52003AE0287

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 72/166/EWG, 84/5/EWG, 88/357/EWG und 90/232/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2000/26/EG über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung" (KOM(2002) 244 endg. — 2002/0124 (COD))

Amtsblatt Nr. C 095 vom 23/04/2003 S. 0045 - 0047


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 72/166/EWG, 84/5/EWG, 88/357/EWG und 90/232/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2000/26/EG über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung"

(KOM(2002) 244 endg. - 2002/0124 (COD))

(2003/C 95/12)

Der Rat beschloss am 16. September 2002 gemäß Artikel 95 Absatz 1 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu dem vorgenannten Vorschlag zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 19. Dezember 2002 an. Berichterstatter war Herr Levaux.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 397. Plenartagung am 26. und 27. Februar 2003 (Sitzung vom 26. Februar) mit 81 gegen 5 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Zur Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung wurde im Jahre 1972 eine Gemeinschaftsrichtlinie erlassen, der in den Jahren 1984, 1988, 1990 bzw. 2000 vier weitere Richtlinien folgten(1).

1.2. Der innergemeinschaftliche Straßenverkehr nimmt aber immer weiter zu, und einige Bestimmungen der bisher geschaffenen Regelung (vor allem die Bestimmungen über die Mindestbeträge für die Versicherungsdeckung) bedürfen einer Aktualisierung.

1.3. Außerdem hat es sich als notwendig erwiesen, bestimmte Rechtslücken zu schließen bzw. für bestimmte häufig auftretende Probleme eine Lösung zu finden, wie z. B.

- die Schwierigkeit, eine Versicherung für einen vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat zu finden;

- die Schwierigkeit, eine Kurzzeitversicherung im Zusammenhang mit dem Kauf eines Kfz in einem anderen Mitgliedstaat abschließen zu können;

- die Forderung nach einer besseren Entschädigung von Fußgängern und Radfahrern im Rahmen der Kfz-Versicherung;

- der Erhalt einer Schadensfreiheitserklärung bzw. eine über die gemeldeten Schäden beim bisherigen Versicherungsunternehmen im Hinblick auf die Aushandlung eines neuen Vertrags bei einem anderen Versicherungsunternehmen.

1.4. So hat das Europäische Parlament denn auch im Juli 2001 eine Entschließung angenommen, in der die Verabschiedung einer fünften Richtlinie empfohlen wird. Mit dem jetzigen Kommissionsvorschlag kommt die Kommission dieser Empfehlung nach.

2. Allgemeine Bemerkungen

2.1. Der Ausschuss befürwortet den Ansatz der Kommission, deren Richtlinienvorschlag eine Überarbeitung der bestehenden Richtlinien bezweckt, die "in erster Linie folgende Ziele" verfolgt:

- Aktualisierung und Verbesserung des Rechtsschutzes für die Opfer von Kraftfahrzeugunfällen durch eine Pflichtversicherung;

- Schließen bestehender Lücken und Klarstellung einiger Richtlinienbestimmungen, um eine konvergentere Auslegung und Anwendung durch die Mitgliedstaaten zu erreichen;

- Lösung häufig auftretender Probleme, um einen besser funktionierenden Binnenmarkt für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung zu schaffen.

2.2. Der Ausschuss stellt fest, dass seit dem Jahre 1972 - sprich der ersten Richtlinie - mehrere Änderungen vorgenommen wurden, um die Gesetzestexte an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen und den verschiedenen, bei ihrer Anwendung aufgetretenen Schwierigkeiten Rechnung zu tragen.

2.2.1. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass diese Art der Rechtsetzung verschiedenen Ausrichtungen der Kommission zuwiderläuft, vor allem dem Weißbuch "Europäisches Regieren", der Mitteilung "Europäisches Regieren: Bessere Rechtsetzung" und dem Aktionsplan "Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds". Des Weiteren bedauert der Ausschuss, dass durch ständige Änderungen die Kohärenz und Zugänglichkeit des gesamten Regelwerks über Kfz-Versicherungen in Frage gestellt wird.

