11.9.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 218/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Zusammenarbeit und Wissenstransfer zwischen Forschungsorganisationen, Industrie und KMU — eine wichtige Voraussetzung für Innovation“ (Initiativstellungnahme)

2009/C 218/02

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Juli 2008 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Zusammenarbeit und Wissenstransfer zwischen Forschungsorganisationen, Industrie und KMU — eine wichtige Voraussetzung für Innovation“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 3. Februar 2009 an. Berichterstatter war Herr WOLF.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 451. Plenartagung am 25./26. Februar 2009 (Sitzung vom 26. Februar) mit 158 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1

Die vorliegende Stellungnahme gilt der Zusammenarbeit und dem Wissenstransfer zwischen Forschungsorganisationen (Research Performing Organisations), Industrie und KMU, denn diese Zusammenarbeit spielt eine entscheidende Rolle, um aus den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung innovative Produkte und Prozesse zu entwickeln.

1.2

Der Ausschuss empfiehlt, die Mitarbeiter in Industrie und KMU systematisch darüber zu informieren, welche Schätze an Wissen und Technologie in den Universitäten und Forschungseinrichtungen der EU verfügbar sind, und wie entsprechende Kontakte herzustellen sind. Dementsprechend empfiehlt der Ausschuss, die Kommission möge sich um ein europaweites (Internet-)Such-System bemühen, welches die bisherigen Informationssysteme integriert und ergänzt, also das spezielle Informationsbedürfnis damit besser als bisher befriedigt.

1.3

Der Ausschuss unterstützt die Bemühungen um einen freien Internetzugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Dieser wird in der Regel allerdings mit erhöhten Kosten für die öffentliche Hand verbunden sein. Darum sollten Vereinbarungen über reziproke Regelungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten sowie mit den außereuropäischen Staaten angestrebt werden. Die Forschungsorganisationen und deren Wissenschaftler sollen dabei nicht in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, für die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse jene Zeitschrift oder jenes Forum zu wählen, welches der weltweiten Verbreitung und Anerkennung ihrer Ergebnisse am besten dient.

1.4

Der Ausschuss empfiehlt, die Überlegungen für einen freien Zugang zu Forschungsdaten weiter zu verfolgen, aber auch die Grenzen derartigen Vorgehens festzulegen. Darunter soll nicht der verfrühte offene Zugang zu jedweden im Forschungsprozess anfallenden Daten einschließlich so genannter Rohdaten gemeint sein. Der Ausschuss empfiehlt eine vorsichtige und schrittweise Vorgehensweise seitens der Kommission unter Einbindung der davon betroffenen Forscher.

1.5

Angesicht der unterschiedlichen Arbeitskulturen von Forschungsorganisationen und Industrie empfiehlt der Ausschuss, für einen fairen Ausgleich der Interessenlagen zu sorgen. Dieser betrifft das Spannungsfeld zwischen frühzeitigem Veröffentlichen der Ergebnisse und notwendiger Geheimhaltung sowie die Rechte am geistigen Eigentum einschließlich Patenten.

1.6

Der Ausschuss begrüßt daher, dass die Kommission inzwischen klargestellt hat, mit ihrer Empfehlung zum Umgang mit geistigem Eigentum selbst bei Auftragsforschung keinesfalls in die freie Vertragsgestaltung zwischen Kooperationspartnern eingreifen zu wollen. Die Empfehlungen der Kommission sollen Hilfestellung geben, aber keinesfalls zum Korsett werden.

1.7

Der Ausschuss wiederholt seine Empfehlungen für ein europäisches Gemeinschaftspatent mit einer angemessenen neuheitsunschädlichen Vorveröffentlichungsfrist (grace period) für die Erfinder.

1.8

Bei der Entwicklung von Forschungsinfrastrukturen, wie z.B. Beschleuniger, Strahlungsquellen, Satelliten, erdgebundene astronomische Geräte oder Fusionsanlagen sind die Forschungseinrichtungen nicht primär Lieferant neuen Wissens, sondern Auftraggeber und Kunde. Der Ausschuss empfiehlt, die bisherigen Erfahrungen bei Anwendung der bestehenden Beihilfe-, Budget-, Vergabe- und Wettbewerbsregeln der EU und der Mitgliedstaaten dahingehend zu überprüfen, ob sie dem Ziel dienlich sind, die in der Industrie bei solchen Aufträgen erworbenen Fähigkeiten und Spezialkenntnisse zum Vorteil der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, aber auch für entsprechende spätere Folgeaufträge, bestmöglich zu erhalten und zu nutzen, oder ob hier neue Ansätze einer diesbezüglichen Industriepolitik nötig werden.

