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Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Umwelthaftung betreffend die Vermeidung von Umweltschäden und die Sanierung der Umwelt" (KOM(2002) 17 endg. — 2001/0021 (COD))

Amtsblatt Nr. C 241 vom 07/10/2002 S. 0162 - 0167


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Umwelthaftung betreffend die Vermeidung von Umweltschäden und die Sanierung der Umwelt"

(KOM(2002) 17 endg. - 2001/0021 (COD))

(2002/C 241/31)

Der Rat beschloss am 6. März 2002, den Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten Vorschlag zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 21. Juni 2002 an. Berichterstatterin war frau Sánchez Miguel.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 392. Plenartagung (Sitzung vom 18. Juli 2002) mit 63 gegen 3 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Nachdem zwischen der Vorlage des Grünbuchs(1) und des Weißbuchs(2) relativ viel Zeit verstrichen war, hat die Kommission nun einen Richtlinienvorschlag zur Umwelthaftung veröffentlicht, in dem eine Gemeinschaftsregelung zur Vermeidung von Umweltschäden und zur Sanierung der Umwelt aufgestellt wird. Gleichzeitig soll damit die Einleitung der Maßnahmen beginnen, die im 6. Umweltaktionsprogramm(3) geplant sind und u. a. auf die Umsetzung des Verursacherprinzips abstellen.

1.2. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Beeinträchtigung der biologischen Vielfalt beschleunigt, wie auch in dem Vorschlag für eine Gemeinschaftsstrategie für nachhaltige Entwicklung(4) festgehalten wurde, wobei die Zerstörung der biologischen Vielfalt darin als eine der größten künftigen Umweltbedrohungen bezeichnet wurde. Die wichtigsten Rechtsvorschriften(5) zum Schutz dieser Vielfalt konnten u. a. aufgrund fehlender Bestimmungen zur Umwelthaftung nicht die erhoffte Wirkung zeitigen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften betreffend die Vermeidung und Behebung von Umweltschäden und zur Durchsetzung des Verursacherprinzips.

1.3. Ungeachtet der Anerkennung dieser Notwendigkeit waren bei der Ausarbeitung dieses Richtlinienvorschlags erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, da sehr entgegengesetzte Interessen miteinander vereinbart werden mussten; zum einen die allgemeinen Umweltschutzanliegen, zum anderen die Einzelinteressen der wirtschaftlichen Akteure und auch der Behörden; doch auch wenn alle Interessen anerkanntermaßen legitim sind, muss ein für allemal die Verantwortung eines jeden in seinem Tätigkeitsfeld und Zuständigkeitsbereich festgeschrieben werden.

1.4. In den Mitgliedstaaten wird derzeit eine Vielfalt an unterschiedlichen Rechtsvorschriften angewendet. Dies kann zu Wettbewerbsverzerrungen führen, und deshalb ist eine Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene angebracht, denn die nationalen Rechtsvorschriften gewährleisten nicht immer eine Sanierung der betreffenden Umweltschäden, die jedoch eines der wesentlichen Ziele dieses Vorschlags ist. Es lassen sich auch noch weitere Argumente ins Feld führen - beispielsweise können Umweltschäden grenzüberschreitende Gebiete betreffen, sodass unterschiedliche Rechtsvorschriften zur Anwendung kämen bzw. es im Extremfall vielleicht gar keine anwendbare Rechtsvorschrift gäbe.

1.5. Die Kommission hat versucht, in ihrem Vorschlag alle Interessen angemessen zu berücksichtigen und mit den Zielsetzungen des 6. Umweltaktionsprogramms, den übrigen Umweltrechtsvorschriften sowie dem jeweiligen wirtschaftlichen und sozialen Kontext zu vereinbaren.

1.6. Vorwegzunehmen wäre auch, dass Schäden im herkömmlichen Sinn (Personen- und Sachschäden) von dem Vorschlag nicht erfasst werden, da diese über die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften betreffend die zivile Haftpflicht geregelt werden.

