52009DC0402

Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und an den Rat über Bulgariens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens {SEK(2009)1074} /* KOM/2009/0402 endg. */


[pic] | KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN |

Brüssel, den 22.7.2009

KOM(2009) 402 endg.

BERICHT DER KOMMISSIONAN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND AN DEN RAT

über Bulgariens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens{SEK(2009)1074}

BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND AN DEN RAT

über Bulgariens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens

EINLEITUNG – HINTERGRUND UND METHODE

1. Ziel:

Gleichzeitig mit dem Beitritt Bulgariens zur EU im Januar 2007 wurde ein Kooperations- und Kontrollverfahren[1] eingerichtet, das dem neuen Mitgliedstaat bei der für notwendig befundenen umfassenden Justizreform und beim Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität helfen sollte. Das Verfahren beruht auf einer autonomen, auf der Grundlage des Beitrittsvertrags getroffenen Kommissionsentscheidung. Es ermöglicht der Kommission, auf politischer und fachlicher Ebene eng mit den bulgarischen Behörden zusammen zu arbeiten, um die Fortschritte zu kontrollieren und zu bewerten und fachliche Beratung sowie finanzielle Unterstützung zu leisten. Mit Hilfe des Verfahrens können die übrigen Mitgliedstaaten die einschlägigen Entwicklungen in Bulgarien mitverfolgen und sowohl fachlich als auch finanziell unterstützen. Mit den von der Kommission nach diesem Verfahren verfassten Zwischen- und Jahresberichten werden die Fortschritte bewertet und etwaige verbliebene Unzulänglichkeiten aufgezeigt, damit Bulgarien die vorrangigen Maßnahmen einleiten kann, die erforderlich sind, um die zum Beitrittszeitpunkt festgesetzten Vorgaben uneingeschränkt zu erfüllen.

In diesem Bericht wird dargelegt, wie die Kommission die Fortschritte Bulgariens bei der Erfüllung der Vorgaben seit dem letzten Gesamtbericht (23. Juli 2008) bewertet. Davon ausgehend werden bestimmte Empfehlungen an Bulgarien gerichtet. Das aktualisierte technische Begleitdokument enthält eine detaillierte Beurteilung der Fortschritte für jede der Vorgaben. Der Bericht stützt sich auf regelmäßige Informationen der bulgarischen Behörden und insbesondere ihre Antworten auf die ausführlichen Fragebögen der Kommission zu den einzelnen Vorgaben. Die Kommission hat ferner hochrangige Sachverständige der Mitgliedstaaten zu Rate gezogen und sich zusätzlich noch verschiedener anderer Quellen bedient.

2. Die Rolle der Vorgaben:

Alle Vorgaben sind nach dem Verständnis der Kommission eng miteinander verknüpft. In den Gesprächen mit Bulgarien wurde wiederholt deutlich gemacht, dass Fortschritte bei der Erfüllung einer Vorgabe mit Fortschritten bei anderen Vorgaben einhergehen. Die Vorgaben des Kooperations- und Kontrollverfahrens verfolgen keinen Selbstzweck, sondern dienen der Entwicklung einer unabhängigen, stabilen Justiz, die in der Lage ist, Interessenskonflikte zu erkennen und zu sanktionieren, die Korruption auf allen Ebenen zu bekämpfen und wirksam gegen organisierte Kriminalität vorzugehen. Deswegen möchte die Kommission die Vorgaben nicht einzeln abarbeiten, sondern mit Bulgarien zusammenarbeiten, bis das Kooperations- und Kontrollverfahren als Ganzes abgeschlossen ist.

STAND DES REFORMPROZESSES IN BULGARIEN

Erfolgsbilanz

Wie in den Vorjahren kann eine ausführliche Würdigung der Fortschritte bei der Erfüllung der Vorgaben durch die Kommission im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens dem Anhang zu diesem Bericht entnommen werden. Im Bericht selbst sind die wichtigsten Feststellungen der Kommission und ihre Empfehlungen für konkrete Maßnahmen an Bulgarien zusammengefasst.

