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Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Grünbuch - Faire und effiziente Preise im Verkehr - Politische Konzepte zur Internalisierung der externen Kosten des Verkehrs in der Europäischen Union"

Amtsblatt Nr. C 056 vom 24/02/1997 S. 0031


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem "Grünbuch - Faire und effiziente Preise im Verkehr - Politische Konzepte zur Internalisierung der externen Kosten des Verkehrs in der Europäischen Union" (97/C 56/08)

Die Europäische Kommission beschloß am 8. Januar 1996, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 198 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: "Grünbuch - Faire und effiziente Preise im Verkehr - Politische Konzepte zur Internalisierung der externen Kosten des Verkehrs in der Europäischen Union".

Die mit der Vorbereitung der Stellungnahme beauftragte Fachgruppe Verkehr und Kommunikationsmittel nahm ihre Stellungnahme am 11. September 1996 an. Berichterstatter war Herr Kubenz.

Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 339. Plenartagung (Sitzung vom 31. Oktober 1996) bei 68 Ja-Stimmen, 4 Nein-Stimmen und 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

Das Grünbuch belebt die europaweite Debatte über die Probleme im Verkehrsbereich, die kürzlich (im Juni 1995) auf dem Europäischen Gipfel von Cannes in den Vordergrund gerückt wurde, auf dem Maßnahmen gefordert wurden, um für einen gerechteren Wettbewerb zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern zu sorgen. Nach Ansicht der Kommission können mit der derzeitigen Verkehrspolitik die dringenden Probleme wie Stau, Verspätungen, Unfälle und Umweltverschmutzung nicht befriedigend gelöst werden. Durch die Internalisierung der externen Kosten sollen die Transportpreise fairer und effizienter werden - und zu einem Umdenken bei Investitionen und dem "Modal-Split" () führen, weil nach Ansicht der Kommission bei vielen Fahrten ein eklatantes Mißverhältnis zwischen den von den einzelnen Verkehrsnutzern bezahlten Preisen und den verursachten Kosten besteht. Einige Kosten, wie die durch Umweltbelastung, Unfälle und Verkehrsüberlastung verursachten Kosten, werden nur teilweise oder gar nicht berücksichtigt, andere, wie die Infrastrukturkosten, äußerst unterschiedlich angerechnet.

2. Wesentlicher Inhalt des Grünbuchs

2.1. Thema des Grünbuchs ist die Preisgestaltung im Verkehr.

2.2. Die Kommission identifiziert drei Hauptgebiete der externen Kosten:

- Verkehrsüberlastung (Stau) (ungefähr 2 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) der EU);

- Unfälle (ungefähr 1,5 % des BIP der EU);

- Luftverschmutzung und Lärm (ungefähr 0,6 % des BIP der EU).

In der Summe sind dies 4,1 % des BIP der EU oder ungefähr 250 Milliarden ECU jährlich.

2.3. Der Straßenverkehr verursacht nach Auffassung der Kommission 90 % dieser externen Kosten. Dieses Grünbuch betrifft deshalb nur den Straßenverkehr ().

2.4. Externe Nutzen werden nach Auffassung der Kommission durch niedrigere Beförderungskosten sofort kompensiert und bei den jeweiligen Nutzern unmittelbar internalisiert. Aus diesem Grunde werden die positiven externen Effekte in diesem Grünbuch nicht untersucht ().

2.5. Die Kommission ist der Überzeugung, daß die Internalisierung der externen Kosten Auswirkungen auf die Transportpreise haben soll. Dies bedeutet, daß einige Preise erhöht, andere aber auch gesenkt werden können.

Fortschritte bei der Einführung fairer und realistischer Preise beleben die intermodale Verkehrspolitik der Gemeinschaft, die darauf abzielt, das Potential aller Verkehrsträger voll zu entfalten (). Die entscheidende Aussage des Grünbuchs ist jedoch, daß die Wegekostenanlastung entsprechend den Kostenunterschieden stärker differenziert erfolgen sollte.

