52001DC0355

Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Öffentliche Finanzen in der WWU – 2001 {SEC (2001) 1093 } /* KOM/2001/0355 endg. */


Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Öffentliche Finanzen in der WWU - 2001 {SEC (2001) 1093 }

Die haushaltspolitische Debatte in der WWU entwickelt sich rasch weiter

Diese Mitteilung ist den öffentlichen Finanzen in der WWU gewidmet. Sie blickt zurück auf die Haushaltsergebnisse der Mitgliedstaaten im Jahr 2000 und bewertet die kurz- und mittelfristigen Aussichten. [1] Darüber hinaus enthält die Mitteilung eine genaue Untersuchung einiger der wichtigsten Fragen aus der rasch fortschreitenden Debatte über die Haushaltspolitik auf der EU-Ebene. Mehrere Faktoren bestimmen diese Debatte, nicht zuletzt ein zunehmendes Verständnis für die Herausforderungen und Beschränkungen, denen sich die Mitgliedstaaten bei der Haushaltspolitik in der WWU gegenübersehen. Die Diskussionen über die Haushaltspolitik in der EU werden von folgenden vier Themen beherrscht:

[1] Diese Mitteilung stützt sich auf die Analysen in dem Bericht ,Öffentliche Finanzen in der WWU - 2001" der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, Europäische Wirtschaft Nr. 3, 2001.

* dem Ziel des Stabilitäts- und Wachstumspakts, nämlich einem "nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalt" zu erreichen, ein wichtiges Ziel, das in mehreren Mitgliedstaaten noch nicht erreicht ist: Nachdem im Vorfeld der WWU eindrucksvolle Erfolge bei der Haushaltskonsolidierung erzielt wurden, haben sich die Mitgliedstaaten in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik selbst verpflichtet, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt angestrebten Haushaltspositionen, d.h. "nahezu ausgeglichene oder einen Überschuss aufweisende Haushalte" in der Regel bis Ende 2001 zu erreichen. Die Einhaltung des im Stabilitäts- und Wachstumspakt gesteckten Ziels ist für das reibungslose Funktionieren der WWU von entscheidender Bedeutung, da auf diese Weise die Defizitgrenze von 3 % des BIP gesichert würde und die automatische Stabilisatoren im Falle einer Konjunkturverlangsamung voll wirken könnten. Angesichts der für dieses Jahr prognostizierten Verschlechterung der Haushaltssalden und der zunehmenden Wirtschaftsrisiken bleibt die Erreichung des im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten Ziels eine wichtige haushaltspolitische Aufgabe für die Länder, die nach wie vor erhebliche strukturelle Defizite aufweisen.

* Bedeutung einer Haushaltspolitik, die sowohl auf der Ebene des Euro-Gebiets als auch der Mitgliedstaaten für einen angemessenen Policy-mix sorgt: Die WWU ist insofern als Rahmen für die Wirtschaftspolitik einzigartig, als darin die Geldpolitik zentralisiert ist, die Haushaltspolitik aber dezentral bleibt. Daher muss die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten für einen angemessenen Policy-mix auf nationaler Ebene sorgen und gleichzeitig zu einer angemessenen Ausrichtung der Finanzpolitik im Euro-Gebiet beitragen. Man ist sich zunehmend bewusst, daß beide Ziele erreicht werden müssen. Wie wichtig es ist, daß die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene für den richtigen Policy-mix sorgt, wurde vor einigen Monaten deutlich, als in mehreren Mitgliedstaaten des Euro-Gebiets klare Anzeichen einer Überhitzung zu erkennen waren. Überdies wird ein ausgewogener Policy-mix im gesamten Euro-Gebiet (bei dem die Geldpolitik von der Finanzpolitik nicht überbeansprucht wird) mehr und mehr als notwendiger Schritt zur erfolgreichen Bekämpfung der gegenwärtigen Konjunkturabschwächung anerkannt.

