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Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem «Weißbuch zur Umwelthaftung»

Amtsblatt Nr. C 268 vom 19/09/2000 S. 0019 - 0023


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Weißbuch zur Umwelthaftung"

(2000/C 268/07)

Die Kommission beschloss am 18. Februar 2000, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten Weißbuch zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 21. Juni 2000 an. Berichterstatterin war Frau Sánchez Miguel.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 374. Plenartagung am 12. und 13. Juli 2000 (Sitzung vom 12. Juli) mit 87 gegen 7 Stimmen bei 19 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Fast sieben Jahre mussten seit dem Grünbuch über die Sanierung von Umweltschäden(1) vergehen, bis die Kommission ein Weißbuch veröffentlicht, in dem die Eckpunkte einer künftigen gemeinschaftlichen Regelung zur Umwelthaftung festgelegt und die wichtigsten Faktoren beschrieben werden, die eine effiziente, dauerhafte Anwendung der Regelung ermöglichen werden.

1.2. Seither ist deutlich geworden, dass es nicht nur um die Vermeidung von durch die Tätigkeit des Menschen verursachten Umweltschäden, sondern auch um die praktische Umsetzung eines weiteren, im gesamten Gemeinschaftsrecht auftretenden, grundlegenden Prinzips geht: des Verursacherprinzips, das von allen gesellschaftlichen Kräften in mehr oder minder großem Umfang akzeptiert wird.

1.3. Die schwerwiegenden Vorkommnisse der letzten Jahre ("Doñana", "Erika", "Baia Mare" u. a.) haben deutlich gemacht, dass eine über die nationalen Gesetze zur Umwelthaftung hinausgehende Regelung erforderlich ist, denn der nationale Rahmen bietet keine adäquaten Instrumente in den Fällen, in denen mehr als ein Land von den Schäden betroffen ist. Neben den erheblichen Unterschieden zwischen den einzelnen nationalen Rechtsvorschriften über Umwelthaftung ist auch festzustellen, dass in einigen Ländern eine entsprechende Gesetzgebung gänzlich fehlt, was eine angemessene Lösung von Umweltproblemen erschwert.

1.4. Darüber hinaus bedarf es einer Regelung für Sachverhalte, die eine Vorhersage möglicher Auswirkungen erfordern, wie z. B. bei der großflächigen Nutzung genetisch veränderter Organismen, deren Verwendung derzeit sehr ablehnende Haltungen in der Bürgergesellschaft hervorruft. Für derartige Organismen muss das Verursacherprinzip in vollem Umfang gelten. Die EU verfügt gegenwärtig über eine Rechtsnorm, die sich in Überarbeitung befindet(2). In einigen Mitgliedstaaten gibt es Stimmen, die ein Moratorium für die Verwendung genetisch veränderter Organismen fordern, bis deren Unschädlichkeit für die menschliche Gesundheit und die Umwelt wissenschaftlich erwiesen ist.

2. Wesentlicher Inhalt des Weißbuchs

2.1. In diesem Weißbuch werden verschiedene Optionen für Gemeinschaftsmaßnahmen auf dem Gebiet der Umwelthaftung untersucht, um die Anwendung der umweltpolitischen Grundsätze in Artikel 174 Absatz 2 des EG-Vertrages (Vorsorge-, Vorbeuge- und insbesondere Verursacherprinzip) sowie die Umsetzung der gemeinschaftlichen Umweltgesetzgebung zu verbessern. Hinsichtlich der Anwendung dieser Grundsätze kann eine solche Regelung ein wirksames Instrument zur Vorbeugung sein, das die übrigen gemeinschaftsweit geltenden Umweltvorschriften ergänzt. Letztendlich soll jedoch erreicht werden, dass Umweltschäden über die Durchsetzung des Verursacherprinzips wiederhergestellt werden, so dass die Kosten nicht unmittelbar auf die Gesellschaft durchschlagen.

