17.7.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 165/7


Zusammenfassung der Entscheidung der Kommission

vom 2. Juni 2004

in einem Verfahren nach Artikel 82 EG-Vertrag

(Sache COMP/38.096 — Clearstream (Clearing und Abrechnung))

(Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2004) 1958)

(Nur der deutsche Text ist verbindlich)

2009/C 165/05

Am 2. Juni 2004 erließ die Kommission eine Entscheidung in einem Verfahren nach Artikel 82 des EG-Vertrags. Gemäß Artikel 30 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates  (1) veröffentlicht die Kommission im Folgenden die Namen der Beteiligten und den wesentlichen Inhalt der Entscheidung einschließlich der verhängten Sanktionen, wobei sie den berechtigten Interessen der Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse Rechnung trägt. Eine nichtvertrauliche Fassung des vollständigen Wortlauts der Entscheidung kann in den verbindlichen Sprachen der Wettbewerbssache und in den Arbeitssprachen der Kommission auf der Website der GD COMP unter folgender Adresse aufgerufen werden:

http://ec.europa.eu/competition/index_en.html

EINLEITUNG

1.

Der folgende Text ist eine Zusammenfassung der Entscheidung der Kommission vom 2. Juni 2004 in oben genannter Sache. In dieser Entscheidung wird festgestellt, dass die Clearstream Banking AG, auch als Clearstream Banking Frankfurt (CBF) bezeichnet, und ihre Muttergesellschaft Clearstream International (CI), im Folgenden gemeinsam „Clearstream“ genannt, gegen Artikel 82 EG-Vertrag verstoßen haben. Gegenstand des Verfahrens ist zum einen die Weigerung Clearstreams, für die Euroclear Bank SA (EB) bestimmte Clearing- und Abrechnungsleistungen zu erbringen, und zum anderen die preisliche Diskriminierung der EB.

2.

Auslöser dieses Verfahrens war eine Prüfung von Amts wegen, bei der der Frage nachgegangen wurde, ob die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft auch nach dem Abschluss von Wertpapiergeschäften ordnungsgemäß angewandt werden. Die Prüfung der Kommission konzentrierte sich insbesondere auf die Bereiche i) Zugang, ii) Preise, iii) Ausschließlichkeitsvereinbarungen und iv) Konsolidierung. In der Folge richtete sie sich dann mehr und mehr auf ein etwaiges missbräuchliches Verhalten der Clearstream.

3.

Am 28. März 2003 richtete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an Clearstream. Clearstream beantwortete diese Mitteilung und führte ihren Standpunkt bei einer Anhörung am 24. Juli 2003 weiter aus.

4.

Im Bericht des Anhörungsbeauftragten wird festgestellt, dass dem Recht der Clearstream auf Verteidigung Genüge getan wurde.

5.

Der Beratende Ausschuss für Kartell- und Monopolfragen trat am 30. April 2004 zusammen und gab eine befürwortende Stellungnahme ab.

6.

Es werden keine Geldbußen verhängt. Welche Gründe sowohl der Entscheidung als auch dem Verzicht auf Geldbußen zugrunde liegen, wird im Folgenden dargelegt.

1.   ZUSAMMENFASSUNG

7.

Gegenstand dieser Sache ist die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf bestimmte Tätigkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt. Rechtsvorschriften oder -normen werden dabei in keiner Weise vorgeschrieben.

8.

Die Schwierigkeit dieser Sache ist in erster Linie auf die Clearingbranche selbst zurückzuführen, da deren Verfahrensabläufe komplex sind, nicht überall die gleiche Terminologie verwendet wird, es auf verschiedenen Stufen zahlreiche Beteiligte gibt und aufgrund rechtlicher Vorgaben sowie auf Betreiben der Branche selbst zurzeit zahlreiche Veränderungen stattfinden.

9.

