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Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Umsetzung der Erklärung von Helsinki - Schaffung von konkreten Mechanismen für die Konsultation der wirtschaftlichen und sozialen Gruppen in der Gestaltung der gesamteuropäischen Verkehrspolitik"

Amtsblatt Nr. C 407 vom 28/12/1998 S. 0100


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Umsetzung der Erklärung von Helsinki - Schaffung von konkreten Mechanismen für die Konsultation der wirtschaftlichen und sozialen Gruppen in der Gestaltung der gesamteuropäischen Verkehrspolitik" (98/C 407/17)

Der Wirtschafts- und Sozialausschuß beschloß am 11. Dezember 1997 gemäß Artikel 23 Absatz 3 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu dem vorgenannten Thema zu erarbeiten.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr und Kommunikationsmittel nahm ihre Stellungnahme am 15. Juli 1998 an. Berichterstatter war Herr Eulen.

Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 357. Plenartagung am 9. und 10. September 1998 (Sitzung vom 10. September) mit 42 gegen 2 Stimmen folgende Stellungnahme.

1. Zielsetzung

1.1. Der Ausschuß hat sich in seiner Initiativstellungnahme () im Vorfeld der gesamteuropäischen Verkehrskonferenz in Helsinki (Juni 1997) ausführlich mit der Bedeutung des sozialen Dialogs im Rahmen der gesamteuropäischen verkehrspolitischen Zusammenarbeit befaßt. Die Möglichkeiten zur Schaffung von Konsultativmechanismen wurde in einem ersten groben Raster beschrieben.

1.2. Auf Drängen des Ausschusses und insbesondere seiner Mitglieder, die die Konferenz aktiv vorbereitet haben, wurde die Konsultation der wirtschaftlichen und sozialen Gruppen als einer von zehn Grundsätzen der künftigen gesamteuropäischen Verkehrspolitik in die Erklärung von Helsinki aufgenommen und kann jetzt gezielt umgesetzt werden.

1.3. Seine Stellungnahme zur Mitteilung der Kommission "Anbindung des Verkehrsinfrastrukturnetzes der EU an die Nachbarstaaten - Entwicklung einer kooperativen gesamteuropäischen Verkehrsnetzpolitik" () hat der WSA mit Verkehrskommissar Kinnock in seiner Plenarsitzung beraten und am 26. Februar 1998 einstimmig beschlossen. In dieser Stellungnahme schlußfolgert der WSA, daß in einer kooperativen gesamteuropäischen Verkehrsnetzpolitik ein strukturierter Dialog, angebunden an die Arbeit der Lenkungsausschüsse in den Korridoren, sachgerecht in ergänzenden beratenden Gremien erfolgen sollte, um auf diese Weise den Diskurs weiter zu vertiefen und von der Regierungsebene her für die sozioökonomischen Gruppen zu öffnen.

1.4. Die nun vorliegende Stellungnahme legt den Schwerpunkt auf konkrete Vorschläge, wie mit der Realisierung von Konsultationen begonnen werden kann und welche flexiblen Strukturen die Kontinuität und Vernetzung dieses Prozesses gewährleisten könnten. Die Überlegungen der Studiengruppe wurden über eine Reihe von Informationsgesprächen und eine schriftliche Befragung von Vertretern aus Mittel- und Osteuropa (MOE) zur Diskussion gestellt. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind fortlaufend in die Stellungnahme eingeflossen.

Im Ergebnis fanden die vorgeschlagenen Umsetzungsschritte ungeteilte Zustimmung. In den Antworten auf die schriftliche Befragung wird ein klares Votum für den Einsatz von Koordinatoren für die Beteiligung der sozioökonomischen Gruppen in Korridoren und Verkehrsgebieten ausgesprochen. Darüber hinaus wurden Bedenken geäußert, daß die gesamteuropäische Perspektive der Korridore durch das verkehrspolitische Engagement der EU im Erweiterungsprozeß zu sehr in den Hintergrund gedrängt werden könnte. In zahlreichen Ländern wurde der Wunsch nach einem strukturierten Dialog auf nationaler Ebene geäußert, um besser auf den grenzüberschreitenden Dialog entlang der Korridore vorbereitet zu sein.

2. Bestandsaufnahme der bisherigen Entwicklung und Prioritätensetzung

2.1. Der Ausschuß forderte in seiner Initiativstellungnahme vor der Helsinki-Konferenz "die Einführung von flexiblen Mechanismen einer verbindlichen Konsultation von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden, Umweltschutz- sowie Verbraucherorganisationen und Gewerkschaften bei verkehrspolitischen Entscheidungen im Rahmen des strukturierten Dialogs der Abkommen, bei der Realisierung von transnationalen Verkehrsprojekten, sowie bei der Gestaltung einer integrierten gesamteuropäischen Verkehrspolitik" ().

