16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/74


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verschuldung und soziale Ausgrenzung in der Überflussgesellschaft“

(2008/C 44/19)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Verschuldung und soziale Ausgrenzung in der Überflussgesellschaft“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr PEGADO LIZ.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 25. Oktober) mit 59 Stimmen bei einer Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Da gemeinschaftliche Leitvorgaben fehlen, haben die einzelnen Mitgliedstaaten eigene rechtliche Lösungsansätze für die Prävention von Überschuldung, die Behandlung dieses Problems, die Schuldenbereinigung sowie die Begleitung und Betreuung der betroffenen Bürger und Familien entwickelt.

1.2

Angesichts der besorgniserregenden Zunahme der Überschuldung während der letzten Jahrzehnte und unter besonderer Berücksichtigung der Erweiterung der Europäischen Union sowie der in jüngster Zeit zu beobachtenden weltweiten Verschärfung der Lage hat sich der EWSA, der diese Entwicklung mit den sozialen Folgen der Überschuldung — Ausgrenzung und Verlust an sozialer Gerechtigkeit — und den negativen Auswirkungen auf die Verwirklichung des Binnenmarktes bereits seit langem verfolgt, entschlossen, die öffentliche Debatte über dieses Problem mit der Zivilgesellschaft und den anderen Gemeinschaftsinstitutionen wieder anzustoßen, damit auf Gemeinschaftsebene geeignete Maßnahmen im Hinblick auf eine genaue Definition des Phänomens, seine Überwachung sowie seine soziale, wirtschaftliche und rechtliche Behandlung festgelegt und durchgeführt werden.

1.3

Die Vielfalt der Systeme, die nicht nur in Europa, sondern auch im Rest der Welt in verschiedenen Ländern geschaffen wurden, führt in Verbindung mit dem Fehlen derartiger Systeme in anderen Ländern zum einen zu Chancenungleichheit und damit sozialer Ungerechtigkeit und zum andern zu Störungen bei der Vollendung des Binnenmarktes; daher ist ein dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehorchendes Tätigwerden der Europäischen Union erforderlich, für das die notwendige Rechtsgrundlage im Primärrecht gegeben ist.

1.4

In der vorliegenden Stellungnahme werden die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der Überschuldung erörtert, die verschiedenen einzelstaatlichen Lösungen analysiert, die festgestellten Probleme und Mängel beschrieben, der Gesamtumfang des Phänomens abgeschätzt, Überlegungen zu den Lücken im Kenntnisstand und bei den Methoden angestellt sowie der Versuch unternommen, Ansätze und Bereiche für ein eventuelles Handeln auf Gemeinschaftsebene aufzuzeigen.

1.5

Überdies wird die Einrichtung einer europäischen Beobachtungsstelle für Verschuldung vorgeschlagen, die die Entwicklung des Phänomens auf europäischer Ebene verfolgen, als Dialogforum für alle interessierten Parteien dienen und Maßnahmen zu seiner Prävention und Eindämmung vorschlagen, koordinieren und bewerten soll.

1.6

Der Ausschuss ist sich jedoch bewusst, dass eine Angleichung dieser Art und in diesem Umfang nur dann möglich ist, wenn die Kommission, das Europäische Parlament und der Rat im engen Dialog mit der organisierten Zivilgesellschaft, die die wichtigsten betroffenen Parteien vertritt (Familien, Arbeitnehmer, Verbraucher, Finanzinstitute usw.), dieses Thema zu einem prioritären Handlungsbereich machen.

1.7

Daher ist zu begrüßen, dass sich die Kommission neuerdings wieder diesem Thema zuzuwenden scheint, und es wird nachdrücklich empfohlen, die notwendigen Maßnahmen in Form von Grundlagenstudien, Konsultationen sowie geeigneten legislativen und anderen Vorschlägen folgen zu lassen. Als Erstes sollte ein Grünbuch veröffentlicht werden, in dem die Problemstellung umrissen wird und mittels einer erweiterten öffentlichen Konsultation alle interessierten Kreise zu Wort kommen.

1.8

Außerdem appelliert der Ausschuss an das Europäische Parlament und den Rat, sich die in dieser Stellungnahme dargelegten wichtigen Anliegen der Zivilgesellschaft zu eigen zu machen und diese als Prioritäten in ihre politische Agenda aufzunehmen.

2.   Einleitung

2.1

Es ist an sich unumstritten, dass Kredite den Unionsbürgern eine Verbesserung ihrer Lebensqualität und den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen ermöglichen, die sie sich andernfalls nicht oder erst viel später leisten könnten, wie z.B. Wohneigentum oder ein eigenes Fahrzeug. Bei einer unverträglichen Belastung — d.h. wenn schwerwiegende Arbeitsplatzprobleme vorliegen, der monatliche Schuldendienst einen vernünftigen Anteil des verfügbaren monatlichen Einkommens überschreitet, zu viele Kredite gleichzeitig laufen und kein Polster an Ersparnissen vorhanden ist, um kurzfristige Einkommensausfälle abzufedern — können Kredite jedoch zu Überschuldung führen.

2.2

Die Überschuldung mit ihren sozialen Folgen ist im Übrigen kein neues Phänomen. Ihre Ursprünge lassen sich gar bis in die klassische Antike zurückverfolgen, genauer gesagt bis zur Agrarkrise im Griechenland des 6. Jahrhundert v. Chr., auf die Solon seinerzeit (594/593 v. Chr.) mit einem Schuldenerlass für die Kleinbauern reagierte, damit diejenigen, die wegen ihrer Schulden als Sklaven verkauft worden waren, wieder freikamen und wieder als freie Bürger am gesellschaftlichen und produktiven Leben Athens teilhaben konnten (1).

2.3

Es kann jedoch nicht bestritten werden, dass das Phänomen gerade in unserer Zeit immer weiter um sich greift, besorgniserregende Formen annimmt und als soziale Frage die Gemüter in einer Gesellschaft beschäftigt, die durch starke Unterschiede geprägt ist, in der die Disparitäten immer größer werden und die Solidarität abgenommen hat.

2.4

In diesem Zusammenhang gewinnt die Frage der finanziellen Ausgrenzung besondere Bedeutung; unter diesem Begriff ist die soziale Ausgrenzung derjenigen zu verstehen, denen aus unterschiedlichen Gründen der Zugang zu den grundlegenden Finanzdienstleistungen verwehrt ist (2).

2.5

In der vorliegenden Stellungnahme sollen die wichtigsten Ursachen und das Ausmaß des Problems sowie die am häufigsten eingesetzten Abhilfemaßnahmen aufgezeigt und die Gründe dargelegt werden, die für das Bemühen um eine Lösung auf Gemeinschaftsebene sprechen.

3.   Ausmaß des Problems

3.1   Soziale Ausgrenzung und finanzielle Ausgrenzung

3.1.1

Laut einer Eurobarometer-Umfrage vom Februar 2007 (3) fühlen sich rund 25 % der europäischen Bürger von Armut bedroht, und 62 % glauben, dass jeder irgendwann im Leben von dieser Gefahr betroffen werden kann.

3.1.2

Gemäß dem von der Europäischen Kommission vorgelegten gemeinsamen Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2007 lebten 16 % der Bürger der EU-15 im Jahr 2004 unterhalb der Armutsgrenze (60 % des Durchschnittseinkommens in den einzelnen Ländern) (4).

3.1.3

Qualitativ betrachtet bedeutet Armut, dass die für die Befriedigung der wesentlichen Bedürfnisse des Einzelnen notwendigen materiellen Ressourcen nicht bzw. nicht in ausreichendem Umfang vorhanden sind; sie ist das am deutlichsten sichtbare Merkmal der sozialen Ausgrenzung und drängt das Individuum an den Rand der Gesellschaft — es fühlt sich abgelehnt und kapselt sich ab.

3.1.4

Ausmaß und Form der sozialen Ausgrenzung hängen in jedem Land von verschiedenen Variablen ab, wie z.B. dem System der sozialen Sicherheit, dem Verhalten des Arbeitsmarktes, dem Funktionieren des Justizsystems und den informellen Solidaritätsnetzwerken. Einwanderer, ethnische Minderheiten, ältere Menschen, Kinder unter 15 Jahren, Personen mit niedrigem Einkommen und niedrigem Bildungsstand, Behinderte und Arbeitslose sind diejenigen Bevölkerungsgruppen, die am stärksten von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind.

