18.5.2010 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 128/65 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse: Wie sollte die Zuständigkeitsverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten aussehen?“
(Initiativstellungnahme)
(2010/C 128/11)
Berichterstatter: Raymond HENCKS
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Plenartagung am 26. Februar 2009, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse: Wie sollte die Zuständigkeitsverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten aussehen?“
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2009 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 457. Plenartagung am 4./5. November (Sitzung vom 4. November) mit 155 gegen 1 Stimme bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Gegenstand der Initiativstellungnahme
1.1. In seinem Aktionsplan „Ein Programm für Europa: die Vorschläge der Zivilgesellschaft“ (CESE 593/2009) hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) die Bedeutung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse hervorgehoben, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert und in dem einschlägigen Protokoll zum Vertrag von Lissabon definiert sind.
1.2. Das vorgenannte Protokoll über Dienste von allgemeinem Interesse ist eine wichtige Neuerung durch den Vertrag von Lissabon, insofern als es alle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DAI) abdeckt und zum ersten Mal in einem Vertrag den Begriff „nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ (NDAI) im Gegensatz zu „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ (DAWI) einführt.
1.3. Das Protokoll ist keine bloße Erklärung zur Auslegung der Verträge und der gemeinsamen Werte der Union hinsichtlich der DAI, sondern ist eine an die Union und die Mitgliedstaaten gerichtete Handlungsanleitung. Der Nutzer, die Befriedigung seiner Bedürfnisse, seine Präferenzen und seine Rechte werden in den Mittelpunkt der Bestimmungen gestellt, und es werden gemeinsame Prinzipien für ein hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung und Förderung des universellen Zugangs festgelegt.
1.4. In seinem „Programm für Europa“ schlägt der EWSA die Ausarbeitung einer gemeinschaftlichen Initiative vor, um eine echte Debatte zur Festlegung von Leitlinien für die DAI in Gang zu bringen, die im Kontext der Globalisierung von Bedeutung für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt sind und dem im Lissabon-Vertrag festgelegten Ziel dienen müssen, die Rechte der Nutzer und deren universellen Zugang zu diesen Dienstleistungen zu fördern.
1.5. Durch den Vertrag von Lissabon wird zum ersten Mal - mit Artikel 14 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) - für den Gemeinschaftsgesetzgeber eine auf die DAWI allgemein anwendbare Rechtsgrundlage eingeführt, die sich unterscheidet von der binnenmarktbezogenen Rechtsgrundlage, auf der die branchenspezifischen Richtlinien zur Liberalisierung der Netzdienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (elektronische Kommunikation, Strom, Gas, öffentlicher Verkehr, Post) fußen.
1.6. Der Schwerpunkt von Artikel 14 liegt auf den wirtschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen, die für die Erfüllung der besonderen Aufgaben der DAWI erforderlich sind. Der Rat und das Europäische Parlament sind aufgefordert, über Verordnungen die entsprechenden Rechtsvorschriften zu schaffen.
1.7. Entsprechend den in seinem „Programm für Europa“ formulierten Gedanken geht es dem EWSA in dieser Initiativstellungnahme um die Umsetzung von Artikel 14 des Vertrags von Lissabon; er möchte den möglichen Mehrwert und Inhalt von Rechtsetzungsinitiativen der EU-Organe untersuchen, um folgende Fragen zu klären:
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Wer definiert die DAI, ihre Ziele, Aufgaben und die damit einhergehenden Zuständigkeiten? |
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Welche Formen kann diese Definition annehmen? |
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In welchen Bereichen könnten gemeinschaftlich definierte DAI zur Erreichung der Ziele der Union nötig sein? |
2. Definition, Ziele und Aufgaben der DAI sowie Zuständigkeiten
2.1. Im Protokoll zum Vertrag von Lissabon wird zum ersten Mal der Begriff „nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ (NDAI) eingeführt, während bis dahin in den Verträgen nur von „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ (DAWI) die Rede war.