2.   Einleitung

2.1

Der Ausschuss hat zahlreiche Stellungnahmen (1) zu forschungspolitischen Fragen veröffentlicht und dabei insbesondere auf die essenzielle Bedeutung von ausreichend Forschung und Entwicklung für die Ziele von Lissabon und Barcelona, hingewiesen.

2.2

Ein besonders wichtiger Aspekt dieser Empfehlungen betraf die Zusammenarbeit zwischen Forschungsorganisationen einschließlich Universitäten (Public Research Organisations PROs oder Research Performing Organisations), Industrie und KMU und den dazu nötigen Wissenstransfer mit dem Ziel, innovative Prozesse und marktfähige Produkte zu entwickeln. Diesen Aspekt vertiefend konzentriert sich die vorliegende Stellungnahme auf die in den Kapiteln 3 bis 5 angegebenen Themen (a) Veröffentlichungen und Informationen, (b) Zusammenarbeit bei Entwicklung marktfähiger Produkte und Verfahren sowie (c) Zusammenarbeit bei Entwicklung von Forschungsinfrastrukturen (2).

2.3

Diese Themen berühren die Balance - aber auch den Gegensatz - zwischen Zusammenarbeit und Wettbewerb. So ist Zusammenarbeit einerseits notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie gegenüber den außerhalb der EU stehenden Ländern zu erhalten und zu stärken. Andererseits darf die Wettbewerbslage der europäischen Firmen untereinander dadurch nicht verzerrt werden, was durch die den fairen Binnenmarkt sichernden Vorschriften zu staatlichen Beihilfen (Europäisches Beihilferecht) geregelt wird.

2.4

Das dadurch entstehende Spannungsfeld bildet den Hintergrund für die im Weiteren behandelten Fragen und Empfehlungen, insbesondere bezüglich der Rechte am geistigen Eigentum und dem damit verbundenen Problemkreis einer freien Weitergabe von Information.

2.5

Das Thema Zusammenarbeit wurde auch von Kommission und Rat aufgegriffen. Dies hat unter anderem zur Empfehlung der Kommission (3) zum Umgang mit geistigem Eigentum bei Wissenstransfertätigkeiten und für einen Praxiskodex für Hochschulen und andere öffentliche Forschungseinrichtungen geführt. Deren Ziel ist, Mitgliedstaaten und Forschungseinrichtungen zu einem einheitlicheren Vorgehen zu bewegen. Doch hatten gerade diese Empfehlungen, trotz weitgehend sinnvoller Zielsetzungen und Vorschläge, ihrerseits neue Fragen aufgeworfen und bezüglich der Rechte am geistigen Eigentum bei Verbund- und Auftragsforschung zu starken Bedenken seitens davon betroffener Organisationen geführt. Diese Fragen und ihre zwischenzeitliche Klärung seitens der Kommission sind Teil der hier vorliegenden Stellungnahme.

3.   Bekanntmachung von Forschungsaktivitäten und Erkenntnissen

3.1   Wissenschaftliche Veröffentlichungen. Traditionell werden wissenschaftliche Ergebnisse nach Durchlaufen einer stringenten Begutachtungsprozedur („Peer Review“) in gedruckten Fachzeitschriften veröffentlicht, manchmal auch schon vorab seitens der Forschungsinstitute als Pre-Prints oder technische Berichte etc. Außerdem wird darüber auf Fachkonferenzen berichtet und sie werden in deren Proceedings veröffentlicht.

3.1.1   Neue Dimension Internet. Durch das Internet wurde eine neue Dimension der Kommunikation und Wissensvermittlung eröffnet. So werden die meisten wissenschaftlichen Zeitschriften von den Verlagen nun auch in elektronischer Form im Internet publiziert.

3.1.2   Bibliotheken und Kostenfrage. Der Zugang zu gedruckten und auch zu elektronischen Veröffentlichungen ist durch die Bibliotheken der Universitäten und Forschungsorganisationen weitgehend realisiert. Allerdings müssen Universitäten und Forschungsorganisationen finanziell in der Lage sein - und hier besteht ein ernstes Problem (4) -, die damit verbundenen Kosten (für Veröffentlichungen und Abonnements) zu tragen.

