11.4.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 88/7


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten“

(KOM(2005) 305 endg. — 2005/0126 (COD))

(2006/C 88/02)

Der Rat beschloss am 1. September 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 23. Januar 2006 an. Berichterstatterin war Frau SÁNCHEZ MIGUEL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 424. Plenartagung am 14./15. Februar 2006 (Sitzung vom 14. Februar) mit 134 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Inhalt des Änderungsvorschlags der Kommission, der die Anwendung der Verordnung, die für die wirksame Umsetzung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der EU so wichtig ist, erleichtert und mehr Klarheit schafft. Allerdings führen einige Änderungsvorschläge zu Unklarheiten bezüglich ihrer inhaltlichen Auslegung. Dies gilt insbesondere für Artikel 8 Absatz 3, da damit eine Ausnahmeregelung bei der Berechnung der Fristen geschaffen wird, wenn der Empfänger die Annahme verweigert, weil er die Sprache nicht versteht, in der das Dokument verfasst ist; diese Regelung soll den Antragsteller nach den jeweiligen nationalen Bestimmungen schützen.

1.2

In Bezug auf Artikel 14, in dem auf Belege verwiesen wird, die einer Empfangsbestätigung „gleichwertig“ sind, sollten solche sonstigen rechtswirksamen Nachweisformen einer Zustellung durch die Postdienste näher definiert werden.

1.3

Diese beiden Aspekte müssten klarer gefasst werden. Zudem wäre vor allem eine Überprüfung der verschiedenen Sprachfassungen erforderlich, die vielfach voneinander abweichen. Dieses Problem kann noch vor der Veröffentlichung der Verordnung gelöst werden, zumal die Anwendung in jedem Mitgliedstaat nach Maßgabe der jeweiligen Sprachfassung erfolgt.

1.4

Der EWSA zeigt sich besorgt angesichts der mangelnden Lagebewertung der Kommission hinsichtlich der Anwendung in den neuen Mitgliedstaaten, obschon sie im Anhang der Verordnung die erforderlichen Anpassungen zur Berücksichtigung dieser neuen Lage vorgenommen hat.

1.5

Der Ausschuss möchte in jedem Fall betonen, dass er das bei der Überarbeitung angewandte Verfahren für angemessen hält, da dabei allen beteiligten Parteien Rechnung getragen und vor allem auf eines der zu diesem Zweck geschaffenen Instrumente — das Europäische Justizielle Netz — zurückgegriffen wurde, durch das die ermittelten Probleme bei der Anwendung beider Verfahren berücksichtigt werden können.

2.   Einleitung

2.1

Wie in Artikel 24 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 (1) vorgesehen, nimmt die Europäische Kommission eine inhaltliche Anpassung der Verordnungsbestimmungen an die Entwicklung der Zustellungssysteme vor, nachdem sie die Prüfung der Anwendung dieser Verordnung im angegebenen Zeitraum, d.h. bis zum 1. Juni 2004, abgeschlossen hat. Der Änderungsvorschlag geht jedoch über eine einfache formale Überarbeitung hinaus, insofern als er Teil der Bemühungen um eine Vereinfachung des EU-Rechts ist und unter Berücksichtigung der zahlreichen in diesem Zeitraum erlassenen Rechtsvorschriften erarbeitet wurde, mit denen der Beschluss des Europäischen Rates von Tampere über die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts verwirklicht und somit der freie Personenverkehr im Hoheitsgebiet der Europäischen Union gewährleistet werden soll.

2.2

Die Durchführung dieser Verordnung ist für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts von großer Bedeutung. Grenzüberschreitende Transaktionen und Verträge sowie insbesondere die neuen Beschaffungssysteme, die sich die neuen Technologien zunutze machen, erfordern eine Regelung, in der das Verfahren für die Zustellung und Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke von einem Mitgliedstaat in einen anderen festgelegt ist. Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss bereits zu dieser Frage Stellung genommen (2) und sich dahingehend geäußert hat, dass das Rechtsinstrument zur Regelung dieses Verfahrens die Form einer Verordnung — und nicht wie vorgeschlagen einer Richtlinie — haben sollte, da das angestrebte Ziel darin besteht, eine vollständige Harmonisierung zu erreichen.

