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Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema «Die vorrangigen Umweltziele für die in der Agenda 2000 vorgesehene multifunktionelle Landwirtschaft»

Amtsblatt Nr. C 368 vom 20/12/1999 S. 0068 - 0075


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Die vorrangigen Umweltziele für die in der Agenda 2000 vorgesehene multifunktionelle Landwirtschaft"

(1999/C 368/20)

Der Wirtschafts- und Sozialausschuß beschloß am 28. Januar 1999 gemäß Artikel 23, Absatz 3 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu dem vorgenannten Thema zu erarbeiten.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 28. September 1999 an. Berichterstatter war Herr Colombo.

Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 367. Plenartagung am 20. und 21. Oktober 1999 (Sitzung vom 20. Oktober) mit 93 gegen 1 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Am 24. und 25. März 1999 hat der Europäische Rat bei seinem Gipfeltreffen in Berlin gebilligt, was er selbst als "gerechte und lohnende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik" bezeichnete. "Mit dem Inhalt dieser Reform wird sichergestellt", so der Rat, "daß die Landwirtschaft multifunktional, nachhaltig und wettbewerbsfähig ist und sich über den gesamten europäischen Raum (einschließlich der Regionen mit besonderen Schwierigkeiten) verteilt, daß sie in der Lage ist, die Landschaft zu pflegen, die Naturräume zu erhalten und einen wesentlichen Beitrag zur Vitalität des ländlichen Raums zu leisten, und daß sie den Anliegen und Erwartungen der Verbraucher in bezug auf die Qualität und die Sicherheit der Lebensmittel, den Umweltschutz und den Tierschutz gerecht wird"(1).

1.2. Die Reform nimmt die Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 2078/92(2), die seinerzeit als begleitende Maßnahme zur Förderung einer Verbreitung umweltverträglicher landwirtschaftlicher Praktiken und zur Entschädigung der Landwirte für die von ihnen ergriffenen Umweltschutzmaßnahmen verabschiedet wurde, wieder auf. Diese Verordnung sieht freiwillige Umweltschutzleistungen im Rahmen individueller Vereinbarungen vor, bei denen die Einhaltung bestimmter verfahrens- und produktionsbezogener Auflagen bzw. die Aufwertung besonderer natürlicher Faktoren innerhalb des Agrarbetriebs durch finanzielle Anreize gewährleistet wird. Sie ist bislang das wichtigste Instrumentarium für eine möglichst umfassende Einbeziehung der Umweltbelange in die agrarpolitischen Maßnahmen.

1.2.1. Die wichtigste Neuerung, die das Maßnahmenpaket der Agenda 2000 und die unlängst angenommenen neuen Verordnungen mit sich bringen, beruht in der Definition einiger gemeinsamer Bedingungen für die Direktzahlungen an Landwirte im Rahmen von Stützungsregelungen der GAP, die eine völlige Abkehr von der Vergangenheit darstellen. Die Mitgliedstaaten ergreifen Umweltmaßnahmen, die sie angesichts der besonderen Situation der landwirtschaftlichen Flächen und der betreffenden Erzeugung für geeignet halten. Dazu kann die Gewährung von Beihilfen für die Übernahme von Verpflichtungen, die auf eine umweltfreundlichere Landwirtschaft zielen, gehören oder die Festsetzung zwingender Umweltvorschriften allgemeiner Natur sowie spezifischer Umweltauflagen, die erfuellen muß, wer in den Genuß von Direktzahlungen kommen will. Die Mitgliedstaaten müssen angemessene Strafen verhängen, die der Schwere der aus der Mißachtung der Umweltvorschriften im Sinne der guten landwirtschaftlichen Praxis resultierenden Umweltschäden entsprechen. Diese Vorschriften wurden von den Mitgliedstaaten nach einheitlichen Grundstandards und vorheriger Konsultation der landwirtschaftlichen Berufsverbände auf dem Verwaltungsweg festgelegt. Sie können die im Rahmen der Stützungsregelung bereitgestellten Mittel kürzen oder ggf. streichen, wenn die spezifische Umweltauflagen nicht eingehalten werden.

1.2.2. In diesem Zusammenhang verweist der Ausschuß auf seine am 10. September 1998 verabschiedete Stellungnahme(3) und nimmt die Fülle von Beschlüssen, die zu diesem Thema gefaßt wurden, und die Mitteilung der Kommission "Wegweiser zur nachhaltigen Landwirtschaft"(4) zur Kenntnis.

1.3. Der Ausschuß stellt fest, daß sich dieser Teil der Reform mit seinen früheren Stellungnahmen, insbesondere der im Rahmen der Ausübung seines Initiativrechts erarbeiteten und am 14. September 1994 mit überwältigender Mehrheit verabschiedeten Stellungnahme zum Thema "Vertrag zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft"(5), deckt.

1.4. Ganz im Geiste des "Dokuments von Granada"(6) vom November 1992 wurde in der Stellungnahme des Ausschusses der multifunktionale Charakter der EU-Landwirtschaft betont, und es wurden die Elemente für einen "Vertrag" zwischen Landwirtschaft, ländlichem Raum und Gesellschaft in der Europäischen Union zusammengetragen.

1.5. Auf diese Weise wurden die Aussagen bekräftigt, die der Ausschuß in zwei Stellungnahmen vom September 1988 zu den Mitteilungen der Kommission "Die Zukunft des ländlichen Raums" und "Umwelt und Landwirtschaft"(7) vorgetragen hatte. Demnach muß die europäische Landwirtschaft angesichts des tiefgreifenden Umbruchs im Jahrhunderte alten ländlichen Raum als landwirtschaftlich genutztes Gebiet und als gesellschaftliches Gefüge ihre wesentliche und zentrale Aufgabe als Stützpfeiler der ländlichen Gesellschaft beibehalten. Diese Aufgabe besteht in der doppelten Funktion als Garant für die quantitative wie qualitative Grundversorgung der Bevölkerung und zum Erhalt der natürlichen Ressourcen sowie zum Schutze der Umwelt.

1.6. Schon damals betonte der Ausschuß, daß die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Landwirtschaft und Umwelt eine angemessene Ausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion und eine Förderung des ländlichen Raums erfordert, wobei es gilt, zwischen den Landwirten und den anderen Gruppen der Gesellschaft, vor allem den Verbrauchern, eine Basis gegenseitigen Vertrauens zu schaffen.

