31.1.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 24/73


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Sozialpolitische Maßnahmen im Rahmen einer gesamteuropäischen Binnenschifffahrtsregelung“

(2006/C 24/15)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 1. Juli 2004, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Sozialpolitische Maßnahmen im Rahmen einer gesamteuropäischen Binnenschifffahrtsregelung“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 15. Juni 2005 an. Berichterstatter war Herr Etty, Mitberichterstatter war Herr SIMONS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 29. September) mit 92 gegen 7 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Ausgehend von dem ehrgeizigen Ziel der Europäischen Kommission, das große Potenzial der europäischen Binnenschifffahrt entwickeln zu wollen, stand im Mittelpunkt der Initiativstellungnahme aus dem Jahr 2004 (1) das geltende zersplitterte Regelwerk. Dieser Stellungnahme zufolge müssen die Rechtsvorschriften harmonisiert und vereinheitlicht werden, zumal da die Erweiterung der Europäischen Union noch zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringen dürfte (Abstimmung und Zusammenführung der Regelwerke der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, der EU und der Donaukommission). Im Rahmen der neuen Politik der Europäischen Kommission wurde ein neues Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern angestrebt. In diesem Zusammenhang wurde die Binnenschifffahrt als Instrument zur Herbeiführung eines ausgewogeneren Verkehrsmarktes genannt. Um die Vorteile dieses Verkehrsträgers voll nutzen zu können, mussten allerdings einige Hindernisse beseitigt werden, die einer echten Entfaltung dieses Sektors bislang im Wege standen.

1.2

Im Zusammenhang mit den sozialen Aspekten und der Arbeitsmarktsituation wurde in der Stellungnahme u.a. auf folgende Punkte hingewiesen:

den Grundsatz der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und der damit zusammenhängenden Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit;

den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften für den Binnenschifffahrtssektor in den 15 alten EU-Mitgliedstaaten, dem ein Überschuss an qualifizierten Arbeitskräften in den neuen und künftigen EU-Mitgliedstaaten gegenübersteht;

die Unterschiede bei den Qualifikationen und Befähigungsnachweisen und in der Folge die Schwierigkeiten bei der Einstellung von Arbeitskräften und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Binnenschifffahrt sowie die unterschiedlichen Schiffsbesetzungsvorschriften in der Rhein- und Donauschifffahrt (u.a. verbindliche Vorschriften einerseits und Empfehlungen andererseits);

die Koppelung der Bemannungsvorschriften an die technischen Anforderungen, denen die Schiffe genügen müssen;

die Notwendigkeit der Harmonisierung der Ausbildung als wichtigen Bestandteil einheitlicher europäischer Schiffsbesatzungsvorschriften;

mögliche Verständigungsschwierigkeiten sowohl zwischen den Besatzungsmitgliedern untereinander als auch zwischen den zahlreichen europäischen Binnenschiffsverkehrsteilnehmern und die Zweckmäßigkeit, diese Probleme zur Verbesserung der Schiffverkehrssicherheit anzugehen;

die Gültigkeit der ZKR-Besatzungsvorschriften für alle Besatzungsmitglieder (Arbeitnehmer und Selbstständige) gleichermaßen, wobei diese jedoch keine spezifischen Bestimmungen betreffend die Arbeitnehmer enthalten — ganz im Gegensatz zu den EU-Vorschriften, die auf den Schutz der Arbeitnehmer ausgerichtet sind, den besonderen Gegebenheiten und den geltenden Schiffbesatzungsvorschriften in der Binnenschifffahrt jedoch nicht Rechnung tragen. Ein sozialer Dialog auf Gemeinschaftsebene ist daher erforderlich, um diese beiden Regelwerke aufeinander abzustimmen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Die technischen und sozialen Rechtsvorschriften für die Binnenschifffahrt sind traditionell aneinander gekoppelt, insbesondere in Bezug auf Besatzungsvorschriften, die in engem Zusammenhang mit den nautisch-technischen Schiffsnormen sowohl auf die Sicherheit als auch den Schutz der Besatzung abstellen.

2.2

Die technischen Vorschriften für die Rheinschifffahrt sind in der Mannheimer Akte festgelegt, für deren Einhaltung die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) mit Sitz in Straßburg zuständig ist. In einigen Mitgliedstaaten gelten die ZKR-Vorschriften für sämtliche Binnenwasserwege.

In Verbindung mit dem Belgrader Abkommen, das für die Donausschifffahrt gilt und ganz anders angelegt ist (die Donaukommission gibt Empfehlungen und macht keine Vorschriften), sowie den ansonsten nicht sehr umfangreichen einschlägigen EU-Vorschriften ergibt sich für Europa allerdings ein komplexer und uneinheitlicher Regulierungsrahmen im Binnenschifffahrtsbereich.

Die Mannheimer Akte könnte einer der Eckpfeiler ausgereifter technischer Vorschriften der EU für die Binnenschifffahrt werden.

2.3

Neben den Besatzungsvorschriften sind die Vorschriften über die Fahrzeiten der Schiffe und die Ruhezeiten der Besatzung die wichtigsten von der ZKR geregelten sozialen Aspekte der Binnenschifffahrt.