2.2. Das dem Vertrag von Lissabon beigefügte Protokoll über die DAI bestätigt einerseits die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die NDAI (allerdings vorbehaltlich der Wahrung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts) und andererseits „die wichtige Rolle und den weiten Ermessensspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden in der Frage, wie Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse auf eine den Bedürfnissen der Nutzer so gut wie möglich entsprechende Weise zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind“.
2.3. Seit dem Vertrag von Amsterdam (1997) ist im EG-Vertrag (Artikel 16) eindeutig eine zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit und Verantwortung für DAWI festgelegt, insofern als „die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse im Anwendungsbereich dieses Vertrags dafür Sorge [tragen], dass die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, dass sie ihren Aufgaben nachkommen können“.
2.4. Diese geteilte Zuständigkeit ist jedoch derzeit längst nicht geklärt, was für alle betroffenen Akteure (Behörden, Dienstleister, Regulierungsagenturen, Nutzer, Zivilgesellschaft) zu Unsicherheiten und damit zu zahlreichen Fragen zur Vorabentscheidung und Rechtsstreitigkeiten vor dem Europäischen Gerichtshof führt. Da der EuGH auf der Grundlage des bestehenden Rechts, das für die DAI bzw. DAWI wenig entwickelt ist, sowie auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung von Fall zu Fall entscheidet, unterliegen die Behörden und lokalen Gebietskörperschaften offensichtlich mehr und mehr dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft, insbesondere wenn die öffentlichen Dienstleistungen zusammen mit anderen Partnern erbracht werden.
2.5. Die angeführten „Bedürfnisse der Nutzer“, Privatpersonen wie Unternehmen sind jedoch als Schlüsselelement zu werten, das es zu beachten gilt, denn die Einführung von DAWI ist nur insoweit gerechtfertigt, als sie die Erfüllung von Gemeinwohlaufgaben zugunsten derjenigen ermöglicht, die davon in erster Linie profitieren.
2.6. Die Festlegung von Art und Tragweite der Aufgabe einer DAWI in bestimmten Handlungsbereichen, die entweder nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen oder auf einer begrenzten bzw. geteilten Zuständigkeit gründen, obliegt grundsätzlich den Mitgliedstaaten.
2.7. Die Gemeinschaftsinstitutionen und insbesondere die Europäische Kommission werden in dem Protokoll aufgefordert, „die Vielfalt“ der DAWI sowie „die Unterschiede bei den Bedürfnissen und Präferenzen der Nutzer, die aus unterschiedlichen geografischen, sozialen oder kulturellen Gegebenheiten folgen können“, zu berücksichtigen.
2.8. Bei der von der Kommission durchgeführten Kontrolle, ob durch den von den Mitgliedstaaten festgelegten Definitionsbereich der DAWI die Vertragsbestimmungen eingehalten wurden, wird sie die Einzigartigkeit der Denkweise der Öffentlichkeit und der demokratischen Entscheidungen der einzelnen Mitgliedstaaten künftig verstärkt berücksichtigen müssen. Grenzen, Inhalt und Durchführungsmodalitäten der Beurteilung „offenkundiger Fehler“ durch die Kommission sind entsprechend anzupassen, um Konflikten und Rechtsstreitigkeiten soweit möglich vorzubeugen.
2.9. Es besteht derzeit für alle DAI und DAWI in zwei Punkten Unklarheit, was für die Erfüllung ihrer Aufgaben von Nachteil ist:
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welche Kompetenzen und Zuständigkeiten Union, Mitgliedstaaten und lokale Gebietskörperschaften jeweils haben; |
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wann eine Dienstleistung wirtschaftlich und wann sie nichtwirtschaftlich ist, wovon abhängt, welchen Rechtsnormen sie unterliegt. |
2.10. Deshalb ist es, wie in Artikel 14 des Vertrags von Lissabon gefordert, wichtig, dass eine oder mehrere Rechtsetzungsinitiativen für die nötige Klarheit und die erforderlichen Garantien sorgen. Gleichzeitig sind jedoch Art und Besonderheiten der verschiedenen DAWI (wie Sozialdienstleistungen, Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, Unterstützung von benachteiligten Personen und von Menschen mit Behinderungen, Bereitstellung von Sozialwohnungen) zu berücksichtigen. Es geht nicht darum, die DAWI in der gesamten Union einheitlich zu gestalten, sondern Einheit und Vielfalt zu kombinieren: Einheit durch einige gemeinsame Bestimmungen in grundlegenden Bereichen sowie sektorale und nationale Vielfalt.