3.1.5

In den meisten europäischen Ländern deuten die Konsumtrends darauf hin, dass die Ausgaben für Lebensmittel, Getränke und Tabak, Bekleidung und Schuhe im Verhältnis zurückgehen, während die Ausgaben für Wohnraum, Transport- und Kommunikationsmittel, Gesundheit, Kultur und andere Güter und Dienstleistungen, z.B. in den Bereichen Gesundheitsfürsorge, Reisen und Dienstleistungen des Hotel- und Gaststättengewerbes, steigen (5).

3.1.5.1

Diese Umschichtung der Ausgaben schlägt sich in der Inanspruchnahme von Krediten nieder. Der Verbraucherkredit im weiten Sinne, der den Erwerb sowohl von Verbrauchsgütern als auch von Wohneigentum umfasst, ist heutzutage eng an die veränderten Konsummuster gekoppelt, deren Trends und Schwankungen er in starkem Maße folgt. Die im Verhältnis steigenden Ausgaben im Zusammenhang mit Wohnkomfort (6), Beförderungsmitteln und Reisen werden daher häufig über Kredite finanziert.

3.1.5.2

Zum Anstieg des kreditfinanzierten Konsums trägt außerdem bei, dass dieser den negativen Beigeschmack von Armut oder schuldhaftem Verhalten in der Lebensführung oder im Geschäftsgebaren — insbesondere in den katholisch geprägten Ländern, die sich hier von Ländern mit protestantischer Tradition unterscheiden — verloren hat, und dass er insbesondere in den Großstädten weit verbreitet ist. Die intensive und systematische Werbung der Finanzinstitute um neue Kunden leistet dieser allgemeinen Verbreitung Vorschub. Außerdem ermöglicht der Verbraucherkredit die Zurschaustellung eines gewissen Status und die Kaschierung der tatsächlichen sozialen Schicht, indem ein Lebensstil gewählt werden kann, der dem einer höheren Schicht entspricht. Die Kreditzahlung ist für viele Familen sogar eine übliche Form der Verwaltung des Familienbudgets (insbesondere mittels Kreditkarten), deren Gefahren bekannt sind; es gibt darüber jedoch keine ausreichenden Informationen und auch noch keine befriedigenden Zahlenangaben, und es fehlt an wirkungsvollen Abhilfemaßnahmen.

3.1.6

Diese sozialen und kulturellen Determinanten werden zudem durch wirtschaftliche und finanzielle Faktoren unterstützt, wie z.B. den starken Rückgang der Zinssätze in den letzten zehn Jahren, die rückläufige Sparbereitschaft, die relativ niedrigen Arbeitslosenquoten und das Wirtschaftswachstum (trotz der Krise Ende der 90er Jahre, die jedoch nicht so gravierende Ausmaße wie in früheren Zeiten angenommen hat). Hinzu kommt die Deregulierung des gesamten Kreditwesens seit Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre (7), die zu einer starken Expansion und zahlenmäßigen Zunahme der kreditgewährenden Einrichtungen, von denen einige nicht den Finanzaufsichtsvorschriften unterliegen, und zu einem steigenden Wettbewerb zwischen diesen Einrichtungen geführt hat, wodurch die Beziehungen zwischen Bank und Kunde unpersönlicher wurden.

3.1.7

Durch das Zusammenwirken dieser Faktoren wird die europäische Gesellschaft immer stärker von der Gewährung von Krediten abhängig, damit die wesentlichen Bedürfnisse ihrer Bürger erfüllt werden können. Die zunehmende Verschuldung in sämtlichen Mitgliedstaaten ist hierfür ein klarer Beweis (8).

3.1.8

Bei einer verträglichen Belastung — d.h. wenn keine schwerwiegenden Arbeitsplatzprobleme vorliegen, der monatliche Schuldendienst einen vernünftigen Anteil des verfügbaren monatlichen Einkommens nicht überschreitet, nicht zu viele Kredite gleichzeitig laufen und ein gewisses Polster an Ersparnissen vorhanden ist, um kurzfristige Einkommensausfälle abzufedern — können Kredite den europäischen Bürgern eine Verbesserung der Lebensqualität und den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen ermöglichen, die sie sich andernfalls nicht oder erst viel später leisten könnten, wie z.B. Wohneigentum oder ein eigenes Fahrzeug.

3.1.9

Keiner, der einen Kreditvertrag abschließt, ist jedoch gegen die Gefahr gefeit, dass es im persönlichen oder familiären Leben einmal etwas weniger gut läuft und die eingegangenen Verpflichtungen daher nicht pünktlich erfüllt werden können. Auf diese Weise kann aus einer normalen Verschuldung, die der Einzelne im Griff hat, aus verschiedenen Gründen eine Überschuldung werden, die außer Kontrolle gerät.

3.2   Begriffsbestimmung und Maßstab für Überschuldung

3.2.1

Der Begriff Überschuldung bezeichnet eine Situation, in der es der betroffenen Person auch auf lange Sicht nicht möglich ist, ihre gesamten Schulden zu begleichen bzw. in der die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass sie zum Zeitpunkt der Fälligkeit dazu nicht in der Lage sein wird (9). In den einzelnen Mitgliedstaaten werden zur Bezeichnung dieses Sachverhalts sehr unterschiedliche Begriffe gebraucht, und eine Definition auf Gemeinschaftsebene steht noch aus (10). Aus diesem Grund ist der Schritt der Kommission zu begrüßen, die hierzu unlängst eine Studie in Auftrag gegeben hat (11).

3.2.2

Nicht nur das Konzept selbst ist weder eindeutig noch problemlos abzugrenzen, auch in der Frage des Maßstabs für Überschuldung gibt es unterschiedliche Ansätze. In einer ebenfalls von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie (12) wurden hierfür drei Formeln oder Modelle beschrieben: das administrative (13), das subjektive (14) und das objektive Modell (15).

3.2.3

Eine der Hauptschwierigkeiten bei der Einschätzung des Umfangs der Überschuldung in Europa ist das Fehlen zuverlässiger statistischer Angaben und die Unmöglichkeit des Vergleichs der vorhandenen Daten, weil unterschiedliche Methoden, Konzepte und Messintervalle verwendet werden. Dies wird einer derjenigen Bereiche sein, denen die Kommission größte Aufmerksamkeit schenken sollte und in denen sie die notwendigen Arbeiten zur Erfassung und Aufbereitung zuverlässiger und vergleichbarer Daten durchführen muss.

4.   Wichtigste Ursachen der Überschuldung

4.1

In zahlreichen soziologischen Studien, die in verschiedenen Mitgliedstaaten durchgeführt wurden, werden folgende Hauptursachen der Überschuldung festgestellt:

a)

Arbeitslosigkeit und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen;

b)

Veränderungen der Familienstruktur wie z.B. Scheidung, Tod des Ehepartners, Geburt eines nicht geplanten Kindes, unerwartete Hilfsbedürftigkeit alter oder gebrechlicher Verwandter, Krankheit oder Unfall;

c)

Scheitern einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, Konkurs kleiner Familienunternehmen mit persönlicher Haftung;

d)

zu starke Konsumanreize und Verlockung zu schnellen Krediten, Glücksspielen und Börsenspekulationen sowie die Weckung eines überhöhten Statusdenkens durch Werbung und Marketing;

e)

steigende Zinsen, die vor allem auf Kredite mit langer Laufzeit wie den Wohnungsbaukredit negativ durchschlagen;

f)

mangelhafte Verwaltung des Familienbudgets;

g)

seitens des Kunden absichtliche Verheimlichung von Informationen, die für die Finanzinstitute wichtig sind, um seine Solvenz beurteilen zu können;

h)

zu starke Inanspruchnahme von Kreditkarten, Revolvingkrediten und durch Finanzierungsgesellschaften gewährten Personalkrediten mit hohen Zinssätzen;

i)

Beschaffung von Krediten zu Wucherzinsen auf dem informellen Markt, insbesondere durch Personen mit geringem Einkommen;

j)

Verwendung von Krediten zur Abzahlung bestehender Kredite, wodurch ein Schneeballeffekt entsteht;

k)

der Umstand, dass sozial isoliert lebende Menschen mit Behinderungen und Menschen mit begrenzten kognitiven Fähigkeiten leicht Opfer aggressiver Kreditunternehmen werden können;

l)

die mangelnde Bereitschaft bestimmter Finanzinstitute, mit ihren weniger wohlhabenden Kunden im Falle finanzieller Schwierigkeiten die Rückzahlung ihrer Schulden neu auszuhandeln.

Die soziologische Analyse des Phänomens zeigt also, dass die so genannten passiven Ursachen überwiegen, wenn auch in einigen Ländern die Bedeutung des schlechten Wirtschaftens herausgestellt wird (16). Diese Feststellung legt den Schluss nahe, dass die Betreffenden Schwierigkeiten haben, ihr Budget umsichtig und nachhaltig zu verwalten (17).

