Testamente und Erbfälle mit Auslandsbezug geregelt werden, ohne jedoch Letzteren zu definieren. Aus Gründen der Klarheit sollte in den Verordnungsvorschlag ein Verweis darauf hinzugefügt werden, dass er ausschließlich für „Situationen mit Auslandsbezug“ gilt.

4.1.2   Wie dem Titel des Verordnungsvorschlags zu entnehmen ist, deckt er sowohl Fragen der Zuständigkeit (Kapitel II) als auch der Anerkennung und Vollstreckung (Kapitel IV) ab, d.h. die beiden Bereiche des internationalen Privatrechts, die mit Ausnahme der Vorschriften über das anwendbare Recht Gegenstand der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (nachstehend „Verordnung Nr. 44/2001“) sind, aus deren Anwendungsbereich der Bereich des Erbrechts einschließlich des Testamentsrechts ausgeklammert worden war. Diese Lücke erklärt, warum die Entscheidung so wichtig ist, alle drei Bereiche des internationalen Privatrechts, d.h. das anwendbare Recht, die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich der Erbfälle mit Auslandsbezug, in den Verordnungsvorschlag einzuschließen und einheitlich zu regeln.

4.2   Kapitel II: Zuständigkeit

4.2.1   In Kapitel II (Artikel 3 bis 15) geht es um die „Zuständigkeit“. Die Bestimmungen dieses Kapitels gelten für alle Gerichte der Mitgliedstaaten, finden auf außergerichtliche Stellen aber nur im Bedarfsfall Anwendung.

4.2.2   Die allgemeine Zuständigkeit wird den Gerichten des Mitgliedstaats zugewiesen, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Offensichtlich ist die entsprechende Staatsangehörigkeit keine Voraussetzung. Es ist darauf hinzuweisen, dass auch in den allgemeinen EU-Regeln über die Zuständigkeit oder die lex generalis, also die Verordnung (EG) Nr. 44/2001, die allgemeine Zuständigkeit unter Außerachtlassung der Staatsgehörigkeit auf der Grundlage des Wohnsitzes zugewiesen wird.

Diese allgemeine Zuständigkeit gemäß dem Verordnungsvorschlag gilt für (verstorbene) Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaates, aber auch für Staatsangehörige von Drittstaaten, wenn sie zum Zeitpunkt ihres Todes ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat hatten.

4.2.3   Falls der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat hatte, besitzen die Gerichte eines Mitgliedstaates in einigen Fällen, bei denen die Zuständigkeit der Gerichte der EU-Mitgliedstaaten weit über den einfachen Fall hinaus ausgedehnt wird, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hatte, dennoch eine „Restzuständigkeit“. Die Staatsangehörigkeit ist im Hinblick auf die allgemeine Zuständigkeit keine Voraussetzung, bildet aber die Grundlage für die Restzuständigkeit.

4.2.4   Die Gerichte des Mitgliedstaates, in dem sich die Nachlassgegenstände befinden, haben gemäß dem Verordnungsvorschlag per se keine allgemeine Zuständigkeit. Hiervon sind die Übertragung der Gegenstände, deren Eintragung in ein öffentliches Register oder deren Umschreibung teilweise ausgenommen.

4.3   Kapitel III: Anzuwendendes Recht

4.3.1   Kapitel III enthält einheitliche Vorschriften (Artikel 16 bis 28) über das anzuwendende Recht. Generell unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Es gelten keine anderen Voraussetzungen wie z.B. die Staatsangehörigkeit. Es wird nicht zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen unterschieden.

4.3.2   Es ist darauf hinzuweisen, dass in den im Verordnungsvorschlag enthaltenen Kollisionsnormen, die von den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten angewandt werden sollen, unabhängig davon, ob es sich bei dem Staat des anzuwendenden Rechts um einen EU-Mitgliedstaat handelt oder nicht, das anzuwendende Recht angegeben wird (Artikel 25).

