51998AC0099

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln"

Amtsblatt Nr. C 095 vom 30/03/1998 S. 0001


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln" () (98/C 95/01)

Der Rat beschloß am 4. Dezember 1997, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 100 a des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten Vorschlag zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Umweltschutz, Gesundheitswesen und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Januar 1998 an. Berichterstatter war Herr Colombo.

Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 351. Plenartagung (Sitzung vom 28. Januar 1998) mit 82 gegen 4 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Mit diesem Richtlinienvorschlag auf der Grundlage von Artikel 100 a sollen die für die klinische Prüfung von Humanarzneimitteln geltenden Grundsätze und Leitlinien angeglichen werden. Zu diesem Zweck sollen die bestehende Praxis gestärkt und die Verfahren in bezug auf den Beginn einer klinischen Prüfung an Menschen mittels kohärenter Anwendung der ICH ()-Leitlinien angeglichen werden.

1.2. Die entsprechenden Anforderungen sind gemeinschaftsweit seit 1990 in den "Leitlinien für die Gute Klinische Praxis der Europäischen Union" (Good Clinical Practice, GCP) kodifiziert. Eine internationale Angleichung erfolgte im Januar 1997 auf der Internationalen Harmonisierungskonferenz (ICH).

1.3. Die Vorschriften für die Gute Klinische Praxis (GCP) werden von der Pharmaindustrie eingehalten, um klinische Prüfungen im Hinblick auf die Erlangung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen einer Arzneispezialität durchführen zu können.

1.4. Die kodifizierten GCP-Leitlinien stellen derzeit lediglich Orientierungsmaßstäbe dar und werden in den einzelnen Mitgliedstaaten, die sie bisher in Rechtsvorschriften umzusetzen hatten, nicht einheitlich angewandt.

1.5. Dies hat in der Praxis oft erhebliche Verzögerungen beim Start der klinischen Prüfpläne zur Folge, die zum einen auf den gewaltigen Verwaltungsaufwand verschiedener Verfahren, zum anderen auf die in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlichen Vorschriften und Praktiken zurückzuführen sind.

1.6. Bei den multizentrischen klinischen Prüfungen hat sich immer häufiger gezeigt, daß es eines einheitlichen Verfahrens bedarf, das die Erreichung der richtigen, für die statistische Auswertung der gesammelten Daten ausreichenden Anzahl von Fällen ermöglicht.

1.7. Dies sind offenbar die wichtigsten Gründe, die angesichts der Tatsache, daß mittlerweile eine beträchtliche Anzahl von Prüfstellen häufig in verschiedenen Mitgliedstaaten tätig sind, eine Umwandlung der Grundsätze und Leitlinien in einen verbindlichen Rechtsakt der Gemeinschaft sinnvoll erscheinen lassen. Das einheitliche Verfahren dürfte ab dem 1. Januar 1998, wenn das einzelstaatliche Verfahren für den Großteil der Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln durch das dezentralisierte Verfahren abgelöst werden wird, noch wesentlich mehr Bedeutung erlangen.

1.8. Der vorliegende Vorschlag verfolgt folgende Kernziele:

- Schutz der Versuchspersonen auf der Grundlage der revidierten Fassung der Deklaration von Helsinki und unter Berücksichtigung des Übereinkommens des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und der Würde des Menschen ();

- Erreichung einer größtmöglichen Unbedenklichkeit des gesamten Verfahrens, u.a. durch Einführung von Überwachungsmaßnahmen in Form von Inspektionen;

- Genauere Bestimmung der Rolle der Ethik-Kommissionen, wobei genau zu unterscheiden ist zwischen der Ethik-Kommission mit der federführenden Aufgabe, eine einzige Stellungnahme zu dem Antrag auf Genehmigung einer klinischen Prüfung abzugeben, und den Ethik-Kommissionen vor Ort, die in den einzelnen Prüfstellen für den Beginn der Prüfungen verantwortlich sind;

- Straffung der Verwaltungsverfahren, die vor dem Beginn einer Prüfung zu durchlaufen sind, zu der stets eine Ethik-Kommission eine Stellungnahme abgeben und die der zuständigen Stelle des betreffenden Mitgliedstaates gemeldet werden muß, die dem Sponsor innerhalb von 30 Tagen begründete Einwände mitteilen kann;

- ein gezielterer Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten, die mit der Prüfung zu tun haben.

