52009DC0277

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat - Verwaltung des Internet : die nächsten Schritte /* KOM/2009/0277 endg. */


[pic] | KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN |

Brüssel, den 18.6.2009

KOM(2009) 277 endgültig

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

Verwaltung des Internet: Die nächsten Schritte

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

Verwaltung des Internet: Die nächsten Schritte

EINLEITUNG

Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Verwaltung des Internet Gegenstand internationaler Gespräche. Die EU war von Anfang an daran beteiligt und wirkte an der Formulierung zentraler politischer Fragen mit, die unter den EU-Mitgliedstaaten und mit den internationalen Partnerländern erörtert werden müssen.

Angesichts der durch das Internet bedingten Veränderungen des Lebens- und Arbeitsumfelds von Millionen europäischen Bürgern stellt die Internet-Verwaltung nach wie vor eine zentrale politische Priorität dar. So stellt die EU nur knapp über 7 % der Weltbevölkerung, aber fast 19 % der weltweiten Internet-Nutzer[1]. Das Internet ist zu einem allgegenwärtigen Instrument für die Geschäftswelt, das Bildungs- und Sozialwesen und die tägliche soziale Begegnung geworden. Menschliche Interaktionen werden heute zunehmend durch Maschine-Maschine-Interaktionen (so genanntes „Internet der Dinge“) ergänzt, die wichtige Vorgänge unterstützen, ohne dass uns dabei die Einbeziehung des Internet immer bewusst wäre.

WARUM IST DIE VERWALTUNG DES INTERNET SO WICHTIG?

Das Internet hat die Gesellschaft in den letzten 20 Jahren sehr stark beeinflusst. Was Mitte der 1990er Jahre als kleines Wissenschaftsnetz begann, hat sich inzwischen zu einer globalen Kommunikationsplattform entwickelt. Die Regierungen müssen seitdem immer mehr öffentliche Aufgaben bewältigen und beispielsweise gewährleisten, dass die Bürger die Möglichkeiten des Internet voll nutzen können, aber auch gegen unerwünschte oder rechtswidrige Inhalte vorgehen, für einen angemessenen Verbraucherschutz sorgen und sich mit Problemen der Rechtsprechung in einer zunehmend globalisierten Welt befassen.

Zudem haben Nutzung und Verbreitung des Internet, insbesondere in den Industrieländern wie denen der EU, heute einen Stand erreicht, der das Internet zu einer kritischen Ressource werden lässt, so dass eine größere Betriebsstörung katastrophale Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft haben kann. Ganze Geschäftsmodelle basieren heutzutage auf der Annahme einer praktisch ununterbrochenen Internetanbindung. Auch zahlreiche staatliche und Finanzdienstleistungen wurden mittlerweile so stark auf das Internet verlagert, dass größere Betriebsstörungen den Bürgern den Zugang zu wichtigen Diensten ernsthaft erschweren können.

Die meisten Internetnutzer in der EU erwarten daher zu Recht, dass „ihr Internet“ zuverlässig funktioniert. Im Übrigen würden sich die Nutzer bei einer größeren landesweiten Unterbrechung ihres Internetdienstes zwangsläufig an die Behörden und nicht an die für die Koordinierung der Ressourcen zuständigen Netzverwaltungsstellen wenden .

DER ERFOLG DES INTERNET

Eine offene und interoperable Architektur

Wie die Anfänge des Internet belegen, liegt dessen Ursprung im Forschungs- und Hochschulbereich. Entscheidungen über das, was wir heute als „Verwaltung“ bezeichnen, wurden seinerzeit von Ingenieuren und Wissenschaftlern getroffen. Zum Nutzen von Millionen nachfolgenden Internetnutzern führte dies zu einer offenen und interoperablen Architektur, bei der Effizienz und Zuverlässigkeit durch eine weite Verteilung der Betriebsfunktionen bis an die Ränder des Netzes gewährleistet wurden. Unter Einhaltung relativ einfacher Protokolle konnten so beliebige Netze miteinander verbunden werden.

Innovationen können somit von jedem Ort aus erfolgen, auch von Seiten einzelner Nutzer und ganz neuer Akteure, die praktisch ungehinderten Marktzugang erhalten. Zudem ist die verteilte Struktur des weltweiten Internet auch ein wesentlicher Sicherheitsgarant, da lokale Störungen den Datenverkehr andernorts kaum beeinträchtigen.

