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Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem «Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung»

Amtsblatt Nr. C 204 vom 18/07/2000 S. 0040 - 0044


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung"

(2000/C 204/09)

Der Rat beschloß am 10. Februar 2000, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten Vorschlag zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. Mai 2000 an. Berichterstatterin war Frau Cassina.

Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 373. Plenartagung (Sitzung vom 25. Mai) mit 81 gegen 3 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Der Richtlinienvorschlag der Kommission zielt auf die Begründung des Rechts auf Familienzusammenführung für Bürger von Drittstaaten ab, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aufhalten, und soll einen harmonisierten Rahmen für die Ausübung dieses Rechtes schaffen (Festlegung der Personen, die ein Recht auf Familienzusammenführung haben, Einreisebedingungen, Antragsverfahren für die Familienzusammenführung, Aufenthaltstitel und damit zusammenhängende Rechte usw.). Aufgrund des Subsidiaritätsprinzips obliegt es den Mitgliedstaaten, einige der Verfahren festzulegen (z. B. die materiellen Voraussetzungen, die der Antragsteller erfuellen muß, die Verfahren für die Prüfung der vorgelegten Beweisstücke, die anfängliche Dauer der Aufenthaltsgenehmigung für Familienangehörige, falls der Antragsteller eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis besitzt, die Anwendungsmodalitäten für mit dem Aufenthalt zusammenhängende Rechte usw.).

1.2. Die Initiative fällt in den Rahmen von Titel IV des Vertrags(1), basiert auf Artikel 63 Absatz 3 und erfolgt im Anschluß an die Schlußfolgerungen des Rates von Tampere (15. und 16. Oktober 1999), in denen anerkannt wurde, daß die Union "ein umfassendes Migrationskonzept" benötigt, eine "energischere Integrationspolitik", die "darauf ausgerichtet sein (sollte), ihnen (den Staatsangehörigen von Drittstaaten) vergleichbare Rechte und Pflichten wie EU-Bürgern zuzuerkennen" und "daß eine Annäherung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Bedingungen für die Aufnahme und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen auf der Grundlage einer gemeinsamen Bewertung der wirtschaftlichen und demographischen Entwicklungen innerhalb der Union sowie der Lage in den Herkunftsländern erforderlich ist" Der Rat von Tampere verwies außerdem auf die Notwendigkeit "rasche(r) Beschlüsse", die der Aufnahmekapazität der Mitgliedstaaten ebenso Rechnung trügen wie den historischen und kulturellen Banden zwischen den Mitgliedstaaten und den Herkunftsländern.

1.2.1. Die Richtlinie findet weder Anwendung auf Drittstaatsangehörige, über deren Antrag auf Anerkennung als Flüchtlinge noch nicht endgültig entschieden ist, noch auf Personen, die vorübergehenden Schutz genießen. Sie gilt auch nicht für Saisonarbeiter, vorübergehend Beschäftigte und Drittstaatsangehörige, deren Aufenthaltserlaubnis für weniger als ein Jahr gilt.

1.3. Das Recht auf Familienzusammenführung haben sowohl Bürger von Drittstaaten, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, als auch Flüchtlinge (im Sinne der Genfer Konvention), Staatenlose, Personen, die subsidiären Schutz genießen (aus humanitären Gründen, im Kriegsfall und bei sonstigen Ereignissen, die sie zur Auswanderung veranlaßt haben). Wer die Familienzusammenführung beantragt, muß im Besitz eines vorschriftsmäßigen, mindestens ein Jahr gültigen Aufenthaltstitels sein(2).

1.4. Nachzugsberechtigt sind der Ehegatte und die ledigen minderjährigen Kinder (einschließlich adoptierter Kinder und derjenigen, für die ein Elternteil das Sorgerecht hat), aber auch ein Lebenspartner, der nachweislich eine dauerhafte Beziehung zum Antragsteller unterhält, sowie unterhaltsberechtigte Verwandte in aufsteigender Linie und volljährige Kinder, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes oder einer Behinderung nicht selbst für sich sorgen können; bei Flüchtlingen und Personen, die unter subsidiärem Schutz stehen, werden (aus humanitären Gründen oder weil sie vom Antragsteller abhängig sind) auch andere Familienmitglieder berücksichtigt. Studenten können die Familienzusammenführung nur für den Ehegatten und Kinder (Artikel 5 Absatz 5) beantragen.