3. Die Definitionsformen
3.1. Der große Ermessensspielraum, über den die Mitgliedstaaten verfügen, wenn es darum geht, zu bestimmen, was sie als DAWI ansehen, entbindet sie, wenn sie sich auf das Vorliegen einer Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und die Erforderlichkeit ihres Schutzes berufen, nicht von der Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese bestimmte Mindestkriterien erfüllt, die für alle Aufgaben von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne des Vertrags gelten und in der Rechtssprechung präzisiert sind, und nachzuweisen, dass diese Kriterien im vorliegenden Fall eingehalten werdend.
3.2. Es geht insbesondere darum, dass die Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern durch eine staatliche Verfügung übertragen worden sein muss, sowie um die Tragweite und das Wesen dieser Aufgabe. Diese Verfügung des zuständigen Organs muss laut Recht des betreffenden Staates bindend sein: z.B. ein Gesetz, eine Verordnung, ein Vertrag oder eine Vereinbarung.
3.3. Der Mitgliedstaat muss auf der Grundlage der Gemeinschaftsbestimmungen angeben, weshalb er der Auffassung ist, dass die betreffende Dienstleistung es aufgrund ihres besonderen Charakters verdient, als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse eingestuft und von anderen Wirtschaftsaktivitäten auf dem freien Markt unterschieden zu werden.
3.4. Wenn der Mitgliedstaat nicht den Nachweis erbracht hat, dass diese Kriterien erfüllt sind, oder sie nicht einhält, kann dies einen offenkundigen Fehler begründen, den die Kommission beanstanden muss.
3.5. Ein Mitgliedstaat kann eine Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse von mehreren Wirtschaftsteilnehmern einer Branche ausführen lassen, ohne diese jedem einzeln durch Rechtsakt oder einen individuellen Auftrag übertragen zu müssen.
3.6. Alle diese Bestimmungen gehen aus der Rechtssprechung des EuGH hervor, sind jedoch nicht eindeutig durch Sekundärrecht festgelegt und konsolidiert, was bei den verschiedenen Beteiligten zu Rechtsunsicherheit führt oder zumindest von einem Großteil so empfunden wird.
3.7. In der Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt werden bei den Sozialdienstleistungen die vom Staat beauftragten Dienstleister und die karitativen Verbände, die vom Staat als solche anerkannt sind, von denjenigen Dienstleistern unterschieden, die nicht offiziell beauftragt wurden bzw. anerkannt sind.
3.8. Laut ihrem Arbeitsdokument SEK(2007) 1516 (das nur auf Englisch vorliegt), ist die Kommission der Auffassung, dass der Auftrag der offizielle Rechtsakt ist, der das Unternehmen mit der Erbringung einer DAWI betraut und die Aufgabe von allgemeinem Interesse, die das betreffende Unternehmen auszuführen hat, sowie den Umfang der DAWI und die allgemeinen Bedingungen für ihre Funktionsweise festlegt.
3.9. Der Auftrag beinhaltet nach Auslegung der Kommission eine maßgebende Verpflichtung, die Dienstleistung zu erbringen bzw. zur Verfügung zu stellen, ungeachtet der Besonderheit der Dienstleistung. Laut Kommission gilt diese Leistungsverpflichtung nicht für staatlich anerkannte Wohltätigkeitsorganisationen, ohne dass jedoch die für eine solche Anerkennung erforderlichen Bedingungen sowie die dafür notwendige Form präzisiert wären.