2.2. Zu den möglichen wichtigen Merkmalen eines Gemeinschaftssystems, die im Weißbuch beschrieben werden, gehören:

- keine Rückwirkung;

- Abdeckung sowohl von Schäden im herkömmlichen Sinne (gesundheitliche und Sachschäden) als auch von Umweltschäden [Standortverunreinigung und Schädigung der biologischen Vielfalt; letztere nur in durch Natura 2000 geschützten Gebieten, gestützt auf die Habitat- und die Vogelschutzrichtlinie. Damit sind nicht nur Schäden an den Habitaten abgedeckt, sondern auch Schädigungen der Flora und Fauna (z. B. Zugvögel)];

- begrenzter und mit den EG-Umweltschutzvorschriften verknüpfter Anwendungsbereich ("geregelte Tätigkeiten"): Standortverunreinigungen und Schäden im herkömmlichen Sinne sind lediglich eingeschlossen, wenn sie von einer in einer gemeinschaftlichen Regelung erfaßten gefährlichen bzw. potentiell gefährlichen Tätigkeit verursacht wurden (solche Tätigkeiten werden in einer Vielzahl von Richtlinien aufgeführt, etwa in Richtlinien mit Grenzwerten für die Emission gefährlicher Stoffe in die Luft oder in Gewässer, die IPPC- und die Seveso-II-Richtlinie, die Rechtsvorschriften über die Abfallbeseitigung, über GVO usw.);

- verschuldensunabhängige Haftung (nicht die Schuld des Verursachers, sondern allein der Zusammenhang zwischen den Tatbeständen und den Schäden muss nachgewiesen werden) für von "gefährlichen Tätigkeiten" verursachte Schäden und verschuldensabhängige Haftung, wenn die Schäden (nur Schäden in durch Natura 2000 geschützten Gebieten) durch eine "ungefährliche Tätigkeit" verursacht wurden;

- Klassifizierung der Gründe, die die Haftung ausschließen oder beschränken können;

- Haftung vornehmlich durch den für die schadenverursachende Tätigkeit verantwortlichen Betreiber; handelt es sich um ein Unternehmen mit Rechtspersönlichkeit, so würde die juristische Person haften, und nicht der Vorstand oder andere Beschäftigte des Unternehmens;

- Kriterien für die Bewertung der einzelnen Schadensarten;

- Verpflichtung, die vom Verursacher geleisteten Entschädigungs- oder Ausgleichszahlungen zur Sanierung des Umweltschadens einzusetzen;

- Vorschläge für einen verbesserten Zugang zu den Gerichten (Frage der Klagebefugnis (ius standi) zur Einleitung eines Verfahrens auf Feststellung der Haftung); im Weißbuch wird ein Vorrang des Staates gegenüber den Umweltschutzverbänden und -organisationen vorgeschlagen, wobei letztere nur in dringenden Fällen an erster Stelle tätig werden dürften.

2.3. Im Weißbuch werden verschiedene Optionen für Gemeinschaftsaktionen bewertet. Es kommt zu dem Schluss, dass die beste Lösung eine Rahmenrichtlinie wäre. Die Einzelheiten einer solchen Richtlinie müssten im Rahmen von Konsultationen, die die Kommission derzeit führt, weiter präzisiert werden.

3. Allgemeine Bemerkungen

3.1. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüsst das Weißbuch und ersucht die Kommission, im Ergebnis einen Legislativvorschlag vorzulegen, der neben den übrigen verfügbaren Gemeinschaftsinstrumenten dazu beiträgt, der im Gemeinschaftsraum zu beobachtenden Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten.

3.2. Im Einklang mit früheren Stellungnahmen(3) erklärt der Ausschuss sein Einverständnis mit der vorgeschlagenen Form des Rechtsaktes (Rahmenrichtlinie), denn mit diesem Instrument kann das Subsidiaritätsprinzip präzise angewandt werden: die Leitlinien werden harmonisiert, und die Mitgliedstaaten können die ihnen am angebrachtesten erscheinenden Normen selbst entwickeln.

3.2.1. Mit einer Rahmenrichtlinie können die derzeit geltenden, aber in verschiedenen Rechtsakten verteilten und daher schwer anwendbaren Vorschriften in einem einzigen Rechtstext zusammengefasst werden. Zugleich würden veraltete Normen aufgehoben, die wissenschaftlichen Konzepte, deren Wert sich erwiesen hat, jedoch beibehalten; vor allem aber würde ihre Anwendbarkeit vereinfacht, so dass die Rechtsvorschriften für Betroffene leichter verständlich sind und geltend gemacht werden können.