1.5. Da der Fall eines Bürgers der Gemeinschaft, der sein Recht auf Freizügigkeit nicht wahrnimmt oder nicht wahrgenommen hat, durch die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 oder andere die Freizügigkeit betreffende Bestimmungen nicht abgedeckt wird und in den Mitgliedstaaten durch ziemlich unterschiedliche Vorschriften geregelt ist, schließt der vorliegende Richtlinienvorschlag auch ihn ein, um auch den EU-Bürgern unter diesen besonderen Umständen (Zusammenführung von Familienangehörigen, die Bürger eines Drittstaates sind, mit einem EU-Bürger, der sein Recht auf Freizügigkeit nicht wahrnimmt) Gleichbehandlung zu garantieren.

1.6. Die Anträge müssen innerhalb von sechs Monaten geprüft und schriftlich beantwortet werden. Wenn die Familienzusammenführung genehmigt wird, müssen die etwaigen Visa (einschl. Transitvisa) rasch und kostenlos erteilt werden. Die Ablehnung eines Antrags muß schriftlich begründet werden. Klagemöglichkeiten sind vorgesehen.

1.7. Die Mitgliedstaaten können bei der Beantragung der Familienzusammenführung verlangen, daß einige materielle Voraussetzungen erfuellt sind (ausreichende finanzielle Mittel, Unterkunft, Versicherungsschutz für die Familie).

1.8. Der Vorschlag sieht vor, daß die Familienmitglieder, denen die Zusammenführung mit dem Antragsteller genehmigt wird, eine Aufenthaltserlaubnis mit der gleichen Geltungsdauer wie jene des Antragstellers erhalten; hat dieser eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, so kann jedoch zunächst eine einjährige Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Familienangehörigen haben sofort Anspruch auf Zugang zur allgemeinen und beruflichen Bildung sowie das Recht, berufstätig zu sein (als Selbständige oder Arbeitnehmer).

1.9. Nach einer Hoechstfrist von 4 Jahren haben der Ehegatte, der Lebenspartner und die inzwischen volljährigen Kinder Anspruch auf eine eigene Aufenthaltserlaubnis. In besonders schwierigen Fällen (Witwe(r), Scheidung, Trennung, Verlassen, Verstoßung oder Tod von Verwandten in auf- oder absteigender Linie) kann die eigene Aufenthaltserlaubnis schon nach einem Jahr erteilt werden.

1.10. In nachgewiesenen Fällen von Betrug, Unregelmäßigkeiten oder Fälschung von Angaben oder Beweisstücken kann die Aufenthaltserlaubnis widerrufen und können die Familienangehörigen ausgewiesen werden. Im Falle eines begründeten Verdachts auf Unregelmäßigkeiten oder Betrug sind Kontrollen durchzuführen, die jedoch nicht schikanös sein dürfen.

1.11. Die Richtlinie gilt vorbehaltlich günstigerer Bestimmungen, die aufgrund bilateraler Abkommen zwischen Mitgliedstaaten, multilateraler Übereinkommen mit Drittstaaten, der Europäischen Sozialcharta (1961) sowie des Europäischen Übereinkommens über die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer (1977) angewandt werden.

2. Allgemeine Bemerkungen

2.1. Der Ausschuß begrüßt den Vorstoß der Kommission sehr, da 1. der Richtlinienvorschlag unter strenger Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips das Ziel verfolgt, den Wanderungspolitiken der Mitgliedstaaten in Anwendung der neuen Vertragsbestimmungen einen kohärenten Rahmen zu verleihen, und 2. er inspiriert ist von der uneingeschränkten Achtung der Menschenrechte sowie des Schutzes der Familie und von Kindern, wie es in wichtigen internationalen Erklärungen und Übereinkommen vorgeschrieben ist(3). Nicht alle von der Kommission in der Begründung genannten internationalen Instrumente wurden von allen Mitgliedstaaten ratifiziert; daß der Kommissionsvorschlag diese Texte berücksichtigt, um den Prozeß der Anwendung des unter Ziffer 1.2 genannten Titels IV des Vertrags in die Wege zu leiten, ist jedoch ein gutes Vorzeichen für eine zweckmäßige, allgemeinere und von mehr Verantwortungsbewußtsein getragene Ratifizierung und Anwendung dieser internationalen Normen durch die Mitgliedstaaten.

