30.4.2004   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 112/18


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verwendung von Frontschutzbügeln an Fahrzeugen und zur Änderung der Richtlinie 70/156/EWG des Rates“

(KOM(2003) 586 endg. — 2003/0226 (COD))

(2004/C 112/05)

Der Rat beschloss am 22. Oktober 2003, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 10. März 2004 an. Berichterstatter war Herr RANOCCHIARI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 407. Plenartagung am 31. März/1. April 2004 (Sitzung vom 31. März) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Damit das vorrangige Ziel der Gemeinschaftsorgane und der einzelstaatlichen Behörden — die Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr — verwirklicht werden kann, müssen u.a. schrittweise Regelungen für sämtliche Aspekte der Fahrzeugkonstruktion eingeführt werden, die dazu beitragen, die Zahl und die Schwere der Unfälle zu mindern.

1.2

Dem Schutz der schwächeren und bei Kollisionen mit Kraftfahrzeugen stärker gefährdeten Verkehrsteilnehmer wird in diesem Zusammenhang zu Recht besondere Aufmerksamkeit gewidmet. So ist in dem unlängst von der Kommission vorgelegten Europäischen Aktionsprogramm für die Straßenverkehrssicherheit Folgendes festgehalten: „Eine Konstruktion der Fahrzeugfront, von der geringere Gefahren für Fußgänger und Radfahrer ausgehen, ist für die Europäische Union von Vorrang“.

1.3

Den Unfallstatistiken für den Straßenverkehr zufolge sind an einem erheblichen Teil der Unfälle Fußgänger und Radfahrer beteiligt, die durch den Zusammenprall mit fahrenden Fahrzeugen, insbesondere der Fahrzeugfront von Personenkraftwagen, Verletzungen erleiden. Nach den neuesten von der CARE (1) veröffentlichten Zahlen für die stärker gefährdeten Kategorien von Verkehrsteilnehmern wurden 4.571 Fußgänger und 1.444 Fahrradfahrer im Straßenverkehr getötet. Diese Daten enthalten jedoch keine Einzelheiten zur Wucht des Aufpralls.

1.3.1

An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass bei dieser Art von Kollisionen die Verletzungen auf zwei Ursachen zurückzuführen sind: auf den „primären“ Aufprall des Fußgängers oder Radfahrers gegen die Frontpartie des Fahrzeugs und den „sekundären“ Aufprall auf der Fahrbahn, auf die sie zumeist geschleudert werden. Es ist in jedem Fall illusorisch, eine Verringerung der Gefahr für den Fußgänger für möglich zu halten, wenn die Geschwindigkeit beim ersten Aufprall mehr als 40 km/h beträgt. Unterhalb dieser Geschwindigkeit — und somit im stockenden Stadtverkehr, wo fast die Hälfte aller Unfälle geschieht — können jedoch die durch diesen primären Aufprall verursachten Verletzungen verringert werden.

1.3.2.

Der jetzige Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 70/156/EWG (2) — d.h. des Rechtsakts zur Regelung und Angleichung der einschlägigen Verfahren und somit der Grundlage für die Erteilung der Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger — geht auf die im Jahr 2001 eingegangenen Selbstverpflichtungen der Dachverbände der europäischen, japanischen und koreanischen Automobilhersteller (ACEA, JAMA und KAMA) zurück, ab 1. Januar 2002 starre Frontschutzbügel (so genannte „rigid bull bars“, normalerweise aus Stahl) weder als Originalausrüstung an Neufahrzeugen anzubringen noch als Nachrüstteile über das eigene Vertriebsnetz anzubieten. Es wird allerdings daran erinnert, dass derartige Vorrichtungen ursprünglich konzipiert wurden, um die Sicherheit von gewerblichen Nutzfahrzeugen (land- und forstwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen usw.) in Umgebungen, wo eine diesbezügliche Gefährdung vorliegt bzw. mit Tierkontakten zu rechnen ist, zu verbessern.