2.2. Schon die Kreta-Erklärung sah "nötigenfalls Schritte" vor, die zu beratenden Gremien führen können. Der Ausschuß mußte jedoch kritisch feststellen, daß in der Praxis nahezu keine Aktivitäten in dieser Richtung zu verzeichnen waren. Der Ausschuß führte dies auf zwei Hauptgründe zurück: die fehlenden Strukturen in MOE, die es schwer machten auf multilateraler Ebene Ansprechpartner zu finden und die mangelnde Bereitschaft zur Einbeziehung wirtschaftlicher und sozialer Gruppen auf seiten gewisser politischer Entscheidungsträger.

2.3. Mit der Aufnahme der Konsultation als einer der 10 Grundprinzipien der gemeinsamen Verkehrspolitik in die Helsinki-Erklärung hat sich formal die Verbindlichkeit des Anliegens deutlich erhöht. In der Zwischenzeit haben sich auch die Verbandsstrukturen weiterentwickelt. Allerdings ist bei der Gruppe der besonderen Interessen ein Defizit festzustellen. Bei der Gruppe der Arbeitgeber fehlen teilweise noch die Strukturen auf nationaler Ebene. Die Tatsache, daß bei vielen Verkehrsträgern der Staat Eigentümer bzw. Arbeitgeber ist, spielt dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Damit allein verändert sich noch nicht die Praxis, aber die Chancen, den strukturierten Dialog analog zur Praxis in der EU in Gang zu setzen, sind durchaus vielversprechend.

2.4. Aus der Fülle möglicher Ansätze für Konsultationen ist eine sinnvolle Schwerpunktsetzung zu treffen. Es gibt zwei Aktionsfelder, in denen die gesamteuropäischen Verkehrskonferenzen und die jeweiligen Erklärungen eine große Rolle spielten und wichtige Fortschritte gebracht haben: die Regionalkonferenzen und die sich entwickelnde Zusammenarbeit in den gesamteuropäischen Verkehrskorridoren. Die Schaffung von Konsultationsstrukturen sollte hier ansetzen.

2.5. Darüber hinaus spielten die Kooperations- und Europa- bzw. Assoziierungsabkommen eine bedeutende Rolle in der Entwicklung des Grundgedankens der Konsultativmechanismen. Hier hat sich ein komplexes und auf sehr unterschiedlichem Niveau funktionierendes politisches Beziehungsgeflecht entwickelt. Der Ausschuß bekräftigt seine Auffassung, daß eine Konsultation der sozioökonomischen Gruppen zu verkehrspolitischen Themen, wo dies angebracht erscheint, auch erfolgen sollte.

3. Gesamteuropäische Verkehrskorridore und regionale Kooperation als Basis für Konsultativmechanismen

3.1. Als Anhang zur Erklärung von Helsinki sind 10 prioritäre Verkehrskorridore definiert. Die meisten bestehen aus weitgehend parallel verlaufenden Schienen- und Straßenverbindungen, mit Ausnahme von Korridor VII, der Donauverbindung. Die Korridore I, IV, VIII und IX schließen insbesondere auch Häfen und Kombiverkehre mit ein.

3.2. Art und Grad der Zusammenarbeit sind unterschiedlich weit entwickelt. Die Basis bildet meist ein Memorandum of Understandig MoU). Auf dieser Basis sind Lenkungsausschüsse gebildet worden, die die praktische Koordinierung sicher stellen sollen. Den Lenkungsausschüssen sind, je nach örtlichen Gegebenheiten, verschiedene Arbeitsgruppen zugeordnet.

3.3. Jetzt gilt es, die Arbeitsstrukturen, die sich hier herausgebildet haben, als Basis für die Verankerung von Konsultationsmechanismen zu nutzen. Da es sinnvoll ist, die Schaffung von Konsultativmechanismen so konkret wie möglich an der Praxis zu orientieren, sollte an dieser Stelle kein Modell entworfen werden, das allen Korridoren gerecht werden muß. Um dies exemplarisch zu entwickeln, hat die Studiengruppe eine Reihe von Korridoren ausgewählt, die für den derzeitigen Planungsstand repräsentativ erscheinen. Die Auswahl hat nichts mit einer Prioritätensetzung zu tun, sondern geschieht aus rein praktischen Gründen. Ein exemplarisches Vorgehen ermöglicht es, die Überlegungen zur Konsultation näher an der Praxis zu orientieren. Ausgewählt werden die Korridore II, IV, VII und X.

3.4. Neben der Zusammenarbeit entlang der Korridore ist die regionale Kooperation eine weitere Basis für die Entwicklung von Konsultationsmechanismen.