2.6. Durch Beispiele werden verschiedene Instrumente der Preisfindung vorgestellt:

- Anpassung von Gemeinschaftsrecht in bezug auf Straßennutzungsgebühren für die Anlastung der Wegekosten (Infrastruktur);

- eine distanzabhängige Steuer auf Lastkraftwagen, die auf elektronischem Wege berechnet wird und die Kosten der Infrastrukturabnutzung berücksichtigt;

- Mautgebühren für besonders belastete Regionen und Ballungsräume;

- angepaßte und differenzierte Mineralölsteuer, die die Umweltverträglichkeit des jeweiligen Treibstoffs berücksichtigt;

- Fahrzeugbesteuerung angepaßt an die Lärmverursachung und die Umweltverträglichkeit des Fahrzeugs, möglichst gekoppelt mit elektronischer, distanzabhängiger Berechnung;

- differenzierte Flughafengebühren (Luftverkehr) und Schienenbenutzungsgebühren (Eisenbahn).

2.7. Die Kommission fordert zusätzliche Informationen über Sicherheitsgewinn und Sicherheitsrisiken bei verschiedenen Fahrzeugen und verschiedenen Transportarten.

2.8. Eine Reihe von politischen Maßnahmen der EU in den nächsten Jahren werden von der Kommission vorgeschlagen, um größere Fortschritte bei der Internalisierung der Kosten im Verkehr zu erreichen:

- Einleitungen von Studien;

- Mitteilung zum "Auto-Oil"- Programm und begleitende Vorschläge für Kfz-Normen;

- Ersatz und Überarbeitung der vom Europäischen Gerichtshof verworfenen Richtlinie 93/89/EWG (Eurovignette);

- Umweltvorschriften im Verkehr;

- Flughafengebühren;

- Streckengebühren und Finanzierung im Schienenverkehr;

- Studien für ausgewählte TEN ()-Korridore;

- Erste Ergebnisse einer strategischen Studie über die Bewertung der wirtschaftlichen und Umweltauswirkungen der TEN;

- Überprüfung der derzeitigen Gemeinschaftsvorschriften zur Preisgestaltung im Verkehr;

- Überprüfung der Mindestsätze der Mineralölsteuer;

- Überprüfung der Vorschriften über staatliche Beihilfen und Steuervergünstigungen im Binnenverkehr;

- Mitteilung über Lärm;

- Umfassende Überprüfung der Kfz-Steuer;

- Überprüfung der Steuerbefreiung für Flugbenzin;

- Ausarbeitung eines Berechnungssystems für die externen Kosten im Verkehr;

- Normen zur Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren und für Verkehrsleitsysteme;

- Weißbuch über weitere Fortschritte bei der Einführung fairer und realistischer Preise im Verkehr;

- Vorschläge zur Preisbildung im Straßengüterverkehr.

3. Allgemeine Bemerkungen

3.1. Das Grünbuch wirft Fragen auf und entwickelt Strategien; es gibt jedoch keine endgültigen Lösungen vor, sondern das Grünbuch soll nach Auffassung der Kommission eine Diskussionsgrundlage bilden.

3.2. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß hat verschiedentlich die Kommission aufgefordert, sich mit der Problematik der externen Kosten zu beschäftigen, z. B. in seiner Stellungnahme zum "Legislativprogramm der Kommission für den Verkehr/Aktionsprogramm 1995-2000 für die Gemeinsame Verkehrspolitik (GVP)" ().

3.3. Die Initiativstellungnahme "Wegekosten in bezug auf den Straßengütertransport - ein Ansatz für einen Vergleich mit anderen Verkehrsträgern" () fordert, daß die Infrastrukturkosten und die externen Kosten allen Verkehrsträgern auf gerechte und einheitliche Weise vollständig angelastet werden sollten.

Der Ausschuß begrüßt daher, daß sich die Kommission dieses Themas angenommen hat.

3.4. Der Ausschuß hat immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß er für so wenig Verkehrslenkung wie möglich ist, z. B. in seiner Stellungnahme zum "Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes" (). Die Eigenwirtschaftlichkeit der Verkehrssysteme und der Verkehrsinfrastruktur haben für den Ausschuß Vorrang.