1.7. Eine kohärente Initiative zur Entwicklung des ländlichen Raums ist somit nach Ansicht des Ausschusses das Basisinstrument für dieses Vertrauensverhältnis zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft, und zwar aufbauend auf der Multifunktionalität der landwirtschaftlichen Tätigkeit, d. h. insbesondere auf der Fähigkeit, nicht nur den produktiven und sozialen, sondern auch den umweltspezifischen Bedürfnissen der Allgemeinheit gerecht zu werden.

1.7.1. Der landwirtschaftliche Unternehmer muß mithin neben der Ertragsfähigkeit der Böden auch die Kohärenz der Bodennutzung erzielen, d. h. er muß auch Landschaftspflege und Umweltschutz betreiben. Es gilt, neue "Dienstleistungen" zu erschließen, und zwar durch eine wettbewerbs- und ertragsfähige, aber gleichzeitig auch umweltverträgliche Landwirtschaft, die die natürlichen Ressourcen nutzt und schützt, ihre Erneuerungsfähigkeit sichert und die ökologische Stabilität wahrt.

1.7.1.1. Vor diesem Hintergrund ist die Definition der "multifunktionalen Landwirtschaft" zu sehen, d. h. einer Tätigkeit, die weit über die reine Erzeugung von Nahrungsmitteln hinausgeht.

1.7.1.2. Dem Begriff "multifunktionale Landwirtschaft" liegt folgender Gedanke des Europäischen Rates von Luxemburg vom 12. und 13. Dezember 1997 zugrunde:

"Die Union hat den Willen, das derzeitige europäische Landwirtschaftsmodell weiter zu entwickeln und sich dabei um eine bessere interne und externe Wettbewerbsfähigkeit zu bemühen. Die europäische Landwirtschaft muß ein multifunktionaler, nachhaltiger und wettbewerbsfähiger Wirtschaftssektor sein, der sich auf das gesamte Gebiet der Union, einschließlich der Regionen mit spezifischen Problemen, erstreckt. Der 1992 eingeleitete Reformprozeß muß fortgesetzt, vertieft, angepaßt und ergänzt werden, wobei auch die mediterranen Erzeugnisse einbezogen werden. Die Reform muß dazu führen, daß am Ende Lösungen erreicht werden, die wirtschaftlich vernünftig und tragfähig sowie sozial vertretbar sind, angemessene Erlöse und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Produktionssektoren, den Erzeugern und den Regionen ermöglichen und Wettbewerbsverzerrungen verhindern.(8)"

1.7.1.3. Dabei ist auf jeden Fall zwischen "Multifunktionalität" und "Mehrfachtätigkeit" zu unterscheiden. Letztere besagt, daß der Landwirt auch anderen Erwerbstätigkeiten nachgeht (in Handwerk, Handel oder als Arbeitnehmer). Mithin werden Landwirtschaft und Tierzucht im Sinne der beruflichen Anerkennung als gewohnheitsmäßige, aber nicht ausschließliche Erwerbstätigkeit betrachtet. So wird der Umstand berücksichtigt, daß eine Ausweitung der außerlandwirtschaftlichen Tätigkeiten und Dienstleistungen bzw. die Zusatz- oder Alternativeinkünfte - die der Landflucht entgegenwirken, die wirtschaftliche Lebensfähigkeit verstärken und die soziale Wärme des Lebens auf dem Lande erhöhen - der Entwicklung des ländlichen Raumes förderlich sind.

1.7.1.4. So muß der Landwirt im Zuge der Multifunktionalität(9) neue Aufgaben erfuellen und die teils traditionellen, teils innovativen Tätigkeiten nach einem einheitlichen Betriebsentwicklungskonzept so ausüben können, daß er seinen besonderen Status in bezug auf Besteuerung, Krankenversicherung und Altersgeld wahrt, auch wenn es anderslautende nationale Rechtsvorschriften gibt.

1.8. Nach Ansicht des Ausschusses erfordern die agrar- und umweltpolitischen Initiativen diesen Solidaritätspakt zwischen allen Teilen der Bürgergesellschaft und der Landwirtschaft, da sie u. a. mit den herkömmlichen Maßnahmen brechen, die ausschließlich auf die Verbesserung der Produktionsstrukturen ausgerichtet sind und somit häufig als zusätzliche Unterstützung der Landwirtschaft zu Lasten des Steuerzahlers betrachtet werden.

1.9. Der Ausschuß hat folglich mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß sein Standpunkt im wesentlichen geteilt wurde. Und zwar zunächst in den Schlußfolgerungen der "Europäischen Konferenz über die Entwicklung des ländlichen Raums", die im November 1996 in Cork stattfand. Hier wurde die nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raums zu einer Priorität der Europäischen Union und zum Ausgangspunkt jeglicher Raumordnungspolitik erklärt, um u. a. die Landflucht einzudämmen und die Beschäftigung zu fördern. Später dann auch im Agrarkapitel der "Agenda 2000"(10), wo die Kommission ein "europäisches Agrarmodell" skizziert und dabei den Umweltmaßnahmen der Landwirtschaft als dem größten Landnutzer eine Schlüsselbedeutung zumißt.

1.9.1. In diesem Zusammenhang sollte darauf hingewiesen werden, daß der Ausschuß mit seiner Einschätzung des in der "Agenda 2000" dargelegten Konzepts in keiner Weise seine kritische globale wie sektorspezifische Bewertung inhaltlich einschränken möchte, die er bereits in den einzelnen Stellungnahmen zum Agrarteil der "Agenda 2000" und zu den sich daraus ergebenden einzelnen Vorschlägen für die Reform der GMO abgegeben hat(11).

1.10. In der Agenda 2000 heißt es weiter, daß die Politik der direkten Einkommensstützung künftig ihre Legitimation in zunehmendem Maße aus den Leistungen ziehen muß, die die Landwirte der Gesellschaft anzubieten in der Lage sind. Und die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors wird nicht ohne Produktionstechniken auskommen, mit denen die natürlichen Ressourcen geschont, Umweltverschmutzungen verringert bzw. vermieden und Qualitätserzeugnisse hervorgebracht werden können.

