52000AC0232

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem «Grünbuch: Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte»

Amtsblatt Nr. C 117 vom 26/04/2000 S. 0001 - 0005


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Grünbuch: Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte"

(2000/C 117/01)

Die Kommission beschloß am 30. Juli 1999, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen "Grünbuch: Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte".

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 15. Februar 2000 an. Berichterstatter war Herr Vever.

Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 370. Plenartagung am 1. und 2. März 2000 (Sitzung vom 1. März) mit 97 gegen 1 Stimme bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Das von der Kommission im Juli 1999 vorgelegte Grünbuch über die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte ist die erste wirkliche Gelegenheit, die Sachlage hinsichtlich der Anwendung der Richtlinie 85/374/EWG(1) in der Europäischen Union zu bewerten. Aufgrund der Verspätungen bei der Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht konnte diese Bewertung noch nicht im vorhergehenden Bericht der Kommission im Mai 1995 erfolgen.

1.2. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß veranstaltete am 22. November 1999 in Brüssel eine Anhörung zu dem Grünbuch, um Informationen über die praktischen Erfahrungen und die Standpunkte der wirtschaftlichen und sozialen Organisationen, Unternehmen und Verbraucherorganisationen zu sammeln. In seiner vorliegenden Stellungnahme stützt sich der Ausschuß bei der Formulierung seiner Bemerkungen weitgehend auf die im Rahmen dieser Anhörung geführten Debatten.

1.3. Die drei großen Fragen, die sich derzeit stellen, betreffen im wesentlichen:

- die Bewertung der Anwendung der Richtlinie aus dem Jahr 1985,

- die Optionen für eine eventuelle Überarbeitung,

- die Mittel und Wege zur Verbesserung von Überwachung und Schadensverhütung.

2. Bemerkungen zur Anwendung der Richtlinie aus dem Jahr 1985

2.1. Mit dieser Richtlinie wurde der Versuch unternommen, ein in allen Mitgliedstaaten gültiges europäisches Modell festzulegen, das auf einem Gleichgewicht zwischen Bürgern und Herstellern beruht und das es zu erhalten gilt, wie die Kommission selbst betont. Dieses Gemeinschaftsinstrument stützt sich auf die folgenden sechs Grundsätze:

- objektive Haftung, bei der kein besonderes Verschulden nachgewiesen werden muß;

- Haftung für einen Kausalzusammenhang, bei dem der Fehler und der Schaden nachgewiesen werden müssen;

- gesetzliche Haftung, die durch eine Willenserklärung der Parteien nicht ausgeschlossen werden kann;

- relative Haftung, bei der sich der Hersteller in einer Reihe erschöpfend aufgeführter Fälle von der Haftung befreien kann;

- in erster Linie Haftung des Herstellers, subsidiär des Lieferanten bzw. Importeurs;

- zeitlich begrenzte Haftung, mit einer festgelegten Frist von zehn Jahren gerechnet ab dem Datum des Inverkehrbringens des Produkts.

2.2. Die Richtlinie von 1985 ist nach und nach nicht nur in den 15 EU-Mitgliedstaaten, sondern auch in anderen europäischen Staaten (den Beitrittsanwärterstaaten, der Schweiz und Norwegen) zur Anwendung gelangt. Auch außerhalb Europas haben die Bestimmungen dieser Richtlinie - aufgrund des Gleichgewichts, das sie für die verschiedenen beteiligten Parteien gewährleistet - der Regelung der zivilrechtlichen Haftung in anderen Drittstaaten Impulse verliehen, so z. B. in Japan, wo man diesem Ansatz den Vorzug vor dem amerikanischen System gegeben hat.

2.3. Allerdings kam die Richtlinie aus dem Jahr 1985 in der EU selbst aufgrund gewisser Verzögerungen bei der Umsetzung in nationales Recht nur schleppend zur Anwendung. Deshalb ist der Zeitraum, für den eine Bewertung durchgeführt werden kann, derzeit noch sehr kurz. Darüber hinaus scheinen zahlreiche Richter, Rechtsanwälte und betroffene Parteien nicht sonderlich gut mit der Richtlinie vertraut zu sein: hier müssen noch Fortschritte gemacht werden, um diesem Mißstand abzuhelfen.