3.5. Seit der ersten gesamteuropäischen Verkehrskonferenz 1991 haben sich verschiedene regionale Ansätze herauskristallisiert. Zu nennen sind hier die Regionen Ostsee, Barentsee, Mitteleuropa, Südosteuropa/Schwarzmeer, und Mittelmeerraum.

3.6. Die Kommission hat darüber hinaus in ihrer Mitteilung zu einer gesamteuropäischen Verkehrsnetzpolitik () weitere Verkehrsgebiete definiert, die sich zum Teil mit den schon bestehenden Strukturen decken: Barentsee/Euro-Arctic, Schwarzmeerbecken, Mittelmeer und Adria-Ionisches Meer.

3.7. Der Ausschuß hat wiederholt gefordert, daß die wirtschaftlichen und sozialen Gruppen in die Vorbereitungs- und Regionalkonferenzen stärker einbezogen werden. Die regionale Kooperation bietet eine dauerhafte Basis für vernetzte grenzüberschreitende Formen des strukturierten Dialogs. Dabei geht es weniger um die regelmäßigen Zusammentreffen anläßlich der Regionalkonferenzen selbst, sondern um eine Beteiligung an der kontinuierlichen verkehrspolitischen Abstimmung in der jeweiligen Region.

3.8. Am weitesten fortgeschritten ist die Kooperation der Ostseeanrainerstaaten, die auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Aber auch hier ist festzustellen, daß die Kooperation der wirtschaftlichen und sozialen Gruppen sich bei weitem nicht automatisch oder in gleichem Maße entwickelt, wie die der staatlichen und regionalen Körperschaften. Der Ostseeraum bietet sich als Beispiel für die regionale Zusammenarbeit an. Auch hier hat die Auswahl nichts mit einer Prioritätensetzung gegenüber anderen Verkehrsregionen zu tun.

4. Kurzbeschreibung ausgewählter Korridore und Gebiete und ihrer Kooperationsstrukturen

4.1. In Kapitel 3 wurden exemplarisch die Korridore II, IV, VII und X und die Region Ostsee ausgewählt. Im folgenden sollen diese Beispiele auf Basis der dem WSA z.Z. vorliegenden Informationen kurz charakterisiert werden.

4.2. Korridor II

4.2.1. Korridor II verläuft von Berlin über Warschau und Minsk nach Moskau und weiter bis Nizny Novgorod. Die Bahn- und Straßenverbindungen verlaufen weitgehend parallel mit Verbindungen zum Kombinierten Verkehr. Die Weiterführung darüber hinaus ist noch nicht endgültig entschieden. Möglich sind der Aufbau eines intermodalen Terminals und Verbindungen zur Wolga, zum Schwarzen Meer sowie zur Transsibirischen Eisenbahn. Die politische Unterstützung für diesen Korridor hat seine Entwicklung stark gefördert, und Korridor II hat heute quasi Modellcharakter für die anderen. 1995 haben die Verkehrsminister der beteiligten Staaten und die Kommission ein Memorandum of Understanding (MoU) unterschrieben. Es gibt einen übergreifenden Lenkungsausschuß, dessen Leitung in Händen der Kommission, DG VII, liegt.

4.2.2. Die Koordinierung in bezug auf die Bahnstrecke gewährleistet die UIC. Dazu wurde eine eigene Lenkungsgruppe Bahnen eingerichtet und gleichfalls 1995 ein MoU von den Bahngesellschaften unterzeichnet, das die Kooperation in den Fragen der Infrastrukturentwicklung, der Interoperabilität und Vermarktung sowie weitere Untersuchungen festlegt und auf fünf Jahre mit automatischer Verlängerung abgeschlossen wurde. Vorsitzender der Lenkungsgruppe bzw. Koordinator ist ein Vertreter der DB AG (Deutschland). Im Laufe ihrer bisherigen Arbeit hat die Lenkungsgruppe Bahnen vier Arbeitsgruppen eingerichtet, die sich mit den Themen Infrastruktur, Marketing, organisatorischen und finanzwirtschaftlichen Fragen und Lösungsmöglichkeiten für den automatischen Spurwechsel befaßt haben. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen wurden der Lenkungsgruppe zur Begutachtung für ihre weiteren Entscheidungen vorgelegt.

Mit Hilfe der DG XXI ist eine übergreifende Arbeitsgruppe zur Grenzübergangsproblematik eingerichtet worden.

