51998AC0460

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Weißbuch zu den Sektoren und Tätigkeitsbereichen, die von der Arbeitszeitrichtlinie ausgeschlossen sind"

Amtsblatt Nr. C 157 vom 25/05/1998 S. 0074


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Weißbuch zu den Sektoren und Tätigkeitsbereichen, die von der Arbeitszeitrichtlinie ausgeschlossen sind" (98/C 157/18)

Die Europäische Kommission beschloß am 17. Juli 1997, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 198 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten Weißbuch zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Sozial- und Familienfragen, Bildungswesen und Kultur nahm ihre Stellungnahme am 12. März 1998 an. Berichterstatter war Herr Konz.

Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 353. Plenartagung am 25. und 26. März 1998 (Sitzung vom 26. März) mit 101 gegen 6 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Im Weißbuch soll aufgezeigt werden, wie im Rahmen der Arbeitszeitgestaltung der Gesundheitsschutz und die Sicherheit der Arbeitnehmer sichergestellt werden können, die z.Z. vom Anwendungsbereich der Richtlinie 93/104/EG des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ausgenommen sind. Im Lichte der sektorenspezifischen Analysen und Bewertungen und als Anwort auf das Ersuchen des Europäischen Parlaments äußert die Kommission die Ansicht, daß es ein Problem zu lösen gilt, d.h., daß es in allen ausgeschlossenen Sektoren und Tätigkeitsbereichen Arbeitnehmer gibt, die nicht gegen lange Arbeitszeiten abgesichert sind bzw. für die keine angemessene Ruhezeit gewährleistet ist. (Außerdem könnten, wenn keine geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt und zwischen konkurrierenden Verkehrssektoren auftreten). Hier bieten sich vier Ansatzmöglichkeiten an:

1) ein unverbindlicher Ansatz,

2) ein rein sektoraler Ansatz,

3) ein differenzierter Ansatz,

4) ein rein horizontaler Ansatz.

Unter Berücksichtigung der im Weißbuch wiedergegebenen Ansichten der Sozialpartner schlägt die Kommission vor, auf der Grundlage von Option 3 (differenzierter Ansatz) vorzugehen. Diese Option ermöglicht eine Unterscheidung zwischen Tätigkeitsbereichen, die von der Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG des Rates erfaßt werden können, und denjenigen, für die spezifische Maßnahmen erforderlich sind.

Dies würde folgendes beinhalten:

- Ausdehnung aller Bestimmungen der o.g. Arbeitszeitrichtlinie auf alle "nicht mobilen" Arbeitnehmer. Entsprechende Anpassungen der Abweichungsmöglichkeiten würden vorgenommen, insbesondere damit die Kontinuität des Dienstes sichergestellt wird und andere betriebliche Anforderungen erfuellt werden können.

- Ausdehnung der Bestimmungen der Arbeitszeitrichtlinie bezüglich folgender Punkte auf alle "mobilen" Beschäftigten und auf die Arbeitnehmer im Bereich "andere Tätigkeiten auf See":

bezahlter Mindestjahresurlaub von vier Wochen;

Untersuchung des Gesundheitszustands von Nachtarbeitern;

Gewährleistung angemessener Ruhezeiten;

Festlegung einer jährlichen Hoechstarbeitszeit.

- Einführung von sektorspezifischen Rechtsvorschriften bezüglich der Arbeitszeit und der Ruhezeiten für "mobile" Arbeitnehmer und für die Arbeitnehmer im Bereich "andere Tätigkeiten auf See".

Was solche sektorspezifischen Maßnahmen betrifft, so hofft die Kommission, daß jeweils eine Einigung zwischen den Sozialpartnern zustande kommen wird.

1.2. Die Richtlinie 93/104/EG zu einigen Aspekten der Arbeitszeitgestaltung wurde vom Rat erst am 23. November 1993 verabschiedet, obwohl der Kommissionsvorschlag () schon vom 20. September 1990 datierte. Diese Einigung im Rat "Soziales" konnte erst nach langem politischem Hin und Her - bis zum bedingten "opting out" Großbritanniens hinsichtlich der Wochenarbeitszeit samt der allgemeinen Ausdehnung der in Artikel 17 enthaltenen, viel zu weit gefaßten Ausnahmebestimmungen auf alle leitenden Angestellten und dem Ausschluß zahlreicher Sektoren und Tätigkeiten vom Anwendungsbereich - erzielt werden.