1.7. Auch die Haftung in Bezug auf genetisch veränderte Organismen im Zusammenhang mit der biologischen Vielfalt im Allgemeinen und der öffentlichen Gesundheit ist nicht Teil dieses Vorschlags; in der Begründung wird auf die Produkthaftungsrichtlinie(6) verwiesen, die jedoch in ihrer erweiterten Fassung nur die Haftung für Schäden an unverarbeiteten Erzeugnissen mit einbezieht und somit in Anbetracht der Entwicklung der Debatte und der Verordnungen über GVO(7) nicht als geeignetes Instrument erscheint.

2. Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.1. Der Richtlinienvorschlag stützt sich auf Artikel 175 Absatz 1 EGV, da er umweltpolitische Ziele verfolgt und die Erhaltung, den Schutz und die Verbesserung der Umweltqualität anstrebt.

2.2. Mit dem Vorschlag soll ein Ordnungsrahmen für die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden errichtet werden, der auf folgenden Voraussetzungen beruht:

- Umweltschäden beziehen sich auf die biologische Vielfalt, Gewässer (Gegenstand der Wasserrahmenrichtlinie(8) sowie auf die Bodenverschmutzung. Gemäß dem Verursacherprinzip muss der Betreiber, der einen Umweltschaden verursacht oder dem ein solcher Schaden unmittelbar droht, die Kosten der Wiederherstellungsmaßnahmen tragen. Allerdings werden in Artikel 9 eine Reihe Ausnahmeregelungen vorgesehen, die den Betreiber seiner Verantwortung entheben.

- Unter diese Ausnahmeregelungen fallen Schäden infolge von Tätigkeiten, die zum Zeitpunkt ihrer Ausübung den Zulassungskriterien entsprechen bzw. nach dem Stand der Technik nicht als schädlich gelten.

- Geeignete Maßnahmen können von qualifizierten Rechtspersonen und Personen mit einem ausreichenden Interesse eingefordert werden, da an Umweltgütern (vor allem der biologischen Vielfalt und Gewässern) normalerweise kein Eigentumsrecht besteht.

- Grenzübergreifende Schäden werden im Sinn einer Zusammenarbeit zwischen den zuständigen einzelstaatlichen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten so geregelt, dass die Behebung des Schadens in Zusammenarbeit mit dem haftbaren Betreiber gewährleistet wird.

- Für die Durchführung der Sanierungsmaßnahmen sind zwei Möglichkeiten vorgesehen; entweder muss der Betreiber die notwendigen Sanierungsmaßnahmen ergreifen und finanzieren, oder die zuständige Behörde kann diese Maßnahmen von einem Dritten durchführen lassen und die Sanierungskosten von dem haftenden Betreiber wieder eintreiben. Auch eine Kombination beider Lösungen ist im Interesse einer wirksamen Sanierung möglich.

- Durch Einrichtung einer Deckungsvorsorge kann vermieden werden, dass die Schäden wegen Zahlungsunfähigkeit der Betreiber nicht behoben werden.

- Von der Richtlinie ausgenommen werden Umweltschäden, die auf Tätigkeiten zurückzuführen sind, die die Zulassungs-/Genehmigungskriterien erfuellen bzw. dem aktuellen Stand der Technik entsprechen.

- Die Ausnahmeregeln kommen nicht zur Anwendung, wenn der Betreiber fahrlässig gehandelt hat; allerdings können die Voraussetzungen zur Anwendung der Ausnahmeregeln durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften an innerstaatliches Recht angepasst werden.

- Die Richtlinie ist nicht rückwirkend, und es gibt eine Verjährungsfrist für die Haftung.

- In einem Folgenabschätzungsbogen werden die wesentlichen Aspekte der Effizienz, des Nutzens und der Kosten, der Kostenverteilung nach Wirtschaftsbeteiligten, die erwarteten Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit, die Auswirkung auf die Verhütung, die finanzielle Absicherung der Haftpflicht und die Einschätzung des Schadens an natürlichen Ressourcen erörtert.