3.1.3   Kostenloser Internetzugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Während der Internetzugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen bisher üblicherweise mit Kosten verbunden ist, die entweder von den Bibliotheken bzw. ihren Trägerinstitutionen oder von den Nutzern direkt bezahlt werden müssen, bestehen schon seit längerem Bestrebungen, diesen Zugang für alle Nutzer kostenfrei zu ermöglichen: „Free Open Access“ (5). Hierzu werden diverse Geschäftsmodelle und Zahlungsmodalitäten untersucht, die in einigen Fällen bereits zu konkreten Vereinbarungen geführt haben. Der Ausschuss unterstützt die dementsprechenden Bemühungen. Allerdings werden nicht alle Vereinbarungen für die öffentliche Hand kostenneutral sein. Er empfiehlt daher, sowohl zwischen den Mitgliedstaaten der EU als auch mit den außereuropäischen Staaten reziproke Verhaltensweisen anzustreben.

3.1.3.1   Uneingeschränkte Wahlfreiheit. Die Forschungsorganisationen und deren Wissenschaftler sollen dabei jedoch keinesfalls in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, für die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse jene Zeitschrift oder jenes Forum zu wählen, welches nach ihrem Urteil der weltweiten Verbreitung und Anerkennung ihrer Ergebnisse am besten dient.

3.1.4   Open Access zu Forschungsdaten. Darüber hinaus wurden Vorstellungen (6) entwickelt, um einen allgemeinen - d.h. über den bereits üblichen freiwilligen Datenaustausch zwischen Kooperationspartnern hinausgehenden - „offenen Zugang“ über das Internet nicht nur zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu ermöglichen, sondern auch zu den diesen zu Grunde liegenden Daten. Allerdings ergeben sich damit Fragen organisatorischer, technischer und rechtlicher Art (z.B. Schutz des geistigen Eigentums und Datenschutz) sowie der Qualitätssicherung und der Motivation, die häufig nur disziplinspezifisch zu beantworten sind. Der Ausschuss hält es darum zwar für richtig, solche Überlegungen weiter zu verfolgen, aber auch die Grenzen derartigen Vorgehens festzulegen. Der Ausschuss empfiehlt hierfür eine besonders vorsichtige Vorgehensweise seitens der Kommission, insbesondere unter Einbindung der davon unmittelbar betroffenen Forscher.

3.1.5   Recht auf Vertraulichkeit. Der Ausschuss bekräftigt, dass damit nicht der verfrühte offene Zugang zu jedweden im Forschungsprozess anfallenden Daten einschließlich so genannter Rohdaten gemeint sein darf. Forscher müssen Fehlmessungen, Irrtümer, Interpretationsfragen etc. zunächst klären, in ihrer Bedeutung bewerten und im internen, vertraulichen Meinungsbildungsprozess behandeln, bevor sie ggf. einer Freigabe zustimmen. Ansonsten könnten die Persönlichkeitsrechte der einzelnen Forscher sowie grundlegende Voraussetzungen wissenschaftlicher Arbeit und des Datenschutzes, aber insbesondere Qualitätsstandards und Prioritätsansprüche wissenschaftlicher Veröffentlichungen verletzt werden.

3.2   Information für Firmen und KMU. Viele an Neuentwicklungen interessierte Firmen und KMU sind nur unzureichend darüber informiert, welche Schätze an Wissen und Technologie in den Universitäten und Forschungseinrichtungen der EU überhaupt vorhanden und verfügbar sind, und wie entsprechende Kontakte herzustellen sind, um mögliche Kooperationen anzubahnen. Also besteht hier ein über obige Instrumentarien hinausgehender Bedarf an Information außerhalb des engeren Expertenkreises.

3.2.1   Allgemeinverständliche Veröffentlichungen. Zwar gibt es auch allgemeinverständliche (sog. populärwissenschaftliche) Literatur über wissenschaftliche und technische Themen. Zudem hat sich in den letzten Jahren die Kommission verstärkt und erfolgreich für die Verbreitung wissenschaftlich-technischer Ergebnisse der von ihr unterstützten Forschungsprogramme engagiert, z.B. mit dem exzellenten Magazin research*eu  (7) oder dem Internet-Portal CORDIS  (8). Desgleichen haben Universitäten und Forschungsorganisationen zunehmend damit begonnen, ihre Aktivitäten und Ergebnisse auch im Hinblick auf Wissenstransfer und mögliche Zusammenarbeit im Internet darzustellen (9).

3.2.2   Transfer-Büros. Zudem haben zahlreiche Forschungsorganisationen schon seit längerem eigene und sehr nützliche Wissenstransfer-Büros mit dafür ausgebildeten Fachkräften (Technologietransfer-Beauftragter  (10)) eingerichtet (11). Diese sind allerdings vor allem regional oder auf eine jeweilige Organisation bezogen tätig, so dass deren Nutzung für den europaweit Suchenden dennoch sehr mühsam ist.