4.2

Finanzielle Ausgrenzung äußert sich üblicherweise in einem erschwerten oder völlig versperrten Zugang zum Markt für grundlegende Finanzdienstleistungen; dies betrifft insbesondere die Eröffnung eines Girokontos, den Besitz von elektronischen Zahlungsmitteln, die Möglichkeit zur Durchführung von Banküberweisungen und zum Abschluss von Kreditversicherungen.

4.3

Die finanzielle Ausgrenzung erstreckt sich a fortiori auf den Zugang zu günstigen Krediten, die den Erwerb von für die Haushalte unverzichtbaren Gütern und Dienstleistungen (Wohnraum, Elektrogeräte, Transportmittel, Bildung), den Schritt in die Selbstständigkeit oder die Führung eines kleinen Einpersonen- oder Familienunternehmens ermöglichen.

4.4

Heutzutage ist der Zugang zu einem Bankkonto, zu bestimmten Arten von Krediten und zu elektronischen Systemen, die Transaktionen ermöglichen, wiederum eine unverzichtbare Voraussetzung für den Zugang zu wesentlichen Gütern und Dienstleistungen. Für die Arbeit, das Führen eines Kleinbetriebs, für Wohnung, Haushaltseinrichtung, Transportmittel, Information und sogar Lebensmittel, Bekleidung und Freizeitaktivitäten ist der Zugang zu Krediten und Bankdienstleistungen erforderlich, denen daher eine besondere soziale Verantwortung vergleichbar der eines öffentlichen Versorgungsauftrags zukommt.

4.5

Hier verschwimmt die Trennlinie zwischen dem immer größer werdenden verarmenden Teil der Mittelschicht und den definitiv Ausgegrenzten, den Obdachlosen, Bettlern, Sozialhilfeabhängigen. Genau an dieser Armutsgrenze erhalten die Prävention und die Behandlung der Überschuldung sowie die Schuldenbereinigung ihre volle Relevanz, denn es muss verhindert werden, dass sozial und wirtschaftlich integrierte bzw. wiedereingliederungsfähige Menschen unwiederbringlich in den Teufelskreis von Armut und sozialer Ausgrenzung geraten.

5.   Prävention und Behandlung der Überschuldung

5.1   Prävention

In den nationalen Systemen liegt der Schwerpunkt im Allgemeinen auf Maßnahmen zur Prävention der Überschuldung, als da wären:

a)

Möglichst umfassende und breit zugängliche Informationen über Finanzdienstleistungen generell, ihre Kosten und ihre Funktionsweise.

b)

Finanzerziehung schon frühzeitig im Rahmen der schulischen Lehrpläne und in anderen Bereichen der allgemeinen und beruflichen Bildung als Prozess des lebenslangen Lernens, der an die Bedürfnisse und Kompetenzen der jeweiligen Zielgruppen angepasst ist, die sich im Lauf des Lebens und in Abhängigkeit von der Kultur, dem Wertesystem, den soziodemografischen und wirtschaftlichen Merkmalen, den Verbrauchsmustern und der Verschuldungssituation der Betroffenen ändern können; es ist zu erwähnen, dass in einigen Ländern die „Medien“ und insbesondere die Fernsehsender mit öffentlichem Versorgungsauftrag mit der Unterstützung von Verbraucherverbänden und Finanzinstituten Informationssendungen zum Themenkreis Kredite und Verschuldung gestalten, die häufig zur Hauptsendezeit ausgestrahlt werden. Darüber hinaus sollten die Strukturen der Erwachsenenbildung, wie sie in manchen Ländern von Familienbildungsstätten wahrgenommen werden, genutzt werden.

c)

Auf- und Ausbau von Finanzberatungsnetzwerken, die den Bürgern dabei helfen, ihr Budget ausgewogen zu verwalten und die geeignetsten Finanzierungsmöglichkeiten für die jeweiligen Konsumbedürfnisse auszuwählen; auf diese Weise wird das Informationsgefälle gegenüber den Finanzinstituten verringert, und es werden auch — mit Hilfe von Ex-ante-Simulationen — nachhaltige Schuldenbereinigungspläne erstellt.

d)

Sparanreize (steuerliche, soziale und erzieherische Anreize) als erste Verteidigungslinie für Haushalte, auf die finanzielle Schwierigkeiten zukommen, und als Gegengewicht zur ungebremsten Werbung für Kredite.

e)

Verwendung von Credit-Scoring -Systemen der Kreditinstitute oder von unter Vertrag genommenen Fachfirmen zur Bewertung des Kreditrisikos der Kunden; dies ermöglicht es, durch die Bewertung vielfältiger Variabler das Insolvenzrisiko zu ermitteln und objektive Grenzen für die Verschuldung des Einzelnen oder des Haushalts festzulegen (18).

f)

Gewährleistung von angemessenen, in effiziente Systeme der sozialen Sicherheit eingebetteten Renten, Frührenten und anderen Sozialleistungen für diejenigen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, durch den Staat als notwendige Voraussetzung, um die gesellschaftliche Ausgrenzung derjenigen zu verhindern, die nicht auf private Pensionsfonds zurückgreifen können (19).

g)

Verfügbarkeit wesentlicher Kreditversicherungen zur Absicherung des finanziellen Risikos (20).

h)

Sozialkredit, Kleinstkredit und erschwinglicher Kredit

Initiativen wie der Kleinstkredit, Sparkassen, Kreditgenossenschaften, die Sozialhilfefonds in Deutschland und in den Niederlanden, die Postbanken und der Sozialkredit sind zusammen mit weiteren neuen Initiativen in den Mitgliedstaaten beachtenswerte Beispiele für die Vergabe erschwinglicher Kredite an Personen, die von Ausgrenzung bedroht sind. Kleinstkredite z.B. tragen dazu bei, Kleinunternehmen und selbstständige Beschäftigung zu finanzieren und dadurch einige Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt und die Erwerbstätigkeit einzugliedern. Die fachmännische Betreuung der Empfänger von Kleinstkrediten (in organisatorischen, buchhalterischen und kaufmännischen Fragen) durch die Finanzinstitute ist empfehlenswert und verschiedentlich bereits üblich (21).

i)

Verantwortungsvolle Kreditvergabe, d.h. eine stärkere Berücksichtigung der spezifischen Erfordernisse und Lebensbedingungen der einzelnen Schuldner durch die Finanzinstitute und die Suche nach dem jeweils geeignetsten Finanzierungsinstrument bzw. sogar die Verweigerung weiterer Kredite im Falle einer drohenden Überschuldung (22).

j)

Kreditauskunfteien

Die Zusammenarbeit mit Kreditauskunfteien, die entweder die gesamte finanzielle Vorgeschichte der Kunden (Positivdaten) oder nur Informationen über Zahlungsschwierigkeiten (Negativdaten) speichern, ermöglicht den Kreditinstituten einen Überblick über die Verschuldung eines Kunden und eine fundiertere Entscheidung über die Gewährung eines Kredits. Dennoch birgt das System — insbesondere was die Positivdaten angeht — Risiken in Bezug auf den Datenschutz und ist wirkungslos bei „unverschuldeter“ oder „passiver“ Verschuldung, weil künftige Verschuldungsfaktoren nicht vorhersagbar sind und weil sonstige, nicht durch Finanzgeschäfte verursachte Schulden (z.B. unbezahlte Rechnungen über Grunddienstleistungen und Steuerschulden) nicht erfasst werden.

k)

Die Selbst- und Ko-Regulierung, die in die Ausarbeitung von Verhaltenskodizes durch die Finanzinstitute mündet, insbesondere in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit Verbraucherschutzorganisationen, kann dazu beitragen, bestimmte missbräuchliche Praktiken zu verhindern und eine stärkere Berücksichtigung des sozialen Blickwinkels bei der Tätigkeit der Kreditinstitute zu fördern. Derartige Maßnahmen sind auch hilfreich für eine verstärkte Kontrolle der Arbeitsweise der Inkassobüros, da so als Ergänzung zu einem strengen und effektiv angewandten Rechtsrahmen Regeln für den Umgang mit den Schuldnern festgelegt werden können.

l)