2.2. Der Ausschuß stellt erfreut fest, daß folgende Personengruppen ein Recht auf Familienzusammenführung haben: Arbeitnehmer, Selbständige, Flüchtlinge und Vertriebene, subsidiären Schutz genießende Personen; und daß auf Flüchtlinge und Vertriebene erleichterte Bedingungen angewandt werden. Daß diese Personengruppen zusammen betrachtet werden, entspricht genau der gewählten Rechtsgrundlage und unterstreicht den sozialen Charakter der Richtlinie sowie das Ziel der menschlichen und familiären Integration der Drittstaatsangehörigen in der EU. Die einzige Voraussetzung, die streng erfuellt werden muß, ist der rechtmäßige Wohnsitz des Antragstellers in einem Mitgliedstaat.

2.3. Der Ausschuß stellt mit Genugtuung fest, daß viele seiner seit Anfang der 90er Jahre in verschiedenen Stellungnahmen(4) vorgebrachten Forderungen ihren Niederschlag (wegen Begrenzung der geregelten Materie allerdings nur teilweise) in dem Vorschlag gefunden haben. Diese Forderungen hatten die notwendige Schaffung eines gemeinsamen rechtlichen Rahmens für die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen der Bürger von Drittstaaten sowie das Erfordernis einer klaren und harmonisierten Gewährleistung des Rechts auf Familienzusammenführung zum Inhalt, das nicht allein als Recht an sich verstanden wird, sondern auch als soziales, menschliches und kulturelles Instrument zur Förderung der Integration der Bürger von Drittstaaten. Mit Nachdruck unterstützt der Ausschuß die Absicht der Kommission, eine Reihe von Vorschlägen zu erarbeiten, die auch andere Aspekte des Lebens von Drittstaatsangehörigen auf dem Territorium der EU betreffen, und hofft, daß diese Vorschläge bald Gegenstand einer breiten Debatte werden und umgehend in grundlegende Beschlüsse der Gemeinschaftsinstitutionen münden.

2.4. Von wesentlicher Bedeutung ist, daß das Prinzip der Gleichbehandlung mit EU-Bürgern, das sich die Kommission mit dem besprochenen Richtlinienvorschlag zum Ziel setzt, bekräftigt wird. Da einige Vorschriften auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips auf die einzelstaatlichen Gesetze verweisen, nennt der Ausschuß im nachfolgenden Abschnitt "Besondere Bemerkungen" die Artikel, die innerhalb gewisser Ermessensspielräume die Mitgliedstaaten dazu bringen sollen, sich die grundlegenden Kriterien des Vorschlags zu eigen zu machen, um zu vermeiden, daß durch Unterschiede bei bestimmten Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung eine Verzerrung der Wanderungsbewegungen eintritt oder die Praxis von einem Land zum anderen erhebliche Unterschiede aufweist.

2.5. Der Ausschuß nimmt zur Kenntnis, daß sich das Vereinigte Königreich und die Republik Irland bei der Unterzeichnung des Vertrags Protokolle ausbedungen haben, die ihnen die Möglichkeit geben zu wählen, ob sie sich an der Anwendung des genannten Titels IV des Vertrags beteiligen wollen (opt out/opt in), und daß Dänemark mit einem eigenen Protokoll sein opting out förmlich festgelegt hat. Der Ausschuß hofft daher sehr, daß Irland und das Vereinigte Königreich die "opt in"-Entscheidung treffen und damit die Ausgestaltung der Richtlinie positiv beeinflussen werden. Nach Ansicht des Ausschusses setzt diese Praxis jedoch den gemeinschaftlichen Entscheidungsprozeß der Gefahr einer Beeinflussung durch die Staaten aus, die sich zwar von der Pflicht zur Anwendung der Bestimmungen befreit haben, aber an den Debatten, in denen diese Bestimmungen festgelegt werden, teilnehmen. Auch im Hinblick auf Dänemark, dessen "opting out" eindeutig ist, hofft der Ausschuß, daß die dänische Regierung, falls sie sich an der Debatte beteiligt, positive und konstruktive Beiträge dazu liefern kann.

