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Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Registrierung der an Bord von Fahrgastschiffen befindlichen Personen"

Amtsblatt Nr. C 206 vom 07/07/1997 S. 0111


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Registrierung der an Bord von Fahrgastschiffen befindlichen Personen" (97/C 206/19)

Der Rat beschloß am 27. Januar 1997, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 84 des Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten Vorschlag zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr und Kommunikationsmittel nahm ihre Stellungnahme am 9. April 1997 an. Berichterstatter war Herr Whitworth.

Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 345. Plenartagung (Sitzung vom 23. April 1997) mit 119 gegen 2 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einführung und Hintergrund

1.1. Die vorgeschlagene Richtlinie ist auf die Entschließung des Rates vom 22. Dezember 1994 zur Sicherheit von Roll-on-Roll-off-Fahrgastfährschiffen zurückzuführen. In dieser Entschließung, in der neben anderen Schiffsunglücken das Kentern der Estonia im September 1994 in Erinnerung gerufen wird, werden die Mitgliedstaaten und die Kommission aufgefordert, eine Reihe spezifischer Maßnahmen im Rahmen der Internationalen Seeschiffahrtsorganisation (IMO) zu unterstützen, und die Kommission wird aufgefordert, Vorschläge für zwingende Vorschriften vorzulegen, u.a. in bezug auf die Registrierung von Fahrgästen an Bord von Fährschiffen, die regelmäßig EG-Häfen anlaufen.

1.2. Die IMO hat seitdem einige Änderungen des internationalen Übereinkommens von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS-Übereinkommen) entwickelt und verabschiedet. Die im Juni 1996 verabschiedete Regel III/27 "Angaben über Fahrgäste" gilt für alle in der Auslandsfahrt eingesetzten Fahrgastschiffe und enthält Vorschriften für das Zählen der Fahrgäste und die Registrierung bestimmter Angaben über sie. Diese Regel wird am 1. Juli 1998 in Kraft treten.

1.3. Die SOLAS-Regel läßt bestimmte Ausnahmen zu:

- Fahrgastschiffe können befreit werden, wenn es sich aufgrund der Fahrpläne dieser Schiffe praktisch als unmöglich erweist, solche Fahrgastlisten aufzustellen;

- Schiffe, die sich im Laufe ihrer Fahrt nicht mehr als 20 Seemeilen vom Festland entfernen, können ausgenommen werden, wenn die Behörden des Flaggenstaates der Auffassung sind, daß die Anforderungen aufgrund der geschützten Fahrtstrecke unangemessen oder unnötig sind.

2. Der Vorschlag der Kommission

2.1. Der Richtlinienvorschlag der Kommission beruht auf der neuen SOLAS-Regel. Es wird vorgeschlagen, sie unabhängig von der Flagge auf alle Fahrgastschiffe anzuwenden, die in der Inlands- oder Auslandsfahrt Gemeinschaftshäfen anlaufen oder aus ihnen auslaufen (einige Anforderungen gelten auch für Schiffe, die aus einem Hafen außerhalb der Gemeinschaft in einen Hafen der Gemeinschaft einlaufen). Die Kommission weist darauf hin, daß ohne eine solche Richtlinie die SOLAS-Regel nur für Flaggenstaaten gelten würde, und daß es im Sinne einer kohärenten Anwendung auf alle Fahrgastschiffe, die aus Häfen der Gemeinschaft auslaufen, erforderlich ist, die Rechtsprechung bezüglich der Anforderungen auf die Hafenstaaten auszudehnen. Ferner weist sie darauf hin, daß letztere bei Unfällen für Such- und Rettungsmaßnahmen (SAR) zuständig sind.

2.2. Im Richtlinienvorschlag ist folgendes vorgesehen:

- Alle an Bord befindlichen Personen sind vor der Abfahrt zu zählen und der Kapitän stellt sicher, daß ein Fahrgastschiff nicht mit mehr als der zugelassenen Zahl von Fahrgästen ausläuft.

