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Entschliessung des Ausschusses der Regionen "Für den Europäischen Rat von Kopenhagen"

Amtsblatt Nr. C 073 vom 26/03/2003 S. 0043 - 0045


Entschliessung des Ausschusses der Regionen "Für den Europäischen Rat von Kopenhagen"

(2003/C 73/12)

DER AUSSCHUSS DER REGIONEN,

aufgrund des Beschlusses seines Präsidiums vom 14. Mai 2002, die Fachkommission für konstitutionelle Fragen und Regieren in Europa gemäß Artikel 265 Absatz 5 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft mit der Erarbeitung einer Entschließung zu diesem Thema zu beauftragen;

gestützt auf die Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates vom 14. und 15. Dezember 2001, namentlich auf die Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union;

gestützt auf seinen von der Fachkommission für konstitutionelle Fragen und Regieren in Europa am 4. Oktober 2002 ohne Gegenstimmen angenommenen Entwurf einer Entschließung (CdR 123/2002 rev.) (Berichterstatter: Herr Hertog (NL-ELDR), Bürgermeister von Velsen);

in der Erwägung, dass auf dem Europäischen Rat von Kopenhagen viele wichtige Entscheidungen über die Zukunft der europäischen Integration getroffen werden müssen und zwei Themen im Mittelpunkt stehen werden: die Erweiterung und die institutionellen Reformen der Europäischen Union;

in der Erwägung, dass der Ausschuss der Regionen diese Gelegenheit nutzen möchte, um die europäischen Staats- und Regierungschefs im Namen der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften Europas mit der vorliegenden Entschließung über diese Themen zu informieren und zu beraten;

verabschiedete auf seiner 47. Plenartagung am 20. und 21. November 2002 (Sitzung vom 21. November) folgende Entschließung.

1. Institutionelle Reformen

Der Ausschuss der Regionen

1.1. erwartet von einer Reform der Europäischen Union, dass sie zu einer größeren Bürgernähe der Institutionen führen wird, dass sich die europäischen Bürger stärker mit der europäischen Integration identifizieren und sich an der Europäischen Union beteiligt fühlen können, ohne ihre nationale Identität und ihre regionalen und lokalen Besonderheiten aufgeben zu müssen;

1.2. betont, dass demokratische Legitimität nicht nur eine Frage struktureller und verfahrenstechnischer Änderungen ist, sondern in gleichem Maße eine Frage der politischen Kultur und Mentalität. Die Legitimität der Europäischen Union wird nur dann praktische Realität werden können, wenn sich die Bürger mit der europäischen Integration identifizieren. Die Europäische Union muss das Ergebnis der Integration bzw. des Zusammenschlusses von Menschen und nicht nur von Institutionen sein;

1.3. ist der Ansicht, dass die Union die Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in den Bereichen aufwerten muss, in denen das Ziel darin besteht, die Ideale und die Präsenz der Europäischen Union besser an die Bedürfnisse und Erwartungen der Bürger anzupassen, da diese Gebietskörperschaften die erste und wichtigste Anlaufstelle innerhalb des gesellschaftlichen Gefüges und der demokratisch gewählten Instanzen für die Bürger darstellen. Hierbei ist besonderes Augenmerk auf die Regierungsebenen mit Gesetzgebungsbefugnissen zu richten;

1.4. stellt fest, dass institutionelle Reformen für die Erweiterung und auch für eine Stärkung des Vertrauens der Bürger in die Union erforderlich sind;

1.5. ist der Ansicht, dass das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union gestärkt werden kann, indem die Bürger eine Union präsentiert bekommen, die tatkräftig auftritt und für die Bürger deutlich erkennbare Entscheidungen trifft;

1.6. sieht auch die Aufnahme der Grundrechte-Charta in einen Verfassungsvertrag als einen wichtigen Schritt für die Stärkung der Verbindung zu den Bürgern an. Die Rechte, die die grundlegenden Werte der Mitgliedstaaten darstellen, müssen im EU-Vertrag verankert werden; dies gilt in erster Linie für die Menschen- und Bürgerrechte. Wirtschaftliche und soziale Rechte fallen in vielen Mitgliedstaaten in den Zuständigkeitsbereich der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften. Daher müssen diese Rechte auf europäischer Ebene politische Zielsetzungen bleiben und dürfen nicht als Grundrechte im Vertrag verankert werden;