Die wichtigsten Etappen im Anschluss an ein Wertpapiergeschäft lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Zwischen dem Geschäftsabschluss und der Abrechnung erfolgt das Clearing. Dabei wird sichergestellt, dass sich Käufer und Verkäufer auf dasselbe Geschäft geeinigt haben und der Verkäufer auch tatsächlich zur Veräußerung der Wertpapiere berechtigt ist.

Abrechnung ist die endgültige Übertragung von Wertpapieren vom Verkäufer auf den Käufer und die endgültige Übertragung von Mitteln vom Käufer auf den Verkäufer sowie die entsprechenden Buchungen auf Wertpapierkonten.

10.

Neben diesen zur Erfüllung eines Wertpapiergeschäfts erforderlichen Schritten müssen Wertpapiere darüber hinaus auch verwahrt werden. Die Begriffe „safekeeping“ und „custody“ (auf deutsch in beiden Fällen „Verwahrung“) bezeichnen gleichermaßen die faktische Hinterlegung bei der Einrichtung, die das Wertpapier in Form von effektiven Stücken oder Bucheinträgen verwahrt. Dieser Vorgang wird auch als erstmalige Hinterlegung oder Endverwahrung bezeichnet. Einrichtungen, die keine Wertpapiere endverwahren, aber Wertpapierdienstleistungen erbringen, werden „Zwischenverwahrer“ genannt.

11.

Durchgeführt werden können Clearing und Abrechnung von Zentralverwahrern (CSDs) (2), Internationalen Zentralverwahrern (ICSDs) (3) oder anderen Zwischenverwahrern, wie Banken. „Primär“ clearing und -abrechnung (4) können diese Einrichtungen allerdings nur für Wertpapiere erbringen, die ihnen faktisch zur Endverwahrung übergeben wurden. Da alle nach deutschem Recht emittierten und girosammelverwahrten (5) Wertpapiere bei der CBF hinterlegt sind (im Folgenden Zentralverwahrer des Emissionslandes genannt), kann im vorliegenden Fall nur die CBF für diese Wertpapiere Primärclearing und-abrechnung durchführen.

12.

Die vorliegende Entscheidung betrifft die Abwicklung (Clearing und Abrechnung) von Wertpapiergeschäften, nicht die Wertpapierverwahrung. Für diese nutzt die CBF eine IT-Plattform namens CASCADE. Über CASCADE RS (das Teilsystem von CASCADE, zu dem der EB der Zugang verweigert wurde) werden Informationen zu Namensaktien eingegeben. Dieses System muss nur in gewissen Abständen (z. B. vor einer Hauptversammlung) aktualisiert werden und kommt bei der Abwicklung von Geschäften mit Namensaktien nicht zum Einsatz. Bis zur Zulassung der EB zu CASCADE RS verweigerte die CBF dieser jedoch das Recht, auch Geschäfte mit Namensaktien über CASCADE abzuwickeln.

1.1.   Der relevante Markt

13.

Der relevante Markt ist definiert als der Markt für primäre Clearing- und Abrechnungsleistungen, die der Zentralverwahrer des Emissionslandes (der Zentralverwahrer, bei dem die Wertpapiere erstmals hinterlegt wurden) bei Geschäften mit nach deutschem Recht emittierten Wertpapieren für Zentralverwahrer in anderen Mitgliedstaaten und für internationale Zentralverwahrer erbringt. Primärclearing und -abrechnung finden statt, wenn es auf einem beim Zentralverwahrer des Emissionslandes (bei nach deutschem Recht emittierten Wertpapieren die CBF) geführten Wertpapierkonto zu einer Bestandsveränderung kommt. Sekundäre Clearing- und Abrechnungsleistungen werden im Gegensatz dazu auf einer nachgeordneten Stufe von Zwischenverwahrern erbracht und in deren eigenen Büchern verbucht. Diese umfassen sowohl Gegengeschäfte, mit denen Zwischenverwahrer das Ergebnis von Primärclearing und -abrechnung auf den Konten ihrer Kunden widerspiegeln, als auch Bucheinträge im Anschluss an die interne Abwicklung von Kundenaufträgen. Kundenaufträge werden intern abgewickelt, wenn der Zwischenverwahrer das Geschäft über seine eigenen Bücher abwickeln kann (d. h. sowohl der Käufer als auch der Verkäufer bei ihm ein Konto unterhält).