Dank des Erfolgs dieser offenen und neutralen Architektur konnten zahlreiche andere Akteure die inhärente Flexibilität und Effizienz des Internet nutzen und sie für die Erbringung von Diensten und als Plattform für eigene Innovationen verwenden.

Die Führungsrolle des Privatsektors

Bei der Ausbreitung des Internet von den Hochschulen auf die gesamte Gesellschaft spielte vor allem der Privatsektor eine führende Rolle, indem er die notwendigen Investitionen, die Sachkenntnis und unternehmerische Initiative beisteuerte, um die Innovation und Verbreitung des Internet in seiner jetzigen Form voranzutreiben. Der Privatsektor ist Eigentümer und Betreiber des überwiegenden Teils der internationalen Internet-Hauptverbindungen ( Backbone-Infrastruktur ) und der nationalen Kabelnetze, und er erbringt zudem die verschiedenen Dienste zur Erleichterung und Verwaltung des Datenverkehrs. Viele technische Regeln für den Internetbetrieb werden von der ebenfalls nichtstaatlichen „Internet Engineering Task Force“ (IETF) entwickelt. Auch die IP-Adressen werden auf regionaler Ebene von privaten Stellen zugewiesen, etwa durch das für Europa[2] zuständige RIPE NCC[3]. Die Führungsrolle des Privatsektors dient nach wie vor wichtigen Belangen des öffentlichen Interesses und muss aufrechterhalten und unterstützt werden.

Das Modell der Mitbestimmung aller Beteiligten

Ein weiterer Aspekt der Verwaltung des Internet, der zu dessen heutigem Erfolg beigetragen hat, sind die multilateralen Prozesse, an denen zahlreiche Interessenträger beteiligt sind, um in den einschlägigen Fragen Einvernehmen zu erzielen. Das Internet-Verwaltungsforum („Internet Governance Forum“) ist hierfür ein gutes Beispiel.

REGIERUNGSAUFGABEN UND RECHENSCHAFTSPFLICHT

Angesichts der wachsenden Bedeutung des Internet für die Gesellschaft als Ganzes wird es allerdings immer wichtiger, dass die Regierungen in den Entscheidungsprozessen, die die Entwicklung des Internet bestimmen, eine aktivere Rolle übernehmen.

Vor dem Hintergrund der Finanzkrise muss auch berücksichtigt werden, dass sich die Haltung der Öffentlichkeit gegenüber dem Modell der Selbstregulierung geändert hat. Bei kritischen Ressourcen, gleich ob es sich um Banksysteme oder um Internet-Infrastrukturen und -Dienste handelt, bestehen heute verständlicherweise höhere Erwartungen an die Regierungen, dass diese sich proaktiver als früher für öffentliche Interessen einsetzen.

Die Möglichkeit, sich bei der Gestaltung der internationalen Internet-Verwaltung weiterhin im Hintergrund zu halten, kommt deswegen nicht in Betracht . Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Regierungen bei der Verwaltung oder Steuerung des laufenden Internetbetriebs eine wichtigere Rolle zu übernehmen hätten.

Die Führungsrolle des Privatsektors beim Aufbau und der laufenden Verwaltung des Internet in seiner heutigen Form hat sich bewährt. Diese Initiative des Privatsektors muss , wie oben erwähnt, fortgesetzt werden . Die nichtstaatlichen Akteure müssen jedoch zur Kenntnis nehmen, dass die Internetnutzer weltweit – von denen die meisten in keinem Internet-Verwaltungsforum vertreten sind oder anderweitig daran teilnehmen – von ihren Regierungen zu Recht erwarten sicherzustellen, dass im Rahmen aktueller oder künftiger Verwaltungsregelungen die Belange des öffentlichen Interesses berücksichtigt und keinen engen kommerziellen oder regionalen Interessen untergeordnet werden. Die Führungsrolle des Privatsektors und wirksame Maßnahmen im Dienste des öffentlichen Interesses schließen sich nicht gegenseitig aus. Ein klarer allgemeiner politischer Rahmen kann auch zur Schaffung eines vorhersehbaren investitionsfreundlichen Umfelds beitragen, indem zu unterstützende allgemeine politische Ziele festgelegt und „rote Linien“ gezogen werden, die nicht überschritten werden dürfen. Dazu müssen die Regierungen in der Lage sein festzustellen, ob diese Grundsätze eingehalten werden, wofür wiederum den privaten Stellen, die für den laufenden Internetbetrieb zuständig sind, eine Rechenschaftspflicht auferlegt werden muss.

WELCHE ROLLE SPIELT DIE EU?

