16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/55


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Abfälle“

KOM(2005) 667 endg. — 2005/0281 (COD)

(2006/C 309/12)

Der Rat beschloss am 24. Februar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 24. Mai 2006. an. Berichterstatter war Herr BUFFETAUT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 114 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der EWSA befürwortet die Absicht der Kommission, die Rechtsvorschriften im Bereich Abfall zu modernisieren, zu vereinfachen und anzupassen. Insbesondere befürwortet er den Ansatz und den Geist der Strategie für Abfallvermeidung und -recycling. Das Streben nach einer allgemeinen und einheitlichen Anwendung der Rechtsvorschriften muss unterstützt werden, um Verzerrungen auf dem Abfallmarkt hinsichtlich Umwelt, öffentliche Gesundheit und Wettbewerb zu vermeiden. Er unterstreicht, wie wichtig Klarheit und Genauigkeit der Begriffsbestimmungen und Anhänge sind, um Klagen und Gerichtsverfahren zu vermeiden. Er bedauert jedoch, dass der Richtlinienvorschlag im Bereich der Abfallvermeidung nicht weit genug geht. Er betont, dass jedwedes Streben nach einer echten nachhaltigen Entwicklung vor dem Hintergrund der Verknappung und Verteuerung der Rohstoffe eine wirksame Politik der Vermeidung und Rückgewinnung von Abfall voraussetzt, wobei er gleichzeitig empfiehlt, auf europäischer Ebene Instrumente zu entwickeln, um die gesteckten Ziele sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht zu erreichen. In dieser Hinsicht weist der Vorschlag eine echte Schwäche auf. Darüber hinaus scheint die Kommission der Ansicht zu sein, dass durch eine Erleichterung der Verfahren zum Erhalt einer Genehmigung für den Betrieb von Abfallbehandlungsanlagen das Recycling gefördert würde. Dieser Ansatz ist falsch und wird negative Umweltfolgen und Gesundheitsrisiken mit sich bringen. Außerdem verstößt er gegen die Grundsätze des Århus-Übereinkommens für die Information der Öffentlichkeit über Abfälle. Die Genehmigung beinhaltet technische Elemente in Bezug auf den Umweltschutz; sie ist öffentlich und geht mit Informations- und Kontrollauflagen einher. Sie stellt keineswegs ein Hindernis für die Weiterentwicklung von Abfallbehandlung und -recycling dar, sondern bietet ganz im Gegenteil die erforderlichen Garantien im Hinblick auf die Überwachung der Einhaltung der Normen und des Einsatzes der besten verfügbaren Technik durch die Behörden.

1.2

Ebenso erscheinen dem EWSA die Einführung des Begriffs des Lebenszyklus in die Abfallpolitik sowie der bei der Reduzierung des Volumens der deponierten Abfälle, der Rückgewinnung von Kompost und Energie, dem eigentlichen Recycling und der Abfallvermeidung verfolgte Ansatz durchaus zweckmäßig.

1.3

In Bezug auf den Vorschlag für eine Richtlinie ist der EWSA der Ansicht, dass ein zu kompromisslos geäußerter Wunsch nach Subsidiarität im Widerspruch zu dem Streben nach einer Gesetzgebung stehen könnte, die EU-weit allgemein und einheitlich angewandt wird.

1.4

Er fordert nachdrücklich, dafür Sorge zu tragen, dass die Zusammenführung bzw. Aufhebung der Richtlinie über gefährliche Abfälle nicht zu einer Lockerung der Vorschriften und einem geringeren Schutz der öffentlichen Gesundheit führt, und ist der Auffassung, dass der Richtlinienvorschlag in seinem jetzigen Wortlaut hier keine ausreichende Sicherheit bietet. Es sollte zumindest darauf verwiesen werden, dass bei dieser Art von Abfall Gemische aus gefährlichen Abfällen und Ausnahmen von der Genehmigungspflicht nicht zulässig sind. Es ist die Einstufung als „gefährlich“ oder „nicht gefährlich“, die insbesondere für die zu ergreifenden Vorsichtsmaßnahmen und die besonderen Auflagen für den Transport und die Behandlung der Abfälle maßgeblich ist. Jegliche Verharmlosung auf diesem Gebiet kann nicht als Fortschritt im Umweltschutzbereich betrachtet werden.