3.5. Bereits 1992 hat sich der Ausschuß dafür ausgesprochen, eine Strategie für den Einsatz von Wirtschaftsinstrumenten vorzulegen, die auf eine bessere Umweltschonung abzielt und eine nichtdiskriminierende Harmonisierung der Verkehrsmärkte herbeiführt (Stellungnahme zu dem "Grünbuch zu den Auswirkungen des Verkehrs auf die Umwelt - Eine Gemeinschaftsstrategie für eine 'dauerhafte umweltgerechte Mobilität`" (). In Ziffer 5.3.5 der besagten Stellungnahme des Ausschusses heißt es hierzu:

"Um zu einer gut fundierten Lösung zu gelangen, sollte die Kommission auf lange Sicht eine eingehende Untersuchung anstellen, anhand derer sich die externen Kosten des Verkehrs, der jeweilige Anteil der einzelnen Verkehrsträger an den externen Kosten und der jeweilige Anteil der einzelnen Verkehrsträger pro Beförderungseinheit genau quantifizieren lassen. In einer solchen Untersuchung müßten alle umweltrelevanten Faktoren berücksichtigt werden, wie beispielsweise der Auslastungsgrad von Bodenflächen, die Lärmbelastung, die Geräuschemission, die Vibration, die Luftbelastung usw. Die Ermittlung der externen Kosten auf der Basis eines einzigen Parameters (etwa anhand des Energieverbrauchs) muß zwangsläufig zu unvollständigen, sprich unrichtigen Daten führen und kann möglicherweise Wettbewerbsverzerrungen auslösen."

3.6. Der Ausschuß nimmt mit Zufriedenheit zur Kenntnis, daß sehr viele der von ihm vorgetragenen Anliegen im Grünbuch berücksichtigt wurden.

Er bekräftigt erneut, welch große Bedeutung er der Ermittlung und Berücksichtigung der externen Kosten und der Infrastrukturkosten beimißt.

Er betont, daß jedwedes Prinzip der Internalisierung der externen Kosten nur dann greifen kann, wenn es für alle Verkehrsträger gilt.

Dennoch muß auf diesem langen Weg zur Internalisierung der Kosten endlich der erste Schritt getan werden, weil der Straßenverkehr die größten Probleme mit sich bringt.

3.7. In der Stellungnahme zum Thema "Die Entwicklung des Kurzstreckenseeverkehrs in Europa (1)

(1) ABl. Nr. C 97 vom 1. 4. 1996, S. 15." forderte der Ausschuß die "Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für den Kurzstreckenseeverkehr und die anderen Verkehrsarten durch Transparenz der Subventionen sowie eine künftige Internalisierung der externen Kosten". Der Rolle der Europäischen Kommission für die Konkretisierung und praktische Verwirklichung dieser Idee wurde dabei vitale Bedeutung beigemessen.

4. Besondere Bemerkungen

4.1. Die Internalisierung der externen Kosten

4.1.1. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß bedauert vor allem, daß auf EU-Ebene keine vollständigen statistischen Daten und auch keine genauen Definitionen zu den im Grünbuch untersuchten Phänomenen gibt, was die Diskussion sicherlich nicht erleichtert. Es erscheint daher dringend notwendig, die Datenbasis zu verbessern, um auf der Grundlage einheitlicher Bewertungs- und Berechnungsmethoden Aussagen für alle Verkehrsträger innerhalb der gesamten EU treffen zu können.

4.1.2. Die externen Kosten, die den Verkehrsteilnehmern angelastet werden sollen, sind in ihrer Abgrenzung und Berechnung z.Z. überaus umstritten. Allein in Deutschland ermitteln neun verschiedene Studien externe Kosten des Straßenverkehrs zwischen 29,7 Milliarden DM und 123,7 Milliarden DM pro Jahr.

4.1.2.1. Das Grünbuch weist die sogenannte "Staukosten" (Zeitverluste und Betriebskosten) als erheblichen Kostenblock aus. Diese Kosten treffen weitgehend diejenigen Verkehrsteilnehmer, die sie erzeugen, und sind insofern bereits zum Teil internalisiert. () Es stellt sich daher die Frage, ob eine zusätzliche Kostenbelastung für die Benutzer zu rechtfertigen ist.