4.3.3   Herkömmlicherweise wird im internationalen Privatrecht die „Parteiautonomie“ anerkannt, d.h. die Möglichkeit, der Parteien, das in Vertragsangelegenheiten anzuwendende Recht frei zu wählen. Gemäß dem Verordnungsvorschlag kann eine Person das auf die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht wählen, sie kann jedoch nur das Recht des Staates wählen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt.

4.3.4   Aus Gründen der rechtlichen Berechenbarkeit muss diese Wahl ausdrücklich im Wege einer Erklärung erfolgen, die den Formerfordernissen einer Verfügung von Todes wegen entspricht.

4.3.5   Ein anderes Thema, das nicht mit der Wahl des auf die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Rechts verwechselt werden darf, sind die „Erbverträge“. Ein Erbvertrag, der den Nachlass einer einzigen Person betrifft, unterliegt dem Recht, das gemäß dem Verordnungsvorschlag auf die Rechtsnachfolge dieser Person anwendbar gewesen wäre, wenn sie an dem Tag verstorben wäre, an dem der Erbvertrag errichtet worden ist. Nach dem Grundsatz des favor-validitatis werden weitere Anknüpfungskriterien herangezogen.

4.3.6   Unter dem Gesichtspunkt vergleichbarer und einheitlicher Rechtsvorschriften ist der Regelungsbereich des anzuwendenden Rechts eine wichtige Frage. Mit dem Verordnungsvorschlag wird der Regelungsbereich des anzuwendenden Rechts so ausgedehnt, dass ihm die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen vom Eintritt des Erbfalls bis zum endgültigen Übergang des Nachlasses auf die Berechtigten unterliegt. Dies geschieht offensichtlich, um so viele rechtliche Fragen wie möglich ein und demselben anzuwendenden Recht zu unterwerfen, mit dem Ziel, die rechtliche Berechenbarkeit zu erhöhen und die komplexe und zeitaufwändige Heranziehung von mehr als einem (häufig ausländischen) Recht zu vermeiden. Der Verordnungsvorschlag enthält eine lange und nicht erschöpfende Liste von Fragen, die dem anzuwendenden Recht unterliegen, womit auch nicht aufgeführte erbrechtliche Fragen, vom Eintritt des Erbfalls bis zum endgültigen Übergang des Nachlasses auf die Berechtigten, eingeschlossen werden.

4.3.7   Dem anzuwendenden Recht unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen, vom Eintritt des Erbfalls bis zum endgültigen Übergang des Nachlasses auf die Berechtigten. Es steht jedoch der Anwendung des Rechts des Mitgliedstaats, in dem die Nachlassgüter belegen sind, nicht entgegen, soweit dieses Recht für die Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses Formvorschriften vorschreibt, die im Anschluss an die Formvorschriften zu erfüllen sind, die das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht vorschreibt.

4.3.8   Hinsichtlich dieser Bestimmung wird empfohlen, klarzustellen, ob in Artikel 21 Absatz 1 in dem Satzteil die im Anschluss an die Formvorschriften zu erfüllen sind, „im Anschluss an“ (d.h. zeitlich danach) der richtige Ausdruck ist oder vielmehr „zusätzliche“ oder „andere“ („Formvorschriften“) gemeint ist.Es wird vorgeschlagen, im Kontext dieser Bestimmung lieber den Begriff „zusätzliche“ oder „andere“ zu verwenden.

4.3.9   Der EWSA ist der Ansicht, dass sich der Wortlaut der Bestimmung über die „Universelle Anwendung“ (Artikel 25) eindeutig nur auf den eigentlichen Gegenstand von Kapitel III beziehen sollte: die Bestimmung des anzuwendenden Rechts. Demnach wäre folgende Formulierung einfacher und zu bevorzugen: „Universelle Anwendung: Mit dieser Verordnung wird das anzuwendende Recht bezeichnet, auch dann, wenn es sich nicht um das Recht eines Mitgliedstaats handelt“.