1.5

Er unterstreicht, dass es solche Recyclingmethoden zu fördern gilt, die nicht der Umwelt schaden und eine wirksame Rückgewinnung von Stoffen ermöglichen.

1.6

Er hegt starke Zweifel hinsichtlich der Eignung des Ausschussverfahrens zur Festlegung gewisser spezieller Kriterien, anhand derer bestimmt wird, ab wann Abfälle nicht mehr als solche anzusehen sind.

1.7

Seines Erachtens sind einige Definitionen nach wie vor ungenau (insbesondere die Begriffe „Erzeuger“ und „Verwertung“). Um zu erreichen, dass die Verbrennungsrichtlinie einheitlich auf sämtliche Abfälle angewandt wird, die entweder durch Verbrennung oder durch Mitverbrennung thermisch verwertet werden, wäre es sinnvoll klarzustellen, was einerseits unter der Rückgewinnung von „Stoffen“ zu verstehen ist, die zur „Verwertung von Stoffen“ führt und bei bestimmten Abfallströmen möglicherweise dazu, dass der Abfall am Ende kein Abfall mehr ist, und andererseits unter energetischer Verwertung, bei der diese Möglichkeit nicht besteht. Was die Abfallverbrennung betrifft, ist es wünschenswert, einen hohen Grad an energetischer Verwertung als Voraussetzung für die Einstufung als Verwertung zu fördern, es ist jedoch erstaunlich, dass eine solche Bestimmung nur für die Verbrennung und nicht auch für andere Verfahren zur energetischen Verwertung gilt. In diesem Fall sollte die Abfallverbrennung nur dann als Verwertung angesehen werden, wenn sie ein hohes Maß an Energieeffizienz erreicht.

1.8

Er bedauert sehr, dass keinerlei Vorschläge für EU-weit vereinheitlichte Finanzinstrumente gemacht werden.

1.9

Er beklagt das Fehlen jeglicher Auflagen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und die Gesundheit der Arbeitnehmer der Branche.

2.   Einleitung

2.1

Die Abfallpolitik gehört zu den ältesten Umweltpolitiken der Europäischen Union, denn die derzeit geltende Rahmenrichtlinie wurde 1975 erlassen. In dreißig Jahren haben sich jedoch der allgemeine wirtschaftliche und soziale Kontext, die Verfahrensweisen, die Technik, die nationale und kommunale Politik und das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Abfallproblematik erheblich verändert. Die von ihrer Struktur her seit 1975 unverändert gebliebene Abfallgesetzgebung hat sich in den 90er Jahren mit der Änderung der Rahmenrichtlinie 1991 und der anschließenden Verabschiedung einer Reihe von Richtlinien über bestimmte Abfallbehandlungsverfahren und die Bewirtschaftung bestimmter Abfallströme weiterentwickelt.

2.2

Die geltenden Rechtsvorschriften mussten sich im Laufe der Zeit in der Praxis bewähren; dabei sind Lücken oder Ungenauigkeiten zutage getreten, und Rechtsstreitigkeiten und die Rechtsprechung haben gezeigt, dass es Schwierigkeiten bei der Auslegung gibt und die Rechtsvorschriften äußerst komplex sind, was teilweise auf ihre Zerstückelung in verschiedene, sich aufeinander beziehende Texte zurückzuführen ist.

2.3

Gleichzeitig ist eine wahre Abfallwirtschaft entstanden. Die Bewirtschaftung und die stoffliche Verwertung (Recycling) von Abfällen haben sich zu vollwertigen Wirtschaftszweigen entwickelt, die eine hohe Wachstumsrate aufweisen und einen Umsatz von schätzungsweise mehr als 100 Mrd. EUR in der EU-25 erwirtschaften.