4.1.2.2. Die direkten Unfallkosten sind in einigen Mitgliedsstaaten weitgehend über Versicherungsprämien bereits internalisiert; in einigen Staaten werden die Unfallkosten dem allgemeinen Sozialversicherungssystem angelastet. Das grundsätzliche Problem der Anrechnung von Personenschäden () wird im Grünbuch nicht gelöst. Der Ausschuß hält weitere Forschungsarbeit, wie im Anhang 7 des Grünbuchs gefordert, für notwendig.

4.1.2.3. Die Kostenansätze für den Verkehrslärm werden nicht konkret angegeben (siehe Punkt 7.3 des Grünbuchs). In Anhang 2 finden sich nur Ausführungen über die verschiedenen Verfahrensweisen bei den Methoden der Berechnung. Daher sollte dringlichst eine diesbezügliche genaue Methodik festgelegt werden.

4.1.2.4. Die anzurechnenden externen Kosten unterscheiden sich in ihrer Höhe in Abhängigkeit vom Ort und dem Zeitpunkt des Geschehens. Durch Entzerrung der Verkehrslasten in bezug auf Zeit und Ort lassen sich erhebliche Einsparungen realisieren. Das Infrastruktursystem in den Großstädten ist z. B. nicht auf die Maximallast während der sogenannten "Rush-hour" ausgelegt. Diese "Rush-hour" ist abhängig von Arbeitszeitbeginn und Arbeitszeitende sowie von Ladenschlußzeiten des Einzelhandels usw. Zahlreiche Maßnahmen könnten hier Veränderungen schaffen wie z. B. Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs (wie im Grünbuch der Europäischen Kommission: "Das Bürgernetz - Wege zur Nutzung des Potentials des öffentlichen Persohnenverkehrs in Europa" angeregt) (), Flexibilisierung der Arbeits- und Produktionszeiten, Lebensarbeitszeitmodelle, Telearbeit, Teleshopping usw. Da es sich hier um lokale Maßnahmen handelt, sollten sie auch auf lokaler Ebene nach der Abklärung mit allen betroffenen Parteien getroffen werden.

4.1.3. Ein zentrales Problem des Grünbuchs liegt darin, daß nur die externen Kosten des Verkehrs aufgegriffen und die externen Nutzen nicht berücksichtigt werden. Untersuchungen haben gezeigt, daß durch Verkehrsleistungen volkswirtschaftliche Nutzen erzeugt werden. Diese Nutzen entstehen dadurch, daß die Möglichkeiten der Raumüberwindung gesteigert werden, die Arbeitsteilung verbessert wird, Produktivitätssteigerungen für die Volkswirtschaft im ganzen entstehen, technische Fortschritte forciert werden, das Sozialprodukt und damit auch die Beschäftigung in der Wirtschaft steigen. Deswegen sollten die externen Nutzen Gegenstand einer viel eingehenderen Diskussion sein.

4.2. Wahrung eines lauteren Wettbewerbs

4.2.1. Die Betreiber der verschiedenen Verkehrsträger in den Mitgliedstaaten der EU können in absehbarer Zeit ihre Dienste unionsweit im Wettbewerb anbieten. Die grundsätzliche Ausrichtung des Grünbuchs zielt darauf, diesen Wettbewerb fair unter Anrechnung der Wegekosten und der externen Kosten herzustellen.

4.2.1.1. Ziel des Grünbuchs ist es, zu einer ausgewogenen, also fairen und effizienten Preisgestaltung zu gelangen, aber es liegt auf der Hand, daß dies nur einer der Ansatzpunkte ist, um eine gemeinsame, auf marktwirtschaftlichen Grundsätzen beruhende Verkehrspolitik zu erreichen. Das Grundprinzip jeder Marktwirtschaft ist, daß die Beseitigung von Knappheiten und von Überlastung (wie hier im Bereich der Verkehrsinfrastrukturkapazitäten) von zwei Seiten angegangen wird:

- von einer Nachfragesteuerung über die Preise und

- von einer Verbesserung des Angebots.

