30.4.2004 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 108/86 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden (‚Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz‘)“
(KOM(2003) 443 endg. — 2003/0162 (COD))
(2004/C 108/18)
Der Rat beschloss am 1. August 2003, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen.
Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 16. Dezember 2003 an. Berichterstatter war Herr HERNÁNDEZ BATALLER.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 405. Plenartagung am 28./29. Januar 2004 (Sitzung vom 29. Januar) mit 68 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Einleitung
1.1 |
Im Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union (1) wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, einen Rechtsrahmen für die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen staatlichen Behörden zu schaffen. |
1.2 |
In der Mitteilung über Folgemaßnahmen zum Grünbuch (2) verpflichtete sich die Kommission, einen Vorschlag für ein Rechtsinstrument dieser Art zu unterbreiten. |
1.3 |
In der kürzlich vorgelegten Binnenmarktstrategie 2003-2006 (3) wurde darauf verwiesen, dass eine wirkungsvollere Durchsetzung erforderlich sei, um das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt zu gewährleisten; ein entsprechender Vorschlag sei daher vordringlich. |
1.4 |
Jeder Mitgliedstaat hat entsprechend seiner innerstaatlichen gesetzlichen und institutionellen Ordnung ein Durchsetzungssystem eingerichtet. Diese Systeme, die geschaffen wurden, um rein innerstaatlichen Verstößen entgegentreten zu können; sind jedoch für die Herausforderungen des Binnenmarkts nicht vollkommen adäquat. Die einzelstaatlichen Behörden sind nicht befugt, außerhalb ihres Hoheitsbereichs gegen Verstöße vorzugehen. |
1.5 |
Die Folge ist ein System zur Durchsetzung der Binnenmarktvorschriften, das den Anforderungen des Binnenmarkts nicht hinreichend gerecht wird und derzeit nicht in der Lage ist, insbesondere der Problematik eines Missbrauchs des Internet durch unlautere Geschäftspraktiken der Gewerbetreibenden zu begegnen. |
1.6 |
Die Kommission hält eine kohärente, wirksame Durchsetzung der verschiedenen nationalen Vorschriften im Bereich des Verbraucherschutzes für unerlässlich, um ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes sicherzustellen, Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und den Schutz der Verbraucher zu gewährleisten. |
2. Der Vorschlag für eine Verordnung
2.1 |
Übergeordnetes Ziel der Verordnung ist es, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten und die am Binnenmarkt teilnehmenden Verbraucher wirksam zu schützen. |
2.1.1 |
Hierfür sind in der vorgeschlagenen Verordnung zwei Handlungsbereiche vorgesehen:
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2.2 |
Diese Zielsetzungen und ins Auge gefassten Maßnahmen bestimmen die Wahl der Rechtsgrundlage und der Rechtsinstrumente. Die Kommission hat sich für Artikel 95 als Rechtsgrundlage entschieden. |
2.3 |
Der Anwendungsbereich der Verordnung beschränkt sich auf innergemeinschaftliche Verstöße gegen EU-Rechtsvorschriften zum Schutz der Verbraucherinteressen. Der Anwendungsbereich der Verordnung wird sich erweitern, wenn die vorgeschlagene Rahmenrichtlinie zum Verbot unlauterer Geschäftspraktiken in Kraft tritt. |
2.4 |
Die wichtigste Funktion im Rahmen der vorgeschlagenen Verordnung haben die zuständigen Behörden, deren Bestimmung den Mitgliedstaaten obliegt. Der Vorschlag sieht außerdem vor, dass jeder Mitgliedstaat eine zentrale Verbindungsstelle benennt, die eine gute Koordination zwischen den in den einzelnen Mitgliedstaaten beauftragten zuständigen Behörden sicherstellt. |
2.4.1 |