2.4

Das Belgrader Übereinkommen wird derzeit von den Mitgliedstaaten der Donaukommission in dem Anliegen überarbeitet, die Donaukommission mit Befugnissen auszustatten, die den Kompetenzen der ZKR vergleichbar sind. Das revidierte Übereinkommen müsste in absehbarer Zeit verabschiedet werden und allen interessierten Ländern offen stehen.

2.4.1

Angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Interessen (aufgrund der rasanten Zunahme des Verkehrsaufkommens auf der Donau) erachten die Mitglieder der Donaukommission dies als vorrangige Aufgabe. Die Donaukommission hat dabei folgende vier Hauptziele vor Augen:

a)

Gegenseitige Anerkennung von Schiffspatenten, Berufsqualifikationen und Schiffsattesten;

b)

Gleichwertigkeit der Parameter für die Binnenschifffahrt;

c)

Öffnung des europäischen Binnenschifffahrtsmarktes sowie

d)

Integration sozialer Aspekte.

2.4.2

Ein großes Problem für die Donauschifffahrt ist der verhältnismäßig schlechte technische Zustand der Donauflotte. Dies ist u.a. auf die veralteten Schiffe und deren Ausrüstung sowie auf die wegen der Blockade bei Novi Sad lange Zeit fast völlig zum Erliegen gekommene Donauschifffahrt zurückzuführen.

In der Rheinschifffahrt wiederum herrscht ein beträchtlicher Mangel an Arbeitskräften aus den Rheinanrainer-Staaten.

2.4.3

Laut Donaukommission bestehen abgesehen vom Empfehlungscharakter des Belgrader Übereinkommens zwischen dem Regelwerk der ZKR und der Donaukommission keine großen Unterschiede in Bezug auf die technischen Anforderungen und Sozialvorschriften. Sozialpolitische Aspekte werden weitgehend der einzelstaatlichen Gesetzgebung und Tarifverhandlungen anheim gestellt.

Nach Ansicht der Donaukommission stellt die sehr starke Beschränkung des Zugangs von Kapitänen aus Mitgliedstaaten der Donaukommission zur Rheinschifffahrt das größte Problem im Zusammenhang mit den Sozialvorschriften dar.

2.4.4

Die Donaukommission hat niemals eine Vergleichsstudie über die Sozialvorschriften und -regelungen der Mitgliedstaaten für die Binnenschifffahrt durchgeführt. Offensichtlich fehlte bislang das Interesse bezüglich dieses Aspekts der Binnenschifffahrt, obwohl es doch um einen Faktor geht, der in die Wettbewerbsverhältnisse hineinspielt.

2.5

Die größten sozialen Probleme für die Arbeitnehmer in der Rhein- wie auch der Donauschifffahrt sind Ermittlungen der Gewerkschaften zufolge neben den Problemen im Zusammenhang mit den Vorschriften für Schiffsbesatzungen sowie deren Einsatz- und Ruhezeiten die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Sozialversicherungsbestimmungen und die ungenügende Kenntnis der verschiedenen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, Regelungen und Tarifvereinbarungen.

Nach Auffassung der Arbeitgeber in den ZKR-Mitgliedstaaten sind die Hauptschwierigkeiten im Sozialbereich auf die starren und komplexen Vorschriften sowie die Diskrepanzen zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zurückzuführen. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf ihre Wettbewerbsposition, weshalb manche Unternehmen auf „Schnäppchenjagd“ nach günstigeren Rechtsvorschriften gehen und/oder ihre Arbeitnehmer zur Umgehung arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften in andere Länder „verlagern“ und so die aufgrund der unterschiedlichen Lohn- und Sozialversicherungskosten entstehenden Vorteile auszunutzen versuchen.

2.6

In der Binnenschifffahrt sind ca. 40.000 Arbeitnehmer beschäftigt, und zwar in den „alten“ Mitgliedstaaten 30.000 und in den „neuen“ EU-Mitgliedstaaten 10.000, von denen derzeit wiederum rund 3.000 in der Rheinschifffahrt tätig sind. Mehr oder weniger die Hälfte aller in der Binnenschifffahrt Beschäftigten in den „alten“ Mitgliedstaaten sind Lohnempfänger, der Rest ist selbstständig.

2.7

In der ZKR werden die Sozialpartner zu Fragen konsultiert, die den sozialpolitischen Bereich berühren. Den Gewerkschaften gehen diese Konsultierungen jedoch nicht weit genug.

In den Mitgliedstaaten der Donaukommission gibt es keinerlei derartige Konsultation. Ein Großteil der Arbeitnehmer ist zwar gewerkschaftlich organisiert, doch befinden sich die Unternehmen aufgrund des Privatisierungsprozesses in einer Übergangsphase.

2.7.1

Den sozialen Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Binnenschifffahrt gibt es in den „alten“ Mitgliedstaaten nur ansatzweise und in den „neuen“ Mitgliedstaaten überhaupt nicht. Für einen echten sozialen Dialog sind unabhängige, repräsentative Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen erforderlich. Dieser Aspekt sollte in den Donaustaaten unbedingt Augenmerk gewidmet werden.