4.2.1.2. Gerade dieses Prinzip müßte im Grünbuch stärker in den Vordergrund gestellt werden, das offensichtlich viel stärker die Nachfragesteuerung im Blick hat. Klammert man die Angebotsverbesserung der Verkehrsinfrastruktur als Lösungsschritt aus, so werden die Anpassungslast der Nachfrage überstrapaziert und die Anpassungskosten der Verkehrsteilnehmer ungerechtfertigt stark erhöht. Die Entwicklung eines intermodalen Infrastrukturnetzes, neue Be- und Entladeinfrastrukturen, multimodale Umschlagterminals und Maßnahmen zur Vollendung des Binnenmarktes im Bereich des Schienenverkehrs und der Binnenwasserstraßen, sowie die Entwicklung des öffentlichen Personenverkehrs schaffen die Möglichkeit, Verkehre von der Straße auf andere Verkehrsträger zu verlagern.

4.2.1.3. Die vielfältigen Möglichkeiten der Verbesserung des Straßenverkehrs durch eine effizientere Verkehrsinfrastruktur und durch Verkehrstelematik, so wie in der Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über Telematikanwendungen im Europäischen Verkehrswesen" () gefordert, werden in dem Grünbuch nicht aufgegriffen und der Ausschuß ersucht die Kommission, diese Fragestellung schnell zu behandeln.

4.2.1.4. Konkrete Untersuchungen haben gezeigt, daß gerade mit lokalen und regionalen Infrastrukturverbesserungen, also mit gezielten Maßnahmen wie

- sechsspuriger Ausbau der Autobahnen;

- Ortsumgehungen;

- Lückenschlüsse im Verkehrsnetz im Rahmen transeuropäischer Netze;

- Engpaßbeseitigungen,

hohe Nutzen-Kosten-Ergebnisse erzielt werden können.

Würde man die Infrastruktur verbessern bzw. instand setzen, würden die externen Kosten sinken. Dieses Potential, das eine Senkung der Kosten des Verkehrs für alle ermöglichen würde, sollte ausgeschöpft werden.

4.2.1.5. Vor allem die mittel- und langfristigen Konsequenzen einer nach Verkehrsträgern differenzierten Änderung der Verkehrpreise für die Gesamtwirtschaft werden im Grünbuch nicht genügend untersucht. Die Reaktionen der verladenden Wirtschaft sind unzureichend analysiert. Deswegen fordert die Kommission, daß u.a. eine Studie

"Internalisierung der externen Kosten im Verkehr: Auswirkungen auf die Wirtschaft"

erstellt wird (Anhang 11).

4.2.1.6. Was die Untersuchungen über die Wirksamkeit der Preise auf die Wahl des Verkehrsträgers angeht, so haben uns die Ölschocks (Ölkrisen in den 70er und 80er Jahren) gezeigt, daß die Nachfrage gerade im Individualverkehr im Verhältnis zu den Preisen der Ölerzeugnisse starr war, d.h. der starke Anstieg bei den Kraftstoffpreisen wirkte sich nur in relativ geringem Ausmaß auf den Verbrauch aus. Eine elastische Nachfrage entsteht erst auf lange Sicht, wenn es brauchbare Ersatzlösungen gibt. Dies bedeutet, daß eine stärkere finanzielle Belastung des Straßenverkehrs kurzfristig in anderen Bereichen des täglichen Lebens aufgefangen werden muß.

Eine Verteuerung des Straßenverkehrs und eine damit verbundene Kaufkraftabschöpfung kann überdies dazu führen, daß das notwendige Geld für den Kauf neuer Fahrzeuge, die schadstoffärmer und verkehrssicherer sind, fehlen wird und damit das durchschnittliche Lebensalter der Fahrzeugflotte steigen wird.

4.2.1.7. Erforderlich wäre, durch finanzielle Anreize die Bereitschaft zu stärken, umweltfreundlichere Kraftfahrzeuge anzuschaffen, wie im Grünbuch Absatz 6.5 IV diskutiert. Die Internalisierung der Umweltkosten kann zu einer Differenzierung der vom Verkehrsnutzer zu zahlenden Gebühren und Preise führen und dadurch auch ein verantwortungsvolles Verhalten belohnen. Die Bereitschaft, eine Verhaltensänderung herbeizuführen, kann durch Belohnungen (z. B. Steuererleichterungen, Prämien oder differenzierte Zulassungsgebühren) wesentlich besser erreicht werden kann als durch Bestrafungen (in Form hoher Straßenbenutzungsgebühren).