Wie eingangs erwähnt war die EU bereits an den ersten internationalen Gesprächen über die Verwaltung des Internet beteiligt. Die erste Mitteilung der Kommission zu dem Thema stammt aus dem Jahr 1998[4]. Zudem spielte die Europäische Union auf dem Weltgipfel über die Informationsgesellschaft (WSIS) zwischen 2003 und 2005 eine führende Rolle in den Gesprächen über die Internet-Verwaltung. Darüber hinaus war die EU tatkräftiger und einflussreicher Akteur bei den Gesprächen im Zusammenhang mit der Einrichtung der Zentralstelle für die Vergabe von Internet-Namen und -Adressen (ICANN)[5] Ende der 1990er Jahre und bei der Formulierung der Ziele dieser Organisation. Allerdings hieß es in der Mitteilung der Kommission über die Organisation und Verwaltung des Internet vom April 2000[6] und in der Entschließung des Rates vom 3. Oktober 2000[7], dass die von der Europäischen Union gesteckten Ziele in Bezug auf die Verwaltung der Domänennamen nicht in vollem Maße erreicht wurden, und zwar u. a. in folgenden Punkten:

- Art und Gestaltung einer ausgewogenen und fairen Behördenaufsicht über einige der Tätigkeiten von ICANN;

- Regeln für allgemeine Domänennamen, insbesondere in Bezug auf Eigentumsrechte an Datenbanken und die Trennung zwischen Registern und Registrierungsstellen;

- Übertragung der Verwaltung des Root-Server-Systems vom US-Handelsministerium an ICANN unter geeigneter internationaler Behördenaufsicht.

Nicht alle Aspekte dieser Fragen sind bis heute in zufriedenstellender Weise behandelt worden.

Im Moment ist jedoch festzuhalten, dass die EU-Initiative zur Schaffung ihrer eigenen Domäne oberster Stufe „.eu“ mit derzeit mehr als 3 Millionen registrierten Domänennamen sehr erfolgreich war.

ENTWICKLUNGSAUSSICHTEN

Für die EU waren stets die Entwicklungsaspekte der Internet-Verwaltung und die Überwindung der „digitalen Kluft“ politisch vorrangig. Die erste Milliarde von Internetnutzern stammte überwiegend aus den Industrieländern. Daher überrascht es kaum, dass die ersten Verwaltungsentscheidungen und -strukturen hauptsächlich von Teilnehmern aus diesen Ländern initiiert wurden. Die nächste Milliarde von Nutzern wird aber größtenteils aus Entwicklungsländern kommen, und ihre Interessen müssen bei allen künftig zu treffenden Verwaltungsregelungen berücksichtigt werden.

GRUNDSÄTZE FÜR DIE VERWALTUNG DES INTERNET

Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre belegen die Tragfähigkeit des von der EU bislang verfolgten Konzepts für die Internet-Verwaltung. Nach Überzeugung der Kommission muss die EU der Sicherheit und Stabilität des weltweiten Internet, der Wahrung der Menschenrechte, der Meinungsfreiheit, dem Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie der Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt weiterhin einen hohen Stellenwert einräumen.

Daneben gelten die folgenden Grundsätze, die den Erfolg des Internet, für den die EU mit verantwortlich ist, ermöglicht haben:

- Die offene, interoperable und durchgehende Struktur der Internet-Kernarchitektur muss gewahrt bleiben. Dies ist vom Rat 2005[8] betont und 2008[9] erneut bekräftigt worden.

- Die Führungsrolle des Privatsektors bei der laufenden Internet-Verwaltung muss aufrechterhalten werden, wenngleich die für die Koordinierung der weltweiten Internetressourcen zuständigen privaten Stellen der internationalen Gemeinschaft Rechenschaft über ihre Tätigkeiten ablegen müssen. Die Regierungen sollten sich in erster Linie mit politischen Grundsatzfragen befassen und keinesfalls in den laufenden Betrieb eingreifen.

- Multilaterale Prozesse sind für die Internet-Verwaltung nach wie vor ein integratives und effektives Instrument zur Förderung der weltweiten Zusammenarbeit und müssen weiter unterstützt werden.

- Die Regierungen müssen in diese multilateralen Prozesse voll eingebunden sein, wobei die Interessenträger akzeptieren, dass letztlich allein die Regierungen für die Politikgestaltung und staatliches Handeln zuständig sind.