14.

Die Parteien haben argumentiert, Primärclearing und -abrechnung und Sekundärclearing und -abrechnung stellten keine gesonderten Märkte dar.

15.

In der Entscheidung werden die Standpunkte von Clearstream und EB in Verbindung mit der Definition des relevanten Markts eingehend untersucht. Clearstream argumentiert, Clearing und Abrechnung durch Unterdepotbanken (Zwischenverwahrer) stellten einen Ersatz für Clearing und Abrechnung durch die CBF dar. In eine ähnliche Richtung geht das Argument der EB (6), die interne Abwicklung von Kundenaufträgen setze Zentralverwahrer unter Wettbewerbsdruck. Diese Argumente werden in der Entscheidung wie folgt widerlegt:

für bestimmte Erbringer von Clearing- und Abrechnungsleistungen stellt ein indirekter Zugang zum Zentralverwahrer des Emissionslandes — im vorliegenden Fall zur CBF — über einen Zwischenverwahrer (wegen der kürzeren Fristen, des größeren Risikos und der höheren Komplexität, der zusätzlichen Kosten und der Interessenkonflikte, die mit der Inanspruchnahme eines Zwischenverwahrers verbunden sein können) keine echte Alternative zum direkten Zugang dar;

abgesehen davon, dass Sekundärclearing und -abrechnung für Kunden (Zwischenverwahrer), die primäre Clearing- und Abrechnungsdienste benötigen, um für ihre eigenen Kunden zügige und kostengünstige sekundäre Clearing- und Abrechnungsleistungen zu erbringen, keine akzeptable Alternative ist, kann kein Zwischenverwahrer sämtliche Geschäfte mit allen beim Zentralverwahrer des Emissionslandes verwahrten Wertpapieren und allen potenziellen Gegenparteien intern abwickeln. In vorliegender Sache geht es um eben diesen Fall, d. h. einen Zwischenverwahrer (EB), der primäre Clearing- und Abrechnungsleistungen vom Zentralverwahrer des Emissionslandes benötigte und weder im eigenen Hause noch über einen anderen Zwischenverwahrer Ersatzleistungen beziehen konnte.

Wie der vorliegende Fall zeigt, setzen die Preise der Zwischenverwahrer den Zentralverwahrer des Emissionslandes bei primären Clearing- und Abrechnungsleistungen nicht unter Druck. In der Zeit, in der sich die EB direkt bei der CBF erfolglos um eine Senkung der Entgelte für Primärclearing und -abrechnung bemühte, um auf die Zwischenverwahrung der Deutschen Bank verzichten zu können, setzten die Tarife der Deutschen Bank Clearstream in ihren Diskussionen mit der EU in keiner Weise unter Druck.

16.

Für die Marktdefinition ausschlaggebend sind im vorliegenden Fall deshalb nicht die Bedürfnisse der Kunden der Zwischenverwahrer, sondern die speziellen Bedürfnisse der Kundenkategorie, die das Produkt oder die Dienstleistung nachfragen, d. h. Zwischenverwahrer, die für ihre eigenen Kunden in wirtschaftlich erheblichem Umfang zügige und kostengünstige sekundäre Clearing- und Abrechnungsleistungen erbringen wollen. Für diese Kundenkategorie sind Primärclearing und -abrechnung durch den Zentralverwahrer des Emissionslandes und Sekundärclearing und -abrechnung durch einen Zwischenverwahrer auf einer nachgelagerten Stufe nicht austauschbar. Wie die EB ausführt, stellt der indirekte Zugang, der die Inanspruchnahme eines anderen Zwischenverwahrers (häufig eines Konkurrenten) voraussetzt, keine annehmbare Alternative dar.

17.