2.3. Vom Geltungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie sind einige wichtige, potentiell umweltschädliche Aspekte weitgehend ausgeschlossen, u. a. Schäden durch radioaktive Verseuchung, Ölverschmutzung und infolge der Verbringung gefährlicher Stoffe. Da die meisten Mitgliedstaaten den bestehenden internationalen Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung auf diesen Gebieten beigetreten sind, besteht nach Ansicht der Kommission - zumindest derzeit - kein Handlungsbedarf im Rahmen der vorgeschlagenen Richtlinie.

2.4. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Vorschlag aufgrund der rechtlichen Komplexität des Bereichs und der Ausnahmeregelungen Schwierigkeiten bereitet. Es sollten Formulierungen gewählt werden, die für jeden Betroffenen verständlich sind.

3. Bemerkungen

3.1. Der EWSA begrüßt die Umwelthaftungsregelung, die objektiv angelegt ist und zum Ziel hat, unter Anwendung des Verursacherprinzips Umweltschäden zu vermeiden bzw. den Ausgangszustand wiederherzustellen. Der Ausschuss bewertet die vorgeschlagene Regelung als positiv, ist jedoch der Auffassung, dass angesichts der unvollständigen Durchführung vieler Umweltschutzrichtlinien seitens der Mitgliedstaaten Überlegungen im Sinne seiner früheren Stellungnahmen angestellt werden müssen, um die neue Regelung inhaltlich zu verbessern, insbesondere im Hinblick auf diejenigen Aspekte, in denen die Umweltschutzorganisationen und die Betreiber bezüglich Geltungsbereich und Haftung der öffentlichen und privaten Betreiber unterschiedliche Positionen beziehen.

3.2. Die neue Richtlinie soll jedoch nur auf diejenigen Schäden angewendet werden, die durch die Nichterfuellung der geltenden, in Anhang I aufgeführten Umweltrechtsvorschriften verursacht werden(9). Auch die Einbeziehung der Beschädigung der biologischen Vielfalt erweist sich als problematisch, da sie sich auf die vom Netz NATURA 2000, die Habitat- und die Vogelschutzrichtlinien erfassten Schutzgebiete bezieht, ohne dass dies notwendigerweise alle Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung beinhaltet (tatsächlich betrifft der Vorschlag weniger als 20 % des Territoriums und der Küstengebiete der EU). Die Kommission sollte diesbezüglich die Mitgliedstaaten dazu anhalten, die entsprechenden Verpflichtungen durch die Richtlinie 92/43/EWG(10) zu erfuellen.

3.2.1. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Regelung über Umwelthaftung sich nicht auf bestehende internationale Übereinkommen stützt, da diese Übereinkommen zum einen bei vielen der jüngsten Umweltkatastrophen in der Europäischen Union ihre Unzulänglichkeit bewiesen haben und zu anderen viele dieser sektorbezogenen(11) Vereinbarungen entweder noch gar nicht in Kraft getreten sind oder von der Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten noch nicht ratifiziert worden sind.

3.2.2. Die Kommission sollte erwägen, die internationalen Übereinkommen, die sich im Zusammenhang mit Umweltschäden in der EU als unzureichend erwiesen haben, durch eine Gemeinschaftsinitiative, möglicherweise im Rahmen dieses Richtlinienvorschlags, zu ergänzen.

3.3. Besonders große Bedeutung kommt den Begriffsbestimmungen in Artikel 2 zu. Durch genaue inhaltliche Festlegungen kann vermieden werden, dass bei der Durchführung der Rechtsvorschriften Zweifel aufkommen bzw. den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung zu viel Ermessensspielraum bleibt. In diesem Sinne sollten einige Begriffsbestimmungen noch deutlicher formuliert werden:

3.3.1. Die auf die Habitat- und Vogelrichtlinien 79/409/EWG und 92/43/EWG gestützte Definition der biologischen Vielfalt ist als Ansatz relativ begrenzt. Die meisten der konsultierten Vereinigungen befürworten daher auch eine Erweiterung des Begriffs auf nicht geschützte Gebiete, wenn Schäden zu schwerwiegenden Veränderungen eines solchen Gebiets führen bzw. die Gesundheit der Einwohner dieses Gebiets gefährden(12).