1.4

Mit dem Vorschlag werden drei Ziele verfolgt:

die Vorschriften für die Konstruktion und damit für die Betriebszulassung sowohl von kompletten Fahrzeugen, die mit einem Frontschutzsystem (d.h. Frontschutzbügeln) ausgerüstet sind, als auch des Systems an sich als „selbständige technische Einheit“ sollen vereinheitlicht werden;

es soll der Forderung des Rates vom 26. November 2001 entsprochen werden, starre Frontschutzbügel für alle Neufahrzeuge der Klassen M1 und N1 zu verbieten;

es soll dem Ersuchen des Parlaments vom 13. Juni 2002 an die Kommission entsprochen werden, einen Rechtsakt vorzuschlagen, der auch den Vertrieb von starren Frontschutzbügeln als Nachrüstteile verbietet.

1.5

In der vorgeschlagenen Richtlinie sollen die technischen und baulichen Normen für Frontschutzsysteme (Frontschutzbügel) für Fahrzeuge der Klassen M1 und N1, d.h. PKW und leichte Nutzfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse bis 3,5 t, festgelegt werden; es handelt sich somit um eine der Einzelrichtlinien, die im Rahmen des durch die Richtlinie 70/156/EWG eingeführten Typgenehmigungsverfahrens vorgesehen sind.

1.6

Der Vorschlag steht überdies im Zusammenhang mit der Richtlinie 2003/102/EG vom 17. November 2003 (3) zum Schutz von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern vor und bei Kollisionen mit Kraftfahrzeugen. Er wurde insbesondere deshalb für notwendig erachtet, weil in dieser Richtlinie keine spezifischen Vorschriften betreffend das Frontschutzsystem (d.h. Frontschutzbügel oder „bull bars“, „Kuhfänger“) enthalten sind.

1.7

Zu der obengenannten Richtlinie 2003/102/EG hat sich der Ausschuss bereits in seiner Stellungnahme vom 16. Juli 2003 (4) geäußert. In dieser Stellungnahme hat der Ausschuss die Initiative der Kommission zum Schutz von Fußgängern begrüßt und unterstützt, aber auch darauf hingewiesen, dass sie in den weitergefassten Kontext der Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Straßenverkehrssicherheit eingebunden sein muss; darüber hinaus hat er die Notwendigkeit einer Gesamtpolitik zur Unfallverhütung hervorgehoben.

1.8

Auch zu den anderen Legislativvorschlägen betreffend die Straßenverkehrssicherheit (wie z.B. zu den Haltesystemen und Sicherheitsgurten oder zur Ausweitung des obligatorischen Einbaus von Geschwindigkeitsbegrenzern auf fast alle Fahrzeuge) (5) sowie zum Europäischen Aktionsprogramm für die Straßenverkehrssicherheit hat sich der Ausschuss in jüngster Zeit bereits geäußert und dabei stets betont, dass bei allen drei für die Sicherheit maßgeblichen Faktoren — Fahrzeuge, Infrastrukturen und Verhalten der Verkehrsteilnehmer — gleichzeitig Verbesserungen erzielt werden müssen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der Ausschuss begrüßt diese jüngste Initiative der Kommission, die zur weiteren Vervollständigung des Regelwerks zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit beiträgt und eine Rechtslücke schließt.

2.2

Der Ausschuss erkennt an, dass diese Initiative sinnvoll ist, ist jedoch sehr befremdet darüber, wie die Kommission den hier erörterten Richtlinienvorschlag angelegt hat.

2.2.1

Angesichts der anerkannten Gefährlichkeit starrer Frontschutzbügel und der daraus resultierenden Notwendigkeit, die Autobauer dazu zu verpflichten, derartige Vorrichtungen weder herzustellen noch zu vertreiben, wählt die Kommission eine technische, über die Typgenehmigung greifende Lösung. Sie definiert nicht, was unter starr bzw. nicht-starr zu verstehen ist, sondern schreibt technische/zulassungsrelevante Merkmale vor, durch deren Einhaltung dann per se das sichere, d.h. nicht-starre, Frontschutzsystem definiert ist.