2.3. Einmal mehr muss der Ausschuss feststellen, dass bestimmte Aktualisierungen, die sich als erforderlich erwiesen haben, seit der erstmaligen Feststellung ihrer Notwendigkeit nicht vorgenommen wurden. So wird bezüglich des Mindestbetrags für die Versicherungsdeckung im jetzigen Richtlinienvorschlag eine Anhebung der durch die Richtlinie 84/5/EWG festgelegten und seit 18 Jahren unverändert gebliebenen Beträge um 75 % vorgeschlagen.

2.3.1. Diese Vorgehensweise ist nach Einschätzung des Ausschusses nicht schlüssig, weil sie zu umfangreichen punktuellen Nachholmaßnahmen führt.

2.3.2. Außerdem legen im Laufe der Jahre einige Mitgliedstaaten für ihr Hoheitsgebiet Mindestdeckungssummen fest, die über den gemeinschaftlichen Mindestwerten liegen. Dadurch wird das Gefälle zwischen Mitgliedstaaten immer größer, so dass eine Harmonisierung der Versicherungstarife und die Durchführung einer ausgewogenen Wettbewerbspolitik sich sehr schwierig gestalten.

2.3.3. Der Ausschuss stellt zu seiner Zufriedenheit fest, dass der Richtlinienvorschlag (in Artikel 2) eine Überprüfung der neuen Mindestbeträge alle fünf Jahre vorsieht.

3. Besondere Bemerkungen

Der Ausschuss hat die einzelnen Artikel der vorgeschlagenen Richtlinie, die Änderungen der Bestimmungen der früheren Richtlinien zum Gegenstand haben, Punkt für Punkt geprüft. Diese Änderungen - überwiegend technischer Natur - finden die Zustimmung des Ausschusses, mit Ausnahme der Bestimmungen über die Mindestdeckungssummen für Sach- bzw. Personenschäden. Des Weiteren möchte der Ausschuss einige Bemerkungen und Anregungen vortragen, die in den nachstehenden Ausführungen zu den einzelnen Artikeln des Richtlinienvorschlags dargelegt werden.

3.1. Artikel 1

3.1.1. Der Ausschuss befürwortet die vorgeschlagenen Änderungen.

3.2. Artikel 2

3.2.1. Der Kommissionsvorschlag sieht eine Mindestdeckungssumme von 1000000 EUR je Unfallopfer für Personenschäden und eine Mindestdeckungssumme von 500000 EUR je Schadensfall für Sachschäden ungeachtet der Anzahl der Geschädigten vor.

3.2.2. Der Ausschuss kann verstehen, dass in einer Zeit, in der der Rückversicherungssektor mit großen Problemen zu kämpfen hat, es nicht wünschenswert erscheint, höhere Mindestsätze vorzusehen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass eine deutliche Anhebung der Mindestdeckungssummen systematisch eine entsprechend starke Erhöhung der von den Gerichten zugesprochenen Entschädigungsleistungen zur Folge hat, vor allem bei Personenschäden. Die daraus resultierende Anhebung der Tarifansätze durch die Versicherer könnte möglicherweise die finanziellen Möglichkeiten der Versicherten übersteigen, vor allem in den Beitrittsstaaten.

3.2.3. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die nach dem Richtlinienvorschlag vorgesehene Entschädigungsleistung ohne Obergrenze je Unfallopfer für Personenschäden in bestimmten Fällen auf eine unbegrenzte Risikodeckung hinausläuft. Da es spezielle Bestimmungen für öffentlichen Personenverkehr gibt, diese Verkehrsart aber von der vorgeschlagenen Richtlinie nicht erfasst wird, regt der Ausschuss an, eine Deckungsobergrenze von 10000000 EUR je Unfallopfer für Personenschäden festzusetzen. Dieser Hoechstwert sollte für einen Zeitraum von 10 Jahren gelten, und danach müsste die Kommission die Sachlage erneut prüfen.