3.3.1.1. Bei der Definition der biologischen Vielfalt sollten ebenfalls die kurz- und langfristigen Auswirkungen des Einsatzes von GMO berücksichtigt werden.

3.3.2. Eine "qualifizierte Einrichtung" sind die Personen oder Einrichtungen, die aufgrund ihres Umweltinteresses an der Durchsetzung der Umwelthaftung zu beteiligen sind. Die Anerkennung dieser Einrichtungen wird nach Ansicht des EWSA in zweifacher Hinsicht begrenzt:

- die Mitgliedstaaten legen in den nationalen Rechtsvorschriften die Kriterien für die Anerkennung fest;

- es werden nur Einrichtungen anerkannt, deren Ziel im Umweltschutz besteht.

3.3.2.1. Es ist ohnehin davon auszugehen, dass die Organisationen in den hinsichtlich des Umweltschutzes rückständigen Ländern aufgrund der kulturellen Unterschiede schlechter gestellt sein werden, doch schließt diese Definition auch diejenigen Organisationen aus, die sich für Umweltschutzbelange einsetzen können, auch wenn ihr eigentliches Ziel nicht darin besteht, wie beispielsweise Gewerkschaften und Unternehmensverbände, die dennoch eine wichtige Rolle bei der Vermeidung von Umweltschäden spielen können.

3.3.3. Umweltschaden umfasst drei Kategorien:

- Schaden betreffend die biologische Vielfalt

- Schaden an Gewässern

- Flächenschaden.

3.3.3.1. Die Schäden an Gewässern werden in der Richtlinie 2000/60/EG hinreichend definiert, für die Schäden betreffend die biologische Vielfalt und die Flächenschäden liegt jedoch keine entsprechende Definition vor(13). Die Schadensbegriffe sollten daher genau abgegrenzt werden.

3.4. Eines der wichtigsten Ziele dieses Vorschlags besteht in der Vermeidung von Umweltschäden, wobei der zuständigen Behörde eine wichtige Rolle zukommt. Ein vom EWSA bereits in zahlreichen Stellungnahmen angeprangertes Problem ergibt sich diesbezüglich aus der komplizierten Verwaltungsstruktur der meisten EU-Mitgliedstaaten; die Zuständigkeit mehrerer und teilweise stark dezentralisierter Behörden ist einer wirksamen Vermeidung nicht eben zuträglich.

3.4.1. Eine wirksame Vermeidungspolitik im Rahmen der Richtlinie setzt Folgendes voraus:

- Erstens müssen die Mitgliedstaaten die Zuständigkeiten der verschiedenen Behörden für Umweltbelange klar und deutlich voneinander abgrenzen, um Überschneidungen und Doppelarbeit zu vermeiden;

- Zweitens muss neben den Bestimmungen für das behördliche Eingreifen auch das Verfahren für die Erstattung der Kosten der von der Behörde durchgeführten Vermeidungsmaßnahmen festgelegt werden, da sonst die Umwelthaftung auf die Gesellschaft abgewälzt wird;

- Drittens ist sich der EWSA über die Notwendigkeit von Bestimmungen betreffend die Kostenerstattung für behördlich durchgeführte Sanierungs- und Vorsorgemaßnahmen im Klaren. Zwar ist Artikel 7 wichtig, doch wäre es angebrachter, den Schwerpunkt dabei verstärkt auf die mit der Erfuellung der in der Richtlinie vorgesehenen Aufgaben beauftragte Behörde (Artikel 13) zu legen.

3.5. Für die Kostenanlastung im Falle mehrerer Verursacher ist ein zweifaches System vorgesehen: gesamtschuldnerische Haftung oder Teilhaftung. Zwar soll dieses Doppelsystem die Anpassung an die innerstaatlichen Rechtsvorschriften erleichtern, doch ist die Abgrenzung einer Teilhaftung schwierig - und deshalb auch die praktische Anwendung dieses Systems.