3.10. Hinzu kommt, dass eine einem Dienstleister von einer Behörde erteilte „Genehmigung“, die es ihm erlaubt, bestimmte Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, laut Kommission nicht einem Auftrag entspricht und den Wirtschaftsteilnehmer nicht verpflichtet, die entsprechenden Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Aber auch der Begriff „Genehmigung“ findet sich weder im Primär- noch im Sekundärrecht.
3.11. Auch hier lässt sich nicht auf die fallweise Klärung je nach auftretenden Rechtsstreitigkeiten und Schiedssprüchen setzen; vielmehr kann eine im Einvernehmen mit den betroffenen Parteien ergriffene Rechtsetzungsinitiative Klarheit und Rechtssicherheit schaffen.
3.12. Bei einer solchen von den betroffenen Parteien geforderten Klärung müssten die in den Mitgliedstaaten bestehende Situation, die auf Geschichte, Traditionen und Art und Weise der sozialen Organisation zurückzuführen ist, berücksichtigt und ihr Fortbestehen gesichert werden, sofern diese Situation durch Ziele von allgemeinem Interesse sowie die Qualität der Dienstleistungen gerechtfertigt ist.
4. Gemeinschaftsdienstleistungen von allgemeinem Interesse
4.1. In zwei seiner jüngsten Stellungnahmen (Stellungnahmen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Soziale Auswirkungen der Entwicklung im Gesamtbereich Verkehr und Energie“ (CESE 1293/2008), und zu dem „Grünbuch - Hin zu einem sicheren, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen Energienetz“, CESE 1029/2009, Berichterstatterin für beide Stellungnahmen: Laure BATUT) äußert der EWSA die Ansicht, dass Studien darüber durchgeführt werden sollten, ob die Energieversorgung als europäische DAI, die in den Dienst der gemeinsamen Energiepolitik gestellt werden könnte, machbar ist.
4.2. In ihrem Grünbuch „Hin zu einem sicheren, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen Energienetz“ plädiert die Kommission für einen europäischen Fernleitungsnetzbetreiber durch den schrittweisen Aufbau eines unabhängigen Unternehmens, das das Management eines einheitlichen EU-weiten Gastransportnetzes übernimmt.
4.3. Es ist jedoch festzustellen, dass es den Gemeinschaftsinstitutionen und einzelstaatlichen Regierungen bzw. den Mitgliedstaaten im Spannungsfeld zwischen nationalen Unterschieden und gemeinsamen Erfordernissen im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes schwer fällt, sich an den Gedanken einer Gemeinschaftsdienstleistung von allgemeinem Interesse — sei es nun eine DAWI oder eine NDAI — zu gewöhnen. So wurde der Gedanke, europäische Energiedienstleistungen einzuführen, von den politischen Entscheidungsträgern bisher nicht aufgegriffen.
4.4. Dennoch sind Gemeinschaftsdienstleistungen von allgemeinem Interesse notwendig, um den europäischen Integrationsprozess gemeinsam voranzutreiben. Solche Dienstleistungen werden bei der Bewältigung der Herausforderungen, die sich der Union in grundlegenden multinationalen bzw. transnationalen Bereichen wie Energieversorgungssicherheit, Sicherung der Wasserressourcen, Wahrung der Artenvielfalt, Erhaltung der Luftqualität oder innere und äußere Sicherheit stellen, Ausdruck der europäischen Solidarität sein. Es handelt sich hierbei um Dienstleistungen, die nicht von Organisationen auf nationaler oder lokaler Ebene bewältigt werden können. Hingegen fallen personenbezogene Dienstleistungen, wie z.B. Sozialdienste, oder ausschließlich lokale, regionale oder nationale Dienstleistungen von allgemeinem Interesse selbstverständlich nicht in diese Kategorie.
4.5. In diesem Zusammenhang spricht sich der EWSA für öffentlich- (Union und Mitgliedstaaten) private Partnerschaften aus, um die Energieversorgungssicherheit zu erhöhen und eine integrierte Steuerung der Energieverbundnetze (Gas, Strom, Erdöl) sowie den Ausbau des Offshore-Windpark-Netzes und die Anbindung der Windparks an das Landnetz zu erreichen, wodurch die Betriebs- und Investitionskosten erheblich gesenkt und verstärkte Anreize gegeben sein könnten, in neue Netzprojekte zu investieren.