1.7. stellt fest, dass das Subsidiaritätsprinzip gemäß Artikel 5 EG-Vertrag eines der grundlegenden Prinzipien für die Tätigkeit der Gemeinschaft ist, aufgrund dessen Entscheidungen nach Möglichkeit auf der niedrigeren Entscheidungsebene getroffen werden müssen. Daher sollte der Institution, die die Entscheidungsebenen repräsentiert, die dem Bürger am nächsten stehen, auch eine besondere Rolle bei der Überwachung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips übertragen werden;

1.8. stellt fest, dass immer mehr europäische Rechtsvorschriften auf die dezentralen Gebietskörperschaften anwendbar sind und von ihnen umgesetzt werden müssen;

1.9. fordert die Mitgliedstaaten und Beitrittsländer auf, diese Gebietskörperschaften bei der Ausarbeitung neuer und bei der Bewertung bestehender Rechtsvorschriften in den politischen Entscheidungsprozess einzubeziehen;

1.10. macht die Mitgliedstaaten und die Beitrittsländer darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften von der einzelstaatlichen Ebene über die Auswirkungen der europäischen Rechtsvorschriften auf die lokale und regionale Ebene informiert und in das Geschehen eingebunden werden;

1.11. bekräftigt die Bedeutung einer Stärkung der Rolle des Ausschusses der Regionen im Beschlussfassungsprozess sowie einer Intensivierung der Einbeziehung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in den Beschlussfassungsprozess auf europäischer Ebene in Anlehnung an die von der Kommission in ihrem Weißbuch "Europäisches Regieren" vorgebrachten Vorschläge;

1.12. schlägt vor, die Rolle des Ausschusses der Regionen zu stärken, indem ihm bei den Themen, mit denen er aufgrund des EG-Vertrags obligatorisch befasst wird, ein Vetorecht zuerkannt wird, so dass über Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Rat, der Kommission, dem Parlament und dem Ausschuss innerhalb einer drei- bis sechsmonatigen Frist verhandelt werden kann;

1.13. muss die Möglichkeit erhalten, vor dem Europäischen Gerichtshof auf Feststellung der Nichtigkeit gemeinschaftlicher Rechtsakte zu klagen, die - entgegen der Pflicht zur obligatorischen Befassung - ohne Anhörung des Ausschusses angenommen wurden;

1.14. schlägt vor, dass der Rat, die Kommission oder das Europäische Parlament ausdrücklich begründen müssen, weshalb sie eine Stellungnahme des Ausschusses nicht berücksichtigen;

1.15. ersucht die Staats- und Regierungschefs, ihre Vertreter im Konvent über die oben ausgeführten Punkte zu unterrichten, damit sie schon in den Arbeiten des Konvents berücksichtigt werden können;

1.16. schlägt vor, dem Ausschuss der Regionen das Recht einzuräumen, schriftliche und mündliche Anfragen an die Europäische Kommission zu richten;

1.17. misst den Arbeiten des Konvents große Bedeutung zu und geht davon aus, dass die hierin erarbeiteten Empfehlungen einen wesentlichen Bestandteil der nächsten Regierungskonferenz bilden werden; äußert in diesem Zusammenhang seine Besorgnis über den Beschluss, keine Arbeitsgruppe Lokale und Regionale Gebietskörperschaften einzurichten und stellt fest, dass die bisher im Rahmen des Konvents vorgelegten Dokumente auf die Bedeutung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften im strukturellen Gefüge der Europäischen Union, wenn überhaupt, nur ganz am Rande eingehen.