3.2.4. Im Übrigen befürwortet der Ausschuss die Modalitäten der automatischen Anpassung der Mindestbeträge.

3.2.5. Der Ausschuss schlägt der Kommission vor, unter Artikel 1 der Richtlinie 84/5/EWG eine neue Ziffer mit folgendem Wortlaut einzufügen:

"5 a) Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass innerhalb eines Zeitraums von höchstens vier Monaten eine Regelung zur vorläufigen Entschädigung für immaterielle Schäden von Verkehrsunfallopfern getroffen wird, um die Zeit bis zur endgültigen Festlegung des Entschädigungsbetrags zu überbrücken, sofern dieser von einem Gericht festgelegt wird."

3.2.6. Nach Ansicht des Ausschusses sollte Artikel 1 Absatz 6 der Richtlinie 84/5/EWG gestrichen werden. Der Ausschuss akzeptiert jedenfalls nicht die in Absatz 6 Unterabsatz 2 enthaltene Beschränkung auf "beträchtliche" immaterielle Schäden, da deren Definition keinesfalls den Mitgliedstaaten überlassen bleiben sollte, weil sonst für Unfallopfer in einem Bereich, der harmonisiert werden soll, offenkundig je nach Mitgliedstaat unterschiedliche Regeln gelten würden.

3.3. Artikel 3

3.3.1. Der Ausschuss befürwortet die vorgeschlagene Änderung.

3.4. Artikel 4

3.4.1. Der Ausschuss befürwortet die vorgeschlagenen Änderungen mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz 2 und in Artikel 4 Absatz 4 verankerten Änderungen.

3.4.2. Artikel 4 Absatz 2

3.4.2.1. Absatz 2 sieht vor, in die Richtlinie 90/232/EWG einen Artikel 1 a einzufügen, demzufolge die Kfz-Haftpflichtversicherung Personenschäden abdeckt, die Fußgänger und Radfahrer bei einem Verkehrsunfall unter Kfz-Beteiligung erlitten haben, und zwar unabhängig davon, ob der Fahrer des Fahrzeugs schuldhaft gehandelt oder nicht.

3.4.2.2. Der Ausschuss ist sich darüber im Klaren, dass bei der Entschädigung schwächerer Verkehrsteilnehmer eine Weiterentwicklung gegenüber der derzeitigen Rechtslage erforderlich ist. Eine Verbesserung der Situation "schwächerer Verkehrsteilnehmer" sollte nicht nur Radfahrer und Fußgänger, sondern auch andere nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer, wie z. B. Inlineskater etc. umfassen. Diese Verbesserung der Situation schwächerer Verkehrsteilnehmer sollte aber nicht mit einer versicherungsrechtlichen Richtlinie erreicht werden, da bei dieser Form der Regelung die haftungsrechtlichen Richtlinien der Mitgliedsstaaten weiterhin gelten. Bejaht man die europäische Rechtssetzungskompetenz für materielles Haftungsrecht, sollte der Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer durch eine europaeinheitliche haftungsrechtliche Festlegung geregelt werden. Eine solche Regelung müsste auch einige elementare Bestandteile aufweisen, wie ein Kausalitätserfordernis, die Berücksichtigung höherer Gewalt und den Ausschluss des Vorsatzes bei der Schadenherbeiführung.

3.4.2.3. Daher schlägt der Ausschuss der Kommission vor, diese Bestimmung aus dem Richtlinienentwurf herauszunehmen (sprich dem Vorschlag für eine fünfte Richtlinie) und die Regelung einer haftungsrechtlichen Richtlinie vorzubehalten, die zu einer Verbesserung der Entschädigung und einer Harmonisierung der Regeln für schwächere Verkehrsteilnehmer führen sollte.

3.4.2.4. In einer nächsten KH-Richtlinie könnte dann auf die haftungsrechtliche Richtlinie verwiesen und für alle Opfer von Verkehrsunfällen die Entschädigung nach einem einheitlichen Standard sichergestellt werden.