* Breitere Debatte über die Haushaltspolitik, um auch die Qualität und langfristige Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen einzubeziehen: Nachdem die meisten Mitgliedstaaten ihre Haushaltsungleichgewichte reduziert haben, rücken neue Prioritäten in den Vordergrund. Die haushaltspolitische Debatte auf EU-Ebene muss über ihre derzeitige Ausrichtung auf die Haushaltsdisziplin hinaus erweitert werden zu einer gleichzeitigen Beachtung des Beitrags der öffentlichen Finanzen zu Wachstum und Beschäftigung. Die Mitgliedstaaten stehen heute vor der Aufgabe, für langfristig solide Haushaltspositionen zu sorgen, die steuerliche Belastung zu verringern, gleichzeitig aber die Staatsausgaben zur Unterstützung einer wissensbasierten Wirtschaft umzuschichten und Vorsorge für die budgetären Konsequenzen der alternden Gesellschaft zu treffen. Die Nachhaltigkeit öffentlicher Haushalte trägt auch zu einer Gesamtstrategie der nachhaltigen Entwicklung bei, die der Europäische Rat in Göteborg im Juni 2001 gebilligt hat. Der haushaltspolitische Überwachungsprozeß auf EU-Ebene muss weiterentwickelt werden, wenn er die Mitgliedstaaten bei ihren ehrgeizigen Reformplänen unterstützen soll, ohne daß diese die Haushaltsdisziplin in Gefahr bringen.

* Notwendigkeit einer besseren Koordinierung der Haushaltspolitik: Die Ereignisse der letzten Zeit haben deutlich gemacht, daß die Koordinierung in haushaltspolitischen Fragen in der WWU unzulänglich ist und es den Mitgliedstaaten daher nicht gelungen ist, rechtzeitig und konsistent auf gemeinsame wirtschaftliche Schocks oder Herausforderungen zu reagieren. Als Beispiele solcher Koordinierung wären zu nennen: Wie soll auf den Druck zur Senkung der Mineralölsteuern angesichts steigender Ölpreise reagiert werden- Was soll mit den unerwarteten Gewinnen aus dem Verkauf der Mobilfunklizenzen der dritten Generation (UMTS) geschehen- Wie kann die steuerliche Belastung nachhaltig verringert werden- Welche Rolle sollte die Haushaltspolitik bei der Dämpfung von Überhitzungserscheinungen spielen- Bei wirtschaftlichen Schocks und Herausforderungen dieser Art kann man wohl erwarten, daß die Länder in einer Währungsunion mit politischen Maßnahmen reagieren werden, die in sich stimmig sind und die Folgen für das gesamte Euro-Gebiet mitberücksichtigen, wenngleich die politischen Reaktionen im Einzelnen offensichtlich auf die länderspezifischen Umstände zugeschnitten sein müssen. Selbst dann, wenn die von den Mitgliedstaaten beschlossene Politik im Großen und Ganzen mit den finanzpolitischen Vorgaben der EU übereinstimmte, hat die unzulängliche Koordinierung doch den Eindruck erweckt, manche Länder seien nicht bereit, die Konsequenzen ihrer eigenen Politik für das gesamte Euro-Gebiet anzuerkennen, und eine Koordinierung erfolge erst nachträglich. Die offenkundigen Unzulänglichkeiten der haushaltspolitischen Koordinierung zu beseitigen ist demnach eine notwendige und dringende Aufgabe.

Haushaltsentwicklungen und -aussichten

Die jüngsten haushaltspolitischen Entwicklungen und -aussichten ergeben ein uneinheitliches Bild. Auf der einen Seite ist das Haushaltsdefizit des Euro-Gebiets im Jahr 2000 (ohne die UMTS-Erlöse) weiter auf 0,7 % des BIP gesunken, was gegenüber 1999 einem Rückgang um 0,5 % des BIP entspricht, und gleichzeitig wird die steuerliche Belastung in den meisten Ländern gesenkt. Überdies sind die einmaligen Haushaltseinnahmen aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen vereinbarungsgemäß zum größten Teil für den Schuldenabbau verwendet worden.