4.3.10   Abgesehen von dem Fall, in dem der Erblasser das Recht des Staates wählt, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (Artikel 17), wird in der Verordnung in der Regel das Recht des Forumstaates angewandt, d.h. des Gerichts des EU-Mitgliedstaates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Gemäß den Bestimmungen über die Restzuständigkeit (Artikel 6) kann jedoch das Recht eines Drittstaates anwendbar sein. In diesem Fall muss verhindert werden, dass mit der Verordnung eine eventuell mit einigen Drittstaaten bestehende (allen Erblassern und Erben zugute kommende) Einheit von Anknüpfungskriterien zunichte gemacht und die Zuständigkeit auf ein nationales Rechtssystem übertragen wird, das sich aus seiner Sicht nicht als auf den jeweiligen Erbfall anwendbar erachtet. Um hierfür und für eine bessere und ausgewogenere Abstimmung zwischen den Drittstaaten und EU-Mitgliedstaaten zu sorgen, wird empfohlen, den aktuellen Artikel 26 (mit der Überschrift „Referral“ anstelle von „Renvoi“ in der englischen Fassung) durch folgenden Artikel zu ersetzen:

4.3.10.1

„Hat der Erblasser kein Recht gemäß Artikel 17 gewählt und ist das anzuwendende Recht gemäß dieser Verordnung das Recht eines Drittstaates, dessen Kollisionsnormen das Recht eines EU-Mitgliedstaates oder eines anderen Drittstaates, der sein eigenes Recht anwenden würde, als anzuwendendes Recht bestimmen, so ist das Recht dieses anderen Staates anwendbar. Dieser Artikel gilt nicht für Erbverträge, deren Anknüpfungskriterium gemäß Artikel 18 Absatz 2 das Recht ist, zu dem sie die engste Verbindung aufweisen.“

4.3.10.2

Mit dieser neuen Bestimmung wird eine ähnliche Bestimmung an die Verordnung angepasst (4) und der Versuch unternommen, diese zu verbessern (5). Diese wurde aus demselben Grund in das wichtige Haager Übereinkommen über das in Erbrechtsfällen anwendbare Recht aufgenommen, d.h. weil die meisten Delegationen sie als Versuch erkannten, Einheit nicht dort zu zerstören, wo sie bereits existiert (6). Darüber hinaus steht die Flexibilität, die diese Bestimmung (der neue Artikel 26) bietet, im Einklang mit den Rechtsvorschriften und der Praxis im Bereich der Weiter- bzw. Rückverweisung („renvoi“) in mehreren Drittstaaten, wie beispielsweise den USA (7).

Die Tatsache, dass in den Verordnungen „Rom I“ und „Rom II“ jegliche Bestimmungen über die Weiter -und Rückverweisung („renvoi“) rigoros ausgeklammert wurden, zeigt lediglich, dass sich ihr Gegenstand (vertragliche und nicht vertragliche Schuldverhältnisse) stark von Erbrechtsfragen unterscheidet. Diese Ausklammerung in Rom I und II ist nicht an sich ein ernsthaftes Argument, um den oben empfohlenen neuen Artikel 26 auszuklammern, der sowohl für die Erblasser als auch die Erben wichtig und von Vorteil und wesentlich und förderlich für eine ausgewogenere Abstimmung der Anknüpfungskriterien zwischen EU- und Drittstaaten ist.

4.3.11   Eine übliche, aber dennoch wichtige Bestimmung ist Artikel 27 über die öffentliche Ordnung. Entsprechend einem relativ üblichen Wortgebrauch wird empfohlen, in dem Satzteil „Anwendung mit der öffentlichen Ordnung […] unvereinbar ist“ in allen Sprachfassungen der Verordnung vor „unvereinbar“ das Wort „offensichtlich“ und zumindest im Französischen und Italienischen vor „öffentlichen Ordnung“ das Wort „internationalen“ einzufügen. Die speziell auf Erbrechtsfragen zugeschnittene Bestimmung, dass eine Vorschrift „nicht allein deshalb als […] unvereinbar angesehen werden [kann], weil sie den Pflichtteilsanspruch anders regelt als das Recht am Ort des angerufenen Gerichts“, ist innovativ und sinnvoll.