2. Erweiterung

Der Ausschuss der Regionen

2.1. ist der Ansicht, dass die Vorbereitung der Erweiterung das zentrale Thema für das Jahr 2003 darstellt. Der Ausschuss der Regionen unterstützt die Initiativen der Europäischen Kommission. Außerdem muss die lokale und regionale Verwaltungsebene gestärkt werden. Auch aus diesem Grund müssen die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften der Beitrittsländer in die Vorbereitung der Erweiterung einbezogen werden und sich so über die Auswirkungen des Beitritts zur Europäischen Union auf die lokale und regionale Ebene bewusst werden;

2.2. ist der Ansicht, dass ein Mangel an Information und Diskussion ein idealer Nährboden für Angst vor dem Unbekannten und für Fremdenfeindlichkeit ist. Ein so von Angst und Misstrauen geprägtes Klima kann die Erweiterung zum Scheitern bringen. Dem Ausschuss der Regionen ist die Information der Bürger in den Mitgliedstaaten daher ein besonderes Anliegen;

2.3. stellt fest, dass die Erweiterung sich auch auf die Ausgabenpolitik der Gemeinschaft auswirken wird, vor allem im Bereich der Strukturfonds. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass an den in Berlin für den Zeitraum bis 2006 vereinbarten Ausgabenobergrenzen festgehalten und dieser Rahmen unter der Annahme angepasst werden sollte, dass 2004 zehn neue Mitgliedstaaten beitreten;

2.4. hält es für sehr wichtig, dass in diesem Fall die Anpassungen des allgemeinen Finanzrahmens überprüft werden, um sicherzustellen, dass es weder in den jetzigen noch in den künftigen Mitgliedstaaten zu unverhältnismäßig negativen Auswirkungen für die Regionen kommt;

2.5. hält eine Weiterentwicklung der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik für erforderlich, die die Rolle der Landwirtschaft für die Erhaltung der Wirtschaft im ländlichen Raum berücksichtigt und besonders den Schwierigkeiten der Landwirte in Regionen mit natürlichen Nachteilen Rechnung trägt und gleichzeitig nachhaltige, umweltfreundliche landwirtschaftliche Praktiken fördert;

2.6. erkennt an, dass die Förderung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts ein wichtiges Element für den Erfolg der europäischen Integration darstellt. Die Erweiterung auf die geplante Mitgliederzahl würde eine im Zuge der Erweiterungen beispiellose Verschärfung des regionalen und territorialen Gefälles bedeuten. Den Bedürfnissen der neuen Mitgliedstaaten und denen der jetzigen Mitgliedstaaten, die die EU-Standards noch nicht erreicht haben, ist ausgewogen Rechnung zu tragen;

2.7. weist ferner darauf hin, dass bei jeder Reform bzw. Vertiefung der Ziele von Strukturmaßnahmen und der dafür anzuwendenden Verfahren alle Beitrittsländer zu berücksichtigen sind, ohne dabei die Strukturprobleme in den derzeitigen Mitgliedstaaten der Union zu vergessen; hierbei sind auch die Förderung des ländlichen Raums und die Städteproblematik zu beachten;

2.8. macht auf die Bedeutung einer stärkeren Dezentralisierung der Regionalpolitik aufmerksam, wobei das Ziel verfolgt werden sollte, auf lokaler und regionaler Ebene die Rolle des Partnerschaftsprinzips und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ebenen und den gesellschaftlichen Akteuren zu stärken. Der Ausschuss verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Partnerschaften auf lokaler und regionaler Ebene und mit lokalen und regionalen Akteuren eine ausschlaggebende Bedeutung für den Erfolg der regionalen Entwicklungsstrategien haben;

2.9. weist schließlich erneut auf die Bedeutung der grenzüberschreitenden, interterritorialen und transnationalen Zusammenarbeit zwischen den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften der jetzigen Mitgliedstaaten, der Beitrittsländer und von Drittländern für die weitere Integration und die Stärkung des wirtschaftlichen Zusammenhalts hin;

2.10. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung an den Vorsitz des Rates der Europäischen Union, die Mitglieder des Europäischen Rates, die Präsidenten des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission sowie den Vorsitzenden des Europäischen Konvents weiterzuleiten.

Brüssel, den 21. November 2002.

Der Präsident

des Ausschusses der Regionen

Albert Bore