1.10.1. Während also das bislang höchste Gebot, nämlich die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion, an Bedeutung verliert, eröffnen sich für die landwirtschaftliche Tätigkeit neue Möglichkeiten im Dienste des Gemeinwohls, die die Anwendung umweltverträglicher Methoden und die Merkmale und Besonderheiten der Erzeugnisse stärker zur Geltung bringen.

1.10.2. Wichtiger ist jedoch die geplante Gewährung von Beihilfen für die Übernahme unmittelbar mit dem Umweltschutz in der Landwirtschaft zusammenhängender Verpflichtungen, womit eine Politik der Förderung des aktiven Landschaftsschutzes im proportionalen Verhältnis zu den jeweils erbrachten Dienstleistungen an die Stelle der bisherigen einfachen Entschädigung für Flächenstillegungen tritt.

1.10.3. Der Ausschuß gibt zu bedenken, daß ungerechtfertigte Verzerrungen der Wettbewerbsregeln infolge von Umweltauflagen oder von verschärften Umweltregeln zu vermeiden sind, die dazu führen, daß das Land nur begrenzt gemäß seiner natürlichen Bestimmung verwendet werden kann. Außerdem sollte man eine Reihe landwirtschaftlicher Verhaltensregeln formulieren, um neben der Erfuellung zwingender Umweltauflagen allgemeiner Natur auch die Einhaltung spezifischer Umweltbestimmungen sicherzustellen, denen Landwirte gerecht werden müssen, die nach der GAP-Reform Direktzahlungen erhalten wollen.

1.10.4. Die Weiterentwicklung der GAP läuft im Grunde auf ein klareres politisches Konzept hinaus, das sich auf den gesamten ländlichen Raum erstreckt. Dieser soll künftig nicht mehr als rückständiges und zweitrangiges Gebiet betrachtet werden, sondern als willkommenes Aktionsfeld zugunsten einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität und einer umsichtigen und rationalen Nutzung der natürlichen Ressourcen.

1.11. Die Europäische Union ist offenbar entschlossen, die landwirtschaftliche Tätigkeit und die Aktivitäten zum Schutz und zur umweltgerechten Nutzung des ländlichen Raums konsequenter als bislang zu fördern und auf eine umfassendere Verbreitung umweltverträglicher Produktionsverfahren zu setzen. Der Ausschuß möchte sich mit dieser Stellungnahme beteiligen an der Ermittlung:

- der vordringlichsten Ziele zum Schutz des ländlichen Raums, zur Verhütung von Umweltschäden und zum Erhalt der natürlichen Ressourcen. Das Erreichen dieser Ziele dürfte vor allem in den Bergregionen und den übrigen naturbedingt benachteiligten Gebieten die Wirtschaftstätigkeiten sichern und somit die Landflucht unterbinden, den Generationswechsel ermöglichen und die Beschäftigung gewährleisten;

- der vorrangigen Maßnahmen im Hinblick auf eine konsequentere Förderung der Qualität und Besonderheit von landwirtschaftlichen Nahrungsmitteln, um den Anforderungen gerecht zu werden, die die Gesellschaft in puncto Lebensmittelqualität und -sicherheit sowie Umweltverträglichkeit an die Landwirtschaft stellt;

- der erforderlichen Anreize, die das wirtschaftliche Überleben des ländlichen Raums ermöglichen und das Image der europäischen Agrarprodukte als Qualitätserzeugnisse aufwerten. Die Maßnahmen zum Schutz der Umwelt müssen einhergehen mit der erforderlichen Effizienzsteigerung, um dem wachsenden Wettbewerbsdruck auf den Weltmärkten standzuhalten.

2. Die vordringlichsten Ziele zum Schutz des ländlichen Raums, zur Verhütung von Umweltschäden und zum Erhalt der natürlichen Ressourcen

2.1. Erhaltung der landwirtschaftlichen Bodennutzung

2.1.1. Angesichts der kontinuierlichen Verschandelung der Landschaft und Verletzung der landwirtschaftlichen Identität der Orte ist der ländliche Raum das Opfer einer Vereinnahmung und Preisgabe des eigenen Lebensraums bei gleichzeitig drohendem Niedergang des traditionellen Wasser- und Bodenbewirtschaftungssystems.

2.1.2. Die anhaltende Ausdehnung der Siedlungszentren und die Niederlassung von Unternehmen jeglicher Art - mit den entsprechenden Infrastrukturen - in Gebieten mit blühender Agrartätigkeit hat insbesondere zu einer Zersplitterung der landwirtschaftlichen Nutzflächen und zu einer zunehmenden Verstädterung des ländlichen Raums beitragen, worunter das Landschaftsbild stark gelitten hat.

2.1.2.1. Der Ausschuß macht darauf aufmerksam, daß die ländlichen Gebiete in Zukunft nicht mehr als Bodenreserven betrachtet werden dürfen, sondern als feste Bestandteile eines umfassenden Bodennutzungsprogramms, die den Planungsprozeß auf den einzelnen Ebenen bestimmen, indem die jeweilige Nutzungsbestimmung bei der Entscheidung, städtepolitische Instrumente einzusetzen, oder bei allen baulichen Eingriffen Berücksichtigung findet.

2.1.3. Die Stillegung zahlreicher Betriebe und die daraus resultierende Verödung und Verwahrlosung ganzer Gebiete sind in ihrer Wirkung nicht weniger verhängnisvoll für den ländlichen Raum als die Umweltverschmutzungen. Daher darf nach Ansicht des Ausschusses nicht die Möglichkeit unterschätzt werden, die sich durch die von geeigneten Beihilfen flankierte Umstellung auf eine "ökologische" Landwirtschaft auf der Grundlage bäuerlicher Familienbetriebe (die eine ausreichende und qualitativ hochwertige Produktion unter Wahrung des ökologischen Gesamtgleichgewichts gewährleisten können) bietet, um Formen der Nutzung des ländlichen Raums durch den Menschen zur Wahrung der natürlichen Ressourcen als unersetzliches und nicht wiederherstellbares Allgemeingut zu fördern.

2.1.3.1. Das Gleiche gilt für die Förderung von Jungunternehmern, insbesondere hinsichtlich ihrer Niederlassung und des Ausbaus der Produktionsstätten durch Erlaß besonderer Vorschriften für die Kreditvergabe und Besteuerung. Im Rahmen der einzelstaatlichen Anwendung müssen für die Gründung von Genossenschaften, die in der Lage sind, die Nachfrage nach Dienstleistungen im Umweltbereich zu befriedigen und die Bedingungen für die Verarbeitung und Vermarktung der Erzeugnisse zu verbessern, entsprechende Anreize anerkannt und eingeführt werden.