Verhütung missbräuchlicher Kreditpraktiken

Verschiedene einzelstaatliche Behörden, Verbraucherorganisationen und andere NGO sowie Kreditinstitute haben Regeln und Verfahren vereinbart, um Praktiken zur Ausschaltung der Konkurrenz und Wucher zu verhindern, die die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen gefährden. Dazu gehören z.B.: Kreditabschlüsse per Telefon oder Mobiltelefon mit hohen Zinsen; Kreditverträge, die mit Verträgen über den Erwerb von Gütern und Dienstleistungen gekoppelt sind, deren sich der Kreditnehmer nicht bewusst ist; Gewährung von Krediten für den Erwerb von Wertpapieren manchmal von derselben Bank; drakonische Strafklauseln; Kreditkarten oder Kundenkarten in Verbindung mit unkomplizierten Kreditmöglichkeiten; Forderung nach dinglichen und gleichzeitig persönlichen Sicherheiten für Verbraucherkredite über niedrige Beträge; unvollständige oder wenig genaue Informationen; Werbung, die sich an Jugendliche richtet. Neben den positiven Auswirkungen im Sinne einer verantwortungsvollen Kreditvergabe tragen derartige Maßnahmen zur Verringerung der Wettbewerbsverzerrungen auf dem Kreditmarkt und zur Stärkung der sozialen Verantwortung der Kreditinstitute bei.

m)

Überwachung und Kontrolle der Werbung für Kredite

Obgleich es sich um eine legitime Strategie zur Förderung des Absatzes von Finanzprodukten handelt, ist angesichts der Art und Weise, wie Werbung betrieben wird, eine aufmerksame Überwachung durch die zuständigen Behörden gerechtfertigt. Auch Werbeinhalte, -kanäle und -techniken müssen strengen und harmonisierten Regeln unterworfen werden, um zu verhindern, dass bei den Verbrauchern der Eindruck erweckt wird, ein Kredit sei risikofrei, leicht erhältlich und nicht mit Kosten verbunden. In diesem Bereich müssen auch Selbst- und Ko-Regulierungsinitiativen sowie gute unternehmerische Praktiken gefördert werden. Diese Initiativen müssen den Kreditnehmern vollständige Klarheit über die Kreditbedingungen sichern und den Kreditgebern eine besondere Verantwortung für diejenigen Personen auferlegen, die aufgrund psychischer Beeinträchtigungen nicht in der Lage sind, die Konsequenzen des Eingehens einer Schuldvereinbarung zu überblicken.

5.2   Behandlung der Überschuldung und Schuldenbereinigung

Für die Behandlung der Überschuldung und die Schuldenbereinigung werden normalerweise zwei Modelle oder Paradigmen angewandt:

5.2.1

Das Modell des „Fresh Start“ nach nordamerikanischem Vorbild wird in einigen europäischen Ländern angewandt. Es beruht auf den Grundsätzen der sofortigen Verwertung der pfändbaren Vermögensgegenstände des Schuldners und der unmittelbaren Befreiung von den Restschulden mit Ausnahme derer, die von Rechts wegen nicht erlassen werden dürfen. Grundlegende Merkmale des Modells sind die begrenzte Haftung des Schuldners, die Risikoteilung mit den Gläubigern, die möglichst schnelle Wiederherstellung der Fähigkeit des Schuldners zur Teilnahme am wirtschaftlichen Leben und am Konsum sowie die klare Nichtstigmatisierung der Überschuldung (23).

5.2.2

Das Modell der Erziehung, das in einigen Ländern Europas vorherrscht, basiert auf der Vorstellung, dass der Schuldner gefehlt hat und ihm geholfen werden muss, er jedoch nicht von der Erfüllung seiner Verpflichtung entbunden werden darf (pacta sunt servanda). Im Mittelpunkt dieses Modells, das von der „Schuld“ des Überschuldeten ausgeht, auch wenn dieser durch Nachlässigkeit oder reine Unachtsamkeit in diese Lage geraten ist, steht die Neuverhandlung über die Schulden mit den Gläubigern mit dem Ziel, einen Gesamtplan für die Schuldenbereinigung festzulegen. Dieser Schuldenbereinigungsplan kann entweder vor Gericht oder aber außergerichtlich ausgehandelt werden, wobei den Schuldenberatungs- und Mediationsstellen eine entscheidende Rolle zukommt (24).

6.   Gründe, die für einen Ansatz auf Gemeinschaftsebene sprechen

6.1   Hintergrund

6.1.1

Nicht zum ersten Mal wird das Thema Überschuldung auf Gemeinschaftsebene und unter einem gemeinschaftlichen Blickwinkel in den Institutionen der Europäischen Union behandelt. Bereits am 13. Juli 1992 hat der Rat in seiner Entschließung zu den künftigen Prioritäten für die Entwicklung der Verbraucherschutzpolitik die Untersuchung der Überschuldung als Priorität festgehalten. Obwohl das Phänomen der Überschuldung auf Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten immer größere Ausmaße angenommen hat und daher in sämtlichen Mitgliedstaaten gezielte legislative und administrative Maßnahmen ergriffen wurden, geriet die Behandlung dieses Problems auf Gemeinschaftsebene praktisch in Vergessenheit.

Dem EWSA fiel das Verdienst zu, im Mai 1999 erneut die Debatte über dieses Thema zu eröffnen, zunächst mit einem Informationsbericht mit dem Titel „Die Überschuldung privater Haushalte“, dem 2002 eine Initiativstellungnahme zum gleichen Thema folgte, auf deren Schlussfolgerungen und Empfehlungen an dieser Stelle verwiesen sei (25).

6.1.2

Während der Ausarbeitung dieser Dokumente hat der Rat „Verbraucherschutz“ am 13. April 2000 das Thema wieder aufgegriffen und die Kommission und die Mitgliedstaaten auf die Notwendigkeit eines gemeinsamen Ansatzes in diesem Bereich hingewiesen. Im Anschluss daran nahm der Rat seine Entschließung über den Verbraucherkredit und die Verschuldung der Verbraucher an (26), in der er angesichts des raschen Voranschreitens dieses Phänomens die Kommission auffordert, sich um die Schließung der Informationslücken hinsichtlich des tatsächlichen Ausmaßes der Überschuldung in Europa zu bemühen und gründlichere vertiefte Überlegungen zur Möglichkeit einer Harmonisierung der Maßnahmen zur Prävention und Behandlung von Überschuldung anzustellen (27).

6.1.3

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission diesen Auftrag des Rates bislang nicht erfüllt hat. Lediglich in ihrem ursprünglichen Vorschlag zur Revision der Verbraucherkreditrichtlinie (2002) (28), wurde die Frage der verantwortungsvollen Kreditvergabe am Rande gestreift (29), bevor sie dann in der endgültigen Fassung (2005) (30), die während des deutschen Ratsvorsitzes bestätigt wurde (31), ganz ausgespart wurde. Dies lässt vermuten, dass die Kommission im Zusammenhang mit dem Verbraucherkredit wohl schwerlich neue Maßnahmen zur Prävention, geschweige denn zur Behandlung von Überschuldung vorlegen wird (32).

6.1.4

Neuere — wenn auch spärliche — Hinweise in einigen Dokumenten der Kommission und sogar in Erklärungen ihres Präsidenten könnten jedoch möglicherweise auf einen Sinneswandel dahingehend hindeuten, dass diesem Phänomen wieder Beachtung geschenkt werden soll (33).

6.1.5

Besondere Erwähnung gebührt aufgrund ihrer Bedeutung die von den Justizministern am 8. April 2005 angenommene Entschließung des Europarates zum Bemühen um rechtliche Lösungen für die Probleme der Verschuldung in einer Kreditgesellschaft  (34). In dieser Entschließung werden Bedenken gegen den leichten Zugang zu Krediten angemeldet, der in bestimmten Fällen um den Preis der Überschuldung der Haushalte erkauft wird und zur Überschuldung der Einzelnen und der Familien führt, womit eindeutig der Weg zur Schaffung eines geeigneten Instruments gewiesen wird, in dem legislative und administrative Maßnahmen festgelegt und praktische Lösungen vorgeschlagen werden  (35).

6.1.6

Zum andern scheint durch neuere wissenschaftliche Arbeiten (36) und von der Kommission eigens in Auftrag gegebene Studien (37) erneut das Bewusstsein für dieses Problem geweckt worden zu sein, das in letzter Zeit von den Staats- und Regierungschefs und Ministern einiger Mitgliedstaaten (38) angesprochen wurde.

6.2   Möglichkeit, Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit von Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene

6.2.1

Der EWSA tritt bereits seit langem für gemeinschaftliche Maßnahmen in diesem Bereich ein und bekräftigt an dieser Stelle, dass diese nicht nur möglich und wünschenswert, sondern sogar notwendig und unabdingbar sind.

6.2.2

Der EWSA ist sich dessen bewusst, dass gemäß den Bestimmungen des Vertrags — solange der Verfassungstext nicht angenommen ist (39) — spezifische Aspekte rein sozialer Art, zu denen die Überschuldung als Ursache der sozialen Ausgrenzung gehört, nicht in die Zuständigkeit der EU fallen.