Der Bericht vom Juli 2008 sowie der Bericht über die Verwaltung der EU-Mittel in Bulgarien haben zu einem Mentalitätswandel und einem offeneren Dialog mit den bulgarischen Behörden auf allen Ebenen geführt. Es wird nicht mehr geleugnet, dass organisierte Kriminalität und Korruption in Bulgarien weit verbreitete Phänomene sind, und die Strafverfolgungs- und Justizbehörden gehen bis zu einem gewissen Grad dagegen vor. Auf die Empfehlungen der Kommission in ihrem letzten Bericht hin sind einige Maßnahmen ergriffen worden.

Kampf gegen organisierte Kriminalität

Bulgarien ist dabei, seine Staatsanwaltschaft neu zu ordnen, um sie effizienter zu machen, wobei sich der Fokus seit September 2008 besonders auf die Schwerkriminalität richtet.

Die Einrichtung dienststellenübergreifender Kommissionen bestehend aus Vertretern der Staatsanwaltschaft, der Polizei, der obersten Ermittlungsbehörde und der nationalen Sicherheitsbehörde hat zu einer besseren Koordinierung und zu spürbaren Fortschritten insbesondere bei Ermittlungen in Betrugsfällen im Zusammenhang mit EU-Mitteln geführt, was an der wachsenden Zahl von Untersuchungen und Anklageerhebungen abzulesen ist. Die Einrichtung einer ständigen gemeinsamen Kommission für Delikte im Zusammenhang mit EU-Mitteln ist eine ausgezeichnete Initiative, weil sie verschiedene Funktionen, Aufklärungsmethoden, Fachkompetenzen und Ermittlungen im Zusammenhang mit einer bestimmten Deliktkategorie unter einem Dach vereint.

Für andere Bereiche des organisierten Verbrechens gibt es diese effiziente Organisationsstruktur noch nicht; dort operieren gemeinsame Kommissionen nur auf Ad-hoc-Basis. Allerdings haben diese Ad-hoc-Kommissionen bereits zu einem intensiveren Vorgehen gegen Mitglieder bekannter Syndikate geführt. Dank Prozessabsprachen und verkürzter Gerichtsverfahren („beschleunigtes Verfahren”) ist es zu ersten Verurteilungen gekommen. Das führt jedoch oft zu Urteilen unterhalb des Mindeststrafmaßes, wenn der Angeklagte geständig ist. Beide Verfahren werden nun aktiv gegen Mitglieder von Syndikaten eingesetzt, um so der generellen Ineffizienz der Strafjustiz in Bulgarien zu entgehen. Sie haben dazu geführt, dass gegen ein paar Mitglieder organisierter Banden erstmalig Gefängnisstrafen verhängt wurden, was als klare Botschaft an die Öffentlichkeit gedeutet werden kann, dass bekannte Kriminelle nicht länger über dem Gesetz stehen. Möglicherweise lassen sich dadurch auch Vermögenswerte einfrieren und Geldwäschedelikte aufdecken, so dass es zu einer weiteren Verurteilung kommt. Insgesamt bleibt allerdings zu prüfen, ob Prozessabsprachen im Kampf gegen das organisierte Verbrechen tatsächlich hinreichend abschreckend wirken. Außerdem dürfen sie nicht dem Aufbau eines funktionierenden Prozesssystems in Bulgarien im Wege stehen.

Diese ersten Erfolge sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass in Bulgarien weiterhin Morde im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität verübt und bekannte Straftäter nicht festgesetzt werden. Es bedarf klarer Anzeichen, dass die Behörden und die politische Klasse uneingeschränkt bereit sind, das Problem an der Wurzel anzugehen. Bei Verwaltung, Polizei und Justiz führt die augenblickliche Situation zu Unmut und Verunsicherung. Von ihnen kann nicht erwartet werden, den Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption zu führen, wenn von den Behörden und der politischen Führungsriege keine eindeutigen, klaren Signale kommen. Es muss vermieden werden, dass sie für ihre lobenswerten Anstrengungen mit Drohungen und Einschüchterungen rechnen müssen.