3.2.3   Unterstützende Organisationen und Fachberater. Um dem oben beschriebenen Bedürfnis auf europäischer Ebene abzuhelfen, engagieren sich zudem neben der Kommission mehrere Organisationen und Netzwerke, teilweise auch auf kommerzieller Basis: So gibt es beispielsweise EARTO, die Association of European Science and Technology Transfer Professionals oder ProTon (12). Aber auch die Kommission selbst bietet ihre Unterstützung über das KMU-Portal und das European Enterprise Network an (13).

3.2.4   Systematische Suche. Soweit das Anliegen der Industrie/KMU durch die oben genannten Instrumente dennoch nicht ausreichend befriedigt werden kann, empfiehlt der Ausschuss der Kommission, sich - möglichst in Zusammenarbeit mit einer der großen Suchmaschinen-Firmen - darum zu bemühen, diesen Bedarf systematisch durch ein europaweites (Internet-)Such-System zu befriedigen, in welchem die oben genannten Einzelinformationen in einheitlicher und deduzierbarer Form zusammengefasst werden. Als erster Schritt dahin wäre ein Meinungsbildungsprozess erforderlich, der Zielsetzung und Umfang der ersten Stufe eines solchen Suchsystems genauer definiert, um in einer Explorationsphase Erfahrung zu gewinnen.

3.2.5   Personalaustausch. Da die wirksamste Wissensübertragung durch die Köpfe jener Personen geht, die zwischen Forschung und Industrie wechseln, wiederholt der Ausschuss in diesem Zusammenhang seine mehrfache Empfehlung, einen derartigen Personalaustausch generell stärker zu fördern, unter anderem durch ein Stipendiensystem/Sabbatical wie z. B. dem Marie-Curie-Industry-Academia-Stipendium.

4.   Zusammenarbeit bei der Entwicklung marktfähiger Produkte und Verfahren - fairer Interessenausgleich

4.1   Unterschiedliche Arbeitskulturen. Angesichts der vielen dazu bereits vorhandenen und in der Einleitung zitierten Dokumente und Empfehlungen muss sich dieses Kapitel auf einige ausgewählte Fragen und Probleme konzentrieren, welche ihre Wurzeln hauptsächlich in den notwendig unterschiedlichen Arbeitskulturen und Interessenlagen von Forschung und Industrie haben. Ein Teil dieser Unterschiede wurde vom Ausschuss bereits ausführlich in seiner ersten Stellungnahme (14) zum Europäischen Forschungsraum angesprochen und später wiederholt aufgegriffen. Die wesentlichen betreffen:

4.2   Veröffentlichung und Geheimhaltung

Forschung benötigt die frühzeitige Veröffentlichung ihrer Ergebnisse, um so anderen Wissenschaftlern und Forschungsgruppen die Möglichkeit der Nachprüfung zu bieten. Darüber hinaus dient dies der Synergie, welche aus unverzüglicher wechselseitiger Kommunikation innerhalb der „Scientific Community“ hervorgeht, insbesondere dann, wenn mehrere Laboratorien an einem gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsprogramm zusammenarbeiten.

Auch die öffentliche Hand muss üblicherweise auf einer frühzeitigen Veröffentlichung der Ergebnisse der von ihr geförderten Forschung bestehen, um Förder- und Wettbewerbsgerechtigkeit zu gewährleisten.

Dennoch müssen derzeit auch mit öffentlichen Mitteln geförderte Forschungseinrichtungen im Falle von erfindungsträchtigen Ergebnissen zuerst eine Patentanmeldung einreichen, bevor sie ihre Ergebnisse veröffentlichen, da dies sonst neuheitsschädlich und somit nicht patentfähig wäre. Diese Notwendigkeit, welche ebenso für Open Access gilt, wird auch in der Empfehlung der Kommission zum Umgang mit geistigem Eigentum (15) hervorgehoben.

Um den daraus resultierenden Zielkonflikt zu entschärfen, hat der Ausschuss wiederholt empfohlen, im Patentrecht der Mitgliedstaaten sowie im zukünftigen Gemeinschaftspatentrecht eine neuheitsunschädliche Vorveröffentlichungsfrist (16) (grace period) einzuräumen.