2.4. Wenn die Richtlinie auch zu einer Harmonisierung im Sinne strengerer Rechtsvorschriften bei den einzelstaatlichen Regelungen für die zivilrechtliche Haftung beigetragen hat, so werden bei Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsurteilen doch zunächst diese einzelstaatlichen Vorschriften zugrundegelegt, die u. U. deutlich über die Bestimmungen der Richtlinien hinausgehen können. Die Richtlinie schließt nicht die Anwendung strengerer einzelstaatlicher Vorschriften aus, und der Geschädigte kann das einzelstaatliche Recht hinsichtlich der vertraglichen oder außervertraglichen Haftung oder eine besondere Haftungsregelung in Anspruch nehmen. In den meisten Mitgliedstaaten können die Geschädigten bei Körperverletzung sogar Schadensersatz über die Systeme der sozialen Sicherheit erhalten.

2.5. Das mit der Richtlinie hergestellte insgesamt ausgewogene Kosten-Nutzen-Verhältnis hatte zum Ziel, dem Verbraucherschutz, den Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, den Anreizen für Innovation wie auch der Haftung gleichermaßen Rechnung zu tragen. Die Verbesserung der Qualität der Produkte und die Bemühungen um Prävention haben es ermöglicht, das Problem von Schädigung und Haftung erheblich einzugrenzen. Insbesondere ist hervorzuheben, daß bei Verdachtsmomenten gegen ein Produkt heutzutage die betreffenden Unternehmen immer häufiger die möglicherweise fehlerhaften Produkte oder Produktreihen vom Markt nehmen bzw. Rückrufaktionen zwecks Überprüfung und Behebung von Mängeln starten, wenn es sich um ein Bauteil eines komplexeren Produkts wie z. B. eines Kraftfahrzeugs handelt. Von der Europäischen Union wurden überdies mit Erfolg Aufklärungs- und Präventionskampagnen durchgeführt, z. B. mit dem EHLASS-Programm zur Verringerung von Unfällen im Haushalt. Außerdem konnte die Mehrzahl der Streitfälle anscheinend gütlich beigelegt werden, insbesondere durch Schadensersatzleistungen im Zuge eines Vergleichs.

2.6. Auch wenn sich die Auswirkungen der Richtlinie auf den europäischen Binnenmarkt nur schwer genau bewerten lassen, scheinen sie doch a priori insofern positiv zu sein, als sie zu mehr Sicherheit geführt haben, da ein gemeinsames Fundament von Bewertungsgrundsätzen und -verfahren in Haftungsfragen geschaffen wurde. Überdies scheinen die unterschiedlichen Gegebenheiten, die aus spezifischen einzelstaatlichen Vorschriften auf der Grundlage anderer Haftungsregelungen, sei es bei der vertraglichen oder deliktischen Haftung, resultieren, keine negativen Auswirkungen auf den Handel zu haben.

3. Bemerkungen zu einer eventuellen Überarbeitung

3.1. Es muß betont werden, daß eine eventuelle Überarbeitung der Richtlinie mehrere vorher zu klärende Probleme aufwirft:

3.1.1. wie bereits erwähnt liegen noch nicht genügend Informationen vor, die einen klaren Gesamtüberblick über die Anwendung der Richtlinie, über Probleme, die in wirklich signifikanten Fällen zutage getreten sind, und über etwaige Lücken in der gemeinsamen Regelung ermöglichen, da die Richtlinie erst vor kurzem in allen Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt wurde und neben den gemeinschaftlichen Vorschriften unterschiedliche einzelstaatliche Vorschriften weiterbestehen;

3.1.2. da ein derartiger Gesamtüberblick fehlt, ist es nicht gerade einfach, eine fundierte Analyse vorzunehmen, um in sämtlichen Bereichen, in denen sich die Frage einer Überarbeitung stellen könnte, die Standpunkte der verschiedenen betroffenen Parteien zu bewerten und miteinander in Einklang zu bringen;

3.1.3. angesichts dieser Sachlage muß die Frage einer eventuellen Überarbeitung mit der gebotenen Umsicht angegangen werden, um zu vermeiden, daß das mit der Richtlinie angestrebte Gleichgewicht in Frage gestellt wird, und um einen ausreichenden Abstand zu gewinnen, der auch die Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen im Hinblick auf die konkrete Anwendung erlaubt.

3.2. Der Ausschuß unterstreicht, daß vor einer derartigen Überarbeitung u. a. folgende Vorbedingungen erfuellt sein müssen:

- die aktuelle Situation und die laufenden Entwicklungen müssen gründlich untersucht werden;

- hinsichtlich der Berücksichtigung der Interessen der beteiligten Parteien muß insgesamt ein Gleichgewicht gewahrt werden, da dies für das allgemeine Interesse von entscheidender Bedeutung ist;

- das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und die Erfordernisse infolge der Erweiterung müssen berücksichtigt werden;

- die jeweiligen Aufgaben der gesetzgebenden Instanzen und der wirtschaftlichen Akteure müssen abgesteckt werden, insbesondere was die Schadensverhütung angeht (freiwillige und vertragliche Lösungen).