6.2.2.1

Verschiedene Bestimmungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sehen allerdings entweder geteilte Zuständigkeiten oder von der Kommission zu gestaltende Maßnahmen vor, die die Politik der Mitgliedstaaten in diesem Bereich unterstützen und fördern (40).

6.2.2.2

Hinzu kommt, dass einige Bereiche, in denen ein gemeinschaftliches Handeln möglich wäre, gegenwärtig zur dritten Säule gehören und unter die justizielle Zusammenarbeit fallen (41).

6.2.2.3

Und schließlich erfordert und rechtfertigt die Verwirklichung des Binnenmarktes, die mittlerweile eindeutig auf die Bürger und die Verbraucher ausgerichtet ist (42), die Harmonisierung bestimmter Aspekte im Zusammenhang mit der Überschuldung, ihren sozialen Folgen sowie ihrer Prävention und Behandlung auf Gemeinschaftsebene, um Wettbewerbsverzerrungen und Störungen des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes zu verhindern.

6.3   Wichtigste Handlungsbereiche auf Gemeinschaftsebene

6.3.1   Ein einheitliches Überschuldungskonzept

6.3.1.1

Die Harmonisierungsbemühungen sollten in erster Linie auf die Definition des Begriffs sowie der qualitativen und quantitativen Parameter des Phänomens abzielen, um eine adäquate, in ganz Europa — und idealerweise in der ganzen Welt — einheitliche Darstellung und Beobachtung der zugrunde liegenden sozialen Realitäten auf der Grundlage der Erhebung und Verarbeitung vergleichbarer statistischer Daten, die die Festlegung einer wirtschaftlichen Matrix zu ihrer Quantifizierung ermöglichen, sicherzustellen.

6.3.1.2

Auf der Grundlage dieses Konzepts und der festgelegten Methodik sollte die Kommission die Durchführung einer sich auf den gesamten Gemeinschaftsraum erstreckenden Studie in Auftrag geben, die eine Bewertung der wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Überschuldung ermöglicht (43).

6.3.2   Schadensvermeidung und -begrenzung

6.3.2.1

Es müssen darüber hinaus spezifische und gleichzeitig harmonisierte Legislativmaßnahmen zur Vorhersage und Prävention von Überschuldungssituationen sowie zur Begrenzung der Folgen erarbeitet werden.

Die Rechtsvorschriften sollten insbesondere folgende Aspekte betreffen:

a)

umfassende vorvertragliche und vertragliche Informationen und Kundenbetreuung nach Vertragsabschluss;

b)

Gemeinsame Verantwortung bei der Kreditvergabe ausgehend von der Voraussetzung, dass der Kreditantragsteller den Kreditgeber wahrheitsgemäß über seine Lage informiert und der Kreditgeber wiederum alles in seiner Macht Stehende unternimmt, um den Kreditantragsteller richtig zu beurteilen und gebührend zu beraten (44);

c)

Möglichkeit der kostenlosen Kreditumschuldung;

d)

Kontrolle von Werbung, Marketing und Werbemitteilungen bezüglich Verbraucherkrediten;

e)

Parameter des Kreditscorings und Verbot gänzlich automatisierter Entscheidungen;

f)

Garantie einer Basisbankdienstleistung sowie der weltweiten Verwendbarkeit und Übertragbarkeit von Bankkonten sowie der Möglichkeit des weltweiten Einsatzes elektronischer Zahlungsmittel (Bankkarten);

g)

Definition der Parameter für Kleinstkredite und andere Formen von Sozialkrediten sowie Förderung von „alternativen“ Finanzinstituten für diese Segmente;

h)

Ermittlung und Sanktionierung unlauterer Handelspraktiken und missbräuchlicher Klauseln speziell im Zusammenhang mit der Kreditvergabe;

i)

Rücktrittsrecht;

j)

Abgrenzung der Forderung nach persönlichen Sicherheiten;

k)

Regelungen betreffend die Provision;

l)

Regelungen betreffend die Kreditvermittler;

m)

Stärkung der Befugnisse und der Überwachungsmaßnahmen der für die betreffenden Finanzdienstleistungen zuständigen nationalen Behörden;

n)

Festlegung der Parameter zur Bestimmung der Formen von Wucherei;

o)

Aufnahme einer Bestimmung in die Verbraucherkreditrichtlinie, die die Banken dazu verpflichtet, Beschwerden innerhalb einer bestimmten Frist zu beantworten.

Zusätzlich dazu sollten langfristig Gesetze zu folgenden Aspekten erarbeitet werden:

a)

einheitliches Sozialversicherungssystem;

b)

Garantie der Nachhaltigkeit der Rentensysteme und ihre einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten (mögliche Definition eines „28. Systems“);

c)

Festlegung eines einheitlichen Kreditauskunftsystems mit umfassendem Schutz der personenbezogenen Daten, einschließlich der Einschränkung der zugriffsberechtigten Personen und der Zwecke der Verwendung der Informationen (Beschränkung auf die Kreditvergabe);

6.3.2.2

Gleichzeitig sollte die Kommission zu vorbildlichen Verfahren auf diesem Gebiet anregen, indem sie die Annahme des Europäischen Verhaltenskodex — eines Systems der Selbst- und Koregulierung — im Rahmen genau definierter und wirksam angewandter verbindlicher Regelungen fördert.

6.3.2.3

Die Kommission sollte zudem auf eigene Initiative und in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten spezifische Informationsprogramme, gezielte Bildungsmaßnahmen für den praktischen Umgang mit Krediten sowie Begleitungs- und Beratungsprojekte in diesem Bereich entwickeln, indem sie auf das Instrument der „Pilotvorhaben“, die in anderen Bereichen bereits zu sehr positiven Ergebnissen geführt haben, zurückgreift (45).

6.3.2.4

Schließlich schlägt der EWSA vor, eine Europäische Beobachtungsstelle für Überschuldung einzurichten, die in Zusammenarbeit mit bereits existierenden einzelstaatlichen Stellen und in den Mitgliedstaaten noch zu schaffenden Einrichtungen als Dialogforum für alle interessierten Parteien dient, die Entwicklung des Phänomens auf europäischer Ebene untersucht und überwacht, seine Folgen bewertet und die für seine Prävention am besten geeigneten Maßnahmen vorschlägt. Der EWSA erbietet sich, als Dach und institutioneller Rahmen für diese Beobachtungsstelle zu dienen, zumindest bis über ihre Autonomie entschieden ist.

6.3.3   Behandlung der Überschuldung und Schuldenbereinigung

6.3.3.1

Angesichts der Vielfalt der einzelstaatlichen Systeme mit unterschiedlichen Ursprüngen, Grundsätzen und Methoden (46) sollte die Kommission ihre Bemühungen vornehmlich nicht auf Harmonisierungsversuche konzentrieren, sondern auf die Festlegung eines Bezugsrahmens und eines Bündels an Grundprinzipien, die allen zivilprozessrechtlichen Regelungen über Zwangsvollstreckungen oder die Eintreibung von Schulden von Privatpersonen zugrunde liegen müssen. Die Kommission sollte die Übernahme dieser Grundprinzipien fördern und ihre Anerkennung vorschreiben.

6.3.3.2

Unter diesen Grundprinzipien sind folgende hervorzuheben:

schnelle schuldner- und gläubigernahe Lösungen, für die keine Kosten oder nur minimale, die Nutzung dieser Möglichkeiten nicht behindernde Kosten anfallen, und die die Schuldner und ihre Familien nicht stigmatisieren;

Maßnahmen, die nicht nur den berechtigten Interessen der Gläubiger Rechnung tragen, sondern auch ihrer Verantwortung im Zusammenhang mit der Überschuldung von Familien;

Lösungen, die einen Konsens und die Unterzeichnung freiwilliger, außergerichtlicher Zahlungsvereinbarungen begünstigen, die es Schuldnern u.U. ermöglichen, die für das Wohl ihrer Familie unerlässlichen Güter (z.B. ihre Wohnung) zu behalten;

flexible Maßnahmen, die es den Schuldnern in besonders gravierenden Fällen ermöglichen, für die Verwertung ihrer pfändbaren Güter mit anschließender Restschuldbefreiung zu optieren, wobei die Situation von Dritten, die für die Schuldner als Bürgen fungiert haben, gebührend zu berücksichtigen ist;

fachkundige Begleitung der Schuldner während der Umsetzung von Zahlungsplänen nach der Insolvenz, um eine Wiederholung zu verhindern und den Schuldnern zu helfen, ihr Konsum- und Schuldenverhalten zu ändern, sodass sie einen Neuanfang schaffen können.