Demgegenüber muss eine Firma in der Regel - mit Rücksicht auf ihre Wettbewerbssituation - zumindest so lange an einer vertraulichen Behandlung der Ergebnisse ihrer Produktentwicklung interessiert sein, bis ein marktreifes neues Produkt angeboten werden kann oder die entsprechenden Patente gesichert sind.

4.3   Suchendes Forschen - zielgerichtetes Entwickeln. Das Produkt des Forschers sind Erkenntnisse, die aus einem komplexen Such- und Erkundungsprozess gewonnen werden, dessen Ausgang unbekannt ist. Demgegenüber umfasst Entwickeln eine zielgerichtete, durchgeplante Vorgehensweise, die erst dann einsetzt, wenn ein konkretes Ziel definiert werden kann und der Weg hinreichend klar ist. Dennoch gibt es fließende Übergänge, Wechselwirkungen und Synergien zwischen Forschen und Entwickeln, ja nicht einmal notwendig eine lineare Abfolge dieser Prozesse.

4.4   Unterschiedliche Bewertungskriterien. Der Forscher und „seine“ Forschungsorganisation werden nach der Qualität, der Anzahl und dem „Impact“ seiner/ihrer Veröffentlichungen (17) und Erkenntnisse beurteilt, zunehmend auch nach der Anzahl der Patente. Demgegenüber wird der Manager primär nach dem kommerziellen Gewinn „seiner“ Firma bewertet, welcher wiederum von der Anzahl, der Qualität und dem Preis der verkauften Produkte abhängt.

4.5   Synthese. Also muss man diese Gegensätze überbrücken und einen fairen Interessenausgleich herstellen, der beiden kooperierenden, ungleichen Partnern Vorteile bringt. Um hierfür die leistungsfähigsten Forscher und deren Organisationen zu gewinnen, muss dazu auch ein hinreichender Anreiz gegeben sein. Dabei „kann es der Zusammenarbeit abträglich sein, wenn die Rechte an Forschungsleistungen vollständig auf die auftraggebenden Firmen übergehen (18). Der Grund dafür ist, dass „neue Kenntnisse“ (Foreground) aus den „bestehenden Kenntnissen“ (Background) evolutionär herauswachsen und damit wesensmäßig entscheidende Elemente der „bestehenden Kenntnisse“ enthalten, dass letztere also ein inhärenter Teil der neuen Kenntnisse sind. Darum wird bei den Vereinbarungen über die Rechte am geistigen Eigentum und den damit verbundenen Abwägungsprozessen Flexibilität und Freiraum benötigt, um individuelle Gegebenheiten und die Wesensnatur kreativer Prozesse berücksichtigen zu können. Deren Mangel kann bis zur Verweigerung der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft führen.

4.6   Geistiges Eigentum und die diesbezügliche Empfehlung der Kommission. Der Ausschuss begrüßt daher, dass der Rat (Wettbewerb) die Vertragsfreiheit der Parteien betont hat und in seinem Beschluss vom 30. Mai 2008 Folgendes klarstellt: „FORDERT alle Hochschulen und anderen öffentlichen Forschungseinrichtungen AUF, den Inhalt des Praxiskodexes der Kommission gebührend zu beachten und ihn entsprechend ihren spezifischen Gegebenheiten - wozu auch eine angemessene Flexibilität im Hinblick auf die Auftragsforschung zählt - umzusetzen.“ Der Ausschuss begrüßt insbesondere, dass inzwischen auch die Kommission klargestellt hat (19), dass sie mit ihrer Empfehlung (20), welche explizit dieser Frage gewidmet ist, auch bei Auftragsforschung keinesfalls in die freie Vertragsgestaltung eingreifen möchte. Vielmehr soll hierfür ausreichend Flexibilität eingeräumt werden, soweit nicht anderweitige Beschränkungen vorliegen, wie etwa der Beihilferahmen für Forschung, Entwicklung und Innovation oder sonstige europäische oder nationale Gesetze.

4.6.1   Weitere Klarstellung. Es sollte darüber hinaus auch klargestellt werden, dass zu Patenten führende Erfindungen nicht einfach in Auftrag gegeben werden können, sondern eine zusätzlich erbrachte kreative Leistung darstellen (21). Deren Verwertung und die daraus entstehenden Erträge müssen also Verhandlungsgegenstand sein; eine Verwertung darf auch nicht von der auftraggebenden Partnerfirma - zum volkswirtschaftlichen Nachteil - blockiert werden. Der Ausschuss begrüßt es daher, dass die Kommission auch hierzu eine Klarstellung vorbereitet. Die Empfehlungen der Kommission sollen Hilfestellung geben, aber keinesfalls zum Korsett werden.