2.2. Spezifische Maßnahmen für benachteiligte Gebiete und Bergregionen

2.2.1. Angesichts der struktur- und naturbedingten Ungleichheiten zwischen den verschiedenen landwirtschaftlich genutzten Gebieten und der Notwendigkeit, Landschaftspflege und Wiederbelebung der ländlichen Wirtschaft unter einen Hut zu bringen, schenkt der Ausschuß den benachteiligten Gebieten seine besondere Aufmerksamkeit. Bezeichnend für diese Gebiete, unter denen die Bergregionen in bezug auf Bedeutung und Ausdehnung eine Sonderstellung einnehmen, sind die wegen der schwierigen natürlichen Verhältnisse geringe Produktivität und Bevölkerungsdichte und die erhöhte Tendenz zur Landflucht. In diesen benachteiligten, wirtschaftlich rückständigen Gebieten, die zwar landschaftlich und morphologisch sehr interessant sein mögen, muß der Staat mit Maßnahmen, die den Veränderungen des sozialen Gefüges entsprechen und zum Ausgleich der Einkommensunterschiede beitragen, schwerpunktmäßig für die Gewährleistung der staatlichen Grunddienstleistungen (Schulen, Krankenhäuser, öffentlicher Verkehrsmittel) auch dort sorgen, wo die anderswo geforderte Mindestinanspruchnahme nicht gegeben ist. Darüber hinaus muß er die Investitionen bündeln und die Entwicklung von absolut umweltfreundlichen Produktionsmethoden fördern, um den verheerenden Erdrutschen, Überschwemmungen und sonstigen Umweltstörungen als Folge der zunehmenden Eingriffe in die Umwelt Einhalt zu gebieten.

2.2.2. Der Ausschuß erkennt die zentrale Bedeutung der Landwirtschaft für die Aufwertung der benachteiligten und von Landflucht betroffenen Gebiete aufgrund der Wechselbeziehung zwischen Agrarbewirtschaftung und natürlichen Ressourcen an und erachtet es für notwendig, im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Solidarität die staatlichen Maßnahmen zur wirkungsvollen Entwicklungsförderung dieser Regionen zu verstärken. Ziel ist dabei die Schaffung lebensfähiger Betriebe durch die volle Nutzung des Produktionspotentials und durch Anreize zugunsten bäuerlicher Familien, damit die traditionellen Werte wieder genügend Anerkennung finden. Auf diese Weise wird dem Interesse der Allgemeinheit an der Schaffung eines daseinsfreundlichen Umfelds, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht, Rechnung getragen.

2.2.3. Im Falle der Landwirtschaft in Berggebieten sollten Formen der Zertifizierung und Aufwertung typischer land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse gefördert werden.

2.3. Die "vielfältige" Nutzung von Naturparks und Naturschutzgebieten

2.3.1. Im Interesse des Naturschutzes und der Wahrung der Kulturlandschaft zeichnet sich in der Raumplanung eine Tendenz zum Schutze wichtiger Gebiete ab.

2.3.2. Der Ausschuß möchte im Rahmen der Untersuchung des komplexen Gleichgewichts aller Naturressourcen darauf hinweisen, daß die erforderliche Erhaltung dieser Ressourcen nicht gleichbedeutend ist mit "völliger Verhinderung ihrer Nutzung", sondern daß es vielmehr gilt, die Bedingungen für eine ausgewogene Koexistenz festzumachen.

2.3.2.1. In diesem Sinne unterstreicht der Ausschuß, wie unerläßlich eine "vielfältige Nutzung" von Naturparks und Naturschutzgebieten ist, die nicht als Inseln im Rahmen eines Entwicklungsprogramms und Verbotsstätten betrachtet werden dürfen, sondern als möglicherweise geeignete Orte für die Suche und Erprobung von Integrationsmöglichkeiten zwischen Mensch und Umwelt.

2.3.3. Die Besonderheit dieser Gebiete liegt nach Ansicht des Ausschusses darin, daß sie nicht nur der Landschaftspflege dienen, sondern auch verschiedene Aufgaben erfuellen, wie etwa die wirtschaftliche Entwicklung der Menschen vor Ort durch Förderung geeigneter Formen des Fremdenverkehrs und der traditionellen und umweltverträglichen Tätigkeiten in den Bereichen Land-, Forst- und Weidewirtschaft.

2.4. Erhalt der biologischen Vielfalt

2.4.1. Angesichts der schrumpfenden genetischen Ressourcen und des bedrohten Ökosystems infolge der geschwächten natürlichen Regenerierung und der Umweltverschmutzung besteht die Grundvoraussetzung für den Fortbestand der Artenvielfalt nach Ansicht des Ausschusses darin, die Ökosysteme und natürlichen Lebensräume zu schützen und die Arten in ihrem natürlichen Umfeld zu erhalten.

2.4.2. Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, daß der Erhalt der biologischen Vielfalt neben dem Schutz der Ökosysteme und der Tier- und Pflanzenarten auch das Erreichen des Kernziels der nachhaltigen Entwicklung voraussetzt, und zwar nach Modellen und Verfahren, die insbesondere die für die genetischen Ressourcen erforderlichen Regenerationszyklen respektieren.

2.4.3. Der Ausschuß betont, daß die Landwirtschaft hier eine herausragende Rolle spielt, da sie einen wesentlichen Beitrag leisten kann zur Verwirklichung einer sinnvollen Raumplanung - indem sie Umweltbeeinträchtigungen bekämpft - sowie zum Erhalt der Lebensräume und der Interaktion zwischen den verschiedenen Ökosystemen. Angestrebt werden dabei eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen und eine Entwicklung, die der Tier- und Pflanzenvielfalt Rechnung trägt.

2.4.4. Eine Strategie zur Förderung von Maßnahmen, die der Erhaltung der Artenvielfalt dienen, kann im Falle der Landwirtschaft außerdem zusätzliche Investitionen zur Erweiterung der wirtschaftlichen Möglichkeiten mit dem Ziel umfassen, die Rendite und die Produktionspalette sowie das Dienstleistungsangebot zur Nutzung des Naturerbes zu verbessern und der Öffentlichkeit für die Freizeitgestaltung einen breiteren Zugang zu gewähren.