6.3.3.3

An all diesen Arbeiten sollten sich jedoch auch die Betroffenen selbst und ihre Vertreter beteiligen können. Deshalb empfiehlt der EWSA, im Rahmen der Veröffentlichung eines Grünbuchs, in dem die Problemstellung umrissen wird, zunächst eine öffentliche Anhörung zu veranstalten. Anschließend sollten dieses Phänomen auf europäischer Ebene quantifiziert sowie die verschiedenen Mittel und Systeme zur Prävention, Begleitung und Unterstützung in Überschuldungsfällen analysiert werden. Schließlich sollten Leitlinien für integrierte Gemeinschaftsmaßnahmen von den betreffenden Generaldirektionen unter Einbeziehung der Gebietskörperschaften und der Organisationen der Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten erarbeitet werden (47).

7.   Die öffentliche Anhörung

7.1

Der EWSA organisierte am 25. Juli 2007 eine öffentliche Anhörung zum Thema dieser Stellungnahme, an der zahlreiche Fachleute aus diesem Bereich teilnahmen.

7.2

Die Standpunkte, die auf dieser sehr gut besuchten und in die Erstellung verschiedener sehr nützlicher Dokumente mündenden Veranstaltung vorgetragen wurden, ließen ganz klar eine starke Unterstützung für die Zielsetzungen dieser Stellungnahme erkennen, in die viele der in diesem Rahmen geäußerten Anregungen eingeflossen sind.

Brüssel, den 25. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Wie Aristoteles in seiner Schrift „Der Staat der Athener“ berichtet (insbesondere in Ziffer 6, wo es heißt: „Nachdem er Herr über die Staatsangelegenheiten geworden war, befreite er das Volk für die Gegenwart und die Zukunft, indem er die Darlehen, für die mit dem eigenen Körper gehaftet wurde, verbot; er gab Gesetze und verfügte einen Erlass der Schulden, sowohl der privaten als auch der öffentlichen Schulden; das wird Lastenabschüttelung (‚seisáchtheia‘) genannt, da man tatsächlich eine drückende Last abschüttelte (Reclam, Universal-Bibliothek Nr. 3010, 1993)). Die Analogie der Situation dürfte den interessanten Beitrag von Udo REIFNER „Renting a slave — European Contract Law in the Credit Society“ auf der Konferenz zum Thema Privatrecht und kulturelle Unterschiede in Europa am 27. August 2006 an der Universität Helsinki beeinflusst haben. Es sei daran erinnert, dass in den meisten europäischen Ländern bis zum 20. Jh. Schulden mit Kerker bestraft wurden.

(2)  Zu diesem Thema siehe den vor kurzem veröffentlichten Beitrag von Georges GLOUKOVIEZOFF mit dem Titel „From Financial Exclusion to Overindebtedness: The Paradox of Difficulties for People on Low Incomes?“ in „New Frontiers in Banking Services“, Luisa ANFERLONI, Maria Debora BRAGA und Emanuele Maria CARLUCCIO, Springer.

(3)  Siehe Special Eurobarometer 273, European Social Reality, 2007.

(4)  Gemeinsamer Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2007, vom Rat am 22.2.2007 angenommen (KOM(2007) 13 endg. vom 19.1.2007).

(5)  Siehe Eurostat — Les nouveaux consommateurs, Larousse 1998.

(6)  Ohne jedoch die tiefgreifenden Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten von Ausgaben zu vergessen, auch im Hinblick auf die Grundrechte.

(7)  In den neu beigetretenen Ländern fand diese Entwicklung erst in den 90er Jahren statt.

(8)  Siehe hierzu die Angaben im Bulletin der französischen Nationalbank Nr. 144 vom Dezember 2005.

URL: http://www.banque-france.fr/fr/publications/telechar/bulletin/etu144_1.pdf.

(9)  Nach der exemplarischen Definition von Udo REIFNER bedeutet Überschuldung, objektiv zahlungsunfähig zu sein, oder genauer gesagt, dass das verfügbare Einkommen nach Abzug der Lebenshaltungskosten nicht mehr ausreicht, um Schulden bei Fälligkeit zurückzuzahlen (in „Überschuldung von Verbrauchern in Deutschland am Beispiel von Konsumentenkrediten“).

(10)  Das Konzept der Überschuldung, das den verschiedensten Regelungsinitiativen zugrunde liegt, wird in der Hauptsache aus den Rechtsvorschriften abgeleitet, in denen die Bedingungen für den Zugang zu einer außergerichtlichen oder gerichtlichen Umschuldung festgelegt werden. So besteht diese Möglichkeit nach französischem Recht für Schuldner, die nach Treu und Glauben handeln und eindeutig nicht in der Lage sind, ihre gesamten fälligen oder fällig werdenden Schulden, die im Zusammenhang mit ihrer Erwerbstätigkeit entstanden sind, zu bezahlen (Artikel L.331-2 des Code de la Consommation). Desgleichen gilt nach finnischem Recht (1993) als überschuldet oder insolvent ein Schuldner, der nicht in der Lage ist, seine Schulden zu begleichen, sobald sie fällig werden, wobei es sich um eine dauerhafte und nicht nur zufällige oder vorübergehende Zahlungsunfähigkeit handeln muss. Andere Länder hingegen beschränken sich darauf, eine Reihe von prozeduralen und persönlichen Voraussetzungen für den Zugang zu Schuldenbereinigungsmaßnahmen festzulegen, ohne sich an eine Definition der Überschuldung zu wagen. Dies gilt für das belgische (Gesetz vom 5. Juli 1998, geändert durch das Gesetz vom 19. April 2002) und das US-amerikanische Recht (Bankruptcy Code in der geänderten Fassung von 2005).

(11)  „Common operational European definition of over-indebtedness (Vertrag Nr. VC/2006/0308 vom 19.12.2006)“; die Studie wird von der Europäischen Kommission — GD Beschäftigung, Sozialfragen und Chancengleichheit — finanziert und vom „Observatoire de l'Épargne Européenne“ durchgeführt.

(12)  „Study of the Problem of Consumer Indebtedness: Statistical Aspects (Contract No. B5-1000/00/000197)“, erstellt von OCR Macro im Auftrag der GD SANCO.

(13)  Beim administrativen Modell sind die offiziellen Statistiken über die formalen Insolvenzverfahren der Maßstab für die Überschuldung. Hierbei bleibt ein Teil der Fälle unberücksichtigt, da nicht alle Schuldner, die Zahlungsschwierigkeiten haben, den offiziellen Rechtsweg einschlagen. Darüber hinaus ist aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher rechtlicher Lösungen in den europäischen Ländern ein genauer Vergleich unmöglich.

(14)  Das subjektive Modell basiert darauf, wie die betroffene Person oder Familie die eigene Solvenz wahrnimmt. Als überschuldet werden diejenigen Familien eingestuft, die nach eigenem Bekunden große Schwierigkeiten haben, all ihre Schulden zu bezahlen, bzw. dazu nicht mehr in der Lage sind. Auch dieses Kriterium bereitet in der praktischen Anwendung Schwierigkeiten, was die Vergleichbarkeit der Daten in Frage stellt. Immer mehr Autoren machen auf die Fehleinschätzungen der Betroffenen — zu viel Optimismus, Unterschätzung der Risiken und hyperbolische Diskontierung — aufmerksam, wenn es um die Bewertung ihrer finanziellen Belastbarkeit und die Aufnahme eines Kredits geht.

(15)  Beim objektiven Modell wird als Maßstab für die Zahlungsunfähigkeit die wirtschaftlich-finanzielle Lage des Haushalts zugrunde gelegt, d.h. das Verhältnis zwischen Gesamtverschuldung und verfügbarem Einkommen bzw. verfügbarem Einkommen plus Vermögen. Dieses Modell wird in der Regel von den Finanzinstituten und auch in einigen einzelstaatlichen Rechtsordnungen zugrunde gelegt. Zwar ist auch dieses Modell nicht frei von Problemen — so stellt sich z.B. die Frage, bis zu welchem Punkt das Verhalten des Schuldners, seine Ehrenhaftigkeit und sein gutgläubiges Handeln beim Zugang zu Schuldenbereinigung und Schuldenerlass einen Einfluss haben sollen —, aber immerhin ermöglicht es dieses Kriterium, einige Vergleiche anzustellen und einen gemeinsamen Rechtsrahmen zu erarbeiten.

(16)  Den Daten der Bank von Frankreich für 2004 zufolge wird geschätzt, dass 73 % der an die Überschuldungskommissionen übergebenen Fälle auf passive Ursachen zurückzuführen sind (Banque de France, 2004).