3.   Wesentlicher Inhalt des Änderungsvorschlags

3.1

Im Zuge der mit der Überarbeitung angestrebten Vereinfachung werden Änderungen aufgenommen, die die Rechtssicherheit für Antragsteller und Empfänger erhöhen, da eine Grundlage für den Erhalt des Vertrauens in den Binnenmarkt gelegt werden soll.

3.2

Zunächst werden eindeutige Vorschriften für die Berechnung der Fristen festgelegt (Artikel 7 Absatz 2), wobei die vormaligen Bestimmungen durch die Festsetzung einer Frist von einem Monat nach Eingang des Schriftstücks ersetzt werden; nur in den Beziehungen zwischen den Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten ist das jeweils einschlägige nationale Recht anzuwenden (Artikel 9 Absatz 1 und 2).

3.3

Die Bestimmungen über die Verweigerung der Annahme des Schriftstücks durch den Empfänger aufgrund mangelnder Kenntnis der Sprache, in der es abgefasst wurde, werden präzisiert. Hierbei wird auf die Möglichkeit eingegangen, dass eine Übersetzung des Schriftstücks in eine dem Empfänger bekannte Sprache erstellt wird, wobei die Berechnung der vorgesehenen Fristen mit der Zustellung der Übersetzung beginnt (Artikel 8 Absatz 1). Mit dem neuen Absatz 3 wird jedoch eine Ausnahmeregelung eingeführt, die für den Fall gilt, dass ein Schriftstück nach dem Recht eines Mitgliedstaats innerhalb einer bestimmten Frist zugestellt werden muss, um die Rechte des Antragstellers zu wahren. In diesem Fall ist als Datum der Zustellung der Tag maßgeblich, an dem das erste Schriftstück zugestellt worden ist.

3.4

Ein weiterer wichtiger Änderungsvorschlag betrifft die Zustellungs- bzw. Übermittlungsgebühren (Artikel 11 Absatz 2) und sieht vor, dass jeder Mitgliedstaat im Voraus eine bestimmte Gebühr festlegt.

3.5

In Bezug auf die Zustellung durch Postdienste (Artikel 14) wird festgelegt, dass es jedem Mitgliedstaat frei steht, den Nachweis einer Empfangsbestätigung oder eines „gleichwertigen Belegs“ zu verlangen, wobei es jedem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten unbenommen bleibt, gerichtliche Schriftstücke durch Amtspersonen, Beamte oder sonstige zuständige Personen des Empfangsmitgliedstaats zustellen zu lassen (Artikel 15).

4.   Bemerkungen zu dem Änderungsvorschlag

4.1

Änderungsvorschläge, die dem Grundsatz der Vereinfachung (3) entsprechen und gleichzeitig die Rechtssicherheit in dem betreffenden Anwendungsbereich gewährleisten, kann der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nur begrüßen. Er stellt fest, dass die Kommission durch die Erstellung des nach Artikel 24 der Verordnung vorgesehenen Berichts ihren Aufgaben nachgekommen ist und dass zudem die Erfahrungen mit der Umsetzung dieser Verordnung durch die Sitzungen im Rahmen des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen (4) erörtert und debattiert worden sind. Nachdem die einschlägigen Informationen und Untersuchungen vorlagen, nahm die Kommission schließlich den Bericht (5) an, der als Grundlage für die hier erörterte Vorlage diente.