3.3. Der Ausschuss begrüsst, dass in der vorgeschlagenen Regelung keine Rückwirkung enthalten ist. Dabei ist zu beachten, dass dieser Grundsatz nicht gilt, wenn die verschmutzende Tätigkeit, die vor dem Inkrafttreten des gemeinschaftlichen Haftungssystems eingesetzt haben kann, nach diesem Zeitpunkt noch fortgesetzt wird; in diesem Fall wäre der Verursacher der Verschmutzung sehr wohl haftbar. Außerdem ist die Einhaltung der Umweltschutzvorschriften während dieses Zeitraums zu berücksichtigen.

3.4. Bezüglich des im Weißbuch vorgeschlagenen Umfangs der gedeckten Schäden betont der Ausschuss die große Bedeutung eines umfassenden Haftungssystems, das nicht nur klassische Schäden, sondern auch Umweltschäden abdeckt. Zwar gibt es bereits jetzt in der EU auf Geldstrafen beschränkte Haftungssysteme für Verstösse gegen Umweltschutzvorschriften, wobei die Mitgliedstaaten den Sanktionsinhalt auf andere Sanktionen ausdehnen können. Diese Art von Sanktionen deckt jedoch nur einen Teil der verursachten Schäden ab und führt nicht zur vollständigen Wiederherstellung des geschädigten Standortes.

3.5. Die Anerkennung von Gründen für Haftungsausschluss oder -beschränkung darf nicht die positiven Wirkungen beeinträchtigen, die von der Anwendung der Umwelthaftungsklage ausgehen sollen. Die Gründe für eine Haftungsbeschränkung müssen nach dem Grad der Einhaltung der Umweltschutzvorschriften abgestuft werden, und als Ausschlussgrund sollte auch die Befolgung einer zwingenden Anordnung der zuständigen Verwaltungsbehörde gelten.

3.6. Die vorgeschlagene Regelung kann Präventivwirkungen entfalten, denn sie verlangt die Bereitstellung und Aufstockung der für einen sorgfältigeren Umgang mit der Umwelt erforderlichen Mittel. Hierbei sollten Maßnahmen vorgesehen werden, die den KMU die Anpassung ihrer Produktion an die Umwelterfordernisse durch vereinfachte Verfahren erleichtern, die der Zahl der wegen der Ausübung sog. gefährlicher Tätigkeiten betroffenen Unternehmen Rechnung tragen. Darüber hinaus könnten Fonds vorgesehen werden, durch die ihnen ausreichende Mittel zur Anpassung an die neuen Erfordernisse, insbesondere im Hinblick auf die Versicherungsprämien, bereitgestellt werden.

3.7. Zur Sicherstellung der Gleichbehandlung müssen die Kriterien und die Methode für die Berechnung des Höhe der Umweltschäden dargelegt werden. Gegenwärtig werden auf regionaler Ebene bereits Systeme angewandt, die auf Wertermittlungskriterien z. B. für den Wert einer Naturressource beruhen. Ebenso könnte das Kriterium der Kosten für die Wiedergutmachung der verursachten Schäden Anwendung finden. Die Aufstellung verschiedener Berechnungskriterien erlaubt eine den Besonderheiten der verursachten Schäden angepaßte Berechnung, da alle an der Schadensursache beteiligten Umstände berücksichtigt werden können. In jedem Falle sollte weiter nach Kriterien gesucht werden, durch die der Gleichheitsgrundsatz bei der Wiederherstellung der Schäden gewahrt wird.

3.7.1. Für die Entwicklung der Kriterien ist die Nutzung von Datenbanken zur Ergebnisübertragung ähnlich dem Environmental Valuation Reference Inventory (EVRI) sinnvoll, in dem umfangreiches Bewertungsmaterial gespeichert ist.

3.7.2. In die Kriterien für die Berechnung der vom Verursacher zu zahlenden Entschädigungen müssen die Einhaltung bzw. Nichteinhaltung der Umweltschutzvorschriften, das Vorliegen behördlicher Genehmigungen für die Ausübung einer Tätigkeit, die Existenz von mehr als einem Verantwortlichen usw. sowie die Gründe einfließen, die eine abgestufte Beschränkung der Haftung bewirken können.

3.8. Damit die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft erhalten bleibt, darf sich die Einführung der Umwelthaftung nicht negativ auswirken. Die Kommission verfügt zwar derzeit nicht über nachprüfbare Daten über die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit nach außen, doch besteht Grund zur Zuversicht, denn in den meisten OECD-Ländern gelten ebenfalls derartige Rechtsvorschriften(4), so dass Negativwirkungen gering bleiben dürften, weil nicht nur die Haftungssysteme, sondern auch die zu ihrer Einhaltung festgelegten Garantiesummen allgemein verbreitet sind.