1.3. Der Europäische Gerichtshof wies die Klage Großbritanniens gegen den Rat schließlich ab und erklärte in seinem Urteil vom 12. November 1996, diese Richtlinie gehe nicht über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer erforderlich sei. Die Richtlinie 93/104/EG ist somit in allen Mitgliedstaaten rechtskräftig, und die Frist für ihre Umsetzung in einzelstaatliches Recht wurde auf den 23. November 1996 festgesetzt.

1.4. Die genannte Richtlinie basiert auf Artikel 118 a EGV, in dem es heißt: "Die Mitgliedstaaten bemühen sich, die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zu fördern, um die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen (...)". Des weiteren wurden darin in den Erwägungsgründen 4 und 5 die Schlüsselparagraphen 7, 8 und 19 der "Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer" () sowie das Prinzip übernommen, wonach "die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit eine Zielsetzung darstellt, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden darf".

1.5. Wenn der Binnenmarkt gut funktionieren soll, sind Mindestnormen für den Gesundheitsschutz und die Sicherheit am Arbeitsplatz unerläßlich.

2. Allgemeine Bemerkungen

2.1. Am 18. Dezember 1990 gab der Wirtschafts- und Sozialausschuß mit großer Mehrheit eine Stellungnahme () zu dem Vorschlag für diese Richtlinie des Rates () ab. Im Gegensatz zu dem heute vorliegenden Weißbuch wurden aber damals keine Sektoren bzw. Tätigkeitsbereiche ausgeschlossen.

Der Ausschuß billigte seinerzeit die Zielsetzungen der Kommissionsvorschläge, wollte sie jedoch verstärken und berief sich daher mehrfach auf die einschlägigen IAO-Normen (Internationale Arbeitsorganisation, Genf). Zu keiner Zeit wurde vorgeschlagen, bestimmte Sektoren oder Tätigkeiten vom Anwendungsbereich auszuschließen, da dieser Richtlinienvorschlag nur eng umgrenzte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung regeln sollte und im Text selbst Möglichkeiten für Ausnahmeregelungen, wenn auch nur unter bestimmten Bedingungen, vorgesehen waren.

Damals vertrat der Ausschuß die Auffassung, daß der Richtlinienvorschlag

- keineswegs die Flexibilität im Bereich der Arbeitszeit und der Betriebszeit der Anlagen beschränke;

- die Gesamtarbeitszeit nicht herabsetze und

- keine Harmonisierung der Schicht- und Nachtarbeit auf Gemeinschaftsebene anstrebe.

2.2. Drei Jahre danach erachtete es der Rat als zweckmäßig, der Kommission und dem Ausschuß nicht zu folgen. Er beschloß aus eigener Initiative, zahlreiche Sektoren und Tätigkeiten vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen, was in der Arbeitswelt auf um so größeres Unverständnis traf, als der Richtlinienvorschlag zahlreiche Bestimmungen für eine flexible Anwendung der darin für spezifische Situationen aufgeführten Grundsätze vorsah. So ist es in vielen Fällen gestattet, von allen wesentlichen Bestimmungen (außer dem Jahresurlaub) abzuweichen, insbesondere "bei Tätigkeiten, die durch eine Entfernung zwischen dem Arbeitsplatz und dem Wohnsitz des Arbeitnehmers oder durch eine Entfernung zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen des Arbeitnehmers gekennzeichnet sind".

2.3. Der Ausschuß hatte zur Kenntnis genommen, daß der Rat den von ihm beschlossenen Ausschluß einiger Sektoren und Tätigkeitsbereiche mit dem besonderen Charakter dieser Bereiche begründete, ohne dadurch die Notwendigkeit eines sozialen Schutzes für die betreffenden Arbeitnehmer in Frage zu stellen. Erwägungsgrund 16 der Richtlinie spiegelt diese Geisteshaltung und den politischen Willen, das Problem auf andere Weise zu lösen, wider:

"In bestimmten Sektoren, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, kann es aufgrund der besonderen Art der Arbeit erforderlich sein, getrennte Maßnahmen hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung zu treffen."