3.5.1. Die gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Verursacher vereinfacht die Haftpflicht insofern, als nicht jedem einzelnen die Schuld nachgewiesen werden muss; bei der Teilhaftung dagegen muss die jeweilige Teilschuld der einzelnen Verursacher festgestellt werden. Der Ausschuss befürwortet grundsätzlich die Anwendung der gesamtschuldnerischen Haftung, da sie das Verfahren erleichtert, doch sollte die Wahl entsprechend den Umständen des Einzelfalles den Mitgliedstaaten überlassen bleiben.

3.6. Die Benennung der zuständigen Behörde ist nicht ganz eindeutig. Zwar können in den Mitgliedstaaten je nach ihrer territorialen Struktur verschiedene Einrichtungen zuständig sein, doch fällt die Haftpflicht in den Zuständigkeitsbereich der Justizbehörden, die nicht unbedingt auf Umweltbelange spezialisiert sind.

3.7. Die Einführung einer Deckungsvorsorge zur Verbesserung der Wirksamkeit der Richtlinie entspricht einer der Forderungen, die der EWSA in seiner Stellungnahme zum Weißbuch aufstellte; allerdings kann die Wirkung dieses Vorschlags dadurch unterlaufen werden, dass der Abschluss einer Umweltversicherung für die Betreiber, die Tätigkeiten im Rahmen der in Anhang I aufgelisteten Richtlinien ausüben, gemäß Artikel 16 in seiner jetzigen Form nicht verpflichtend ist.

4. Änderungsvorschläge

4.1. Da es sich bei dieser Richtlinie um eine grundlegende bzw. Mindestnorm handelt, muss die Kommission stärker als bei jedem anderen Rechtsakt um Klarheit und Genauigkeit bemüht sein: Ziel der Richtlinie ist nämlich nicht nur die Einhaltung der in Anhang I aufgeführten geltenden Umweltrechtsvorschriften, sondern auch die Vermeidung und Behebung von Umweltschäden auf dem Gebiet der Europäischen Union. Um eine einheitliche Anwendung zu erreichen, müssen die Begriffsbestimmungen in Artikel 2 überarbeitet werden.

4.2. Zu den wichtigsten Neuerungen des Richtlinienvorschlags zählt die Sanierung der Umweltschäden. Die geltenden Rechtsvorschriften sehen nur Verwaltungssanktionen in Form von Geldstrafen vor. Die Behebung von Umweltschäden obliegt zwar dem Verursacher, doch kann die zuständige Behörde tätig werden, falls der Verursacher nicht zu ermitteln ist. Diese Ersatzvornahme wirft folgende Probleme auf:

4.2.1. Das in Anhang II vorgesehene Sanierungsverfahren gibt verschiedene Sanierungsoptionen vor und legt Kriterien fest, anhand derer die zuständige Behörde die angemessene Option für die Durchführung des Verfahrens auswählen soll. Nach Auffassung des Ausschusses sollte vermieden werden, dass nur ein einziges Kriterium herangezogen wird (insbesondere das der geringsten Kosten). Es ist jedoch immer das Kriterium der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands vor Auftreten des Umweltschadens zu berücksichtigen.

4.2.2. Die Erstattung der Kosten für die Sanierung, falls diese von der zuständigen Behörde durchgeführt wird, muss einer der wichtigsten Grundsätze für das Haftungssystem sein - andernfalls tragen die Bürger die Kostenlast.

4.2.2.1. Unter der in Artikel 9 Absatz 3 Buchstabe b) definierten Bedingung wäre es gleichwohl denkbar, dass die Sanierungskosten von der Behörde und dem Betreiber getragen werden, falls letzterer schuldhaft gehandelt hat.

