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Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Der industrielle Wandel: Bilanz und Aussichten — Eine Gesamtbetrachtung"

Amtsblatt Nr. C 010 vom 14/01/2004 S. 0105 - 0113


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Der industrielle Wandel: Bilanz und Aussichten - Eine Gesamtbetrachtung"

(2004/C 10/21)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 22. und 23. Januar 2003, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu dem vorgenannten Thema zu erarbeiten.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 1. September 2003 an. Berichterstatter war Herr Van Iersel, Mitberichterstatter Herr Varea Nieto.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 402. Plenartagung am 24. und 25. September (Sitzung vom 25. September) mit 53 Stimmen gegen 1 Stimme folgende Stellungnahme.

1. Einleitung und Ziele

1.1. Als sich das Auslaufdatum des EGKS-Vertrags näherte, forderten die Mitgliedstaaten die Europäische Kommission auf, ihre Vorstellungen über die Zukunft des strukturierten Dialogs darzulegen(1). Es wurde vorgeschlagen, innerhalb des EWSA ein Gremium einzurichten(2), dessen Zuständigkeitsbereich nicht nur auf den Kohle- und Stahlsektor begrenzt sein, sondern alle Aspekte im Zusammenhang mit dem industriellen Wandel abdecken sollte, vor allem mit Blick auf die Erweiterung(3).

Die Beratende Kommission für den industriellen Wandel wurde durch einen Beschluss des EWSA-Plenums vom 24. Oktober 2002 eingesetzt. In diesem Beschluss wird die Bereicherung und der zusätzliche Nutzen hervorgehoben, den die CCMI dem EWSA bringen kann. Die CCMI besteht aus 24 Mitgliedern des EWSA und 30 externen Delegierten. Die ersten Delegierten sind ehemalige Mitglieder des Beratenden EGKS-Ausschusses, in Zukunft kann die Mitgliedschaft auf andere Sektoren ausgeweitet werden.

1.2. Die Schaffung der Beratenden Kommission für den industriellen Wandel eröffnet neue Horizonte. Die Fragen des industriellen Wandels können in Zukunft in ihrer ganzen Komplexität sowohl aus wirtschaftlicher und sozialer Sicht als auch unter den Aspekten des Umweltschutzes oder der nachhaltigen Entwicklung geprüft werden, mit besonderem Schwerpunkt auf den Problemen, die sich den künftigen Mitgliedstaaten stellen.

1.3. Der ehemalige Beratende EGKS-Ausschuss leistete wertvolle Arbeit für die betroffenen Sektoren. Er stellt in der Geschichte der europäischen Integration ein echtes Musterbeispiel für die Konsultation zwischen den Sozialpartnern und der öffentlichen Hand sowie für die gemeinsame Verantwortung für die Entwicklung in diesen Sektoren und damit für eine besondere Form der Industriepolitik dar. Nachstehend sind einige wesentliche Ergebnisse dieser andauernden Konsultation aufgelistet:

- Langjährige Analyse der Märkte und Marktbedingungen durch die Gemeinschaft, die zu Umstrukturierungen führt,

- Programme für Regionen, die von unvermeidlichen Umstrukturierungen besonders hart getroffen sind,

- FuE-Programme der Gemeinschaft (Finanzierung derzeit teilweise über die Tilgung von Darlehen an Unternehmen sowie für Arbeiterwohnungen),

- Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogramme der Gemeinschaft,

- (Finanzierungs-)Programme für die Umstrukturierung des Kohle- und Stahlsektors,

- eine große Zahl von Stellungnahmen zu verschiedenen Themen, insbesondere zur Handelspolitik und zur Disziplin der öffentlichen Hand bei den staatlichen Beihilfen in diesen Sektoren,

- weitere Leistungen (gemischte Ausschüsse für die Harmonisierung von Arbeitsbedingungen, die später zur Einrichtung eines Ausschusses für den sozialen Dialog im Kohlesektor führten und künftig möglicherweise auch im Stahlsektor führen werden),

- die Einführung sozialer Programme (Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes und Frührenten).

Insgesamt haben diese Maßnahmen eine sehr wettbewerbsfähige Stahlindustrie geschaffen und zu einem gewinnbringenden Export von europäischer Bergbautechnologie und Know-how geführt.

1.4. Flankierende Maßnahmen bei der Umstellung und der territorialen Entwicklung wurden für die am stärksten getroffenen Regionen ebenfalls für notwendig erachtet. Die Finanzierungsprogramme für die Umstrukturierung wurden über Strukturfonds im Rahmen spezifischer Programme für betroffene Regionen finanziert: RECHAR I (1990-1993), RECHAR II (1994-1999), RESIDER I (1988-1993) und RESIDER II (1994-1999). Diese Programme sorgten für soziale Maßnahmen und waren insbesondere auf die Verbesserung der lokalen und regionalen Infrastruktur ausgerichtet, was den Zugang für neue Unternehmen erleichterte und durch die Kohle- und Stahlindustrie verschmutzte Gebiete wieder sauberer machte.

1.5. Nach Auslaufen des EGKS-Vertrags fiel die besondere Form der Konsultation durch den Beratenden EGKS-Ausschuss weg und wurde durch die CCMI ersetzt. Die Erfahrungen der Vergangenheit sind noch immer wertvoll, doch haben sich die Umstände des industriellen Wandels geändert. Die Konsultationsmechanismen müssen im Licht der Lissabon-Strategie abgestimmt werden, um neben der Wettbewerbsfähigkeit auch nachhaltige Entwicklung sowie sozialen und territorialen Zusammenhalt im Blick zu haben. Neben allgemeinen industriepolitischen Zielen werden diese Aspekte auch einen sektoralen Ansatz erfordern.

1.6. Ziel dieser Stellungnahme ist es, die Rolle der CCMI bei der Förderung eines direkten Dialogs mit allen vom industriellen Wandel betroffenen Interessengruppen herauszustellen, in dem die Erfahrungen aus der Umstrukturierung des Kohle- und Stahlsektors und anderer Sektoren nutzbar gemacht werden. Die vorliegende Stellungnahme ist die erste in einer Reihe von Stellungnahmen.

1.7. Die CCMI sollte sich nach Auffassung des EWSA in ihrer künftigen Arbeit mit folgenden Themen beschäftigen:

- Untersuchung des industriellen Wandels und seiner Ursachen aus wirtschaftlicher, sozialer, territorialer und ökologischer Sicht sowie Bewertung der Auswirkungen des industriellen Wandels auf Sektoren, Unternehmen, Erwerbsbevölkerung, Gebiete und Umwelt.