2.4. Der Ausschuß hatte darüber hinaus die Erklärung der Kommission vom Tag der Verabschiedung der Richtlinie zur Kenntnis genommen, in der es heißt, die Kommission behalte sich vor, baldmöglichst spezifische Vorschläge zu den ausgeschlossenen Sektoren und Tätigkeitsbereichen vorzulegen und dabei deren jeweilige Besonderheiten zu berücksichtigen.

2.5. In der Folge hat der Ausschuß die verschiedenen Initiativen der Kommission und des Europäischen Parlaments mit Interesse verfolgt. In seiner Debatte über das Aktionsprogramm der Kommission für 1995-2000 zur gemeinsamen Verkehrspolitik erklärte es das Europäische Parlament beispielsweise als notwendig, daß Legislativvorschläge zur Arbeitszeit im Verkehrswesen vorgelegt werden, insbesondere für die Sektoren, in denen die Sozialpartner nicht zu einer Einigung gelangen.

2.6. Angesichts dessen schließt sich der Ausschuß der Kommission an, die in ihrem Weißbuch folgendes feststellt:

- Kein objektiver Grund rechtfertige den völligen Ausschluß irgendeines Sektors;

- es gebe keinen Grund, die "nicht mobilen" Arbeitnehmer anders zu behandeln als die schon von der Richtlinie erfaßten Arbeitnehmer;

- zur Sicherstellung eines Mindestschutzes der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer sollten die Grundprinzipien der Rahmenrichtlinie auf alle Arbeitnehmer Anwendung finden;

- die Arbeitnehmer müßten auf angemessene Weise vor den schädlichen Auswirkungen unregelmäßiger Arbeitszeiten und der Nachtarbeit geschützt werden;

- Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern wären die beste Lösung.

3. Sektorspezifische Bemerkungen

3.1. Verkehr

3.1.1. Der Ausschuß schließt sich der Haltung der Kommission an, die offen erklärt, daß 1993 zahlreiche Arbeitnehmer, insbesondere "nicht mobile" Arbeitnehmer, in den Bereichen Straßen-, Schienen-, See- und Luftverkehr sowie Binnenschiffahrt ohne jeglichen objektiven Grund vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen wurden und diese Arbeitnehmer in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/104/EG fallen müssen.

Dabei handelt es sich nämlich um Arbeitnehmer, die ähnliche Tätigkeiten ausüben wie in anderen Industriezweigen, die heute bereits unter die Richtlinie fallen. Dieser Aspekt ist von großer Bedeutung, da die Gesamtheit der Arbeitnehmer in den genannten Bereichen faktisch die große Mehrheit der von der Richtlinie Ausgeschlossenen ausmacht.

3.1.2. In diesem Zusammenhang bedauert der Ausschuß, daß mit dem Weißbuch der Kommission, das unlängst, also vier Jahre nach dem Ausschluß dieser Arbeitskräfte, veröffentlicht worden ist, nicht ein einschlägiger Richtlinienvorschlag unterbreitet wird.

3.1.3. So muß der Ausschuß feststellen, daß das Fehlen einer Richtlinie für "mobile" Arbeitnehmer im Straßen- und Schienenverkehr schon zu erheblichen Veränderungen bei den verschiedenen Verkehrsträgern geführt hat und die aus zahlreichen Gründen eingetretenen Verzögerungen bei der Ergreifung gesetzgeberischer Maßnahmen die häufig konfliktgeladene Situation noch weiter erheblich verschlechtert haben. Wäre damals eine solche Richtlinie verabschiedet worden, hätte diese negative Entwicklung vermieden oder zumindest entschärft werden können.

3.1.4. Der Ausschuß ist davon überzeugt, daß die anstehenden Probleme im Bereich des Straßentransports sehr rasch gelöst werden müssen, um einerseits der Zunahme der Wettbewerbsverzerrungen innerhalb dieses Verkehrsträgers und zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern sowie andererseits einer raschen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der abhängig beschäftigten Lkw- und Busfahrer Einhalt zu gebieten; betroffen sind etwa 1,2 Millionen Arbeitnehmer im gewerblichen Personenverkehr und 2,1 Millionen im Gütertransport.

Es besteht die große Gefahr, daß diese ungesunde Situation in einem für die europäische Wirtschaft so lebenswichtigen Sektor wie dem Straßengüterverkehr zu größeren sozialen Konflikten und zu einem nicht hinnehmbaren sozialen Dumping führt.