- Verwaltungsregelungen für das Internet müssen unter Einbeziehung aller Akteure getroffen werden, wobei die Beteiligung der Entwicklungsländer an den einschlägigen Entscheidungsgremien dringend verbessert werden muss.

VERGABE VON INTERNET-NAMEN UND -ADRESSEN

Wie werden Internet-Namen und -Adressen vergeben?

Die Koordinierung der Ressourcen für die Vergabe von Internet-Namen und -Adressen ist eine zentrale Verwaltungsfunktion, die den einwandfreien Betrieb des weltweiten Internet gewährleistet. Der tägliche Internetverkehr ist so umfangreich, dass die Geräte einzelner Nutzer unbedingt zuverlässig identifizierbar sein müssen, damit Internet-Pakete an den richtigen Ort geleitet werden können.

Zusätzlich wird der Kommunikationsprozess dadurch vereinfacht, dass vielen der zu diesem Zweck verwendeten numerischen Adressen einmalige Internet-Domänennamen zugeordnet werden. Solche Domänennamen wurden in den letzten Jahren immer beliebter, und heute sind davon weltweit über 170 Millionen registriert[10], die zu rund 270 Domänennamen oberster Stufe ( Top Level Domains ) gehören.

IANA

Aus historischen Gründen sind die IANA-Funktionen (Internet Assigned Numbers Authority) für die Ressourcen der weltweiten Vergabe von Internet-Namen und -Adressen in den USA angesiedelt. Als sich das Internet zunehmend ausbreitete und für Wirtschaft und Gesellschaft eine zentrale Bedeutung erlangte, beschloss die US-Regierung Ende der 1990er Jahre, die private gemeinnützige Organisation ICANN mit der Erbringung dazugehöriger Dienste zu beauftragen[11].

Der aktuelle Stand dieser Funktionen wurde kürzlich von der internationalen Gemeinschaft im Rahmen des WSIS einer Prüfung unterzogen, wobei vereinbart wurde, dass „die Regulierungskompetenz für die mit dem Internet zusammenhängenden Belange des öffentlichen Interesses das souveräne Recht der Staaten ist.“ Außerdem kam man darin überein, dass „kein Land in Entscheidungen eingreifen soll, die die Ländercode-Domäne oberster Stufe (ccTLD) eines anderen Landes betreffen.[12]“

ICANN

ICANN, die Zentralstelle für die Vergabe von Internet-Namen und -Adressen, wurde 1998 als einmaliges Selbstverwaltungsexperiment gegründet und mit einer ehrgeizigen Agenda ausgestattet, damit alle Beteiligten bei der Koordinierung dieser Ressourcen zusammenarbeiten.

Die EU hat in diesem Prozess eine aktive Rolle gespielt und die Initiative der US-Regierung mit dem Vorbehalt unterstützt, dass die Kernressourcen weiterhin vorrangig vom Privatsektor koordiniert werden, der diese täglich betreibt, dass der Privatsektor einer angemessenen Rechenschaftspflicht gegenüber der internationalen Gemeinschaft unterliegt und dass die Verwaltung der Ressourcen im Interesse des Allgemeinwohls zum Vorteil der Internetnutzer weltweit erfolgt.

ICANN besteht nun seit zehn Jahren. Im September 2009 läuft die letzte einer Reihe von Vereinbarungen aus, die die US-Regierung mit ICANN im Hinblick auf deren Ziele geschlossen hat. Für die EU ist es somit an der Zeit, die bis heute erzielten Fortschritte von ICANN zu untersuchen und zu prüfen, welche Änderungen gegebenenfalls zweckmäßig sind.

Die gemeinsame Projektvereinbarung (JPA)

Als die US-Regierung 2006 ankündigte, dass die laufende Vereinbarung mit ICANN die letzte dieser Art sein sollte, wurde dies von der internationalen Gemeinschaft (einschließlich der EU) weitgehend begrüßt. Zugleich hat die US-Regierung aber auch stets darauf hingewiesen, dass sie eine effektive Kontrolle über die Koordinierung der wichtigsten Funktionen für die weltweite Vergabe von Internet-Namen und -Adressen aufrechterhalten wolle, was wiederum bedeuten könnte, dass das Problem der „unilateralen Aufsicht“ über diese Ressourcen weiter ungelöst bleibt.

Was hat ICANN in den ersten zehn Jahren geleistet?