2.5. Vorschläge des Ausschusses zur Wiederherstellung und Aufwertung der Siedlungsstruktur und der territorialen Dienstleistungen

2.5.1. Der Ausschuß ist der Auffassung, daß zunächst einmal der Landflucht Einhalt geboten und die Lebensqualität durch Förderung der Beschäftigung, insbesondere in den Regionen mit den höchsten Arbeitslosenquoten (Berggebiete und sonstige von der Natur benachteiligte Regionen), gesteigert werden muß, und zwar durch:

- Errichtung und Anpassung von Verwaltungsdienstnetzen für die Schaffung des notwendigen Qualitätsniveaus zur Förderung von Informationen über die Unterstützung der Tätigkeiten in den Bereichen Produktion, Tourismus und Gästebeherbergung;

- Landschaftspflegemaßnahmen mit Schwerpunkt auf dem Schutz der Wälder durch spezifische Maßnahmen zur Verhütung von Waldbränden und zur Wasserregulierung;

- politische Maßnahmen für die Kreditvergabe und Vereinfachung der administrativen Verfahren für die Gründung lokaler Agrarbetriebe, deren Tätigkeit in erster Linie auf die Valorisierung der Pflanzensysteme und der natürlichen Vielfalt durch die Wahl besonderer, mit der Kultur und den lokalen Traditionen verbundenen Qualitätserzeugnisse ausgerichtet ist;

- Entwicklung erneuerbarer Energiequellen durch Investitionen in die Anwendung von Technologien für die Energieerzeugung aus Wind, Sonne und Biomasse;

- Investitionen in die Schaffung von Dienstleistungen für die Steigerung der Mobilität mit Hilfe plurimodaler Organisationssysteme;

- Unterstützung von Anbau- und Aufzuchtmethoden, die den Werten der Artenvielfalt Rechnung tragen.

2.5.2. Auf jeden Fall sollte nach Ansicht des Ausschusses bei den Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raumes das Subsidiaritätsprinzip gewahrt bleiben, damit auch der allgemeine, sich nicht allein in den regionalen Besonderheiten erschöpfende Schatz der Traditionen und der Kultur der ländlichen Gemeinschaften Würdigung erfährt.

2.5.3. Die Rahmenbedingungen für die ländliche Entwicklung hängen von dem jeweiligen sozialen, wirtschaftlichen und natürlichen Umfeld an Ort und Stelle ab und machen sehr unterschiedliche Vorgehensweisen erforderlich. Der Ausschuß empfiehlt deshalb ein von den gegebenen Produktionsbedingungen ausgehendes Modell zur qualitativen Aufwertung und Würdigung typischer lokaler Erzeugnisse, deren Herstellung auf umwelt- und tierfreundlicheren Verfahren beruht.

3. Vorrangige Maßnahmen im Hinblick auf eine konsequentere Förderung der Qualität und Besonderheit von landwirtschaftlichen Nahrungsmitteln

3.1. Die wachsende Nachfrage nach Umweltqualität, die einen Wettbewerb der Erzeugnisse auf der Grundlage von Produktdiversifizierung sowie Verringerung der Produktionskosten ermöglicht, kann sicherlich dazu beitragen, daß sich Produkte auf dem Markt behaupten werden, deren lokale Charakteristika zu typischen Merkmalen werden.

3.1.1. Im Zusammenhang mit diesen Erzeugnissen eröffnen sich neue Aktionsfelder, in denen es der Landwirtschaft gelingen kann, wieder einen direkteren Kontakt zum Verbraucher aufzunehmen, seinen Wünschen und Bedürfnissen gerecht zu werden und mehr als bisher die Gewährleistung für das Erzeugnis zu übernehmen.

3.1.2. Die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer und der Bürger im allgemeinen muß eines der expliziten Ziele sein, denen das Technologieangebot für die Agrarbetriebe dient.

3.1.2.1. Die Gesundheitsvorschriften müssen die Gesundheit der Bürger schützen und gleichzeitig der Notwendigkeit Rechnung tragen, daß die landwirtschaftlichen Produktionsmethoden nicht völlig den industriellen Fertigungsverfahren angeglichen werden.

3.2. Bei der Erzeugung von Qualitätsprodukten lassen sich vielfältige Ziele verfolgen:

- Abkehr von dem Leitsatz der Produktionssteigerung als einzigem Ziel durch Berücksichtigung des höheren Wertes eines Produkts für den Endverbraucher, das heißt durch die Würdigung der Qualität des Produktes;

- Unterstützung für die Entwicklung der lokalen Produktionssysteme durch Aufwertung der menschlichen und natürlichen Ressourcen in einem bestimmten Gebiet sowie der in den jeweiligen Gemeinschaften verwurzelten Traditionen und Gebräuche;

- Förderung ausgewogenerer Beziehungen im Agrar- und Nahrungsmittelsektor durch die Entwicklung lokaler Nischentätigkeiten, die von anspruchsvolleren Kunden geschätzt werden;

- Erhalt des Handwerks und der Fertigkeiten und Kenntnisse vor Ort, insbesondere durch Einbeziehung der örtlichen Handwerksgewerbe, die mit der multifunktionalen landwirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhängen;

- Sicherung der Erzeugung von Lebensmitteln mit organoleptischen Eigenschaften, die in der Massenerzeugung nicht immer gegeben sind.

3.3. Folglich ist es besonders wichtig, die Qualität der landwirtschaftlichen Erzeugnisse mit Blick auf folgende positive Aspekte zu gewährleisten:

- Gesundheit und Sicherheit des Verbrauchers sowie Einhaltung der Umweltschutzauflagen;

- Übereinstimmung der versprochenen Produktmerkmale mit denen der tatsächlich gelieferten Erzeugnisse;

- Beständigkeit der gewährleisteten Kernmerkmale;

- die im Produktionszyklus angewandten Verfahren;

- Umweltschutz auch durch Reduzierung des Einsatzes von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie durch Einführung integrierter Agrarsysteme;

- das Entstehen zusätzlicher örtlicher Aktivitäten (Tourismus, Handwerk, Handel usw.);

- Gebietsspezifizität;

Diese Forderungen dürften wegen des Nutzens für ein gesünderes Leben und eine gesündere Ernährung, den sie mit sich bringen, auch den Beifall der Bürger als Steuerzahler und Verbraucher finden.