4.3. Die Bestimmung der zuständigen Behörde ist Aufgabe der Mitgliedstaaten. Diese Tatsache kann sich in besonderer Weise auf die Harmonisierung in der Gemeinschaft auswirken. Deshalb vertritt der Ausschuss folgende Positionen:

- Die Bestimmung der zuständigen Behörde obliegt den Mitgliedstaaten gemäß den nationalen Kompetenzvorschriften.

- Gibt es unterschiedliche Kompetenzebenen, müssen die Zuständigkeiten der einzelnen Behörden eindeutig geregelt werden, um Überschneidungen und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

- Nicht in allen Ländern der Europäischen Union fallen Haftungsklagen in den Zuständigkeitsbereich der Zivilgerichte; teilweise sind Verwaltungsbehörden zuständig, was bedeutet, dass Verwaltungsstreitverfahren eingeleitet werden, die im allgemeinen zeitaufwendig und kompliziert sind. Da die Zivilgerichte in der EU bereits in Produkthaftungsverfahren bewandert sind, sollten sie nach Auffassung des Ausschusses auch zu den für die Umwelthaftung zuständigen Behörden benannt werden.

4.4. Nach Auffassung des Ausschusses kann die Tatsache, dass die Deckungsvorsorge nicht verpflichtend ist, dazu führen, dass im Falle der Insolvenz eines Betreibers die entsprechenden Sanierungsmaßnahmen unterbleiben. Die Kommission sollte für die Definition der betreffenden Risiken sorgen, damit die Versicherer die erforderlichen Versicherungspolicen anbieten. Sinnvoll wäre auch die Errichtung nationaler oder regionaler Fonds, in die die Einnahmen durch die von den zuständigen Behörden verhängten finanziellen Sanktionen einfließen. Auf diese Weise würden die Sanktionen ihren Zweck der Sanierung der Umwelt erfuellen.

4.5. Im Zusammenhang mit der Tatsache, dass die Verordnung nicht rückwirkend ist, stellt sich das Problem der Erstattung der Kosten für die Beseitigung von Schäden, die zu einem früheren, weit zurückliegenden Zeitpunkt entstanden sind. Es ist zu unterstreichen, dass gemäß Artikel 19 Absatz 2 die Feststellung des aktuellen Bezugs eines Umweltschadens davon abhängt, ob der Betreiber, der den Schaden verursacht hat, nachweisen kann, dass de Schaden bereits vor dem Inkrafttreten der Richtlinie verursacht wurde und daher nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt.

4.6. Schließlich ist die Bedeutung der in Artikel 20 aufgeführten Berichte und des von den Mitgliedstaaten zu erarbeitenden Anhangs III hervorzuheben. Innerhalb von fünf Jahren soll Folgendes bewertet werden:

- die tatsächliche Anwendung,

- die Notwendigkeit einer Änderung der Bestimmungen des Rechtsaktes (wodurch der derzeitige Inhalt des Vorschlags einen vorläufigen Charakter erhält),

- die Änderung von Anhang I, die sich in diesem Zeitraum aus der Anwendung der Richtlinie ergibt.

Brüssel, den 18. Juli 2002.

Der Präsident

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Göke Frerichs

(1) Grünbuch der Kommission aus dem Jahr 1993 (KOM(93) 47 endg.). Stellungnahme CES 226/94 (ABl. C 133 vom 15.5.1994).

(2) Weißbuch der Kommission aus dem Jahr 2000 (KOM(2000) 66 endg.). Stellungnahme CES 803/2000 (ABl. C 268 vom 19.9.2000).

(3) Stellungnahme CES 711/2001 (ABl. C 221 vom 7.8.2001).

(4) Vorschlag für eine Gemeinschaftsstrategie für nachhaltige Entwicklung der Europäischen Kommission vom 15.5.2001.

(5) Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206 vom 22.7.1992) und Richtlinie 79/409/EWG des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. L 103 vom 25.4.1979).

(6) Richtlinie 85/374/EWG, geändert durch 99/34/EG (ABl. L 141 vom 4.6.1999).