2.4

Schließlich hat die EU eine Erweiterung hinter sich, und weitere stehen noch bevor. In den neu beigetretenen Mitgliedstaaten herrscht auf diesem Gebiet eine recht schwierige Situation, insbesondere weil dort sehr viel Abfall in die Deponierung gelangt. Es ist also nur natürlich, dass die Europäische Kommission erneut Überlegungen zur Abfallfrage anstellen möchte, ohne jedoch die geltenden Rechtsvorschriften durch eine völlige Neugliederung inhaltlich in Frage zu stellen.

2.5

Aus diesem Grund hat die Kommission jüngst eine Mitteilung über eine thematische Strategie für Abfallvermeidung und -recycling (1) veröffentlicht und eine neue Abfallrichtlinie vorgeschlagen (2). In dem Strategiepapier legt sie die politischen Leitlinien und ihre allgemeine Philosophie dar, während mit der Richtlinie eine Umsetzung in konkrete Rechtvorschriften vorgeschlagen wird.

3.   Eine neue Politik

3.1

Die Kommission geht in ihren der thematischen Strategie zugrunde liegenden Überlegungen davon aus, dass in den letzten dreißig Jahren im Bereich Abfall zwar deutliche Fortschritte gemacht wurden, das Abfallvolumen aber dennoch weiterhin zunimmt, Abfälle in unzureichendem Maße stofflich und anderweitig verwertet werden und sich die entsprechenden Märkte nur mit Mühe entwickeln. Neben den spezifischen Rechtsvorschriften über Abfälle haben im Übrigen die IPPC-Richtlinien eine klare positive Rolle gespielt.

3.2

Darüber hinaus trägt die Abfallbehandlung in gewissem Maße zur Umweltbelastung bei und verursacht wirtschaftliche Kosten.

3.3

Allerdings bleibt das Gemeinschaftsrecht in bestimmten Fragen weiterhin unklar, was zu Rechtsstreitigkeiten und einer unterschiedlichen Anwendung von Land zu Land führt.

3.4

Wie werden heutzutage Siedlungsabfälle entsorgt? Für Siedlungsabfälle, die ca. 14 % des gesamten Abfallaufkommens ausmachen, liegen die besten Statistiken vor: zu 49 % werden sie deponiert, zu 18 % verbrannt, zu 33 % dem Recycling bzw. der Kompostierung zugeführt. Zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten bestehen jedoch große Unterschiede: in manchen werden 90 % der Abfälle auf Deponien gelagert, in anderen nur 10 %. Ähnliche Unterschiede sind im Übrigen bei anderen Abfallkategorien festzustellen.

3.5

Trotz der erheblichen Fortschritte, die erzielt worden sind, steigt das Abfallvolumen in der Europäischen Union insgesamt an, und die absolute Menge der deponierten Abfälle geht nicht oder nur sehr wenig zurück, obwohl Recycling und Verbrennung zunehmen. In puncto Abfallvermeidung ist festzustellen, dass die getroffenen Maßnahmen zu keinen greifbaren Ergebnissen geführt haben.

3.6

Es liegt also auf der Hand, dass die Ziele der derzeitigen EU-Abfallpolitik, nämlich Abfallvermeidung und Förderung von Wiederverwendung, Recycling und Verwertung zur Minderung der Umweltbelastung und als Beitrag zu einer besseren Nutzung der Ressourcen, zwar nach wie vor gelten, aber die Effizienz der entsprechenden Maßnahmen erhöht werden muss.