3.3.1. Auf der Ebene der Verbraucherinformation kann gerade mit dem Schutz des Ursprungs ein regionaltypisches Erzeugnis gefördert werden, das sich auch aufgrund der Produktionsverfahren und der geographischen Bedingungen von anderen Erzeugnissen abgrenzt, indem man auf eine entsprechende Werbung setzt.

3.3.1.1. Es geht also darum, ausdrücklich anzuerkennen, daß das Etikett des Produkts einen Hinweis auf seinen geographischen Ursprung und besondere Anbau- und Herstellungsverfahren enthalten kann, auch wenn es bislang keine Gemeinschaftsbezeichnung gibt (EG, g.g.A)(12), sofern eine enge Verbindung mit dem betreffenden Gebiet besteht.

3.3.1.2. Es wird vorgeschlagen, die Erzeugnisse eines Gebiets aufzuwerten, das über die lokalen und regionalen Grenzen hinausgeht, auf die sich gewöhnlich die geschützten Ursprungsbezeichnungen oder die geographischen Angaben beziehen und sich die lokale Verbreitung des regionaltypischen Erzeugnisses erstreckt. Dies soll geschehen durch die Anerkennung ihrer Ursprungsbestimmung oder des Markenzeichens der nationalen Produktion.

3.3.1.3. Diese Erzeugnisse werden durch die großen Vertriebskanäle dem Massenkonsum zugänglich gemacht; sie müssen daher dem Wunsch der Verbraucher nach einer tatsächlichen Übereinstimmung der Qualität und der jeweiligen typischen Merkmale auch durch die Nachprüfbarkeit der geographischen Identität und durch die vom örtlichen Agrar- und Nahrungsmittelsektor gegebenen Garantien gerecht werden.

3.3.1.4. Nach Auffassung des Ausschusses sorgt eine starke örtliche Verhaftung der landwirtschaftlichen Qualitätsproduktion nicht nur dafür, daß der überwiegende Teil des erwirtschafteten Mehrwerts innerhalb der lokalen Gemeinschaften verbleibt. Sie setzt vielmehr auch die Entwicklung mit der Landwirtschaft zusammenhängender Erwerbszweige (Fremdenverkehr, Handwerk) voraus und fördert diese, indem sie der ländlichen Entwicklung aufgrund der Merkmale und der Neuartigkeit der Investitionen, die sie nahelegt (Qualität, Sicherheit, Umwelt), zusätzliche Impulse gibt.

3.4. Vorschläge des Ausschusses zur Aufwertung der Möglichkeiten für den Erhalt und die Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen bei gleichzeitiger Entwicklung zielgerechter komplementärer Produktionstätigkeiten

3.4.1. Zur Ergänzung dieses Tableaus sind auch die Erzeugerverbände aufgerufen, sich für die Förderung dieses Vorhabens, die Anwendung angemessener Verfahren, die Überwachung und besonders die Kontrolle, ob die erklärten Qualitätsstandards auch wirklich eingehalten werden, sowie die Aufklärung über die besonderen Merkmale eines typischen Erzeugnisses entsprechend einzusetzen.

3.5. Nach Ansicht des Ausschusses könnten die örtlichen Behörden in Zusammenarbeit mit den Erzeugerverbänden neben den Bemühungen um Bewahrung und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen ergänzende Maßnahmen ergreifen wie beispielsweise

- in der Grundschule ansetzende Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen zur Wiedereingliederung des Arbeitskräftepotentials vor Ort;

- Initiativen zur Unterstützung der betrieblichen Besonderheiten vor Ort und Finanzhilfe für die Unternehmen;

- Wiederaufnahme der Tätigkeiten mit gebietsbezogenem Charakter (Handwerk und Produktionstechniken mit langer Tradition);

- die Nutzung touristischer Möglichkeiten durch die Aufwertung von Qualitätsprodukten und typischen Erzeugnissen, die für bestimmte Gebiete bezeichnend sind;

- Errichtung (auch mit Hilfe neuer Technologien) von Netzen für die Vermarktung von Qualitätserzeugnissen außerhalb des lokalen Produktionsgebiets;

- beschäftigungspolitische Maßnahmen in Zusammenhang mit der Eingliederung in die vom Landwirt angebotenen unternehmerischen Dienstleistungen, insbesondere im Bereich der Landschaftspflege.

4. Erforderliche Anreize für die Aufrechterhaltung der Tätigkeiten zum Schutze der Landschaft und für die Steigerung der Effizienz des Produktionssystems

4.1. Die Neuorientierung der produktionstechnischen Zielsetzungen des Agrarbetriebs - von der Maximierung der quantitativen Produktivität hin zur Qualitätssteigerung - setzt voraus, daß man sich des breiten Spektrums an Waren und Dienstleistungen im Zusammenhang mit den spezifischen Besonderheiten der Tätigkeiten in Land-, Forstwirtschaft und Tierzucht, vor allem bei den traditionellen Formen der Bodennutzung, bewußt wird.

4.2. Die geographische Verteilung der Agrarbetriebe macht es erforderlich, eine Bewertung des nachhaltigen Beitrags vorzunehmen, den diese zum Erhalt der natürlichen Ressourcen, aber auch zur Wahrung und zur Verbesserung der Produktions- und Gesellschaftsstrukturen in den lokalen Wirtschaftssystemen leisten.

4.3. Dieser Funktion der Landwirtschaft wird derzeit kaum Bedeutung geschenkt, so daß weder konkrete Maßnahmen geplant noch entsprechende finanzielle Mittel bereitgestellt werden.

4.3.1. Zu prüfen ist ferner, inwieweit der Umweltschutz eine unentgeltliche Verpflichtung oder eine zu entlohnende Dienstleistung sein sollte.

4.4. Nur durch die Anerkennung einer multifunktionalen Landwirtschaft kann das Verhältnis zwischen Produktionsprozessen und Umwelt tatsächlich umgekehrt werden, und zwar in dem Sinne, daß die natürlichen Ressourcen sowohl als umweltspezifische Produktionsfaktoren wie auch als Güter für den kollektiven Nutzen betrachtet werden, die die Voraussetzungen für den örtlichen Wohlstand schaffen.