(7) CES 358/2000 (ABl. C 125 vom 27.5.2000) und CES 694/2002 vom 30.5.2002.

(8) Richtlinie 2060/EG Wasserrahmenrichtlinie (ABl. L 327 vom 22.12.2000).

(9) In Anhang I werden 18 Richtlinien aufgelistet, die sich auf Beschädigungen von Gewässern oder Boden sowie auf Umweltschäden durch die Anwendung von GMO in geschlossenen Systemen und die absichtliche Freisetzung von GMO beziehen.

(10) ABl. L 176 vom 20.7.1993.

(11) Es gibt ein sektorales Instrument, das bereits unterzeichnet worden, jedoch noch nicht in Kraft getreten ist: Das Basler Protokoll von 1999 über Haftung und Entschädigungsleistungen bei Schäden aufgrund der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung. Weitere Initiativen sind geplant bzw. werden derzeit erarbeitet: die Möglichkeit einer gemeinsamen Haftung im Einklang mit dem Übereinkommen von Helsinki von 1992 über die grenzüberschreitenden Auswirkungen von Industrieunfällen und dem Übereinkommen von Helsinki von 1992 zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen (Wasserschutzübereinkommen) und ein oder mehrere Instrumente betreffend die Haftung (mittelfristig) im Einklang mit dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt und dem Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit. Es gibt nur ein einziges sektorübergreifendes Instrument, und zwar das Lugano-Übereinkommen von 1993 für zivilrechtliche Haftung für Schäden durch umweltgefährdende Tätigkeiten, das allerdings noch nicht in Kraft getreten ist und dem die EU in absehbarer Zeit wohl auch nicht beitreten wird.

(12) Auf der Tagung des Europäischen Rats von Barcelona am 15. und 16. März 2002 wurde die Strategie für nachhaltige Entwicklung im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Umweltrats vom 4. März 2000 vorgelegt. Unter den zukünftigen Prioritäten bei der Durchführung dieser Strategie wird in Absatz 38 die "volle Einbeziehung der Belange des Schutzes und der Erhaltung der biologischen Vielfalt in allen einschlägigen Sektoren und bei allen Tätigkeiten" und "Maßnahmen zu dessen [des Netzes NATURA 2000] voller Umsetzung und zum Schutz - neben den Bereichen von NATURA 2000 - von Arten, die im Sinne der Habitat - und der Vogelrichtlinie geschützt sind" genannt.

(13) Mitteilung vom 16.4.2002: "Hin zu einer spezifischen Bodenschutzstrategie" (KOM(2002) 179 endg.).

ANHANG

zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Der folgende Änderungsantrag, der mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigte, wurde im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

Ziffer 3.3.1

Dieser Punkt müsste folgendermaßen lauten:

Die auf die Habitat- und Vogelrichtlinien 79/409/EWG und 92/43/EWG gestützte Definition der biologischen Vielfalt ist als Ansatz relativ neu. Bevor eine Erweiterung des Begriffs auf nicht geschützte Gebiete erfolgt, sollte Erfahrung mit dem Kommissionsvorschlag gesammelt werden.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 19, Nein-Stimmen: 37, Stimmenthaltungen: 0.

Folgender Wortlaut der Stellungnahme der Fachgruppe wurde vom Plenum zugunsten des angenommenen Änderungsantrags abgelehnt, erhielt aber mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen:

Ziffer 4.2

Absatz streichen.

("Die Kernenergie ist im Gegensatz zu Kohlenwasserstoffen und erneuerbaren Energieträgern vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen und erfährt somit eine Vorzugsbehandlung. Die bestehenden Übereinkommen für die Atomindustrie schließen Umweltschäden nicht ein und sehen in anderen Fällen nur äußerst geringe Entschädigungsleistungen vor, die nicht die wirklichen Kosten decken. Der Ausschuss empfiehlt deshalb die Streichung von Artikel 3 Absatz 4, der den Ausschluss der Kernenergie vorsieht.")

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 29, Nein-Stimmen: 27, Stimmenthaltungen: 4.