4.7   Gemeinschaftspatent. Der Ausschuss betont in diesem Zusammenhang nochmals (siehe auch Ziffer 4.2) seine mehrfachen Empfehlungen für ein europäisches Gemeinschaftspatent mit einer angemessenen neuheitsunschädlichen Vorveröffentlichungsfrist (grace period) für die Erfinder.

4.8   Beteiligungsregeln und Beihilferecht. Der Ausschuss hatte bereits in seiner Stellungnahme (22) zu den Beteiligungsregeln empfohlen, den zukünftigen Vertragspartnern mehr Freiheit in der Vertragsgestaltung einzuräumen, aber auch in der Wahl der Instrumente. Dies betrifft insbesondere die Zugangsrechte zu neuen Kenntnissen und Schutzrechten und/oder zu bestehenden Kenntnissen und Schutzrechten der Vertragspartner. Hier sollten kostenlose Zugangsrechte zwar als Option angeboten, aber nicht - wie für bestimmte Fälle vorgeschlagen – ausnahmslos vorgeschrieben werden. Eine unentgeltliche Überlassung von geistigem Eigentum durch die staatlichen Hochschulen oder Forschungsorganisationen an die Wirtschaft birgt zudem die Gefahr eines Verstoßes gegen das europäische Beihilferecht.

4.9   Öffentlich-private Partnerschaften. Die in den Ziffern 4.6 und 4.8 genannten Gesichtspunkte und Empfehlungen des Ausschusses sollten daher insbesondere auch bei den ansonsten sehr begrüßenswerten öffentlich-privaten Partnerschaften im Bereich Forschung und Entwicklung und bei den dementsprechenden gemeinsamen Technologieinitiativen Anwendung finden.

4.10   Arbeitnehmererfindungsvergütung. Besondere Berücksichtigung verdient dabei das in einigen Mitgliedstaaten bestehende Arbeitnehmererfindungsgesetz. Dieses betrifft das Recht des Erfinders eines Patents auf eine angemessene Vergütung für dessen Nutzung, selbst wenn er die Erfindung im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit gemacht hat. Dieses Recht darf keinesfalls ausgehebelt werden.

5.   Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Forschungsinfrastrukturen - Erhalt der Fähigkeiten

5.1

Technisches Neuland - Unikate. Neben der oben behandelten Kategorie von Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie gibt es jedoch noch eine weitere und ebenfalls bedeutende Kategorie, bei welcher die Forschungseinrichtungen nicht primär Lieferant neuen Wissens zum Zwecke der Entwicklung innovativer Serienprodukte (oder Verfahren) sind, sondern Auftraggeber und Kunde. Hierbei handelt es sich vorwiegend um die Entwicklung neuartiger Forschungsinfrastrukturen wie z.B. Beschleuniger, Strahlungsquellen, Satelliten, erdgebundene astronomische Geräte oder Fusionsanlagen. Dabei werden seitens der Industrie - oft auf der Basis vorangehender Entwicklungsaufträge - wichtige neuartige Einzelkomponenten entwickelt und gefertigt.

5.2

Spezialisierung und Risiko. Dieses innovationsträchtige Gebiet erfordert in den Firmen fähigste, spezialisierte Fachkräfte und - wegen möglichen Scheiterns - unternehmerische Risikobereitschaft. Denn der unmittelbare wirtschaftliche Ertrag ist meistens gering, zumal es sich bei den erstellten Produkten fast ausschließlich um Unikate handelt und die Firmen den erforderlichen Aufwand nicht selten unterschätzen: die Grenzen bestehenden Know-hows müssen in der Regel auf breiter Front überschritten werden.

5.3

Triebfeder technischen Fortschritts. Zwar führen derartige Aufträge bei den beteiligten Unternehmen zu einem deutlichen Zuwachs an High-Tech-Fähigkeiten, der langfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit auf verwandten Gebieten erhöht und generell dem technischen Fortschritt dient. Dennoch fällt es den Firmen häufig schwer, für nicht unmittelbar anstehende Folgeaufträge ihr Potenzial einschließlich Mitarbeitern und Ingenieuren auf dem jeweiligen Spezialgebiet zu erhalten, zumal sich deren Einsatz bei den wirtschaftlich viel ergiebigeren Entwicklungs- und Produktionsprozessen von Serienprodukten besser lohnt.