Auf der anderen Seite werden vier Länder des Euro-Gebiets (Deutschland, Frankreich, Italien und Portugal) den Prognosen zufolge im Jahr 2001 erhebliche Defizite aufweisen. Diese Staaten haben die Gelegenheit des zuletzt recht vorteilhaften Wachstums verpasst, um die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu erreichen, und sie haben daher nun im Angesicht der gegenwärtigen Abschwächung weniger Spielraum. Im allgemeinen hätte das Haushaltsergebnis für 2000 besser ausfallen sollen, da manche Regierungen die unerwartet hohe "Wachstumsdividende" über Steuererleichterungen oder Ausgabensteigerungen zum Teil verschenkt haben. Überdies dürften sich sowohl die tatsächlichen als auch die konjunkturbereinigten Haushaltssalden des Euro-Gebiets im Jahr 2001 etwas verschlechtern und damit den Haushaltskonsolidierungsprozess zum ersten Mal seit 1993 unterbrechen. Dies ist weitgehend auf begrüßenswerte Steuererleichterungen in manchen Ländern zurückzuführen, doch wurden flankierende Reformen auf der Ausgabenseite in manchen Ländern vorerst verschoben oder verwässert, u. a. Maßnahmen zur Modernisierung der Rentensysteme.

In den meisten Ländern nehmen die Risiken zu, und es sind Anzeichen für ein nachlassendes Wachstum zu erkennen. Vor diesem Hintergrund müsste zugelassen werden, daß die automatischen Haushaltsstabilisatoren in Ländern, die bereits Haushaltspositionen in Übereinstimmung mit dem im Stabilitäts- und Wachstumspakt angestrebten Ziel eines "nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalts" erreicht haben, voll wirken können. In den Mitgliedstaaten, die dieses Ziel noch nicht erreicht haben, kann dagegen möglicherweise nicht zugelassen werden, daß sich die automatischen Stabilisatoren voll auswirken, da dies dazu führen könnte, daß sich die Haushaltsdefizite wieder der Grenze von 3% des BIP nähern.

Insgesamt war der Policy-mix für das Euro-Gebiet in den Jahren 2000 und 2001. Im Gegensatz dazu war der Policy-mix auf nationaler Ebene nicht immer angemessen, da sich die öffentlichen Finanzen in manchen Ländern im Widerspruch zu den dort herrschenden konjunkturellen und monetären Bedingungen entwickelten. Auf kurze Sicht kommt es wesentlich darauf an, daß ein solider Policy-mix auf der Ebene des Euro-Gebiets gewahrt bleibt, um die nachteiligen Folgen der derzeitigen Wachstumsverlangsamung in Grenzen zu halten: Eine unbegründete Lockerung der finanzpolitischen Zügel könnte die Geldpolitik überstrapazieren und zu unnötig hohen Zinssätzen führen. Besonderer Anstrengungen bedarf es auch in den Mitgliedstaaten, in denen Überhitzungserscheinungen zu beobachten sind, damit der finanzpolitische Kurs auf nationaler Ebene die besonderen konjunkturellen und monetären Bedingungen widerspiegelt, mit denen es diese Länder zu tun haben.

Was die mittelfristigen Aussichten anlangt, so sehen die aktualisierten Stabilitäts- und Konvergenzprogramme eine weitgehend neutrale Finanzpolitik vor, während gleichzeitig die steuerliche Belastung stetig gesenkt werden könnte. Sie zeigen auch, daß alle Mitgliedstaaten das im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegte Ziel eines ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalts anstreben, in mehreren Fällen jedoch erst 2003 oder 2004. Dies zeigt, daß der Schwerpunkt der Haushaltskonsolidierung in manchen Ländern auf die Endjahre der Programme verlagert wird. Es ist wichtig, daß das im Stabilitäts- und Wachstumspakt verankerte Ziel entsprechend der in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik eingegangenen Verpflichtungen erreicht und nicht immer wieder auf später verschoben wird. Wenngleich manche Mitgliedstaaten mittelfristige Ziele festgelegt haben, die über den nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt angepeilten "nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalt" hinausgehen, sind die Programme der meisten Mitgliedstaaten in Bezug auf andere Haushaltsziele doch offenbar wenig anspruchsvoll, speziell wenn es sich um die notwendige Vorsorge für die haushaltsmäßigen Auswirkungen der alternden Gesellschaft handelt.