4.3.12   In Artikel 27 Absatz 2 stimmt die englische Fassung („its clauses regarding“) nicht mit dem Wortlaut der französischen Fassung („ses modalités concernant“) überein. Es wird empfohlen, in allen Sprachfassungen der Verordnung die Entsprechung für den Ausdruck „its provisions“ (regarding usw.) zu benutzen.

4.4   Kapitel IV: Anerkennung und Vollstreckung

4.4.1   Nach dem Vorbild der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 enthält Kapitel IV des Verordnungsvorschlags Artikel 29 bis 33 über die Anerkennung.

4.4.2   Der Grundsatz, dass eine in einem EU-Mitgliedstaat gemäß dem vorliegenden Verordnungsvorschlag getroffene Entscheidung in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt wird, ohne dass irgendein besonderes Verfahren erforderlich wäre, wird zu einer Vereinfachung im Bereich der Erbfälle mit Auslandsbezug in Europa führen.

4.4.3   Die in einem Mitgliedstaat getroffene Entscheidung kann in dem Mitgliedstaat, indem eine Anerkennung beantragt wird, nicht inhaltlich revidiert werden, und es sind nur vier Fälle vorgesehen, in denen sie nicht anerkannt wird.

4.5   Kapitel V: Öffentliche Urkunden

4.5.1   Eine weitere erhebliche Vereinfachung der Abwicklung von Erbfällen mit Auslandsbezug wird sich daraus ergeben, dass die bei Erbfällen häufigen öffentlichen Urkunden, die in einem Mitgliedstaat förmlich errichtet oder eingetragen worden sind, gemäß dem Verordnungsvorschlag in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden.

4.6   Kapitel VI: Europäisches Nachlasszeugnis

4.6.1   Das mit diesem Verordnungsvorschlag eingeführte Europäische Nachlasszeugnis gilt als Nachweis der Stellung als Erbe oder Vermächtnisnehmer und der Befugnisse als Testamentsvollstrecker oder Fremdverwalter. Es wird empfohlen, den in Artikel 43 Absatz 2 vorgesehenen Zeitraum auf 9 oder 12 Monate zu verlängern.

4.6.2   Das Antragsmuster könnte vereinfacht und Ziffer 4.7 des Musters, in der unnötige Angaben verlangt werden, könnte gestrichen werden.

Brüssel, den 14. Juli 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  KOM(2005) 65 endg.

(2)  ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 1.

(3)  ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 1.

(4)  Und somit der Vorgang der Weiter- bzw. Rückverweisung von Drittstaaten auf die EU-Mitgliedstaaten ausgedehnt.

(5)  Indem deren Wirksamkeit nicht nur im Falle der professio iuris (Artikel 17), sondern auch im Hinblick auf Anknüpfungskriterien einer anderer Art oder einer anderen Methodik (Ausnahmeklauseln in Artikel 18 Absatz 2, wie „das Recht, das die engste Verbindung aufweist“) ausgeschlossen wird.

(6)  Waters-Bericht, S. 553, Protokoll der 16. Sitzung, 3. bis 20. Oktober 1988, T.II, Haager Konferenz über Internationales Privatrecht, 1990. Artikel 4, Übereinkommen über das in Erbrechtsfällen anwendbare Recht (1. August 1989). Siehe auch P. LAGARDE, La nouvelle Convention de la Haye sur la loi applicable aux successions, Revue critique de droit international privé 1989, S. 249 (258).

(7)  In Bezug auf Artikel 4 des Haager Übereinkommens, E. F. SCOLES, The Hague Convention on Succession, American Journal of Comparative Law 1994 S. 85, (113).