Die speziellen Leistungen, die für Zentralverwahrer und internationale Zentralverwahrer erbracht werden, sind nicht mit den Standarddiensten für andere Kunden (Banken) vergleichbar, die die CBF auf der Grundlage ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen erbringt.

1.2.   Marktbeherrschung

18.

Da die CBF der einzige Zentralverwahrer ist, bei dem nach deutschem Recht emittierte und girosammelverwahrte Wertpapiere hinterlegt werden, nimmt sie auf dem relevanten Markt eine beherrschende Stellung ein. Sie ist damit die einzige Stelle, die bei Geschäften mit diesen Wertpapieren Primärclearing- und -abrechnung ausführen kann. Ihre Position auf dem Markt ist wegen fehlender Konkurrenz derzeit unangefochten. Mit Neuzugängen auf dem Markt ist auf absehbare Zeit nicht zu rechnen.

1.3.   Der Missbrauch

19.

In der Entscheidung werden zwei Arten von Missbrauch festgestellt:

die Verweigerung primärer Clearing- und Abrechnungsdienste für Namensaktien durch Verwehrung des Zugangs zu CASCADE RS und Diskriminierung der EB bei Erbringung dieser Dienste;

die preisliche Diskriminierung der EB bei primären Clearing- und Abrechnungsleistungen. Hier sei darauf hingewiesen, dass dies die Tarife für alle Transaktionen betrifft, die für die EB über CASCADE abgewickelt wurden und nicht wie beim oben dargelegten Missbrauch auf Namensaktien beschränkt ist.

1.3.1.   Verweigerung primärer Clearing- und Abrechnungsleistungen und Diskriminierung der EB

20.

Die Leistungsverweigerung bestand im vorliegenden Fall in der Verwehrung des Zugangs zu CASCADE RS. Ohne diesen Zugang konnte die EB für Geschäfte mit Namensaktien keine Clearing- und Abrechnungsleistungen über die Plattform CASCADE erhalten, diese Leistungen aber für andere Geschäfte nach wie vor in Anspruch nehmen. Der Tatbestand der Leistungsverweigerung, d. h. die Weigerung, für die EB bei Namensaktien primäre Clearing- und Abrechnungsleistungen zu erbringen, ergibt sich aus mehreren Faktoren: an Clearstream führt als Handelspartner kein Weg vorbei, die EB konnte die nachgefragten Leistungen nicht durch andere ersetzen und die Leistungsverweigerung schadete der Innovation und dem Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt. Darüber hinaus führte die wachsende Bedeutung von Namensaktien in Deutschland dazu, dass für den etablierten Clearstream-Kunden EB weniger Dienstleistungen erbracht wurden als zuvor. Zudem wurden die berechtigten Erwartungen der EB, innerhalb einer angemessenen Frist von der Clearstream die gewünschten primären Clearing- und Abrechnungsleistungen zu erhalten, nicht erfüllt.

21.

Eine Diskriminierung durch Clearstream liegt auch deshalb vor, weil die Hinhaltetaktik gegenüber der EB mit dem Verhalten bei anderen Kunden kontrastiert, für die gewünschte Leistungen innerhalb einer angemessenen Frist erbracht wurden.

1.3.1.1.   Die Leistungsverweigerung

22.

Die Prüfung der Marktzugangsschranken, die potenzielle Konkurrenten überwinden müssen, wollen sie die beherrschende Stellung der CBF auf dem relevanten Markt angreifen, hat gezeigt, dass an der CBF als Handelspartner kein Weg vorbeiführt, da sie weder durch einen anderen Anbieter noch durch andere Dienste ersetzt werden kann. Durch ihre Weigerung, für die EB primäre Clearing- und Abrechnungsleistungen für Namensaktien zu erbringen, hat Clearstream die Möglichkeiten der EB eingeschränkt, auf dem nachgelagerten Markt für grenzübergreifendes Clearing und grenzübergreifende Abrechnung von EU-Wertpapiergeschäften europaweit umfassende und innovative Leistungen zu erbringen. Da Namensaktien die international im größten Maßstab gehandelten deutschen Aktien sind, dürften sie in den Transaktionen der Kunden internationaler Zentralverwahrer vertreten sein.

