8.7.2010   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

CE 184/57


Freitag, 24. April 2009
Frauenrechte in Afghanistan

P6_TA(2009)0309

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. April 2009 zu Frauenrechten in Afghanistan

2010/C 184 E/11

Das Europäische Parlament,

unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zu Afghanistan und insbesondere seine Entschließung vom 15. Januar 2009 zur Kontrolle der Ausführung von EU-Mitteln in Afghanistan (1),

unter Hinweis auf die Gemeinsame Erklärung der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu Afghanistan und der Wolesi Jirga (Unterhaus des afghanischen Parlaments) vom 12. Februar 2009,

in Kenntnis der Abschlusserklärung der Internationalen Afghanistan-Konferenz vom 31. März 2009 in Den Haag,

in Kenntnis der von den an der Sitzung des Nordatlantikrates am 4. April 2009 in Straßburg/Kehl teilnehmenden Staats- und Regierungschefs abgegebenen Erklärung des NATO-Gipfels zu Afghanistan,

in Kenntnis der Gemeinsamen Erklärung der Außenminister der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten vom 6. April 2009 zur Gesetzgebung in Afghanistan,

gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,

A.

in der Erwägung, dass Afghanistan Vertragspartei mehrerer internationaler Instrumente zu den Menschenrechten und Grundfreiheiten ist, insbesondere des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und des Übereinkommens über die Rechte des Kindes,

B.

in der Erwägung, dass die afghanische Verfassung vom 4. Januar 2004 in Artikel 22 bestimmt, dass die Bürger Afghanistans, Männer wie Frauen, gleiche Rechte und gleiche Pflichten vor dem Gesetz haben, und in der Erwägung, dass die Verfassung den von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträgen entspricht,

C.

in der Erwägung, dass der afghanische Familienkodex seit Ende der 1970er Jahre bestimmte Bestimmungen enthält, mit denen Frauen Rechte in den Bereichen Gesundheit und Bildung zugestanden werden, und dass dieser Kodex zurzeit überarbeitet wird, um ihn in Einklang mit der Verfassung aus dem Jahre 2004 zu bringen,

D.

in der Erwägung, dass im Juni 2002 im Zuge des Übereinkommens von Bonn vom 5. Dezember 2001 unter dem Vorsitz von Sima Samar eine unabhängige Menschenrechtskommission eingesetzt wurde und dass dieser Kommission im Rahmen der Verteidigung der Menschenrechte eine Schlüsselrolle zukommt,

E.

in der Erwägung, dass der von den beiden Kammern des afghanischen Parlaments kürzlich gebilligte Gesetzesentwurf zum persönlichen Statut schiitischer Frauen, die Bewegungsfreiheit der Frauen in hohem Maße einschränkt, da ihnen das Recht, ihre Wohnung zu verlassen, versagt wird, es sei denn, dies erfolgt zu „legitimen Zwecken“, da von den Frauen verlangt wird, dass sie sich den sexuellen Wünschen ihrer Ehemänner unterwerfen und damit die „eheliche Vergewaltigung“ legitimiert wird, und da die Diskriminierung von Frauen in den Bereichen Eheschließung, Scheidung, Erbrecht und Zugang zu Bildung gefördert wird, was alles den internationalen Normen im Bereich der Menschenrechte und insbesondere im Bereich der Rechte der Frau widerspricht,

F.

in der Erwägung, dass dieser Gesetzesentwurf, von dem zwischen 15 und 20 % der Bevölkerung betroffen wären, noch nicht in Kraft getreten ist, weil er trotz seiner Unterzeichnung durch den Präsidenten von Afghanistan, Hamid Karzai, noch nicht im Amtsblatt der Regierung veröffentlicht wurde;

G.

in der Erwägung, dass dieser Gesetzesentwurf aufgrund der Kritiken aus Afghanistan wie auch aus dem Ausland an das afghanische Justizministerium zurückverwiesen wurde, um zu prüfen, inwieweit dieser Gesetzestext mit den von der afghanischen Regierung in Bezug auf die internationalen Übereinkommen über die Rechte der Frau, auf die Menschenrechte im Allgemeinen und auf die Verfassung eingegangenen Verpflichtungen vereinbar ist,

H.

in der Erwägung, dass die Gewalt gegen Aktivisten und insbesondere gegen Aktivisten, die die Rechte der Frau verteidigen, bis auf den heutigen Tag anhält und dass viele dieser Aktivisten Opfer von Militanten und Radikalen geworden sind, darunter Sitara Achakzai, eine afghanische Verteidigerin der Frauenrechte und Mitglied des Provinzialrats von Kandahar, die außerhalb ihrer Wohnung ermordet wurde, ferner Gul Pecha und Abdul Aziz, die getötet wurden, nachdem sie unmoralischer Handlungen beschuldigt und von einem Rat konservativer Kleriker zum Tode verurteilt worden waren, sowie Malai Kakar, die erste Polizistin in Kandahar, die das Referat Verbrechen gegen Frauen in dieser Stadt leitete,

I.

in der Erwägung, dass der 23-jährige afghanische Journalist Perwiz Kambakhsh zum Tode verurteilt wurde, weil er einen Artikel über die Rechte der Frau im Islam in Umlauf brachte, und diese Strafe nach energischen internationalen Protesten in eine 20-jährige Gefängnisstrafe umgewandelt wurde,

J.