3. Besondere Bemerkungen

3.1. Wichtig ist, daß der Richtlinienvorschlag als Ziel der "Familienzusammenführung" (Artikel 2 Buchstabe e) klar die "Bildung oder Aufrechterhaltung einer Familiengemeinschaft" nennt (wobei die familiären Bindungen vor oder nach der Niederlassung in dem betreffenden Land entstehen können).

3.2. Die Definition der "Familienangehörigen" (Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a) umfaßt sowohl den Ehepartner als auch den "nicht verheirateten Lebenspartner", der "eine auf Dauer angelegte Beziehung" mit dem Antragsteller führt, sofern nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates "unverheiratete Paare mit verheirateten Paaren rechtlich gleichgestellt sind". Nach Ansicht des Ausschusses muß der Begriff "gleichgestellt" unter Berücksichtigung des o. g. Artikels 2 Buchstabe e (Familiengründung oder -erhaltung) und des Artikels 7 Buchstabe 5 c (Wohl des minderjährigen Kindes) interpretiert werden. Es kommt nur darauf an, daß unverheiratete Paare zusammenleben, sich gegenseitig helfen, Kinder anerkennen, erziehen und ausbilden und die elterlichen Rechte und Pflichten ausüben können. Restriktive Auslegungen sind also zu vermeiden, weshalb der Ausschuß die Kommission auffordert, die Übernahme von Artikel 5 der Richtlinie in die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten zu überwachen und den Vorgang in dem nach Artikel 18 vorgesehenen Bericht zu erwähnen.

3.3. Die Familienzusammenführung mit Verwandten in aufsteigender Linie und volljährigen Kindern, die nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten können, muß mit Umsicht durchgeführt werden und stets von humanitären und sozialen Erwägungen geprägt sein. Insbesondere ist für volljährige Kinder die Familienzusammenführung vorgesehen, wenn sie unverheiratet sind und aus gesundheitlichen Gründen ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können (Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe e und Artikel 12 Absatz 2) - wobei ihnen jedoch weder ein Recht auf Berufstätigkeit noch ein Recht auf berufliche Bildung zugestanden wird. In Artikel 13 Absatz 2 ist jedoch auch für diese Kategorie von Familienangehörigen die Möglichkeit einer eigenen Aufenthaltserlaubnis ohne Angabe von Fristen (außer "spätestens nach vierjährigem Aufenthalt") vorgesehen. Wenn man sich vorstellt, daß ihnen in einem Mitgliedstaat eine eigene Aufenthaltserlaubnis z. B. nach einem Jahr erteilt werden kann (wodurch sie das Recht auf Berufstätigkeit und auf berufliche Bildung erlangen), so ist kaum einzusehen, daß diese Rechte erst in Verbindung mit der eigenen Aufenthaltserlaubnis, nicht jedoch schon zum Zeitpunkt des Familiennachzugs gewährt werden sollen. Daher wäre es zweckmäßig, die in Artikel 12 Absatz 2 genannte Ausnahme zu streichen.

3.3.1. Der Ausschuß weist darauf hin, daß der Richtlinienvorschlag einige Personengruppen mit besonderen Schwierigkeiten nicht erfaßt, beispielsweise den Fall, daß:

a) volljährige Kinder verheiratet und beide (Ehepartner) schwer krank sind (die Einreise ist nicht vorgesehen);

b) volljährige Kinder behindert oder schwer krank sind (sie dürfen zwar einreisen, haben aber keinen Anspruch auf eine Ausbildung und Arbeitserlaubnis). Es wäre schlimm, wenn die Familienzusammenführung diesen Personen nur eine Unterstützung durch die Familie brächte, ohne ihnen die Möglichkeit zu gewähren, sich als Mensch und soziales Wesen in die Gesellschaft zu integrieren;

c) Verwandte in aufsteigender Linie (die keine Arbeitserlaubnis haben) in äußerster Armut und Bedürftigkeit leben.