- Suche nach gemeinsamen Ansätzen, um den industriellen Wandel vorwegzunehmen und zu bewältigen, sowie nach Wegen, wie die EU und die Mitgliedstaten die Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität von Unternehmen durch den sozialen Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten stärken können.

- Suche nach gemeinsamen Ansätzen für die Förderung der nachhaltigen Entwicklung und die Verbesserung des sozialen und territorialen Zusammenhalts, um der Lissabon-Strategie neuen Schwung zu verleihen und den Rahmen und die Bedingungen dafür zu stärken, dass der industrielle Wandel sich so vollzieht, dass er sowohl mit dem Erfordernis der Wettbewerbsfähigkeit für die Unternehmen als auch mit dem wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt vereinbar ist.

- Förderung der Koordinierung und Kohärenz der Gemeinschaftsaktionen im Zusammenhang mit dem industriellen Wandel vor dem Hintergrund der Erweiterung; in den Bereichen Forschung, Wirtschaft, Wettbewerb, Soziales, Regionales, Umwelt, Verkehr usw.

2. Der industrielle Wandel und sein Motor

2.1. Arbeitskonzept

2.1.1. Die Veränderungen im europäischen Industriesektor wurden häufig unter dem Aspekt der Umstrukturierung betrachtet und behandelt. Tatsächlich handelt es sich jedoch um ein sehr viel dynamischeres Konzept, das einerseits den ständigen Entwicklungsprozess der Unternehmen (Gründung, Entwicklung, Diversifizierung, Wandlung) umfasst, während die Unternehmen andererseits eng mit dem politischen und sozialen Umfeld in Europa verbunden sind und sich in diesem entwickeln, was sich wiederum auf den Prozess des industriellen Wandels auswirkt.

Der industrielle Wandel vollzieht sich hauptsächlich auf zwei Arten: durch allmähliche Anpassung und durch radikale Veränderungen. Es lässt sich eine weitere Unterscheidung treffen: Wandel als Reaktion auf Grund der Umstände und proaktiver Wandel, wenn Änderungen weder zwingend noch offensichtlich notwendig sind, sondern beschlossen werden(4).

Angesichts der aktuellen Lage ist es erforderlich, den Wandel proaktiv anzugehen, d. h. die wirtschaftlichen, sozialen, strukturellen und ökologischen Auswirkungen des industriellen Wandels besser vorherzusehen und zu bewältigen.

2.1.2. Umstrukturierungen gehören als beständige Erscheinung zum Industriezeitalter. Seit den siebziger Jahren sind sie in Sektoren wie der Stahlindustrie, dem Bergbau, der Textilindustrie oder den Werften besonders umfassend. Bis vor kurzem wurden die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen mit spezifischen Maßnahmen aufgefangen.

2.1.3. Heute unterliegen die Unternehmen einem raschen Wandel: Neben den sich immer weiter öffnenden Märkten entstehen neue; es stehen hoch entwickelte Kommunikations- und Transportmittel sowie fortschrittliche Technologien und ihre Anwendungen zur Verfügung; der Wettbewerb wird immer härter, die Aktionäre sind anspruchsvoll und die Unternehmenspositionen ständig umkämpft. Deshalb bedienen sich die Unternehmen neben den Mechanismen zur allmählichen Entwicklung der personellen, finanziellen und technologischen Strukturen heute anderer, rascherer Anpassungsformen. Die Umstrukturierungen sind radikaler, komplexer sowie zeitlich und räumlich weiter reichend, insbesondere durch die Zulieferung. Sie betreffen alle Industrie- und Dienstleistungssektoren, verschiedene Arbeitnehmergruppen und die Regionen.

2.1.4. Der aktuelle Gebrauch des Begriffs "industrieller Wandel" spiegelt diese veränderte Natur der Unternehmensanpassungen(5) wider und umfasst "alle Änderungen, die sich auf die Unternehmen, ihre Strukturen, ihre Arbeitsplätze und ihre Kompetenzen sowie ihre Standorte auswirken". Die Änderungen betreffen auch das Unternehmensumfeld.

2.2. Der Hintergrund des industriellen Wandels

Der industrielle Wandel wird durch eine Reihe von Faktoren vorangetrieben. Einige der besonders einflussreichen Faktoren werden im Folgenden behandelt.

2.2.1. Globalisierung

2.2.1.1. Trotz der derzeitigen Konjunkturabschwächung vollzieht sich der industrielle Wandel in einer Welt, deren Märkte weiterhin zunehmend internationalisiert werden (WTO). Es besteht eine eindeutige Wechselwirkung zwischen dem Welthandel und dem industriellen Wandel.

2.2.1.2. Die großen Regionen der Welt machen alle die gleiche Entwicklung durch, doch sind ihre wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in unterschiedlichem Maße in der Lage, sich diesem Prozess anzupassen. Die europäische Industrie steht in einem globalen Produktivitätswettbewerb. Sie muss gegen die [manchmal unfaire(6)] wirtschaftliche und technologische Konkurrenz aus den USA, die schnelle Entwicklung in Asien, insbesondere im Hochtechnologiesektor, und auch in Südamerika bestehen. Zudem muss sie unlautere Wettbewerbspraktiken überwinden, die nicht immer den Bestimmungen der WTO entsprechen.

2.2.1.3. Gleichzeitig kommt es zur Verlagerung von Investitionen und Aktivitäten in kostengünstige Länder (Arbeitskräfte, Energie usw.) mit direktem Marktzugang sowie hohem Bildungs- und Technologieniveau. Häufig sind die Vorschriften im Umweltschutz, im Steuerwesen und in anderen Bereichen dort weniger streng. Diese Verlagerung in Drittstaaten wirkt sich in bestimmten Fällen negativ auf die Beschäftigungslage in der Gemeinschaft aus und kann bestimmte europäische Regionen stark in Mitleidenschaft ziehen.

Diese Tendenz geht grundsätzlich mit der Entwicklung von High-Tech-Verfahren in Ländern mit hohen Lohnkosten einher, was sich auf die Entwicklung neuer Tätigkeitsfelder und die Personalqualifikation positiv auswirken kann.

2.2.1.4. Aufgrund des zunehmenden Wissens und der technischen Innovation sowie der Liberalisierung der Kapitalmärkte sind weltweite Investitionen nicht länger großen oder multinationalen Unternehmen vorbehalten. Viele mittlere und sogar kleine Unternehmen, vor allem Unternehmen mit einem hohen technologischen Mehrwert, sind immer weniger an einen bestimmten Standort oder Staat gebunden. Ausgliederung und der Aufbau von Netzwerken tragen zu einer weiteren globalen Diversifizierung von Investitionen sowie zu internationaler Interaktion und wechselseitiger Abhängigkeit bei.