Der zehnjährige Betrieb von ICANN hat ohne Zweifel zu einem reichen Erfahrungsschatz geführt, den es zu analysieren gilt. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Stabilität des Domänennamensystems während dieser Zeit gewahrt blieb, womit ICANN und die US-Regierung für sich beanspruchen können, ein wichtiges Ziel erreicht zu haben. Auch die Schaffung eines breit gefächerten Forums von Interessenträgern für eine integrative Politik gehört zu den wertvollen Beiträgen von ICANN.

Durch ICANN konnten einerseits die Vorteile eines solchen Modells erfolgreich unter Beweis gestellt, andererseits aber auch dessen Grenzen aufgezeigt werden.

Beispielsweise sind im ICANN-Beratungsausschuss der Regierungen (GAC) noch nicht alle Staaten vertreten, was zu Kritik an dessen Repräsentativität Anlass gibt. Allerdings hat der Ausschuss auch eine Reihe materieller Grundsätze zu wichtigen Regelungsaspekten aufgestellt, z. B. zu länderspezifischen Domänennamen oberster Stufe und neuen allgemeinen Domänennamen oberster Stufe sowie zu Whois-Daten. Gleichzeitig wird aber auch die Befürchtung geäußert, dass der ICANN-Vorstand die Ratschläge des GAC nicht angemessen berücksichtigt. Ein weiteres Beispiel sind Bedenken hinsichtlich des Wettbewerbs, der aufgrund der Position von ICANN als privater Monopolanbieter für bestimmte Dienstleistungen beeinträchtigt werden könnte.

Was ist im Zusammenhang mit ICANN unter „Rechenschaftspflicht“ zu verstehen?

Rechenschaftspflicht bedeutet, dass eine Organisation wie ICANN für ihre Entscheidungen verantwortlich ist. ICANN hat unlängst die Regelungen für die interne Rechenschaftspflicht, d. h. gegenüber den aktiven Teilnehmern an den verschiedenen ICANN-Gruppen, intensiv überarbeitet. Problematisch ist jedoch, dass die große Mehrheit der Internetnutzer nicht an den ICANN-Aktivitäten beteiligt ist. Deshalb sollte der ICANN auch eine externe Rechenschaftspflicht gegenüber der weltweiten Nutzergemeinschaft auferlegt werden, was zunächst eine Rechenschaftspflicht gegenüber den Regierungen der einzelnen Länder in der Welt bedeuten würde (u. a. weil in vielen Staaten keine Alternative besteht).

Die einzige externe Rechenschaftspflicht hat ICANN derzeit nur gegenüber der US-Regierung im Rahmen der gemeinsamen Projektvereinbarung (JPA) und des IANA-Vertrags, wobei es sich jedoch nur um eine unilaterale Rechenschaftspflicht gegenüber einer einzigen Regierung handelt. Die Stabilität und Verwaltung der zentralen Root-Zonendatei ist aber nicht nur für die US-Regierung, sondern für alle Länder in der Welt von zentraler Bedeutung. International besteht jedoch kein Einvernehmen darüber, ob eine neue zwischenstaatliche Organisation für die Ausübung einer solchen Aufsicht zu schaffen oder eine bestehende Organisation damit zu beauftragen ist. Alternativ könnte ICANN eine generelle externe Rechenschaftspflicht auferlegt werden, so dass jede Regierung in eigenem Interesse jene Zuständigkeiten wahrnehmen kann, die zu Recht auf ihrer Ebene angesiedelt sind.

Welche weiteren Fragen gilt es zu behandeln?

Die Organisationsform von ICANN als Gesellschaft nach kalifornischem Recht stellt ein Problem dar, aus dem sich auch Konflikte bezüglich des anwendbaren Rechts und der Rechtsprechung ergeben. Zudem bestehen weiterhin berechtigte Zweifel[13] darüber, ob ein Regierungsausschuss, der eine private Organisation berät, ein geeignetes und wirksames Instrument für die Regierungen darstellt, ihrer Verantwortung für die Belange des öffentlichen Interesses nachzukommen. Darüber hinaus ergibt sich aus der von ICANN praktizierten Selbstregulierung, dass etablierte Betreiber eine möglicherweise unerwünschte Rolle spielen (z. B. aus wettbewerbspolitischer Sicht), indem sie Bedingungen für den Eintritt neuer Wettbewerber aufstellen.