4.2.3. Als Themen und ersten Ansatzpunkte für Konsultationen mit den sozioökonomischen Gruppen haben sich auf Grundlage der geführten Gespräche folgende Möglichkeiten dargestellt: Auswirkungen und soziale Konsequenzen aufgrund technischer Veränderungen im Hinblick auf den Wechsel von der europäischen Normalspur zu Breitspur, effiziente Grenzabfertigung und Schaffung eines einheitlichen Transportrechtssystems. Eisenbahnverwaltungen und Eisenbahngewerkschaften in den Ländern der GUS sehen prioritären Regelungsbedarf bei der Grenzabfertigung und der Vereinheitlichung des Transportrechtssystems. Den Vorstellungen westlicher Eisenbahnunternehmen zur Spurwechselproblematik stehen sie skeptisch gegenüber.

4.2.4. Die Ausweitung von Korridor II über Nischni-Nowgorod hinaus bis Fernost auf Schiene und Straße ist ein großes Anliegen der Verkehrsverbände und Gewerkschaften in den Ländern der GUS. Dabei wollen sie die freien Kapazitäten bei der transsibirischen Eisenbahn berücksichtigt sehen.

4.3. Korridor IV

4.3.1. Korridor IV beginnt in zwei Zweigen in Berlin und Nürnberg bis Prag, und teilt sich im rumänischen Arad in eine Verbindung nach Süden bis Thessaloniki und Istanbul und eine Verbindung nach Constanza zum Schwarzen Meer. Neben Straße und Schiene werden auch Verbindungen zum Donauverkehr, der kombinierte Verkehr und die Hafenanbindungen ausgebaut. Es gibt kein von allen beteiligten Staaten unterschriebenes MoU, sondern bisher nur ein von Polen, Ungarn und der Slowakischen Republik unterzeichnetes Kooperationsabkommen. Übergreifend koordiniert das deutsche Verkehrsministerium die Arbeiten in diesem Korridor. Ein übergreifender Lenkungsausschuß tagte zuletzt im Mai 1998. Mit einem weiteren Treffen ist noch in diesem Jahr zu rechnen.

4.3.2. Die Bahnverbindung koordiniert die UIC über den gleichen Koordinator wie Korridor II. Die beteiligten Eisenbahngesellschaften haben ein MoU zur Weiterentwicklung des Eisenbahnverkehrs beschlossen. Es existiert ein Lenkungsausschuß für die Bahnkooperation, der sich das nächste Mal im Herbst 1998 treffen wird. Es bietet sich an, damit ein Arbeitstreffen der sozioökonomischen Gruppen zu verbinden. Dieser Vorschlag fand Unterstützung in den Gesprächen vor Ort, unter anderem auch beim Verkehrsminister Rumäniens.

4.3.3. Eine Koordination der Straßen-, Hafen- und Binnenschiffahrtsverbindungen erfolgt augenscheinlich nur auf Ministerebene. Mit der Bahn-Kooperation vergleichbare Arbeitsstrukturen existieren noch nicht. Aus der Sicht multimodaler Schnittpunkte, wie beispielsweise dem alle Güterarten umschlagenden Hafen Constanza, kommt kooperativen, verkehrsübergreifenden Strukturen eine besondere Bedeutung zu.

4.4. Korridor VII

4.4.1. Korridor VII bezeichnet die Donauverbindung von Deutschland bis zum Schwarzen Meer. Es existiert ein Lenkungsausschuß, der sich vor allem mit der Schiffbarkeit der Donau befaßt, aber kein MoU. Als einziger Koordinator tritt die Kommission in Erscheinung. Die Kooperation entlang der Donau schließt den Ausbau von intermodalen Terminals und Hafenverbindungen ein, wozu Machbarkeitsstudien durchgeführt wurden. Die nächsten Schritte sollen vom rumänischen Verkehrsministerium eingeleitet werden.

4.4.2. Die Donaukonvention von 1948 ist für diesen Korridor nach wie vor die Grundlage. Die politischen Veränderungen machen die Zusammenarbeit auf dieser Grundlage heute zum Problem. Politische Zuständigkeiten und die Zusammensetzung der Donaukommission müssen neu geregelt werden. Ein weiteres praktisches Problem ist die Schiffbarkeit der unteren Donau nur bei Tage. Im Rahmen der Gespräche vor Ort wurde ein Arbeitstreffen der sozioökonomischen Gruppen aus der Binnenschiffahrt entlang der Donau befürwortet diskutiert.

4.5. Korridor X

4.5.1. Korridor X ist der jüngste Korridor, der Zentraleuropa mit dem Balkan verbindet. Er beginnt mit zwei Ästen in München und Nürnberg, trifft in Slovenien zusammen und verläuft weiter über Zagreb, Belgrad, Skopje nach Thessaloniki. Weitere zusätzliche Verbindungen integrieren Anschlüsse nach Ploce, Budapest und Sofia. Dieser Korridor hat aufgrund der zurückliegenden Auseinandersetzungen und den nach wie vor vorhandenen Spannungen in der Region zugleich einen hochpolitischen Charakter.