(17)  Zu den Faktoren der Überschuldung siehe den Informationsbericht „Die Überschuldung privater Haushalte“ des EWSA vom 26. Juni 2000 (Berichterstatter: Herr ATAÍDE FERREIRA), in dem das Thema ausführlich behandelt wurde.

(18)  Da es sich um ein wichtiges Instrument für das Risikomanagement der Finanzinstitute handelt, müssen die Scoring-Systeme hinsichtlich ihrer Zusammensetzung transparenter gestaltet und mit subjektiven Analyseinstrumenten kombiniert werden, um eine genaue und realistische Bewertung der finanziellen Belastbarkeit der Schuldner zu ermöglichen und zu verhindern, dass die Kreditvergabe sich nur auf automatisierte Modelle stützt. Darüber hinaus müssen die Variablen des Rechenmodells durch die zuständigen Behörden überwacht werden. Erwägenswert wäre auch, wie in den Vereinigten Staaten oder in England den Schuldnern Zugang zu den bei der Kreditauskunft über sie gespeicherten Daten zu gewähren, damit ihnen klar wird, wie sie ihr Risikoprofil verbessern können.

(19)  Es müssen Finanzpraktiken verhindert werden, bei denen die Renten der am stärksten darauf angewiesenen Personen missbräuchlich als Garantien für Kredite herangezogen werden, die in keinem Verhältnis zu ihren Rückzahlungsmöglichkeiten stehen. So wurde z.B. in Brasilien im Jahr 2004 eine Kreditart für ältere Menschen mit der Bezeichnung „crédito consignado“ geschaffen (Kredit gegen Hinterlegung). Dieser Spezialkredit wird bis zu einer Höhe von 30 % der Pension/Rente von dieser abgezogen, bevor sie an die Betroffenen ausgezahlt wird. Da niedrigere Zinsen als die marktüblichen berechnet werden, können Rentner Kredite aufnehmen. Dies scheint jedoch für die Bezieher der niedrigsten Renten finanzielle Probleme mit sich zu bringen, so dass sie andere Zahlungen zurückstellen und nicht mehr über ausreichende Mittel zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse verfügen.

(20)  Die Versicherungen spielen bei der sozialen Ausgrenzung eine ambivalente Rolle. Eine obligatorische Lebensversicherung kann Personen mit gesundheitlichen Problemen vom Zugang zu Krediten ausschließen. Eine Lebensversicherung kann aber andererseits verhindern, dass die betreffende Person bei einer Erkrankung die versicherten Güter verliert und dadurch in Armut und Ausgrenzung gerät.

(21)  In Frankreich und Belgien werden Kleinstkredite für Verbraucher (als soziale Kleinstkredite bezeichnet) probeweise von verschiedenen Bankennetzen in Zusammenarbeit mit Verbänden gewährt. Bislang war das Experiment recht erfolgreich, aber für eine endgültige Bilanz ist es noch zu früh. Für Belgien ist die Credal anzuführen, eine belgische Sozialkreditgenossenschaft, die aus einer öffentlich-privaten Partnerschaft zwischen der Regierung der Region Wallonien und verschiedenen Finanzinstituten entstanden ist.

(22)  Siehe z.B. das „Protocollo sullo sviluppo sostensibile e compatibile del sistema bancario“, das am 16. Juni 2004 in Rom von der „Associazione Bancaria Italiana“, der „Federazione Autonoma Lavoratori del Credito e del Risparmio Italiani (Falcri)“, der „Federazione Italiana Bancari e Assicurativi (Fiba-Cisl)“, der „Federazione Italiana Sindacale Lavoratori Assicurazioni e Credito (Fisac-Cgil)“ und der „Uil Credito, Esattorie e Assicurazioni (Uil C.A.)“ unterzeichnet wurde.

(23)  Eine umfassende kritische Beschreibung dieses Modells findet sich in den Schriften von Karen Gross, die in Europa wohlbekannt ist, insbesondere in „Failure and Forgiveness. Rebalancing the bankrupcy system“, New Haven, Yale University Press (1997).

(24)  In einigen Rechtssystemen, wie z.B. im französischen und im belgischen Recht, wurden die Gesetze über die Insolvenzverfahren für Privatpersonen reformiert und Alternativen vorgesehen, die auf der Verwertung von Vermögensgegenständen beruhen. In den schwierigsten Fällen, in denen sich ein Schuldenbereinigungsplan als nicht praktikabel erweist, ist die Liquidierung von Vermögenswerten und im Anschluss daran eine Entschuldung möglich. Anders als im amerikanischen Recht gibt es jedoch keinen unmittelbaren Schuldenerlass. Der Schuldner muss eine Wohlverhaltensphase bestehen, während der er einen Teil seiner Einkünfte für die Begleichung der Restschuld aufwendet. Erst danach können ihm seine Schulden erlassen werden, sofern er sich ehrenhaft und redlich verhalten hat. Im französischen Recht ist eine Entschuldung gleich zu Beginn des Verfahrens ausnahmsweise möglich, wenn der Richter zu dem Schluss gelangt, dass keine Hoffnung auf eine Besserung der Lage des Betroffenen besteht, aber diese Möglichkeit wurde bisher nur selten genutzt.

(25)  Berichterstatter war in beiden Fällen das ehemalige Mitglied Manuel ATAIDE FERREIRA.

(26)  Entschließung vom 26. November 2001, ABl. C 364 vom 20.12.2001.

(27)  Laut der Entschließung des Rates „Verbraucherfragen“ vom 26. November 2001 gelangten die Minister in ihren Feststellungen und Empfehlungen u.a. zu dem Schluss, „dass die unterschiedliche präventive wie auch soziale, rechtliche und wirtschaftliche Behandlung der Überschuldung in den einzelnen Mitgliedstaaten zu beträchtlichen Unterschieden zwischen den europäischen Verbrauchern wie auch den Kreditgebern führen kann“ und dass daher „Überlegungen auf Gemeinschaftsebene ins Auge gefasst werden könnten, die darauf abzielen, das Maßnahmenpaket zur Förderung grenzüberschreitender Kreditgeschäfte um Maßnahmen zu ergänzen, um der Überschuldung während der gesamten Dauer eines einzigen Kreditzyklus vorzubeugen“.

(28)  KOM(2002) 443 endg. vom 11.9.2002.

(29)  Im Übrigen in sehr fragwürdigen Begriffen, wie der EWSA in seiner Stellungnahme zu diesem Vorschlag festgehalten hat (CES 918/2003 vom 17. Juli 2003), Berichterstatter: Herr PEGADO LIZ). Siehe auch „La presencia del sobreendeudamiento en la propuetesta de directiva sobre el credito a los consumidores“ von Manuel Angel LOPES SANCHEZ, in „Liber Amicorum Jean Calais Auloy“, S. 62.

(30)  KOM(2005) 483 endg./2 vom 23.11.2005.

(31)  Es sind jedoch einige Anstöße zu einer öffentlichen Debatte über dieses Thema hervorzuheben, die von verschiedenen Gemeinschaftsinstitutionen — u.a. der Kommission — unterstützt wurden, zu nennen wären insbesondere folgende: eine öffentliche Anhörung mit der Unterstützung des schwedischen Ratsvorsitzes am 18. Juni 2000 in Stockholm; am 2. Juli 2001 wurde in Zusammenarbeit mit dem „Consiglio Nazionale dei Consumatori e degli Utenti (CNCU)“ (italienischer Verbraucherrat) eine wichtige Konferenz zum Thema „Wettbewerbsregeln und Bankensysteme in der EU im Vergleich“ veranstaltet, auf der der Leiter des Referats Finanzdienstleistungen der GD Gesundheit und Verbraucherschutz die Leitlinien des neuen Vorschlags zur Änderung der Verbraucherkreditrichtlinie erläuterte und die für die Gemeinschaft relevanten Aspekte der Überschuldung erörtert wurden; die GD Gesundheit und Verbraucherschutz ergriff ebenfalls die Initiative und führte am 4. Juli 2001 in Brüssel eine Anhörung mit Regierungssachverständigen zur Erörterung der Änderungsvorschläge zu der Verbraucherkreditrichtlinie durch, in der die für die Überschuldungsprävention maßgeblichen Einzelaspekte herausgestellt wurden; während des belgischen EU-Vorsitzes fand am 13./14. November 2001 in Charleroi ein wichtiges Kolloquium zum Thema „Verbraucherkredite und gemeinschaftsweite Harmonisierung“ statt, auf dem insbesondere der belgische Wirtschafts- und Forschungsminister nachdrücklich auf die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte des Problems sowie deren Wechselwirkungen mit der Entwicklung der Finanzdienstleistungen und des grenzüberschreitenden Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt hinwies und ein Sachverständiger der Kommission die wesentlichen Punkte einer Überarbeitung der Verbraucherkreditrichtlinie darlegte, bei der bestimmte Anliegen hinsichtlich der Verbraucherinformation im Zusammenhang mit der Überschuldungsprävention stehen; am 29. November 2002 fand in Madrid mit der Unterstützung der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) und der Sozialdemokratischen Fraktion des Europäischen Parlaments eine Konferenz zur Überschuldung der Verbraucher und zu den Schutzmechanismen in Europa statt („Jornada sobre el sobreendeudamiento de los consumidores: Mecanismos de Proteccion en Europa“).