5.4

Anwendung der Wettbewerbs- und Vergaberegeln. Die Anwendung der bestehenden Wettbewerbs- und Vergaberegeln kann die Situation erschweren, unter anderem da nicht ohne weiteres zugelassen wird, dass jene Firma, die den Entwicklungsauftrag ausgeführt hat, dann selbstverständlich auch den Fertigungsauftrag erhält. Dies kann dazu führen, dass dieser Fertigungsauftrag an eine weniger erfahrene Firma vergeben wird, die gerade wegen ihrer geringeren Erfahrung die Schwierigkeiten unterschätzt und daher ein preisgünstigeres Angebot abgegeben hat. Diese Problemlage hat bei einigen Firmen sogar dazu geführt, dass sie sich für solche Aufträge nicht mehr bewerben bzw. solche Aufträge nicht mehr annehmen. Auch das Instrument der „Vorkommerziellen Auftragsvergabe“ (23) trifft die hier beschriebene Problematik nicht genau, da später gar keine Serienprodukte entstehen.

5.5

Problemlage und Suche nach Lösungen. Auch der Ausschuss kann hierzu kein Patentrezept empfehlen. Er möchte jedoch auf eine ernste Problemlage aufmerksam machen, die nicht nur derartige Großprojekte verteuert und verzögert, sondern auch die dabei gewonnenen Fähigkeiten und Erfahrungen nicht optimal verwertet, weil hochwertige Fähigkeiten häufig wieder verloren gehen. Er empfiehlt daher, dass die Kommission dazu eine hochrangige Expertengruppe (24) beruft, die sich mit den bisherigen Erfahrungen befasst. Daraus könnte ersichtlich werden, ob die derzeitigen Beihilfe-, Budget-, Wettbewerbs- und Vergaberegeln und deren Anwendungspraxis dieser speziellen Situation gerecht werden oder ob neuartige Instrumente einer diesbezüglichen Industriepolitik nötig sind.

5.6

ITER. Der Ausschuss steht unter dem Eindruck, dass der Kommission das Problem z.B. beim internationalen ITER-Projekt durchaus bewusst ist, und dass dort daher bereits entsprechende Maßnahmen zur Industriebeteiligung in die Wege geleitet werden. Dieses Vorgehen sollte möglichst auch auf die Anforderungen der neu zu schaffenden Forschungsinfrastrukturen (ESFRI-Liste) übertragen werden.

6.   Einschlägige Stellungnahmen des Ausschusses der letzten 3 Jahre

Die vorliegende Stellungnahme hat die folgenden einschlägigen Stellungnahmen der letzten drei Jahre in Betracht gezogen:

7. FTE-Rahmenprogramm (INT/269, CESE 1484/2005 – ABl. C 65/9 vom 17.3.2006)

Nanowissenschaften und Nanotechnologien (INT/277, CESE 582/2006 – ABl. C 185/1 vom 8.8.2006)

Fünfjahresbewertung der Forschungsaktivitäten (1999-2003) (INT/286, CESE 729/2006 – ABl. C 195/1 vom 18.8.2006)

FTE - Spezifische Programme (INT/292, CESE 583/2006 – ABl. C 185/10 vom 8.8.2006)

Forschung und Innovation (INT/294, CESE 950/2006 – ABl. C 309/10 vom 16.12.2006)

Beteiligung von Unternehmen an Maßnahmen des Siebten Rahmenprogramms (2007-2013) (INT/309, CESE 956/2006 – ABl. C 309/35 vom 16.12.2006)

Beteiligung von Unternehmen - 7. Rahmenprogramm 2007-2011 (Euratom) (INT/314, CESE 957/2006 – ABl. C 309/41 vom 16.12.2006)

Investitionen in Wissen und Innovation (Lissabon-Strategie) (INT/325, CESE 983/2007 – ABl. C 256/17 vom 27.10.2007)

Europas Potenzial/Forschung, Entwicklung und Innovation (INT/326, CESE 1566/2006 – ABl. C 325/16 vom 30.12.2006)

Europäisches Technologieinstitut (INT/335, CESE 410/2007 – ABl. C 161/28 vom 13.7.2007)

Grünbuch - Der Europäische Forschungsraum: Neue Perspektiven (INT/358, CESE 1440/2007 – ABl. C 44/1 vom 16.2.2008)

Initiative Innovative Arzneimittel - Gründung eines gemeinsamen Unternehmens (INT/363, CESE 1441/2007 – ABl. C 44/11 vom 16.2.2008)

Technologieinitiative für eingebettete IKT-Systeme – ARTEMIS (INT/364, CESE 1442/2007 – ABl. C 44/15 vom 16.2.2008)