4.3. Eine integrierte Strategie ist erforderlich

4.3.1. Wenn eine Reform der Steuern und Preise im Verkehrssystem in Erwägung gezogen wird, so müßte dies im Rahmen einer integrierten Strategie erfolgen. Eine solche koordinierte Strategie für sämtliche Verkehrsträger müßte theoretisch die "richtigen" Preisverhältnisse zwischen den verschiedenen Verkehrsarten, z. B. Straßenverkehr und Schienenverkehr, Straßenverkehr und öffentlicher Personennahverkehr oder Straßenverkehr und Binnenschiffahrt, setzen. Ein isoliertes Vorgehen durch die Verteuerung eines einzigen Verkehrsträgers wird möglicherweise unbegründete Verzerrungen nicht nur auf dem Verkehrsmarkt, sondern auch in den damit zusammenhängenden industriellen und gewerblichen Bereichen hervorrufen.

4.3.2. Es müßten dabei die unterschiedlichen Deckungsgrade der Verkehrsarten bei den Wegekosten und den externen Kosten berücksichtigt werden. In den meisten europäischen Ländern sind die Gesamteinnahmen an Kfz-Steuer, Mineralölsteuer und Straßenbenutzungsgebühren zwei bis drei Mal so hoch wie die gesamten Verkehrsausgaben (vgl. Tabelle 5.1 im Anhange 5 des Grünbuches). Die Straßenverkehrsbesteuerung übersteigt die Infrastrukturausgaben in der EU insgesamt um ca. 65 Milliarden ECU.

4.3.3. In diesem Zusammenhang ist als Wettbewerbsvoraussetzung eine faire und transparente Kostenbelastung zwischen den Verkehrsarten unbedingt erforderlich, um eine Chancengleichheit der Verkehrsträger im Wettbewerbsprozeß herzustellen. Ohne eine solche Harmonisierung wird der Erfolg der Liberalisierung und der Öffnung der Verkehrsmärkte nachhaltig gefährdet. Es würde nachträglich über unterschiedliche administrierte Preise für die Infrastrukturbenutzung eine neue Regulierung der Verkehrsmärkte eingeleitet, die zu einem Kernziel der Europäischen Union (Vollendung des Binnenmarktes) in einem Widerspruch stehen würde. Von daher kann eine Preispolitik nicht einseitig nur für einen Verkehrsträger diskutiert werden.

Der Aspekt der externen Nutzen muß also unbedingt in die Diskussion über die Anlastung der externen Kosten einbezogen werden. Berücksichtigt man die externen Nutzen, so kann es nicht mehr nur um eine Anlastung der externen Kosten gehen. Vielmehr ist eine Verkehrsaufteilung anzustreben, bei der die Differenz zwischen Nutzen und Kosten maximiert wird. Eine gleichgewichtige Klärung der Frage, in welchem Maße externer, ökonomischer, sozialer und gesellschaftlicher Nutzen durch die einzelnen Verkehrsträger bewirkt wird, ist notwendig.

4.4. Der "Modal-Split" und seine Auswirkungen auf den internationalen Warenverkehr

4.4.1. Die Erhöhung von Steuern, Abgaben und Gebühren für den Straßenverkehr könnte eine Verlagerung zugunsten der anderen Verkehrsträger auslösen und damit zur besseren Vernetzung aller Verkehrsträger beitragen, soweit diese Verkehrsträger in der Lage sind, den damit verbundenen zusätzlichen Transportbedarf in effizienter Weise zu bewältigen.

Können diese Änderungen im "Modal-Split" aber mangels Alternativen oder sonstiger Gegebenheiten, wie Transportweite (), fehlende Integration der Verkehrsströme in Produktionszusammenhängen usw. nicht erfolgen, so entstehen volkswirtschaftliche Verluste, ohne daß die externen Kosten gesenkt würden.