2.7.2

In Verbindung mit den traditionell vorherrschenden technischen Vorschriften und Regelungen erklärt dieser Umstand, warum dem Faktor Mensch in der Binnenschifffahrt in der Vergangenheit kein besonderer Stellenwert beigemessen wurde. Diesbezüglich sehen die Reeder die Dinge folgendermaßen. Da die meisten in den Binnengewässern zum Einsatz kommenden Schiffe in privater Hand sind, lag es schon immer im Interesse der Besitzer, alle betrieblichen Risiken einschl. des Faktors Mensch unter Kontrolle zu halten. Daher war der Bedarf an Rechtsvorschriften über die Qualifikationsanforderungen im Vergleich zu anderen Verkehrssektoren bisher relativ gering.

2.8

Besteht angesichts des wachsenden Interesses, der Binnenschifffahrt in der künftigen EU-Verkehrspolitik einen höheren Stellenwert einzuräumen, und der zunehmenden Kohärenz zwischen den verschiedenen Binnenschifffahrtsregelungen die Aussicht auf eine Änderung im positiven Sinne? Drei vor Kurzem veröffentlichte Berichte und die Schlussfolgerungen einer wichtigen europäischen Konferenz über die Zukunft dieses Verkehrssektors deuten darauf hin, dass dies wohl nicht der Fall ist.

2.8.1

In dem 2002 veröffentlichten ZKR-Bericht „Schiffe der Zukunft“ (2) wird die Zukunft der Binnenschifffahrt in erster Linie unter dem technologischen Aspekt untersucht.

2.8.1.1

In Bezug auf soziale Fragen wird fast ausschließlich nur auf die Aufgabe des Schiffsführers der Zukunft eingegangen, der als „Operator“ beschrieben wird, der kaum noch selbst Hand anlegt, aber in der Lage sein muss, in Notsituationen die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Dies ist aus heutiger Sicht kein realistisches Bild, unterstreicht jedoch den starken Einfluss der technologischen Entwicklungen auf die sozialen Rahmenbedingungen in der Binnenschifffahrt. Auf der Grundlage dieser Theorie sprechen sich die Autoren für eine aktive Sozialpolitik in der Binnenschifffahrt aus.

2.8.1.2

Nach dem im Bericht skizzierten Szenario scheint die Binnenschifffahrt nur mehr hochqualifizierte Arbeitskräfte zu benötigen. Dies ist jedoch ebenso wenig realistisch, denn wenn auch die Beschäftigungsmöglichkeiten für weniger qualifizierte Arbeitnehmer zurückgehen mögen, ganz wird die Binnenschifffahrt auf diese Kategorie von Arbeitnehmern aber nicht verzichten können.

2.8.1.3

Im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt wird in diesem Bericht auf die Bedeutung regelmäßiger Freizeit sowie auf die Erweiterung des Berufsangebots und die Stärkung der Mobilität der Arbeitnehmer eingegangen.

2.8.2

In der PINE-Studie (3) wird die Zukunft der Binnenschifffahrt in erster Linie unter dem wirtschaftlichen Aspekt betrachtet. Der wichtigste sozialpolitische Gesichtspunkt, der in dieser Studie angesprochen wird, sind die Folgen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU für die finanziellen und wirtschaftlichen Parameter des Binnenschifffahrtssektors.

Des Weiteren wird auch etwas auf das Problem des derzeitigen und künftigen Arbeitskräftemangels in der Binnenschifffahrt eingegangen.

2.8.3

Im EFIN-Bericht (4) werden die Möglichkeiten zur Schaffung eines grundlegenden Rahmens für die Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Ländern und Einrichtungen untersucht. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss wird sich mit den in diesem Bericht dargelegten Vorschlägen demnächst in einer gesonderten Stellungnahme auseinandersetzen. Die Rolle der Sozialpartner bleibt im EFIN-Bericht völlig außen vor, was darauf schließen lässt, dass sie für die in dem Bericht erörterten Themen als unbedeutend erachtet wird.

2.8.4

Auch auf dem Kongress „The power of Inland Navigation“, der vom 10. bis 12. November 2004 vom niederländischen EU-Ratsvorsitz in Den Haag veranstaltet wurde, um den Beitrag der Binnenschifffahrt zum Wirtschaftswachstum und zum Fortschritt der Gesellschaft insgesamt herauszustreichen, wurden soziale Fragen einmal mehr kaum gestreift.

2.9

Der Inhalt dieser drei Studien sowie die Debatten auf dem oben genannten Kongress scheinen ein klares Zeichen dafür zu sein, dass die Regierungen und zahlreiche Akteure in der Binnenschifffahrt immer noch die Auffassung vertreten, dass sozialpolitische Fragen für die Binnenschifffahrt nur von geringer Bedeutung sind. Dies lässt sich auch daraus schließen, dass die Autoren der Studien bzw. die Kongressorganisatoren die Sozialpartner in der Binnenschifffahrt nicht kontaktiert haben. So gesehen war die PINE-Studie eine Ausnahme.

Die Europäische Kommission hat die Sozialpartner in die Konzipierung dieser Studie sehr wohl eingebunden, wenngleich — wie bereits erwähnt — sozialen Fragen, denen die Sozialpartner (und gewisslich die Gewerkschaften) große Bedeutung beimessen, in der Studie wenig Augenmerk gewidmet wird.