3.7

Aus diesem Grund schlägt die Kommission verschiedene Wege für Maßnahmen vor, die gleichzeitig das Instrumentarium der Rechtsetzung, die inhaltlichen Überlegungen und auch die Konzeption dessen, was eine Abfallpolitik leisten soll, die Verbesserung der Informationen und die Festlegung gemeinsamer Standards betreffen. Sie spricht sich daher in der Strategie für Abfallvermeidung und -recycling dafür aus:

auf die Weiterentwicklung zu einer Recyclinggesellschaft hinzuarbeiten, die soweit wie möglich das Entstehen von Abfall vermeidet und die volle stofflich-energetische Verwertung der in den Abfällen enthaltenen Ressourcen anstrebt,

auf die allgemeine Anwendung der Rechtsvorschriften zu setzen, um für eine einheitliche Auslegung und Umsetzung zu sorgen und sicherzustellen, dass die in den geltenden Rechtsvorschriften festgelegten Ziele fristgerecht von den Mitgliedstaaten erreicht werden,

die geltenden Rechtsvorschriften zu vereinfachen und auf den neuesten Stand zu bringen,

den Begriff des Lebenszyklus in die Abfallpolitik einzuführen, um seinem potenziellen Beitrag zur Verringerung der Umweltwirkungen der Ressourcennutzung Rechnung zu tragen,

eine ehrgeizigere und wirkungsvollere Politik der Abfallvermeidung zu betreiben,

die Bereitstellung von Informationen und die Verbreitung von Wissen im Bereich der Abfallvermeidung zu verbessern,

gemeinsame Bezugsstandards als Rahmen für den europäischen Recyclingmarkt zu entwickeln,

die Recyclingpolitik weiterzuentwickeln.

3.8

Die Kommission geht davon aus, dass dieser Wandel bei den Rechtsvorschriften und der Konzipierung der Abfallpolitik zu einer Abnahme des Volumens der deponierten Abfälle, einer besseren Rückgewinnung von Kompost oder Energie aus Abfällen und einer qualitativen und quantitativen Verbesserung des Recyclings führen wird. Daher erhofft sie sich eine umfassendere Verwertung der Abfälle und in deren Folge eine Verbesserung der so genannten „Abfallbewirtschaftungsrangfolge“ sowie einen Beitrag der Abfallpolitik zu einer besseren Ressourcennutzung.

Welchen ersten Niederschlag finden diese Ziele der thematischen Strategie in den Rechtsvorschriften?

4.   Der Vorschlag für eine Abfallrichtlinie: ein neuer Ansatz ohne umwälzende Änderungen

4.1

In Artikel 1 des Vorschlags werden die von der Kommission verfolgten Ziele aufgeführt, die zweigeteilt und eng miteinander verknüpft sind:

einerseits „werden Maßnahmen festgelegt, mit denen die Umweltfolgen aus der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen, bezogen auf den Einsatz von Ressourcen, insgesamt reduziert werden sollen“,

andererseits wird aus denselben Gründen jedem Mitgliedstaat das vorrangige Ziel vorgegeben, die Erzeugung von Abfällen und deren Gefährlichkeit zu vermeiden oder zu verringern und an zweiter Stelle Maßnahmen zur Verwertung von Abfällen „durch Wiederverwendung, Recycling und sonstige Verwertungsverfahren“ zu ergreifen.

4.2

Zur Erreichung dieses Ziels ist nach Ansicht der Kommission keine grundlegende Überarbeitung des geltenden Rechtsrahmens erforderlich. Vielmehr sollten Änderungen vorgenommen werden, um den bestehenden Rahmen zu verbessern und vorhandene Lücken zu schließen. Der Richtlinienvorschlag ist nur ein Teilaspekt der Umsetzung der Strategie, und zu einem späteren Zeitpunkt werden weitere, sich hieraus ergebende Vorschläge formuliert werden. Auf jeden Fall stützt sich die europäische Abfallpolitik notwendigerweise auf den Grundsatz der Subsidiarität. Damit sie wirksam sein kann, muss eine Reihe von Maßnahmen ergriffen werden, angefangen bei der europäischen bis hin zur kommunalen Ebene, auf der ein Großteil der praktischen Umsetzung erfolgt. Die Kommission ist der Ansicht, dass die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips keineswegs eine Schmälerung des ökologischen Selbstanspruchs bedeutet.