4.5.2. Eine besondere Dynamik entwickelt sich in der Eisenbahnkooperation. Wie auch in den anderen Korridoren hat ein Vertreter der Bahnen, in diesem Fall der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) die Initiative übernommen und wirkt als Koordinator für die Bahnverbindungen. Bis Ende 1998 soll ein MoU zum optimalen Ausbau des Schienenverkehrs abgeschlossen werden. Die Arbeit konzentriert sich nicht allein auf eine Verbesserung der Verkehrsleistung in diesem Korridor, sondern umschließt auch umweltpolitische Belange sowie die systematische intermodale Anbindung an alle wichtige Verkehrsknotenpunkte entlang des Korridors.

4.5.3. Im Rahmen der verkehrsträgerübergreifenden Koordinierung soll Griechenland die nächsten Schritte einleiten. In einem länderübergreifenden Arbeitstreffen mit dem WSA forderten Vertreter der sozioökonomischen Gruppen aus Slowenien, Ungarn, Kroatien und Bosnien-Herzegowina übereinstimmend eine breitangelegte Korridor X-Konferenz. Dabei wurde Gesprächsbereitschaft ausdrücklich auch mit Verbänden aus Serbien und FYROM bekräftigt.

4.6. Ostsee-Region

4.6.1. Die Kooperation im Ostseeraum kann auf eine lange Tradition aufbauen, die durch die Öffnung Osteuropas neuen Auftrieb erhalten hat. Die verkehrspolitische Zusammenarbeit spielt in der Ostseekooperation eine wichtige Rolle. So nahm der Ostseerat im Juli 1996 Aktionsprogramme für die Zusammenarbeit der Ostseestaaten an, die wichtige verkehrsbezogene Maßnahmen beinhalten. Darüber hinaus treffen die Verkehrsminister regelmäßig zu Ostseekonferenzen zusammen. Die Konferenz im April 1997 war zugleich Vorbereitungskonferenz für die dritte gesamteuropäische Verkehrskonferenz in Helsinki. Ein weiteres Treffen fand in diesem Jahr unter dem Vorsitz Dänemarks statt. Für die verkehrspolitische Zusammenarbeit ist federführend Schweden zuständig.

4.6.2. Die Ostseeregion ist vor allem von Korridor I betroffen, der eine Schienen- und Straßenverbindung durch die baltischen Republiken vorsieht mit Verbindungen nach Helsinki und in Richtung Süden und Osten zu den Korridoren IX, II und VI. Die Auslastung der Korridorverbindungen bleiben weit hinter den Erwartungen zurück, insbesondere die der Schienenverbindung. Zwischen den baltischen Staaten sind mittlerweile Grenzformalitäten abgeschafft. Die Hafenverbindungen spielen im Rahmen dieses Korridors eine wesentlich größere Rolle. Auch hier koordiniert die Kommission die übergreifenden Arbeiten, die UIC die Schienenverbindung. Im Gegensatz zu allen anderen Korridoren gibt es auch einen Koordinator für die Straßenverbindung. Ein MoU wurde unterzeichnet.

4.6.3. So aktiv und erfolgreich die verkehrspolitische Zusammenarbeit im Ostseeraum auch ist, ein strukturierter Dialog der sozioökonomischen Gruppen ist davon bisher noch nicht ausgegangen oder wesentlich gefördert worden. Seit einiger Zeit gibt es Bestrebungen der Gewerkschaftsverbände zum Aufbau einer Kooperationsplattform in der Region. In diesem Rahmen hat sich eine Initiative für ein Aktionsfeld "Verkehr und maritime Wirtschaft im Ostseeraum" entwickelt, die mittlerweile auch von den norddeutschen Bundesländern zusammen mit den Sozialpartnern unterstützt wird. Sie soll in ein grenzüberschreitendes Regionalprojekt münden. Von seiten der Beteiligten besteht Interesse, dies mit den gebiets- und korridorbezogenen verkehrspolitischen Aktivitäten zu verknüpfen.

5. Konkrete Ansatzpunkte und Umsetzungsschritte für korridor- und gebietsbezogene Konsultationen der sozioökonomischen Gruppen und nachbarschaftliche Zusammenarbeit im Verkehr

5.1. Die bestehenden Arbeitsstrukturen legen grundsätzlich zwei Ansatzpunkte nahe. Zum einen gibt es die Möglichkeit planungsrelevanter Konsultationen zu Verkehrswegeverlauf, Zufahrtverbindungen und Verkehrsknotenpunkten unter Berücksichtigung der Anbindung von Wirtschafts- und Industrieregionen an die Korridore. Zum anderen gibt es die Möglichkeit themen- oder projektbezogener Konsultationen zur Weiterentwicklung des organisatorischen und betrieblichen Ablaufs, der Service- und Dienstleistungsqualität sowie bei Fragen der technischen Harmonisierung und Abstimmung von Gesetzen und Regelwerken.