Die Reform des Polizeiapparats geht weiter. Personalbestand, Strukturen und Verfahren in der neu gebildeten Kriminalpolizei und dem umgebildeten polizeilichen Ermittlungsdienst müssen weiter gefestigt werden. Trotz der Neuordnung kommt es noch zu organisatorischen Überschneidungen. Bisher haben die neuen Strukturen die Ermittlungen auf dem Gebiet der Schwerkriminalität nicht sehr viel effektiver gemacht.

Die Erfolgsbilanz der CEPACA („Kommission für die Einfrierung und Beschlagnahme von aus strafbaren Handlungen erworbenem Vermögen“) hat sich seit Mitte 2008 deutlich verbessert. Inzwischen sind über 130 Fälle vor Gericht anhängig. Auch wenn das geltende Recht z.B. bei Geldwäsche das Einfrieren von Vermögen offenbar schon mit Beginn der amtlichen Ermittlungen erlaubt, scheint es de facto erst dazu zu kommen, wenn das Ermittlungsverfahren bereits seit mehreren Monaten läuft oder Anklage erhoben wird, wodurch diese Maßnahme einen Großteil ihrer praktischen Wirkung einbüßt. Zudem sieht das Gesetz zu restriktive Bedingungen für das Einfrieren von Vermögen vor, die der realen Kriminalitätslage in Bulgarien nicht gerecht werden. Die im November vorgeschlagenen Gesetzesänderungen, die das Einfrieren und die Einziehung von Vermögen wirkungsvoller machen sollten, wurden im Parlament von einer großen, parteiübergreifenden Mehrheit abgelehnt. Angesichts dieser Schwierigkeiten ist die CEPACA dazu übergegangen, in solchen Fällen zusätzlich die Einziehung auf zivilrechtlichem Weg zu beantragen. Insgesamt gesehen beeinträchtigen jedoch die rechtlichen Schlupflöcher die Möglichkeit der CEPACA, erfolgreich zu arbeiten, ganz erheblich.

Justizreform

Alle Fortschritte in der Strafverfolgung, beispielsweise im Kampf gegen Betrug in Zusammenhang mit EU-Mitteln, werden in ihrer Wirkung begrenzt sein, wenn die Justiz nicht weiter reformiert wird und nicht ernsthaft und mit Nachdruck daran arbeitet, effizienter zu werden. Sehr bedenklich sind weiterhin die unverhältnismäßigen Verzögerungen bei den Gerichtsverfahren, die zu einem Großteil auf die äußerst starren Strafverfahren, eine gewisse Passivität der Richter und die augenscheinlich unbegrenzten prozessrechtlichen Möglichkeiten der Beklagten zurückgehen, die Verfahren in die Länge zu ziehen.

Da es an zweckdienlichen Initiativen des Gesetzgebers zur Behebung dieses Problems mangelt, hat eine Arbeitsgruppe des Obersten Justizrats eine ausführliche Bestandsaufnahme und Analyse bestimmter Fälle angefertigt. Für jeden Einzelfall wurden Maßnahmen in Form von Empfehlungen vorgeschlagen oder beschlossen, die eine Beschleunigung der Verfahren in Fällen von „hohem öffentlichem Interesse“ bewirken sollten. Dabei handelt es sich um Verfahren gegen bekannte Persönlichkeiten, bei denen es wiederholt zu Verzögerungen kam. Empfohlen hat der Justizrat sowohl Gesetzesänderungen (z.B. Einführung einer Meldepflicht am Wohnort) als auch weit reichende Änderungen der Gerichtsorganisation und der Rechtspraxis. Diese Initiative des Obersten Justizrates ist sehr begrüßenswert. Allerdings muss sich noch zeigen, welche Wirkung diese Empfehlungen haben und ob ihnen konkrete Maßnahmen folgen werden.