4.3

Folglich ist der Richtlinienvorschlag als Überarbeitung der Richtlinie 75/442/EWG anzusehen. Er führt die Richtlinie über gefährliche Abfälle (91/689/EWG) mit der Rahmenrichtlinie zusammen und hebt sie damit auf. Er hebt auch die Altölrichtlinie (75/493/EWG) auf, wobei jedoch die besondere Verpflichtung zur Sammlung in die Abfallrahmenrichtlinie übernommen wird.

4.4

Die wichtigsten Änderungen sind:

Einführung eines Umweltziels,

Klarstellung der Begriffe „Verwertung“ und „Beseitigung“,

Klärung der Bedingungen für das Vermischen gefährlicher Abfälle,

Einführung eines Verfahrens zur Klärung, ab welchem Zeitpunkt Abfall für bestimmte Abfallströme nicht mehr als Abfall anzusehen ist,

Einführung von Mindestanforderungen bzw. eines Verfahrens zur Aufstellung von Mindestanforderungen für bestimmte Abfallbewirtschaftungsverfahren,

Einführung einer Verpflichtung zur Entwicklung einzelstaatlicher Abfallvermeidungsprogramme.

4.5

Es stellt sich also die Frage, ob die vorgeschlagenen Änderungen der Vorschriften es ermöglichen werden, die allgemeinen, in der Strategie festgelegten Ziele zu erreichen, die derzeitigen Mängel zu beheben und Unklarheiten auszuräumen.

5.   Allgemeine Bemerkungen

5.1

Dieser neue Vorschlag für eine Abfallrichtlinie wurde seit langem erwartet und sollte für alle Beteiligten — die Mitgliedstaaten, die NRO, die Bürger und die betroffenen Branchen — die Grundlage der europäischen Umweltpolitik im Bereich der Abfallbewirtschaftung sein. Aus diesem Blickwinkel sollte der EWSA seine Analyse vornehmen. Mit dem neuen Text verbindet sich die Erwartung einer Verbesserung der derzeitigen Situation, indem die seit 1991 gesammelten Erfahrungen, die Schwächen der bisherigen Rechtsetzung und die in Europa zu formulierende Strategie einer nachhaltigen Entwicklung berücksichtigt werden. Diese Strategie erfordert angesichts der Verknappung der Rohstoffe und Energiequellen eine Politik der Bewirtschaftung, der Rückgewinnung, des Recycling und der Verwertung von Abfällen voraussetzt.

5.2

Oftmals wurde die mangelnde Genauigkeit und Klarheit der geltenden Rechtsvorschriften (insbesondere der Anhänge und Definitionen) bemängelt. Ebenso wurde häufig bedauert, dass die Richtlinien und Verordnungen innerhalb der Union uneinheitlich umgesetzt werden und die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Ansätze verfolgen. Die Überarbeitung der Verordnung über die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen hat kürzlich die dadurch entstehenden Probleme aufgezeigt.

5.3

Welche Haltung kann der EWSA zu dem für die Rahmenrichtlinie vorgeschlagenen Text einnehmen, und in welcher Weise kann er sich damit auseinander setzen? Man darf sich fragen, ob die Kommission hier nicht weniger Ehrgeiz an den Tag legt als bei der 2003 veröffentlichten Mitteilung „Eine thematische Strategie für Abfallvermeidung und -recycling“ (3). Der im Hinblick auf die Subsidiarität verfolgte Ansatz mutet etwas minimalistisch an und kann zu Abweichungen in der Umsetzung der Rechtsvorschriften führen. Auch darüber, was die betroffenen Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft in diesem Bereich tun können, hüllt sie sich in Schweigen.