Die nachstehenden besonderen Bemerkungen müssen daher vor dem Hintergrund dieser Vorbedingungen gesehen werden.

3.3. Hinsichtlichkeit der Ausschließlichkeit der Richtlinie hält es der Ausschuß in der derzeitigen Überprüfungsphase für zweckmäßig, parallel zu der durch die Richtlinie gewährleisteten gemeinschaftlichen Regelung einzelstaatliche Rechtsvorschriften, die u. U. strenger sind, weiterbestehen zu lassen. Es könnte sich die Frage stellen, diese einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eventuell in einen Gemeinschaftsrahmen einzubinden, damit sich die Unterschiede nicht vergrößern, aber hierzu müssen die Auswirkungen dieser Unterschiede zunächst eingehender untersucht werden. Dies darf jedoch keinesfalls dazu führen, daß das durch die Richtlinie erzielte Gleichgewicht in Frage gestellt wird.

3.4. Was die Beweislast angeht, legt die Richtlinie fest, daß der Geschädigte zwar nicht den Nachweis für das Verschulden des Herstellers erbringen, jedoch den Schaden sowie den Kausalzusammenhang zwischen Fehlerhaftigkeit des Produkts und erlittenem Schaden beweisen muß. Die derzeitigen Bestimmungen zur Beweislastregelung erscheinen im großen und ganzen ausgewogen.

3.4.1. Dieser Kausalzusammenhang ist ein wesentlicher Bestandteil einer verschuldensunabhängigen Haftungsregelung und somit unverzichtbar. Er trägt unmittelbar zu dem mit der Gemeinschaftsrichtlinie hergestellten Interessengleichgewicht bei und muß daher beibehalten werden.

3.4.2. Dieses Gleichgewicht und die ihm zugrundeliegende Rechtsauffassung sind unvereinbar mit dem entgegengesetzten Ansatz eines Haftungssystems des Typs "market share liability" (amerikanischer Ansatz der Haftung für Marktanteile), wie es von amerikanischen Gerichten für bestimmte spezielle Fälle eingeführt wurde. Die Anwendung einer derartigen Regelung in Europa wäre nicht zu rechtfertigen, da die Richtlinie aus dem Jahr 1985 dem Kläger die Rechtssicherheit gewährleistet, daß in jedem Fall ein Verantwortlicher festgestellt werden kann. Die Einführung eines derartigen Systems würde hingegen zu einem Bruch innerhalb des Konzepts der zivilrechtlichen Haftung führen und hätte überdies Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Unternehmen in Abhängigkeit von deren Marktanteilen zur Folge. Die Versicherungsmechanismen könnten innerhalb eng gesteckter Grenzen nur schwer greifen. Ein derartiges System hätte ferner insofern extrem negative Auswirkungen, als sich die Unternehmen nicht mehr bemüßigt fühlen würden, Eigenverantwortung zu übernehmen und für Schadensverhütung zu sorgen, wozu sie doch mehr denn je angehalten werden müßten.

3.4.3. Die Unternehmen sollten ermutigt werden, freiwillig die Kriterien der Transparenz, Ansprechbarkeit und Berücksichtigung der von den Klägern vorgetragenen Argumente zu erfuellen. Darüber hinaus sollte auch darauf hingearbeitet werden, die Position der Geschädigten beim Nachweis eines Kausalzusammenhangs zu verbessern.

3.5. Der Befreiungsgrund für Entwicklungsrisiken wurde von zehn der fünfzehn Mitgliedstaaten anerkannt. In den fünf Mitgliedstaaten, in denen es diesen Haftungsausschluß nicht gibt, hat es bis heute keine konkreten Fälle gegeben, in denen sich dieses Problem tatsächlich gestellt hätte. Der Ausschuß stellt fest, daß die Beibehaltung dieses Grundes vor allem deshalb gerechtfertigt ist, weil die Innovationsfähigkeit in Europa erhalten werden muß, zumal der Geschädigte immer noch die Möglichkeit hat, auf eine andere Haftungsgrundlage zurückzugreifen. Darüber hinaus läßt sich das Entwicklungsrisiko entweder überhaupt nicht oder nur zu unerschwinglichen Preisen versichern, die für die Unternehmen - und insbesondere die KMU - eine extreme Belastung bzw. unbezahlbar wären.