Haushaltsüberwachung und -organe

Eine solide Haushaltsentwicklung setzt wirksame Institutionen voraus, d. h. effiziente Entscheidungsverfahren, Ziele und Verhaltensregeln. Es ist deshalb notwendig, zu untersuchen, wie sich die Haushaltsorgane auf der Ebene sowohl der EU als auch der einzelnen Staaten auf den neuen Rahmen für die nationale Finanzpolitik in einer Währungsunion einstellen.

Eine zentrale Frage im Rahmen der Haushaltsüberwachung in der WWU ist, welches die angemessenen mittelfristigen Zwischenziele zur Einhaltung des im Stabilitäts- und Wachstumspakt verankerten Ziels eines "nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalts" sind. Zu Beginn der WWU galt es in einem ersten Schritt dafür zu sorgen, daß die Haushaltspositionen der Mitgliedstaaten eine hinreichende Sicherheitsmarge aufweisen, so daß die automatischen Stabilisatoren bei Konjunkturabschwüngen wirken können, ohne die Defizitgrenze von 3 % des BIP in Gefahr zu bringen. Nachdem inzwischen in den meisten Mitgliedstaaten eine solche konjunkturelle Sicherheitsmarge geschaffen worden ist, ist es an der Zeit, zu dem eigentlichen Ziel des Stabilitäts- und Wachstumspakts, d. h. Haushaltspositionen überzugehen, die "nahezu ausgeglichen sind oder einen Überschuss aufweisen". Auf diese Weise würde ein zusätzlicher Spielraum für andere Haushaltsrisiken geschaffen (wie z. B. unerwartete Steuereinnahmeausfälle, Ausgabenüberschreitungen oder Zinsschocks) und in hochverschuldeten Ländern eine rasche Rückführung der öffentlichen Verschuldung in Richtung des Referenzwerts von 60 % des BIP möglich gemacht.

Für die meisten Länder wären strukturell nahezu ausgeglichene Haushalte zur Erreichung des Ziels des Stabilitäts- und Wachstumspakts angemessen, da auf diese Weise Vorsorge für Haushaltsrisiken in Verbindung mit Konjunkturabschwüngen sowie für unerwartete Haushaltsentwicklungen getroffen würde. Die Einhaltung dieses Ziels ist für hochverschuldete Länder (Belgien, Griechenland und Italien) besonders wichtig, damit dort der öffentliche Schuldenstand rasch unter die Schwelle von 60% des BIP sinkt. Für Länder mit großen automatischen Stabilisatoren (Niederlande, Finnland und außerhalb des Euro-Gebiets Dänemark und Schweden) erscheint allerdings ein kleiner struktureller Überschuss von etwa 1 % des BIP angemessen. Diese empfohlenen Zwischenziele stimmen insgesamt mit den in den aktualisierten Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen skizzierten Haushaltsprojektionen der Mitgliedstaaten überein.

In einer Mitteilung zur Verstärkung der politischen Koordinierung im Euro-Gebiet [2] hat die Kommission kürzlich einige praktische Empfehlungen zur Verbesserung der Haushaltsüberwachung in der EU im Rahmen des bestehenden Regelwerks vorgelegt. Vier Anregungen verdienen Beachtung, nämlich a) den Grundsatz aufzustellen, daß die Mitgliedstaaten Kommission und Rat von wichtigen Haushaltsentscheidungen im Voraus unterrichten, bevor diese endgültig beschlossen werden; b) die Vorlage der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme jeweils auf den Herbst zu konzentrieren; c) den Informationsgehalt der Programme zu verbessern und d) darin auch auf die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen einzugehen.