5.4   Zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften:

5.4.1

Es wird die Zusammenführung der Richtlinie über gefährliche Abfälle mit der Rahmenrichtlinie vorgeschlagen. In diesem Zusammenhang muss sichergestellt sein, dass gefährliche Abfälle deutlich strenger überwacht werden als andere Abfälle, vor allem angesichts der Tatsache, dass gleichzeitig die Rechtsvorschriften für chemische Stoffe (REACH) für sämtliche in den Verkehr gebrachten Stoffe gelten werden. Die Altölrichtlinie wiederum wird schlicht und einfach aufgehoben, da sich dieser Rechtsakt in der Praxis im Hinblick auf die Aufarbeitung des Altöls nicht als ökologisch sinnvoll erwiesen hat. Die Bestimmungen in Bezug auf die Sammlung von Altöl werden hingegen übernommen.

5.4.2

Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Kommission seit der Festlegung der Kriterien für den Gefährlichkeitsgrad noch immer nicht die erforderlichen Begleitdokumente vorgelegt hat: genormte Tests und Konzentrationsgrenzwerte für eine korrekte Anwendung des Abfallverzeichnisses.

5.4.3

Die in dem Text unterbreiteten Vorschläge zu Ausnahmeregelungen für die Durchführung von Verwertungstätigkeiten erscheinen gewagt und sollten für bestimmte Wirtschaftszweige nochmals überdacht werden. Die Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Vermischung gefährlicher Abfälle mit natürlichen Substanzen für die Herstellung von Tierfutter sind nur allzu gut in Erinnerung. Solche Probleme könnten generalisiert auftreten, falls auf die Rückverfolgbarkeit und die für eine korrekte Bewirtschaftung dieser Abfälle erforderlichen Kontrollen verzichtet wird. Schließlich sollte die Kommission die Frage prüfen, ob die vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen (Unterabschnitt 2 — Ausnahmen) nicht gegen die Bestimmungen des Århus-Übereinkommens in Bezug auf die Information der Öffentlichkeit und ihre Beteiligung im Bereich der Abfallbehandlung verstoßen.

6.   Besondere Bemerkungen

6.1   Genauere Begriffsbestimmungen

6.1.1

Der geltenden Richtlinie fehlte es in mehrfacher Hinsicht an guten Definitionen. Die Zahl der beim Europäischen Gerichtshof erhobenen Klagen ist ausreichender Beweis hierfür. Bringt der neue Text hier eine Verbesserung? Das darf in verschiedener Hinsicht bezweifelt werden.

6.1.2

Die aus der Vorfassung übernommene Definition des Begriffs „Erzeuger“ (4) ist zu ändern. Wie kann derjenige, der nur eine Veränderung der Natur von Abfällen bewirkt, als deren neuer „Erzeuger“ angesehen werden? Er ist ganz einfach ein „Abfallverwerter“ und muss als solcher der Rückverfolgbarkeitskette zugeordnet werden. Sonst wird der „Herabstufung“ von Abfall und der Aufweichung der Verantwortung des tatsächlichen Abfallerzeugers Tür und Tor geöffnet. Außerdem sollte zumindest die erweiterte Herstellerverantwortung (für in Verkehr gebrachte Erzeugnisse) erwähnt werden.

6.1.3

Die Kommission hat im Rahmen der Verordnung über die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen (5) auf „vorläufigen Maßnahmen“ bestanden, für die genauso wenig eine Definition zu finden ist wie für die in dieser Verordnung verwendeten Begriffe „Händler“ und „Makler“.

6.1.4

Zwar wird „Recycling“ definiert, doch ist die Definition des Begriffs „Rückgewinnung“ im Verhältnis zu „Verwertung“ unklar. Es wäre sinnvoll klarzustellen, was einerseits unter der zur „Verwertung von Stoffen“ führenden Rückgewinnung von „Stoffen“ und andererseits unter energetischer Verwertung zu verstehen ist. Im ersten Fall ist der Abfall am Ende des Behandlungszyklus möglicherweise kein Abfall mehr, während dies für die energetische Verwertung nicht gilt. Die energetische Verwertung von Abfällen unterliegt unter Umweltschutzaspekten der Verbrennungsrichtlinie. Sollten die Abfälle nicht mehr als Abfälle eingestuft werden, würden die Umweltschutzregeln für sie nicht mehr gelten.