2. Allgemeine Bemerkungen

2.1. Wie wichtig ein Arzneimittelsektor ist, der seine Stärke aus dem Vorhandensein einer wettbewerbsfähigen und in hohem Maße innovatorischen Industrie in Europa zieht, hat der Wirtschafts- und Sozialausschuß bereits in seiner Initiativstellungnahme zum Thema "Freier Warenverkehr mit Arzneimitteln in der Europäischen Union" () betont.

2.1.1. Darin bekräftigte er, daß die Verfügbarkeit innovativer, zuverlässiger und wirksamer Arzneimittel einen wesentlichen Beitrag zum Schutz der Gesundheit und zur Verlängerung der durchschnittlichen Lebensdauer leistet.

2.1.2. Ausschlaggebend für die Bewertung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines neuen Arzneimittels ist die Prüfung am Menschen, die nach wissenschaftlichen und ethischen Grundsätzen erfolgen muß, wobei unnütze, kostspielige und rein repetitive Untersuchungen zu vermeiden sind.

2.2. Bei der Bewertung dieses Vorschlags empfiehlt der Ausschuß ein Gleichgewicht herzustellen

zwischen

- der erforderlichen Vereinfachung der Verwaltungsverfahren, und

- der Einhaltung der für die Erteilung der Prüfungsgenehmigung festgelegten Frist;

und

- dem größtmöglichen Schutz der Versuchspersonen sowie,

- einer Koordinierung der Ergebnisse im Interesse einer strengen Bewertung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit einer neuen Arzneispezialität.

2.3. Der Ausschuß empfindet den Passus in Artikel 1 Absatz 3 des Vorschlags: "Die Grundsätze und Leitlinien der Guten Klinischen Praxis werden ... in Form einer ... Richtlinie verabschiedet" als Fortschritt, weil sie dadurch in allen Ländern der Europäischen Union verbindlich würden. Auf diese Weise wird eine Angleichung der in jüngster Zeit in verschiedenen Mitgliedstaaten erlassenen nationalen Rechtsvorschriften erfolgen, die, falls sie nicht harmonisiert würden, den Fortbestand der heutigen Unterschiede bewirken würden.

2.4. Der WSA begrüßt die Angleichung der Rechtsvorschriften, sofern ihre praktische Umsetzung keine zusätzlichen bürokratischen Hürden mit sich bringt, sondern vielmehr ein Mittel zur Erreichung eines hohen Qualitätsniveaus der europäischen Pharmaforschung darstellt. Die Europäische Union muß im Interesse eines höheren Gesundheitsschutzes auch in Zukunft ein für Forschung und Innovation attraktiver Standort bleiben.

2.5. Im Interesse einer kohärenten Anwendung der Grundsätze und Leitlinien für die klinische Prüfung sollten die Bestimmungen der Richtlinie auch für die außerhalb der Pharmaindustrie (in Universitäten, Kliniken und Forschungsinstituten) durchgeführten unabhängigen Forschungsarbeiten an neuen Arzneimitteln gelten.

2.6. Der Ausschuß hat für die Behutsamkeit, mit der die Kommission das Ziel eines einzigen, für die gesamte EU gültigen Verfahrens für den Beginn klinischer Prüfungen verfolgt, Verständnis und heißt sie gut. Er nimmt die Ausführungen in Punkt 5 der Einführung des Vorschlags zur Kenntnis, in denen auf die bislang unzureichende Erfahrung bei der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in diesem Bereich und die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Einreichung eines einzigen Antrags bei der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA), die dafür noch nicht entsprechend ausgestattet sei, hingewiesen wird.