Eine der wesentlichen Ursachen für die Ineffizienz der Justiz ist die Umständlichkeit und der Formalismus des Strafverfahrens. Ermittler und Staatsanwälte müssen auf einfachste Methoden der Beweiserhebung zurückgreifen und auf fortgeschrittenere Ermittlungsmethoden verzichten. Dieses formalistische Vorgehen liegt nicht einmal im Interesse der Beschuldigten und ihrer Rechte, da die Strafverfolgungsbehörden regelmäßig den mit den größten Eingriffen in die Privatsphäre verbundenen Untersuchungsmethoden den Vorzug geben müssen, weil „weichere“ Beweise vor Gericht nicht zugelassen werden.

Seit Juni 2008 ist die dem Obersten Justizrat angeschlossene Justizaufsichtsbehörde voll funktionsfähig und kann bereits eine ermutigende Erfolgsbilanz bei der Aufdeckung von Disziplinarverstößen und Systemschwächen in der Justiz aufweisen. Einige Untersuchungsergebnisse haben vor allem nach Auslegungsentscheidungen des Obersten Kassationsgerichts zu Verbesserungen geführt.

Das Oberste Kassationsgericht hat sich durch regelmäßige Treffen mit Vertretern der Regionalgerichte auch um eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung bemüht. Vor allem aber hat es seine Befugnis zum Erlass einer Reihe von Auslegungsentscheidungen aktiv genutzt. Diese sind für alle Gerichte verbindlich und gewährleisten die einheitliche Anwendung des geltenden Rechts.

Die Maßnahmen des Gesetzgebers bieten ein gemischtes und bisweilen widersprüchliches Bild: zwar wurden Vorschriften auf den Weg gebracht, um zu verhindern, dass Beklagte ihre Rechte missbrauchen (Verordnung über Verhandlungsunfähigkeit wegen Krankheit), und auch das Strafmaß für Betrug mit EU-Geldern wurde heraufgesetzt, aber gleichzeitig wurden fahrlässig begangene Straftaten mit einem Strafmaß von bis zu fünf Jahren, darunter auch solche, die in Ausübung eines öffentlichen Amtes vor Juli 2008 begangen wurden, durch ein Amnestiegesetz vor Strafverfolgung geschützt. Die von dieser Maßnahme ausgehende Botschaft steht im Widerspruch zu der verbindlichen Zusage der Regierung, die Korruption auf allen Ebenen - auch bei fahrlässigem Verhalten in Ausübung eines öffentlichen Amtes - auszumerzen.

Ebenso hat auch das Justizministerium einen Anlauf zu einer neuen Politik der Kriminalitätsbekämpfung unternommen, es aber gleichzeitig versäumt, den zahlreichen Empfehlungen von 2006 zur Vereinfachung des rigiden Strafprozessrechts nachzukommen. Das Strafgesetzbuch selbst ist veraltet. Das Rechtssystem weist deswegen weiterhin erhebliche Unzulänglichkeiten nicht nur im eigentlichen Strafrecht, sondern auch bei anderen wichtigen Vorschriften wie denen über die Einziehung von aufgrund einer Straftat erworbenem Vermögen auf. Der Mangel an Initiative auf Seiten des Gesetzgebers bei der Strafgesetzgebung stellt ein großes Manko dar. Das hohe Maß an Formalismus in der Gerichtspraxis, die generelle Schwäche und mangelnde Rechenschaftspflicht der öffentlichen Verwaltung und das Fehlen von Eigeninitiative in einem streng hierarchischen System müssen durch eine Reform der gesetzlichen Bestimmungen behoben werden, die so konzipiert ist, dass Entscheidungen nicht verschleppt werden und das Verantwortungsbewusstsein gestärkt wird.