- Bei Fahrgastschiffen, die eine Fahrt von mehr als 20 Seemeilen unternehmen, müssen die Namen, das Geschlecht und die Alterskategorien aller Fahrgäste sowie Angaben über individuelle Bedürfnisse registriert und innerhalb von 30 Minuten nach Abfahrt einer von der Gesellschaft benannten Person mitgeteilt werden, um im Bedarfsfall der SAR-Behörde zur Verfügung zu stehen.

- Die Gesellschaften schaffen ein Registrierungssystem, das bestimmte Funktionskriterien erfuellt.

- Die Mitgliedstaaten erlassen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um der Richtlinie bis zum 1. Januar 1998 nachzukommen, wobei die Registrierungsvorschriften spätestens ab 1. Januar 1999 anzuwenden sind.

2.3. Nach dem Richtlinienvorschlag müssen die Angaben über die Fahrgäste nur bei Fahrten von mehr als 20 Seemeilen registriert werden. Es ist aber keine Bestimmung für eine Befreiung wegen Undurchführbarkeit vorgesehen, und die Kriterien für die Befreiung von Fahrzeugen, die in geschützten Gewässern im Einsatz sind, sind wesentlich strenger als in der SOLAS-Regel.

3. Allgemeine Bemerkungen

3.1. Der Ausschuß begrüßt im großen und ganzen den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates in diesem Bereich, in dem gemeinschaftliche Rechtsvorschriften erforderlich sind, die sowohl den Hafen- als auch den Flaggenstaat binden. Er begrüßt die Tatsache, daß sich der Richtlinienvorschlag auf die in der SOLAS-Regel enthaltenen IMO-Beschlüsse stützt, was auch dem Standpunkt entspricht, den er bereits in einer Reihe von früheren Stellungnahmen zum Seeverkehr eingenommen hat. Er ist damit einverstanden, daß die Regeln gleichermaßen für Schiffe auf Inlandsfahrt als auch für die Auslandsfahrt gelten sollen, weil es keinen Grund für doppelte Sicherheitsnormen in diesen Bereichen gibt.

3.2. Bezüglich des Inhalts der Richtlinie steht es außer Frage, daß die Zahl der Fahrgäste an Bord gezählt werden sollte und der Kapitän dafür zu sorgen hat, daß nicht mehr Passagiere an Bord sind, als im Fahrgastzertifikat des Schiffes vorgeschrieben. Der Ausschuß unterstützt diese Bestimmungen vorbehaltlos, hält es aber nicht für erforderlich, eine neue Verordnung vorzusehen, um sicherzustellen, daß diese grundlegende Sicherheitsanforderung erfuellt wird.

3.3. Die Registrierung der Namen und anderer Angaben über die Fahrgäste ist eine Neuerung. Die Kommission weist in ihrer Begründung mehrfach darauf hin, daß damit Such- und Rettungsmaßnahmen vereinfacht werden sollen. Zu diesem Zweck ist es unerläßlich, die Zahl der an Bord befindlichen Fahrgäste und ihre Alterskategorie (Erwachsener, Kind oder Kleinkind) zu kennen. Die Namen der Fahrgäste dagegen sind nur nach einem Unglück wichtig, damit die Gesellschaft Anfragen von Angehörigen beantworten und zur Identifizierung der Toten und Verletzten beitragen kann.

3.4. Die vorgeschriebene Registrierung der Namen aller Fahrgäste wird mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand für die Fährgesellschaften verbunden sein, die auf stark befahrenen Strecken operieren, wo ein großer Teil der Fahrgäste kurz vor dem Ablegen an Ort und Stelle einen Fahrschein kauft. Nach den derzeitigen Buchungsgepflogenheiten werden die Namen der Fahrer, nicht aber der Fahrgäste registriert, von denen sich 50 oder mehr in einem Bus befinden können. Auf einigen Strecken wird es selbst unter Einsatz ausgefeilter (und teurer) Elektronik schwierig sein, längere Einschiffungszeiten zu vermeiden, die dann für die Passagiere zu Verspätungen führen und dem effizienten Betrieb abträglich sind.