2.7. Dennoch sollten seines Erachtens Formen der Zusammenarbeit gefördert werden, um Schritt für Schritt ein einheitliches europäisches Verfahren zu erreichen. Dabei kann auf den Sachverstand und das "Know-how" der Agentur zurückgegriffen werden, vor allem in bezug auf die Orphan-Präparate und die Gen- und Biotechnologie. So könnten z. B. folgende Möglichkeiten ausgelotet werden:

- die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln könnte künftig damit beauftragt werden, die Genehmigung zur Prüfung von Arzneimitteln zu erteilen, die zum Zwecke der Registrierung dem zentralisierten Verfahren zu unterziehen sind;

- der Ausschuß für Arzneimittelspezialitäten könnte die Aufgabe der technischen Stelle übernehmen, an die man sich in allen Fällen von Unstimmigkeiten und/oder unterschiedlicher Auslegung seitens der Mitgliedstaaten wenden sollte.

2.8. Im Interesse einer verstärkten Zusammenarbeit muß unbedingt eine europäische Datenbank im Rahmen von EudraNet (Telematiknetz zur Verbindung der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, der EMEA und der Kommission untereinander) errichtet werden. Mit dieser Datenbank sollen die Informationen und ihre Verbreitung in allen an der internationalen, multizentrischen Prüfung beteiligten Mitgliedstaaten koordiniert werden - und zwar mit einem Zugangsschlüssel, der ein Hoechstmaß an Vertraulichkeit und an Wahrung der Betriebsgeheimnisse gewährleistet.

2.9. Ausschlaggebende Faktoren für eine vereinfachte und eindeutige rechtliche Regelung, die den gleichzeitigen Beginn von klinischen Prüfungen in verschiedenen Ländern ermöglicht, sind einerseits die Einhaltung der Fristen, die für die Genehmigung durch die Ethik-Kommissionen und die Einreichung etwaiger Änderungsanträge durch die verantwortlichen Behörden vorgesehen sind, die dem Sponsor ihre Stellungnahme binnen 30 Tagen zukommen lassen müssen, und andererseits der absolute Schutz der Patienten, die als Versuchspersonen dienen und denen gegenüber ein bestmögliches Risiko-Nutzen-Verhältnis zu gewährleisten ist.

2.10. Durch Erzielung einer auf Gemeinschaftsebene harmonisierten rechtlichen Regelung, die in Einklang steht mit der Guten klinischen Praxis (GCP), den Vorschriften für die Arzneimittelüberwachung und der Guten Herstellungspraxis (GMP) sowie den entsprechenden Dokumenten der Internationalen Harmonisierungskonferenz (ICH) kann eine vollständige Kohärenz der in der EU durchgeführten Untersuchungen gewährleistet werden, die die Überprüfung und den Vergleich der gewonnenen Daten erleichtert.

2.11. Im Hinblick darauf muß die Kommission hinsichtlich der Beteiligung der Drittländer an der multizentrischen Prüfung größere Garantien erhalten. Der Sponsor müßte dazu aufgefordert werden zu gewährleisten, daß die an der Prüfung seines Arzneimittels beteiligten Drittländer von den Leitlinien der Gemeinschaft Kenntnis erhalten haben und diese konsequent zur Anwendung bringen können.

3. Besondere Bemerkungen

3.1. Der Ausschuß stellt in etlichen Artikeln des Richtlinienvorschlags die Verwendung falscher oder unüblicher Begriffe oder Bezeichnungen fest. Er bittet deshalb die Kommission, ihre Terminologie derjenigen der ICH anzugleichen, die inzwischen von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt als maßgeblich anerkannt wird und an deren Festlegung auch die Kommission tatkräftig mitgewirkt hat. Er fordert insbesondere dazu auf, die Übersetzung des Begriffs "non-interventional clinical trials" in allen Sprachen zu überprüfen, da er zu Mißverständnissen führen kann.