2.2.2

Der Vorschlag in seiner derzeitigen Fassung führt zu unvorhersehbaren und wahrscheinlich auch unlösbaren Problemen für die Hersteller, da die bull bars andere Prüfungsanforderungen erfüllen müssen als denjenigen, die bereits für das Fahrzeug selbst in der ersten Phase der Umsetzung der Richtlinie 2003/102/EG vorgeschrieben sind.

2.3

Die bislang zum Thema Fußgängerschutz geleistete Arbeit sollte nicht unberücksichtigt bleiben. Diese Arbeit hat — zunächst mit der Vereinbarung, die mit den Verbänden der Automobilhersteller ausgehandelt wurde, und dann mit der vorgenannten Richtlinie 2003/102/EG — dazu beigetragen, einige Eckwerte festzulegen, die den „Stand der Technik“ in diesem Bereich darstellen und auf die sich der hier behandelte Vorschlag daher logischerweise stützen sollte.

2.3.1

In der Richtlinie 2003/102/EG (Anhang I Nummer 1) wurden diejenigen Prüfungen (Aufprallprüfungen) für die „Frontpartie“ (die auch die Frontschutzbügel einschließt) festgelegt, die Fahrzeuge bestehen müssen, um die Typgenehmigung zu erhalten. In dem jetzigen Vorschlag kündigt die Kommission jedoch (in Artikel 4) spezielle Prüfbestimmungen für die bull bars an, die nicht mit den Bestimmungen für die erste Phase der Umsetzung der vorgenannten Richtlinie neueren Datums übereinstimmen. Für den Ausschuss ist die Notwendigkeit dieser Änderung aus folgenden Gründen nicht nachvollziehbar:

die bull bars sind im Hinblick auf die Sicherheit der Fußgänger genau so zu behandeln wie andere Teile der Frontpartie von Fahrzeugen (Stoßfänger, Motorhaube, Scheinwerfer usw.);

um sicherzustellen, dass alle bull bars auch tatsächlich für die Fahrzeuge getestet werden, an denen sie anschließend angebracht werden (bzw. in die sie im Einklang mit der Montageanleitung integriert oder nachträglich eingebaut werden), müssen die bull bars bei der Durchführung der Prüfungen am betreffenden Fahrzeug oder einem entsprechenden Simulator angebracht sein. Die Sicherheit eines Frontschutzbügels hängt sehr stark von der Art der Anbringung und dem Abstand zwischen dem Bügel und der Karosserie ab;

infolge dessen ist es notwendig, die Aufprallprüfungen für die gesamte Frontpartie des Fahrzeugs, die bereits in Kraft sind, entsprechend anzupassen, da ansonsten der Schluss zu ziehen wäre, dass die Kommission eine gerade erst verabschiedete Richtlinie nicht befolgt.

2.4

Der Ausschuss vertritt daher die Auffassung, dass die Bestimmungen des hier erörterten Vorschlags mit den im Folgenden näher behandelten Bestimmungen der Richtlinie 2003/102/EG in Einklang gebracht werden müssen.

2.5

Geschieht das nicht, dürfte sich die Befürchtung als begründet erweisen, dass die derzeitigen Hersteller von bull bars ihre Tätigkeit einstellen müssen, da sie nicht in der Lage sind, von heute auf morgen technische Einheiten zu entwickeln, die die im derzeitigen Vorschlag vorgesehenen verbindlichen Prüfungen bestehen können.

3.   Besondere Bemerkungen

In Übereinstimmung mit dem oben Gesagten ersucht der Ausschuss die Kommission:

3.1

darüber zu wachen, dass in den Mitgliedstaaten unter allen Umständen sichergestellt wird, dass die Frontschutzbügel auch wirklich an denjenigen Fahrzeugen angebracht werden, für die sie zugelassen wurden, um potenzielle Gefahrenquellen nach Möglichkeit auszuschließen.

3.2

in Artikel 3 Absatz 3 des Vorschlags den 1. Juli 2005 durch den 1. Oktober 2005 zu ersetzen. Wie bereits ausgeführt empfiehlt sich eine strikte wechselseitige Abstimmung mit der Richtlinie 2003/102/EG.