3.5. Es würde sich um ein sehr umfangreiches Unterfangen handeln. In der Hochsaison sind in einem einzigen Hafen jeden Tag 65 Abfahrten mit insgesamt 63 000 Fahrgästen zu verzeichnen, für die die Registrierungsbedingungen gelten würden. Jeder einzelne Name müßte aufgeschrieben und für gut eine Stunde registriert werden, bevor die Liste gelöscht wird, sofern nicht das Schiff in diesem Zeitraum verunglückt ist.

3.6. Diese Erwägungen sind zweifelsohne der Grund dafür, daß die SOLAS-Regel die in Ziffer 1.3 erwähnte Befreiung wegen Undurchführbarkeit enthielt. Der Ausschuß schlägt vor, daß die Kommission diese Möglichkeit eingehender prüft und eventuell in den Richtlinienvorschlag eine Bestimmung einfügt, die den Mitgliedstaaten ermöglicht, auf bestimmten Strecken, auf denen ihrer Ansicht nach die Registrierung einzelner Namen undurchführbar ist, eine andere Registrierungsmethode zuzulassen. Einer solchen Regelung müßten dann beide (bzw. alle) betroffenen Hafenstaaten zustimmen, sie müßte vollständig mit den SOLAS-Kriterien vereinbar sein, den SAR- sowie den Wettervorhersagemöglichkeiten vollständig Rechnung tragen und sie dürfte nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen einzelnen Liniendiensten führen.

3.7. Vorbehaltlich dieses Vorschlags und der nachstehenden besonderen Bemerkungen ist der Ausschuß der Auffassung, daß die vorgeschlagene Richtlinie eine angemessene Reaktion der Kommission auf die neue SOLAS-Regel darstellt.

4. Besondere Bemerkungen

4.1. Artikel 4 Absatz 3

Hier wird eine redaktionelle Änderung des englischen Textes vorgeschlagen, die die deutsche Fassung nicht betrifft (in der drittletzten Zeile soll "referred to in" ersetzt werden durch "contained in").

4.2. Artikel 5 Absatz 1

Fahrgäste und Besatzung sollten getrennt gezählt werden, weil es die Zahl der ersteren ist, die die auf dem Fahrgastzertifikat des Schiffes angegebene Zahl nicht überschreiten sollte.

4.3. Artikel 6

In diesem Artikel oder durch die Definition des Begriffs "Fahrt" in Artikel 2 sollte klargestellt werden, daß die Schwelle von 20 Seemeilen von Hafen zu Hafen und nicht für die insgesamt zurückgelegte Strecke zwischen mehr als zwei Häfen gilt.

4.4. Artikel 8

Nach den SOLAS-Bestimmungen müssen die Angaben den SAR-Diensten im Bedarfsfall zur Verfügung gestellt werden, weshalb der erste Satz des zweiten Absatzes folgendermaßen lauten sollte: "Die Gesellschaft sorgt dafür, daß die nach dieser Richtlinie vorgeschriebenen Angaben nach dem in Artikel 6 genannten Zeitraum der benannten Behörde auf Ersuchen jederzeit und unverzüglich zur Verfügung gestellt werden können."

Ferner sollte klargestellt werden, daß es nicht erforderlich ist, die Angaben auf Papier bereitzuhalten, solange sie ohne weiteres, z. B. per Computer, übermittelt werden können.

4.5. Artikel 11 Absatz 1 (iv)

Das Erfordernis, wonach das System so konzipiert zu sein hat, daß für Fahrgäste keine unnötigen Verzögerungen entstehen, wirft die in Ziffer 3.4 angesprochene Frage der Durchführbarkeit auf.

4.6. Artikel 11 Absatz 2

Diese Anforderung sollte gestrichen werden. Es ist Sache der Gesellschaft, vorbehaltlich der Genehmigung durch den Mitgliedstaat zu entscheiden, wie in Anbetracht der Umstände den Bestimmungen am besten entsprochen werden kann.

Brüssel, den 23. April 1997.

Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Tom JENKINS