4.6. Im Rahmen der Zuständigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten, z.B. für den Energiemix, weisen die sozialen und gesellschaftlichen Fragen, die mit der Handhabung und Nutzung von natürlichen Ressourcen und Kernkraft, mit der Bewältigung des Klimawandels, mit nachhaltiger Bewirtschaftung und Sicherheit verbunden sind, über die traditionellen Staatsgrenzen hinaus und werden nur in einer europäischen Konzeption des Allgemeininteresses und der entsprechenden Dienstleistungen eine befriedigende Antwort finden.
4.7. Die Tatsache, dass die Staaten grundsätzlich für die Definition von DAWI zuständig sind, schmälert die Kompetenzen der EU, ihrerseits DA(W)I zu definieren, in keiner Weise, wenn das zur Verwirklichung der Ziele der Union nötig erscheint und zu diesen Zielen im Verhältnis steht. Sowohl das Primärrecht als auch das Sekundärrecht und die Rechtsprechung ermöglichen es der Union als Inhaberin öffentlicher Gewalt in den Bereichen, in denen eindeutige oder sogar nur begrenzte bzw. geteilte Zuständigkeit besteht, diese Dienstleistungen unter denselben Bedingungen und nach denselben Regeln wie die Mitgliedstaaten zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben, zu organisieren und zu finanzieren.
4.8. In Artikel 16 EG-Vertrag wird eindeutig eine zwischen der EU und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit und Verantwortung festgelegt, indem es heißt, dass die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse im Anwendungsbereich der Verträge dafür Sorge tragen, dass die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren der DAWI so gestaltet sind, dass diese ihren Aufgaben nachkommen können.
4.9. Die DAWI gehören zu einer Reihe von Zielen der Europäischen Union (Wahrung der Grundrechte, Förderung des Wohls der Bürger, soziale Gerechtigkeit, sozialer Zusammenhalt usw.), die für die Gesellschaft unerlässlich sind. Die Union, die für die Förderung des Lebensstandards und der Lebensqualität europaweit mitverantwortlich ist, trägt auch eine gewisse Verantwortung für die Instrumente zur Wahrnehmung der Grundrechte und zur Erreichung des sozialen Zusammenhalts.
4.10. In den Verträgen sind die Befugnisse der EU klar festgelegt, zu denen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip z.B. auch die Entwicklung von Dienstleistungen und die Einrichtung von Organismen, Agenturen o.Ä. auf Gemeinschaftsebene zählen kann (Verkehrspolitik, transeuropäische Netze, Umweltschutz, Verbraucherschutz, wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt der Union, innere und äußere Sicherheit, Bekämpfung des Klimawandels, Energieversorgungssicherheit usw.).
4.11. Selbst wenn bestimmte Dienste wie die Gemeinschaftsagenturen, z.B. für Sicherheit des Seeverkehrs, Lebensmittelsicherheit, Eisenbahnverkehr und operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, oder auch Dienste wie der „Einheitliche europäische Luftraum“ und „Galileo“ rechtlich nicht als DAI und DAWI ausgewiesen wurden, entsprechen sie aufgrund ihrer Natur einem allgemeinen europäischen Interesse.
4.12. Die Gemeinschaftsinstitutionen sollten also nicht defensiv vorgehen, sondern vielmehr — ohne den Status der jeweiligen Erbringer schon im Vorfeld festzulegen — das Vorhandensein und die Notwendigkeit von Gemeinschaftsdienstleistungen von allgemeinem Interesse in den Bereichen anerkennen, in denen die EU ihre Ziele durch eigenes Handeln effizienter erreichen kann, als wenn die Mitgliedstaaten jeweils einzeln vorgehen.
Brüssel, den 4. November 2009
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Mario SEPI