[2] KOM(2001)82

Nationale Haushaltsregeln und -verfahren tragen zur Erreichung der Haushaltsziele auf der EU-Ebene bei. Die Haushaltsorgane der Mitgliedstaaten werden offensichtlich auf verschiedene Weise durch die Notwendigkeit beeinflusst, im Einklang mit der EU-Überwachung zu handeln. Der Kernpunkt dabei ist, daß im Stabilitäts- und Wachstumspakt Haushaltsziele und -verpflichtungen auf mittlere Sicht (drei bis vier Jahre) aufgestellt werden, während auf nationaler Ebene traditionell ein einjähriger Haushaltszyklus im Mittelpunkt des Interesses steht. Zum Teil in Reaktion auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt verwenden mehrere Mitgliedstaaten inzwischen eine mehrjährige Finanzplanung oder sonstige Mechanismen/Richtwerte, um mittelfristige Prioritäten für die öffentlichen Ausgaben zu setzen und ihre Einhaltung zu kontrollieren.

Die Verpflichtungen im Rahmen der EU sind auch für die Gestaltung der Beziehungen zwischen den verschiedenen Haushaltsakteuren auf nationaler Ebene, d. h. Zentralregierung, nationale Parlamente und Gebietskörperschaften, maßgeblich. Mehrere Mitgliedstaaten haben Regelungen zur Stärkung der Verantwortung der einzelnen staatlichen Ebenen für die Erreichung des in dem Stabilitäts- oder Konvergenzprogramm fixierten Ziels für den gesamtstaatlichen Haushaltssaldo eingeführt. Eine erfreuliche Entwicklung sind die sogenannten "internen Stabilitätspakte", die in mehreren Mitgliedstaaten vereinbart wurden.

Haushaltspolitik und Konjunkturstabilisierung in der WWU

Haushaltspolitik und Konjunkturstabilisierung (und insbesondere das Funktionieren der automatischen Stabilisatoren) sind zentrale Fragen in der Diskussion über die Fiskalpolitik in der WWU. Die Analyse dieser Themen ist insofern wichtig, als sie als Grundlage für die Entwicklung von Leitlinien für eine angemessene politische Reaktion dienen könnte, die von einem Mitgliedstaat der WWU erwartet würde, wenn er verschiedenen Arten von ökonomischen Schocks ausgesetzt ist, d.h., sie soll einen gemeinsamen analytischen Rahmen liefern, der dazu beitragen könnte, die Koordinierungsmängel der Vergangenheit zu vermeiden.

Da es in der WWU keine nationale Geldpolitik mehr gibt, muss die Haushaltspolitik bei der Bewältigung der Auswirkungen länderspezifischer Schocks auf die realwirtschaftliche Leistung eine größere Rolle spielen. Für die Haushaltspolitik sollte daher die Norm gelten, daß man die automatischen Stabilisatoren sowohl bei Konjunkturauf- als auch -abschwüngen ungehindert wirken lassen sollte und daß eine diskretionäre Politik eher die Ausnahme als die Regel sein sollte. Zwar ist diese Regel weitgehend unumstritten, aber es bleibt dennoch eine Reihe offener Fragen. Sind automatische Stabilisatoren für die Wirtschaft stets von Nutzen- Inwieweit können automatische Stabilisatoren Konjunkturausschläge glätten- Mit welcher Art von Reformen könnten die automatischen Stabilisatoren wirksamer gemacht werden-

Die Antworten auf diese Fragen hängen weitgehend davon ab, ob die Schocks die Nachfrage- oder die Angebotsseite der Wirtschaft betreffen, wenngleich diese Unterscheidung in der Praxis nicht immer eindeutig zu treffen ist. Im Falle von Nachfrageschocks wie beispielsweise einer Beschleunigung des Privatverbrauchs oder eines Exportrückgangs bewegen sich Outputlücke und Inflation in der gleichen Richtung. Automatische Stabilisatoren können daher insofern eine nützliche Rolle spielen, als sie die Auswirkungen sowohl auf die Produktion als auch auf die Preise abfedern. Empirische Belege zeigen, daß automatische Stabilisatoren besonders wirkungsvoll sind, wenn Schocks aufgefangen werden sollen, die den Privatverbrauch betreffen, daß sie aber bei Schocks, die die Investitionen oder die Auslandsnachfrage betreffen, weniger wirksam sind.