4.4.1. Daraus ergibt sich zwangsläufig eine gemäßigtere Akzeptanz der Auflagen für die Begrenzung der produktiven Nutzung der Ressourcen und die Erweiterung ihres Produktionspotentials.

4.5. Wie effizient die staatlichen Maßnahmen sind, hängt davon ab, ob die begleitenden Maßnahmen fortgeführt werden. Zu beseitigen sind jene Faktoren, von denen ihre Anwendung vor Ort abhängig war. Dabei gilt es, nicht nur das agrarpolitische Instrumentarium voll und uneingeschränkt umzusetzen, sondern auch die negativen Auswirkungen zu reduzieren und umweltverträgliche Praktiken und Verhaltensweisen einzuführen, um in den ländlichen Gebieten neue Arbeitsplätze zu schaffen.

4.5.1. Setzt man die gegenwärtigen Begleitmaßnahmen einfach fort, so muß man - auch durch Aufstockung der finanziellen Mittel zur Berücksichtigung der bisher gewonnenen Erfahrungen - der doppelten Gefahr begegnen, daß:

- in der intensiv betriebenen Landwirtschaft die mangelnde Korrektur einer ökologisch verzerrten Nutzung der natürlichen Ressourcen mit größter Wahrscheinlichkeit zu einer Verschlechterung der Lage führt, die nur unter hohem Kostenaufwand behoben werden kann;

- Art und Umfang der Anreize zugunsten der nebenerwerblichen Landwirtschaft es nicht vermögen, der Aufgabe der landwirtschaftlichen Tätigkeit tatsächlich Einhalt zu gebieten.

4.5.2. Auf diese Weise sorgt der neue, inzwischen angenommene und in Rechtsvorschriften umgesetzte Entwurf der Agenda 2000, indem er dem Landwirt eine entscheidende Rolle im Umweltschutz und bei der Bewirtschaftung der ländlichen Gebiete zuweist, für ein schlüssigeres Modell der gemeinschaftlichen Direkthilfen sowie für eine Modernisierung der landwirtschaftlichen Betriebe und eine Verbesserung ihrer Ertragsfähigkeit.

4.6. Ein zentrales Problem bleibt schließlich weiterhin die Bewertung der externen Einfluesse und die Notwendigkeit von Maßnahmen, mit denen die negativen Auswirkungen unterbunden und die positiven gefördert werden können.

4.6.1. Mit einem integrierten Entwicklungsmodell für die ländlichen Gebiete kann auch eine Integration auf der Einkommens- und Beschäftigungsebene erreicht werden, was eine flexiblere und sektorenspezifische Beschäftigungspolitik erforderlich macht.

4.7. Zu denken wäre nach Ansicht des Ausschusses an folgende Maßnahmen:

a) Gewährung von Prämien für Maßnahmen in folgenden Bereichen:

- Schutz und Förderung der bedrohten wildlebenden Tierarten;

- Umwidmung zum Zwecke der Landschaftspflege und des Umweltschutzes sowie erleichterter Zugang für Besucher;

- Aufforstung oder Landschaftspflege zum Zwecke der Brandverhütung;

- Anpassung der Tierzucht mit dem Ziel, Umweltauswirkungen zu reduzieren und eine artgerechte Tierhaltung zu ermöglichen.

Diese Prämien sind nach objektiven Kriterien und auf der Grundlage meßbarer Ergebnisse zu vergeben.

b) Vereinbarungen mit Landwirten für die Erbringung von Dienstleistungen in folgenden Bereichen:

- Sanierung der Umwelt;

- Schutz der Artenvielfalt;

- Erhaltung und Bewirtschaftung des Bodens;

- Maßnahmen zur Wasserregulierung und Kontrolle des Wasserabflusses;

c) Förderung des Landschafts- und Umweltschutzes;

d) Gewährung von Beihilfen für die Niederlassung der Landwirte im ländlichen Raum sowie in den Berggebieten und sonstigen von der Natur benachteiligten Regionen.

4.8. Die Unterstützung der vertraglichen Vereinbarungen gilt insbesondere für den Schutz der Gebiete von hohem biologischen Wert, da die Nutzung der Parks und Naturschutzgebiete weitestgehend von agrarpolitischen Überlegungen bestimmt wird, die die Entwicklung der gebietsspezifischen Merkmale vorgeben.

4.8.1. Die Aufwertung einer multifunktionalen Landwirtschaft erfordert im wesentlichen einen wirtschaftspolitischen Kurs, der zumindest auf folgenden Kernpunkten basiert:

a) Wahrung der sozialen Struktur und der Lebensqualität der Landbevölkerung;

b) differenzierte Nutzung je nach den tatsächlichen Möglichkeiten der Gebiete;

c) Anstrebung eines neuen Gleichgewichts zwischen öffentlichen und privaten Interessen bei der Nutzung der natürlichen Ressourcen;

d) Bewertung der Externalität in den Unternehmensbilanzen.

5. Ein Vertrag zwischen der Landwirtschaft und den staatlichen Behörden zum Schutz der Umwelt

5.1. Nach Ansicht des Ausschusses muß das neue Berufsbild des landwirtschaftlichen Unternehmers einhergehen mit der Aufwertung der Landschaftspflege und der Förderung einer qualifizierteren berufsmäßigen Verantwortung im Rahmen einer gezielten Nutzung der Umwelt.

5.1.1. In diesem Sinne plädiert der Ausschuß dafür, daß die öffentlichen Verwaltungen entsprechende freiwillige Vereinbarungen mit den einzelnen landwirtschaftlichen Unternehmern oder Unternehmensvereinigungen aushandeln können, damit sie Bewirtschaftungstätigkeiten in der Land- und Forstwirtschaft und im ländlichen Raum ausüben können. Dies muß für Arbeiten und Dienstleistungen gelten, die im Zusammenhang mit der Raumplanung und der Wasserregulierung des Gebiets sowie dem Schutz und der Verbesserung der Umwelt und der Landschaft stehen.

5.1.2. Diese freiwilligen Vereinbarungen müssen Vorgaben zu den jeweiligen Zielen und Arten der Dienstleistungen für die planmäßige Erhaltung und Bewirtschaftung des Raums, die Laufzeit des Abkommens sowie Angaben zu den von staatlicher Seite gewährten Vergütungen enthalten. Zur Vereinfachung und Beschleunigung der Zuweisungsverfahren können die Behörden ferner in den Fällen, in denen der Wert der anstehenden Arbeit nur gering ist und die entsprechenden Verpflichtungen eine bestimmte Schwelle nicht überschreiten, Formen einer direkten Zuweisung für die Erbringung der einschlägigen Dienstleistungen vorsehen.