3.8.1. Der Ausschuss ist jedoch der Auffassung, dass die EU im Rahmen der internationalen Übereinkommen (u. a. dem Lugano-Übereinkommen) den Vorschlag unterbreiten sollte, dass die Vorschriften über die Umwelthaftung in allen Ländern, insbesondere im Rahmen der WTO, vergleichbar sein müssen, damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt.

3.9. Gleichzeitig sind Vorkehrungen für die künftige Erweiterung der Union zu treffen, denn die Politik der beitrittswilligen Länder im Umweltbereich unterscheidet sich von der Umweltpolitik in der Gemeinschaft. Die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes in den Beitrittsländern sollte einhergehen mit umfassender Information und Anhörung der interessierten Kreise sowie wirtschaftlicher Unterstützung, z. B. mit für die Heranführungsstrategie bereitgestellten Mitteln, damit die Übernahme im vorgesehenen Zeitraum erfolgen kann.

4. Besondere Bemerkungen

4.1. Was den Vorschlag zur Umwelthaftung für Schädigungen der biologischen Vielfalt betrifft, so müssen nach Ansicht des WSA einige Fragen geklärt werden. Sie könnten in einer künftigen Rahmenrichtlinie behandelt werden.

4.1.1. Die Grenzen der Behandlung von Schädigungen der biologischen Vielfalt werden durch das Netz Natura 2000 gezogen werden; daher sollte die Kommission unbedingt schnellstmöglich eine Liste der Standorte von gemeinschaftlichem Interesse annehmen können. Der Ausschuss ersucht daher die Mitgliedstaaten, endlich ihrer Verpflichtung aus der Richtlinie 92/43/EWG nachzukommen und nationale Listen vorzulegen, die die Forderungen der Richtlinie erfuellen.

4.1.2. Die Festsetzung eines Schwellenwertes für die Erhebung einer Haftungsklage ist im Sinne der Rechtssicherheit notwendig. Es ist aber zu bedenken, dass eine erste Quantifizierung des Schadens nicht immer möglich ist und der Schwellenwert nicht nach rein wirtschaftlichen Erwägungen festgelegt werden darf; vielmehr muss die Qualifizierung als "erheblicher Schaden" in Anbetracht der Schädigung der biologischen Vielfalt und der Standort-Kontamination getroffen werden. Der Ausschuss hält in dieser Hinsicht eine klare Definition der Begriffe "Schwellenwert" und "erheblicher Schaden" im Rechtsinstrument für nötig, damit durch die Verwendung dieser Begriffe keine Differenzen bei der praktischen Durchführung einer Haftungsklage entstehen.

4.1.3. Besonders schwierig wird die Umsetzung der Rahmenrichtlinie über die GVO sein. So wird der Rechtsakt, der die Bewertung der Risiken und die Genehmigungen behandelt (die Richtlinie 90/220/EWG), derzeit überarbeitet und befindet sich im Vermittlungsverfahren zwischen Europäischem Parlament und Rat: Einer der strittigen Punkte ist die Haftung. Die Kommission hat sich mit einer Erklärung von Kommissionsmitglied Wallström verpflichtet, die Frage der Haftung bereichsübergreifend durch eine Rahmenrichtlinie bis Ende 2001 zu regeln. Im übrigen ist darauf zu verweisen, dass Erzeugnisse, die GVO enthalten, bereits unter die Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte fallen(5) (Personen- und Sachschäden), deren Anwendungsbereich kürzlich auch auf nicht verarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse ausgedehnt wurde. In dem Weißbuch wird in Ziffer 4.5.4 zu Recht auf diesen Zusammenhang hingewiesen und ausgeführt, dass die Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte Vorrang hat, wenn ein Antrag auf Erstattung eines normalen Schadens gestellt wird. Bei Schädigung der Umwelt und der biologischen Vielfalt ist die Art der Haftung umgehend zu präzisieren, wie sich kürzlich im Fall der Landwirte gezeigt hat, die gentechnisch verändertes Saatgut verwendet hatten, ohne es zu wissen.