Im Gegensatz dazu bewirken Schocks auf der Angebotsseite (wie z.B. Veränderungen der Energiepreise oder technologische Innovationen) normalerweise, daß sich Output und Inflation in entgegengesetzter Richtung bewegen: So führt ein Ölpreisanstieg beispielsweise dazu, daß die Outputlücke negativ wird und die Inflationsrate ansteigt. In diesem Fall helfen automatische Stabilisatoren zwar bei der Verstetigung des Outputs, jedoch um den Preis einer noch höheren Inflation. Ist der Schock von Dauer (d.h. beeinflusst er das Niveau des Produktionspotenzials), so sind automatische Stabilisatoren möglicherweise nicht hilfreich, wenn sie die erforderliche Anpassung an das "neue" Niveau des Produktionspotenzials nur verzögern: Vielmehr müssten die öffentlichen Finanzen bewirken, daß die Produkt- und Faktormärkte flexibler werden, damit sich die Produktion auf dem neuen Gleichgewichtsniveau einpendeln kann. In der Praxis zeigen die empirischen Belege, daß automatische Stabilisatoren bei Angebotsschocks eine relativ geringe Wirkung haben: Somit ist es unwahrscheinlich, daß sie die erforderliche Anpassung ernstlich behindern oder der EZB die Wahrung der Preisstabilität erschweren.

Verbesserung von Qualität und Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen

Der Europäische Rat von Stockholm hat im März 2001 anerkannt, daß die Debatte über die Haushaltspolitik auf EU-Ebene gegenüber ihrer derzeitigen Konzentration auf die Haushaltsstabilität erweitert werden muss, indem parallel dazu auch der Beitrag der öffentlichen Finanzen zu Wachstum und Beschäftigung in den Vordergrund gerückt wird. So forderte der Europäische Rat insbesondere, daß Qualität und langfristige Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen verbessert werden sollten.

Wie im gemeinsamen Bericht von Kommission und Rat an den Europäischen Rat in Stockholm vom März 2001 ausgeführt wird, [3] kann die "Qualität" der öffentlichen Finanzen auf verschiedenste Weise zu Wirtschaftswachstum und Beschäftigung beitragen. Öffentliche Ausgaben (z.B. für Sach- und Humankapital, Forschung und Innovation, Bildung, soziale und regionale Transfers) können die Beschäftigung und das Produktionspotenzial stärken. Bislang hat allerdings der Mangel an konsistenten und aktuellen Daten, zumal über die funktionale Verteilung der Staatsausgaben, eine gründliche und vollständige Untersuchung dieser Probleme behindert, die in künftigen Berichten in Verbindung mit Benchmark-Prüfungen der betreffenden Politikfelder (z.B. Bildung, Forschung und Innovation) behandelt werden müssen. Es ist wichtig, daß sich die Mitgliedstaaten energisch für die Behebung derartiger statistischen Mängel einsetzen.

[3] Rat der Europäischen Union (2001), ,Der Beitrag der Öffentlichen Finanzen zu Wachstum und Beschäftigung: Die Verbesserung von Qualität und Nachhaltigkeit", Bericht der Kommission und des (ECOFIN) Rates an den Europäischen Rat (Stockholm, 23./24. März 2001), 5260/01.

Auch die Steuersysteme können insofern zu Beschäftigung und Wachstum beitragen, als sie eine ausgewogenen Verteilung der Lasten auf die verschiedenen Steuerquellen anstreben, das Unternehmertum erleichtern und den Wirtschaftsakteuren die richtigen Anreize zum Arbeiten, Sparen und Investieren bieten. Effiziente Steuersysteme können im Falle dauerhafter Schocks auch den Strukturwandel erleichtern; sie können die Arbeitskräfte ermuntern, länger im Erwerbsleben zu bleiben und so dazu beitragen, die Herausforderungen der Bevölkerungsalterung zu bewältigen.