2.10

In der Ausschussstellungnahme zum Thema „Streben nach einer gesamteuropäischen Regelung der Binnenschifffahrt“ wurde die Sozialpolitik in diesem Sektor aufgrund seiner komplexen Struktur nicht eingehend erörtert, sondern es wurde auf diese Anschlussstellungnahme verwiesen. Die oben angeführten Punkte sind ein weiteres Argument dafür, diese Frage unter die Lupe zu nehmen. Es ist allmählich an der Zeit, von der traditionell von technischen Gesichtspunkten beherrschten Betrachtung der Thematik abzukommen und zu einer ausgewogeneren Behandlung dieses Fragenkomplexes zu gelangen, die alle betroffenen Akteure umfassend einbindet, d.h. die Akteure in den Mitgliedstaaten der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt ebenso wie der Donaukommission, in den „alten“ und die „neuen“ EU-Mitgliedstaaten wie auch in den Kandidatenländern und, ggf. in anderen interessierten Ländern.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Dem Ausschuss schwebt eine Sozialpolitik mit einem breit angelegten einheitlichen Ansatz vor, der aber zugleich Raum lässt für regionale bzw. lokale Besonderheiten. Bei dieser Politik müssen die Sozialpartner sehr eingebunden werden.

3.2   Besatzungsvorschriften

3.2.1

Die wesentlichen in den ZKR-Mitgliedstaaten geltenden Besatzungsvorschriften sind in Kapitel 23 der Rheinschiffsuntersuchungsordnung enthalten. Betriebsform und Einsatzzeit des Schiffes bestimmen Größe und Zusammensetzung der Besatzung. Es ist äußerst wichtig, dass die Einhaltung dieser Besatzungsvorschriften sorgfältig kontrolliert wird, da — wie sich in der Praxis zeigt — diese Regeln bisweilen übertreten werden.

3.2.2

Die Europäische Kommission hat bereits vor zwanzig Jahren die Schaffung eines diesbezüglichen europäischen Rechtsinstruments in Angriff genommen, doch wurden bislang kaum Fortschritte erzielt. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass vor Jahren die betreffenden Mitgliedstaaten erst die Überarbeitung des Kapitels 23 abwarten wollten. Dieses europäische Instrument sollte sich auf Vorschriften für die Zusammensetzung der Besatzung, die Einsatzzeit der Schiffe und verbindliche Ruhezeiten für Besatzungsmitglieder erstrecken.

3.2.3

In den ZKR-Mitgliedstaaten sind Besatzungsvorschriften ein strittiger Punkt zwischen den Regierungen sowie den Arbeitgebern und Selbstständigen einerseits und den Gewerkschaften andererseits. Die von der ZRK aufgestellten überarbeiteten Besatzungsvorschriften von Juli 2002, sind nach Meinung der Gewerkschaften unzureichend, da die Mindestbesatzungsvorschriften zu lasch und die Anforderungen hinsichtlich der beruflichen Bildung und Qualifikation nicht zufriedenstellend sind. In Verbindung mit den vorherrschenden Arbeits- und Ruhezeiten stellen diese Vorschriften nach ihrer Einschätzung eine echte Bedrohung für die Sicherheit in der Binnenschifffahrt dar.

Die Arbeitgeberverbände behaupten jedoch, dass die Sicherheit in der Binnenschifffahrt durch die geltenden Besatzungsvorschriften voll und ganz gewährleistet wird und dass noch mehr Flexibilität wünschenswert ist. Dies könnte die Aufnahme von Arbeitnehmern aus anderen maritimen Wirtschaftszweigen vereinfachen. Außerdem könnten Besatzungsvorschriften für Schiffe, die über modernste Ausrüstung verfügen, gelockert werden.

3.2.4

In den Mitgliedstaaten der Donaukommission stellen Mindestvorschriften für Besatzungen offenbar kein Problem dar. In den einschlägigen Abschnitten der Belgrader Donaukonvention wird hauptsächlich auf Kapitäne und Maschinisten, kaum jedoch auf Besatzungsmitglieder der unteren Ränge eingegangen. Im Vergleich zu den entsprechenden Besatzungskategorien in den ZKR-Mitgliedstaaten verfügen die Kapitäne und Maschinisten über ein hohes Ausbildungsniveau.

Die Mitgliedstaaten der Donaukommission beabsichtigen, ab 2005 die Vereinheitlichung der einzelstaatlichen Besatzungsvorschriften in Angriff zu nehmen. Sie wollen die Arbeitgeberverbände als Beobachter in ihre Arbeiten einbeziehen, denn ihrer Meinung nach werden die Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer vertreten. Dies sehen die Gewerkschaften in den betreffenden Ländern ganz anders.

3.2.5

In den ZKR-Mitgliedstaaten sind Verstöße gegen Besatzungsvorschriften keine Ausnahme, was laut Binnenschifffahrtsgewerkschaften die von ihnen geäußerten Sicherheitsbedenken unterstreicht. Die Einhaltung der Vorschriften in der Praxis wird kaum kontrolliert.