6.2   Gegenstand

6.2.1

Gegenstand der Richtlinie ist der Schutz von Umwelt und Gesundheit und muss dies auch weiterhin bleiben.

6.2.2

Die Kommission neigt generell dazu, der Marktöffnung große Bedeutung beizumessen, die lediglich einer der Aspekte einer Abfallpolitik ist.

6.2.3

Nach Ansicht des EWSA muss eindeutig die Frage geklärt werden, welche Gestalt der rechtliche Rahmen anzunehmen hat, damit die Marktmechanismen durch ein Vorantreiben der Konzepte Ökoeffizienz und ökologische Bewirtschaftung für unsere Produktions- und Dienstleistungstätigkeiten auf eine umweltfreundliche Ausrichtung der Abfallbewirtschaftung hinwirken können. Die Abfallbewirtschaftung ist ein regulierter und reglementierter Markt mit den vorrangigen Zielen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes sowie der Erhaltung der Ressourcen, sie trägt also wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen Rechnung. Der Umweltschutz ist ein wesentliches Element, das der Schaffung von Arbeitsplätzen dient und die Wettbewerbsfähigkeit verbessert und gleichzeitig Innovationsmöglichkeiten und neue Marktchancen eröffnet. Man darf sich fragen, ob die Subsidiarität hier der ideale Ansatz ist. Es ist darüber hinaus symptomatisch, dass die Kommission in ihrer Mitteilung über die thematische Strategie selbst die Auffassung äußert, dass „manche Verwertungsanlagen […] Umweltbelastungen verursachen können“. Sie schlägt aber dennoch vor, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen sollen, dass sämtliche Abfälle einer Verwertung zugeführt werden. Es muss also klargestellt werden, dass mit Hilfe gemeinsamer, auf europäischer Ebene entwickelter Anforderungen ein echter Recyclingmarkt angeregt werden sollte.

6.2.4

Sie „vergisst“ darüber hinaus, im Hinblick auf die „Rangfolge“ wie in der vorherigen Richtlinie darauf zu verweisen, dass eine ordnungsgemäße Abfallbeseitigung der Umwelt zuträglich sein kann, auch wenn sie diesem Zweck dienende operative Bestimmungen beibehält. Dies führt dazu, dass der neue Text in dieser Hinsicht weniger klar ist als der frühere.

6.2.4.1

Die Rahmenrichtlinie muss die Grundlage für eine effiziente, zweckdienliche Abfallbewirtschaftung bleiben, und zwar in allen Branchen. Wie sie umgesetzt und mit welchen Mitteln die Recyclingstrategie gefördert werden soll, ist noch näher festzulegen.

6.2.5

Die Kommission hatte die Einführung von Finanzinstrumenten zur Unterstützung und Förderung einer wirksamen Abfallbewirtschaftung und eines wirksamen Managements des Abfallrecyclings und der Abfallverwertung als überlegenswert vorgeschlagen. Die EU-weite Einführung derartiger Instrumente hätte in der Tat unter der Voraussetzung, dass sie einheitlich sind, befürwortet werden können. Es werden jedoch keine diesbezüglichen Vorschläge gemacht, da diese nur schwer eine einstimmige Zustimmung im Rat gefunden hätten. Die Entscheidung, von derartigen Vorschlägen abzusehen, ist sicherlich realistisch, zeugt aber dennoch von einer gewissen Zaghaftigkeit der Kommission, die die Entwicklung einer Methode der offenen Koordinierung hätte vorschlagen können.

6.3   Gefährliche Abfälle

6.3.1

Die Frage der Zusammenführung bzw. Aufhebung der Richtlinie über gefährliche Abfälle wurde unter grundsätzlichen Gesichtspunkten bereits im Abschnitt „Allgemeine Bemerkungen“ angesprochen.