2.2.2. Der europäische Binnenmarkt, Rechtsvorschriften und Umsetzung

2.2.2.1. In Europa steht die Schaffung eines Binnenmarkts im Zentrum der europäischen Integration und führt als Bestandteil des Globalisierungsprozesses zu einer starken Integration der europäischen Volkswirtschaften und Unternehmen.

Die wirtschaftliche Integration findet ihren Ausdruck nicht nur im Handel, sondern auch in der Entwicklung der teilweise gemeinschaftsweiten Zusammenschlüsse bzw. Übernahmen(7). Langfristig ist diese Tendenz eindeutig steigend.

2.2.2.2. Die späten 1990er Jahre waren von einem starken Wirtschaftswachstum geprägt. Die Kombination aus Wirtschaftswachstum und WWU förderte die europäischen Unternehmen, doch waren die wirtschaftliche und soziale Dynamik und die Wissensentwicklung in Europa verbesserungsbedürftig. Daher beschloss der Europäische Rat im März 2000 in Lissabon ein neues strategisches Ziel, nämlich die Union bis 2010 "zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen". Zur Erreichung dieses Ziels wurde eine globale Strategie festgelegt, die es ermöglicht die Veränderungen, denen die europäischen Volkswirtschaften unterliegen, vorwegzunehmen und zu bewältigen. Ziel ist es, der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum zu werden, eingebettet in einen stabilen makroökonomischen Rahmen.

2.2.2.3. Zum Teil aufgrund der Krise im IKT- und Telekommunikationsbereich sowie starker Kurseinbrüche auf den internationalen Aktienmärkten hat Europa nun mit einem geringen Wirtschaftswachstum, weit verbreiteter wirtschaftlicher Unsicherheit und einem Vertrauensverlust bei Unternehmen und Verbrauchern, geringeren Investitionen und Arbeitsplatzverlusten in verschiedenen Sektoren zu kämpfen.

2.2.2.4. Die Europäische Kommission und der Europäische Rat beschlossen, ihre Bemühungen um die Schaffung eines Klimas, das den industriellen Wandel in all seinen Facetten fördert, fortzusetzen. Die Absichten der Lissabon-Strategie wurden auf den Ratstreffen von Göteborg, Cardiff und Barcelona genauer ausgearbeitet. 2003 wurden auf dem Frühjahrsgipfel in Brüssel vier Schwerpunktbereiche festgelegt, die alle eng mit dem industriellen Wandel verknüpft sind:

- Innovation und Unternehmergeist;

- Einrichtung einer Taskforce "Beschäftigung";

- Stärkung des Binnenmarkts: Bestätigung des Rats Wettbewerbsfähigkeit;

- Umweltschutz für Wachstum und Arbeitsplätze.

2.2.2.5. In seinen ausführlichen Schlussfolgerungen betonte der Rat erneut den Bedarf einer europäischen Vision einer wissensbasierten Gesellschaft und, dass "die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit erneut in den Mittelpunkt gestellt werden" muss. Der Rat stellte Ziele auf, wie die rasche Umsetzung des Aktionsplans "Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfeldes", eine umfassende Folgenabschätzung aller wichtigen Vorschläge für EU-Rechtsvorschriften in den Bereichen Wirtschaft und Soziales, u. a. über eine systematische Konsultation der Sozialpartner.

2.2.2.6. Der Europäische Rat nennt in seinen Schlussfolgerungen ferner bestimmte Bereiche, wie die Richtlinien für Strom und Gas, den Verkehrssektor, den Aktionsplan für Finanzdienstleistungen, das Beschaffungswesen für F& E im Verteidigungsbereich, die europäische Raumfahrtpolitik, die Informationsgesellschaft und Biotechnologie. Besondere Aufmerksamkeit soll - unter Beachtung des Beihilfen- und Wettbewerbsrechts der EU - den Leistungen der Daseinsvorsorge, ihrer Qualität und den Zugangsmöglichkeiten dazu zukommen(8).

2.2.2.7. Gemäß den Schlussfolgerungen des Gipfels legte die Europäische Kommission am 7. Mai 2003 einen Zehn-Punkte-Plan vor, "damit es Europa besser geht", in dem sie unter anderem den Aspekt der Umsetzung der Rechtsvorschriften hervorhebt. Der EWSA bedauert, dass der Europäische Rat zwar immer mehr europäische Politiken aufstellt, ihrer praktischen Durchführung bis vor kurzem jedoch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Umsetzung ist im Hinblick auf den industriellen Wandel und besonders im Hinblick auf die europäische Rechtsstaatlichkeit wichtig. Häufig gibt es noch immer schlecht verborgenen nationalen Protektionismus, der den Binnenmarkt behindert und darüber hinaus auch noch Innovation hemmen kann.

2.2.2.8. In diesem Zehn-Punkte-Plan ruft die Kommission zu Recht zu einem neuen Konsens und neuer Entschlossenheit auf, da ein großer Teil des Binnenmarktpotenzials verschwendet zu werden scheint, da die Zahl der Vertragsverletzungen steige. Ziel sei es, die Anzahl interner Vertragsverletzungsverfahren bis 2006 um mindestens 50 % zu verringern(9).

2.2.2.9. Sektorale Ansätze regte auch Kommissionsmitglied Liikanen an, als er am 29. Januar feststellte: "[...] auch wenn die horizontale Dimension ihre grundlegende Bedeutung beibehalten wird, müssen die Auswirkungen auf Industriesektoren sorgfältig überwacht werden, vor allem die Sektoren, die mit besonderen Problemen zu kämpfen haben, und ggf. die erforderlichen Anpassungen für besondere Umstände vorgenommen werden."

2.2.2.10. Der Ausschuss unterstützt die von der Kommission in ihrer Mitteilung zur "Industriepolitik in einem erweiterten Europa" entwickelten Leitlinien, ist jedoch der Auffassung, dass auch der Bedarf an sektoralen Politiken hervorgehoben werden sollte, die sich bei der wirtschaftlichen Umstrukturierung der Beitrittsstaaten als besonders hilfreich erweisen könnten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein solcher Dialog in diesen Staaten derzeit nicht existiert.

2.2.2.11. Zwar wurden staatliche Direktbeihilfen in der Industrie zurückgefahren, doch müssen sie noch weiter abgebaut werden. Durch geringere staatliche Beihilfen werden in den entsprechenden Sektoren europaweit gleiche Ausgangsbedingungen gefördert.