23.

Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass das Verhalten der Clearstream in der Absicht begründet lag, die eigenen Dienstleistungen oder Tätigkeiten effizienter zu gestalten oder den Nutzen für die eigenen Kunden zu erhöhen. Weder das Eine noch das Andere wurde von Clearstream geltend gemacht. Vielmehr müssen die wirtschaftlichen Motive und tatsächlichen Auswirkungen dieser Leistungsverweigerung vor dem Hintergrund der gesamten Finanzgruppe, der die CBF angehört, betrachtet werden. Die Clearstream Banking Luxembourg (CBL), eine Schwestergesellschaft der CBF und wie diese Tochter der Clearstream International-Holding (CI), ist neben der EB der einzige andere internationale Zentralverwahrer in der EU, weswegen das Unternehmen auf dem nachgelagerten Markt für Sekundärclearing und -abrechnung grenzübergreifender Geschäfte in unmittelbarer Konkurrenz zur EB steht. Typische Kunden internationaler Zentralverwahrer, wie umsatzstarke institutionelle Anleger, die einen internationalen Zentralverwahrer als zentrale und einzige Anlaufstelle in der EU in Anspruch nehmen wollen, profitieren von innovativen Dienstleistungen, wie die EB sie anbietet. Die Leistungsverweigerung der Clearstream erschwerte es der EB daher, innovative sekundäre Clearing- und Abrechnungsleistungen für grenzübergreifende Wertpapiergeschäfte anzubieten.

1.3.1.2.   Diskriminierung: die Hinhaltetaktik gegenüber der EB kontrastiert mit der Behandlung vergleichbarer Kunden

24.

Die EB beantragte den Zugang zu CASCADE RS am 3. August 1999 und erhielt diesen von Clearstream erst am 19. November 2001. Eingehend untersucht werden in der Entscheidung

die erstmalige Zugangsverweigerung zwischen August 1999 und November 2000, als die EB in dem Glauben gelassen wurde, der Zugang werde gewährt (so wurden u.a. Detailfragen erörtert, Fortbildungen abgehalten und eine zwei-/dreiwöchige Vorankündigung des Transfers vom Namensaktienkonto erbeten);

die nachfolgende Weigerung von Dezember 2000 bis zum 19. November 2001. In dieser Zeit intervenierte die CI-Führungsspitze und zögerte den Zugang zu CASCADE RS dadurch hinaus, dass sie ihn an die Aushandlung einer neuen Vereinbarung mit der EB knüpfte. Die Frage des Zugangs in diesem fortgeschrittenen Stadium mit der Neuaushandlung des Gesamtvertrags zu verknüpfen, ist nicht gerechtfertigt, da auf technischer Ebene alle Vorbereitungen getroffen waren und der Zugang letztendlich ohne Aushandlung einer neuen Vereinbarung gewährt wurde.

25.

Die Wartezeit zwischen Antragstellung und Gewährung des Zugangs zu CASCADE RS geht über das als angemessen anzusehende Maß von höchstens vier Monaten hinaus. Bei Zugrundelegung dieser viermonatigen Frist hätte der Zugang, nachdem der Antrag am 3. August 1999 gestellt wurde, am 3. Dezember 1999 gewährt werden müssen. Bei der Beurteilung der Frage, welche Wartezeit als angemessen zu betrachten ist, werden in der Entscheidung die internen Vorbereitungen beider Seiten (zunächst bei den Probeläufen zu der für den 4. Dezember 2000 geplanten Freischaltung von CASCADE RS und danach im Vorfeld der für den 19. November 2001 geplanten Freischaltung) berücksichtigt. In beiden Fällen sahen die internen Planungen einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten vor. Darüber hinaus erhielten Zentralverwahrer, die Zugang zu CASCADE RS beantragt hatten, diesen entweder fast unmittelbar oder in maximal einem Monat und wurde der CBL innerhalb von vier Monaten Zugang gewährt.