3.6. Der Ausschuß ist der Auffassung, daß die Haftungshöchstgrenze, die von den Mitgliedstaaten fakultativ festgelegt werden kann, wovon drei von ihnen Gebrauch gemacht haben, keiner Änderung zu bedürfen scheint. Eine Anhebung der Hoechstgrenze könnte den Abschluß entsprechender Versicherungen komplizieren. Eine Abschaffung der Hoechstgrenze würde dies a priori noch weiter erschweren.

3.7. Was die Verjährungsfristen angeht, ist der Zehnjahreszeitraum nach Ansicht des Ausschusses ein Element, das zur Gesamtausgewogenheit des gemeinschaftlichen Regelwerks beiträgt und unverändert bleiben sollte, zumal er längere Fristen aufgrund anderer Regelungen nicht ausschließt. Eine Verlängerung der Fristen hätte eine Verlagerung des Risikos auf die Gesellschaft - mit den damit einhergehenden Belastungen und Kosten für die Allgemeinheit - zur Folge, während die Versicherungsunternehmen geneigt sein könnten, bestimmte Verträge zu kündigen.

3.8. Der Ausschuß spricht sich zwar dafür aus, Versicherungsmechanismen zu entwickeln, die die Schadensregelung erleichtern, weist allerdings darauf hin, daß die Einführung einer Versicherungspflicht zu Kostenproblemen führen würde. Es muß vermieden werden, daß allzu weitreichende Auflagen in dieser Richtung die Innovationsfähigkeit der Unternehmen dadurch hemmen, daß sie diese Kosten insbesondere für die KMU zu sehr in die Höhe treiben.

3.9. Der Anwendungsbereich der Richtlinie aus dem Jahr 1985 wurde zwar 1999 auf unverarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse ausgeweitet, erstreckt sich aber lediglich auf Produkte. Die Haftung für fehlerhafte Dienstleistungen ist aufgrund der besonderen Probleme in diesem Bereich nicht abgedeckt, und die Kommission beabsichtigt eine neue Initiative, die diesen Besonderheiten Rechnung tragen soll. Auch der Immobiliensektor, der ebenfalls sehr spezifische Merkmale aufweist (hohes Maß an Normierung, Vielzahl von integrierten Produkten, Standortgebundenheit der geleisteten Arbeiten etc.) fällt nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie, sondern wird im wesentlichen durch nationale Vorschriften geregelt. Es wäre hilfreich, anläßlich der erforderlichen eingehenden Überprüfung der Regelung der zivilrechtlichen Haftung in der Europäischen Union die diesbezügliche Bewertung der Rechtslage, der besonderen Probleme und der Entwicklungen in den einzelnen Mitgliedstaaten zu aktualisieren.

3.10. Alles in allem sprechen nach Ansicht des Ausschusses mehrere Gründe dafür, im Hinblick auf eine eventuelle Überarbeitung Vorsicht walten zu lassen:

- das durch die Richtlinie geschaffene Gleichgewicht scheint, wie bereits angemerkt, im großen und ganzen zufriedenstellend zu sein und sollte nicht durch punktuelle Änderungen gefährdet werden;

- der Zeitraum für die Beobachtung der Anwendung der Richtlinie war reichlich kurz und sollte verlängert werden;

- derzeit gibt es keine ausreichenden Gründe, die klar für eine Überarbeitung der Richtlinie sprechen;

- die Einführung neuer gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften würde ein neuerliches langwieriges Verfahren mit ungewissem Ausgang in den nationalen Parlamenten erfordern;

- die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstands durch die Beitrittsanwärterstaaten ist für diese ohnehin mit hohen Anforderungen verbunden, was ebenfalls dafür spricht, die gemeinschaftliche Regelung zum gegenwärtigen Zeitpunkt stabil zu halten.

3.11. Der Ausschuß hält es jedoch für notwendig, eine eingehendere Beobachtung der Anwendung der Richtlinie und der Entwicklung der einzelstaatlichen Regelungen für die zivilrechtliche Haftung auf der Grundlage verläßlicherer Erkenntnisse engagiert zu fördern, indem ein effizientes Instrument geschaffen wird, das eine bessere Erfassung der betreffenden Daten erlaubt und parallel dazu neue Maßnahmen zur Stärkung der Gemeinschaftspolitik in den Bereichen Sicherheit und Schadensverhütung ergriffen werden.