2.2.2.12. Das europäische Unternehmensklima und das der Mitgliedstaaten wird direkt durch die makroökonomische, die Geld- und die Steuerpolitik beeinflusst. Die erfolgreiche Einführung des Euro hat bislang noch nicht zu einer ausreichenden Einheitlichkeit der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten geführt. Noch immer bestehen grundlegende Unterschiede in den Steuersystemen. Diese Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten im makroökonomischen Bereich können sich in gewissem Maße auch auf den industriellen Wandel in Europa negativ auswirken.

2.2.2.13. Nachteilig für die Entwicklung des Binnenmarkts ist, dass in wesentlichen Bereichen bisher geringe bis gar keine Fortschritte erzielt wurden. Beispiele hierfür sind das unzureichende Funktionieren des europäischen Kapitalmarkts, Mängel bei den Wettbewerbsregeln, das Fehlen einer Übernahme-Richtlinie, die langwierigen Verhandlungen über das europäische Patent, die nur in einen Teilerfolg mündeten, und die zuweilen mangelhafte Umsetzung der europäischen Rechtsvorschriften.

2.2.2.14. Um weitere Bedingungen für einen industriellen Wandel auf der Grundlage von sozialem Zusammenhalt und Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen, bekräftigt der Ausschuss auch seine Forderung nach wirksamen politischen Maßnahmen, um folgende Ziele zu erreichen:

- Entwicklung der Humanressourcen,

- mehr und bessere Arbeitsplätze in einem integrierten Arbeitsmarkt,

- besondere Berücksichtigung der alternden Erwerbsbevölkerung und von Maßnahmen zur Förderung des Zugangs von Frauen zum Arbeitsmarkt,

die alle lebenslanges Lernen auf allen Ebenen sowie die Verbesserung von Bildung und Ausbildung erfordern. Die Analyse vorbildlicher Verfahrensweisen in jedem dieser Bereiche wäre äußerst wünschenswert.

2.2.2.15. Die Innovationspolitik ist ein zentrales Thema der Lissabon-Strategie, doch variiert der Umfang der zur Verfügung gestellten Finanzmittel von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. In einigen Mitgliedstaaten ist zudem die Zusammenarbeit zwischen Universitäten/Hochschulen/ Wissenszentren und der Wirtschaft sicher nicht optimal, wie in den Schlussfolgerungen des Frühjahrsgipfels vom März 2003 ausgeführt wird. In diesem Bereich beispielsweise schneidet Europa gegenüber den USA schlechter ab. Die sektorbezogene Handelsbilanz zwischen der EU und den USA fällt dementsprechend für letztere positiv aus.

2.2.2.16. Der EWSA vertritt den Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung. Er hat mehrere Stellungnahmen erarbeitet, die im Rahmen des industriellen Wandels berücksichtigt werden sollten.

3. Industrieller und sozialer Wandel

3.1. In den vergangenen Jahren wurden einige allseits bekannte Berichte in der EU veröffentlicht, die sich mit den grundlegenden Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Unternehmen beschäftigen(10).

Auch das Europäische Parlament, der Europäische Gewerkschaftsbund und die UNICE haben Entschließungen zum industriellen Wandel verabschiedet(11).

3.2. Der Wandel war schon immer Teil des Konjunkturzyklus. Während der vergangenen Jahrzehnte hatte er bedeutende soziale und wirtschaftliche Folgen. Derzeit steigt der Anteil der im Dienstleistungssektor Beschäftigten stark an, was auf Ausgliederung und Zulieferung, aber auch auf das Entstehen dynamischer Sektoren wie der Unterhaltungsindustrie und der Medien zurückzuführen ist.

3.3. Der technische Fortschritt bedeutet, dass sich der Lebenszyklus von Waren und Dienstleistungen immer mehr verkürzt. Die meisten Märkte sind offen, daher sind Anpassungen erforderlich. Viele Unternehmen - auch diejenigen, die eine Krise durchlaufen oder von sich aus einen Umstrukturierungsbedarf gesehen haben - machen eine teilweise oder vollständige Umgestaltung durch. Durch den sozialen Dialog muss ein geeignetes und ausgewogenes Verhältnis zwischen Flexibilität (Anpassungsfähigkeit und neue Kompetenzen) und Arbeitsplatzsicherheit gefunden werden. Untersuchungen konkreter Fälle zeigen, dass es mehrere Gründe für den Umstrukturierungsbedarf gibt: Kapazitätsanpassungen, Umgestaltung der Wirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit, Produktivitätsanpassungen, eine neue Festlegung der Marktposition, Rationalisierung, organisatorische Veränderungen und Konkurs(12). Bei einigen der untersuchten Fälle führte die Umgestaltung des Unternehmens zu vollkommen neuen Produkten und/oder Dienstleistungen, bzw. zu einer Verlagerung oder sogar zu mehr Beschäftigten. Diese Wandlungsprozesse von und innerhalb von Unternehmen sind in den meisten Fällen mit sektorspezifischen Entwicklungen verknüpft. Das Vorgehen bei der Umstrukturierung ist aus sozialer Sicht das Ergebnis eines fruchtbaren sozialen Dialogs zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

3.4. Diese Prozesse dauern an, trotz des derzeitigen Konjunkturabschwungs. Tatsächlich fördert die aktuelle Lage den Wettbewerb, da jedes Unternehmen versucht, seine Position zu sichern, um sein Fortbestehen zu wahren. Auch wenn jetzt vielleicht die Kosten mehr im Mittelpunkt stehen, gestalten die Unternehmen doch ihren internen Aufbau um und bauen ihre Position für die Zukunft auf; nicht zu vergessen sind auch Konzentrationen in der Industrie durch Unternehmenszusammenschlüsse und -übernahmen.

Diese intensive Umstrukturierungstätigkeit hat zu vielen Arbeitsplatzverlusten geführt. In den ersten neun Monaten des Jahres 2001 gingen in der Euro-Zone 230000 Arbeitsplätze verloren, in der gesamten EU waren es 350000. Die tiefgreifenden Auswirkungen dieser Arbeitsplatzverluste - nicht nur auf den einzelnen Arbeitnehmer, sondern auch auf ganze Gebiete oder Regionen - erfordern die Verabschiedung von Begleitmaßnahmen und Plänen zur Schaffung alternativer Arbeitsplätze. Dieses Konzept wird übrigens in verschiedenen Mitgliedstaaten angewandt.

In diesem Zusammenhang macht der EWSA auf das IKT-Paradoxon aufmerksam. Die Wachstumsschwäche der vergangenen Jahre wurde durch den starken Investitionsrückgang im überhitzten IKT-Sektor eingeleitet. Dies verhinderte jedoch nicht, dass genau dieser Sektor (Kommunikation, Information, Internet) zu radikalen Veränderungen im Verarbeitungs- und im Dienstleistungssektor führte, welche traditionellen Sektoren ein völlig neues Aussehen verpassten, die Gründung neuer Unternehmen, neuer Bündnisse zwischen Marktpartnern sowie neue Verarbeitungs- und Dienstleistungsangebote anregten. Kein Sektor konnte sich diesem Erneuerungsprozess verschließen. Die nächste radikale Erneuerung, dieses Mal in der Biotechnologie, steht unmittelbar bevor.