Die Verbände der Arbeitgeber und Selbstständigen betonen, dass die angemessene Handhabung der Besatzungsvorschriften nicht nur im Hinblick auf die Gewährleistung der Sicherheit, sondern auch eines fairen Wettbewerbs wichtig ist. Sie unterstreichen außerdem, dass diese Vorschriften derart gestaltet sein müssen, dass die Innovationstätigkeit in der Binnenschifffahrt nicht behindert, sondern vielmehr gefördert wird.

3.3   Einsatz- und Ruhezeiten

3.3.1

Wie bereits erwähnt sind die Vorschriften über Einsatz- und Ruhezeiten der Besatzung der zentrale sozialpolitische Aspekt in der Rheinschifffahrtsakte. Nach den bestehenden Vorschriften gelten als Arbeitsstunden lediglich diejenigen, in denen das Schiff in Fahrt ist, und nicht die tatsächlichen Arbeitsstunden. Deswegen werden letztere bei den Überprüfungen auch nicht berücksichtigt.

3.3.2

Arbeitszeitregelungen mit sehr langen Tagesarbeitszeiten sind für die Binnenschifffahrt kennzeichnend. In der Regel bleibt die Besatzung über einen festgelegten Zeitraum von beispielsweise zwei Wochen an Bord, manche Besatzungsmitglieder „leben“ jedoch fortwährend an Bord. Wenngleich in den einschlägigen Vorschriften Ruhezeiten vorgegeben sind, so muss die Besatzung während dieser Ruhezeiten doch (auf Abruf) bereitstehen.

3.3.3

Die Gewerkschaften haben, als sie von der ZKR gehört wurden, angeprangert, dass lediglich die Fahrzeiten der Schiffe, nicht aber die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden kontrolliert werden. Diese Einwände wurden von den Vertragsstaaten jedoch bislang ignoriert.

3.3.4

In den bestehenden Binnenschifffahrtvorschriften und -regelungen, die sowohl für Selbstständige als auch für Arbeitnehmer gelten, sind die Einsatzzeiten nicht festgelegt. In den ZKR-Vorschriften sind die Schiffsfahrzeiten, die Zusammensetzung der Besatzung und die verpflichtenden Ruhezeiten für die Besatzung aneinander gekoppelt.

3.3.4.1

Nach Auffassung der betroffenen Akteure trägt die derzeit in Überarbeitung befindliche EU-Richtlinie über die Arbeitszeitgestaltung den besonderen Bedingungen der Binnenschifffahrt nicht genügend Rechnung. Daher haben sie sich gegen diese Richtlinie ausgesprochen. Die Sozialpartner in der Binnenschifffahrt auf EU-Ebene haben sich dazu verpflichtet, im Rahmen des nach längerem Mauerblümchendasein wieder in Gang gekommenen sozialen Dialogs vorrangig eine Einigung in dieser Frage zu suchen.

3.3.5

Auf dem Rhein wie auch auf einigen anderen Wasserwegen der ZKR-Mitgliedstaaten ist eine Mindestruhezeit von 8 Stunden pro 24 Stunden vorgeschrieben, wovon 6 Stunden ohne Unterbrechung einzuhalten sind.

3.3.6

Für die Donauschifffahrt bestehen keinerlei Vorschriften über die Fahrzeiten der Schiffe oder die Einsatzzeiten der Besatzung. In der Praxis sind immer mindestens vier Besatzungsmitglieder im Einsatz, und das Schiff kann mit dieser Besatzung rund um die Uhr betrieben werden. Es bestehen keinerlei verpflichtende Bestimmungen über Ruhezeiten oder anderweitige Einschränkungen der Einsatzzeiten.

3.3.7

Diese Abweichungen zwischen den verschiedenen Regelungen für die europäischen Wasserstraßen machen gemeinsame Mindestnormen unbedingt erforderlich. Für dieses Vorhaben kann etwa auch die von den Sozialpartnern angestrebte Übereinkunft, die in Ziffer 3.2.4.1 angesprochen wird, von großem Nutzen sein.

Zur Gewährleistung gleicher Bedingungen für alle Akteure sind vergleichbare Vorschriften für die Schifffahrt auf dem Rhein, der Donau und den anderen Wasserstraßen dringend erforderlich. Ferner sollten diese Vorschriften miteinander kompatibel und transparent gestaltet werden.

3.4   Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz

3.4.1

Genau wie andere Aspekte der bisherigen Sozialpolitik in der Binnenschifffahrt sind auch die Vorschriften über den Gesundheitsschutz und die Sicherheit am Arbeitsplatz eng mit den technischen Anforderungen an die Schiffe verbunden. Die Vorschriften in diesem Bereich wurden überwiegend in der Rheinschiffsuntersuchungsordnung und einschlägigen einzelstaatlichen Bestimmungen in Form von Bau- und Ausrüstungsvorschriften für Schiffe festgelegt.

3.4.2

Für den Schutz der Arbeitnehmer in der EU bestehen Richtlinien über Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz, aufgrund derer die Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, eine Risikoanalyse und -bewertung vorzunehmen. In der Binnenschifffahrt ist dies aber nicht immer der Fall.