DIE NÄCHSTEN SCHRITTE

Für die Anwendung der für die Belange des öffentlichen Interesses geltenden Grundsätze müssen gemeinsame Anstrengungen unternommen werden, um einen umfassenden Dialog mit allen Beteiligten einzurichten und wirksame Mechanismen der Rechenschaftspflicht zu entwickeln, die die Einhaltung dieser Grundsätze gewährleisten. Auch die Diskussionen und Überlegungen zur Internet-Verwaltung müssen „zukunftsfähig“ gestaltet werden. Vor allem sollten die Ergebnisse solcher Überlegungen an künftige Entwicklungen des Internet, einschließlich des „Internet der Dinge“, angepasst werden können.

Zu diesem Zweck schlägt die Kommission vor, dass die EU mit ihren internationalen Partnern Gespräche darüber führt, wie der zwischenstaatliche Dialog und die Zusammenarbeit – neben den bereits laufenden Arbeiten in den verschiedenen Aktionsbereichen – angeregt und unterstützt werden können, um die auf dem WSIS für die Belange des öffentlichen Interesses vereinbarten Grundsätze der Internet-Verwaltung umzusetzen.

Diese Gespräche sollten von dem Erfordernis ausgehen, die Führungsrolle des Privatsektors in allen Bereichen der laufenden Internet-Verwaltung aufrechtzuerhalten. Dabei sollte, wo immer dies möglich ist, auch der multilaterale Prozess gefördert werden.

Gleichzeitig muss die Regulierung der weltweiten Internet-Kernressourcen (insbesondere jener, die einer globalen Koordinierung bedürfen) im Rahmen einer multilateralen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit erfolgen.

Ein Schritt zur Weiterentwicklung des derzeitigen Verwaltungssystems könnte eine interne ICANN-Reform sein, die zu voller Rechenschaftspflicht und Transparenz führt.

Was die externe Rechenschaftspflicht anbelangt, so muss die derzeitige Regelung einer unilateralen Aufsicht über ICANN und IANA durch einen anderen Mechanismus ersetzt werden, der eine multilaterale Rechenschaftspflicht von ICANN gewährleistet.

Dabei sollte ein entwicklungsorientierter Ansatz verfolgt werden, der es den Regierungen ermöglicht, ihrer Verantwortung angemessen gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang wird auch zu untersuchen sein, wie sichergestellt werden kann, dass die Organisationsform von ICANN als Gesellschaft kalifornischen Rechts einer angemessenen Einflussnahme der Regierungen nicht im Wege steht.

Darüber hinaus sollte die EU eine führende Rolle bei der Verwirklichung des Ziels eines sichereren und stabileren Internet spielen, indem sie einen Dialog mit den internationalen Partnern in Gang setzt.

Abschließend schlägt die Kommission vor, dass die EU sich um die Aufnahme von Gesprächen mit der US-Regierung bemüht, um eine gerechtere Form der Aufsicht über das IANA-Management zu finden, die sowohl den nationalen Prioritäten der USA als auch den berechtigten Ansprüchen und Interessen der internationalen Gemeinschaft gerecht wird.

[1] http://www.internetworldstats.com/stats9.htm.

[2] Und darüber hinaus, nämlich Gesamteuropa, Zentralasien und Naher Osten.

[3] Réseaux IP Européens Network Coordination Centre

[4] KOM(98) 111 vom 20.2.1998, „International policy issues related to Internet governance“ (im selben Jahr gefolgt von der Mitteilung KOM(1998) 476 vom 29.7.1998, und im Jahr 2000 von der Mitteilung KOM(2000) 202 vom 11.4.2000, jeweils zu dem gleichen Thema).

[5] Siehe 8.3.

[6] KOM(2000) 202.

[7] ABl. C 293 vom 14.10.2000, S. 3.

[8] Vgl. Dokument 10285/05 (Presse 156).

[9] Schlussfolgerungen des Rates „Telekommunikation“ vom 26./27. Juni 2005 zum WSIS sowie vom 28. November 2008 zur Mitteilung über künftige Netze und das Internet (KOM(2008) 594).

[10] Quelle: VeriSign „Domain Name Industry Brief“, Februar 2009.

[11] Siehe: http://www.ntia.doc.gov/ntiahome/domainname/iana/ianacontract_081406.pdf.

[12] Absätze 35 und 63 der Tunis-Agenda. Siehe: http://www.itu.int/wsis/docs2/tunis/off/6rev1.html (deutsche Fassung unter: http://www.un.org/Depts/german/conf/wsis-05-tunis-doc-6rev1.pdf)

[13] Wie die Tatsache, dass mehrere große Länder noch immer nicht im GAC vertreten sind, sowie die grundlegende anhaltende Kritik einer Reihe von Ländern, die in dem Ausschuss aktiv mitwirken.