1.3.1.3.   Schlussfolgerung in Bezug auf die Leistungsverweigerung und die Diskriminierung bei der Leistungserbringung

26.

In ihrer Entscheidung gelangt die Kommission aus oben genannten Gründen zu dem Schluss, dass Clearstream der EB zwischen dem 3. Dezember 1999 und dem 19. November 2001 in ungerechtfertigter Weise und für unangemessen lange Zeit primäre Clearing- und Abrechnungsleistungen für Geschäfte mit Namensaktien verweigert und damit gegen Artikel 82 EG-Vertrag verstoßen hat. Da Clearstream der EB diese Leistungen verwehrt, für vergleichbare Kunden aber prompt erbracht hat, stellt diese Leistungsverweigerung ebenfalls eine Diskriminierung dar.

1.3.2.   Preisliche Diskriminierung bei primären Clearing- und Abrechnungsleistungen

27.

Zwischen Ende 1996 und dem 1. Januar 2002 stellte Clearstream Euroclear X EUR pro Transaktion in Rechnung, während sie von nationalen Zentralverwahrern Y EUR verlangte (wobei X 20 % über Y liegt). Im Gegensatz zu Zentralverwahrern zahlte Euroclear darüber hinaus auch eine Jahresgebühr, mit der zu einem Teil Abrechnungsleistungen abgegolten wurden.

28.

Ausgehend von den von der CBF vorgelegten Informationen wird in der Entscheidung die Auffassung vertreten, dass die primären Clearing- und Abrechnungsleistungen, die die CBF im grenzüberschreitenden Wertpapiergeschäft für nationale und internationale Zentralverwahrer erbringt, inhaltlich die gleichen sind.

29.

Das Fehlen einer objektiven Begründung für diesen Preisunterschied wird in der Entscheidung eingehend untersucht. Hier muss betont werden, dass die Clearstream nicht über eine nach Kunden aufgeschlüsselte Kostenrechnung verfügt und trotz wiederholter Anfragen keinen akzeptablen, durch Kosten gerechtfertigten Grund für den Preisunterschied genannt hat.

30.

Abschließend entschied die Kommission, dass die Clearstream mit ihrem Verhalten, der EB für primäre Clearing- und Abrechnungsleistungen ein Transaktionsentgelt von X EUR, nationalen Zentralverwahrern zum gleichen Zeitpunkt für die gleichen Leistungen aber nur Y EUR pro Transaktion in Rechnung zu stellen, die EB ohne objektive Grund und ohne jeglichen Nutzen für die Verbraucher diskriminiert und damit gegen Artikel 82 EG-Vertrag verstoßen hat.

2.   VERZICHT AUF GELDBUSSEN

31.

Der Verzicht auf Geldbußen hat im vorliegenden Fall mehrere Gründe.

Dies ist die erste Entscheidung in einer komplexen Branche

32.

Für den Bereich Clearing und Abrechnung fehlt es der Gemeinschaft an Entscheidungspraxis und Rechtsprechung. Neuland stellt insbesondere die eingehende Analyse des Ablaufs von Clearing und Abrechnung für die Zwecke der Marktdefinition dar. In der Entscheidung wird der relevante Markt analysiert und dabei zwischen Primär- und Sekundärclearing- und -abrechnung unterschieden und werden andere branchenspezifische Themen, wie die interne Abwicklung von Kundenaufträgen, untersucht.

Die Zuwiderhandlung ist abgestellt

33.

Zwar stellt die Tatsache, dass die Zuwiderhandlung abgestellt ist, an sich keinen Grund dar, von der Verhängung einer Geldbuße abzusehen, doch sollten gleichzeitig andere Faktoren, wie die Tatsache, dass mit dieser Entscheidung Neuland beschritten wird, berücksichtigt werden.