3.4.3

Die europäischen Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften stehen in der Kritik einiger Akteure in der Binnenschifffahrt, die die Nichtberücksichtigung wichtiger Gegebenheiten und besonderer Umstände in der Binnenschifffahrt sowie die fehlende Abstimmung auf die geltenden Binnenschifffahrtsvorschriften bemängeln, die für alle Besatzungsmitglieder gelten, während die EU-Richtlinien auf den Schutz der Lohnempfänger beschränkt sind und somit Selbstständige nicht erfassen. Für den Kraftverkehr wurde etwa eine spezifische Richtlinie über die Regelung der Arbeitszeit auf der Grundlage von Artikel 71 und Artikel 137 Absatz 2 des EG-Vertrags (5) erlassen.

3.5   Arbeitsaufsicht

3.5.1

Neben einem einheitlichen und durchsetzbaren Regelwerk ist eine gewissenhafte, regelmäßige und kompetente Arbeitsaufsicht in einem Sektor, in dem zahlreiche Selbstständige (oder Semi- bzw. Quasi-Selbstständige) Seite an Seite mit Unternehmen, die Lohnempfänger beschäftigen, arbeiten und das Risiko eines geringeren Schutzes für letztere und/oder eines unlauteren Wettbewerbs besteht, von großer Bedeutung.

3.5.2

Die Arbeitsaufsicht in der Binnenschifffahrt wird jedoch nicht streng gehandhabt und hat mit den diesem Sektor eigenen besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ein besonderes Problem für die Arbeitsaufsicht ist die wohl einzigartige Situation an Bord der Schiffe, wo es im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen schwer ist, zwischen Privatem und Beruflichem zu trennen. Bei dieser Sachlage kommt es durchaus vor, dass Inspektoren unfreundlich behandelt werden.

3.5.3

In zahlreichen Ländern ist die Arbeitsaufsicht mit starken Mängeln behaftet (Deutschland und die Schweiz sind noch als verhältnismäßig positive Ausnahme unter den ZKR-Mitgliedstaaten anzusehen). Den mit der Arbeitsaufsicht beauftragten Einrichtungen fehlt es an Personal, was insbesondere in den Niederlanden und Belgien zu einer sehr dürftigen Arbeitsaufsicht führt (in der Praxis erfolgt lediglich alle zwei bis drei Jahre eine Inspektion). An dieser Stelle ist ferner darauf hinzuweisen, dass der Bau und die Ausrüstung von Schiffen von der nationalen Schifffahrtsaufsicht überwacht werden, während die Kontrolle der Anwendung der Rechtsvorschriften der einzelstaatlichen Wasserschutzpolizei obliegt.

In der Donauschifffahrt gibt es so gut wie überhaupt keine Inspektionen.

3.5.4

In der Binnenschifffahrt werden nicht nur die gesetzlichen Anforderungen missachtet, sondern es gibt auch Probleme bei der Einhaltung der Tarifverträge.

3.5.5

Bei großangelegten Überprüfungen werden bei zahlreichen Schiffen Verletzungen der Rechtsvorschriften festgestellt.

3.5.6

Trotz des Rufes der Binnenschifffahrt, ein relativ sicherer Verkehrsträger zu sein, kommt es natürlich auch hier zu Unfällen, es werden jedoch nur Unfälle mit Todesopfern und andere Katastrophen registriert. Es gibt keine eindeutige Definition des Begriffs „Unfall“ in der Binnenschifffahrt. Im Hinblick auf die Intensivierung der Binnenschifffahrt und angesichts der oben festgehaltenen Bemerkungen zur Einhaltung der Besatzungsvorschriften sind dies Aspekte, denen alle Akteure, denen die größere Rolle dieses Verkehrsträgers in der Zukunft ein Anliegen ist, gebührend Rechnung tragen müssen.

3.6   Allgemeine und berufliche Bildung, Prüfungen

3.6.1

Für die Sicherstellung der Beschäftigung in der Binnenschifffahrt und die Gewährleistung ihres Rufes als relativ sicherer Sektor ist eine gute allgemeine und berufliche Bildung unerlässlich. Hierfür sind klare und einheitliche Standards sowie deren strikte Einhaltung erforderlich.

In den Mitgliedstaaten der Donaukommission ist das (Aus)Bildungsniveau (insbesondere der Schiffskapitäne) durchaus hoch, in den ZKR-Mitgliedstaaten hingegen bestehen große Qualitätsunterschiede.

Daher erscheint die Einführung gemeinsamer Mindestnormen, vorzugsweise auf gesamteuropäischer Ebene, notwendig.

3.6.2

Die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt hat die Aufgabe übernommen, die Vorbereitungen für die Ausarbeitung aufeinander abgestimmter Berufsprofile für Matrosen und Kapitäne zu treffen. Die Sozialpartner werden in diese Vorbereitungen eingebunden. Diese Profile, die noch dieses Jahr vorgelegt werden sollen, können als Grundlage für die Harmonisierung der beruflichen Bildung in den europäischen Binnenschifffahrtsnationen dienen. Hierdurch kann auch die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen gefördert werden.

3.6.3

Im Rahmen des sozialen Dialogs in der Binnenschifffahrt wurden unlängst Informationen über die Ausbildung in diesem Sektor in den neuen EU-Mitgliedstaaten eingeholt.