Bekämpfung von Korruption

Seit dem letzten Sommer wurden vom Ministerrat Schritte unternommen, um die interministerielle Zusammenarbeit zu verbessern und um eine neue Antikorruptions-Strategie auszuarbeiten, die sich auf eine Evaluierung und die Konsultation von Beteiligten gestützt. Darüber hinaus wurde (mittels eines von der EU finanzierten Projekts) eine zentrale Internetseite eingerichtet, auf der Korruptionsfälle angezeigt und Beschwerden gegen sämtliche Einrichtungen der öffentlichen Hand zentral eingereicht und nachverfolgt werden können. Die regionalen Ämter zur Korruptionsbekämpfung und der Aufbau eines Netzes von Kontrollinstanzen auf Ministerialebene wurden koordiniert, beaufsichtigt und fachlich unterstützt.

In sensiblen Bereichen wie dem Gesundheits- oder dem Bildungswesen muss größerer Wert auf einen vorbeugenden Ansatz gelegt werden, beispielsweise durch Verwaltungsleitlinien zur Risikoeindämmung und eine strengere Konformitätskontrolle. In diesen Bereichen ist ein genereller Mangel an Initiative festzustellen. Trotz der zahlreichen Anzeichen für Betrug und Korruption (und Verbindungen zur organisierten Kriminalität) im öffentlichen Sektor scheinen die Strafverfolgungsbehörden nicht gewillt, selbst die Initiative zu ergreifen, sondern ziehen es offenbar vor, erst dann mit den Ermittlungen zu beginnen, wenn von einer anderen Behörde Unregelmäßigkeiten zur Anzeige gebracht werden. Viel zu selten kommt es zu Ermittlungen von Amts wegen, die aus eigenem Antrieb und nicht aufgrund einer Beschwerde oder einer Verwaltungsmitteilung aufgenommen werden. Die Untätigkeit auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden liegt zum Großteil an einer passiven Haltung und der begrenzten politischen Unterstützung für ein aktiveres Vorgehen gegen Betrug und Korruption. Die Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden schrecken vor der Aufnahme von Untersuchungen zurück, wenn dadurch Korruption auf höchster Ebene aufgedeckt werden könnte. Bulgarien könnte daher erwägen, zur Verfolgung und Aburteilung von Korruption und organisierter Kriminalität auf hoher Ebene spezielle, in organisatorischer und politischer Hinsicht von der Regierung unabhängige Strukturen zu schaffen, die mit einem klaren Mandat für eine aktive Strafverfolgung ausgestattet wären.

SCHUTZBESTIMMUNGEN

Angesichts obiger Ausführungen stellt sich die Frage, ob die Schutzbestimmungen des Beitrittsvertrages zur Anwendung gelangen sollten. In der öffentlichen Diskussion über das Kooperations- und Kontrollverfahren ist der Unterschied zwischen der voraussichtlichen Dauer des Verfahrens und den befristeten Schutzbestimmungen des Beitrittsvertrages oft nicht klar. Tatsächlich gibt es keinen automatischen Zusammenhang zwischen dem Kooperations- und Kontrollverfahren und den im Beitrittsvertrag mit Bulgarien verankerten Schutzbestimmungen. Schutzbestimmungen sind allgemein üblich. Sie sollen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gewährleisten. Sie können bis Ende Dezember 2009 in Anspruch genommen werden, um im Bedarfsfall die Anwendung der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften zeitweilig auszusetzen. Die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme dieser Klauseln sind nach Auffassung der Kommission angesichts der vorstehenden Beurteilung nicht erfüllt.