5.2. Obwohl der Verlauf der Korridore weitgehend festgelegt ist, stehen Einzelentscheidungen zum weiteren Verlauf an den Endpunkten (zum Beispiel Korridor II) sowie die zum Korridor hinführenden sogenannten "Feeder-Linien" noch aus. Planungsrelevante Konsultationen könnten zumindest einmal umfassend geschehen und von den jeweiligen offiziellen zuständigen Koordinatoren oder Lenkungsausschüssen einberufen werden. Sie können dann den weiteren Werdegang in geeigneten Abständen begleiten, insbesondere wenn es um Trassenänderungen, intermodale Knotenpunkte und weitere Verzweigungen der Verkehrswege geht. Soweit es um die Umweltverträglichkeit der Infrastrukturprojekte geht, ist eine Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit schon in EU-Recht geregelt ().

5.3. Konsultationen, die im Rahmen der Herstellung eines reibungslosen und optimalen Verkehrsablauf stattfinden, sollten von den zuständigen Koordinatoren oder jeweiligen Lenkungsausschüssen der Korridore initiiert werden. Konkrete Themen und Ansatzpunkte ergeben sich aus der bestehenden Arbeit. Ziel sollte sein, grundsätzlich für Transparenz und Unterstützung der Arbeit zu sorgen oder aber auch ein konkretes Problem, das sich neu stellen wird, gemeinsam anzugehen, wie beispielsweise bei der Einführung einer neuen Technologie. Beispiele für Themen, die auch in besonderen Arbeitsgruppen weiterentwickelt werden können, sind Einhaltung und/oder Abstimmung von Sicherheitsbestimmungen, Kontrolldichte in Bezug auf Sozialvorschriften, Koordinierung von Dienstplänen, technische Normung, Zuliefer-Verbindungen, Anbindung zum Netz des öffentlichen Verkehrs in Ballungsräumen, die von den Korridoren durchquert werden. Nicht zuletzt gilt es auch, ein gravierendes Gefälle bei den Sozialbedingungen der Transportbeschäftigten von West nach Ost zu überwinden. In den Ländern der GUS unterbleibt vielfach die Lohnzahlung über viele Monate.

5.4. Bei den Verkehrsgebieten, beispielsweise für den in dieser Stellungnahme ausgewählten Ostseeraum, tritt an die Stelle als Ansprechpartner für eine Initiative für Konsultationen das jeweils federführende Verkehrsministerium unter Einbeziehung der Kommission, die für den nächstliegenden Korridor I die Federführung hat.

5.5. Die Frage der Zuständigkeit, Finanzierung und Arbeitsbelastung durch die Organisation solcher konsultativen Treffen ist sicherlich eine ernstzunehmende Hürde. Grundsätzliche Überlegungen, auch zur Rolle des Ausschusses in dieser Hinsicht, finden sich in Kapitel 6 dieser Stellungnahme. Unabhängig von grundsätzlichen Klärungen sollte eine an eine offizielle Lenkungsausschußsitzung oder andere Aktion angegliederte erste Zusammenkunft, bei der alle eingeladenen Vertreter sozioökonomischer Gruppen die entstehenden Kosten selbst tragen, ein erster unverbindlicher Schritt sein. Daneben ist die Einladung einzelner Experten zu Lenkungsausschuß- oder Arbeitsgruppensitzungen auch eine vergleichsweise einfache Art der Umsetzung.

5.6. Obwohl die Arbeitsstrukturen in den Korridoren sich bisher stark verkehrsträgerbezogen entwickelt haben, sollten die Konsultationsmechanismen auch verkehrsträgerübergreifend organisiert werden. Fragen von technisch-organisatorischer Abstimmung, Sicherheitsbestimmungen, qualifikatorischen Voraussetzungen und vieles mehr sind nicht nur innerhalb eines Verkehrsträgers zu finden, sondern müssen vor allem den Übergang zwischen den Verkehrsträgern erleichtern. In Osteuropa ist vor allem die Binnenschiffahrt sowie ihr Auslastungsgrad in die zukünftigen verkehrspolitischen Debatten und Entscheidungen einzubeziehen. Bei den Gesprächen um die Weiterführung der Korridore nach Osten sollten vorhandene Dialogstrukturen in den Ländern der GUS berücksichtigt werden.