3.6.4

Im Rahmen der Harmonisierung der Ausbildung muss die Binnenschifffahrt als Wirtschaftszweig beworben werden, der jungen Menschen interessante Berufsperspektiven bietet.

3.7   Kommunikation

3.7.1

In der PINE-Studie wird richtigerweise festgestellt, dass die Sprachkenntnisse und die Kenntnisse über ausländische Wasserwege aufgrund der Migration der Arbeitnehmer und des zunehmenden Anteils des internationalen Ost-West-Verkehrs mangelhaft sind, was zu erheblichen Sicherheitsrisiken in der Binnenschifffahrt führen könnte.

3.7.2

Es scheint an der Zeit, eine gemeinsame Binnenschiffverkehrssprache für die internationale Rhein- und Donauschifffahrt festzulegen, und zwar sowohl für die Kommunikation zwischen Schiffen, als auch zwischen Schiff und Landseite.

3.8   Sozialer Dialog

3.8.1

Die Sozialpartner waren bislang kaum in die Gestaltung der Sozialpolitik in der Binnenschifffahrt seitens der ZKR und der Donaukommission eingebunden. Dies ist eine unbefriedigende Situation, an der zu aller erst die Sozialpartner selbst etwas zu ändern versuchen sollten. Allerdings müssen auch die Regierungen der Mitgliedstaaten, die bislang kein offenes Ohr für die Forderungen der Sozialpartner hatten, ihre bisherige Haltung kritisch hinterfragen.

3.8.2

Bei der Entwicklung der sozialen Dimension einer Binnenschifffahrtspolitik für die erweiterte EU, mit der durch die Stärkung der Binnenschifffahrt eine neue Ausgewogenheit im Verkehr herbeigeführt werden soll, kann die Europäische Kommission mit ihrer bewährten Tradition der Konsultierung der Sozialpartner und des sozialen Dialogs mehr erreichen als die ZKR und die Donaukommission.

3.8.3

In diesem Zusammenhang ist es zu begrüßen, dass die Sozialpartner ihren sozialen Dialog, der in diesem Sektor über Jahre ein Schattendasein führte, geöffnet haben. Dies geschieht gemäß einer auf Ersuchen der Sozialpartner erlassenen Entscheidung der Europäischen Kommission im Ausschuss für den sozialen Dialog in der Binnenschifffahrt.

Bedauerlicherweise ist dieser Ausschuss jedoch bislang nur langsam vorangekommen. So wurde im Frühjahr 2004 die Arbeit zum Thema „Organisation der Arbeitszeit“ aufgenommen, die erste Plenarsitzung fand im Juni 2005 statt.

3.8.4

Ein weiteres Thema von vorrangiger Bedeutung im Rahmen des sozialen Dialogs ist die Funktionsweise des europäischen Arbeitsmarktes in der Binnenschifffahrt, einschl. der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

3.8.5

Der soziale Dialog ist allein Sache der Sozialpartner selbst. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache wäre es sinnvoll, wenn die Europäische Kommission gewisse Anreize zur Förderung des sozialen Dialogs gäbe. Zu denken wäre etwa an gezielte Stellungnahmeersuchen an die Sozialpartner und die Aufforderung, diese Stellungnahmen innerhalb einer vertretbaren Frist abzugeben, z.B. durch das Setzen einer konkreten Frist.

3.8.6

Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf EU-Ebene nach Artikel 139 EGV können zu besonderen Vorschriften für die Binnenschifffahrt führen, um speziellen Anforderungen der Binnenschifffahrt gerecht zu werden. Solche Vereinbarungen auf der Grundlage von Mindestvorschriften, die vom Rat nach Artikel 137 erlassen werden, kommen aber erst dann in Betracht, wenn die Sozialpartner sich darin einig sind, dass zusätzliche spezifische Vorschriften wünschenswert sind.

4.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

4.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Zeit nun reif ist für die Schaffung einer gemeinschaftlichen Sozialpolitik für die Binnenschifffahrt, vorzugsweise in einem gesamteuropäischen Kontext. Eine solche Politik sollte für alle europäischen Wasserstraßen gelten. Sie sollte eine möglichst breite und einheitliche Grundlage aufweisen, die aber Raum für regionale bzw. lokale Besonderheiten lässt. Die Sozialpartner müssen hier eng eingebunden werden.

4.2

Die früheren allgemeinen Aussagen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum europäischen Regelwerk für die Binnenschifffahrt sind a fortiori auch für die Sozialvorschriften und -regelungen zu diesem Sektor gültig: Das Regelwerk ist stark zersplittert und sollte gerade jetzt entsprechend harmonisiert und vereinheitlicht werden, da die Erweiterung der Europäischen Union noch zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringen dürfte.

4.3

Bislang war die Sozialpolitik in der Binnenschifffahrt immer nur zweitrangig. Sie ist im Wesentlichen in die technischen Schiffsvorschriften und -regelungen integriert. Der Faktor „Mensch“ in der Binnenschifffahrt muss endlich dieser Zweitrangigkeit enthoben werden.

4.4

Dies erfordert einen tiefgreifenden Sinneswandel aller betroffenen Akteure, insbesondere in Bezug auf die Rolle der Sozialpartner bei der Gestaltung einer modernen Sozialpolitik, neben Bemühungen zur Anpassung weiterer Aspekte der Binnenschifffahrt in Europa an die heutigen Verhältnisse.