3.5. Dennoch findet die Umstrukturierung als unabhängiges Phänomen in den Mitgliedstaaten statt. Der EWSA verweist auf einige Beispiele regionaler Umstrukturierungen, die zu einer Verlagerung von Tätigkeiten und zur Neuentwicklung von Unternehmen, aber auch zur Gründung neuer Unternehmen führten. Grund dieser Umstrukturierungen waren häufig komplexe Prozesse. Viele europäische Regionen weisen spezielle Besonderheiten auf, die sich aus ihrer wirtschaftlichen Geschichte, ihrer geographischen Lage und regionalen Traditionen ergeben. Manchmal wurde die Anpassung industrieller Strukturen nicht ausreichend vorweggenommen. Gleichzeitig ist jedoch festzustellen, dass die regionalen Akteure - Arbeitgeber, Gewerkschaften, lokale und regionale Gebietskörperschaften - häufig den Anstoß dazu gegeben haben, die Grundlage für neue Perspektiven zu schaffen, in einigen Fällen auch in Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen und der Europäischen Union (z. B. bei Rechar, Resider und Retext). Umstrukturierungs- und Modernisierungsmaßnahmen zur Durchführung des industriellen Wandels liefen und laufen, manchmal mit überraschend positiven Ergebnissen.

Beispiele für Regionen, in denen viele neue Unternehmen geschaffen und bestehende Unternehmen umgewandelt wurden, sind das Ruhrgebiet und Birmingham (UK) mit ihrer Umorientierung und -gestaltung von der Schwerindustrie zu dienstleistungsorientierten Unternehmen, Oulu (Finnland) mit seinem starken Telekommunikationssektor, und Barcelona (Spanien), das anlässlich der Olympischen Spiele im Jahr 1992 tiefgreifende Veränderungen erfahren hat.

3.6. Neben diesen nachweislich erfolgreichen Beispielen in einigen Gebieten Europas sind andere Gebiete allerdings noch mitten im Umstrukturierungsprozess, wie z. B. Asturien, eine spanische Region, die in den 1990er Jahren große Veränderungen im Stahl- und Bergbaubereich durchlebte. Die Beschäftigung im Bergbausektor sank von 23000 auf nun 8000 Beschäftigte, ein Nettoverlust von 15000 Arbeitsplätzen. Die Region verlor dazu noch mehr als 17000 Arbeitsplätze im Stahlsektor. Die spanische Zentralregierung und die Regionalregierung bemühten sich um Unterstützung, die auch von der Europäischen Kommission kam (EGKS-Vertrag, die Programme RECHAR und RESIDER), doch wurde bislang keine endgültige Lösung gefunden. Obwohl die Wirtschaft sich langsam erholt, gelang es bisher nicht, auch nur die Hälfte der in den betroffenen oder hiermit verbundenen Sektoren verloren gegangenen Arbeitsplätze zu ersetzen. Dies macht deutlich, dass noch stets wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen erforderlich sind, um die Verluste auszugleichen und das Potenzial des Wirtschaftslebens in dieser Region voll ausschöpfen zu können.

Weitere aktuelle Fälle sind Lüttich (Belgien) und Bremen sowie Eisenhüttenstadt (Deutschland), wo Arcelor, das Ergebnis des Zusammenschlusses von Arbed, Aceralia und Usinor, aufgrund struktureller Überkapazitäten in der Flachstahlproduktion und zur Verbesserung der Synergien beschlossen hat, die Hochöfen in Lüttich nach und nach zu schließen und die Produktion an den deutschen Standorten zurückzufahren. Angesichts des Verlusts von Arbeitsplätzen, den diese Maßnahmen nach sich ziehen werden, hat sich Arcelor verpflichtet, die Menschen mit ihren Beschäftigungsproblemen nicht allein zu lassen, die betreffenden Standorte zu rehabilitieren und mit Hilfe aller betroffenen Parteien an der Reindustrialisierung der lokalen Wirtschaftsgefüge mitzuwirken. Es müssen Unterstützungsmaßnahmen - ähnlich denjenigen, die vor Jahren mit den Programmen RECHAR und RESIDER geschaffen wurden - ergriffen werden, um soziale Härten in diesen Regionen zu vermeiden. Gleichzeitig müssen die Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung dieser Regionen geschaffen werden.

3.7. Ein wichtiger Aspekt der derzeitigen Entwicklung ist, dass nicht nur das Wesen einzelner Unternehmen verändert wird, sondern dass es im Vergleich zu früher immer schwieriger wird, die Sektoren voneinander zu unterscheiden. Eine wesentliche Veränderung liegt darin, dass die frühere klare Trennung zwischen den Sektoren neuen Spielregeln gewichen ist, die von wechselseitiger Abhängigkeit, Interaktion, Vernetzung und Auslagerung geprägt sind. Da die meisten Unternehmen ihre Entscheidungen individuell treffen und sich an ihren persönlichen Zukunftsaussichten und ihrer Marktstellung orientieren, stellt sich die Lage je nach Unternehmen unterschiedlich dar, daher ist eine geeignete Mischung aus Flexibilität, Beteiligung der Arbeitnehmer, fortlaufender Verbesserung und Stabilität erforderlich.

3.8. In jedem Fall zeigt diese grobe Beschreibung dieser Erneuerung, Globalisierung und Neuausrichtung der Verarbeitungs- und Dienstleistungssektoren, dass die gesamte Wirtschaft von diesem Wandel betroffen ist, der auf allen Ebenen der Unternehmen zu spüren ist. Dies erklärt die große Bedeutung, die die Sozialpartner in den meisten Ländern neuen Ausbildungsformen und dem Ausbau der Kompetenzen zumessen. Berufliche Mobilität ist ein Merkmal des heutigen Produktions- und Dienstleistungssystems. Traditionelle Arbeitsstrukturen [z. B. die Schuhherstellung in Choletais, Frankreich(13)] bestehen neben neueren. Selbstverständlich befinden sich viele Unternehmen noch im Prozess des Übergangs von "traditionell" zu modern, doch ist auch festzustellen, dass traditionelle Sektoren, wie z. B. der Einzelhandel und Vertriebszentren manchmal vollkommen umgestaltet wurden, und das zu ihrem Vorteil. Auf jeden Fall sind Ausbildung und Dialog für die Bewältigung dieser Übergänge grundlegend. Die Umgestaltung der Berufsausbildung und die vielfältigen Möglichkeiten, die angeboten werden und angeboten werden müssen, um den Arbeitnehmern eine möglichst sichere Zukunft zu bieten, sind entscheidend, um diese Veränderungen, von denen einige oben beschrieben wurden, zu begleiten.