4. Empfehlungen für die Verbesserung von Überwachung und Schadensverhütung

4.1. Im Hinblick auf die oben angesprochenen Schwierigkeiten bei der Erfassung der aktuellen Realität der einzelstaatlichen Gegebenheiten betont der Ausschuß, daß gemeinsame Beobachtungsinstrumente geschaffen werden müssen, um die Anwendung der Richtlinie von 1985, die Entwicklung der einzelstaatlichen Bestimmungen für die zivilrechtliche Haftung und die Maßnahmen zur Verhütung und Wiedergutmachung von Schäden zu verfolgen. Eine derartige Beobachtung, die eine unverzichtbare Voraussetzung für eine spätere Überarbeitung der Richtlinie sein dürfte, müßte von der Europäischen Kommission gefördert werden.

4.2. Der Ausschuß empfiehlt daher, daß die Kommission, gestützt auf pragmatische und operationelle Überlegungen, eine Beobachtungsstelle für diesen Bereich einrichten sollte. Diese Beobachtungsstelle, an der alle interessierten Kreise (insbesondere Verwaltungen, Rechtsberufe, wirtschaftliche und soziale Organisationen, Verbraucherverbände) beteiligt werden sollten, sollte sich bei ihrer Arbeit auf eine im Internet abrufbare und regelmäßig aktualisierte Datenbank stützen. Ihre Aufgabe wäre es, folgende Punkte zu überprüfen:

- die rechtliche Anwendung der Richtlinie in der Europäischen Union;

- die spezifischen Probleme der Bereiche und Sektoren, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen;

- die Informationen, die von den auf einzelstaatlicher bzw. gemeinschaftlicher Ebene betriebenen Programmen zur Förderung der Sicherheit geliefert werden, wie dem EHLASS-Programm zur Erfassung von Haushaltsunfällen;

- ein Vergleich zwischen den Entwicklungen in den Mitgliedstaaten, insbesondere in Bereichen, die gegenüber der Richtlinie neu sind oder wo die einzelstaatlichen Vorschriften über die Bestimmungen der Richtlinie hinausgehen;

- die Entwicklung insbesondere der Rechtssprechung in den einzelnen Mitgliedstaaten;

- eine Gegenüberstellung der Situation in den Beitrittsanwärterstaaten und der in den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums;

- die Auswirkungen dieser rechtlichen Situation und ihrer Entwicklung auf das Funktionieren des Binnenmarkts der Gemeinschaft.

4.3. Die Kommission würde damit über ein Instrument verfügen, das es ihr erlauben würde, in den nächsten Jahren - mit Vorlagetermin in spätestens fünf Jahren - einen ausführlichen Bericht über die Situation hinsichtlich der Anwendung der Richtlinie und fundierte Vorschläge für ihre Überarbeitung und Ergänzung auszuarbeiten.

4.4. Der Ausschuß unterstreicht auch die entscheidende Bedeutung einer effizienten und koordinierten Präventionspolitik, sowohl auf Gemeinschaftsebene als auch in den Mitgliedstaaten. Hierzu sind mehrere Faktoren erforderlich:

4.4.1. um die Schadensverhütung zu verbessern, müssen entsprechende Anreize gegeben sein; eine klare Feststellung der Haftung spielt dabei eine wichtige Rolle;

4.4.2. die neue Gemeinschaftsrichtlinie über die Produktsicherheit, die derzeit in Vorbereitung ist, muß mehr Zuverlässigkeit und Sicherheit garantieren und u. a. auch die Möglichkeit vorsehen, Produkte vom Markt zu nehmen, um Schäden zu verhüten;

4.4.3. auf Gemeinschaftsebene ist eine stärkere Normung im Zusammenhang mit den maßgeblichen Auflagen der Richtlinien vonnöten, was bedeutet, daß die gemeinschaftlichen Normungsinstanzen - insbesondere das Europäische Komitee für Normung (CEN), das Europäische Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC) und das Europäische Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI) - gestärkt werden müssen;

4.4.4. die Zertifizierung und die gegenseitige Anerkennung von Zertifizierungen spielt bei der Verbesserung der Produktsicherheit und der Information der Verbraucher ebenfalls eine wichtige Rolle; auch in diesem Bereich muß mehr getan werden;

4.4.5. im Rahmen gemeinschaftlicher Maßnahmen zur Schadensverhütung sind auch Verhaltenskodizes, gezielte Kampagnen zur Qualitätssicherung sowie vertragliche Bestimmungen auf Ebene der Unternehmen oder des Sektors von großer Bedeutung.