Clearing und Abrechnung im EU-internen grenzübergreifenden Wertpapierhandel befinden sich am Scheideweg

34.

Die Clearingbranche in der EU ist in Bewegung, was insbesondere für grenzüberschreitende Geschäfte gilt, um die es im vorliegenden Fall geht. Themen, die mit den Funktionen von Dienstleistungserbringern, dem möglichen Umfang der internen Abwicklung von Kundenaufträgen, der Rolle von nationalen und internationalen Zentralverwahrern und deren Beziehung zu großen Depotbanken in Zusammenhang stehen, werden derzeit von unterschiedlichen Stellen diskutiert. Wenngleich diese nicht gänzlich mit dem Gegenstand der Entscheidung übereinstimmen, ist dennoch ein gewisser Zusammenhang vorhanden.

35.

Vor diesem Hintergrund scheint der Verzicht auf Geldbußen angemessen. Selbst ohne die Verhängung von Geldbußen muss die Kommission insbesondere im Hinblick auf Clearstream und andere Unternehmen die Rechtslage in Form einer Entscheidung klären.

3.   SCHLUSSFOLGERUNG

36.

In der Entscheidung wird festgestellt, dass die Clearstream durch ihre ungerechtfertigte und unangemessen lange Weigerung, für die EB primäre Clearing- und Abrechnungsleistungen für Geschäfte mit Namensaktien zu erbringen, sowie durch ihre Diskriminierung der EB bei Erbringung dieser Leistungen gegen Artikel 82 EG-Vertrag verstoßen hat. Es wird ferner festgestellt, dass Clearstream die EB preislich diskriminiert hat.


(1)  ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1.

(2)  Bei einem Zentralverwahrer oder CSD (Central Securities Depository) handelt es sich um eine Stelle, die Wertpapiere verwahrt und verwaltet und die Abwicklung von Wertpapiergeschäften per Bucheintrag ermöglicht. In seinem Herkunftsland wickelt der Zentralverwahrer die Geschäfte mit den bei ihm hinterlegten (von ihm endverwahrten) Wertpapiere ab. In dieser Funktion wird er „Zentralverwahrer des Emissionslandes“ genannt und ist kein Zwischenverwahrer. Darüber hinaus kann er bei Clearing und Abrechnung grenzübergreifender Geschäfte, bei denen die erstmalige Hinterlegung der Wertpapiere in einem anderen Land erfolgt ist, als Zwischenverwahrer Abwicklungsdienste anbieten.

(3)  Ein ICSD (International Central Securities Depository) ist eine Einrichtung, deren Kerngeschäft in Clearing und Abrechnung internationaler (nicht inländischer) Wertpapiergeschäfte besteht, bei denen es sich traditionell um Eurobond-Geschäfte handelt. In der EU gibt es derzeit zwei internationale Zentralverwahrer: Euroclear Bank (EB) mit Sitz in Belgien und Clearstream Banking Luxembourg (CBL), eine Tochtergesellschaft der Clearstream International SA und Schwester der Clearstream Banking AG. Ein ICSD kann darüber hinaus noch andere Dienste anbieten, wie die Zwischenverwahrung von Aktien.

(4)  Definition von Primärclearing und -abrechnung unter Randnummer (13).

(5)  Im Gegensatz zur Sonderverwahrung können Clearing und Abrechnung bei der Girosammelverwahrung vertretbarer Wertpapiere, die in Deutschland zurzeit die einzige bedeutende Form der Verwahrung darstellt, per Bucheintrag erfolgen.

(6)  Wenngleich die Argumentation der EB auf den ersten Blick überraschen mag, lässt sie sich doch dadurch erklären, dass die EB Zentralverwahrer in mehreren Mitgliedstaaten (UK, FR, NL, BE) besitzt und deshalb nicht an einem Präzedenzfall interessiert ist, der eine Definition des relevanten Markts begründen könnte, bei der in künftigen Fällen eine marktbeherrschende Stellung festgestellt werden könnte.