3.9. Die Entwicklung der Humanressourcen ist selbstverständlich von grundlegender Bedeutung. Wie auf dem Europäischen Rat von Lissabon anerkannt, beruhen die Wandlungsprozesse in den Unternehmen, die Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie die europäische Wettbewerbsfähigkeit auf Forschung und Innovation sowie auf dem Erfindungsgeist und der Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer. Die strategische Bedeutung des Humankapitals zu erkennen, bedeutet:

- während des gesamten Berufslebens in die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Beschäftigten zu investieren;

- die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen auszubauen;

- die Beschäftigten in die Bewältigung des Wandels und die Schaffung einer neuen Art von Sicherheit einzubeziehen;

- den Zugang zu Beschäftigungsmöglichkeiten für geringer qualifizierte Arbeitnehmer zu vereinfachen;

- die Strukturen für den sozialen Dialog in den Unternehmen auszubauen(14).

Heute ist auch der Beschäftigte selbst ein Faktor für Veränderungen in der Verwaltung von Unternehmen und somit auch für den industriellen Wandel. Häufig werden alte hierarchische Strukturen durch organisatorische Rahmen ersetzt, die die weiter gefassten Zuständigkeiten und Befugnisse der Beschäftigten von heute absolut berücksichtigen.

3.10. Seit kurzem wird mehr Bedeutung auf die "corporate governance", die Unternehmensverfassung, gelegt. Sie ist die Summe der Regeln, Vorschriften und internen Verhaltenskodizes von Unternehmen, mit deren Hilfe die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt werden sollen. Unternehmen, besonders solche mit vielen Beschäftigten, haben auch eine soziale Verantwortung, selbstverständlich nach Maßgabe und unter Beachtung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Die "corporate governance" regelt einige Probleme im Zusammenhang mit dem gewünschten Image eines Unternehmens in einem weiteren Rahmen. Mit Blick auf den industriellen Wandel ist die "corporate governance" im Interesse der Unternehmen selbst. Sie ist wichtig für Bereiche wie Nachhaltigkeit, Transparenz, wirksame Aufsicht usw. und zielt auf Gewährleistung guter Arbeitsbeziehungen sowie auf eine externe Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ab. Gerade in diesem Bereich müssen sich die spezifischen Merkmale und Werte des europäischen Sozialmodells entwickeln. Deshalb ist der vor kurzem von der Kommission unterbreitete Vorschlag, "corporate governance" auf die Tagesordnung der EU zu setzen, ebenfalls ein positiver Schritt, denn er dient dazu, eine effizientere Nutzung der EU-Ressourcen und die Erzeugung von hochwertigen Produkten herbeizuführen.

4. Schlussfolgerungen und Empfehlungen

4.1. Das Vertrauen in die Wirtschaft muss unbedingt wiederhergestellt werden. In dieser Hinsicht unterstützt der EWSA die Leitlinien und Ziele, die von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat auf dem Frühjahrsgipfel 2003 sowie im Zehn-Punkte-Plan der Kommission aufgestellt wurden, der auf die Ankurbelung der Wirtschaft, die Schaffung von Arbeitsplätzen und ganz allgemein die Umsetzung der Strategie von Lissabon ausgerichtet ist. Europa braucht ein günstiges Wirtschaftsklima für die Entstehung eines neuen, auf "industriellen Wandel mit menschlichem Antlitz" konzentrierten Paradigmas, dessen maßgebliche Faktoren nachhaltige Entwicklung, sozialer Zusammenhalt und Wettbewerbsfähigkeit sind.

4.2. Der Ausschuss empfiehlt in vom industriellen Wandel betroffenen Bereichen Vergleichssysteme, Gruppendruck und die Verbreitung bewährter Verfahren als nützliche Instrumente; im Mittelpunkt der vergleichenden Untersuchungen sollten technologischer Wandel, Innovation und soziale Aspekte stehen. Er begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission, konkrete ländervergleichende Untersuchungen zu veröffentlichen.

4.3. Der EWSA spricht sich für eine bereichsübergreifende Industriepolitik aus, in der gleichzeitig direkt mit dem industriellen Wandel verbundene sektorale Ansätze entwickelt werden können.

Sektorspezifische Maßnahmen müssen flankiert werden von Verfahren zur Konsultation, zur Einbindung aller Akteure und zum sozialen Dialog im Rahmen des industriellen Wandels und der wirtschaftlichen Umwälzungen, insbesondere in den Beitrittsstaaten.

4.4. Der EWSA spricht sich für systematische Überprüfungen durch die EU aus, um festzustellen, ob die Regeln eingehalten und die auf Gemeinschaftsebene getroffenen und gebilligten Entscheidungen respektiert werden. Ausnahmen würden zu einem "Europa à la carte" führen.

4.5. Es muss sichergestellt werden, dass die Vertreter der einzelnen Sektoren in alle Phasen des Legislativverfahrens in der EU ("bottom-up") einbezogen werden, damit die Vorschriften und Beschlüsse in verschiedenen Politikbereichen in Bezug auf den industriellen Wandel bewertet werden. Der Ausschuss hebt hervor, dass gewährleistet werden muss, dass die Strategien zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und des industriellen Wandels effektiv und konsequent umgesetzt werden. Die CCMI wird diesen Prozess mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen.

Der EWSA unterstreicht, wie wichtig es ist, zu verhindern, dass die zunehmenden Unterschiede zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, z. B. im Steuerwesen oder im Umweltschutz, zur Standortverlagerung von Industrien führen.

4.6. Vor kurzer Zeit wurde der Rat Wettbewerbsfähigkeit eingerichtet. Der EWSA begrüßt diesen neuen Ansatz. Probleme und Regelungen zu ihrer Lösung sollten in ihrem jeweiligen Kontext behandelt werden, wobei die Arbeitsplatzqualität zu sichern ist.

Der EWSA betont, dass die verschiedenen sozial-, industrie-, fiskal-, regional-, energie-, verkehrs-, wettbewerbs-, bildungs- und forschungspolitischen Gemeinschaftsmaßnahmen für eine wirksame Politik im Bereich des industriellen Wandels kohärent sein müssen.