(32)  Merkwürdigerweise finden sich in anderen Texten wie z.B. dem Vorschlag der Kommission zur Verwirklichung eines einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA) verschiedentlich Überlegungen zur Überschuldungsprävention.

(33)  Dies gilt insbesondere für die Eurobarometer-Umfrage von Ende 2006, die vom Rat im Juli 2006 gebilligte Mitteilung „Eine bürgernahe Agenda“ sowie die Mitteilung der Kommission über den „Vorschlag für den Gemeinsamen Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2007“ (KOM(2007) 13 endg. vom 19. Januar 2007).

(34)  Die Entschließung wurde auf der 26. Justizministerkonferenz des Europarates am 7./8. April 2005 in Helsinki verabschiedet.

(35)  Im Anschluss an den ausgezeichneten „Report on Legal Solutions to Debt Problems in Credit Societies“ des Präsidiums des Europäischen Ausschusses für rechtliche Zusammenarbeit des Europarates vom 11. Oktober 2005 (CDCJ-BU(2005) 11 rev).

(36)  Die Wissenschaft scheint der Problematik des Verbraucherkredits und der Überschuldung besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Dies hat die unlängst (25.-28. Juli) von der Law and Society Association organisierte wissenschaftliche Konferenz in Berlin gezeigt, auf der Wissenschaftler aus Europa, Nord- und Südamerika, Asien und Australien in acht Workshops verschiedene Aspekte dieser Thematik erörterten.

(37)  Z.B.:„Consumer Over indebtedness and Consumer Law in the European Union“, Udo REIFNER, Johanna KIESILAINEN, Nik HULS und Helga SPRINGENEER (Vertrag Nr. B5-1000/02/000353, im Auftrag der GD SANCO, September 2003); „Study of the problem of consumer indebtedness: statistical aspects“, ORC Macro (Vertrag Nr. B5-1000/00/000197, im Auftrag der GD SANCO, 2001); „Credit Consumption and Debt Accumulation among Low Income Consumers: Key consequences and Intervention Strategies“ Deirdre O'LOUGHIN (November 2006); „Exclusion et Liens Financiers, L'exclusion bancaire des particuliers“ Bericht des Centre Walrass, Georges GLOUKOVIEZOEF; „EC Consumer Law Compendium: Comparative Analysis“, 2006, (Vertrag Nr. 17.020100/04/389299), erstellt von Hans SCHULTE-NÖLKE von der Universität Bielefeld im Auftrag der Europäischen Kommission; „Finanzielle Allgemeinbildung & verbesserter Zugang zu adäquaten Finanzdienstleistungen“, durchgeführt von ASB Schuldnerberatungen (Österreich) in Zusammenarbeit mit der GP-Forschungsgruppe des Instituts für Grundlagen- und Programmforschung (Deutschland), dem polnischen Verband für die Förderung der finanziellen Allgemeinbildung (SKEF, Polen) sowie der belgischen Beobachtungsstelle für Kredite und Verschuldung (Observatoire du Crédit et de l'Endettement, Belgien); das Projekt wurde von der GD Beschäftigung und Soziales kofinanziert (September 2005-September 2007).

(38)  Siehe z.B. die jüngsten Verlautbarungen von Tony BLAIR, Stephen TIMMS und Ruth KELLY vom September 2006.

(39)  Im Entwurf des Verfassungsvertrags wird in Artikel I-3 zu den Zielen der Union ausgesagt: „Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz […]“.

(40)  Siehe insbesondere die Artikel 2 und 34 EUV sowie die Artikel 2, 3, 136, 137 und 153 des EWG-Vertrags von Rom und späteren Vertrags von Amsterdam. Nicht zu vergessen die offene Koordinierungsmethode, die 2006 eingeführt wurde, um die Möglichkeiten der EU zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei ihren Bemühungen um einen stärkeren sozialen Zusammenhalt in Europa zu verbessern.

(41)  Siehe die Artikel 65 und 67 des Vertrags und die bereits recht umfangreichen Maßnahmen zur Definierung eines europäischen Raums des Rechts.

(42)  Dies wird in dem beachtenswerten Zwischenbericht für die Frühjahrstagung 2007 des Europäischen Rates (Kommissionsmitteilung „Ein Binnenmarkt für die Bürger“ (KOM(2007) 60 endg. vom 21. Februar 2007) sowie den Ausführungen des Präsidenten der Kommission in verschiedenen Reden und Interviews der letzten Zeit deutlich.

(43)  Die Daten für die Situation in Europa sind nicht mehr aktuell, denn sie stammen aus der bereits genannten Studie von ORC Macro aus dem Jahr 2001. Verschiedene Mitgliedstaaten geben jedoch an, dass die Zahl der von Überschuldung betroffenen Haushalte in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. Die Daten über die Situation in Deutschland deuten darauf hin, dass 1989 nur 3,5 % der Haushalte mit massiven finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, während 2005 8,1 % der deutschen Haushalte überschuldet waren. In Frankreich ist die Zahl der in den Überschuldungskommissionen eröffneten Verfahren zwischen 2002 und 2006 um 6 % auf 866 213 gestiegen. Ebenfalls im Jahr 2004 liefen in Schottland über 3 000 Insolvenzverfahren. Obwohl das jährliche Wirtschaftswachstum Schwedens mit zu den höchsten in der EU zählt, lag die Zahl der Insolvenzverfahren im Jahr 2005 um 13,6 % über der Zahl für 2004 und um 30,7 % über der Zahl für 2003. Eine Ausnahme scheint Belgien zu sein, wo ein gut durchdachtes und gut angewandtes System Früchte zu tragen scheint, zu dem weitere Gesetzesänderungen neueren Datums beitragen (Gesetz und Königlicher Erlass vom 1. April 2007 zur Änderung des Gesetzes vom 24. März 2003 und des Königlichen Erlasses vom 7. September 2003 zur Schaffung einer Basisbankdienstleistung). In den USA wurden 2005 über 1 600 000 Insolvenzverfahren beantragt. In Australien handelte es sich bei 81 % der in den Jahren 2005/2006 eingeleiteten gerichtlichen Insolvenzverfahren um private Insolvenzen. 2006 wurden von den kanadischen Gerichten 106 629 Insolvenzverfahren verhandelt (Verwertung des Schuldnervermögens oder Vergleich).

(44)  Wie dies in den Abschnitten 79 bis 81 des südafrikanischen Kreditgesetzes Nr. 34/2005 vorbildlich geregelt ist.

(45)  Beispielhaft sind hier die Projekte im Bereich der Schlichtung und der außergerichtlichen Einigung bei verbraucherrechtlichen Streitigkeiten, die den Weg für mehrere heute in Europa tätige Netzwerke bereitet haben, worunter das 1994 gegründete Consumer DebtNet hervorzuheben ist, das derzeit unter der Bezeichnung European Consumer Debt Net (ECDN) neu gestaltet wird.

(46)  Es ist auch darauf hinzuweisen, dass es Mitgliedstaaten (z.B. Portugal) gibt, die bis heute über kein für diesen Zweck geeignetes System verfügen.

(47)  Der EWSA schloss seinen Informationsbericht von 2000 bereits mit der Empfehlung, dass die Kommission „als einen ersten Schritt in diese Richtung unverzüglich die Ausarbeitung eines Grünbuchs zur Überschuldung der Privathaushalte in Europa veranlassen sollte, in dem sie die bereits zu diesem Thema vorliegenden Studien bekannt macht, eine Bestandsaufnahme der Rechtsvorschriften und statistischen Unterlagen der Mitgliedstaaten und der Beitrittsanwärterstaaten vornimmt, den Begriff der Überschuldung eindeutig und einheitlich zu definieren versucht und Leitlinien für die weiteren Maßnahmen festlegt, die ihres Erachtens ergriffen werden müssen, um die im vorliegenden Bericht aufgezeigten Ziele zu erreichen“.