6.3.2

In dem Artikel über die Trennung gefährlicher Abfälle ist seltsamerweise nur vom Mischen die Rede.

6.3.3

Gefährliche Abfälle müssten mehr noch als alle anderen Abfallarten strengen Bestimmungen und Rückverfolgbarkeitsanforderungen unterliegen. Die Rechtsvorschriften müssen ihren Eintrag in die Umwelt ganz klar verbieten. Darüber hinaus muss verhindert werden, dass durch die Zusammenführung bzw. Aufhebung der Richtlinie über gefährliche Abfälle das Gesundheitsschutzniveau gesenkt wird. Zumindest könnte deutlich gesagt werden, dass jede „gefährliche Abfälle enthaltende Mischung“ grundsätzlich selbst als gefährlich eingestuft wird, es sei denn, das Ergebnis der Vermischung ist eine tatsächliche chemische Entgiftung. Jegliche Verdünnung muss verboten sein.

6.4   Vernetzung der Beseitigungsanlagen

6.4.1

In dem Vorschlag wird angeregt, dass die Mitgliedstaaten in Absprache miteinander ein Netz an Beseitigungsanlagen einrichten. Wie kann erwartet werden, dass in diesem Bereich Investitionen getätigt werden, wenn die Mitgliedstaaten gar nicht über die erforderlichen Instrumente verfügen, um diese Anlagen voll auszulasten? Ein Betreiber könnte durchaus Abfälle zur Verwertung in ein anderes Land „exportieren“. Die diesbezüglichen Regeln müssen also ganz besonders klar formuliert sein und dürfen nicht zu unliebsamen Ergebnissen führen.

6.4.2

Der Grundsatz der Entsorgungsnähe muss im Licht des Prinzips der Abfallentsorgungsautarkie untersucht und erläutert werden. Diese beiden Prinzipien hängen im Hinblick auf eine nachhaltige Abfallbewirtschaftung untrennbar miteinander zusammen.

6.5   Abfallvermeidung

6.5.1

Den Mitgliedstaaten wird in der Richtlinie keinerlei Verpflichtung in Bezug auf die sozialen Fragen der Abfallvermeidung auferlegt, also die Berücksichtigung der möglichen Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen und die Gesundheit der Arbeitnehmer und die Durchführung echter Informationskampagnen. Die Abfallvermeidung geht auch die Bürger an. Außerdem wäre es wünschenswert, die Überlegungen in zwei Richtungen voranzutreiben: in qualitativer und quantitativer Hinsicht, denn im wirtschaftlichen Bereich bringt die Qualität, die gewiss weniger dogmatisch gesehen wird als die Quantität, Fortschritt und Leistungsfähigkeit hervor.

6.6   Die Anhänge

6.6.1

Bis auf die Einführung einer Bewertung der Energieeffizienz, die sich einzig auf Verbrennungsanlagen für die Behandlung von Siedlungsabfällen bezieht, wurden hier nur wenige Änderungen vorgenommen. Eigenartigerweise wird auf die Auflagen für „kombinierte Verbrennungsanlagen“ überhaupt nicht eingegangen. Darüber hinaus kann die Verbrennung von Siedlungsabfällen nur dann als Verwertung angesehen werden, wenn sie ein hohes Maß an Energieeffizienz erreicht. Zwar ist bei bestimmten Abfällen keine Rückgewinnung möglich, doch muss vermieden werden, dass rudimentäre und für die Rückgewinnung von Nutzenergie nur wenig geeignete Verbrennungsanlagen von den für die Rückgewinnung geltenden Bestimmungen profitieren können. Denn dann würde die Verbrennung zu einer Bequemlichkeitslösung, was dazu führen könnte, dass Abfälle, deren Entstehung von vornherein vermieden werden sollte, exportiert werden.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2005) 666 endg.

(2)  KOM(2005) 667 endg.

(3)  KOM(2003) 301 endg.

(4)  Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18. März 1991 zur Änderung der Richtlinie 75/442/EWG über Abfälle.

(5)  Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft.