52001DC0531

Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europaïschen Union /* KOM/2001/0531 endg. */


GRÜNBUCH zum Verbraucherschutz in der Europaïschen Union

(von der Kommission vorgelegt)

1. Konsultierung zum Verbraucherschutz in der EU

Mit diesem Grünbuch soll eine breit angelegte Konsultierung der Öffentlichkeit zur künftigen Ausrichtung des Verbraucherschutzes in der EU in Gang gesetzt werden. Als Anregungen für eine fundierte Debatte enthält das Grünbuch eine Analyse der derzeitigen Lage und zeigt es verschiedene Optionen zur künftigen Vorgehensweise auf.

Die Kommission ersucht die interessierten Kreise um Stellungnahme bis zum 15. Januar 2002. Erbeten sind Stellungnahmen zu sämtlichen in diesem Papier behandelten Themen, insbesondere aber zu folgenden Fragestellungen:

* Welche wesentlichen Hindernisse stellen sich den Verbrauchern und der Wirtschaft infolge unterschiedlicher nationaler Regelungen in Sachen lauterer/guter Geschäftspraktiken im Bereich Werbung und Praktiken im Zusammenhang mit den vorvertraglichen und vertraglichen Aspekten sowie Faktoren nach erfolgtem Vertragsabschluss im B2C-Bereich*

* Können Sie der Tatsache zustimmen, dass Bedarf für eine Reform des Verbraucherschutzes im Binnenmarkt besteht*

* Sollte eine Reform auf der Grundlage des bestehenden spezifischen Ansatzes erfolgen oder nach dem im Folgenden skizzierten kombinierten Ansatz*

* Welche Folgen dürften die beiden Ansätze, gemessen an den jeweiligen Kosten und -Nutzen, für die Verbraucher und für die Wirtschaft verursachen*

Falls der spezifische Ansatz verfolgt werden soll:

* Welches wären die Prioritäten für eine Harmonisierung*

Falls der kombinierte Ansatz verfolgt werden soll:

* Welches wären dann die Schlüsselelemente einer Generalklausel, die allgemeinen Prüfungen und die Kernprinzipien einer Regulierung der Geschäftspraktiken*

* Was wäre besser: eine Rahmenrichtlinie mit einer Generalklausel, die auf dem Grundsatz lauterer Geschäftspraktiken fußt, oder eine Rahmenrichtlinie, die lediglich von irreführenden und täuschenden Praktiken ausgeht* Welcher Ansatz wäre eher realisierbar* Mit welchem Ansatz dürfte der Problemstellung der Fragmentierung im Binnenmarkt eher nachgegangen werden können*

* Wäre es zweckmäßig, in einer Rahmenrichtlinie eine Grundlage zur Selbstregulierung vorzusehen* Wenn ja, welches wären die Schlüsselelemente für die jeweiligen Optionen und welches die Kriterien für eine solche Einbeziehung in eine Rahmenrichtlinie*

* Wäre es von Nutzen, nicht bindende praktische Leitlinien zu entwickeln* Sollte diese Art der Orientierung vorzugsweise in Form von Empfehlungen der Kommission erfolgen oder mit Hilfe einer als Anhalt dienenden Auflistung zulässiger bzw. unerlaubter Vorgehensweisen im Anhang zur Richtlinie*

* Sollte für die Erarbeitung nicht bindender rechtlicher Leitlinien eine Stakeholder-Partizipierung vorgesehen werden*

* Wird ein Rechtsrahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung von Verbraucherschutz zuständigen Behörden benötigt*

* Welches wären die Schlüsselelemente eines solchen Rechtsrahmens*

Reichen Sie Ihre Stellungnahmen (unter dem Kennwort "Grünbuch zur Verbraucherpolitik in der EU" bitte bei folgender Stelle ein:

Europäische Kommission Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz F101 06/52 Rue de la Loi 200 B-1049 Brüssel

Oder per E-Mail an folgende Adresse: consultsanco@cec.eu.int

Im Übrigen beabsichtigt die Kommission ein Hearing für interessierte Kreise zu veranstalten sowie eine Anhörung der nationalen Behörden durchzuführen.

2. Verbraucherschutz im Binnenmarkt

2.1 Einleitung

Damit der Binnenmarkt von Nutzen für die Verbraucher sein kann, müssen diese leicht Zugang zu den grenzübergreifend angebotenen und verkauften Waren und Dienstleistungen haben. Genau diese grenzübergreifende Dimension des Waren- und Dienstleistungsverkehrs ermöglicht es den Verbrauchern, von den günstigsten Angeboten zu profitieren und sich innovative Produkte und Dienstleistungen zu erschließen, wodurch gewährleistet wird, dass sie die bestmöglichen Kaufentscheidungen treffen können. Diese grenzübergreifende Nachfrage verstärkt den Wettbewerbsdruck im Binnenmarkt und schafft die Voraussetzungen für eine effizientere Versorgung mit Waren und Dienstleistungen zu wettbewerbsfähigeren Kosten. Zustandekommen kann dieser "circulus virtuosus" nur, wenn der bestehende Regelungsrahmen die Verbraucher und die Wirtschaft dazu ermutigt, im grenzübergreifenden Handel aktiv zu werden. Beeinträchtigt aber wird diese Entwicklung u. U. durch die divergierenden nationalen Rechtsvorschriften über Geschäftspraktiken im B2C-Bereich.

Verbraucherschutz (im Sinne einer Regulierung der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher, mit Ausnahme der Bereiche Gesundheit und Sicherheit und anderen Angelegenheiten die damit in Verbindung stehen) ist seit über 25 Jahren eine EU-Anliegen. So sind in Artikel 153 EG-Vertrag bestimmte Verbraucherrechte, nämlich das Recht auf Information, Erziehung und Wahrung der Verbraucherinteressen, verankert. Näher ausgestaltet worden sind diese Rechte zum Teil durch die Verbraucherschutzrichtlinien, die in der Regel auf den Binnenmarktbestimmungen und auf Artikel 95 (ex-Artikel 100A) des EG-Vertrag fußen. Andere EU-Richtlinien wiederum, deren primärerer Zweck nicht im Verbraucherschutz liegt, wirken sich ebenfalls unmittelbar auf den Bereich Verbraucherschutz aus. Auch die nationalen Regelungen und die nationale Rechtssprechung beeinflussen den Verbraucherschutz im Binnenmarkt.

Allerdings stellt sich für den Verbraucherschutz im Binnenmarkt das Problem der Vielzahl disparater Regelungen sowie eines fragmentierten Maßnahmenvollzugs. Verstärkt wird die Gefahr einer noch weiteren Fragmentierung des Binnenmarkts - und, damit verbunden, zusätzlicher Probleme bei der Durchsetzung der Regelungen - durch die in Aussicht stehende EU-Erweiterung. Die Einführung des Euro als Banknoten und Münzen Anfang Januar 2002 bietet eine vorzügliche Chance, die Ausgestaltung des Binnenmarkts für die Verbraucher voranzutreiben. Wird diese Chance allerdings vertan, dann wird der Bürger sich des Eindrucks nichts erwehren können, dass das zentrale Unterfangen der EU, nämlich die Vollendung des Binnenmarkts, für seinen Alltag irrelevant ist und nichts weiteres ist als ein Vorhaben, dass den alleinigen Interessen der Wirtschaft dient. Ziel der Verbraucherpolitik indes ist es, ein Regelungssystem zustande zu bringen, das dergestalt beschaffen ist, dass es

* ein möglichst hohes Verbraucherschutzniveau gewährleistet und das bei geringstmöglichem Kostenaufwand für die Wirtschaft;

* möglichst unkompliziert ist, aber dennoch hinreichend flexibel, um rasch auf das Marktgeschehen reagieren zu können, und gleichzeitig die betroffenen Stakeholder weitestgehend involviert;

* rechtliche Sicherheit bietet und eine wirksame, effektive Durchsetzung dieses Rechts, insbesondere in grenzübergreifenden Angelegenheiten, gewährleistet.

Im Auftrag der Kommission wurden drei Studien erstellt, [1] die ein ausführliches Bild vom Stand der Verbraucherschutzregelungen auf nationaler und auf EU-Ebene zeichnen. In den nachfolgenden Abschnitten werden die Auswirkungen dieser Regelungen global analysiert.

[1] IEWV, Studie über die Realisierbarkeit eines allgemeinen Rechtsrahmens zur Lauterkeit im Handelsverkehr - http://europa.eu.int/comm/consumers; PriceWaterhouseCoopers, Studie über Verbraucherrecht und die Informationsgesellschaft - http://europa.eu.int/comm/consumers und Lex Fori, Studie zur Identifizierung von optimalen Praktiken bei der Anwendung von "soft law" sowie zur Prüfung eines möglichen Einsatzes dieser optimalen Praktiken zugunsten der Verbraucher in der Europäischen Union - http://europa.eu.int/comm/consumers

2.2 Rechtsvorschriften und Rechtsprechung auf EU-Ebene

Die Verbraucherschutzrichtlinien der EU lassen sich in zwei große Kategorien unterteilen: zum einen die Kategorie der Richtlinien, die allgemein Anwendung finden, und zum anderen die Kategorie der Richtlinien und Bestimmungen für spezifische Sektoren oder Absatzmethoden. Einen Mechanismus für die Durchsetzung der Rechtsvorschriften findet sich in der Richtlinie über Unterlassungsklagen. Im nachstehenden Kasten sind die entsprechenden Richtlinien im Überblick aufgeführt.

Verbraucherschutzrichtlinien der EU

Allgemeine Regelungen - Richtlinie über irreführende Werbung [2], geändert durch die Richtlinie über vergleichende Werbung [3]; Richtlinie über Preisangaben; Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen [4]; Richtlinie über Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter [5].

[2] Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung (ABl. L 250 vom 19.9.1984, S. 17).

[3] Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung (ABl. L 290 vom 23.10.1997, S. 18).

[4] Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95 vom 21.4.1993, S. 29).

[5] Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. L 171 vom 7.7.1999, S. 12).

Sektorale Regelungen und Bestimmungen über Verkaufsmethoden - Richtlinien über Lebensmittel [6], Kosmetika [7], Bezeichnungen von Textilerzeugnissen [8], humanmedizinische Produkte [9], Pauschalreisen [10], außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge [11], den Verbraucherkredit [12], Vertragsabschlüsse im Fernabsatz [13], Messgeräte [14] und Timesharing [15].

[6] Richtlinie 95/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. November 1995 zur Änderung der Richtlinie 79/581/EWG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise für Lebensmittel und der Richtlinie 88/314/EWG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise für andere Erzeugnisse als Lebensmittel (ABl. L 299 vom 12.12.1995, S.11).

[7] Richtlinie 76/768/EEC des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel (ABl. L 262 vom 27.9.1976, S.169), geändert durch die Richtlinie 79/661/EWG (ABl. L 192 vom 31.7.1979, S.35), Richtlinie 82/368/EWG (ABl. L 167 vom 15.6.1982, S.1), Richtlinie 83/574/EWG (ABl. L 332 vom 28.11.1983, S.38), Richtlinie 88/667/EWG (ABl. L 382 vom 31.12.1988, S. 46), Richtlinie 89/679/EEG (ABl. L 398 vom 30.12.89, S.25), Richtlinie 93/35/EWG (ABl. L 151 vom 23.6.1993, S.32) und Richtlinie 97/18/EG (ABl. L 114 vom 1.5.1997).

[8] Richtlinie 96/74/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 zur Bezeichnung von Textilerzeugnissen (ABl. L 32 vom 3.2.1997, S.38), geändert durch die Richtlinie 97/37/EG (ABl.L 169 vom 27.6.1997, S.74).

[9] Richtlinie 92/28/EWG des Rates vom 31. März 1992 über die Werbung für Humanarzneimittel (ABl. L 113 vom 30.4.1992. S. 13).

[10] Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13.Juni 1990 über Pauschalreisen einschließlich Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen (ABl. L 158 vom 23.6.1990, S. 59).

[11] Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen - "Haustürgeschäfte" (ABl. L 372 vom 31.12.1985, S. 31).

[12] Richtlinie 87/102/EWG vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (ABl. L 42 vom 12.2.1987, S. 48), geändert durch die Richtlinie 90/88/EWG des Rates vom 22. Februar 1990 (ABl. L 61 vom 10.3.1990, S. 14).; Richtlinie 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 (ABl. L 101 vom 1.4.1998, S. 17).

[13] Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragabschlüssen im Fernabsatz (ABl. L 144 vom 4.6.1997, S. 19).

[14] Richtlinie 90/384/EWG über nichtselbsttätige Waagen, ABl. L. 189 vom 20.7.1990, S.1.

[15] Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien (ABl. L 280 vom 29.10.1994, S. 83).

Durchsetzung - Richtlinie über Unterlassungsklagen [16].

[16] Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 166 vom 11.6.1998, S.51).

Zusätzlich dazu enthalten noch andere EU-Rechtsvorschriften, die nicht primär auf Verbraucherschutz abstellen, bestimmte Verbraucherschutzbestimmungen oder Regelungen hinsichtlich der Kompetenzen nationaler Behörden, Verbraucherschutzbestimmungen zu erlassen. So enthält beispielsweise die E-Commerce-Richtlinie [17] Bestimmungen über Werbung und Marketing an Verbraucher durch Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft. Die "Fernsehen ohne Grenzen" -Richtlinie [18] koordiniert auch bestimmte Aspekte der kommerziellen Kommunikationen in Ausübung der Fernsehtätigkeit. Diese Richtlinie zielt auf ein einheitlich hohes Niveau des Schutzes, der Anwendung des Herkunftslandprinzips ab. Ferner sind allgemeingültige Definitionen und klare Durchsetzungsmassnahmen festgelegt.

[17] Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (,Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr"), ABl. L 178 vom 17.7.2000, S.1).

[18] Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. L 298 vom 17.10.1989, S. 23), geändert durch Richtlinie 97/36/EG.

Außerdem werden im Brüsseler Übereinkommen (heute in eine EU-Verordnung aufgenommen [19]) und im Übereinkommen von Rom [20] die Fragen geregelt, welches nationale Gericht zuständig ist (Jurisdiktion) und welches nationale Recht auf ein vertragliches Schuldverhältnis anzuwenden ist (anwendbares Recht). Des weiteren kann auf einen umfangreichen Fundus von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Vereinbarkeit bestimmter nationaler Verbraucherschutzbestimmungen mit dem Binnenmarkt [21] zurückgegriffen werden.

[19] Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 12 vom 16.1.2001, S.1).

[20] 80/934/EWG: Übereinkommen (von Rom) über das auf vertragliche Schuldverhältnnsse anzuwendende Recht, ABl. L 266 vom 9.10.1980, S. 1.

[21] Zum Beispiel unentgeltliche Zuwendungen (Oosthoek, Rechtssache C-286/81, Slg 1982, S. 475, sklavische Nachahmung (Industrie Diensten Groep gegen Beele Handelmaastschappij BV, Rechtssache C-6/81, Slg 1982, S.707), Verkauf zum Verlustpreis (Keck und Mithouard, Rechtssachen C-267 & 268/91 Slg 1993, I-6097), Parallelimporte (Dansk supermarked gegen Imerco, Rechtssache C-58/80 Slg 1981, S. 181), irreführende Werbung (Pall corp. gegen Dahlhausen, Rechtssache C-283/89, Slg. 1990, I-4827; Verband Sozialer Wettbewerb e.V gegen Clinique Laboratoires SNC und Estée Lauder Cosmetics GmbH, Rechtssache C-315/92 Slg. 1994, I-317; Mars, Rechtssache C-470/93, Slg. 1995, I-923; Europäische Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland ("Sauce Hollandaise"), Rechtssache C-51/94 Slg. 1995, I-3299; Gut Springenheide, Rechtssache C-210/96, Slg. 1998, I-4657, Estée Lauder gegen Lancaster, Rechtssache C-220/98, Slg. nicht berichtet, Preisvergleiche und Abwerbung (GB-INNO-BM Rechtssache C-362/88, Slg. 1990, I-667; Yves Rocher, Rechtssache C-156/91, Slg. 1993,. I-2361), Informationserfordernisse (Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Rechtssache C 207/83, Slg.1985, 1201; Robertson, Rechtssache C-220/81, Slg. 1982, 2349).

Die Verbraucherschutzbestimmungen der EU sind durch folgende wesentliche Merkmale gekennzeichnet:

* Verglichen mit den nationalen Regelungen bieten die bestehenden EU-Verbraucherschutzrichtlinien keinen allumfassenden Regelungsrahmen für Geschäftspraktiken im B2C-Bereich als zentrales Anliegen in Sachen Verbraucherschutz. Wenn auch manche Bereiche sehr wohl durch die Regelungen erfasst sind, gibt es für andere Schlüsselbereiche wie z.B. Marketing-Praktiken, Vorgehensweisen Vertragsabschlüssen, Zahlungen und Kundendienst keinerlei EU-Regelungen. Im Zuge immer neuer Geschäftspraktiken und Absatztechniken verwischt sich in den EU-Vorschriften auch die traditionell deutliche Differenzierung der einzelnen Phasen einer Transaktion, was einem weiteren Unsicherheitsfaktor gleichkommt.

* Zustande gekommen sind manche Richtlinien, insbesondere die sektorspezifischen, als sehr detaillierte Einzelregelungen zur Bewältigung spezifischer punktueller Problemfälle. Diese Vorgehensweise hat - zusammen mit dem Umstand, dass zwischen Invorschlagbringung und Inkrafttreten von EU-Maßnahmen viel Zeit vergeht (die Fernabsatzrichtlinie beispielsweise wurde im Juni 1992 vorschlagen, trat aber erst im Juni 2000 in Kraft) - dazu geführt, dass die EU-Vorschriften in gewisser Weise den sich fortentwickelten Marktpraktiken hinterher hinken. Dieses könnte dazu führen, dass EU- Vorschriften irrelevant sind, Innovation unnötigerweise gehemmt werden, oder skrupellosen Gewerbetreibenden die Möglichkeit eröffnet wird, den rechtlichen Regelungen ständig einen Schritt voraus zu sein. Die Zeitspanne für Abänderung von Richtlinien, um diese an technologische Entwicklungen, unter Beibehaltung des gegebenen Verbraucherschutzniveaus, anzupassen untermauert dieses Manko an Flexibilität.

Fallstudie: Die Fernabsatz-Richtlinie und die Timesharing-Richtlinie

In der Fernabsatz-Richtlinie werden dem Verbraucher, der bei einem nicht ,physisch" anwesenden Anbieter Waren oder Dienstleistungen in Auftrag gibt, bestimmte vertragliche Rechte eingeräumt. Insbesondere enthält die Richtlinie bestimmte Festlegungen Anforderungen in Sachen Information. So muss letztere auf ,dauerhaften Datenträger" erteilt werden, so dass der Verbraucher sich jederzeit auf wesentliche vertragliche Einzelheiten berufen kann. Dieser Aspekt erweist sich als problemlos, wenn für die Transaktion die herkömmliche Schriftform, d.h. Briefpost, oder die E-Mai-Technik benutzt wird. Allerdings könnte die Weiterentwicklung des Fernabsatzes unter Zuhilfenahme der neuen Mobiltelefon-Techniken durch eben diese Anforderungen wie auch auf Grund der Grenzen, die den heutigen Technologien gesetzt sind, gehemmt werden. Dieses könnte Innovationen behindern und Verbraucherschutz schwächen.

In Sachen Erwerb von Teilnutzungsrechten an Immobilien werden immer neue Marketing-Methoden entwickelt, die darauf hinauslaufen, den Geltungsbereich der Timesharing-Richtlinie und die darin verankerten wesentlichen Anforderungen zu umgehen. Manche Timesharing-Verkäufer etwa bieten Verträge mit einer Laufzeit von weniger als drei Jahren an oder Verträge, die eine jährliche Nutzungsdauer von weniger als sieben Tagen vorsehen. Auch werden Timesharing-ähnliche Verträge im Wege von Versicherungen oder in Form von Club-Mitgliedschaften oder Wertpunktesystemen mit dem eindeutigen Ziel angeboten, die Timesharing-Richtlinie zu unterlaufen.

* Die wechselseitige Verzahnung von EU-Verbraucherschutzbestimmungen und den anderen genannten Maßnahmen hat dazu geführt, dass ein für die Wirtschaft wie auch für die Verbraucher komplizierter und schwer verständlicher Regelungsrahmen entstanden ist.

* Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs über etwaige Rechtfertigungen von Hemmnissen, die den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes beeinträchtigen, bietet keinen Lösungsansatz, da diese sich auf Fall-zu-Fall-Entscheidungen beschränkt.

* Obgleich in vielen Mitgliedstaaten die Selbstregulierung in Form von Verhaltenscodices immer stärker an Boden gewinnt, hält sich diese auf EU-Ebene stark in Grenzen. In jüngerer Zeit unternommene Bemühungen, um auf EU-Ebene die Selbstregulierung voranzutreiben, haben keine eindeutig positiven Ergebnisse gezeitigt. Auch hat sich gezeigt, dass die Selbstregulierung insofern potenziell als komplementäres Mittel zur Regulierung zweckmäßig sein kann, als auf diese Weise der Vielzahl von Einzel-Rechtsvorschriften Einhalt geboten werden kann, was wiederum den Verbraucher zugute kommt. Auch wenn in manchen EU-Rechtsvorschriften auf die Selbstregulierung Bezug genommen wird, vermag dieses Instrument auf Grund der Unterschiedlichkeit der nationalen Rechtssysteme und der Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Status der in solchen Verhaltenskodizes eingegangenen Verbindlichkeiten und ihrer Durchsetzung seinen potenziellen Möglichkeiten auf nationaler Ebene nicht gerecht zu werden.

* Anders als bei den Tätigkeiten der Normgebungsinstanzen im Rahmen des ,Neuen Ansatzes" [22] und bei der Vorgehensweise der Sozialpartner, im Rahmen des Sozialdialogs, zur Festlegung von Regelungen in Sachen Beschäftigung gibt es für eine formelle Partizipierung der Stakeholder am Regelungsprozess auf EU-Ebene keinerlei Rechtsrahmen. Angesichts der zunehmenden Diversifizierung der Märkte stellt sich ein immer größerer Bedarf für einen stärkeren Input von Seiten der Sachverständigen in Regulierungsangelegenheiten. Eine Involvierung der Stakeholder könnte auch zu größerer Akzeptanz von Regelungsbeschlüssen führen. Voraussetzung für eine Stakeholder-Partizipierung auf EU-Ebene sind freilich kompetente, repräsentative Stakeholder-Gremien, die in der Lage sind, Interessengruppen effektiv zu vertreten.

[22] Entschließung des Rates vom 7. Mai 1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung, ABl. C 136 vom 4.6.1995, S.1.

2.3 Nationale Verbraucherschutz-Regelungen und Rechtsprechung

In den Fällen, wo es keine Rechtsvorschriften der Gemeinschaft oder durch Rechtsprechung geschaffenes Recht gibt, gelten die nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die u.U. allerdings vom sachlichen Gehalt und hinsichtlich ihrer Anwendung divergieren. In jedem Mitgliedstaat funktioniert heute ein relativ hochentwickeltes Regelungs-Wesen, speziell für Verbraucherschutz oder aber zur Regelung von B2C-Geschäftspraktiken, allerdings zu anderen Zwecken als Verbraucherschutz. Zu berücksichtigen ist ferner, dass -abgesehen von entsprechenden Regelungen, wie sie auf EU-Ebene bestehen - zur Regelung von B2C-Geschäftspraktiken in vielen Mitgliedstaaten ein allgemeines Rechtsprinzip gilt, das mitunter durch spezifische Rechtsvorschriften abgestützt wird.

Allgemeine Grundsätze

Der allgemeine Grundsatz des Verstoßes gegen die guten Sitten (contra bonos mores) findet sich in den Gesetzestexten in Österreich [23], Griechenland [24], Portugal [25] und Deutschland [26]. Das Rechtskonzept der lauteren Handelspraktiken findet sich in den gesetzlichen Bestimmungen in Belgien [27], Italien [28], Luxemburg [29] und Spanien [30]. In Frankreich [31] und in den Niederlanden [32] fußen die geltenden allgemeinen Bestimmungen auf dem Rechtsbegriff des Verschuldens bzw. in den Niederlanden auf dem Konzept der Rechtswidrigkeit. Das in Dänemark [33], Finnland [34] und Schweden [35] verfolgte Konzept weist eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten auf. Ähnliche ,allgemeine Prinzipien" finden sich auch in den Rechtssystemen vieler Drittstaaten, speziell in den USA, in Kanada (wo Verbraucherschutz auf Provinzebene geregelt wird) und in Australien. Obgleich es für die Regelung der B2C-Beziehungen eine solche "nationale" Rechtsnorm weder im Vereinigten Königreich noch in Irland gibt, gelten aber in den dortigen Rechtssystemen sehr wohl gleichwertige Rechtsprinzipien [36].

[23] 1 Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

[24] Art. 1 Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb

[25] Art. 260 Abs. 1 Codigo da Propriedade Industrial

[26] 1 Gesetz gegen unlautern Wettbewerb

[27] Art. 93 und 94 Loi sur les pratiques du commerce et sur l'information et la protection du consommateur

[28] Art. 2598 Codice Civile

[29] Art. 16 Loi du 27 novembre 1986 réglementant certaines pratiques commerciales et sanctionant la concurrance déloyale

[30] Art. 5 Ley Competencia Desleal und Art. 6(b) Ley General de Publicidad

[31] Art. 1382-1384 Code Civil

[32] Art. 6 Abs. 162 Burgerlijk Wetboek

[33] 1 Marketing Practices Act

[34] Verbraucherschutzgesetz Teil 2 1

[35] Art. 4 Abs. 1 Marketing Act

[36] Im englischen Common law haben sich Rechtsprinzipien wie z. B. das Konzept der unconscionability (d. h. Unredlichkeit) und equity (Billigkeit) als Mittel zur Gewährleistung von Ausgewogenheit (von Billigkeitsgesichtspunkten) und Lauterkeit (fairness) bei kommerziellen Transaktionen entwickelt. In einem kürzlich von der britischen Finanzbehörde (Financel Services Authority) veröffentlichten Bericht mit dem Titel ,Trating Customers fairly after the point of sale" (Juni 2001) wird das Konzept der ,Fairness" im englischen Recht untersucht, und zwar anhand bestimmter identifizierbarer Parameter, die für das Kriterium dessen, was als ,fair" zu betrachten ist, maßgebend sind, und analyisiert werden unterschiedliche Gebahren, die Aufschluss darüber geben, ob nach dem Grundsatz der Lauterkeit gehandelt wird (vgl. Anhang 1).

Diese allgemeine Prinzipien haben sich entweder aus eher spezifischen Vorschriften heraus entwickelt oder aber aus der Rechtsprechung, da die Gerichte im Laufe der Jahrzehnte eine umfassende und recht detaillierte Jurisprudenz geschaffen haben. In den einzelnen Mitgliedstaaten ist diese Entwicklung je nach Rechtsordnung und anvisiertem Geltungsbereich und Zielvorgaben des ,allgemeinen Prinzips" unterschiedlich verlaufen. Entstanden sind die Prinzipien aus unterschiedliche Motiven heraus, obgleich sie heute vornehmlich zur Regelung der Geschäftsbeziehungen im B2C-Bereich dienen. In Deutschland und in Österreich hat sich die ursprüngliche Zweckbestimmung des allgemeinen Prinzips, nämlich Schutz der Wettbewerber vor unlauteren Geschäftspraktiken, dahin gehend weiter entwickelt, dass der Grundsatz heute für den Bereich Verbraucherschutz Anwendung findet. In Frankreich und in Spanien sind diese beiden Komplexe separat geregelt: Unmittelbar geschützt wird der Verbraucher durch spezifische Verbraucherrechtsvorschriften, indirekt aber auch durch die allgemeinen Prinzipien und Rechtsvorschriften, die auf den Schutz der Unternehmen, die sich untereinander im Wettbewerb befinden, abstellen. Im Gegensatz dazu haben Dänemark und Schweden Maßnahmen erlassen, die gleichzeitig gezielt auf Schutz der Verbraucher wie auch der Unternehmen abstellen. Vom sachlichen Geltungsbereich und ihrer Anwendung her unterscheiden sich diese allgemeinen Rechtsvorschriften gegen unlauteren Handel in der Praxis sehr stark von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat entsprechend der jeweiligen Zielsetzung und Konzeption. Diese divergierende Entwicklung können insoweit ein Handelshemmnis darstellen und den Wettbewerb verzerren, als gleiche Praktiken EU-weit völlig unterschiedlich gehandhabt werden.

Außerdem wird in den Verbraucherschutzbestimmungen auf EU-Ebene den Mitgliedstaaten in der Regel das Recht eingeräumt (im Wege der sogenannten "Mindestklauseln"), eingehendere oder strengere Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher zu erlassen oder, wie dies häufiger der Fall ist, bestehende Vorschriften beizubehalten, wenn diese über das in den EU-Bestimmungen Vorgeschriebene hinausgehen. Dies wiederum ist, zusätzlich zu den bereits bestehenden Disparitäten in nichtharmonisierten Bereichen des Verbraucherschutzes, Ursache für weitere Abweichungen der nationalen Rechtsvorschriften untereinander.

Die Interaktion zwischen nationalem Recht und EU-Rechtsvorschriften im Binnenmarkt ist im wesentlichen durch Folgendes gekennzeichnet:

* Die im Binnenmarkt für Geschäftspraktiken im B2C-Bereich geltenden Rechtsvorschriften weichen erheblich voneinander ab, sei es infolge divergierender nationaler Regelungen, unterschiedlicher allgemeiner Prinzipien oder uneinheitlicher Rechtsprechung. Unterschiedlich geregelt ist der Bereich Werbung - obwohl es auf nationaler Ebene sehr wohl Vorschriften über ,lautere Werbung" gibt - genauso wie der Komplex Werbebehauptungen (gesundheitsbezogene Claims ("Wundermittel"), ökologische und soziale Claims) oder die an Kinder gerichtete Werbung (wozu auch Sponsoring von Bildungsprogrammen, Sportveranstaltungen und Marketing in Schulen gehören). Marketing-Praktiken wie jene, die unter die vorgeschlagene Verordnung über Verkaufsförderung fallen (d. h. Sonderangebote, Preisvergünstigungen, Rabatte, sog. Kombi-Angebote, unentgeltliche Zuwendungen, Teilnahmekarten und Gutscheine, Wettbewerbe und Gewinnspiele) und Praktiken wie Verlosungen und Preisausschreiben, Internet-Auktionen, Schneeballsysteme, Multilevel-Marketing und billige Lockangebote werden auf einzelstaatlicher Ebene gesetzlich recht unterschiedlich gehandhabt. Ebenso divergieren die Geschäftspraktiken in Sachen Zahlungsbestimmungen, Gegenstand von Kaufverträgen, Kostenvoranschlägen, Vertragsausführung, Erfuellung vertraglicher Leistungen, Lieferung, Beschwerdemöglichkeiten und Kunden-Service (z. B. Helplines, freiwillige Händlergarantien, Ersatzleistung und Reparaturen). Die Unterschiede in den nationalen Regelungen betreffen vorwiegend die darin verankerten Anforderungen in puncto Unterrichtung; und obgleich die genannten Praktiken in mehreren Mitgliedstaaten ganz oder teilweise verboten sind, werden sie von anderen Mitgliedstaaten gestattet.

Fallstudie: Multilevel-Direktverkauf: Bei dieser Absatzform baut sich der gewerbliche Anbieter über seine Kunden ein Vertriebsnetz auf, die ihrerseits Produkte an ihnen bekannte Verbraucher verkaufen. In manchen Ländern ist diese Absatzmethode durch allgemeine Rechtsvorschriften gegen unlauteren Handel geregelt, in anderen dagegen durch Verbraucherrechtsbestimmungen (z.B. in Italien und in den Niederlanden) und in wiederum anderen durch Rechtsvorschriften gegen unlauteren Wettbewerb (z. B. in Belgien, Deutschland, Frankreich, Österreich und Spanien). Da die nationalen Regelungen sehr stark divergieren - vom grundsätzlichen Verbot jeglicher Art von Haustürgeschäften ( z. B. in Luxemburg) bis hin zu Einzelregelungen der Bedingungen, unter denen Multilevel-Direktverkauf gesetzlich zulässig ist (z. B. in Spanien und im Vereinigten Königreich) - , sind die Unternehmen in dieser Branche gezwungen, ihre Marketing-Pläne und ihr Verkaufsförderungsmaterial von Land zu Land unterschiedlich zu gestalten, um den gesetzlichen Anforderungen des jeweiligen Mitgliedstaates Genüge zu leisten. Wegen der zahlreichen Unterschiedlichkeiten der nationalen gesetzlichen Bestimmungen in der EU können die Unternehmen der Multilevel-Marketing-Branche keine europaweit einheitlichen Verkaufsmethoden und Absatzstrategien entwickeln.

* Auf das Mittel der Selbstregulierung und auf Verhaltenscodices wird in den einzelnen Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße zurückgegriffen. In Dänemark, Schweden und Finnland werden freiwillige Verhaltensregeln bevorzugt angewandt, um bereits bestehende allgemeinverbindliche Rechtsregelungen zu untermauern. An der Erarbeitung solcher Codices sind die Regelungsstellen für den Vollzug von Verbraucherschutzmaßnahmen vergleichsweise stark mitbeteiligt. Verbreitet Anwendung finden solche Codices auch in im Vereinigten Königreich, in Irland und in den Niederlanden, obgleich in diesen Staaten den Vollzugsbehörden für Verbraucherrecht eine eher informelle Aufgabe zufällt. In anderen Mitgliedstaaten wiederum ist die Hinzuziehung von Selbstregulierungs- Mechanismen als komplementäres Instrument zu bestehenden Rechtsvorschriften unüblicher. Es zeigt sich, dass das Instrument der Selbstregulierung in der EU an Bedeutung gewinnt, allerdings nach unterschiedlichen Orientierungen in den einzelnen Mitgliedstaaten (vgl. nachstehenden Kasten).

Fallstudie: Verhaltenscodices im E-Commerce

Verhaltenscodices finden besonders häufig Anwendung im E-Commerce. In Dänemark, Schweden und Finnland arbeiten Handel, Wirtschaft und Verbraucherorganisationen gegenwärtig gemeinsam mit Unterstützung der Regierungen daran, auf der jeweiligen nationalen Ebene einen solchen Verhaltenskodex für den elektronischen Geschäftsverkehr zu erstellen. In den Niederlanden, im Vereinigten Königreich und in Deutschland haben die Regierungen angesichts der Vielzahl von Verhaltensregeln für den E-Commerce gemeinsam mit den Verbrauchern und der Wirtschaft Projekte in Angriff genommen, um für solche Codices entsprechende Kriterien festzulegen und unabhängige Überwachungsstellen einzurichten. Die Codices und Kriterien haben zwar viele Gemeinsamkeiten, unterscheiden sich aber schlechthin insoweit, als sich darin die unterschiedlichen nationalen Regelungen, auf denen sie gründen, wiederspiegeln.

* Es steht zu erwarten, dass im Zuge der Handelspraktiken, die in der New Economy gehandhabt werden, denen aber in den bisherigen Rechtsvorschriften noch nicht Rechnung getragen wurde (auch wenn sie bereits durch die in den einzelnen Ländern geltenden allgemeinen Prinzipien abgedeckt sind und auf die eine oder andere Weise entsprechend berücksichtigt werden), sich die Folgen der Disparitäten künftig noch stärker auf Verbraucher und Handel auswirken. Davon betroffen sind z. B. neue Werbemethoden, die die herkömmliche strikte Differenzierung auf Seiten der Printmedien zwischen faktischem Inhalt einerseits und Werbung andererseits (z. B. Website-Sponsoring, Verknüpfungen von Website-Links ("affiliations"), Suchfunktionen gegen Entgelt, Vermittlungs- und Verweisdienste) in Frage stellen. Gleiches gilt auch für die neuen Marketing-Praktiken wie der Einsatz von Cookies, Spidering-Techniken, Co-Shopping und Powershopping, die die bisherigen Regelungen ebenso in Frage stellen. Manifest wird die unterschiedliche Handhabung nationaler Bestimmungen auch bei Praktiken wie Online-Gewinnspielen, Cyber-Money, Internet-Auktionen und anderen Applikationen der digitalen Technologien. Genau so, wie der zunehmende Einsatz des Internet immer neue Praktiken hervorbringt, denen die nationalen Vorschriften bislang nicht Rechnung getragen haben, zeichnet sich offensichtlich eine ähnliche Entwicklung im Bereich der Vertragsabschlüsse über Mobiltelefon ab.

Fallstudien

Powershopping (bzw. Co-Shopping) bezeichnet die ,Bündelung " der Interessen von Kunden, um über das Internet gemeinsam günstiger Waren einzukaufen oder Dienstleistungen zu bestellen. Den verbilligten Preis räumt der Provider ein, wenn eine bestimmte Menge geordert wird. Einstweilen ist noch nicht geklärt, wie die einzelnen Mitgliedstaaten diese Praktiken zu handhaben gedenken. Allerdings hat in Deutschland ein Gericht (das Landgericht Köln) am 12. Oktober 2000 entschieden, dass die Praxis des Powershopping, bei dem Online-Bestellern aufgrund ihrer Sammelbestellung besondere Kaufpreisermäßigungen eingeräumt werden, gegen das deutsche Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb verstößt.

Neue Zahlungssysteme, wie etwa über Mobiltelefon und andere Telekom-Fazilitäten, mit denen der Lieferer Waren und Dienstleistungen in Rechnung stellt, erscheinen heute am Markt. Obgleich sich dadurch für den Verbraucher neue Chancen eröffnen, sind mit diesen Methoden ernsthafte Risiken verbunden, insbesondere dort, wo diese neue Techniken zu betrügerischen Zwecken von Personen benutzt werden, denen eine Zahlung per Kreditkarte von seiten der Finanzinstitute verwehrt bleibt. Dieses Problem stellt sich zunehmend in den USA.

Frage

* Vor welchen wesentlichen Hindernissen stehen Verbraucher und Handel infolge der Disparitäten der nationalen Bestimmungen über unlautere Geschäftspraktiken hinsichtlich Werbung und Methoden im Zusammenhang mit den vorvertraglichen und vertraglichen Aspekten sowie Faktoren des Kundendienstes nach Vertragsabschluss im B2C-Bereich*

3. Die künftige Ausrichtung des Verbraucherschutzes auf EU-Ebene

3.1 Handlungsbedarf

Alles in allem ergibt sich aus den dargelegten Sachverhalten, dass der ,Binnenmarkt für Verbraucher" weder seine potenziellen Möglichkeiten realisiert hat noch in Sachen B2C-Transaktionen mit der fortschreitenden Entwicklung des Binnenmarkts Schritt hält. Nur in den wenigsten Fällen nutzen die Verbraucher die unmittelbaren Vorzüge des Binnenmarkts durch grenzübergreifendes Shopping. Die Wirtschaft, speziell die kleinen und mittleren Unternehmen, sieht sich auf Grund der unterschiedlichen Handhabung identischer Geschäftspraktiken in den einzelnen Mitgliedstaaten auf erschreckende Weise davon abgehalten, ihren grenzübergreifenden Handel auszubauen und vom Binnenmarkt zu profitieren. Erklären lässt sich dies bestenfalls mit fehlender Rechtssicherheit und mangelndem Verständnis der insgesamt fünfzehn unterschiedlichen Rechtsordnungen. Schlimmstenfalls ist es die Unmenge divergierender rechtlicher Verpflichtungen, vor der praktisch aller Unternehmen zurückschrecken, ausgenommen jene, die es sich leisten können, in jedem einzelnen Mitgliedstaaten präsent zu sein. Für die Verbraucher erweist sich der Mangel an Klarheit und Rechtssicherheit als ein wesentlicher Hemmfaktor in Sachen Vertrauen und Gewissheit. Wie für alle Märkte ist auch für den Binnenmarkt das Vertrauen der Verbraucher ausschlaggebend. Richtlinien, wie zum Beispiel die "Fernsehen ohne Grenzen" - Richtlinie, die auf Binnenmarktregeln basieren, umgehend die Notwendigkeit, in den durch diese Richtlinie koordinierten Bereichen, fünfzehn nationale Regeln anzuwenden, da das Herkunftslandprinzip zum Einsatz gelangt. Diese Tatsache erleichtert die Kontrolle von Dienstleistungsanbietern durch die verantwortlichen Autoritäten.

Ein auf der ganzen Linie funktionierender Binnenmarkt für Verbraucher könnte wesentlich zur Realisierung der Zielsetzungen der EU beitragen. Der Haupttrumpf, über den der Binnenmarkt verfügt, liegt darin begründet, dass er der größte Verbrauchermarkt weltweit ist. Dieser Trumpf wird allerdings noch immer nicht voll ausgespielt. Die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Wirtschaft - insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen - sich dieses Potenzial auf genauso einfache Weise wie die heimischen Märkte zu erschließen, würde dem Wettbewerb einen Aufschub verleihen. Ebenso würde eine Vereinfachung der bestehenden Regelungen und, wo immer dies möglich wäre, eine Deregulierung mit dazu beitragen, die unverhältnismäßig hohen Belastungen, denen die Wirtschaft ausgesetzt ist, zu reduzieren. Die Verbraucher hätten Zugang zu einem größeren Angebot und zu günstigeren Preisen. Grenzübergreifendes Einkaufen soll mitnichten dem Einkaufen im Wohnland den Rang streitig machen, sondern sich zu einem gewichtigen Instrument entwickeln, das sich im Vergleich zum heutigen Marktanteil am Einzelhandel nachhaltiger auf die Märkte auswirkt. Das Beispiel der Kfz-Branche zeigt, dass grenzübergreifendes Einkaufen sich insoweit indirekt stark auf die Wettbewerbssituation in den heimischen Märkten auszuwirken vermag, als die Verbraucher die Anbieter unter Druck setzen, damit diese ihre Preise an jene anpassen, die ihnen anderswo im Binnenmarkt eingeräumt werden. Kommissionsinterne Studien und andere Untersuchungen zur Preissituation im Binnenmarkt belegen, dass analog zur Kfz-Branche auch bei anderen Konsumerzeugnissen beträchtliche Preisunterschiede bestehen. So hat eine unlängst von der Kommission durchgeführte Erhebung deutlich gemacht, dass Preisunterschiede in der Größenordnung von 30 bis 40 % zwischen den teuersten und den billigsten EU-Ländern, etwa für Heimelektronik-Markenartikel, nichts Außergewöhnliches sind. (Diese Preisunterschiede erklären sich nicht nur durch die unterschiedliche indirekte Besteuerung) [37]. Solche Disparitäten machen u.a. deutlich, wie sich heute der Binnenmarkt, der alles andere als ordnungsgemäß funktioniert, für die Verbraucher anlässt.

[37] Binnenmarktanzeiger Nr. 8 vom 28.5.2001, S.17-21.

Diese Sachlage ist nicht neu. Hinzu kommt inzwischen ein weiterer Anlass, den Binnenmarkt für die Verbraucher gerade jetzt zu vollenden. Mit Umlauf der Euro-Banknoten und -Münzen ab dem 1. Januar 2002 entfällt nämlich künftig eine wesentliche psychologische Hemmschwelle, die eine echte Beteiligung der Verbraucher im Binnenmarkt bislang erschwerte. Der E-Commerce ist nämlich durchaus geeignet, die geographischen und logistischen Hemmnisse, die bisher den Binnenmarkt für die Verbraucher behinderten, gegenstandslos zu machen. Sowohl die kleinen und mittleren Unternehmen als auch die Verbraucher werden auf dem europäischen Kontinent allenthalben viel einfacher als je zuvor Geschäftsbeziehungen entwickeln können. Allerdings bleibt dieses Potenzial ungenutzt [38], solange der E-Commerce nicht nur bloß einen marginalen Anteil am Einzelhandel ausmacht, sondern sich darüber hinaus auch noch weitgehend auf die heimischen Märkte beschränkt.

[38] Laut Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses über die ,Auswirkungen des elektronischen Handels auf den Binnenmarkt (BBS)" macht der Anteil des elektronischen Geschäftsverkehrs am gesamten Endverbraucherhandel weniger als 1 % aus, womit er geringer ist als etwa der Vertrieb über den traditionellen Versandhandel (ABl. C 123 vom 25.04.01, S.1)

Weiterer Handlungsbedarf ergibt sich auch aus der anstehenden EU-Erweiterung. In Ermangelung einer Reform würde sich die rechtliche Sachlage möglicherweise noch weiter verkomplizieren. Schließlich bietet sich mit der EU-Erweiterung auch eine Möglichkeit, den Beitrittsländern, die nicht alle auf eine lange Tradition in Sachen Verbraucherschutz zurückblicken können, unkomplizierte und effektive Regelungsinstrumente an die Hand zu geben.

Die politische Notwendigkeit einer Reform ist auf höchster Ebene anerkannt worden. So wurde auf dem Europäischen Rat in Lissabon als strategisches Ziel für die Union festgelegt, diese ,zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen" , und zwar durch Vollendung des Binnenmarkts, Erarbeitung verlässlicher Regelungen für den E-Commerce und Vereinfachung bzw. Verbesserung des allgemeinen Regelungsumfeldes. Die Notwendigkeit, die Verbraucherdimension des Binnenmarkts weiter zu entwickeln, ist auf der informellen Ratstagung ,Markt/Verbraucherangelegenheiten" am 27./28. April 2001 in Lund bekräftigt worden.

Ein voll funktionierender Binnenmarkt für die Verbraucher könnte denn auch wesentlich zu der Strategie beitragen, die darauf abstellt, die EU bürgernäher zu gestalten - indem mit dem Mythos aufgeräumt wird, wonach der Binnenmarkt eine rein wirtschaftliche Angelegenheit im alleinigen Interesse der Unternehmen sei - so dass dieser Binnenmarkt dann im Alltag der Bürger wirtschaftlich wirklich von konkretem Nutzen sein kann.

3.2 Gesamtansatz

Wo grenzüberschreitende Beschränkung im B2C-Bereich vorhanden sind, ist ein Mehr an Harmonisierung der Bestimmungen zur Regelung der Geschäftspraktiken im B2C-Bereich für die weitere Entwicklung eines auf der ganzen Linie funktionierenden Verbraucher-Binnenmarkts von essentieller Bedeutung. In ihrer Mitteilung zum Binnenmarkt für den Dienstleistungssektor [39] hat die Kommission bereits bekräftigt, dass ,zusätzliche Harmonisierungsmaßnahmen sich für Bereiche eignen dürften, in denen Gesundheits- und Verbraucherschutz eine wichtige Rolle spielen".

[39] Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - "Eine Binnenmarktstrategie für den Dienstleistungssektor", Dok.: KOM(2000) 888

Die Frage der fundamentalen Wahl konzentriert sich damit auf die Art der benötigten Methodik, um ein Mehr an Harmonisierung zu erreichen. Dazu bieten sich im wesentlichen zwei Optionen an:

* Ein spezifischer Ansatz auf der Grundlage eines zu verabschiedenden Bündels weiterer Richtlinien;

* ein kombinierter Ansatz, bestehend aus einer umfassenden Rahmenrichtlinie und, ergänzend dazu, spezifische Einzelrichtlinien dort, wo dies erforderlich wäre.

3.3 Spezifischer Ansatz

Ein stärkere Harmonisierung könnte sich mit Hilfe einer Reihe weiterer spezifischer Richtlinien erzielen lassen. Die Zahl der benötigten Richtlinien lässt sich schwer vorausschätzen. In Frage kämen eventuell Richtlinien über Werbung (unter Ausschluss der Bereiche die von der "Fernsehen ohne Grenzen" - Richtlinie abgedeckt werden), Marketing-praktiken, Zahlungsmodalitäten und Kundendienst, und zwar zusammen mit bestimmten sektoralen Richtlinien.

So befasst sich die Kommission bereits mit dem Bereich der kommerziellen Kommunikation, und gemeinsam mit Vertretern der Mitgliedstaaten und ihrer Sachverständigengruppe hat sie eingehend geprüft, ob und inwiefern der Grundsatz der gegenseitiger Anerkennung nationaler Regelungen im Bereich der Verkaufsförderungsmaßnahmen Anwendung finden könnte [40]. Auf solche Geschäftspraktiken greifen die Unternehmen zurück, um für ihre Produkte und Dienstleistungen zu werben. Sie unterliegen eingehend geregelten nationalen Rechtsvorschriften oder aus der Rechtsprechung hervorgegangenen Bestimmungen, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat stark divergieren. Die Arbeiten der Sachverständigengruppe haben gezeigt, dass die einzige Möglichkeit, die Voraussetzungen für den freien Dienstleistungsverkehr auf der Grundlage eines hohen Verbraucherschutzniveaus in diesem Bereich zu schaffen, darin besteht, auf mehr Harmonisierung hin zu arbeiten. Genau dies wird in einem Entwurf für eine Verordnung über Verkaufsförderungsmaßnahmen im Binnenmarkt vorgeschlagen.

[40] Vgl. Stellungnahme der Expertengruppe über die Regelung grenzüberschreitender Rabatte in der Gemeinschaft (Communications Journal Nr. 19, Juni 1999) und Stellungnahme der Expertengruppe über die Regelung grenzüberschreitender unentgeltlicher Zuwendungen und Zugaben in der Gemeinschaft (Communications Journal Nr. 24, Oktober 2000)

Ein solcher Ansatz bietet beträchtliche Vorteile, da er eine altvertraute, verlässliche Methode darstellt, nach der die bisherigen Rechtsgrundlagen angenommen wurden. Grundsätzlich ist es auch vergleichsweise einfacher, eine Einigung bei Richtlinien zu erzielen, deren sachlicher Geltungsbereich relativ eng gefasst ist, und dann nachträglich, über einen längere Zeitspanne verteilt, entsprechende besondere Änderungen einzuführen.

Allerdings bestehen deutliche Zweifel hinsichtlich Effizienz und Effektivität, wenn ausschließlich dieser Ansatz verfolgt wird in der Perspektive der Verwirklichung eines echten Binnenmarkts. In dem begrenzten Wirkungsbereich der bestehenden Verbraucherrechts-vorschriften auf EU-Ebene liegt die Tatsache begründet, dass sogenannte Mindestklauseln in den EU-Richtlinien notwendig sind. Die Fortführung des Ansatzes der ausgewählten, spezifischen Rechtsvorschriften bedeutet, dass sich die Mitgliedstaaten zu einer Änderung dieser Politik verpflichten müssten, und zwar sowohl hinsichtlich der bestehenden als auch der künftigen Richtlinien. Im übrigen dürfte eine Vielzahl der bestehenden Verbraucherschutzrichtlinien geändert werden müssen, weil sie im Zuge der neuen Marktentwicklungen obsolet geworden sind oder weil die legislativen Erfordernisse nicht mehr aktuell sind. Dies alles bildet auf lange Sicht ein gewaltiges Programm - wenn es denn realisierbar ist.

3.4 Kombinierter Ansatz

Eine Alternative wäre, eine umfassende technologie-unabhängige EU-Rahmenrichtlinie zur Harmonisierung der einzelstaatlichen Lauterkeitsregelungen für Geschäftspraktiken im B2C-Bereich zu erarbeiten. Diese könnte auf ähnliche Modelle aufbauen, wie sie in manchen Mitgliedstaaten und Drittländern in Verbraucherschutzangelegenheiten sowie auf EU-Ebene in Sachen Produktsicherheit [41] bzw. Lebensmittelsicherheit [42] (gemäß dem diesbezüglichen Legislativvorschlag), gehandhabt werden. Eine Rahmenrichtlinie würde die bestehenden sektorspezifischen Richtlinien nicht in Frage stellen - so etwa die Richtlinie über das ,Fernsehen ohne Grenzen"und die Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln - wie auch künftige Rechtsvorschriften, so z. B. die vorgeschlagene Verordnung zur Verkaufsförderung sowie künftige Änderungen dieser Rechtsakte (z. B. "Fernsehen ohne Grenzen"). Die Rahmenrichtlinie würde auf ein Sicherheitsnetz für Praktiken hinauslaufen, insofern grenzüberschreitende Beschränkungen festgestellt wurden und diese Praktiken nicht in den Anwendungsbereich von sektorspezifischen Richtlinien fallen. Flankierend zu dieser Rahmenrichtlinie könnte zu gegebener Zeit, wenn angebracht, eine Reform der bestehenden Verbraucherschutzrichtlinien erfolgen, damit die allgemeine Kohärenz des Verbraucherschutzsystems gewährleistet wird. Eine solche Reform könnte in Angriff genommen werden, sobald die Rahmenrichtlinie steht und Erfahrungswerte über die operationelle Handhabung vorliegen.

[41] Richtlinie 92/59/EWG des Rates vom 29. Juni 1992 über die allgemeine Produktsicherheit, ABl. L 228, 11.8.1992, S. 24

[42] Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Erfordernisse des Lebensmittelrechts, zur Einrichtung der Europäischen Lebensmittelbehörde und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (KOM(2000) 716 endg. vom 8.11.2000

Damit die Rahmenrichtlinie die nötige Sicherheit bietet und sie ausschließt, dass die nationalen Gerichte sie juristisch unterschiedlich auslegen, müsste sie mehr sein als nur eine allgemeine Grundsatzfestlegung zur Regelung der Geschäftspraktiken im B2C-Bereich. Gegenstand dieser Rahmenrichtlinie wäre eine Regelung der wesentlichen Disparitäten zwischen den nationalen Regelungen für Geschäftspraktiken, die das Funktionieren des Binnenmarkts bislang beeinträchtigten, und zwar durch Festlegung eindeutiger, EU-weit geltender, harmonisierter Regeln.

Der wesentliche Vorteil eines auf einem solchen Rahmen basierenden Ansatzes gegenüber einem spezifischen Ansatz besteht darin, dass sich auf Grund seines umfassenden sachlichen Geltungsbereichs weitere Einzelregelungen zum großen Teil erübrigen würden. Da es allgemeine Bezugsangaben gibt, lassen sich neu entstehende Handelspraktiken regeln, ohne dass dafür immer neue Vorschriften erlassen werden müssten. Die Wirtschaft kann mit größerer Sicherheit innovativ agieren, und unlautere Praktiken lassen sich auch handhaben, ohne dass dafür noch weitere Regelungen zu erarbeiten wären. Außerdem würde der auf den genannten Rahmen abstellende Ansatz eine Vereinfachung der bestehenden Regelungen ermöglichen. So könnten beispielsweise die Richtlinien über irreführende und vergleichende Werbung durchaus in die Rahmenrichtlinie eingearbeitet werden. Auf Grund der Flexibilität einer solchen Rahmenrichtlinie würde auch die Daseinsberechtigung von Mindestklauseln in den EU-Verbraucherschutzrichtlinien wegfallen.

Des weiteren könnte eine Rahmenrichtlinie eine solide Basis für eine EU-weite Selbstregulierung im Bereich Verbraucherschutz und für die Erarbeitung nicht bindender praktischer Leitlinien bieten. Diese beiden Instrumente sind eigentlich potenziell geeignet, den Bedarf für ins Einzelne gehende, präskriptive Regelungen zu reduzieren. Und schließlich könnte eine Rahmenrichtlinie Grundlage für eine formelle Stakeholder-Partizipierung am Regelungsprozess sein.

Allerdings würde eine einzige Rahmenrichtlinie, die theoretisch einfacher und schneller auf den Weg gebracht werden kann als ein Bündel von Einzelrichtlinien, eine vergleichsweise größere Anzahl von Sachthemen abdecken, was aber die Konsensfindung erschweren könnte.

Fragen

* Halten Sie eine Reform des Verbraucherschutzes im Binnenmarkt für notwendig*

* Auf welchem Ansatz sollte eine solche Reform beruhen, auf dem bislang zugrunde gelegten spezifischen Ansatz oder auf dem soeben beschriebenen kombinierten Ansatz*

* Wie dürfte sich bei beiden Ansätzen das Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Verbraucher und die Wirtschaft verändern*

* Welche Bereiche müssten mit einem spezifischen Ansatz vordringlich harmonisiert werden*

4. Weitere Fragen

Sollte man sich bei der Reform des Verbraucherschutzes für einen kombinierten Ansatz entscheiden, so werden sich noch weitere Fragen ergeben.

4.1 Rahmenrichtlinie für das Lauterkeitsrecht

Eine Rahmenrichtlinie würde auf einer Generalklausel zur Regelung der Geschäftsbeziehungen zwischen Verbrauchern und Unternehmen beruhen. Eine solche Generalklausel könnte nach dem Beispiel bereits existierender rechtlicher Modelle ausgestaltet werden, die auf Begriffen wie ,Lauterkeit des Handelsverkehrs" oder ,korrektes Marktverhalten" basieren. Im Wesentlichen würde es darum gehen, eine allgemeine Prüfung auf die Einhaltung des Verbots unlauterer Geschäftspraktiken vorzunehmen. Dieser Ansatz wäre mit demjenigen vergleichbar, der bereits der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln zugrunde liegt. Einzelstaatliche Vorschriften, die lediglich dem Schutz anderer allgemeiner Interessen (z. B. Pluralismus, Kulturschutz, Gesundheit und Sicherheit, Sittlichkeit) und somit nicht dem Verbraucherschutz dienen, sowie das nationale Vertragsrecht müssten außer Betracht bleiben.

Die Generalklausel wäre durch allgemeine Lauterkeitsprüfungen und durch spezielle Bestimmungen zur Beseitigung der Unterschiede im Lauterkeitsrecht der Mitgliedstaaten zu ergänzen. Diese könnten alle Elemente des lauteren Handels, z. B. Offenlegung von Informationen, irreführende oder täuschenden Geschäftspraktiken und unzulässige Einflussnahme, aber auch Vorschriften im Bereich Marketing sowie Geschäftspraktiken in den Phasen vor und nach Vertragsabschluss umfassen. Mit solchen allgemeinen Grundsätzen und Bestimmungen könnte man die Hauptprobleme - Rechtsunsicherheit und Unterschiedlichkeit der Regelungen - angehen, und zwar unter Rückgriff auf

* die Rechtsprechung des EuGH und die vorhandenen Rechtskonzepte der EU, namentlich die in den Richtlinien über irreführende Werbung und über missbräuchliche Klauseln vorgeschriebenen Prüfungen;

* einzelstaatliche Beispiele für die Regelung problematischer Fragen, z. B. Vorschriften zu irreführenden oder täuschenden Praktiken, zur Unzulässigkeit bestimmter Arten der Einflussnahme oder der Ausübung von Druck, zur Offenlegung, zum Schutz besonders unerfahrener Verbraucher, zur Billigkeit von Geschäften und zum guten Glauben.

4.2 Rahmenrichtlinie zum Schutz vor irreführenden und täuschenden Praktiken

Eine Rahmenrichtlinie könnte statt auf dem Lauterkeitsbegriff auch auf dem engeren Begriff der irreführenden und täuschenden Geschäftspraktiken basieren. Wahrscheinlich könnte so eher eine Einigung über eine Rahmenrichtlinie erzielt werden, da dieser Begriff im Grunde den Kernbereich dessen erfasst, was allen in der EU gebräuchlichen Lauterkeitsbegriffen gemeinsam ist. So findet sich ein solches allgemeines Verbot bereits in der Richtlinie über irreführende Werbung. Ein gemeinsamer Ansatz der EU-Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet würde sowohl den Verbraucherschutz als auch die Rechtsvereinfachung erheblich voranbringen. Denkbar wäre dies auch als erster Schritt hin zu einer auf dem Lauterkeitsbegriff aufbauenden Rahmenrichtlinie. Da eine derartige Rahmenrichtlinie eine geringere Reichweite hätte, wäre sie jedoch auf eine ganze Reihe von Tatbeständen nicht anwendbar, die hingegen von einem allgemeinen Lauterkeitsgebot abgedeckt würden (man denke an den Einsatz von Verkaufstechniken, die auf einer unzulässigen Beeinflussung basieren). Dementsprechend könnten die Mitgliedstaaten weiterhin Konzepte für vom Geltungsbereich der Richtlinie nicht erfasste Tatbestände entwickeln, so dass wahrscheinlich weitere Spezialregelungen auf EU-Ebene ausgearbeitet werden müssten.

4.3 Information

Angesichts der Bedeutung von Informationspflichten für den Verbraucherschutz und des in Artikel 153 EG-Vertrag verankerten Anspruchs der Verbraucher auf Information ist es in jedem Fall unerlässlich, eine allgemeine Pflicht zur Offenlegung von Informationen vorzusehen. Eine Schlüsselfunktion käme einer den Unternehmen aufzuerlegenden Verpflichtung zu, dem Verbraucher alle wesentlichen Informationen rechtzeitig und eindeutig offenzulegen. Damit würde das Recht auf Information, das der EG-Vertrag den Verbrauchern verleiht, wirklich gewahrt. Mit einer Rahmenrichtlinie für das Lauterkeitsrecht könnten außerdem Praktiken wie z. B. die Überfrachtung des Kunden mit Informationen oder der exzessive Gebrauch von ,Kleingedrucktem" unterbunden werden. Damit würde ferner einem weiteren wichtigen Aspekt des Lauterkeitsrechts Rechnung getragen, nämlich dem Umstand, dass auch das Vorenthalten von Informationen unlauter sein kann.

4.4 Selbst- und Ko-Regulierung

Nicht alle Probleme lassen sich durch rechtliche Regelung lösen. Die Selbstregulierung kann Verbraucherschutzziele erreichen, insbesondere in Branchen, die ihr starkes Interesse am Vertrauen der Verbraucher erkannt haben und wo ,Trittbrettfahrer" oder ,schwarze Schafe" dieses Vertrauen erschüttern können. Eine wirksame Selbstregulierung, die klare bindende Selbstverpflichtungen gegenüber den Verbrauchern umfasst und entsprechend durchgesetzt wird, kann den Rechtsetzungs- und Ko-Regulierungsbedarf vermindern. Derzeit steht keine Möglichkeit für die Gewährleistung einer wirksamen EU-weiten Selbstregulierung in Verbraucherschutzangelegenheiten zur Verfügung. Eine weitere Option für eine Rahmenregelung würde darin bestehen, dies zu ermöglichen und so die Wirtschaft in die Lage zu versetzen, sich statt an fünfzehn Verhaltenskodizes an einen gemeinsamen Kodex zu binden. Die Unterschiede im nationalen Recht und die unterschiedliche Ausgestaltung der allgemeinen Rechtspflichten lassen derzeit die Ausarbeitung wirklicher Verhaltenskodizes, die gemeinschaftsweit gültig sind, nicht zu.

Zwei Elemente wären für das Funktionieren der Option ,EU-weite Selbstregulierung" entscheidend. Erstens müsste jede allgemeine Pflicht die Nichterfuellung einer gegenüber einem Verbraucher freiwillig eingegangenen Verpflichtung durch ein Unternehmen als eine irreführende oder unlautere Geschäftspraxis definieren. Gegenwärtig sind Maßnahmen gegen die Nichteinhaltung freiwillig eingegangener Verpflichtungen nur möglich, wenn diese Nichteinhaltung auch in der Werbung zum Ausdruck kommt, was gegebenenfalls unter die Richtlinie über irreführende Werbung fällt. Die Einführung einer rechtlichen Verbindlichkeit von Verhaltenskodizes und anderen freiwilligen Verpflichtungen würde Unternehmen wie Verbrauchern eventuell helfen. Verbraucher könnten darauf vertrauen, dass staatliche Aufsichtsbehörden als ,letzte Durchsetzungsinstanz" agieren. Eine entschiedenere Durchsetzung von Verpflichtungen im Wege der Selbstregulierung wäre ein überzeugenderes Argument für einen weitgehenden Verzicht auf Rechtsetzung. Eine strengere Selbstregulierung würde auch das Problem der ,Trittbrettfahrer" angehen, denn sie wäre für Gerichte und Aufsichtsbehörden eine zusätzliche Referenz bei der Auseinandersetzung mit Händlern, die außerhalb solcher Vereinbarungen agieren.

Zweitens würde der Anwendungsbereich der allgemeinen Pflicht sich nicht nur auf Unternehmen erstrecken, die mit Verbrauchern Handel treiben, sondern auch auf Unternehmensverbände und andere Organisationen, die Empfehlungen zu Geschäftspraktiken ausgesprochen und Regeln etc. aufgestellt haben. Das gilt derzeit für den Fall der Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln (Artikel 7). Aufgrund des Einflusses der Unternehmensverbände auf die Marktpraktiken macht es durchaus Sinn, ihre Verantwortung für ihr Handeln auf diese Weise zu stärken. Schließlich würde es keine Bestimmung über die ausdrückliche Billigung oder Genehmigung solcher Kodizes seitens der Kommission geben. Da diese in erheblichem Ausmaß für Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln missbraucht werden könnten und die Kommission über die Einhaltung der Wettbewerbsregeln zu wachen hat, wäre eine solche Lösung nicht sachgerecht.

Die Kommission drängt in ihrem kürzlich veröffentlichten Weißbuch ,Europäisches Regieren" [43] auf den erweiterten Einsatz von Ko-Regulierung. Vorschläge zum Verbraucherschutz, die u. a. die Möglichkeit der Ko-Regulierung in Betracht ziehen, müssen den sich aus dem Weißbuch ergebenden Entwicklungen angeglichen werden. Die Rolle der für die Ausarbeitung solcher Kodizes Verantwortlichen und der für deren Durchsetzung zuständigen staatlichen Behörden könnte gestärkt und klarer definiert werden. In das Konzept der Ko-Regulierung, könnte im Sinne der Bedingungen des Weißbuchs z. B. die Kombination Rahmenrichtlinie - Grundlage für eine EU-weite Selbstregulierung passen, wobei diese Vorgehensweise annäherungsweise dem ,Neuen Konzept" nahe käme.

[43] Europäisches Regieren: Ein Weißbuch (KOM(2001) 428).

4.5 Praktische Leitlinien

Eine Rahmenrichtlinie würde sowohl der Wirtschaft als auch den Verbrauchern ein hohes Maß an Rechtssicherheit bieten; die Gefahr einer unterschiedlichen Auslegung durch nationale Gerichte wäre dadurch zwar noch immer nicht ganz gebannt, jedoch erheblich geringer als heute. Eine Rahmenrichtlinie würde es dem EuGH aber erleichtern, solche Konflikte in Zukunft zu bereinigen. Außerdem könnten weitere Einzel-Richtlinien die Rechtssicherheit auf bestimmten Gebieten herstellen, auf denen sich branchenspezifische Probleme stellen.

Ferner könnten den Verbrauchern, der Wirtschaft, der Justiz und den Aufsichtsbehörden unverbindliche praktische Leitlinien an die Hand gegeben werden, die benutzerfreundlich formuliert sein müssten. Obgleich solche Leitlinien nicht bindend wären, könnten sie die Rechtssicherheit erhöhen und das Risiko der Auseinanderentwicklung verringern. Solche Leitlinien könnten etwa in Form von Empfehlungen der Kommission oder einer als Anhalt dienenden Auflistung allgemeiner oder branchenspezifischer Beispiele gewisser Geschäftspraktiken enthalten. Eine solche Auflistung nach dem Beispiel der Aufzählung in der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln, hätte den Vorteil, formell stärker an die zugrunde liegenden Rechtsvorschriften geknüpft zu sein. Ferner könnte auch ein Regelungssausschuss eingesetzt werden, der es der Kommission und den Mitgliedstaten ermöglichen würde, für eine ständige Aktualisierung der Liste zu sorgen. In jedem Fall müsste die Ausarbeitung solcher Leitlinien durch ein Hoechstmaß an Transparenz und Abstimmung gekennzeichnet sein.

4.6 Partizipierung der Stakeholder

Die Entscheidung für unverbindliche Leitlinien könnte auch die Mitwirkung von Interessengruppen auf EU-Ebene an der Ausarbeitung solcher Leitlinien ermöglichen. Vertreter solcher Interessengruppen könnten von der Kommission und den Mitgliedstaaten aufgefordert werden, innerhalb einer vorgegebenen Frist eine Einigung über branchenspezifische Teile der Leitlinien zu erzielen. Dies wird jedoch nur möglich sein, wenn zuvor ein Rahmen für eine solche Mitwirkung und Kriterien für die Auswahl der Interessenvertretungen geschaffen wird. EU-weite Interessenvertretungen müssten auch besser organisiert sein, über mehr finanzielle Mittel verfügen und handlungsfähiger sein, als dies zur Zeit der Fall ist.

Fragen

Für den Fall, dass der kombinierte Ansatz gewählt wird:

* Welchen wesentlichen Inhalt sollten eine Generalklausel, die allgemeinen Prüfungen und Kernbestimmungen einer Regelung des Lauterkeitsrechts haben*

* Was wäre besser: eine Rahmenrichtlinie mit einer Generalklausel, die auf dem Grundsatz lauterer Geschäftspraktiken fußt, oder eine Rahmenrichtlinie, die lediglich von irreführenden und täuschenden Praktiken ausgeht* Welcher Ansatz wäre eher realisierbar* Mit welchem Ansatz dürfte der Problemstellung der Fragmentierung im Binnenmarkt im Verbraucherinteresse eher nachgegangen werden können*

* Wäre es sinnvoll, in einer Rahmenrichtlinie eine Grundlage für die Selbstregulierung einzubauen* Wenn ja, welche wesentlichen Optionen und Kriterien bieten sich für deren Einbeziehung an*

* Wäre es im Sinne von mehr Rechtssicherheit von Nutzen, nicht bindende praktische Leitlinien zu entwickeln* Sollte diese Art der Orientierung vorzugsweise in Form von Empfehlungen der Kommission erfolgen oder mit Hilfe einer als Anhalt dienenden Auflistung zulässiger bzw. unerlaubter Vorgehensweisen im Anhang zur Richtlinie*

* Sollte für die Erarbeitung nicht bindender rechtlicher Leitlinien eine Stakeholder-Partizipierung vorgesehen werden*

5. Durchsetzung

5.1 Rechtsdurchsetzung in der heutigen EU

Regulierende Maßnahmen müssen mit angemessenen Durchsetzungsstrukturen verknüpft sein, damit ihre einheitliche Anwendung gewährleistet ist. Die Märkte brauchen nicht nur klare und verlässliche Regeln, sondern sind auch darauf angewiesen, dass diese effektiv durchgesetzt werden. Voraussetzung für das Vertrauen der Verbraucher und für einen wettbewerbsfähigen Binnenmarkt ist die einheitliche Anwendung und Durchsetzung des Rechts unabhängig davon, wo sich der Verbraucher bzw. das Unternehmen befindet. Ob nun als Regelungsinstrument eine spezifische oder eine Rahmenrichtlinie als Ansatz gewählt wird - in jedem Fall muss er mit Durchsetzungsverfahren verknüpft werden, damit die Mitgliedstaaten in der Lage sind, in Fällen der grenzüberschreitenden Durchsetzung schnell, wirksam und effektiv zu handeln und zusammenzuarbeiten.

Im Zuge der Errichtung des Binnenmarkts mussten bereits einige Verfahren der Zusammenarbeit bei der Durchsetzung und Koordinierung entwickelt werden. So gibt es etwa förmliche Verfahren der Zusammenarbeit in Teilbereichen des Binnenmarkts, z. B. in der Steuer- und Zollpolitik oder im Bereich der Lebensmittel- und Produktsicherheit. Zum Schutz der Verbraucher gibt es derzeit mehrere informelle Verfahren und eine Rechtsvorschrift. Die Richtlinie über Unterlassungsklagen ermöglicht es den für die Durchsetzung des Verbraucherrechts zuständigen nationalen Stellen und von den Mitgliedstaaten benannten Verbraucherverbänden, die Gerichte im eigenen Land wie auch auf Gemeinschaftsebene anzurufen, damit Gewerbetreibende, die gegen die EU-Verbraucherschutzrichtlinien verstoßen, zur Unterlassung verurteilt werden können. Das International Marketing Supervision Network (IMSN) ist ein Forum für die informelle Zusammenarbeit von Fachleuten aus der ganzen Welt, die sich in der Praxis mit der Durchsetzung des Verbraucherrechts befassen und zweimal jährlich in diesem Rahmen zusammentreffen. Eine Untergruppe von Fachleuten aus der EU trifft sich ebenfalls zweimal pro Jahr.

Die Kommission arbeitet aktiv im IMSN mit und führt auch den Dialog mit den Mitgliedstaaten zur Zukunft der Zusammenarbeit im Bereich der Rechtsdurchsetzung weiter. Sie hat untersucht, wie die Durchsetzung im Binnenmarkt funktioniert, und festgestellt, dass die Durchsetzung des Verbraucherrechts im Binnenmarkt folgende wesentliche Merkmale aufweist:

* Obgleich den einzelnen Verbrauchern und den Verbraucherverbänden weiterhin eine wichtige Rolle insoweit zukommen wird, als sie ihre Rechte vor Gericht durchsetzen müssen, ist ein in vollem Umfang funktionsfähiger Binnenmarkt auch darauf angewiesen, dass staatliche Behörden, die miteinander kooperieren, sozusagen als ,letzte Durchsetzungsinstanz" tätig werden können. Die Wirtschaft als auch die Verbraucher werden dem Geschäftsverkehr nur dann Vertrauen entgegenbringen, wenn die staatlichen Behörden in der Lage sind, die Schädigung von Verbrauchern durch betrügerische, unehrliche oder unlautere Geschäftsmethoden von vorneherein zu verhindern und die betreffenden Unternehmen zu einer Abkehr von diesen Methoden zu veranlassen, ohne dass zunächst lange Prozesse geführt werden müssten. Im Binnenmarkt ist eine koordinierte Marktüberwachung unentbehrlich.

* Je mehr sich der elektronische Handel entwickelt, desto notwendiger wird die Zusammenarbeit. Die Online-Umgebung bietet betrügerischen, unehrlichen und unlauteren Geschäftemachern ungeahnte Möglichkeiten, die Unterschiede im Recht verschiedener Länder, in denen sie auf Kundenfang gehen, für sich auszunutzen und sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen. So müssen die Mitgliedstaaten nach Artikel 19 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr geeignete Aufsichts- und Untersuchungsinstrumente für die wirksame Umsetzung dieser Richtlinie besitzen und miteinander zusammenarbeiten.

* Die Zusammenarbeit der Behörden verschiedener Mitgliedstaaten ist von wesentlicher Bedeutung für die Bekämpfung von Gewerbetreibenden, die über die Grenzen hinweg betrügerische, unehrliche oder unlautere Geschäfte tätigen. Die bestehenden Möglichkeiten der Zusammenarbeit sind innerhalb ihres informellen Rahmens sehr erfolgreich genutzt worden. Für die Zusammenarbeit sind jedoch noch weitere Instrumente erforderlich, wie sie in anderen Politikbereichen bereits entwickelt wurden.

* Die Richtlinie über Unterlassungsklagen hat zwar eine große Lücke geschlossen und stellt für die Verbraucherverbände ein wichtiges Instrument dar, sie dürfte jedoch kein Allheilmittel zur Lösung dieser Probleme sein. Beim Beschreiten des Rechtswegs im Ausland dürfte sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis für staatliche Stellen wahrscheinlich nie so positiv darstellen, dass dieses Instrument für die Rechtsdurchsetzung im Alltag in Frage käme.

* Es gibt keinen Rahmen für einen systematischen Informationsaustausch (,gegenseitige Hilfe") über möglicherweise betrügerische, unehrliche oder unlautere Gewerbetreibende; solche Informationen werden weder unaufgefordert noch auf Antrag ausgetauscht. Ein umfassender Informationsaustausch ist aber der Grundpfeiler jeder effektiven Überwachung des Marktes. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage für den vertraulichen Austausch derartiger Informationen zwischen den Aufsichtsbehörden. So wurde beispielsweise im Rahmen der EU-Untergruppe des IMSN eine Datenbank eingerichtet. Dabei handelt es sich aber eher um eine Art historisches Archiv und nicht um ein ,Echtzeit"-Durchsetzungsinstrument, und zwar wegen bestehender Geheimhaltungspflichten. Aufsichtsbehörden dürfen nur eingreifen, wenn Verbraucher im eigenen Land betroffen sind, statt sich - wie es im Binnenmarkt erforderlich wäre - für alle EU-Verbraucher einsetzen zu können. Es gibt keinen Rahmen für koordinierte Maßnahmen zur Durchsetzung des Verbraucherrechts gegenüber Gewerbetreibenden, die sich an Verbraucher in verschiedenen Mitgliedstaaten wenden. Zwar existieren in den Mitgliedstaaten auf vielen Ebenen der Exekutive Aufsichtsbehörden, doch gibt es für diese in anderen Mitgliedstaaten keine zentrale Anlaufstelle und keine hinreichenden Verbindungen, die eine reibungslose Zusammenarbeit gewährleisten könnten.

* Die EU ist wegen dieses fehlenden Rahmens für die innergemeinschaftliche Zusammenarbeit bei der Rechtsdurchsetzung auch nicht in der Lage, eine wirksame Zusammenarbeit mit Drittstaaten zustande zu bringen. Die Entwicklung des elektronischen Handels, der die Möglichkeit eröffnet, weltweit über alle Grenzen hinweg Waren zu kaufen, gebietet eine solche Zusammenarbeit. Um dieser Herausforderung zu begegnen, haben die USA, Kanada und Australien ein formelles globales Kooperationsnetz geschaffen und die EU, Japan und andere Länder aufgefordert, sich daran zu beteiligen. Dem globalen Netz ist es bereits gelungen, die Probleme hinsichtlich der Vertraulichkeit, mit denen die IMSN-EU-Gruppe zu kämpfen hatte, zu lösen und eine ,Echtzeit"-Datenbank zu entwickeln. Solange die EU keinen Rahmen für eine derartige Zusammenarbeit besitzt, kann sie dem globalen Netz nicht beitreten und keinen Einfluss auf seine Entwicklung nehmen.

* Abgesehen davon, dass praktische Instrumente für die Zusammenarbeit bei der Rechtsdurchsetzung fehlen - ein Problem, das auch aus anderen Politikbereichen bekannt ist -, fehlt es außerdem an einer formellen Grundlage für die Zusammenarbeit im Rahmen gemeinsamer Projekte und für den Austausch vorbildlicher Lösungen im Bereich der Verbraucheraufklärung, -information und -vertretung. Gute Ideen werden nicht systematisch weitergegeben, und obwohl die Mittel für die Rechtsdurchsetzung und die Verbraucheraufklärung, -information und -vertretung in allen Mitgliedstaaten begrenzt sind, haben sie nur selten und punktuell versucht, Doppelarbeit zu vermeiden und ihre Kräfte zu vereinigen.

* Der Binnenmarkt für Verbraucher kann nur dann richtig funktionieren, wenn die Durchsetzung des Verbraucherrechts in allen Mitgliedstaaten ungefähr gleich effektiv ist. Artikel 153 EG-Vertrag wurde geändert im Vertrag von Amsterdam, um klarzustellen, dass die Kommission die Wirksamkeit der Politik in den Mitgliedstaaten zu überwachen hat. Derzeit gibt es keinen Rahmen, der es der Kommission erlauben würde, diese Aufgabe wahrzunehmen und zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung innerhalb des Binnenmarkts beizutragen. Mit der Erweiterung - also dem Beitritt von Ländern, die noch wenig Erfahrungen mit der Durchsetzung des Verbraucherrechts haben - wird es aber noch notwendiger werden, dass die Kommission unterstützend tätig wird.

* Die Überwachung des Verbraucherbinnenmarkts und der Wirksamkeit des Verbraucherrechts wird der Kommission ferner dadurch erschwert, dass sie kein systematisches Feedback aus den Mitgliedstaaten erhält. Aufgrund des Mangels an Feedback seitens der Aufsichtsbehörden und an systematischen Nachweisen anhand von Verbraucherbeschwerden ist es sehr schwierig, die Entwicklung des Verbraucherbinnenmarkts zu beurteilen.

5.2 Optionen für eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Rechtsdurchsetzung

Ein Rechtsrahmen für eine förmliche Zusammenarbeit der staatlichen Behörden ist für den Aufbau des Verbraucherbinnenmarkts unerlässlich. Zwar würde eine verstärkte Zusammenarbeit die in den Abschnitten 3 und 4 dargestellten Rechtsreformen durchaus ergänzen, doch besteht auch unabhängig davon ein eindeutiger Bedarf an solchen Verfahren. Der Vorteil eines Rechtsrahmens für die Zusammenarbeit besteht - wie man am Beispiel anderer Politikbereiche sehen kann - darin, dass den Aufsichtsbehörden neue Möglichkeiten und Instrumente an die Hand gegeben werden. Allerdings sind auch mit anderen Maßnahmen, die ohne Rechtsvorschriften getroffen werden könnten, Fortschritte in diesem Bereich zu erzielen. Der Umfang des Einsatzes formeller oder informeller Instrumente in der Praxis kann sich je nach Bedarf im Laufe der Zeit ändern, in jedem Fall muss es aber zunächst einmal solche Instrumente geben.

Ein Rechtsrahmen für die Zusammenarbeit brächte sogar auf der Basis des geltenden EU-Verbraucherrechts Vorteile für den Binnenmarkt, selbst wenn keine der in diesem Papier dargestellten Reformen des Verbraucherrechts durchgeführt würde. Sollte man sich hingegen für eine dieser Reformoptionen entscheiden, so werden sich noch größere Vorteile ergeben. Eine breitere gemeinsame Grundlage in Form durchsetzbarer Rechtsvorschriften würde den Aufsichtsbehörden die Zusammenarbeit und die Schaffung von Vertrauen erleichtern.

Jedenfalls würde die Entwicklung eines Rahmens für die Zusammenarbeit dazu beitragen, das Feedback zwischen der Exekutive und Legislative zu verbessern. Es liegt in der Natur der Sache, dass auf Probleme im Bereich des Verbraucherschutzes oft mit einem Policy-Mix reagiert werden muss, der die Rechtsetzung mit der Durchsetzung und mit Informations- und Aufklärungsmaßnahmen verbindet. Exekutive und Legislative sollten sich daher künftig in ihrer alltäglichen Arbeit stärker ergänzen.

Der Rechtsrahmen für die Zusammenarbeit könnte u. a. folgende Instrumente vorsehen:

* Benennung einer Behörde durch die einzelnen Mitgliedstaaten, die für die Koordinierung der Zusammenarbeit nationaler, regionaler und kommunaler Stellen bei der Rechtsdurchsetzung zuständig wäre und als zentrale Anlaufstelle fungieren könnte. Für die justizielle Zusammenarbeit wäre sie nicht zuständig.

* Festlegung von Rechten und Pflichten der Mitgliedstaaten im Rahmen einer gegenseitigen Amtshilfe. Diese könnte den Austausch von Informationen (unaufgefordert oder auf Antrag) sowie den Rückgriff auf nationale Befugnisse in Bezug auf Zustellung, Überwachung, Untersuchung und Beschlagnahme umfassen. Denkbar wäre ferner, dass in diesem Rechtsrahmen ein Grundsatz verankert würde, wonach nationale Aufsichtsbehörden für alle EU-Verbraucher tätig werden können.

* Einrichtung gemeinsamer Datenbanken und Kommunikationsnetze unter Wahrung der Vertraulichkeit.

* Begründung einer Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, der Kommission Auskünfte (zu Statistiken, Beschwerden, Risikoverläufen, Notfällen) zu erteilen, damit diese sie an die anderen Mitgliedstaaten weitergeben kann, wodurch die Koordinierung der Marktaufsicht verbessert würde. In diesem Rahmen wäre auch die Entwicklung eines EU-weiten Systems zur Klassifizierung von Beschwerden nach Art und Wirtschaftsbranche denkbar, ferner die Einführung einer Pflicht der Kommission zur Beobachtung und Bewertung der Rechtsdurchsetzung im Binnenmarkt und nationaler Umsetzungsmaßnahmen sowie zur Koordinierung gemeinsamer Projekte.

* Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, koordinierte Durchsetzungsmaßnahmen (gleichzeitige Untersuchungen, Verfügungen usw.) durchzuführen, wenn auch im Rahmen nationaler Durchsetzungsbefugnisse.

* Möglichkeit, von der EU und den Mitgliedstaaten gemeinsam getragene Projekte durchzuführen, z. B. Informations- und Kommunikationsnetze, gemeinsame Datenbanken, Fortbildung, Seminare, Austauschprogramme und gemeinsame Inspektionen.

* Möglichkeit für die EU, im Bereich der Rechtsdurchsetzung mit Drittländern zusammenzuarbeiten und globalen Durchsetzungsnetzen beizutreten. Mögliche Beteiligung der Bewerberländer an Kooperationsinitiativen, vor allem an gemeinsamen Projekten.

Unabhängig davon, welche dieser Instrumente letztlich ausgewählt und in den Rechtsrahmen für die Zusammenarbeit aufgenommen werden: Zwecks Durchführung desselben müsste in jedem Fall gemäß dem Beschluss 1999/468/EG [44] ein aus Vertretern der Kommission und der Mitgliedstaaten bestehender Ausschuss eingesetzt werden. Dieser hätte dann die Aufgabe, diese Zusammenarbeit in die Wege zu leiten und als Forum für Analyse, Monitoring, Fehlerbeseitigung und nicht-legislative Maßnahmen zu fungieren.

[44] Beschluss des Rates vom 28.6.1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. L184 vom 17.7.1999, S. 23).

Fragen

* Ist zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung des Verbraucherrechts zuständigen Behörden ein Rechtsrahmen erforderlich*

* Welchen wesentlichen Inhalt sollte ein solcher Rechtsrahmen haben*