5.1.3. Ein besonderes Anliegen ist dem Ausschuß noch, daß das Berufsbild des Landwirts aufgewertet wird und umfassendere Fachkenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden. Die sich rasch wandelnden Markttendenzen und technischen Möglichkeiten sowie die Entwicklung neuer Produktionsmerkmale setzen eine gleichbleibende, verläßliche Entschlossenheit voraus, besondere Weiterbildungs- und Forschungsanstrengungen für die Landwirtschaft und die Beratung der Landwirte zu fördern. Nur so können diese auf die Leitung von Betrieben vorbereitet werden, die in die ökologische Umstellung und die Suche nach umweltwirksamen, mithin das Überleben des ländlichen Raumes sichernde Lösungen investieren.

6. Schlußfolgerungen

6.1. Der Ausschuß würde gerne eine wichtige Rolle übernehmen, wenn es darum geht, die Ergebnisse, zu denen die GAP-Reform in Sachen Aufwertung und Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und Produktionszweige führen kann, auf ihre Nachhaltigkeit hin zu überprüfen. Auf jeden Fall muß der Sektor künftig ganz pragmatisch auf die Regulierung der marktpolitischen Wandlungsprozesse ausgerichtet werden in dem Bestreben, ein integriertes und nachhaltiges europäisches Agrarmodell zu verwirklichen. Demzufolge hält es der Ausschuß für wünschenswert, wenn die Umsetzung der neuen Entwicklungsmaßnahmen für die ländlichen Gebiete unterstützt wird und angesichts der Beschäftigungsprobleme und der wachsenden Gebietszerstörung neue Kriterien für die Vergabe der öffentlichen Mittel festgelegt werden. Zweckdienlich wäre in diesem Zusammenhang eine Infrastrukturpolitik zur Unterstützung des ländlichen Raums und der Agrarbetriebe, die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit lokaler Erzeugnisse durch Aufwertung ihrer Qualität und Besonderheit sowie die Verbesserung des Einkommensniveaus durch Diversifizierung des betrieblichen Tätigkeitsfeldes. Dies alles kann unter der angestrebten Multifunktionalität verstanden werden.

6.2. Der Ausschuß betrachtet diese Stellungnahme als Orientierungshilfe, deren Aussagen anhand der Programme zu überprüfen sind, welche die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der neuen Verordnung (EG) Nr. 1297/1999 vorlegen werden, um die Entwicklung des ländlichen Raumes zu fördern. Wichtige Gesichtspunkte für die Bewertung erhofft man sich außerdem von den agrar- und umweltpolitischen Indikatoren, deren Erarbeitung die Räte von Cardiff und Wien verlangt haben, um den Umweltschutz in alle gemeinschaftspolitischen Strategien einzubauen. Einen ersten nützlichen Schritt auf diesem Wege stellt die von Eurostat und der Kommission - der GD für Landwirtschaft und Umwelt - gemeinsam verfaßte Studie "Landwirtschaft und Umwelt" dar. Der Ausschuß wünscht sich, daß bereits bei dem Gipfeltreffen von Helsinki Ende des Jahres greifbare Ergebnisse vorliegen.

Brüssel, den 20. Oktober 1999.

Die Präsidentin

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Beatrice RANGONI MACHIAVELLI

(1) Europäischer Rat von Berlin vom 24. und 25. März 1999, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, DN: DOC/99/1 vom 26. März 1999.

(2) Jetzt: Verordnung (EG) Nr. 1257/1999, ABl. L 160 vom 26.6.1999.

(3) ABl. C 407 vom 28.12.1998. Stellungnahme zum Thema "Direkte Unterstützungssysteme/Agenda 2000".

(4) KOM(1999) 22 endg.

(5) ABl. C 393 vom 31.12.1994, S. 86.

(6) Das "Dokument von Granada" ist die Abschlußerklärung der am 27. und 28. November 1992 in Granada veranstalteten "VI. Giornate camerti di diritto agrario comunitario", die von mehreren Spezialisten für Agrar- und Gemeinschaftsrecht aufgesetzt wurde und sich an die europäischen Wissenschaftler und die Gemeinschaftsinstitutionen richtet. Der Wortlaut dieses Dokuments ist der Stellungnahme "Vertrag zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft" als Anlage beigefügt.

(7) KOM(88) 501 endg. vom 28.7.1988 und KOM(88) 338 endg. vom 8.6.1988. Stellungnahmen: ABl. C 298 vom 27.11.1989, S. 32 und 40 (Zukunft des ländlichen Raums) (Umwelt und Landwirtschaft).

(8) Europäischer Rat von Luxemburg - 12. und 13. Dezember 1997 - Schlußfolgerungen des Ratsvorsitzes DN:PRES 97/400 vom 15. Dezember 1997 - Punkt 40.

(9) Für eine ausführlichere Definition des Konzepts der Multifunktionalität siehe die Stellungnahme zum Thema "Eine Politik zur Konsolidierung des europäischen Agrarmodells".

(10) KOM(97) 2000 endg. vom 15.7.1997.

(11) ABl. C 73 vom 9.3.1998, S. 71. Stellungnahme zum Thema "Die landwirtschaftlichen Aspekte der Mitteilung der Kommission 'Agenda 2000'"; ABl. C 284 vom 14.9.1998, S. 55. Stellungnahme zur "Reform GMO Getreide/Agenda 2000"; ABl. C 407 vom 28.12.1998, S. 196. Stellungnahme zur "Reform GMO Rindfleisch/Agenda 2000"; Ibidem, S. 203. Stellungnahme zur "Reform GMO Milch/Agenda 2000"; Ibidem, S. 208. Stellungnahme zum Thema "Direkte Unterstützungssysteme/Agenda 2000"; Ibidem, S. 210. Stellungnahme zur "Reform EAGFL/Agenda 2000"; Ibidem, S. 221. Stellungnahme zur "Finanzierung der GAP/Agenda 2000".

(12) EG: Geschützte Ursprungsbezeichnung; g.g.A: geschützte geographische Angabe.