4.5

Zahlreiche Aspekte müssen einer umfassenden Analyse unterzogen werden und erfordern eine gut vorbereitete und ausgewogene Entscheidungsfindung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt dürften Besatzungsvorschriften, Einsatz- und Ruhezeiten sowie die Schaffung eines echten und aktiven sozialen Dialogs die vorrangig anzugehenden Punkte sein.

4.6

Die Europäische Kommission ist der geeignete Akteur, um diesen Prozess voranzubringen. Sie kann dabei auf die lange Tradition, die Erfahrung und das Sachwissen der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und der Donauschifffahrt zurückgreifen. Angesichts der jahrzehntelangen Funktionsweise dieser beiden Kommissionen, des Stellenwerts, den sie der Sozialpolitik in ihrer Arbeit eingeräumt haben, und ihrer Art und Weise, die Sozialpartner einzubeziehen, ist klar, dass es keinesfalls ausreicht, die Regelwerke für die Rhein- und für die Donauschifffahrt zusammenzuführen, um optimale Bedingungen für die Entwicklung einer modernen Sozialpolitik in der Binnenschifffahrt zu schaffen.

4.7

Bei der Konzipierung einer Sozialpolitik neuen Stils für die europäische Binnenschifffahrt sollte die Europäische Kommission eng mit den Sozialpartnern, der ZKR, der Donaukommission und der internationalen Arbeitsorganisation zusammenarbeiten. Diese Vorgehensweise erfordert jedoch, dass die Mitgliedstaaten der ZKR und der Donaukommission den Zuständigkeitsbereich ihrer Entscheidungsgremien auf sozialpolitische Fragen ausweiten und somit deren Befugnisse stärken, damit sie möglichst nutzbringend mit der Europäischen Kommission zusammenarbeiten können. Die Europäische Kommission sollte sich ihrerseits stärker um Fachwissen in Bezug auf die Binnenschifffahrt bemühen.

4.8

Wenn die derzeitigen Probleme in der Sozialpolitik in der europäischen Binnenschifffahrt auf diese Weise angegangen werden, wird es möglich sein, ein Regelwerk für diesen Politikbereich zu schaffen, in dem die besonderen Merkmale und Probleme der Binnenschifffahrt und die Interessen aller betroffenen Akteure in gleichem Maße berücksichtigt werden.

4.9

Die Gewährleistung gleicher Bedingungen für alle Akteure und die Steigerung der Attraktivität dieses Sektors für die Arbeitnehmer sowie für all diejenigen, die sich für eine künftige Berufslaufbahn in der Binnenschifffahrt interessieren, müssen bei der Überprüfung und Überarbeitung im Mittelpunkt stehen, insbesondere im Hinblick auf die erwartete Verschärfung des Wettbewerbs sowohl innerhalb der Binnenschifffahrt als auch zwischen der Binnenschifffahrt und anderen Verkehrsträgern.

4.10

Dieser Wandel wird sehr viel Zeit sowie die umfassende Einbindung und das volle Engagement der Sozialpartner erfordern. Der soziale Dialog in diesem Sektor (sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene) ist das wichtigste Instrument, um einen Bogen zwischen den Ansichten der Arbeitgeber, der Selbstständigen und der Arbeitnehmer sowie den Zielen der EU zu spannen. Dies ist vor allem für die Vorschriften und Regelungen über die Zusammensetzung der Schiffsbesatzungen sowie die Einsatz- und Ruhezeiten für Besatzungsmitglieder von Bedeutung.

4.11

Für die Zukunft der europäischen Binnenschifffahrt sollte der allgemeinen und beruflichen Bildung unbedingt zusätzliche Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Sozialpartner sollten hierzu ihren Beitrag leisten.

4.12

Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf EU-Ebene nach Artikel 139 EGV können zu besonderen Vorschriften für die Binnenschifffahrt führen. Solche Vereinbarungen kommen aber erst dann in Betracht, wenn die Sozialpartner sich darin einig sind, dass die besonderen Anforderungen dieses Sektors ergänzende Bestimmungen zu den Mindestvorschriften, die der Rat nach Artikel 137 des EG-Vertrags erlassen hat, nötig machen.

Brüssel, den 29. September 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Diese Initiativstellungnahme ist eine Folgemaßnahme zu der Initiativstellungnahme zum Thema „Streben nach einer gesamteuropäischen Regelung der Binnenschifffahrt“, ABl. C 10, 14.1.2004,S. 49.

(2)  ZKR-Schlussbericht an die Zentralkommission: Schiffe der Zukunft, 2002.

(3)  „PINE: Prospects for Inland Navigation within the enlarged Europe“ (Perspektiven der Binnenschifffahrt im erweiterten Europa) (März 2004), von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie.

(4)  Bericht der EFIN-Gruppe (European Framework for Inland Navigation.): „Neuer institutioneller Rahmen für die Europäische Binnenschifffahrt“ (2004). Dieser Bericht wurde von der niederländischen Regierung mit Unterstützung Belgiens, Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz in Auftrag gegeben.

(5)  Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben (ABl. L 80 vom 23.3.2002, S. 35-39).