Bei der steuerlichen Entlastung der Arbeit und Senkung der Grenzsteuersätze sind gewisse Fortschritte erzielt worden. Dies geschah in mehreren Mitgliedstaaten im Rahmen von Ökosteuerreformen, wobei steuerliche Entlastungen des Faktors Arbeit durch neue oder höhere Abgaben für Umweltverschmutzungen und Ressourcenverbrauch finanziert wurden, so daß die externen Umweltkosten in die Marktpreise eingehen. Bislang waren die Erfolge jedoch uneinheitlich, und es bedarf noch weiterer Anstrengungen, denn die steuerliche Belastung der Arbeit ist in manchen Mitgliedstaaten im historischen und internationalen Maßstab immer noch sehr hoch. Besondere Anstrengungen sind auch nötig, um die steuerliche Belastung gering bezahlter Arbeit zu verringern. Fortschritte im Bereich der Ökosteuern sind bislang sehr bescheiden gewesen und dieses Thema könnte in künftigen Berichten behandelt werden.

In den letzten Jahren sind bei den Sozialleistungssystemen zwar bescheidene Fortschritte erzielt worden, aber diese Systeme müssen noch beschäftigungsfreundlicher werden. In letzter Zeit sind die Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit und sonstige Sozialleistungen durch Überprüfung der Anspruchsberechtigung verstärkt worden. Es wird sorgfältiger geprüft, ob die Voraussetzungen für den Erhalt von Leistungen gegeben sind, und die Verwaltung und Durchsetzung dieser Regelungen wurden verbessert. Oftmals fehlt es jedoch an einem umfassenderen Konzept, das die Wechselwirkungen zwischen Abgaben- und Leistungssystemen berücksichtigt. Auch die Umstellung von passiven auf aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen hielt sich verhältnismäßig in Grenzen. Ohne weitere Reformen wird die EU die ehrgeizigen Beschäftigungsziele, die der Europäische Rat in Lissabon und Stockholm gesteckt hat, nur schwer erreichen können.

Die langfristige Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen ist von besonderer Bedeutung in der WWU. Infolge der Alterung der Bevölkerung wird das Arbeitskräfteangebot wesentlich schrumpfen, während sich die Altersabhängigkeitsquote bis 2050 verdoppeln und das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen folglich stark verringern wird. Die jüngsten Projektionen des Ausschusses für Wirtschaftspolitik zeigen, daß sich die öffentlichen Rentenausgaben in den meisten Mitgliedstaaten in den nächsten Jahrzehnten um 3 bis 5 % des BIP erhöhen könnten, wobei in manchen Ländern mit besonders starken Zuwächsen gerechnet wird (vor allem in Spanien, Griechenland und Portugal, in denen die Renten durchweg auf Umlagebasis finanziert werden). Berücksichtigt man noch die Kranken- und Pflegeversicherung für ältere Menschen, so könnten die Gesamtauswirkungen der alternden Gesellschaft die Staatsausgaben um durchschnittlich 5 bis 8 % des BIP ansteigen lassen.

Dies weckt Sorgen bezüglich der langfristigen Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen: Wenn nicht Vorsorge für die durch die alternde Gesellschaft entstehenden Haushaltsbelastungen getroffen wird, könnte es den Mitgliedstaaten schwer fallen, den Stabilitäts- und Wachstumspakt einzuhalten, und auch für die EZB würde die einheitliche Geldpolitik komplizierter. Auf Dauer tragfähige öffentliche Finanzen zu sichern bedeutet aber nicht nur, daß strukturelle Defizite und ein Anstieg der Schuldenlast vermieden werden (d.h., daß die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts eingehalten werden), sondern auch, daß die steuerliche Belastung ein vernünftiges Maß nicht überschreiten darf, damit Beschäftigung und Wachstum nicht behindert werden, und daß wesentliche altersunabhängige öffentliche Ausgaben (z.B. für Bildung und Investitionen) nicht durch den verstärkten Druck der Renten- und Gesundheitsausgaben verdrängt werden.