5.7. Zur Unterstützung der Verkehrsinfrastrukturplanung der neuen Beitrittsstaaten wurde die Kommissions-Initiative TINA (Transport Infrastructure Needs Assessment) ins Leben gerufen. In drei regionalen Untergruppen (Ostseeraum, Zentraleuropa und südöstliches Europa) haben die Staaten begonnen, ihre Infrastrukturplanungen im Sinne der Weiterführung der Transeuropäischen Netze zu koordinieren.

5.7.1. Zur technischen Unterstützung dieser Arbeit wurde in Wien im Mai 1997 das TINA-Sekretariat eingerichtet. Seine Aufgaben sind neben der technisch-organisatorischen Unterstützung und der Kartographie auch der Aufbau von Expertennetzwerken, technische und sozioökonomische Analysen, das Sammeln von Statistiken sowie die praktische Unterstützung für Arbeitstreffen.

5.7.2. Es ist das ausdrückliche Angebot der Kommission, daß das TINA-Sekretariat auch für die sozioökonomischen Gruppen als Ansprechpartner dienen kann. Seine Aufgabe ist zwar bislang noch zeitlich (November 1999) und regional (PHARE-Länder) begrenzt, eine Ausweitung erscheint aber möglich. In jedem Fall ist es wichtig, die Information über die Arbeit des TINA-Sekretariats bei den Verbänden in MOE zu verstärken. Wenn sich im oben beschriebenen Sinne Konsultationen entwickeln, wäre es denkbar, daß sich ihre Akteure oder Repräsentanten auch an das TINA-Sekretariat wenden könnten.

5.8. Die bestehende Zusammenarbeit in den Korridoren und Gebieten hat sich zunehmend vernetzt, weil alle Akteure ein Interesse haben, die Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu profitieren. Es gibt regelmäßige Zusammenkünfte aller an der Koordination Beteiligter. Zum Teil ergeben sich, wie schon gezeigt wurde, auch personelle Überschneidungen. Wenn Konsultationen mit den sozioökonomischen Gruppen auf dieser Grundlage zustande kommen, dann ist gleichermaßen davon auszugehen, daß es einen Bedarf an Austausch und Verstetigung dieses Prozesses gibt. Dem sollten auch entsprechende Möglichkeiten eingeräumt werden, ob sie nun an die offiziellen Treffen der Korridor-Koordinatoren, an die Arbeit des TINA-Sekretariats, an eine andere Organisation angebunden oder selbständig abgewickelt werden. Letzteres liegt allein im Ermessen der beteiligten Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften oder anderer Gruppen aus MOE.

Ein sehr praktisches Beispiel für ein großes Interesse am übergreifenden Erfahrungsaustausch ist das Informationsbedürfnis der sozioökonomischen Gruppen in Korridor X. Da dieser Korridor erst in Helsinki 1997 geschaffen wurde, ist man sich darüber bewußt, daß ein strukturierter Erfahrungsaustausch helfen kann, Fehler zu vermeiden und die Entwicklung zu beschleunigen.

5.9. Es ist sinnvoll, einen Erfahrungsaustausch, wie er in Korridoren und Verkehrsgebieten stattfindet, auszudehnen auf eine nachbarschaftliche verkehrspolitische Zusammenarbeit in den MOE-Ländern. Die gemeinsame politische Basis der Verständigung ist die Erklärung von Helsinki.

6. Option zur gesamteuropäischen Koordinierung

6.1. Die bisher drei gesamteuropäischen Verkehrskonferenzen haben großen Einfluß gehabt und eine zukunftsweisende Basis für eine gesamteuropäische Verkehrspolitik geschaffen. Weniger stark in die Öffentlichkeit getreten ist der informelle Ausschuß, der als sogenannter Lenkungsausschuß (LA) in den Jahren seit 1991 die Aktivitäten koordinierte und entscheidend zum Erfolg des gesamten Unterfangens beitrug. Der LA funktionierte quer zu den traditionellen politischen Hierarchien und Zuständigkeitsabgrenzungen und brachte die wesentlichen europäischen Institutionen und Repräsentanten von Wirtschafts- und Sozialverbänden an einen Tisch, mit wachsender Beteiligung auch aus MOE.

6.2. Der koordinierende und zugleich informelle und offene Charakter dieser Zusammenarbeit hat in der Vergangenheit Früchte getragen und war insbesondere für den WSA und das Parlament ein neuartige Basis, in der Gestaltung der Verkehrspolitik auf gesamteuropäischer Ebene eigene Impulse zu setzen. Die Arbeit des LA wurde eingestellt.