Das Kooperations- und Kontrollverfahren läuft inzwischen im dritten Jahr. Es wurde zeitlich nicht begrenzt, weil es erst dann aufgehoben werden sollte, wenn alle Vorgaben in zufrieden stellendem Maße erfüllt sind. Ohne jeden Zweifel ist die Erfüllung der Zielvorgaben eine langfristige Aufgabe: die Bekämpfung der Korruption an ihrer Wurzel und die Ausmerzung des organisierten Verbrechens brauchen Zeit. Tiefgreifende Veränderungen dieser Art können nur aus dem Inneren der bulgarischen Gesellschaft kommen. Das Kooperations- und Kontrollverfahren soll diese Bemühungen unterstützen und ist weder Selbstzweck noch Ersatz für das notwendige Engagement der bulgarischen Behörden bei der Angleichung des Justizsystems und der Rechtspraxis an das allgemeine EU-Niveau.

SCHLUSSFOLGERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN

Die Kommission stellt fest, dass die Bemühungen Bulgariens um eine Verbesserung des Justizwesens und die Bekämpfung der Korruption seit ihrem Bericht von Juli 2008 etwas mehr Schwung erhalten haben. Dies lässt sich an den unterstützens- und anerkennenswerten Bemühungen einzelner Akteure in Staatsanwaltschaft und Justiz zur Bewältigung der Strukturprobleme ablesen. Solche pragmatischen Schritte tragen zu einer effizienteren Justiz bei und stärken die Strafverfolgung, und in einigen Fällen haben sie auch der Korruption den Nährboden entzogen.

Leider beschränken sich diese Schritte auf die praktische Ebene und haben nur begrenzte Auswirkungen. Zwar sind das insgesamt gewachsene Problembewusstsein und diese individuellen Initiativen zu begrüßen, aber sie werden nicht in solchem Maße von einem breiten politischen Konsens getragen oder einer überzeugenden Strategie flankiert, dass der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und die Korruption an die oberste Stelle der politischen Tagesordnung in Bulgarien rücken würde. In der öffentlichen Wahrnehmung erweckt die bulgarische Justiz daher den Eindruck, träge, bisweilen ungerecht und in einigen Fällen empfänglich gegenüber äußeren Einflüssen und Einmischungen zu sein. Zudem werden die ergriffenen Maßnahmen als Stückwerk betrachtet, die nicht auf allen Ebenen systematisch befolgt werden. Was nach wie vor fehlt, ist der hinreichende politische Wille zu breiter angelegten Initiativen, die in ein entschlosseneres, strategisches Vorgehen einmünden.

Trotz einiger ermutigender pragmatischer Schritte hin zu einer effizienteren Justiz und zu einem aktiveren Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen sind noch zahlreiche Unzulänglichkeiten festzustellen, die von der bulgarischen Regierung dringend behoben werden müssen.

Gestützt auf obige Bestandsaufnahme fordert die Kommission Bulgarien auf, folgende Maßnahmen zu ergreifen:

in Bezug auf organisiertes Verbrechen und Korruptionsbekämpfung:

- eine integrierte Strategie gegen organisiertes Verbrechen und Korruption zu entwickeln;

- die ad-hoc gebildeten gemeinsamen Ermittlungskommissionen zur Verfolgung des organisierten Verbrechens zu einer ständigen Einrichtung zu machen;

- eigene, in organisatorischer und politischer Hinsicht unabhängige Strukturen für die Verfolgung und Aburteilung von Korruption und organisierter Kriminalität auf hoher Ebene zu schaffen;

- Ermittlungen von Amts wegen zur Korruptionsbekämpfung durch alle Behörden mit Kontrollaufgaben zu fördern;

- die effektive Umsetzung der unlängst erlassenen Vorschriften über Interessenkonflikte durch Erarbeitung entsprechender Anleitungen und die Einführung eines zentralen Berichtssystems zu gewährleisten;

- die Wirkung der Gesetze zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität auf horizontaler Ebene zu überwachen und diese erforderlichenfalls zu ändern;

- die Effizienz der Bestimmungen zur Einfrierung/Einziehung von Erträgen aus Straftaten zu verbessern;

- die Kapazitäten der obersten Aufsichtsbehörde und der bei den Ministerien und sonstigen staatlichen Stellen angesiedelten Kontrollinstanzen auszubauen und diese mit dem rechtlichen und politischen Auftrag auszustatten, Schwachstellen aufzudecken und einzudämmen;