4.2. Die Einführung von zwei Arten von Haftungsklagen führt dazu, dass die Beweislast für jede Art anders verteilt ist. Bei der Klage auf verschuldensunabhängige Haftung [Umweltschäden aufgrund einer in den gegenwärtigen/geltenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft als gefährlich eingestuften Tätigkeit(6)] ist die Beweislast des Klägers auf den Nachweis des Zusammenhangs zwischen Schäden und Verursacher beschränkt, während bei der verschuldensabhängigen Haftung (vorsätzliches Handeln) auch der Vorsatz des Verursachers nachzuweisen ist. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass in diesem Falle der Vorschlag der Kommission durchgesetzt werden sollte, und erklärt daher seine Unterstützung für diesen Vorschlag.

4.3. Die Anerkennung von Gründen für Haftungsausschluss oder -beschränkung hat Einfluss auf die Durchsetzung einer Haftungsklage (siehe auch Ziffer 3.5). Der Ausschuss ist der Ansicht, dass keine anderen Ausschlussgründe als höhere Gewalt und zwingende behördliche Handlungsanordnungen zugelassen werden dürfen. Andere Ursachen können als Gründe für eine Haftungsbeschränkung in Betracht kommen. In vielen Fällen würde die Konkurrenz zwischen Produzent und zuständiger Behörde zum Entstehen einer geteilten Haftung für die verursachten Umweltschäden führen.

4.4. Ein sehr wichtiges Thema, das in dem Weißbuch nicht weiter ausgeführt wird, ist die Frage der Information. Ein System wie das vorgeschlagene kann zwangsläufig nur funktionieren, wenn Umweltschutzverbände und andere Organisationen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens sowie Nichtregierungsorganisationen, die sich im Bereich des Umweltschutzes engagieren, einbezogen werden. Dazu bedarf es eines Informationsnetzes, durch das Informationen über mögliche Maßnahmen zur Verhinderung von Umweltschäden zwischen Behörden und Bürgern in beide Richtungen verbreitet werden können:

4.4.1. Denkbar wäre ein themenspezifisches Netz wie bei den Gemeinschaftsmaßnahmen zur Bekämpfung der unfallbedingten Meeresverschmutzung.

4.4.2. Die Århus-Konvention der Vereinten Nationen(7) sollte umgesetzt werden.

4.4.3. Das IMPEL-Netz könnte genutzt werden.

4.5. Im Weißbuch wird die Aktivlegitimation (Klagebefugnis) vorrangig dem Staat, d. h. allen zuständigen Behörden zuerkannt, und erst an zweiter Stelle den Umweltschutzverbänden und betroffenen Personen. Nach Auffassung des Ausschusses ist dieses System erforderlich, um bei Verzögerungen oder Unterlassungen seitens der Verwaltung Klage erheben zu können.

4.5.1. Als sehr positiv ist die Möglichkeit zu werten, mit der Haftungsklage Dringlichkeitsmaßnahmen zur Einstellung der Tätigkeit des Verursachers zu beantragen, damit größere Schäden vermieden werden.

4.6. Von entscheidender Bedeutung für die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Regelung ist der Abschluss einer Haftpflichtversicherung für alle umweltgefährdenden Tätigkeiten. Die Anwendung der Richtlinie 85/374/EWG hat gezeigt, dass den Unternehmen dadurch keine nennenswert höheren Kosten entstanden sind. Die Versicherung wurde zudem auch auf Dienstleistungsbereiche (insbesondere medizinische Berufe) ausgedehnt, weil sie den dieser Haftung Unterworfenen mehr Sicherheit gibt. Nach Auffassung des Ausschusses wird die Umwelthaftung durch das Erfordernis einer Haftpflichtversicherung anderen, in der EU bereits geregelten Bereichen gleichgestellt, wie z. B. der Kfz-Haftpflichtversicherung, der Haftpflichtversicherung für durch fehlerhafte Produkte verursachte gesundheitliche Schäden u. a. Der Ausschuss erachtet es für sinnvoll, dass die Unternehmen ergänzende Maßnahmen treffen und dies nach eigenem Ermessen auswählen können, u. a. Rückstellungen, Patronatserklärungen und sonstige Versicherungen.

5. Schlussfolgerungen

5.1. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss hält die Einführung einer Umwelthaftungsklage für ein wichtiges Instrument zum Schutz der Umwelt. Es gibt allerdings viele Fragen, die einer sorgfältigen Behandlung bedürfen, wenn dieses Rechtsinstrument in allen EU-Mitgliedstaaten einfach anzuwenden sein soll. Der Ausschuss gibt daher folgende Empfehlungen ab:

5.1.1. Es sollte eine Liste aller Rechtsakte der Gemeinschaft zusammengestellt werden, die mit Haftungsregeln zusammenhängen.