3.2. Artikel 2

3.2.1. Bei der Begriffsbestimmung für "schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis oder schwerwiegende Nebenwirkung" wäre es angebracht, sich auf die ICH-Bestimmung betreffend die Zweckmäßigkeit der Einholung eines medizinischen Gutachtens zu anderen möglichen Risiken zu beziehen.

3.2.2. Der Ausschuß plädiert für die Aufnahme einer weiteren Begriffsbestimmung, nämlich der des Forschungskoordinators als Verantwortlicher der an einer multizentrischen Prüfung beteiligten Kliniker.

3.3. Artikel 4

3.3.1. Aus dem derzeitigen Wortlaut geht nicht klar hervor, daß die Stellungnahme der Ethik-Kommission obligatorisch ist, was die Sicherheit der Versuchspersonen beeinträchtigt. Deshalb sollte der Wortlaut von Absatz 2 folgendermaßen ergänzt werden: "Die Stellungnahme einer Ethik-Kommission ist obligatorisch und muß vor Beginn einer klinischen Prüfung vorliegen."

3.4. Artikel 7

3.4.1. Dieser Artikel stellt den Kern des Vorschlags dar. Die Einhaltung der Guten Klinischen Praxis, das Erfordernis einer befürwortenden Stellungnahme der Ethik-Kommission und die Möglichkeit einer Intervention der Mitgliedstaaten bietet nach dem Dafürhalten des Ausschusses ausreichende Gewähr für die Versuchsperson und ermöglicht ein in allen Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegtes Verfahren.

3.4.2. Ausgenommen werden von diesem Verfahren könnten - des anerkannt heiklen Charakters dieser Bereiche wegen - insbesondere Präparate der Gen- und Zelltherapie. Da für diese Präparate die obligatorische zentralisierte Registrierung vorgesehen ist, könnte die Kommission nunmehr als Voraussetzung für den Beginn der Prüfungen eine Stellungnahme der Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln, die für das zentralisierte Zulassungsverfahren für Spitzentechnologieprodukte zuständig ist, für notwendig erachten.

3.4.3. Zur Vermeidung verwaltungstechnischer Doppelarbeiten dürfte es sich von selbst verstehen, daß die beim Mitgliedstaat und der Ethik-Kommission einzureichenden wissenschaftlichen Daten dieselben sein müssen.

3.5. Artikel 8

3.5.1. Es wäre zweckmäßig, ausdrücklich eine streng vertrauliche Behandlung der Daten sowie ein Hoechstmaß an Diskretion in bezug auf die laufenden Forschungsarbeiten vorzuschreiben.

3.6. Artikel 9

3.6.1. Für den Fall des Aufschubs oder der Untersagung einer Prüfung sollte zweckmäßigerweise vorgesehen werden, daß vor jeder Entscheidung neben der Kommission und den Mitgliedstaaten auch der Sponsor unterrichtet wird.

3.7. Artikel 10

3.7.1. Bei den Prüfpräparaten wäre es zweckdienlicher, nach Maßgabe der Richtlinie 91/356/EWG () die Regelungen für die Gute Herstellungspraxis (GMP) zu übernehmen.

3.8. Artikel 13

3.8.1. Es wird empfohlen, die Verfahren und Definitionen auf den ICH-Wortlaut abzustimmen.

Brüssel, den 28. Januar 1998.

Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Tom JENKINS

() ABl. C 306 vom 8.10.1997, S. 9.

() Internationale Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use.

() Europarat, European Treaty Series, Nr. 164, Oviedo, 4. april 1997.

() ABl. C 97 vom 1.4.1996.

() ABl. L 193 vom 17.7.1991.