4.5. Auch der Informationsstand muß auf mehreren Ebenen verbessert werden:

- allgemeine und berufliche Bildung, bereits in den Schulen und über die verschiedenen Bildungsgänge;

- Sensibilisierung und Schulung aller Beteiligten in den Unternehmen (Unternehmer, Führungskräfte, Arbeitnehmer, Gewerkschaften) in bezug auf die Anforderungen an die Qualität und Sicherheit der Produkte;

- Information der Bürger und Verbraucher, insbesondere mit Hilfe von Aufklärungskampagnen;

- Fortbildung von Richtern und Angehörigen sonstiger Rechtsberufe, u. a. in bezug auf die Bestimmungen der Richtlinie von 1985.

4.6. Die Gewährleistung von Schadensersatz kann über den Ausbau der Versicherungssysteme verbessert werden. Das bedeutet, daß diese für feststellbare und gleichartige Risiken insbesondere in spezifischen Sektoren anwendbar sein müssen. Es erscheint außerdem notwendig, diese Gewährleistung des Schadensersatzes mit der Erhaltung und Erweiterung der Anreize für Selbstverantwortung und Prävention zu verbinden, weshalb entsprechenden Versicherungslösungen der Vorzug vor Garantiefonds gegeben werden sollte.

5. Schlußfolgerungen

5.1. Das durch die Richtlinie von 1985 hergestellte Gleichgewicht im Kosten-Nutzen-Verhältnis scheint im großen und ganzen zufriedenstellend zu sein, wenn es auch schwierig ist, ihre sämtlichen Auswirkungen genau zu überblicken. Diese Schwierigkeiten sind darauf zurückzuführen, daß es zum einen bei der Umsetzung der Richtlinie Verzögerungen gegeben hat und sich zum andern die einzelstaatlichen Vorschriften - trotz der mit der Richtlinie bewirkten Angleichungen - in einigen Fällen unterschiedlich entwickeln und über die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften hinausgehen. Auch wenn für die Zukunft Weiterentwicklungen der Gemeinschaftsrichtlinie nicht auszuschließen sind, müssen derzeit die Erhaltung des bereits erzielten Gesamtgleichgewichts, eine eingehendere Beobachtung der Anwendung der Richtlinie und der Entwicklung der einzelstaatlichen Vorschriften sowie eine bessere gemeinschaftliche Präventionspolitik Vorrang haben.

5.2. Der Ausschuß empfiehlt, daß die Kommission hierzu in Abstimmung mit allen interessierten Kreisen (Verwaltungen, Rechtsberufe, wirtschaftliche und soziale Organisationen, Verbraucherverbände) eine Beobachtungsstelle für diesen Bereich einrichten sollte, damit in spätestens fünf Jahren ein ausführlicher Bericht über folgende Punkte vorliegt:

- die rechtliche Anwendung der Richtlinie in der Europäischen Union;

- ein Vergleich zwischen den Entwicklungen und der Rechtssprechung in den Mitgliedstaaten, insbesondere in Bereichen, die gegenüber der Richtlinie neu sind oder wo die einzelstaatlichen Vorschriften über die Bestimmungen der Richtlinie hinausgehen;

- eine Gegenüberstellung der Situation in den Beitrittsanwärterstaaten und der in den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums;

- die Auswirkungen dieser rechtlichen Situation und ihrer Entwicklung auf das Funktionieren des Binnenmarkts der Gemeinschaft.

5.3. Der Ausschuß dringt ferner darauf, daß die Kommission unterdessen eine ehrgeizige und kohärente Schadenverhütungspolitik auf gemeinschaftlicher Ebene entwickelt, die folgende Aspekte umfaßt:

- die Aktualisierung der wesentlichen Sicherheitsanforderungen in den Richtlinien;

- die Erweiterung und Stärkung der gemeinschaftlichen Normen;

- die Weiterentwicklung von Zertifizierung und gegenseitiger Anerkennung;

- die Förderung von Verhaltenskodizes, vertraglichen Bestimmungen und Kampagnen zur Förderung der Qualität und Sicherheit der Produkte;

- eine stärkere Unterstützung von Maßnahmen zur Schulung aller interessierten Kreise.

Brüssel, den 1. März 2000.

Die Präsidentin

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Beatrice Rangoni Machiavelli

(1) ABl. L 210 vom 7.7.1985, S. 29.