Deshalb muß sich die EU vor Wettbewerbsverzerrungen durch soziales Dumping von Straßentransportunternehmen aus Drittstaaten mit niedrigem sozialem Niveau schützen.

Dazu muß in diesem Zusammenhang noch klargestellt werden, daß die Richtlinie 93/104/EG bereits automatisch für den Straßenwerkverkehr gilt (im wesentlichen chemische Erzeugnisse, Erdölprodukte, Agrarprodukte und Nahrungsmittel, Baugewerbe, Groß- und Einzelhandel). In diesem Bereich sind etwa 3 bis 3,5 Millionen Kraftfahrer abhängig beschäftigt.

Der Ausschuß verweist in diesem Zusammenhang auf die bestehende EU-Regelung (Verordnung (EWG) Nr. 3820/85), die auch auf eigene Rechnung tätige Fahrer erfaßt und Hoechstfahrzeiten und Mindestruhezeiten vorschreibt, ohne jedoch die Arbeitszeit insgesamt zu regeln.

3.1.5. Der Ausschuß begrüßt, daß die im Paritätischen Ausschuß für den Eisenbahnverkehr vertretenen Sozialpartner im Bereich des Schienengüterverkehrs schon am 18. September 1996 zu einer Einigung gelangt sind.

Diese Einigung könnte den übrigen Sektoren - wie auch der Kommission wegen der erforderlichen Richtlinienvorschläge an den Rat - hervorragend als Vorbild dienen.

3.1.6. Der Ausschuß bringt auch seine Genugtuung darüber zum Ausdruck, daß die in ihrem "paritätischen Ausschuß" vertretenen Sozialpartner des Seeverkehrssektors ebenfalls zu einer Einigung gelangt sind, die demnächst fertiggestellt werden dürfte.

Zusammen mit der Kommission hofft der Ausschuß, daß die Mitgliedstaaten in Kürze das IAO-Übereinkommen Nr. 180 (1996) zur Arbeitszeit im Seeverkehr ratifizieren, das von der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf im Oktober 1996 verabschiedet wurde.

Mit der kürzlich vom Verkehrsministerrat abgegebenen Erklärung ist eine politische Plattform für eine baldige Ratifizierung geschaffen worden. Diese ist Voraussetzung für die Gespräche zwischen den Sozialpartnern in diesem dem weltweiten Wettbewerb ausgesetzten Sektor.

3.1.7. Hingegen bedauert der Ausschuß, daß die im Paritätischen Ausschuß für die Binnenschiffahrt vertretenen Sozialpartner keine Vereinbarungen über den Verkehr auf Flüssen und Seen treffen konnten, da einige Arbeitgeber erklärten, sie hätten kein Mandat, um eine Vereinbarung abzuschließen.

3.1.8. Der Ausschuß erwartet dringend eine Vereinbarung in der Zivilluftfahrt, wo es lediglich noch die Flugzeitbeschränkungen im Rahmen einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe festzulegen gilt.

3.2. Seefischerei

3.2.1. Im Hinblick auf die Seefischerei räumt der Ausschuß gern ein, daß die Arbeitsbedingungen und die Art der Arbeit sehr spezifisch und unterschiedlich sind, insbesondere aufgrund der Fischereiarten und -methoden, der Größe der Schiffe und der Vielzahl von Selbständigen. Er stimmt jedoch darin überein, daß das Versäumnis, das Problem der Arbeitszeit in diesem im Wandel befindlichen Sektor rechtzeitig in Angriff zu nehmen, schwerwiegende Auswirkungen auf die Durchführung der Gemeinschaftsprogramme zur Seefischerei haben dürfte, deren Bedeutung offensichtlich ist.

3.2.2. Nach Ansicht des Ausschusses sollte dieser Wirtschaftszweig, in dem durch Arbeitsunfälle mehr Todesfälle und Verletzungen verursacht werden als in allen anderen Branchen, daher noch mehr als die übrigen Sektoren durch ein geeignetes Schutzsystem für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer abgedeckt werden, da der Kausalzusammenhang zwischen Ermüdung und Unfällen klar erwiesen ist. Dieses Prinzip darf weder durch ältere Praktiken, deren Sinn und Zweck untersucht werden sollte, noch aus wirtschaftlichen Gründen in Frage gestellt werden, wie es auch im Urteil des Europäischen Gerichtshofs deutlich zum Ausdruck kommt ().