4.7. Eine tatsächliche Folgenabschätzung der europäischen Rechtsvorschriften ist wünschenswert. Zu diesem Zweck unterstützt der EWSA den Vorschlag, eine unabhängige Beratergruppe für die Abschätzung der Folgen der EU-Rechtsvorschriften auf die Unternehmen einzusetzen, um die Qualität dieser Rechtsvorschriften zu verbessern.

4.8. Für den EWSA ist es grundlegend, dass Innovation und Forschung die europäische Führungsposition sowohl in der Wettbewerbsfähigkeit als auch im sozialen Schutz fördern. Dazu gehören auch parallele Maßnahmen zu ähnlichen Aktionen in anderen Gebieten der Welt, wie z. B. in den USA, in denen einige industrielle Entwicklungen durch staatliche Initiativen im Verteidigungsbereich gefördert werden(15).

4.9. Der EWSA hält es für wünschenswert, Initiativen zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen bzw. Wissenszentren und der Wirtschaft zu ergreifen(16).

4.10. Der EWSA ist der Ansicht, dass die möglichen Auswirkungen bestimmter Gemeinschaftsvorschriften und -regelungen auf KMU stärker berücksichtigt werden sollten.

4.11. Für die verbleibenden staatlichen Beihilfen müssen in Europa weiterhin kohärente Regeln gelten. Gleichzeitig muss die Europäische Union nach wie vor - in erster Linie über die WTO - gegen den Missbrauch von Zöllen, wie bei den Zöllen der USA auf Stahlprodukte, vorgehen. Das ist wichtig, um im internationalen Handel gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen.

4.12. Um den im Wandel befindlichen Industrien ein stabiles Wirtschaftsklima zu garantieren, legt der EWSA der Kommission nahe, im Falle von Lücken(17) darüber wachen, dass die WTO-Bestimmungen angewandt werden.

4.13. Der EWSA lenkt das Augenmerk auf die Notwendigkeit, auf verschiedene Formen des industriellen Wandels einzugehen. Die eindeutigste Unterscheidung kann zwischen der Umstrukturierung monoindustrieller Regionen einerseits und andererseits dem industriellen Wandel als ständigem Anpassungsprozess des Verarbeitungs- und Dienstleistungsgewerbes getroffen werden. Im ersten Fall können in den betreffenden Gebieten zeitlich beschränkte spezifische Maßnahmen vorgesehen werden.

Der EWSA empfiehlt, die mit sektoralen Programmen, wie Rechar, Resider und Retext gemachten positiven Erfahrungen bei der Modernisierung monoindustrieller Gebiete in den künftigen ebenso wie in den derzeitigen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen und in diesen Ländern neue Formen des sozialen Dialogs zu fördern.

In besonders stark von Standortverlagerungen betroffenen Regionen können zeitlich befristete spezifische Begleitmaßnahmen erforderlich sein.

4.14. In einigen Fällen profitieren Regionen, die dem industriellen Wandel unterworfen sind, von einer engen Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, staatlichen Behörden, den Sozialpartnern und gegebenenfalls anderen sozioökonomischen Sektoren. Der EWSA fordert die Kommission auf, über die hier gestarteten Projekte - ihre Erfolge und ihre Grenzen - zu informieren, die für die Regionen im Übergangsstadium, insbesondere in den künftigen Mitgliedstaaten, eine Hilfe sein können.

4.15. Der EWSA unterstreicht die Bedeutung von Fort- und Weiterbildungsprogrammen für Beschäftigte und fordert die Kommission auf, alle Tendenzen und Ergebnisse dieser speziellen Programme für die berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung, auch im Privatsektor, bei der Erarbeitung ihrer Vorschläge zu berücksichtigen. Es wäre sinnvoll, mit den Sozialpartnern in den verschiedenen Sektoren Diskussionsforen zu diesem Thema zu organisieren.

4.16. Die im Jahr 2001 innerhalb der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen als direkte Reaktion auf die Forderung der Gyllenhammar-Gruppe eingerichtete Europäische Beobachtungsstelle für den Wandel kann eine wertvolle Rolle spielen. In Zusammenarbeit mit den verschiedenen Wirtschaftsakteuren (Unternehmen, Sozialpartnern usw.) und nationalen Forschungseinrichtungen liefert sie speziell ausgerichtete Informationen zu Veränderungen in bestimmten Bereichen und Industriezweigen allgemein sowie zur Vorwegnahme und Begleitung von Umstrukturierungen. Der EWSA beabsichtigt, die Zusammenarbeit zwischen der CCMI und der Europäischen Beobachtungsstelle für den Wandel weiter auszubauen.

4.17. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Einrichtung sektorieller Beobachtungsstellen die Vorwegnahme und die Durchsetzung des industriellen Wandels, die Bestimmung gangbarer Alternativen und die Minimierung ihrer negativen Folgen erleichtern. Wie der EWSA bereits erklärt hat(18), würde eine weitere Maßnahme zur besseren Vorwegnahme und Bewältigung des industriellen Wandels darin bestehen, "dass Unternehmen ab einer bestimmten Größe (mehr als 1000 Mitarbeiter) einen Bericht über die Unternehmensstrategie zur Bewältigung des Wandels verfassen. Dieser Bericht sollte darlegen, mit welchen strukturellen Änderungen zu rechnen ist, und wie man sich darauf einstellen wird"(19).

4.18. Um vorbildliche Verfahrensweisen in den Vordergrund zu rücken, schlägt der EWSA vor, ausgehend von Kriterien Wissen, Nachhaltigkeit und Sozialprogramme (Lissabon-Strategie) eine Evaluierung der Unternehmen durchzuführen, die die besten Umstrukturierungsergebnisse erzielt haben.

4.19. Der soziale Dialog innerhalb der Unternehmen und gegebenenfalls mit den lokalen Akteuren und den Behörden ist nach Ansicht des EWSA ein wesentliches und entscheidendes Instrument für den Aufbau von Wettbewerbsfähigkeit, eines sozialen Klimas und Beschäftigung sowie für den Umweltschutz in einem ausgewogenen produktiven Verhältnis. Die Erfahrungen des EWSA und des ehemaligen Beratenden EGKS-Ausschusses zeigen, dass ein kontinuierlicher sektorbezogener Dialog auf europäischer Ebene, in den Vertreter der Hersteller, Arbeitnehmer und anderer repräsentativer Gruppen der organisierten Zivilgesellschaft (wie Verbraucher und Händler) eingebunden sind, zur Schaffung einer sinnvollen Grundlage für eine erneuerte Industriepolitik beiträgt.

4.20. Die künftige Arbeit der CCMI als Gremium innerhalb des EWSA wird sich auf die Sektoren und/oder Regionen konzentrieren, die in besonderem Maße vom industriellen Wandel betroffen sind, und wird sich auf die unter Ziffer 1.7 dargelegten Leitlinien sowie auf die vorliegenden Schlussfolgerungen stützen.