Der Ausschuß hofft, daß die Mitgliedstaaten die Familienzusammenführung bzw. die soziale Integration und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt auch in diesen humanitären Fällen in Anlehnung an die Bestimmungen von Artikel 5 Ziffer 4 des Vorschlags für Flüchtlinge und Personen, die subsidiären Schutz genießen, erleichtern.

3.4. Der Ausschuß begrüßt, daß eine Familienzusammenführung auch im Falle der Mehrehe (Artikel 5 Ziffer 2) möglich ist, aber nur eine Ehefrau nachgeholt werden darf (Wahrung des Prinzips der Einheit der Familie), und daß die Zusammenführung mit den Kindern anderer Ehefrauen gewährt wird, sofern "das Kindeswohl dies erfordert" (diese Feststellung wird auch in Artikel 7 Absatz 5 bekräftigt).

3.5. Von wesentlicher Bedeutung sind die - in Artikel 6 formulierten - besonderen (weniger strengen) Bestimmungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die andere, in Artikel 5 nicht aufgeführte Verwandte nachkommen lassen können. Außer den in Artikel 6 Buchstabe b genannten Fällen, daß es keine Verwandten in aufsteigender Linie gibt oder diese unauffindbar sind, sollte noch die Möglichkeit berücksichtigt werden, daß diese unzuverlässig sind. Dabei sollte stets das in Artikel 7 Absatz 5 genannte Kriterium (das Kindeswohl) beachtet werden.

3.5.1. Der Ausschuß gibt zu bedenken, daß unbegleitete Minderjährige, die in die EU kommen, nicht immer unter die Rubrik "Flüchtlinge" fallen und daß dieses Phänomen in quantitativer und qualitativer Hinsicht problematische Ausmaße annimmt (zu denken ist beispielsweise an die ausgebeuteten oder zur Prostitution und zu kriminellen Handlungen gezwungenen Minderjährigen). Diese Fälle können in der vorliegenden Richtlinie nicht berücksichtigt werden, müssen aber dringend Beachtung finden und verlangen gesetzliche Schritte oder andere Maßnahmen mit dem Ziel, die Minderjährigen zu schützen und wieder in die Gesellschaft einzugliedern. In diesem Sinne haben sich auch die auf dem Gipfeltreffen von Tampere versammelten Staats- und Regierungschefs geäußert: sie forderten zum einen strafrechtliche Vorkehrungen gegen die Ausbeuter und Menschenhändler und zum anderen Maßnahmen zum Schutz ihrer Opfer und die Förderung von Programmen, die sie zu einem selbständigen Leben befähigen. Der Ausschuß erwartet, daß die Kommission bald Vorschläge dazu veröffentlicht.

3.6. Dem Ausschuß ist nicht klar, warum in Artikel 7 (Antragstellung) im Singular von einem Antrag für einen Angehörigen die Rede ist. Um der Klarheit willen plädiert er (in Übereinstimmung mit dem in der Erläuterung der Bestimmung, dem Kommentar zu Artikel 7, Gesagten) für die Formulierung "für einen oder mehrere Angehörige".

3.7. Es ist wichtig, daß zwingend vorgeschrieben wird, daß der Antragsteller im Falle einer Ablehnung umgehend eine schriftliche und begründete Antwort erhält und er die Möglichkeit bekommt, die Entscheidung nach den nationalen Verfahren anzufechten. Der Ausschuß hält es aber für notwendig, den Antragsteller, dem eine Familienzusammenführung verweigert wurde, über die Möglichkeit zu unterrichten, mittels einer Klage beim Europäischen Gerichtshof überprüfen zu lassen, ob die nationalen Vorschriften und Verfahren mit dem Gemeinschaftsrecht übereinstimmen.

3.8. Im Rahmen der in Artikel 8 aufgeführten materiellen Voraussetzungen der Zusammenführung heißt es, die Behörden könnten die Einreise auch aus Gründen der "öffentlichen Gesundheit" verweigern. Nach Ansicht des Ausschusses muß die Möglichkeit einer so begründeten Ablehnung auf die Fälle, in denen eine Heilbehandlung in der EU nicht möglich ist oder ein hohes Risiko unkontrollierter Ansteckungen besteht, begrenzt werden. Es ist jedoch wichtig, daß die Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer Zusammenführung auch im Falle einer schweren oder ansteckenden Krankheit vorsehen, sofern der Antragsteller garantieren kann, daß der Kranke eine im Ursprungsland oft nicht mögliche angemessene Behandlung erhält.