Zuständige Behörden sind definiert als öffentliche Behörden mit speziellen Verantwortlichkeiten in der Durchsetzung des Verbraucherschutzes. Im Vorschlag ist vorgegeben, dass als zuständige Behörden nur Behörden eingesetzt werden können, die über ein Mindestmaß an gemeinsamen Ermittlungs- und Durchsetzungsbefugnissen verfügen. |
2.4.2 |
Der Vorschlag ändert oder beschneidet in keiner Weise die Rolle der Verbraucherverbände bei der Durchsetzung der Rechtsvorschriften, insbesondere was die Erhebung grenzüberschreitender Unterlassungsklagen anbelangt. |
2.4.3 |
Das mit der vorgeschlagenen Verordnung eingerichtete Netz zuständiger Behörden und der damit verbundene Rahmen für die gegenseitige Amtshilfe ergänzt lediglich diejenigen Einrichtungen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten bereits bestehen oder die auf Gemeinschaftsebene für einen bestimmten Sektor bestehen. Das vorgeschlagene Netz ist als Durchsetzungslösung gedacht, mit der vorrangig gegen die schwerwiegendsten Fälle grenzüberschreitender unlauterer Geschäftspraktiken vorgegangen werden kann, vor allem wenn dabei die Freizügigkeit auf dem Binnenmarkt ausgenutzt wird, um Verbraucher zu schädigen. Die Bestimmung der zuständigen Behörden obliegt entsprechend den Regelungen der nationalen Verfassungen für die Durchsetzung des Verbraucherschutzes den Mitgliedstaaten. Diejenigen Mitgliedstaaten, die gegenwärtig nicht über entsprechende Behörden verfügen, müssen nicht notwendigerweise neue einrichten, denn die im Verordnungsvorschlag vorgesehenen begrenzten Verantwortlichkeiten können bereits bestehenden Behörden übertragen werden. |
2.5 |
Die Wirksamkeit des im Vorschlag vorgesehenen Durchsetzungsnetzes ist abhängig von den Rechten und Pflichten im Rahmen der gegenseitigen Amtshilfe. |
2.5.1 |
Grundlegendes Merkmal der gegenseitigen Amtshilfe ist der freie und vertrauliche Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden. Mit dem Vorschlag wird ein System für den Austausch auf Ersuchen und — genauso wichtig — für den spontanen Informationsaustausch geschaffen. |
2.5.2 |
Bestätigt die ausgetauschte Information, dass ein innergemeinschaftlicher Verstoß vorliegt, muss laut Vorschlag die zuständige Behörde sofort eingreifen, um den Verstoß unverzüglich zu unterbinden. |
2.5.3 |
Es gilt der Grundsatz, dass die zuständigen Behörden gegen ihrer Aufsicht unterstehende Gewerbetreibende vorgehen können, unabhängig davon, wo der Verbraucher ansässig ist. |
2.5.4 |
Darüber hinaus wird die Möglichkeit in Betracht gezogen, im Rahmen bilateraler Vereinbarungen Informationen mit zuständigen Behörden von Drittländern auszutauschen. |
2.6 |
Die Rolle der Gemeinschaft beschränkt sich auf unterstützende Maßnahmen, die den generellen Standard der Durchsetzung anheben und die Möglichkeiten der Verbraucher, ihre Rechte durchzusetzen, verbessern. Sie fördert dabei den Austausch bewährter Vorgehensweisen (Best Practice) und die Koordination der nationalen Maßnahmen mit dem Ziel, Doppelarbeit und Ressourcenverschwendung zu vermeiden. |
2.7 |
Die Verordnung sieht die Übermittlung von Statistiken über Verbraucherbeschwerden, die Schaffung regelmäßig aktualisierter Datenbanken, die von den Behörden abgefragt werden können, sowie die Durchsetzungskoordinierung und die administrative Zusammenarbeit vor. |
2.8 |
Außerdem ist die Einsetzung eines beratenden Ausschusses vorgesehen, der die Kommission dabei unterstützen soll, die für die Durchführung der Verordnung erforderlichen Verfahren umzusetzen. Diesem Ausschuss sollen auch Vertreter der zuständigen Behörden angehören. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet die Zielsetzungen des Kommissionsvorschlags. In diesem Sinne hat er die Kommission in früheren Stellungnahmen (4) ersucht, ihren Zusagen gemäß als ersten Schritt zur Verbesserung des grenzüberschreitenden Verbraucherschutzes der effizienten Anwendung bestehender Bestimmungen sowie der Zusammenarbeit zwischen den damit beauftragten Behörden Vorrang einzuräumen. Allerdings wird in dem Vorschlag die Erhebung von Zivilklagen zur Rechtsdurchsetzung nicht ausgeschlossen. |