3.2.3. Aus diesen Gründen fordert der Ausschuß die Sozialpartner auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und in ihrem "Paritätischen Ausschuß" zu einer Einigung zu gelangen.

Sollte dies nicht möglich sein, sollten die verschiedenen Parteien ihre Vorschläge der Kommission unterbreiten, damit diese ausgehend von den allgemeinen Grundsätzen der Richtlinie 93/104/EG dem Rat einen Vorschlag vorlegen kann, der die Sichtweise des Wirtschaftszweigs widerspiegelt.

3.3. Andere Tätigkeiten auf See

3.3.1. Nach Kenntnisnahme des Weißbuchs bringt der Ausschuß seine Sorge darüber zum Ausdruck, daß für diesen Sektor keinerlei Vorschlag vorliegt, der die jeweiligen Interessen der Sozialpartner des Sektors zum Ausdruck brächte. Dies scheint daran zu liegen, daß sich eine der Parteien weigert, ihre Zielvorstellungen öffentlich kundzutun. Der Ausschuß empfiehlt der Kommission, eine "paritätische Ad-hoc-Gruppe" einzusetzen, deren Aufgabe es wäre, die notwendigen Arbeitszeitvorschriften in diesem Bereich festlegen.

3.3.2. Nach dem Dafürhalten des Ausschusses sollte sich diese "paritätische Ad-hoc-Gruppe" vor allem auf die Rechtsvorschriften, Tarifverträge und Vereinbarungen stützen, die in fast allen Ländern bestehen, in denen heute Offshore-Arbeiten durchgeführt werden.

Da die Offshore-Tätigkeit in Zukunft neuen Entwicklungen unterworfen sein kann, ist es nach Ansicht des Ausschusses von großer Bedeutung, in diesem Sektor über geeignete Rechtsvorschriften zu verfügen.

3.4. Ärzte in der Ausbildung

3.4.1. Nach Ansicht des Ausschusses besteht kein triftiger Grund zum Ausschluß der Ärzte in der Erst- oder Fachausbildung vom Anwendungsbereich der Arbeitszeitrichtlinie, da sie a) keine "mobilen" Arbeitnehmer sind und b) auch keine andere Arbeit verrichten als ihre Kollegen, die angestellten Ärzte, die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen haben und per definitionem unter den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/104/EG des Rates fallen.

In diesem Zusammenhang bedauert der Ausschuß, daß das Weißbuch der Kommission nicht von einem einschlägigen Richtlinienvorschlag begleitet wird.

3.4.2. Der Ausschuß weist darauf hin, daß die (selbst innerhalb ein und desselben Landes) bestehenden erheblichen Unterschiede in diesem ganz besonderen Bereich nicht nur kurz- und mittelfristig die physische und psychische Gesundheit des betroffenen Personenkreises gefährden, sondern als unmittelbare Folge einer übermäßig langen Arbeitszeit bzw. unzureichender Ruhezeiten auch die Qualität der Behandlungen, für die sie gegenüber der gesamten Gesellschaft verantwortlich sind, in Frage stellen.

3.4.3. Wenn die Kommission auch der Auffassung ist, das Problem des Bereitschaftsdienstes von Ärzten in der Ausbildung müsse auf nationaler Ebene geregelt werden, so erinnert der Ausschuß die Kommission daran, daß die naturgemäß sehr unterschiedlichen spezifischen Wartezeiten (Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft) so zu begrenzen sind, daß die allgemeinen Grundsätze der Richtlinie 93/104/EG des Rates, insbesondere die darin vorgesehenen zusammenhängenden Ruhezeiten, eingehalten werden können.

Schon jetzt müssen in den betroffenen Krankenhäusern vorbeugende Maßnahmen getroffen werden, um jegliche qualitative Verschlechterung der ärztlichen Betreuung zu vermeiden.

4. Schlußfolgerungen

4.1. Der Ausschuß befürwortet die pragmatische Vorgehensweise, mit der die Kommission auf Gemeinschaftsebene im Wege der Arbeitszeitgestaltung den Schutz von Gesundheit und Sicherheit für Arbeitnehmer in Sektoren und Tätigkeitsbereichen gewährleisten will, die derzeit von der Richtlinie 93/104/EG des Rates über gewisse Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ausgeschlossen sind.