3.8.1. Was Artikel 8 Ziffer 2 angeht, hofft der Ausschuß, daß sich die Mitgliedstaaten bei der Anwendung vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit leiten lassen und zwischen leichten Vergehen und strafrechtlich schwerwiegenden Delikten, deren Täter rechtskräftig verurteilt wurden, zu unterscheiden - eine Person, die sich eines Delikts geringerer Schwere schuldig gemacht hat und entschlossen ist, sich zu bessern und sich vollständig und aufrichtig in die Gesellschaft des Aufnahmelandes einzugliedern, erhält einen starken Ansporn, dies zu tun, wenn sie die Unterstützung ihrer Familie erfährt.

3.8.2. Der Ausschuß wünscht nachdrücklich, daß den Familienangehörigen, die zusammengeführt werden, in Sachen Gesundheitsschutz, Vor- und Fürsorge Gleichbehandlung mit den EU-Bürgern garantiert wird. In diesem Zusammenhang erinnert der Ausschuß daran, daß er in seiner Stellungnahme zur Mitteilung der Kommission: "Eine konzertierte Strategie zur Modernisierung des Sozialschutzes" gefordert hat zu prüfen, ob die Sozialschutzsysteme der Mitgliedstaaten nicht zu öffnen und so in die Lage zu versetzen sind, Bürger von Drittstaaten aufzunehmen und zu integrieren.

3.9. Der Ausschuß begrüßt die Bestimmungen von Artikel 13, nach denen ein eigener Aufenthaltstitel für die Familienangehörigen möglich ist, mit besonderem Nachdruck, zumal die in Absatz 3 aufgeführte Härtefallregelung für menschlich und sozial schwierige Umstände, und vertritt die Ansicht, daß der letzte Satz ("Die Mitgliedstaaten akzeptieren diese Anträge, wenn besonders schwierige Umstände vorliegen"), wie in den Bemerkungen zu diesem Artikel angedeutet, als Verpflichtung zu interpretieren ist.

3.10. Er stimmt zu, daß zur Bekämpfung von Betrug und Verletzungen der die Zusammenführung regelnden Bestimmungen Kontrollen und Sanktionen notwendig sind, hält aber die Prüfung der Frage, ob eine Ehe oder eine faktische Verbindung nur zum Zwecke der Einreise in einen oder des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat geschlossen bzw. begründet wurde, für äußerst schwierig, es sei denn, die Behörden führten schikanöse und die Würde der Person verletzende Kontrollen und Untersuchungen durch. Der Ausschuß betont, daß solche Kontrollen und Untersuchungen Geist und Buchstaben der Richtlinie widersprechen und die Mitgliedstaaten nur "bei Vorliegen eines begründeten Verdachts" (Artikel 14 Ziffer 2) punktuelle Kontrollen durchführen dürfen. Er fordert die Mitgliedstaaten daher auf, sich diesen Rahmen von Kriterien zu eigen zu machen und darüber zu wachen, daß auch die lokalen Verwaltungen keine schikanösen Verfahren anwenden.

3.10.1. Nebenbei bemerkt stellt der Ausschuß fest, daß die Häufung von Scheinehen auch auf die eingeschränkten Einreisemöglichkeiten von Drittstaatsangehörigen zurückzuführen ist, auf die langen und komplizierten Verfahren, denen sie sich unterwerfen müssen, wenn sie den legitimen Wunsch haben, in die EU einzuwandern. Der Ausschuß bekräftigt daher seine Forderung nach klaren und einfachen Verfahren, mit deren Hilfe sich die Migrationsströme lenken, eine kontrollierte Entwicklung fördern und die illegale Einwanderung bekämpfen läßt. Er verweist in diesem Zusammenhang auf seine unter Ziffer 2.3 genannten Stellungnahmen und seinen Beitrag zum euro-mediterranen Gipfeltreffen der Wirtschafts- und Sozialpartner in Paris (1996), der den Vorschlag einer versuchsweisen Steuerung der Migrationsströme, welche die Einreise, die Integration oder, im Falle eines Scheiterns des "Migrationsprojekts", die Rückführung erleichtern würde, enthält.