3.3

Artikel 4 Absatz 1 und Anhang I Nummer 3 (Prüfvorschriften) des Vorschlags zu ändern. Nach Auffassung des Ausschusses ist es weder notwendig noch zweckmäßig, detaillierte technische Bestimmungen und Fristen festzulegen, die nicht mit denjenigen übereinstimmen, die für die erste Phase der Umsetzung der Richtlinie 2003/102/EG vorgesehen sind. Es ist nicht richtig, dass eine andere Prüfordnung vorgesehen wird, sobald nicht der Frontschutzbügel selbst, sondern die Frontpartie des Fahrzeugs (in die dieser Frontschutzbügel oder irgendwelche sonstigen Bauteile integriert sind) der Prüfung unterzogen werden soll. So wird das Bestehen der „Prüfung mit dem Oberteil des Beinform-Schlagkörpers“, die nach der Richtlinie 2003/102/EG lediglich zur Überwachung und zur Sammlung von Daten durchgeführt wird, in der jetzt vorgeschlagenen Richtlinie für die Erteilung der Typgenehmigung zwingend vorgeschrieben.

4.   Schlussfolgerungen

4.1

Der Ausschuss hofft, dass die vorgeschlagene Richtlinie möglichst rasch verabschiedet wird und dabei seine Änderungsvorschläge berücksichtigt werden, durch die sie mit dem bereits durch die Richtlinie über den Schutz von Fußgängern vorgesehenen und eingeführten Konzept zur Verbesserung des Frontschutzsystems von Fahrzeugen in Einklang gebracht wird.

4.2

Sollten diese Änderungen nicht berücksichtigt werden, steht nach Ansicht des Ausschusses zu befürchten, dass letztendlich „prohibitive“ Rechtsvorschriften geschaffen würden, die zur Einstellung der Produktion von bull bars und möglicherweise sogar zum Entstehen eines schwer kontrollierbaren Marktes führen könnte.

4.3

Der Ausschuss erwartet von der Kommission grundsätzlich eine Strategie, bei der die Prioritäten für Regelungsmaßnahmen klar festgelegt und Widersprüche hinsichtlich der zu erreichenden Ziele vermieden werden. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass die Festlegung der verschiedenen Optionen stets auf der Grundlage einer „Gesamtfolgenabschätzung“ für die neuen Rechtsvorschriften erfolgen sollte, damit u.a. auch die den Herstellern entstehenden Kosten und somit die Auswirkungen auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gebührend berücksichtigt werden können.

4.4

Der Ausschuss weist überdies auf die Notwendigkeit der Neuordnung des komplexen Regelwerks für Kraftfahrzeuge hin, das allein für die Typgenehmigung von PKW gut und gerne 170 Richtlinien umfasst und in den Amtsblättern rund 3.500 Seiten einnimmt.

4.5

Der Ausschuss unterstreicht außerdem, dass sämtliche Lösungsansätze zur Verbesserung der Sicherheit mit Hilfe einer umfassenden Konsultation der Wirtschaft und aller interessierten Parteien sorgfältig aus technischer Sicht bewertet werden müssen, damit die letztendlich gewählten Lösungen nicht nur die fortschrittlichsten und zuverlässigsten, sondern auch die wirksamsten und wirtschaftlichsten sind.

4.6

Wie in Ziffer 1.8 ausgeführt dringt der Ausschuss darauf, dass zwecks Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit auch der Verkehrserziehung und Sensibilisierung von Fußgängern und Radfahrern zunehmend Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.

Brüssel, den 31. März 2004

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger BRIESCH


(1)  Community Road Accident Database: In dieser Datenbank werden die von den Mitgliedstaaten übermittelten Daten über Verkehrsunfälle erfasst und aufbereitet.

(2)  ABl. L 42 vom 23.2.1970, S. 1.

(3)  ABl. L 321 vom 6.12.2003.

(4)  Berichterstatter: Herr LEVAUX, ABl. C 234 vom 30.9.2003.

(5)  ABl. C 80 vom 30.3.2004.