3.2 |
Im Vorschlag selbst wird als Rechtsgrundlage Artikel 95 EGV genannt. Dieser Artikel beschränkt sich jedoch darauf, Bestimmungen in Bezug auf die Harmonisierung der Rechtsvorschriften festzulegen, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. In Anbetracht des mit dem Vorschlag der Kommission verfolgten Ziels, insbesondere der Schaffung eines wirksamen Systems für die Verbesserung des Schutzes der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher, bedauert der EWSA, dass der Vorschlag nicht auf Artikel 153 als Rechtsgrundlage gestützt wird, und ersucht die Kommission, eine stärkere Inanspruchnahme dieses Artikels ins Auge zu fassen. |
3.2.1 |
Der Ausschuss pflichtet der Kommission bei, dass mindestens eine zuständige Behörde pro Mitgliedstaat geschaffen werden und diese Behörde öffentlich sein muss, denn:
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3.2.2 |
Nach dem Dafürhalten des EWSA sollte die Kommission eine aktivere Rolle spielen und an den Koordinierungssitzungen teilnehmen. |
3.2.3 |
Da der Vorschlag keinerlei besondere Maßnahme zur Beilegung etwaiger Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die vorgesehene Amtshilfe enthält, müsste die Kommission eine Vermittlerrolle übernehmen und entsprechende verwaltungstechnische Lösungen anbieten, die den Mitgliedstaaten die Amtshilfe erleichtern. Dies ist umso mehr von Bedeutung, als der Vorschlag in dem neuen Kontext der Erweiterung umgesetzt werden wird, in deren Zuge vermutlich Artikel 10 des EG-Vertrags schwieriger zu erfüllen sein wird, da es sich größtenteils um Verwaltungskulturen handelt, die mit solchen Praktiken recht gut vertraut sind. |
3.2.4 |
Der Vorschlag ist nicht klar genug hinsichtlich der Bedingungen für die Vergütung von Kosten oder Verlusten, die als Ergebnis von Maßnahmen angefallen sind, die von einem Gericht in Bezug auf den Inhalt eines innergemeinschaftlichen Verstoßes als „unbegründet“ angesehen wurden. Es müsste klargestellt werden, dass diese gerichtlichen Feststellungen rechtskräftig sind und gegen sie keine Rechtsmittel eingelegt werden können. Was geschieht, wenn der ersuchte Mitgliedstaat die Einlegung von Rechtsmitteln als unzulässig erachtet und der ersuchende Mitgliedstaat der gegenteiligen Ansicht ist? Offensichtlich sieht der Vorschlag diese Situation, die in der Praxis durchaus vorkommen kann, nicht vor. |
3.2.5 |
Ein Amtshilfeersuchen darf abgelehnt werden, falls es von der ersuchten Behörde einen administrativen Aufwand verlangt, der zu den Auswirkungen des innergemeinschaftlichen Verstoßes, gemessen an der potenziellen Schädigung der Verbraucher, in einem Missverhältnis steht. Dahinter steht offenbar der Gedanke, dass es eine Kategorie der „geringfügigen“ Verstöße gegen Verbraucherschutzvorschriften gibt, die sanktionslos in anderen Mitgliedstaaten begangen werden können. Der EWSA bedauert, dass Nichtahndungen in Kauf genommen werden, da Verbraucherbeschwerden, abgesehen von Ausnahmefällen, meistens nicht von hohem Streitwert sind. |
3.2.6 |
Der Vorschlag sieht die Möglichkeit der Amtshilfeverweigerung vor, wenn das Ersuchen unzureichend begründet ist. Diese Lösung ist übermäßig formalistisch. In diesen Fällen sollte vor einer endgültigen Ablehnung die Möglichkeit einer Frist für die Berichtigung des Ersuchens erwogen werden. |
3.2.7 |
Genauso wenig wird die Möglichkeit vorgesehen, dass ein Mitgliedstaat, der die Amtshilfeverweigerung eines anderen Mitgliedstaats als unbegründet erachtet, Rechtsmittel einlegt. |