3.10.2. Es kommt darauf an, daß sich die Kontrollmaßnahmen und Sanktionen immer weiter aneinander angleichen. Der Ausschuß fordert daher von den Mitgliedstaaten, sich bei der Anwendung der Richtlinie weitgehend abzustimmen, damit allzusehr voneinander abweichende Bestimmungen nicht zu einer Verzerrung der Migrationsbewegungen führen (die Tendenz, das liberalste Land anzusteuern).

3.10.3. Der Ausschuß ist sich durchaus bewußt, daß Verbrecherorganisationen Scheinehen einfädeln, um Gewinne zu erzielen oder um ihre Opfer in die Prostitution oder andere kriminelle Tätigkeiten, mit denen sie sich befassen, zu treiben. Deshalb fordert er die Kommission auf, rasch harmonsierte Bestimmungen zur Ermittlung und Bestrafung der Verantwortlichen solcher Organisationen mit wirkungsvollen, verhältnismäßigen und abschreckenden Strafen zu formulieren, - und die Mitgliedstaaten, diese schleunigst zu verabschieden -, während andere Vorschriften dem Schutz der Opfer dienen und wie schon unter Ziffer 3.5.1 erwähnt Wiedereingliederungsverfahren vorsehen sollten.

3.11. Der Ausschuß begrüßt die Bestimmung von Artikel 18, nach der die Kommission zwei Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist über die Anwendung der Richtlinie Bericht erstattet. Er erwartet, daß die Kommission ihn auffordert, eine Stellungnahme zu diesem Bericht abzugeben, was nach Ansicht des Ausschusses regelmäßig (alle 2 bis 3 Jahre) erfolgen sollte.

Brüssel, den 25. Mai 2000.

Die Präsidentin

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Beatrice Rangoni Machiavelli

(1) "Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr".

(2) Diese Vorschrift gilt nicht für Flüchtlinge.

(3) Insbesondere: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948), Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966), Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966), Übereinkommen [143 der IAO] über Mißbräuche bei Wanderungen und die Förderung der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung der Wanderarbeitnehmer (1975), Internationales Übereinkommen über den Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien (UNO, 1990), verschiedene Stellungnahmen des Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR), Übereinkommen über die Rechte des Kindes (1989), Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (1950), Europäische Sozialcharta (1961) und das Europäische Übereinkommen über die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer (1977).

(4) Stellungnahme "Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft", ABl. C 235 vom 27.7.1998; Stellungnahme zur Ausdehnung der Sozialen Sicherheit auf Staatangehörige von Drittländern, ABl. C 157 vom 25.5.1998; Stellungnahme zur Reisefreiheit von Staatsangehöriger von Drittländern, ABl. C 153 vom 28.5.1996; Stellungnahme zur Zuwanderungs- und Asylpolitik, ABl. C 393 vom 31.12.1994; Ergänzende Stellungnahme "Rechtlicher Status der Wanderarbeitnehmer aus Drittländern", ABl. C 339 vom 31.12.1991; Stellungnahme "Rechtlicher Status der Wanderarbeitnehmer aus Drittländern", ABl. C 159 vom 17.6.1991.

ANHANG

zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Abgelehnter Änderungsantrag

Nachstehender Änderungsantrag, auf den mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfielen, wurde im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

Ziffer 2.5

Den letzten Satz ("Auch im Hinblick ... liefern kann.") streichen.

Begründung

Der Wirtschafts- und Sozialausschuß sollte sich nicht zur Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Teilnahme an den Verhandlungen über die EU-Bestimmungen äußern. Das dänische "opting out" ist das Ergebnis eines vom dänischen Parlament und den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anerkannten Referendums.

Das "opting out" heißt nicht, daß Dänemark sich im Hinblick auf den Wunsch der anderen Mitgliedstaaten nach gemeinsamen Bestimmungen nicht loyal verhalten wird, und es bedeutet ebensowenig, daß Dänemark die gemeinsamen Bestimmungen der Europäischen Union nicht umsetzen will.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 34, Nein-Stimmen: 45, Stimmenthaltungen: 12.