In dem gemeinsamen Bericht von Kommission und Rat an den Europäischen Rat von Stockholm wurde eine dreigleisige Strategie skizziert, um die budgetären Folgen der Bevölkerungsalterung aufzufangen, nämlich eine angemessene Kombination aus: (1) einer rascheren Rückführung der öffentlichen Verschuldung, (2) Maßnahmen zur Steigerung der Erwerbstätigenquoten, insbesondere bei Frauen und älteren Arbeitskräften und (3) einer Reform der Rentensysteme, um sie auf eine solide finanzielle Grundlage zu stellen, u.a. durch stärkeren Rückgriff auf kapitalgedeckte Rentensysteme. Die generelle Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen hängt auch von greifbaren Fortschritten bei der Durchführung der Strukturreformen auf den Produkt- und Kapitalmärkten ab.

Der Europäische Rat forderte in Stockholm auch, daß die langfristige Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen auch im Stabilitäts- und Wachstumspakt und in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik berücksichtigt werden sollte.

Wenngleich sich die Haushaltsauswirkungen der alternden Gesellschaft erst auf lange Sicht bemerkbar machen, werden sie doch durch kurz- und mittelfristige wirtschaftspolitische Entscheidungen bestimmt, die innerhalb des Zeitrahmens der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme getroffen werden. Zwischen Steuersenkungen und Schuldenabbau muss ein angemessenes Gleichgewicht gefunden werden, wobei letzterer in hoch verschuldeten Ländern Vorrang haben muss. Die in den Programmen skizzierten aktuellen Entscheidungen (z.B. über das mittelfristige Haushaltsziel, das Tempo des Schuldenabbaus sowie Ausmaß und Art der Steuerreformen) müssen daher gegenüber der Verpflichtung, die öffentlichen Finanzen auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, abgewogen werden. Um solche regelmäßigen Bewertungen auf EU-Ebene vornehmen zu können, muss noch weiter an der Entwicklung vergleichbarer Daten und Kennziffern gearbeitet werden. Die Projektionen über die Auswirkungen der Bevölkerungsalterung auf die öffentlichen Finanzen in Anlehnung an die derzeitigen Arbeiten im Ausschuss für Wirtschaftspolitik könnten regelmäßig, beispielsweise alle zwei Jahre, fortgeschrieben und in die aktualisierten Fassungen der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme eingearbeitet werden.

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Die künftige Aufgabe: verstärkte Koordinierung in Haushaltsfragen

Wenn der dezentrale (bottom-up) haushaltspolitische Ansatz funktionieren soll, muss die wirtschaftspolitische Koordinierung mit echter Substanz ausgefuellt werden, wobei die das gesamte Euro-Gebiet betreffende Dimension nationaler wirtschaftspolitischer Maßnahmen realistisch zu berücksichtigen ist. Die Märkte und die breite Öffentlichkeit wollen keine zentrale Finanzbehörde in der WWU, wohl aber einen greifbaren Beweis für die Fähigkeit, für eine in sich stimmige Haushaltspolitik auf der Ebene des Euro-Gebiets und der einzelnen Staaten zu sorgen, und für die Entschlossenheit der Staaten des Euro-Gebiets, vereinbarte Regeln und Haushaltsziele zu respektieren. Eine effektive Koordinierung der Politik erfordert, daß ein gemeinsamer und transparenter analytischer Rahmen für die Analyse der wirtschaftspolitischen Aufgaben und die Gestaltung der entsprechenden Reaktionen besteht, und daß die Rückwirkungen der einzelstaatlichen Politik für das gesamte Euro-Gebiet in angemessener Weise und rechtzeitig berücksichtigt werden. An einer Verbesserung der haushaltspolitischen Zusammenarbeit in der WWU muss weiter gearbeitet werden.