4.2. Der Ausschuß spricht sich ebenfalls für die Option 3 aus, den differenzierten Ansatz, der drei Punkte beinhaltet:

1) Ausweitung sämtlicher Bestimmungen der Arbeitszeitrichtlinie (93/104/EG) auf alle "nicht-mobilen" Arbeitnehmer;

2) Ausdehnung der folgenden Bestimmungen der allgemeinen Arbeitszeitrichtlinie auf alle "mobilen" Arbeitnehmer (einschließlich derjenigen in der Seefischerei) sowie auf Arbeitnehmer im Bereich "andere Tätigkeiten auf See":

- vier Wochen bezahlter Jahresurlaub;

- Untersuchung des Gesundheitszustands bei Nachtarbeitern;

- angemessene Ruhezeiten;

- Jahreshöchstarbeitszeit;

3) Verabschiedung spezifischer Rechtsvorschriften über die Arbeitszeit und die Ruhezeiten für "mobile" Arbeitnehmer in jedem Sektor oder Tätigkeitsbereich sowie mutatis mutandis für jene in der Seefischerei und im Bereich "andere Tätigkeiten auf See".

4.3. Wie die Kommission hofft der Ausschuß nach wie vor, daß die Sozialpartner im Transportsektor und in der Seefischerei zum Abschluß von Vereinbarungen gelangen werden.

Daher fordert der Ausschuß die Kommission auf, weiterhin an das Verantwortungsbewußtsein der Sozialpartner zu appellieren und dabei zu bekräftigen, daß die neuen einzuführenden Regelungen

- durch eine Richtlinie verbindlichen Charakter erhalten sollen;

- auf alle betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden sollen;

- keine Rechtfertigung dafür darstellen dürfen, daß bereits bestehende günstigere Arbeitsbedingungen verschlechtert werden (vgl. Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie 93/104/EG);

- bei möglichen und erforderlichen Ausnahmen die in der Richtlinie 93/104/EG enthaltenen Bestimmungen übernehmen sollen;

- das Subsidiaritätsprinzip beachten sollen, dem zufolge Ausnahmefälle in denselben Gremien und auf die gleiche Weise wie zuvor in den jeweiligen Mitgliedstaaten üblich geregelt werden können;

- zur Vermeidung eines ruinösen Wettbewerbs zwischen den einzelnen Verkehrsträgern, den die Anwendung unterschiedlicher Vorschriften hinsichtlich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer mit sich bringen könnte, gleichzeitig in Kraft gesetzt werden sollen;

- die Vorteile hervorheben sollen, die sich daraus für die Öffentlichkeit im allgemeinen ergeben, da bekanntlich die Ermüdung aufgrund überlanger Arbeitszeiten eine wirkliche und unmittelbare Gefahr für die Unversehrtheit und Sicherheit anderer darstellt.

4.4. Es versteht sich von selbst, daß die zwischen den Sozialpartnern im Rahmen der "paritätischen Ausschüsse" getroffenen Übereinkünfte über die Anwendung der unter Ziffer 4.2 Absatz 2 genannten Aspekte auf ihre Branche in die unter Ziffer 4.2 Absatz 3 vorgesehenen branchenspezifischen Rechtsvorschriften übernommen werden müssen.

4.5. Und schließlich befürwortet der Ausschuß eine angemessen kurze Frist zum Abschluß der Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse dieser Verhandlungen obliegt es dann der Kommission, den Rat ohne unnötige Verzögerungen mit konkreten Arbeitszeitgestaltungsvorschlägen zur Gewährleistung eines wirksamen Schutzes der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer in den vom Anwendungsbereich ausgeschlossenen Sektoren und Tätigkeiten zu befassen, gleichzeitig jedoch ausreichende Flexibilität beizubehalten, um den Unternehmen einen angemessenen Spielraum zu lassen.

Bei dieser Vorgehensweise muß der Ausschuß nachdrücklich an sein Vorrecht erinnern, konsultiert zu werden.

Brüssel, den 26. März 1998.

Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Tom JENKINS

() ABl. C 254 vom 9.10.1990.

() Europäischer Rat, Straßburg, 9. Dezember 1989.

() ABl. C 60 vom 8.3.1991, S. 26.

() Urteil vom 12. November 1996 zur Klage Großbritanniens gegen den Rat.