in der Erwägung, dass nach wie vor Fälle von Drohungen gegen Frauen und von Einschüchterung von Frauen, die ein öffentliches Leben führen oder außerhalb der Familienwohnung arbeiten, berichtet werden und dass diese Fälle auch von UN-Berichten bestätigt werden; in der Erwägung ferner, dass in letzter Zeit auf Probleme hingewiesen wurde, die Beteiligung von Mädchen im Bildungssystem auszuweiten, was von militanten und radikalen Kräften bekämpft wird,

K.

in der Erwägung, dass in den vergangenen Jahren über mehrere Fälle berichtet wurde, in denen junge Frauen den Freitod gewählt haben, um Zwangsheiraten oder ehelicher Gewalt zu entgehen,

1.

fordert die Überarbeitung des oben genannten Gesetzesentwurfs über den persönlichen Status der schiitischen Frauen in Afghanistan, dessen Inhalt eindeutig nicht dem in der Verfassung und in den internationalen Übereinkommen festgelegten Grundsatz der Gleichheit zwischen Männern und Frauen entspricht;

2.

weist nachdrücklich auf die Gefahren einer Verabschiedung von Rechtsvorschriften hin, deren Anwendung auf bestimmte Teile der Bevölkerung beschränkt bleibt und die damit zwangsläufig Diskriminierung und Ungerechtigkeit fördern;

3.

empfiehlt dem afghanischen Justizministerium die Abschaffung aller Gesetze, mit denen eine Diskriminierung gegen Frauen eingeführt wird und die den internationalen Verträgen, denen Afghanistan beigetreten ist, widersprechen;

4.

hält es für die demokratische Entwicklung des Landes für wesentlich, dass sich Afghanistan zugunsten der Menschenrechte im Allgemeinen und insbesondere zugunsten der Rechte der Frauen engagiert, die für die Entwicklung des Landes von entscheidender Bedeutung sind und die umfassend in den Genuss ihrer Grundrechte und ihrer demokratischen Rechte gelangen müssen; bekräftigt seine Unterstützung für die Bekämpfung aller Formen der Diskriminierung, auch der Diskriminierung aufgrund der Religion oder des Geschlechts;

5.

erinnert daran, dass im Strategiepapier der Europäischen Union in Bezug auf Afghanistan für den Zeitraum 2007-2013 die Gleichstellung von Männern und Frauen und die Rechte der Frau als vorrangiges Thema der nationalen Entwicklungsstrategie für Afghanistan betrachtet werden;

6.

begrüßt den Mut der afghanischen Frauen, die in Kabul gegen den neuen Gesetzesentwurf manifestiert haben, und bekundet ihnen seine Unterstützung; verurteilt die Gewaltakte, denen sie bei diesen Kundgebungen zum Opfer gefallen sind, und fordert die afghanischen Behörden auf, den Schutz dieser Frauen zu gewährleisten;

7.

verurteilt die Ermordung der Verteidiger der Menschenrechte und der Emanzipation der afghanischen Frauen, insbesondere die kürzlich erfolgte Ermordung der Regionalabgeordneten Sitara Achikzai;

8.

bekundet sein Entsetzen angesichts der Nachricht, dass der Oberste Gerichtshof Afghanistans die 20-jährige Gefängnisstrafe, die gegen Perwiz Kambakhsh wegen Gotteslästerung verhängt worden war, bestätigt hat, und ersucht Präsident Karzai, Perwiz Kambakhsh zu begnadigen und seine Freilassung zu genehmigen;

9.

fordert die afghanischen Behörden auch auf örtlicher Ebene auf, alle erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen, um Frauen gegen sexuelle Gewalt und gegen andere Formen der Gewalt aufgrund des Geschlechtes zu schützen und die Urheber solcher Gewaltakte gerichtlich zu belangen;

10.

vertritt die Auffassung, dass die Fortschritte im Bereich der Gleichstellung von Männern und Frauen, die in den vergangenen Jahren unter großen Anstrengungen erreicht worden sind, unter keinen Umständen parteipolitischen Vorwahl-Feilschereien zum Opfer fallen dürfen;

11.

befürwortet nachdrücklich weibliche Kandidaturen für die für den 20. August 2009 vorgesehenen Präsidentschaftswahlen und besteht auf einer umfassenden Beteiligung der afghanischen Frauen am Beschlussfassungsprozess als Teil weiterer Rechte, die auch das Recht von Frauen beinhalten sollten, für hohe Staatsämter gewählt und nominiert zu werden;

12.

fordert den Rat, die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, das Thema des Gesetzes über den persönlichen Status schiitischer Frauen und jede Form der Diskriminierung gegen Frauen und Kinder immer wieder anzusprechen und deutlich zu machen, dass sie nicht hinnehmbar sind und mit dem langfristigen Engagement der internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung Afghanistans bei den Wiederherstellungs- und Wiederaufbaubemühungen des Landes unvereinbar sind;

13.

fordert die Kommission auf, dem afghanischen Ministerium für Frauenangelegenheiten umgehend eine Finanz- und Planungshilfe zukommen zu lassen und die systematische Einbeziehung eines Gleichstellungsansatzes in ihrer gesamten Entwicklungspolitik in Afghanistan zu fördern;

14.

ruft den Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für die Frau (UNIFEM) zu besonderer Wachsamkeit auf;

15.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie der Regierung und dem Parlament der Islamischen Republik Afghanistan und der Präsidentin der unabhängigen Menschenrechtskommission zu übermitteln.


(1)  Angenommene Texte, P6_TA(2009)0023.