6.3. Das Monitoring zur Umsetzung der Helsinki-Erklärung soll stärker an politische Institutionen geknüpft sein, die die Zuständigkeit und auch die Kapazitäten haben, dies zu bewerkstelligen. Die Planung einer weiteren - vierten - großen Konferenz wird momentan nicht ins Auge gefaßt. Allerdings erklärte Verkehrskommissar Kinnock auf der Februar-Plenarsitzung des Ausschusses, daß eine weitere Konferenz dann auch stattfinden wird, wenn neu anstehende Themen dies rechtfertigen. Die Umsetzung des bisher erreichten steht sinnvollerweise zuerst auf der Tagesordnung. Der Ausschuß stimmt diesen Überlegungen zu.

6.4. Trotzdem wird eine Lücke entstehen, die durch die bestehenden Strukturen nicht gefuellt werden kann und die für das Anliegen der vorliegenden Stellungnahme ein deutlicher Verlust wäre. Schon jetzt, ein Jahr nach der Helsinki-Konferenz, ist eine stetig abnehmende Transparenz über das, was der Monitoring-Prozeß sicherstellen sollte, aus Sicht des WSA zu verzeichnen. Vereinzelte Erfahrungen belegen, daß in Abschlußerklärungen aktueller Regional- oder Sektoralkonferenzen die Grundsätze der Helsinki-Erklärung mühsam wieder eingebracht werden müssen.

6.5. Aus Sicht des WSA bleibt ein Bedarf an einer Koordinierung auf gesamteuropäischer Ebene bestehen, die eine Transparenz gewährleistet und zur Abstimmung der Einzelaktivitäten beiträgt. Verkehrskommissar Kinnock hat selbst erklärt, daß ein steter Prozeß der Berichterstattung, der Aktualisierung und Erläuterung des Entwicklungsprozesses zur Umsetzung der Erklärung von Helsinki notwendig ist und daß die Gewerkschaften und Arbeitgeber und ihre entsprechenden Organisationen auf zufriedenstellende Weise darin eingebunden werden müssen. In diesem Zusammenhang wies er auf eine geplante Neuausrichtung der G-24-Arbeitsgruppe Verkehr hin, als Basis für die zukünftige praxisgeleitete Diskussion und Koordinierung. Der Ausschuß ist daran interessiert, an einer solchen Koordinierung angemessen beteiligt zu werden.

6.6. Eine Zwischenberatung in der Fachgruppe Verkehr und Kommunikationsmittel im Juni 1998 mit Vertretern von Kommission, EVMK und EP hat ergeben, daß diese Institutionen den in der vorliegenden Stellungnahme des WSA vertretenen Ansatz voll unterstützen. Die Transparenz in der Umsetzung der Erklärung von Helsinki soll wieder verstärkt werden. In diesem Prozeß wird die Rolle des WSA im Hinblick auf die Konsultativmechanismen unter Einbezug aller Gruppen befürwortet. Nähere Verabredungen über eine umfassende Koordinierung im Rahmen des Monitoring sollen im Herbst getroffen werden. In diesem Zusammenhang sollte das Europäische Parlament seine bisherige aktive Rolle bei der Gestaltung der paneuropäischen Verkehrspolitik fortsetzen und die Möglichkeit der Konsultation des WSA nach dem Vertrag von Amsterdam zu einer noch intensiveren Form der Zusammenarbeit nutzen.

6.7. Der Ausschuß hat sich in den vergangenen Jahren intensiv darum bemüht, die Beteiligung und den strukturierten Dialog der sozioökonomischen Gruppen in die gesamteuropäische verkehrspolitische Zusammenarbeit zu integrieren. Auch im Rahmen des nun anstehenden Monitoring-Prozesses ist der Ausschuß entschlossen, sich für die Kontinuität und Weiterentwicklung der bisherigen Aktivitäten einzusetzen. Er ist auch weiterhin bereit, eine aktive Rolle dabei zu spielen.

Brüssel, den 10. September 1998.

Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Tom JENKINS

() "Die gesamteuropäische Verkehrskonferenz und der soziale Dialog - Auf dem Weg von Kreta nach Helsinki" - ABl. C 204 vom 15.7.1996, S. 96.

() ABl. C 129 vom 27.4.1998, S. 75.

() "Die gesamteuropäische Verkehrskonferenz und der soziale Dialog - Auf dem Weg von Kreta nach Helsinki", Ziffer 8.1.

() Anbindung des Verkehrsinfrastrukturnetzes der Europäischen Union an die Nachbarstaaten. Entwicklung einer kooperativen gesamteuropäischen Verkehrsnetzpolitik - KOM(97) 172 vom 23.4.1997.

() Richtlinie des Rates vom 27.6.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten - ABl. L 175 vom 5.7.85, S. 40, insbesondere Artikel 6.