Brüssel, den 25. September 2003.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger Briesch

(1) Rat "Industrie" am 18. Mai 2000.

(2) Mitteilung vom 27. September 2000 (KOM(2000) 588 endg.).

(3) Parallel zu dieser Stellungnahme erarbeitet die CCMI eine Stellungnahme zum Thema: Die Umstrukturierung der Schwerindustrie in den Beitrittsländern.

(4) Die Gründe für den Wandel sind vielfältig, siehe hierzu:

- Prahalad, C.K. und Hamel, G. (1994): "Strategy as a field of study: Why search for a new paradigm?", Strategic Management Journal, Band 15.

- López, J. und Leal, I. (2002): Cómo aprender en la sociedad del conocimiento, Gestión 2000, Barcelona.

(5) Siehe insbesondere F. Aggeri & F. Pallez "Les nouvelles figures de l'Etat dans les mutations industrielles" Cahiers de recherche du centre de gestion scientifique Nr. 20, Ecole des mines de Paris, 2002 oder Bernard Brunhes consultants "La gestion des crises industrielles locales en Europe", Cahiers Nr. 6, 2000.

(6) Z. B.: die Anwendung von Section 201, durch die die Zölle auf bestimmte Flachstähle seit März 2002 angestiegen sind, oder auch das von der WTO missbilligte Steuergesetz zur "Foreign Sales Corporation", aufgrund dessen bestimmte Unternehmen Exportsubventionen erhalten können.

(7) 1991 kam es zu 8239 Zusammenschlüssen und Übernahmen, an denen Unternehmen aus der EU beteiligt waren. Diese Zahl stieg 1999 auf 12796 an. Quelle: "Mergers and acquisitions" (European Economy, Supplement A, Economic Trends, Nr. 5/6, 2000. Amt für amtliche Veröffentlichungen der EG).

(8) Die Europäische Kommission hat vor kurzem ein Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (KOM(2003) 270 endg. vom 21.5.2003) veröffentlicht.

(9) Die Zahl der anhängigen Vertragsverletzungsverfahren ist von etwas weniger als 700 im Jahr 1992 auf heute fast 1600 angestiegen. In dem Zehn-Punkte-Plan werden besonders die Integration der Dienstleistungsmärkte sowie "netzgebundene Wirtschaftszweige" wie Energie, Verkehr, Telekommunikation und Post hervorgehoben, die von "zentraler Bedeutung für alle EU-Bürger" sind und einen erheblichen Teil der Betriebskosten von Unternehmen verursachen. Weitere wichtige Elemente des Zehn-Punkte-Plans sind die Umsetzung des Aktionsplans für bessere Rechtsetzung und offenere Märkte für öffentliche Ausschreibungen.

(10) Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Bericht "Managing change" vom November 1998 der Gruppe unter der Leitung von Peer Gyllenhammer (zu dem der EWSA eine kritische, aber dennoch positive Stellungnahme veröffentlichte (ABl. C 258 vom 10.9.1999 sowie der Bericht der "High-level Group on Industrial Relations and Change in the European Union" vom Januar 2002, der von der Gruppe unter der Leitung von Maria João Rodrigues erstellt wurde.

(11) Entschließung des Europäischen Parlaments zu den sozialen Folgen der industriellen Umstellung (B5-0089/2001), in der dieses dazu auffordert, einen proaktiveren Ansatz für die Umstrukturierung der Wirtschaft und die sich daraus ergebenden sozialen Auswirkungen zu verfolgen, die Notwendigkeit unterstreicht, den sozialen Dialog auszuweiten und auf die Vertragsbestimmungen hinweist, laut denen das Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus bei allen Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen zu berücksichtigen ist; Entschließung des EGB vom 11./12. März 2002, laut der es notwendig ist, die Arbeitnehmer ständig in den Prozess des Wandels einzubeziehen, Umstrukturierungen nach dem Grundsatz der geringsten sozialen Kosten durchzuführen und in der ständige Untersuchungen und Analysen zur Evaluierung des Ausmaßes und der Auswirkungen von Unternehmensumstrukturierungen nach Sektor, Land und Region gefordert werden; Entschließung der UNICE vom 8. März 2002, in der diese ihre Bereitschaft erklärt, einen Erfahrungsaustausch über die Vorwegnahme und Bewältigung des Wandels zu organisieren.

(12) Vgl. Fallstudien zur Bewältigung der sozialen Auswirkungen umfangreicher industrieller Umstrukturierungen, Fallstudien, Bernard Brunhes, Berater, für die Europäische Kommission, DGV. (http://www.brunhes.com/Etudligne /Cahiers/6/Cahier6.htm).

(13) Der Fall der Schuhherstellung in Choletais, Aggeri Franck und Pallez Frédérique - Centre de Gestion Scientifique, École des Mines de Paris, September 2001.

(14) Dokument der Kommission: "Antizipation und Bewältigung des Wandels: ein dynamisches Herangehen an die sozialen Aspekte von Unternehmensumstrukturierungen" - Erste Runde der Anhörung der europäischen Sozialpartner auf branchenübergreifender und sektoraler Ebene (Ziffer 1.3).

(15) Stellungnahme des EWSA zum Grünbuch "Europäische Raumfahrtpolitik" - ABl. C 220 vom 16.9.2003, S. 19; siehe auch die Stellungnahme des EWSA zur Mitteilung der Kommission "Europäische Verteidigung - Industrie- und Marktaspekte - Auf dem Weg zu einer Verteidigungsgüterpolitik der Europäischen Union" - (zu der die CCMI eine zusätzliche Stellungnahme erarbeitet hat).

(16) Hier ist darauf hinzuweisen, dass die neue niederländische Regierung unter Leitung des Ministerpräsidenten nach finnischem Vorbild eine Plattform zur Interaktion von Wissenszentren und Wirtschaft eingerichtet hat.

(17) Z. B.: Quoten in der Mikroelektronik in China, Subventionen für Werften in Südkorea, Beihilfen für die Eisen- und Stahlindustrie in den Vereinigten Staaten.

(18) Stellungnahme des EWSA zum Thema "Strategie für den industriellen Wandel - Gruppe hochrangiger Sachverständiger für die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen industrieller Wandlungsprozesse - Abschlussbericht", Ziffer 3.2.3 - ABl. C 258 vom 10.9.1999.

(19) Zusammenfassung: Strategie für den industriellen Wandel - Gruppe hochrangiger Sachverständiger für die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen industrieller Wandlungsprozesse (Gyllenhammar-Bericht).