4.4.2. Das Grünbuch muß auch unter dem Blickwinkel der Entwicklung der wirtschaftlich schwächeren, peripheren Länder, der Kohäsion in Europa und der Integration mittel- und osteuropäischer Länder bewertet werden. Aufgrund von Produktivitätsnachteilen können diese Länder nur dann am wirtschaftlichen Fortschritt und am Wachstum im europäischen Binnenmarkt teilhaben, wenn ihre Erreichbarkeit gewährleistet und ihre Absatzchancen nicht durch Marktferne verschlechtert werden. Gerade der europäische Binnenmarkt bringt - so der Cecchini-Bericht - kräftige Wachstumsimpulse (Marktvergrößerung, Produktionskostensenkung, Internationalisierung der Arbeitsteilung) und impliziert ein anhaltendes Verkehrswachstum. Dieses zusätzliche Verkehrswachstum kann nur zum Teil durch die Eisenbahn, etwa durch Direktzüge zwischen den Industriezentren, und der Binnenschiffahrt oder der Küstenschiffahrt bewältigt werden; die Intensivierung der Austauschbeziehungen zwischen den industriellen Kernländern und den peripheren Regionen wird auch von einem wachsenden Straßengüterverkehr begleitet sein.

4.4.3. Die Konsequenzen einer veränderten Preisgestaltung im Verkehr müssen sehr detailliert untersucht werden. Dies gilt einerseits für die Bürger und für das Verhältnis zwischen Individualverkehr und öffentlichem Personenverkehr; anderseits sollten die durch die Internalisierung der externen Kosten resultierenden Konsequenzen für Industrie, Handel und Dienstleistungsunternehmen, sowohl innerhalb der EU als auch im Hinblick auf den internationalen Standortwettbewerb aufgezeigt werden.

Brüssel, den 31. Oktober 1996.

Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Tom JENKINS

() Die Verteilung der Transporte auf die verschiedenen Transportmodi wie Straße, Schiene, Wasser usw.

() Seite ii, Zusammenfassung Punkt 6, vorletzter Satz. Der Ausschuß stellt fest, daß das Kommissionsdokument nicht in allen sprachlichen Fassungen übereinstimmt.

() Seite 8, Punkt 2.5, "Die wichtigsten externen Effekte des Verkehrs", 4. Abschnitt, letzter Satz.

() Seite 57, Punkt 9.2, "Die nächsten Schritte ", 1. Abschnitt, erster Satz.

() TEN: transeuropäische Verkehrsnetze.

() ABl. Nr. C 39 vom 12. 2. 1996, S. 43.

() ABl. Nr. C 18 vom 22. 1. 1996, S. 27.

() ABl. Nr. C 397 vom 31. 12. 1994, S. 23.

() ABl. Nr. C 313 vom 30. 11. 1992, S. 43.

() Entstehende Beeinträchtigungen Dritter, beispielsweise durch Luftbelastung und Lärm, werden in den entsprechenden Kostenkategorien berücksichtigt.

() Jede Person ist sich bewußt, daß mit der Fahrt in einem Verkehrsmittel das Risiko eines Unfalles verbunden ist. Entschließt sie sich dennoch loszufahren, so bewertet sie den Nutzen der Fahrt größer als das eingegangene Risiko. Das Risiko dieser Person, selbst einen Unfall zu erleiden, ist demnach als bereits internalisiert zu betrachten. Nicht internalisiert ist aber das zusätzliche Risiko, dem andere Verkehrsteilnehmer und Mitfahrer durch die Fahrt ausgesetzt werden, volkswirtschaftliche Verluste für die Gesellschaft in Form von entgangener Arbeitskraft der Unfallopfer (abzüglich der Einsparungen durch die Nichtinanspruchnahme von Ressourcen) sowie ggf. Leid von Angehörigen und Freunden, Leidensaversion und die Bewertung von Lebensfreude.

() ABl. Nr. C 212 vom 22. 7. 1996, S. 77.

() ABl. Nr. C 18 vom 22. 1. 1996, S. 32.

() Personenbeförderung: 80 % aller Beförderungen im Kraftverkehr, 75 % über eine Entfernung von unter 10 km;

Güterbeförderung: 70 % aller Beförderungen im Kraftverkehr, 66 % über eine Entfernung von unter 50 km.