3.4.3. Artikel 4 Absatz 4

3.4.3.1. Dieser Absatz sieht vor, in die Richtlinie 90/232/EWG einen Artikel 4 b betreffend die Aushändigung einer Schadenverlaufs- bzw. Schadenfreiheitserklärung einzufügen.

3.4.3.2. Diese Bestimmung geht nach Ansicht des Ausschusses nicht weit genug, da ihr zufolge das Versicherungsunternehmen dem Versicherungsnehmer lediglich binnen 15 Tagen nach Beendigung des Vertrags eine Schadenverlaufs- bzw. Schadenfreiheitserklärung aushändigen muss. Die Versicherten brauchen diese Bescheinigung nämlich vor Ablauf des Versicherungsvertrags, um sich einen neuen Versicherer zu suchen, denn wenn sie diese Bescheinigung erst nach Vertragsablauf erhalten, sind sie eine gewisse Zeit ohne Versicherungsschutz. Außerdem ist diese Bescheinigung jederzeit für den Versicherten wichtig, zumal wenn er sich einen Zweitwagen zulegt und auch diesen versichern möchte. Deswegen sollte nach Ansicht des Ausschusses diese Bescheinigung innerhalb von 15 Tagen nach dem Antrag des Versicherten übermittelt werden. Das Versicherungsunternehmen sollte außerdem verpflichtet sein, dem Versicherungsnehmer jederzeit auf Verlangen per E-Mail bzw. per Post eine solche Bescheinigung zukommen zu lassen.

3.5. Artikel 5

3.5.1. Der Vorschlag ist mit den vorgeschlagenen Änderungen einverstanden.

3.6. Artikel 6

3.6.1. Der Ausschuss befürwortet die vorgeschlagenen Umsetzungsbestimmungen.

4. Schlussfolgerungen

4.1. Der Ausschuss stellt fest, dass immer wieder neue europäische Regelwerke zur Kfz-Haftpflichtversicherung geschaffen werden.

4.1.1. Der jetzige Vorschlag für eine fünfte Richtlinie ist noch nicht einmal verabschiedet, und schon wäre eine künftige Richtlinie zu erwägen.

4.1.2. Zweifelsohne werden noch weitere Texte zur Änderung oder Ergänzung der bestehenden Rechtsvorschriften ausgearbeitet werden. Wegen der Häufung von Gesetzestexten, die immer wieder geändert werden, gestaltet sich die Nachvollziehbarkeit des Regelwerks über die Kfz-Haftpflichtversicherung besonders komplex, was zunehmend die Gefahr der Unverständlichkeit und Inkohärenz kurz vor der Erweiterung in sich birgt.

4.1.3. Des Weiteren fordert der Ausschuss die Kommission auf, in der nun vorliegenden 5. Richtlinie die Bestimmungen aller bisherigen einschlägigen Richtlinien (72/166/EWG, 84/5/EWG, 88/357/EWG, 90/232/EWG, 2000/26/EG) unterzubringen. Diese Richtlinie könnte später dann unter Hinzufügung sämtlicher bestehender Regelungen in diesem Bereich in einen "Europäischen Kfz-Haftpflichtversicherungskodex" umgewandelt werden.

4.2. Spätere Änderungen und Weiterentwicklungen würden dann unter Bezugnahme auf dieses eine Dokument erfolgen, das die Kohärenz dieses Rechtsinstruments als Ganzes gewährleisten wird.

4.3. Dieser "Europäische Kfz-Haftpflichtversicherungskodex" könnte die Vorstufe zu dem weiterreichenden Regelwerk eines "Europäischen Versicherungskodex" bilden.

Brüssel, den 26. Februar 2003.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger Briesch

(1) Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. L 103 vom 2.5.1972), Zweite Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. L 8 vom 11.1.1984), Dritte Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. L 129 vom 19.5.1990); Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Mai 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG des Rates (Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie) (ABl. L 181 vom 20.7.2000).