5.1.2. Folgende Begriffe sind zu definieren: gefährliche Tätigkeit, Schädigung der biologischen Vielfalt, Festlegung von Schutzgebieten, Schadenbewertungskriterien usw. sowie alle anderen, den Geltungsbereich mitbestimmenden Begriffe.

5.1.3. Die beiden vorgeschlagenen Haftungsarten - verschuldensunabhängige Haftung bei gefährlichen Tätigkeiten und verschuldensabhängige Haftung bei ungefährlichen Tätigkeiten - müssen genau voneinander abgegrenzt werden, um Verwirrungen bei ihrer Anwendung zu vermeiden. Es sollte erwogen werden, die Gemeinschaftsnormen, die gefährliche Tätigkeiten definieren, sowie diejenigen, die die Haftungsregelung für ungefährliche Tätigkeiten begrenzen, in einem Anhang aufzuführen.

5.2. Die Rahmenrichtlinie als Rechtsinstrument für die Einführung einer Umwelthaftungsklage ist nach Ansicht des Ausschusses am ehesten geeignet, der unterschiedlichen Sachlage in den einzelnen Mitgliedstaaten gerecht zu werden. Allerdings dürfen die Bedingungen einer Angleichung nicht zu Unterschieden führen, die die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen. Diese Gefahr ist zu bedenken, wenn ein obligatorischer Mindeststandard festgeschrieben werden soll.

Brüssel, den 12. Juli 2000.

Die Präsidentin

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Beatrice Rangoni Machiavelli

(1) KOM(93) 47 endg. vom 14.05.1993 - ABl. L 117 vom 08.05.1990.

(2) Richtlinie 90/220/EWG.

(3) Stellungnahme des WSA zu der Mitteilung: Grünbuch über die Sanierung von Umweltschäden - ABl. C 133 vom 16.5.1994. Zur Position des WSA zum Instrument einer Rahmenrichtlinie siehe auch die Stellungnahme zur Rahmenrichtlinie "Wasser" - ABl. C 355 vom 21.11.1997.

(4) In den USA, in denen die Möglichkeit von Umwelthaftungsklagen bereits seit 20 Jahren besteht, haben Berechnungen gezeigt, dass das Superfund-System weniger als 5 % des Betrages ausmacht, der jährlich auf nationaler Ebene zur Gewährleistung der Einhaltung der US-Bundesgesetzgebung über Umweltschutz aufgewendet wird.

(5) 85/374/EWG, in der durch die Richtlinie 99/34/EG geänderten Fassung, ABl. L 141/99.

(6) In dem Weißbuch wird darauf verwiesen, dass die Haftungsregelung für den Schutz der biologischen Vielfalt auch ungefährliche Tätigkeiten einschließt, denn die Vogelschutzrichtlinie und die Habitatrichtlinie enthalten eine Reihe von Bestimmungen über die Wiedergutmachung erheblicher Schäden unabhängig von der Art der Tätigkeit, durch die sie verursacht wurden. Die Kommission ist jedoch der Auffassung, dass in diesen Fällen die Art der Haftung anders sein muß als bei durch gefährliche Tätigkeiten verursachten Schäden.

(7) Konvention der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Diese Konvention wurde auf der Konferenz der Umweltminister vom 23. bis 25. Juni 1998 in Århus (Dänemark) verabschiedet.

ANHANG

zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Im Verlauf der Beratungen wurde der folgende Änderungsantrag, der mit über 25 % der abgegebenen Stimmen unterstützt wurde, abgelehnt.

4.3. Den zweiten und dritten Satz wie folgt ändern:

"Der Ausschuss ist der Ansicht, dass höhere Gewalt und zwingende behördliche Handlungsanordnungen stets als Ausschlussgründe gelten sollten. Andere Gründe können ebenfalls als Ursachen für einen Ausschluss oder für eine Haftungsbeschränkung in Betracht kommen."

Begründung

Es ist ein angemessenes Maß an Rechtssicherheit zu gewährleisten und insbesondere zu berücksichtigen, dass das vorgeschlagene Haftungssystem das neue Gebiet der Umweltschäden neben den herkömmlichen Schäden abdeckt.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 35, Nein-Stimmen: 58, Stimmenthaltungen: 1.