- die 28 regionalen Anti-Korruptions-Räte im Verbund mit der Zivilgesellschaft zu stärken;

- bessere administrative Vorkehrungen zum Schutz von Informanten zu treffen;

- die Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung auf zentralstaatlicher und lokaler Ebene durch die interministerielle Koordinierungsgruppe aufmerksam zu verfolgen.

in Bezug auf die Effizienz des Justizwesens:

- Fälle uneinheitlicher Rechtsanwendung zu identifizieren und zu analysieren und weitere Auslegungsentscheidungen durch den Obersten Gerichtshof herbeizuführen;

- die geplante Neufassung des Strafgesetzbuches voranzubringen;

- eine gründliche Reform des Strafprozessrechts in Erwägung zu ziehen, um die Strafverfahren zu vereinfachen und den übermäßigen Formalismus abzubauen,

- die Empfehlungen der Standesvertreter zur Verbesserung der Abläufe im bestehenden Strafprozessrecht schleunigst umzusetzen;

- sämtliche Empfehlungen des Obersten Justizrates zur Beschleunigung wichtiger Strafverfahren umzusetzen und die Überwachung systematisch auf alle einschlägigen Fälle auszudehnen;

- die Nutzung und Wirkung von beschleunigten Verfahren (reduziertes Strafmaß im Tausch für Geständnisse) und Prozessabsprachen zu beobachten;

- die Einhaltung der Pflicht der Gerichte zur Veröffentlichung sämtlicher Urteile zu überwachen;

- für eine objektive Beurteilung der Leistung aller Richter zu sorgen und die Verordnung zu den Regeln und Kriterien für Ernennungen durch den Obersten Justizrat zu überprüfen;

- die widersprüchliche Praxis des Obersten Justizrates in Disziplinarverfahren zu analysieren und zu beheben;

- eine rasche und wirksame Umsetzung der Empfehlungen der dem obersten Justizrat angeschlossenen Justizaufsichtsbehörde zu gewährleisten.

Die Kommission fordert Bulgarien auf, den Reformprozess fortzusetzen und ihre Empfehlungen zu befolgen. Sie wird Bulgarien unterstützen und hiervon ausgehend die Fortschritte im kommenden Jahr beobachten. Es müssen kontinuierlich konkrete Ergebnisse eingefordert werden, wobei die Kommission auch an die übrigen Mitgliedstaaten appelliert, Bulgarien weiter zu unterstützen und auf Fortschritte hinzuwirken. Die Kommission wird ihrerseits die Bemühungen Bulgariens in Form eines politischen und fachlichen Dialogs und gegebenenfalls der Bereitstellung von entsprechendem Fachwissen unetrstützen.

Aussichten:

Aus diesem Bericht geht hervor, dass einige praktische Schritte unternommen wurden, um den Empfehlungen aus dem Kommissionsbericht von Juli 2008 nachzukommen. Der neue Schwung hat zu ersten Ergebnissen geführt. Dennoch sind substanziellere Erfolge bei der Untersuchung, Verfolgung und Aburteilung von Korruptionsfällen auf hoher Ebene und der organisierten Kriminalität erforderlich, damit in Bulgarien dauerhafte Veränderungen eintreten. Mit einer tiefgreifenden Justizreform wurde immer noch nicht begonnen. Dazu bedarf es eines langfristigen, unmissverständlichen politischen Engagements. Das Kooperations- und Kontrollverfahren stellt in den Augen der Kommission ein Hilfsmittel dar, das bis zum Abschluss der Reformen beibehalten werden muss. Die Kommission wird daher im Sommer 2010 die weiteren Fortschritte beurteilen.

[1] Entscheidung der Kommission 2006/929/EG vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Bekämpfung der Korruption und des organisierten Verbrechens (ABl. L 354 v. 14.12.2006, S.58).