4.2

Daher muss gewürdigt werden, dass die gemeinschaftsrechtliche Regelung der Berechnung der Fristen für die Zustellung und Übermittlung von Schriftstücken die Vereinfachung ein großes Stück voranbringt, da zuvor eine Vielzahl konkurrierender einzelstaatlicher Bestimmungen galt, wodurch die Verfahren in die Länge gezogen wurden. Gleichzeitig wird es den Parteien somit ermöglicht, die Verfahren zu durchschauen, ohne sich mit den in jedem einzelnen Mitgliedstaat geltenden Regelungen vertraut machen zu müssen. In den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten gilt jedoch wie in dem geänderten Artikel 9 vorgesehen das nationale Recht als anwendbar, ohne die Interessen der betroffenen Einzelpersonen zu beeinträchtigen.

4.3

Die vorgeschlagene Umformulierung des Artikels 8 (6) über die „Verweigerung der Annahme eines Schriftstücks“ durch den Empfänger aufgrund mangelnder Kenntnis der Sprache, in der das Schriftstück abgefasst ist, sowie die Verpflichtung, eine Übersetzung dieses Dokuments erstellen zu lassen, scheint dem Schutz der Interessen der beteiligten Parteien besser zu entsprechen als die derzeitige Fassung, insbesondere da die vorgesehenen Fristen nicht verkürzt werden, sondern die Berechnung erst mit dem Tag der Zustellung der Übersetzung beginnt. Der Wortlaut des neuen Artikels 8 Absatz 3 wirft in diesem Zusammenhang jedoch insofern erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten auf, als durch die Anwendbarkeit der jeweiligen nationalen Bestimmungen über die Fristenberechnung eine Ausnahmeregelung geschaffen wird, was zu Rechtsunsicherheit für den Empfänger des Schriftstücks führen könnte.

4.4

Der EWSA teilt die Auffassung, dass es sinnvoll ist, eine von den einzelnen Mitgliedstaaten im Voraus festgesetzte Gebühr vorzusehen, zumal zwischen den Parteien aufgrund der Unsicherheit bezüglich der anfallenden Gebühren vielfach Misstrauen herrscht. Auf diese Weise wird die Transparenz des Verfahrens erhöht.

4.5

Im Einklang mit seiner vorherigen Stellungnahme (7) ist der EWSA der Auffassung, dass untersucht werden muss, inwiefern technische Neuerungen und neue Kommunikationsmedien, die von den Empfangs- und Übermittlungsstellen gutgeheißen werden, wie z.B. E-Mail oder Internet, bei der Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen genutzt werden können, sofern die Rechtssicherheit der Parteien gewährleistet wird.

4.6

Ein weiterer Aspekt, auf den eingegangen werden müsste, ist die Art der Abfassung der Formblätter im Anhang, die an die Justizbehörden in den jeweiligen Mitgliedstaaten, d.h. die Übermittlungsstelle und die Empfangsstelle dieser Formblätter, gerichtet sind. Nach Ansicht des EWSA müsste auch den Interessen der Empfangsstelle und des Empfängers Rechnung getragen werden, und zwar dahingehend, dass der Wortlaut vereinfacht und so für die Beteiligten an gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren verständlich gemacht wird.

Brüssel, den 14. Februar 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. L 160 vom 30.6.2000.

(2)  ABl. C 368 vom 20.12.1999 (Ziffer 3.2).

(3)  ABl. C 24 vom 31.1.2006.

(4)  Siehe die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Einrichtung eines Europäischen Justitiellen Netzes für Zivil- und Handelssachen“, veröffentlicht im ABl. C 139 vom 11.5.2001.

(5)  Bericht über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 vom 1. Oktober 2004, KOM(2004) 603 endg.

(6)  Die Neufassung von Artikel 8 über die Verweigerung der Annahme eines Schriftstücks mit der Begründung, dass es nicht in einer Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats abgefasst ist, entspricht der Rechtsprechung des EuGH (vgl. das unlängst ergangene Urteil in der Rechtssache C-443/03 vom 8. April 2005).

(7)  ABl. C 368 vom 20.12.1999.