Gründung eines gemeinsamen Unternehmens „Clean Sky“ (INT/369, CESE 1443/2007 – ABl. C 44/19 vom 16.2.2008)

Gründung des gemeinsamen Unternehmens ENIAC (INT/370, CESE 1444/2007 – ABl. C 44/22 vom 16.2.2008)

Forschungs- und Entwicklungsprogramme für KMU (INT/379, CESE 977/2008 – ABl. C 224/18 vom 30.8.2008)

Wettbewerbsfähige europäische Regionen durch Forschung und Innovation (INT/383, CESE 751/2008 – ABl. C 211/1 vom 19.8.2008)

Gemeinsames Unternehmen - Brennstoffzellen und Wasserstoff (INT/386, CESE 484/2008 – ABl. C 204/19 vom 9.8.2008)

Europäische Partnerschaft für die Forscher (INT/435, CESE 1908/2008 – noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht)

Gemeinschaftlicher Rechtsrahmen für eine Europäische Forschungsinfrastruktur (INT/450, CESE 40/2009 – noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht)

Brüssel, den 26. Februar 2009

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Siehe Kapitel 6.

(2)  INT/450, CESE 40/2009 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(3)  K(2008) 1329, 10. April 2008.

(4)  URL: http://ec.europa.eu/research/science-society/pdf/scientific-publication-study_en.pdf.

(5)  Open Access. Chancen und Herausforderungen — ein Handbuch. Europäische Kommission/Deutsche UNESCO-Kommission, 2008.

(6)  KOM(2007) 56 vom 14.2.2007; K(2008) 1329 vom 10.4.2008 - Anhang II.

(7)  http://ec.europa.eu/research/research-eu.

(8)  http://cordis.europa.eu/.

(9)  http://www.ott.csic.es/english/index.html in Spanien oder http://www.technologieallianz.de/ in Deutschland.

(10)  K(2008) 1329 vom 10.4.2008, Anhang 2, Punkt 7.

(11)  KOM(2007) 182 vom 4.4.2007.

(12)  http://www.earto.org/; http://www.astp.net/; oder http://www.protoneurope.org/.

(13)  EEN: http://www.enterprise-europe-network.ec.europa.eu/services_en.htm und KMU-Portal http://ec.europa.eu/enterprise/sme/index_de.htm.

(14)  ABL. C 204 vom 18.7.2000, S. 70.

(15)  K(2008) 1329 vom 10.4.2008, Empfehlung Nr. 4 an die Mitgliedstaaten und in Anhang I, Nr. 7 an die öffentlichen Einrichtungen.

(16)  Wie dies z.B. im deutschen Patentrecht früher der Fall war.

(17)  Und nach dem Prestige der jeweiligen Zeitschriften, in welcher die Veröffentlichungen erschienen sind!

(18)  ABL. C 204 vom 18.7.2000, S. 70.

(19)  Commission Recommendation on the management of intellectual property in knowledge transfer activities and Code of Practice for universities and other public research organisations (2008) ISBN 978-92-79-09850-5 (liegt nur auf EN vor). Der letzte Satz von Kapitel 4 Absatz 3 (Leitlinien für die Umsetzung des Praxiskodexes) lautet: „Nevertheless, the parties are free to negotiate different agreements, concerning ownership (and/or possible user rights) to the Foreground, as the principles in the Code of Practice only provide a starting point for negotiations. … “ (Gleichwohl steht es den Parteien frei, unterschiedliche Vereinbarungen in Bezug auf Teilhabe (und/oder Nutzerrechte) bezüglich der neuen Kenntnisse zu treffen, da die Grundsätze des Praxiskodexes nur einen Ausgangspunkt für die Verhandlungen darstellen).

(20)  K(2008) 1329 vom 10.4.2008, Anhang I, Ziffer 17.

(21)  Dieser Gedanke liegt auch der Gewährung von Arbeitnehmererfindungsvergütungen zu Grunde, siehe Ziffer 4.10.

(22)  ABL. C 309 vom 16.12.2006, S. 35.

(23)  KOM(2007) 799 endg. „Mitteilung der Kommission - Vorkommerzielle Auftragsvergabe: Innovationsförderung zur Sicherung tragfähiger und hochwertiger öffentlicher Dienste in Europa“. Siehe dazu auch die Stellungnahme des Ausschusses INT/399 „Vorkommerzielle Auftragsvergabe“, CESE 1658 (2008) (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(24)  Möglichst auch unter Einbeziehung der unter EIROforum zusammengefassten Forschungseinrichtungen.