3.3 |
Datenbanken mit Statistiken über Verbraucherbeschwerden sollten aus Gründen der Transparenz und vorbehaltlich der Löschung vertraulicher Daten der Öffentlichkeit zugänglich sein, insbesondere den repräsentativsten Unternehmensverbänden und den zur Einreichung grenzüberschreitender Unterlassungsklagen berechtigten Verbraucherverbänden (5) sowie Hochschulen und Forschungszentren. |
3.4 |
Der EWSA hält eine Koordinierung der Maßnahmen zur Durchsetzung der vorgesehenen Rechtsvorschriften für wichtig. Jedoch sollten beim Austausch von Beamten diese zuerst in der Rechtsordnung des „Zielstaates“ geschult werden, um nach Möglichkeit Haftungsprobleme zu vermeiden. |
3.5 |
Laut Vorschlag gilt die administrative Zusammenarbeit für die Kommission und die Mitgliedstaaten. Die wichtige Rolle, die die Organisationen der Zivilgesellschaft bei diesen Aufgaben spielen können, vor allen Dingen die Unternehmens- und Verbraucherverbände, wird nicht berücksichtigt. |
3.6 |
Der in dem Vorschlag vorgesehene Ständige Ausschuss soll die Praxistauglichkeit der Bestimmungen für die Zusammenarbeit prüfen und bewerten. Jedoch werden ihm keinerlei Befugnisse im Bereich der Amtshilfe verliehen. |
3.7 |
Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, der Kommission nach dem Inkrafttreten der Verordnung alle zwei Jahre über deren Durchführung Bericht zu erstatten. Allerdings bedauert der EWSA, dass keine Verpflichtung seitens der Kommission besteht, regelmäßig auf der Grundlage von Angaben aus allen Mitgliedstaaten einen Bericht über die Durchführung der Verordnung auf Gemeinschaftsebene vorzulegen. Ein solcher Bericht sollte an das Europäische Parlament und den EWSA gerichtet werden. |
3.8 |
Im Rahmen der Begriffsbestimmungen der Verordnung erscheint in Artikel 3 Buchstabe a) der restriktive Verweis auf die in Anhang I verzeichneten Richtlinien nicht richtig. Der Verweis in Buchstabe a) sollte beispielhaften Charakter haben und wie folgt lauten: „Insbesondere in Anhang I verzeichnete Richtlinien (...)“. Eine andere, wenngleich weniger günstige Möglichkeit wäre, zumindest folgende bisher nicht genannte Richtlinien in das Verzeichnis in Anhang I aufzunehmen:
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3.9 |
Es erscheint nicht gerechtfertigt, dass die Verstöße gegen die Verbraucherinteressen in mindestens drei Mitgliedstaaten nachgewiesen werden müssen, bevor diese ihre Maßnahmen koordinieren. Artikel 9 Absatz 2 sollte deshalb wie folgt umformuliert werden: „(...) in mindestens zwei Mitgliedstaaten (...)“ oder „in zwei oder mehr Mitgliedstaaten“. |
3.10 |
Da in Artikel 6, 7, 8, 9, 10, 14, 15, 16 und 17 auf Artikel 19 Absatz 2 Bezug genommen wird, sollte in eben diesem Absatz das zu wählende Verfahren konkret benannt werden. Darin sollte mithin nicht nur auf Artikel 3 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG verwiesen werden, der auf diese Weise in innerstaatliches Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt würde. Im Übrigen erscheinen die in diesem Beschluss festgelegten Verfahren zu bürokratisch, als dass sie im Rahmen der Verordnung umgesetzt werden könnten, welche deshalb eigene und schnellere Durchführungsmechanismen vorsehen sollte. |
Brüssel, den 29. Januar 2004
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Roger BRIESCH
(1) KOM(2001) 531 endg.
(2) KOM(2002) 289 endg.
(3) KOM(2003) 238 endg.
(4) Stellungnahme zu dem „Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union“. ABl. C 125 vom 27.5.2002, und Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Verbraucherpolitische Strategie 2002-2006“. ABl. C 95 vom 23.4.2003.
(5) Artikel 3 der Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen. ABl. L 166 vom 11.6.1998.